Beschluss vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - DL 16 S 17/06

Tenor

Die Beschwerde des Beamten gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen - Disziplinarkammer - vom 06. Juli 2005 - DL 10 K 14/04 - wird zurückgewiesen.

Der Beamte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

 
Die nach § 33 Abs. 4 LDO statthafte Beschwerde ist zulässig. Sie ist auch nicht verspätet eingelegt worden. Zwar ist die Beschwerde nach § 77 Abs. 2 LDO grundsätzlich innerhalb zweier Wochen seit Bekanntgabe der Entscheidung einzulegen, doch gilt dies nicht, wenn die nach § 25 Abs. 1 LDO erforderliche schriftliche Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig erteilt worden ist (vgl. § 25 Abs. 2 LDO); in diesem Fall ist die Einlegung eines Rechtsmittels grundsätzlich innerhalb eines Jahres zulässig. So verhält es sich hier, da die dem angefochtenen Beschluss beigefügte Rechtsmittelbelehrung die unrichtige Angabe enthielt, die Beschwerde sei „innerhalb eines Monats“ zulässig.
Die Disziplinarkammer hat die Disziplinarverfügung der Polizeidirektion R. vom 15.09.2004, mit der dem Beamten ein Verweis erteilt wurde, und die sie bestätigende Beschwerdeentscheidung der Landespolizeidirektion Tübingen vom 19.11.2004 zu Recht aufrechterhalten.
Auch der Senat geht davon aus, dass der Beamte mit dem von der Disziplinarkammer in der mündlichen Verhandlung vom 06.07.2004 festgestellten und von ihm auch eingeräumten Verhalten ein Dienstvergehen i. S. des § 95 Abs. 1 Satz 1 LBG begangen hat, das die Erteilung eines Verweises rechtfertigte.
Der Senat teilt auch die rechtliche Bewertung das Verwaltungsgerichts, dass dem Beamten sowohl bei der Behandlung des in der Wohnung der Beschuldigten aufgefundenen Tageszeitung als Beweismittel als auch bei der Nichtweitergabe eines ihm übergebenen Aktenvermerks über ein von einem Kriminalbeamten mit der Beschuldigten geführtes Gespräch fahrlässig gegen seine Dienstpflichten verstoßen hat (vgl. §§ 73 Satz 3, 74 Satz 2 LBG, §§ 163 Abs. 1 u. 2 Satz 1 StPO, Nr. 23 Abs. 1, 44, 45, 46, 49 u. 51 PDV 350). Insoweit kann auf die zutreffenden und ausführlichen Erwägungen im angefochtenen Beschluss Bezug genommen werden. Diese werden auch durch die Ausführungen in der Beschwerdebegründung nicht in Frage gestellt.
Der Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass bei der disziplinarrechtlichen Bewertung der dem Beamten gemachte Vorwurf, ein Beweismittel verändert zu haben, ohne dies ausdrücklich in der Verfahrensakte vermerkt zu haben, gleichwohl außer Betracht zu bleiben habe (vgl. BA, S. 16 oben), vermag der Senat allerdings nicht zu folgen; an dieser von der Disziplinarkammer abweichenden Beurteilung war der Senat auch nicht durch das auch im Beschwerdeverfahren geltende Verbot der „reformatio in peius“ (vgl. § 84 Abs. 2 Satz 1 LDO) gehindert (vgl. v. Alberti/Gayer/Roskamp, LDO 1994, vor § 77 Rn. 3; DH Bad.-Württ., Beschl. v. 28.10.1987 - DH 12/87 -).
Auch bei diesem dem Beamten unterlaufenen Verstoß gegen § 163 Abs. 1 StPO und Nr. 23 Abs. 1, 44, 45, 46, 49, 51 PDV 350 (vgl. auch § 160 Abs. 2 StPO) handelte es sich um eine Pflichtverletzung, die durchaus das erforderliche „Minimum an Gewicht und Evidenz“ aufwies (vgl. BVerfG, Beschl. v. 22.05.1975, BVerfGE 39, 334 Rn. 45), und keineswegs nur um eine - disziplinarrechtlich nicht ahndungswürdige - „Bagatellverfehlung“ (vgl. hierzu DH Bad.-Württ., Urt. v. 01.02.1988, VBlBW 1988, 227), wie sie auch einem an sich pflichtbewussten Beamten ohne weiteres einmal unterlaufen kann. Dies folgt bereits aus der auch vom Verwaltungsgericht erkannten, mit jeder Veränderung eines Beweismittels verbundenen Gefahr, dass dieses einen anderen Beweiswert erhält und damit die Ermittlung des wahren Sachverhalts erschwert werden kann; diese hatte sich bei der weiteren Bearbeitung der Verfahrensakte tatsächlich auch realisiert. Mit Rücksicht auf das zentrale Anliegen eines rechtsstaatlich geordneten Strafverfahrens, den wahren Sachverhalt zu ermitteln (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.05.1981, BVerfGE 57, 250 Rn. 64, Beschl. v. 12.01.1983, BVerfGE 63, 45 Rn. 51), war der Beamte, wenn er schon die Aufnahme des vollständigen Beweismittels - der in der Wohnung der Beschuldigten aufgefundenen vollständigen Ausgabe einer Zeitung - in die Verfahrensakte für untunlich hielt, stattdessen die allenfalls tatrelevanten Artikel ausschnitt und lediglich diese der Verfahrensakte beifügte, zu besonderer Gewissenhaftigkeit verpflichtet (vgl. Nr. 44 PDV 350), um die nahe liegende, auch für ihn ohne weiteres erkennbare Gefahr einer Veränderung des Beweiswerts der aufgefundenen Zeitungsausgabe von vornherein auszuschließen (vgl. Nr. 45 Satz 3, 51 PDV 350). Die von ihm im Kernbereich seines Pflichtenkreises als Angehöriger der Kriminalpolizei nach den konkreten Umständen des Falles - zumal bei einer - wie hier - das Interesse der Öffentlichkeit besonders auf sich ziehenden Straftat - anzuwendende und auch mögliche Sorgfalt hat der Beamte außer Acht gelassen, als er, anstatt die Veränderung des Beweismittels in der Verfahrensakte hinreichend zu dokumentieren, die auf ein Blatt im DIN A4-Format geklebten Zeitungsausschnitte irreführend beschriftete, diese irreführend unter lfd. Nr. BS 7 im „Verzeichnis der Beweisstücke“ vom 15.05.2003 aufführte und auf S. 3 seiner Anmerkungen zur Strafanzeige vom 16.05.2003 eine missverständliche Formulierung verwandte. Von einem bloßen Versehen oder einer eher formalen Unkorrektheit kann insofern nicht die Rede sein. Auch der vom Verwaltungsgericht angeführte Umstand, dass bei einem sorgfältigen Studium der Verfahrensakte durchaus erkennbar war, dass das eigentliche (aufgefundene) Beweismittel eine vollständige Zeitungsausgabe war, aus der die beiden Zeitungsartikel lediglich zur weiteren Bearbeitung im Ermittlungsverfahren ausgeschnitten wurden, führt nicht auf eine bloße „Bagatellverfehlung“, der mit den in § 6 Abs. 2 LDO genannten Maßnahmen hinreichend begegnet werden könnte. Eine solche war um so weniger anzunehmen, als sich der Beamte keineswegs auf eine ihm versehentlich unterlaufene äußere Unkorrektheit berufen, sondern im Gegenteil bis zuletzt geltend gemacht hat, sich völlig korrekt verhalten zu haben und auch in anderen Fällen entsprechend verfahren zu sein. Darauf, dass er hierbei keine unlauteren Zwecke verfolgte, kommt es schließlich nicht an.
Soweit die Beschwerde im Einzelnen die rechtliche Bewertung der Disziplinarkammer hinsichtlich der dem Beamten weiterhin vorgeworfenen Nichtweitergabe des Aktenvermerkes über ein Gespräch mit der Beschuldigten am 06.03.2003 beanstandet und hierzu insbesondere geltend macht, dass die Kriminalpolizei entgegen der im angefochtenen Beschluss vertretenen Auffassung (BA, S. 16 f.) nicht sämtliche Unterlagen der Staatsanwaltschaft zu deren weiterer Verwendung vorzulegen habe, sondern es gerade Aufgabe des (kriminalpolizeilichen) Hauptsachbearbeiters sei, die entsprechende Verfahrensakte abschließend „zusammenzustellen“ (vgl. die inzwischen außer Kraft getretene Verwaltungsvorschrift über die Aktenführung in Ermittlungsverfahren v. 12.12.1990 - Az.: 3-6200/410 -), was bedeute, dass in diese auch nur die zulässigerweise erhobenen und damit verwertbaren Beweismittel aufzunehmen seien, geht dies fehl. So betraf der Aktenvermerk die einzige Aussage der Beschuldigten zur Sache, die, zumal sie letztlich einem Geständnis gleichkam (vgl. Nr. 45 Abs. 2 RiStBV; § 168b Abs. 2 StPO), in einem Strafverfahren wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts ersichtlich Bedeutung erlangen konnte (vgl. Pfeiffer, a.a.O., § 147 Rn. 3) und insofern, nachdem sie bereits - ob zulässig oder nicht - erhoben worden war, entsprechend dem Grundsatz der Aktenvollständigkeit jedenfalls auch in den der Staatsanwaltschaft nach § 163 Abs. 2 Satz 1 StPO zu übersendenden „Verhandlungen“ zu dokumentieren war (vgl. auch Nr. 2.1.1 VwV-Aktenführung: „die Gesamtheit a l l e r relevanten und beweiserheblichen Feststellungen zum Tatverdächtigen und Tatgeschehen“). Hielt der Beamte gleichwohl eine andere Verfahrensweise für angezeigt, hätte er zuvor die Entscheidung der Staatsanwaltschaft als der Herrin des Ermittlungsverfahrens (vgl. §§ 160 Abs. 2, 161 Abs. 1 StPO) einholen müssen (vgl. Pfeiffer, a.a.O., § 163 Rn. 1 u. 10, § 147 Rn. 3), als deren „verlängerter Arm“ er lediglich tätig war (vgl. BVerwG, Urt. v. 03.12.1974, BVerwGE 47, 255 <263> Rn. 22). Insoweit wäre für ihn auch ein etwaiger Irrtum vermeidbar gewesen.
Bei seiner Argumentation übersieht der Beamte überdies, dass sich die Frage eines Beweisverwertungsverbots wenn nicht gar erst bei der Urteilsfindung, so doch regelmäßig erst in der Hauptverhandlung stellt, deren Verlauf niemand - auch der Beamte nicht - voraussehen kann (vgl. hierzu Pfeiffer, StPO 5. A. 2005, § 147 Rn. 3). Beweisergebnisse, die unter Verstoß gegen Belehrungs- und Hinweispflichten (vgl. §§ 163a Abs. 4 Satz 1 u. Satz 2, 136 Abs. 1 Satz 2 StPO) oder gar gegen Beweiserhebungsverbote gewonnen wurden, sind deswegen nicht notwendigerweise unverwertbar (vgl. Pfeiffer, a.a.O., Einl. 14). Unter Verstoß gegen § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO gewonnene Aussagen sind insbesondere dann verwertbar, wenn der verteidigte Angeklagte dem in der Hauptverhandlung ausdrücklich zustimmt oder ihr nicht rechtzeitig widersprochen hat (vgl. BGH, Beschl. v. 27.02.1992, BGHSt 38, 214). § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO, auf den sich der Beamte u. a. noch bezieht, statuiert zwar ein Beweisverwertungsverbot von (be- wie entlastenden) Aussagen, die unter Verletzung des Beweismethodenverbots des § 136a Abs. 1 bzw. 2 StPO zustande gekommen sind, auch für den Fall, dass der Beschuldigte der Verwertung nachträglich zustimmt. Doch greift dieses absolute Verwertungsverbot nur ein, wenn zumindest eine „vernehmungsähnliche Situation“ vorlag und zwischen dem verbotenen Vernehmungsmittel, so ein solches überhaupt angewandt wurde, und der Aussage insofern ein Kausalzusammenhang bestand, als diese zumindest nicht ausschließbar darauf beruhte (vgl. BGH, Urt. v. 30.04.1987, BGHSt 34, 369). Im Hinblick auf eine hier allenfalls in Betracht zu ziehende „Täuschung“ ist schließlich zu berücksichtigen, dass nur Irreführungen verboten sind, die bewusst darauf abzielen, die von § 136a Abs. 1 Satz 1 StPO geschützte Aussagefreiheit zu beeinträchtigen (vgl. BGH, Urt. v. 07.01.1997, NStZ 1997, 251; zur gebotenen einschränkenden Auslegung des zu weit gefassten Begriffs der Täuschung BGH, Beschl. v. 13.05.1996, BGHSt 42, 139). Es liegt indessen ohne weiteres auf der Hand, dass die Aufnahme von für das Verfahren relevanten und beweiserheblichen Feststellungen in die der Staatsanwaltschaft vorzulegende Verfahrensakte nicht davon abhängen kann, wie die - hierfür nicht hinreichend ausgebildete - Kriminalpolizei die sich im Zusammenhang mit einem etwa eingreifenden (absoluten) Beweisverwertungsverbot stellenden, tatsächlich und rechtlich schwierigen Fragen beurteilt (vgl. hierzu wiederum Pfeiffer, a.a.O., § 163 Rn. 1 u. 10, § 147 Rn. 3). Dies zeigt nicht zuletzt der vorliegende Fall, in dem die Schwurgerichtskammer in ihrem Urteil vom 08.10.2003 - 1 Ks 12 Js 3525/03 - letztlich von keinem von der Zustimmung der Beschuldigten unabhängigen, be- wie entlastende Aussagen erfassenden absoluten Beweisverwertungsverbot i. S. des § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO ausging (vgl. UA, S. 33 f.).
Ausgehend von dieser disziplinarrechtlichen Würdigung des einheitlichen Dienstvergehens war die Erteilung eines Verweises nicht nur gerechtfertigt, sondern - nicht zuletzt auch aus generalpräventiven Erwägungen - auch erforderlich. Die vom Beamten im Zusammenhang mit der von ihm begehrten Entfernung des Verweises aus den Personalakten aufgeworfenen Fragen stellen sich dem Senat nicht mehr, da beide für die Disziplinarverfügung maßgeblich gewesenen Verfehlungen bereits für sich genommen disziplinarrechtlich ahndungswürdig waren.
10 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 112 Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 LDO.
11 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 88 LDO).

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