Auf den Antrag der Antragstellerin wird § 4 Abs. 3 Nr. 12a der Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-Cov-2 (Corona-Verordnung – CoronaVO) vom 17.03.2020, die zuletzt durch die Sechste Verordnung der Landesregierung zur Änderung der Corona-Verordnung vom 23.04.2020 geändert wurde, mit Ablauf des 3. Mai 2020 vorläufig außer Kraft gesetzt, soweit der Betrieb sonstiger Einzelhandelsgeschäfte auf einer Verkaufsfläche von mehr als 800 Quadratmetern über diesen Zeitpunkt hinaus untersagt wird.
Der weitergehende Antrag der Antragstellerin wird abgelehnt.
Von den Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin 1/3 und der Antragsgegner 2/3.
Der Streitwert wird auf 100.000,-- EUR festgesetzt.
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| Die Antragstellerin betreibt Sportgeschäfte im ganzen Bundesgebiet. Eine ihrer Filialen befindet sich ausweislich ihres Internetauftritts in .... Sie wendet sich mit dem vorliegenden Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sowie in dem parallelen Normenkontrollverfahren (1 S 1100/20) gegen § 4 Abs. 1 Nr. 12a i.V.m. § 3 Abs. 1 der Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-Cov-2 (Corona-Verordnung – CoronaVO) vom 17.03.2020, die zuletzt durch die Sechste Verordnung der Landesregierung zur Änderung der Corona-Verordnung vom 23.04.2020 geändert wurde. Der Antragsgegner ist dem Antrag entgegengetreten. |
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| 1. Ein Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO ist zulässig, wenn ein in der Hauptsache gestellter oder noch zu stellender Normenkontrollantrag nach § 47 Abs. 1 VwGO voraussichtlich zulässig ist (vgl. zu dieser Voraussetzung Ziekow, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl., § 47 Rn. 387) und die gesonderten Zulässigkeitsvoraussetzungen für den Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO erfüllt sind. Beides ist hier der Fall. |
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| Die Statthaftigkeit des Antrags in der Hauptsache folgt aus § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO, § 4 AGVwGO. Danach entscheidet der Verwaltungsgerichtshof auch außerhalb des Anwendungsbereichs des § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO über die Gültigkeit von im Rang unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften. Dazu gehören Verordnungen der Landesregierung. |
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| Die Antragstellerin ist gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO antragsbefugt. Die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO hat jede natürliche oder juristische Person, die geltend machen kann, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Es genügt dabei, wenn die geltend gemachte Rechtsverletzung möglich erscheint (ausf. dazu Senat, Urt. v. 29.04.2014 - 1 S 1458/12 - VBlBW 2014, 462, mit zahlreichen Nachweisen). Nach diesem Maßstab besteht die Antragsbefugnis. Denn es ist möglich, dass die Antragstellerin durch die angegriffene Norm in ihrem Recht auf Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG verletzt ist. |
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| Für den Antrag in der Hauptsache und den nach § 47 Abs. 6 VwGO liegt ein Rechtsschutzinteresse jeweils vor. Denn mit einem Erfolg ihrer Anträge könnte die Antragstellerin ihre Rechtsstellung verbessern. Dies gilt jedenfalls, nachdem die Antragstellerin ihren Antrag zulässigerweise nunmehr auf die aktuelle Fassung der CoronaVO umgestellt hat; die von dem Antragsgegner im Hinblick auf eine frühere Antragstellung geltend gemachten Bedenken gegen die Zulässigkeit des Antrags bestehen daher nicht. |
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| Nach § 47 Abs. 6 VwGO kann der Verwaltungsgerichtshof auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind zunächst die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags in der Hauptsache, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen. Ist danach der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht im Sinne von § 47 Abs. 6 VwGO zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Ergibt diese Prüfung, dass ein Normenkontrollantrag in der Hauptsache voraussichtlich begründet wäre, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug der streitgegenständlichen Satzung oder Rechtsvorschrift zu suspendieren ist. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug der Rechtsvorschrift vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. Lassen sich die Erfolgsaussichten des Normenkontrollverfahrens nicht abschätzen, ist über den Erlass einer beantragten einstweiligen Anordnung im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden: Gegenüberzustellen sind die Folgen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Antrag nach § 47 Abs. 1 VwGO aber erfolglos bliebe. Die für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, also so schwer wiegen, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung - trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache - dringend geboten ist (BVerwG, Beschl. v. 25.02.2015 - 4 VR 5.14 -, ZfBR 2015, 381; Beschl. v. 16.09.2015 - 4 VR 2/15 -, juris; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 09.08.2016 - 5 S 437/16 -, juris m.w.N.; Beschl. v. 13.03.2017 - 6 S 309/17 - juris). Mit diesen Voraussetzungen stellt § 47 Abs. 6 VwGO an die Aussetzung des Vollzugs einer untergesetzlichen Norm erheblich strengere Anforderungen, als § 123 VwGO sie sonst an den Erlass einer einstweiligen Anordnung stellt (BVerwG, Beschl. v. 18.05.1998 - 4 VR 2/98 - NVwZ 1998, 1065). |
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| Hieran gemessen hat der Antrag der Antragstellerin teilweise Erfolg. Es bestehen nicht unerhebliche Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags in der Hauptsache (a). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist auch i.S.v. § 47 Abs. 6 VwGO dringend geboten, soweit § 4 Abs. 3 Nr. 12a CoronaVO den Betrieb sonstiger Einzelhandelsgeschäfte auf einer Verkaufsfläche vom mehr als 800 Quadratmetern über den 03.05.2020 hinaus unverändert untersagt (b). |
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| a) Es bestehen nicht unerhebliche Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags in der Hauptsache. Zwar können infektionsschutzrechtliche Maßnahmen gegen die Verbreitung des Coronavirus auf Ermächtigungsgrundlagen aus dem 5. Abschnitt des Infektionsschutzgesetzes gestützt (aa) und auch gegen sog. Nichtstörer gerichtet werden (bb). Eine Verletzung des Zitiergebots des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG durch die CoronaVO liegt voraussichtlich nicht vor (cc). Offen ist jedoch, ob § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1, 2 IfSG im Hinblick auf den Vorbehalt des Gesetzes in seiner Ausprägung als Parlamentsvorbehalt eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die landesweite Schließung bestimmter Einzelhandelsbetriebe ist (dd). Hiervon abgesehen, dürfte die durch die CoronaVO angeordnete Schließung eines großen Teils der Einzelhandelsbetriebe ab Mitte März 2020 durch die CoronaVO vom 17.03.2020 geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne gewesen sein (ee). Die Beschränkung der ab dem 20.04.2020 - aufgrund der Fünften Verordnung der Landesregierung zur Änderung der Corona-Verordnung vom 17.04.2020 - geltenden Ausnahmen von den in § 4 Abs. 1 CoronaVO vorgesehenen Betriebsuntersagungen für sonstige Einzelhandelsgeschäfte auf solche mit einer Verkaufsfläche von nicht mehr als 800 Quadratmetern durch § 4 Abs. 1 Nr. 12a CoronaVO verstößt jedoch voraussichtlich gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG (ff). |
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| aa) Infektionsschutzrechtliche Maßnahmen gegen die Verbreitung des Coronavirus können voraussichtlich auf Ermächtigungsgrundlagen aus dem 5. Abschnitt des Infektionsschutzgesetzes gestützt werden. Zwar findet sich in der Kommentarliteratur die Auslegung, § 16 IfSG aus dem 4. Abschnitt des Infektionsschutzgesetzes sei die Präventions-Generalsklausel zur Anordnung aller notwendigen Schutzmaßnahmen, § 28 IfSG die Bekämpfungs-Generalklausel (Erdle, IfSG, 7. Aufl. § 28 Anm. 1; Gerhardt, IfSG, 3. Aufl., § 16, Anm. A. I.; Bales/Baumann, IfSG, § 28 Rn. 1). Diese Darstellung erfasst die gesetzliche Systematik jedoch nicht vollständig (so bereits Senat, Beschl. v. 09.40.2020 - 1 S 925/20 -). |
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| Die gesetzliche Systematik des Infektionsschutzgesetzes unterscheidet im 4. Abschnitt die „Verhütung übertragbarer Krankheiten“ (§§ 16 bis 23a) und im 5. Abschnitt die „Bekämpfung übertragbarer Krankheiten“ (§§ 24 bis 32). Dementsprechend verlangt § 28 IfSG, dass Kranke oder Krankheitsverdächtige festgestellt sind, während § 16 IfSG davon spricht, dass Tatsachen festgestellt werden, die zum Auftreten einer übertragbaren Krankheit führen können. Die Differenzierung zwischen „Verhütung“ und „Bekämpfung“ entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers, wie er sich aus den Materialien zur Vorgängerregelung im Bundesseuchengesetz entnehmen lässt. So führte der Gesetzgeber zum früheren § 10 Abs. 1 BSeuchG, der § 16 IfSG entspricht, aus (BT-Drs. 8/2468, S. 19): |
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| „Beim Vollzug des BSeuchG haben sich vielfach Schwierigkeiten daraus ergeben, daß zwischen Maßnahmen zur Verhütung übertragbarer Krankheiten (§ 10 ff.) und Maßnahmen zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten (§ 30 ff.) unterschieden, diese Unterscheidung aber nicht immer folgerichtig durchgeführt ist. Auch waren Maßnahmen nur im Abschnitt Bekämpfung genannt, die auch bei der Verhütung eine Rolle spielen (z.B. Entseuchung und Entwesung). |
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| Es erscheint allerdings nicht notwendig, die im Grunde bewährte Systematik aufzugeben, wenn die Vorschriften der §§ 10 ff. und der §§ 30 ff. besser aufeinander abgestimmt werden. Dabei erscheint es zweckmäßig, in dem Abschnitt über die Verhütung übertragbarer Krankheiten alle Maßnahmen aufzunehmen, die neben der Bekämpfung auch der Verhütung übertragbarer Krankheiten dienen. Soweit erforderlich, sind in den Abschnitt über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten dann Verweisungen aufgenommen worden. |
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| Die Vorschrift des § 10 ist dabei so erweitert worden, daß im übrigen in § 32 und § 34 so weit wie möglich auf diese Bestimmung Bezug genommen wird und § 35 entfallen kann. Ergänzt wird die Regelung des § 10 schließlich durch den neuen § 12 a, der die Ermächtigung enthält, unter den Voraussetzungen der §§ 10 und 12 entsprechende Gebote und Verbote zur Verhütung übertragbarer Krankheiten zu erlassen.“ |
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| Gleichwohl sind Maßnahmen nach § 28 Abs. 1 IfSG - ob als Maßnahmen im Einzelfall oder als abstrakt-generelle Maßnahmen im Wege der Rechtsverordnung nach § 32 Satz 1 IfSG - nicht auf ein Vorgehen beschränkt, das allein der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten dient. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG ermächtigt zu Schutzmaßnahmen, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist. Die Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten wird häufig notwendigerweise Hand in Hand gehen mit einer präventiven Wirkung, zielt auf diese gerade auch ab. Dies zeigen auch die in § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG aufgeführten zulässigen Maßnahmen. Die Beschränkung und das Verbot von Veranstaltungen und Ansammlungen sowie das Schließen von Badeanstalten und von Gemeinschaftseinrichtungen i.S.v. § 33 IfSG dienen der Verhinderung der Übertragung der Krankheit auf bisher nicht erkrankte Personen und damit - und zwar nicht nur als Nebenfolge - auch präventiven Zwecken. |
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| Dies entspricht dem Willen des Gesetzgebers, auch soweit er bewusst eine Unterscheidung zwischen dem 4. Abschnitt über die „Verhütung übertragbarer Krankheiten“ und dem 5. Abschnitt über die „Bekämpfung übertragbarer Krankheiten“ getroffen hat. Zum früheren § 34 Abs. 1 Satz 2 BSeuchG - der § 28 Abs. 1 IfSG entspricht und der zuständigen Behörde die Befugnis gab, Veranstaltungen in Theatern, Filmtheatern, Versammlungsräumen, Vergnügungs- oder Gaststätten und ähnlichen Einrichtungen sowie die Abhaltung von Märkten, Messen, Tagungen, Volksfesten und Sportveranstaltungen oder sonstige Ansammlungen einer größeren Anzahl von Menschen zu beschränken oder zu verbieten und Badeanstalten zu schließen - führte die Gesetzesbegründung aus (BT-Drs. 8/2468, S. 27 f.): |
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| „Die Fülle der Schutzmaßnahmen, die bei Ausbruch einer übertragbaren Krankheit in Frage kommen können, läßt sich von vorneherein nicht übersehen. Man muß eine generelle Ermächtigung in das Gesetz aufnehmen, will man für alle Fälle gewappnet sein. Die Maßnahmen können vor allem nicht nur gegen die in Satz 1 (neu) Genannten, also gegen Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige usw. in Betracht kommen, sondern auch gegenüber ‚Nichtstörern‘. So etwa das Verbot an jemanden, der (noch) nicht ansteckungsverdächtig ist, einen Kranken aufzusuchen. Die bisher in § 43 aufgezählten Schutzmaßnahmen gegenüber der Allgemeinheit können künftig auf Grund der generellen Regelung des Absatzes 1 Satz 1 angeordnet werden. In Absatz 1 Satz 2 werden sie trotzdem beispielhaft ausdrücklich genannt, weil die genannten Maßnahmen einerseits besonders bedeutsam sind und es andererseits durch ihre Nennung ermöglicht wird, daß die in § 65 enthaltene Strafandrohung aufrechterhalten werden kann.“ |
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| Zum Infektionsschutzgesetz führte der Gesetzgeber aus (BT-Drs. 14/2530, S. 74 f.): |
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| § 28 wird entsprechend § 16 Abs. 1 so gefasst, dass die zuständige Behörde die notwendigen Maßnahmen treffen muss (gebundene Entscheidung). Es besteht kein sachlicher Grund dafür, der Behörde im Bereich der Verhütung übertragbarer Krankheiten eine Handlungsverpflichtung aufzuerlegen, ihr aber bei Bekämpfungsmaßnahmen hinsichtlich der Frage, ob gehandelt werden muss, ein Ermessen einzuräumen. Das Ermessen hinsichtlich der Frage, ‚wie‘ gehandelt wird, bleibt davon unberührt. |
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| Die Vorschrift ermöglicht die Anordnung von Maßnahmen gegenüber einzelnen wie mehreren Personen. Bei Menschenansammlungen können Krankheitserreger besonders leicht übertragen werden. Deshalb ist hier die Einschränkung von Freiheitsrechten in speziellen Fällen gerechtfertigt. Die bisher geltende Vorschrift des BSeuchG zählte einzelne Veranstaltungen in Räumen und Ansammlungen unter freiem Himmel beispielhaft auf. Auf diese Aufzählung wird nun verzichtet und stattdessen der Begriff ‚Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen einer größeren Anzahl von Menschen‘ verwandt. Durch diese Beschreibung ist sichergestellt, dass alle Zusammenkünfte von Menschen, die eine Verbreitung von Krankheitserregern begünstigen, erfasst werden.“ |
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| Keine substantiellen Änderungen sollte § 28 Abs. 1 IfSG auch durch Artikel 1 des Gesetzes vom 27.03.2020 erfahren. In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu (BT-Drs. 19/18111, S. 25): |
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| „Der Wortlaut des § 28 Absatz 1 wurde aus Gründen der Normenklarheit angepasst.“ |
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| Maßnahmen nach § 28 Abs. 1 IfSG dienen mithin auch nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers intentional dem Schutz von bisher nicht kranken, nicht krankheitsverdächtigen und nicht ansteckungsverdächtigen Personen und damit gezielt auch präventiven Zwecken. |
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| Rechtsgrundlage für den hier streitgegenständlichen § 4 der CoronaVO der Landesregierung ist damit § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1, 2 IfSG. Nach § 32 Satz 1 IfSG werden die Landesregierungen ermächtigt, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31 maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt oder ergibt sich, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, so trifft die zuständige Behörde nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 IfSG die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 IfSG genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist. |
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| bb) Daher dürfte auch unerheblich sein, ob gerade beim Betrieb des Sportgeschäfts des Antragstellerin Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt worden sind. Wie sich aus dem soeben unter aa) Ausgeführten ergibt, ermächtigt § 28 Abs.1 IfSG nach seinem Wortlaut, seinem Sinn und Zweck und dem Willen des Gesetzgebers zu Maßnahmen auch gegenüber Nichtstörern (so bereits Senat, Beschl. v. 09.40.2020 - 1 S 925/20 -). Davon geht auch die höchstrichterliche Rechtsprechung aus (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.03.2012 - 3 C 16/11 - BVerwGE 142, 205, 213). Dass es überhaupt am Coronavirus Erkrankte gibt und insofern die Tatbestandsvoraussetzungen des § 28 Abs. 1 IfSG erfüllt sind, steht außer Frage. |
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| Im Übrigen ist zu beachten, dass eine Vielzahl von Übertragungen des SARS-CoV-2-Virus bereits in der präsymptomatischen Phase oder gar durch vollkommen symptomlose Überträger stattfinden können. Es stellt sich daher schon die Frage, ob eine Differenzierung von Störern und Nichtstörern im Falle von SARS-CoV-2 überhaupt sachgerecht ist (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html#doc13776792bodyText20 [Ziff. 20]). |
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| Das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG verlangt, dass ein Gesetz, welches ein Grundrecht einschränkt, das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennt. Es findet allerdings nur Anwendung auf Grundrechte, die aufgrund ausdrücklicher Ermächtigung vom Gesetzgeber eingeschränkt werden dürfen (st. Rspr., vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.11.1990 - 1 BvR 402/87 - BVerfGE 83, 130, 154, m.w.N.), und auf Gesetze, die darauf abzielen, ein Grundrecht über die in ihm selbst angelegten Grenzen hinaus einzuschränken. Als Formvorschrift bedarf die Norm enger Auslegung, wenn sie nicht zu einer leeren Förmlichkeit erstarren und den die verfassungsmäßige Ordnung konkretisierenden Gesetzgeber in seiner Arbeit unnötig behindern soll (st. Rspr., vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.02.1970 - 2 BvR 531/68 - BVerfGE 28, 36, 46, m.w.N.). Von Grundrechtseinschränkungen, für die das Zitiergebot gilt, sind andersartige grundrechtsrelevante Regelungen unterschieden, die der Gesetzgeber in Ausführung der ihm obliegenden, im Grundrecht vorgesehenen Regelungsaufträge, Inhaltsbestimmungen oder Schrankenziehungen vornimmt. Auf diese findet das Zitiergebot keine Anwendung (st. Rspr., vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.05.1983 - 1 BvL 46/80 - BVerfGE 64, 72, 79 ff., m.w.N.). |
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| Berufsregelnde Gesetze fallen daher nicht unter das Zitiergebot. Der Gesetzgeber hat in Art. 12 Abs. 1 GG statt des sonst üblichen „beschränken“ oder „einschränken“ bewusst den Ausdruck „regeln“ verwendet. In der Entscheidung zur Handwerksordnung ist daraus gefolgert worden, dass es sich bei diesen „Regelungen“ nicht um „Einschränkungen“ im Sinne des Zitiergebots handelt (BVerfG, Beschl. v. 17.07.1961 - 1 BvL 44/55 - BVerfGE 13, 97, 122). Das Grundrecht der Berufsfreiheit erfordert notwendigerweise eine nähere gesetzgeberische Konkretisierung; den Gesetzgeber bei der Ausführung dieses Regelungsauftrages zu einem ausdrücklichen Hinweis auf dieses Grundrecht zu zwingen, wäre eine bloße Förmelei, die durch die Warn- und Besinnungsfunktion des Zitiergebots nicht gefordert wird (BVerfG, Beschl. v. 04.05.1983, a.a.O.). |
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| dd) Offen ist, ob § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1, 2 IfSG im Hinblick auf den Vorbehalt des Gesetzes in seiner Ausprägung als Parlamentsvorbehalt eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die landesweite Schließung bestimmter Arten von privat betriebenen Dienstleistungsbetrieben und Verkaufsstellen ist (so bereits Senat, Beschl. v. 09.40.2020 - 1 S 925/20 -). |
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| (1) Rechtsstaatsprinzip und Demokratiegebot verpflichten den Gesetzgeber, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen im Wesentlichen selbst zu treffen und diese nicht dem Handeln und der Entscheidungsmacht der Exekutive zu überlassen. Wann es aufgrund der Wesentlichkeit einer Entscheidung einer Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber bedarf, hängt vom jeweiligen Sachbereich und der Eigenart des betroffenen Regelungsgegenstandes ab. Die verfassungsrechtlichen Wertungskriterien sind dabei den tragenden Prinzipien des Grundgesetzes, insbesondere den darin verbürgten Grundrechten zu entnehmen. Danach bedeutet „wesentlich“ im grundrechtsrelevanten Bereich in der Regel „wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte“. Eine Pflicht zum Tätigwerden des Gesetzgebers besteht insbesondere in mehrdimensionalen, komplexen Grundrechtskonstellationen, in denen miteinander konkurrierende Freiheitsrechte aufeinander treffen und deren jeweilige Grenzen fließend und nur schwer auszumachen sind. Eine solche Pflicht ist regelmäßig auch dann anzunehmen, wenn die betroffenen Grundrechte nach dem Wortlaut der Verfassung ohne Gesetzesvorbehalt gewährleistet sind und eine Regelung, welche diesen Lebensbereich ordnen will, damit notwendigerweise ihre verfassungsimmanenten Schranken bestimmen und konkretisieren muss. Grundsätzlich können zwar auch Gesetze, die gemäß Art. 80 Abs. 1 GG zu Rechtsverordnungen ermächtigen, den Voraussetzungen des Gesetzesvorbehalts genügen, die wesentlichen Entscheidungen müssen aber durch den parlamentarischen Gesetzgeber selbst erfolgen. Die Wesentlichkeitsdoktrin beantwortet daher nicht nur die Frage, ob überhaupt ein bestimmter Gegenstand gesetzlich zu regeln ist. Sie ist vielmehr auch dafür maßgeblich, wie genau diese Regelungen im Einzelnen sein müssen (st. Rspr., vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.03.1989 - 1 BvR 1033/82 u.a. - BVerfGE 80, 1, 20; Beschl. v. 21.04.2015 - 2 BvR 1322/12 u.a. - BVerfGE 139, 19, m.w.N.). |
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| Der Schutz der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG erlaubt Eingriffe nur auf der Grundlage einer gesetzlichen Regelung, die Umfang und Grenzen des Eingriffs deutlich erkennen lässt. Insoweit muss der Gesetzgeber selbst alle wesentlichen Entscheidungen treffen, soweit sie gesetzlicher Regelung zugänglich sind. Zwar gebietet Art. 12 Abs. 1 GG nicht, dass jede Einschränkung der Berufsfreiheit stets unmittelbar durch den parlamentarischen Gesetzgeber selbst angeordnet werden muss. Jedoch sind die Anforderungen an die Bestimmtheit der Ermächtigung umso höher, je empfindlicher die freie berufliche Betätigung beeinträchtigt wird und je stärker die Interessen der Allgemeinheit von der Art und Weise der Tätigkeit berührt werden (BVerfG, Beschl. v. 12.06.1990 - 1 BvR 355/86 - BVerfGE 82, 209, 224; BVerwG, Beschl. v. 07.09.1992 - 7 NB 2/92 - BVerwGE 90, 359, 362; Urt. v. 16.10.2013 - 8 CN 1/12 - BVerwGE 148, 133). |
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| Die Wesentlichkeitsdoktrin bedeutet nicht, dass sich die erforderlichen Vorgaben ohne weiteres aus dem Wortlaut des Gesetzes ergeben müssten. Es kann genügen, dass sie sich mit Hilfe allgemeiner Auslegungsgrundsätze erschließen lassen, insbesondere aus dem Zweck, dem Sinnzusammenhang und der Vorgeschichte der Regelung. Das aus dem Rechtsstaatsprinzip (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleitete Gebot der Bestimmtheit von Normen verlangt dabei, dass Rechtsvorschriften so gefasst sein müssen, dass der Betroffene seine Normunterworfenheit und die Rechtslage so konkret erkennen kann, dass er sein Verhalten danach auszurichten vermag (vgl. BVerfG, Urt. v. 05.08.1966 - 1 BvF 1/61 - BVerfGE 20, 150; Beschl. v. 12.01.1967 - 1 BvR 169/63 - BVerfGE 21, 73; Beschl. v. 07.07.1971 - 1 BvR 775/66 - BVerfGE 31, 255; Beschl. v. 09.04.2003 - 1 BvL 1/01, 1 BvR 1749/01 - BVerfGE 108, 52; Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvF 3/92 - BVerfGE 110, 33; jeweils m. w. N.). Dieses Gebot zwingt den Normgeber indes nicht, jeden Tatbestand mit genau erfassbaren Maßstäben bis ins Einzelne zu umschreiben. Generalklauseln und unbestimmte, der Ausfüllung bedürftige Begriffe sind schon deshalb grundsätzlich zulässig, weil sich die Vielfalt der Verwaltungsaufgaben nicht immer in klar umrissene Begriffe einfangen lässt. Der Normgeber ist aber gehalten, seine Regelungen so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte und mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist (BVerfG, Beschl. v. 21.06.1977 - 2 BvR 308/77 - BVerfGE 45, 363; Beschl. v. 03.06.1992 - 2 BvR 1041/88, 78/89 - BVerfGE 86, 288; Beschl. v. 11.07.2013 - 2 BvR 2302/11 - BVerfGE 134, 33). |
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| (2) Nach diesem Maßstab ist offen, ob die Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung in § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1, 2 IfSG im Hinblick auf die landesweite Schließung von Einrichtungen entsprechend § 4 Abs. 1 CoronaVO, deren Inhaber sich auf die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG berufen können, dem Vorbehalt des Gesetzes in seiner Ausprägung als Parlamentsvorbehalt genügt. |
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| Dafür, dass die Vorschriften der § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1, 2 IfSG die Voraussetzungen, den Umfang und die Grenzen dieses Eingriffs noch ausreichend erkennen lassen, kann die Auslegung dieser Vorschriften nach allgemeinen Regeln sprechen. Zwar sieht § 28 Abs. 1 Satz 1, 2 IfSG Schließungen ausdrücklich nur für Badeanstalten und Gemeinschaftseinrichtungen i.S.v. § 33 IfSG vor. Jedoch gibt 28 Abs. 1 Satz 1, 2 IfSG möglicherweise auch die Ermächtigung zur Schließung von Verkaufsstellen und Dienstleistungsbetrieben. Zum einen enthält § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG die allgemeine Befugnis zum Erlass der „notwendigen Schutzmaßnahmen“, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist. Dabei hat sich der Gesetzgeber - wie bereits dargelegt (s. oben zu BT-Drs. 8/2468, S. 27 f.) - zur Vorgängernorm des § 34 Abs. 1 BSeuchG, die er insoweit ins Infektionsschutzgesetz übernommen hat, ganz bewusst für eine generelle Ermächtigung entschieden, um für alle Fälle gewappnet zu sein, da die Fülle der notwendigen Schutzmaßnahmen sich von vornherein nicht übersehen lässt (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.03.2012 - 3 C 16/11 - BVerwGE 142, 205, juris Rn. 24; daran anschließend OVG NRW, Beschl. v. 06.04.2020 - 13 B 398/20.NE - juris Rn. 54 ff.). Gerade die Vielfältigkeit von Infektionsgeschehen durch ganz unterschiedliche Krankheitserreger i.S.v. § 2 Nr. 1 IfSG kann dafür sprechen, dass eine genauere Bestimmung der insoweit zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten geeigneten und notwendigen Maßnahmen durch den Gesetzgeber kaum oder gar nicht möglich ist. Dann wäre diese Gesetzgebungsmaterie einer detaillierteren gesetzlichen Normierung nicht zugänglich mit der Folge, dass eine Verletzung des Wesentlichkeitsgrundsatzes ausschiede (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.06.1990, a.a.O.). Zum anderen können nach § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG Veranstaltungen und sonstige Ansammlungen einer größeren Anzahl von Menschen - nach der dargestellten Gesetzesänderung vom 27.03.2020 jegliche „sonstige Ansammlungen von Menschen“, ohne dass es sich um solche einer größeren Anzahl von Menschen handeln muss - beschränkt oder verboten werden. Von dieser Befugnis sind auch Ansammlungen von Menschen in jeder Art von geschlossenen Räumen, also auch in Verkaufsstellen und Dienstleistungsbetrieben aller Art umfasst. Denn nach dem bis zum 31.12.2000 geltenden § 34 Abs. 1 BSeuchenG konnte die zuständige Behörde „Veranstaltungen in Theatern, Filmtheatern, Versammlungsräumen, Vergnügungs- oder Gaststätten und ähnlichen Einrichtungen sowie die Abhaltung von Märkten, Messen, Tagungen, Volksfesten und Sportveranstaltungen oder sonstige Ansammlungen einer größeren Anzahl von Menschen beschränken oder verbieten.“ Die Befugnis umfasste mithin eindeutig auch Veranstaltungen in geschlossenen Räumen. Hieran wollte der Gesetzgeber des Infektionsschutzgesetzes - wie bereits dargelegt (s. oben zu BT-Drs. 14/2530, S. 74 f.) - ausdrücklich nichts ändern, sondern mit dem Begriff der Veranstaltungen und Ansammlungen „alle Zusammenkünfte von Menschen, die eine Verbreitung von Krankheitserregern begünstigen“ erfassen. Zu einem solchen Zusammentreffen von Menschen, bei dem das SARS-CoV-2-Virus leicht übertragen wird, kann es gerade auch in den in der CoronaVO genannten Einrichtungen kommen. Dies könnte dafür sprechen, dass deren Schließung von der Ermächtigung in § 28 Abs. 1 Satz 1, 2 IfSG, alle notwendigen Schutzmaßnahmen zu treffen und Ansammlungen zu verbieten, gedeckt ist. Dabei den Weg der Schließung solcher Einrichtungen zu wählen, wäre dann auch deswegen in rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden, da bloße Kontaktbeschränkungen in solchen offen gehaltenen Einrichtungen kaum zu kontrollieren und deutlich weniger wirksam wären. |
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| Die Schließung einer Vielzahl von Einrichtungen, darunter auch die hier streitgegenständlichen, durch eine Rechtsverordnung ist jedoch von einer sehr beträchtlichen Eingriffstiefe. Die Intensität des damit verbundenen Eingriffs in die Berufsfreiheit ist für jeden einzelnen betroffenen Betrieb, der sich auf Art. 12 Abs. 1 GG berufen kann, ausgesprochen hoch. Denn der Eingriff führt für sie für einen längeren Zeitraum zu einem weitgehenden oder vollständigen Wegfall jeglichen Umsatzes. Den Betroffenen ist es zudem praktisch unmöglich, den Wirkungen dieses Eingriffs auszuweichen. Die Schließung hat daher für zahlreiche Unternehmen außerordentliche, die wirtschaftliche Existenz mindestens infrage stellende Wirkung. So haben nach Angaben der Regionaldirektion Baden-Württemberg der Bundesagentur für Arbeit vom 15.04.2020 mehr als 89.000 Firmen aus allen Branchen in Baden-Württemberg seit dem Beginn der Coronavirus-Krise Kurzarbeit angemeldet (vgl. https://www.arbeitsagentur.de/vor-ort/rd-bw/content/1533736976078). Diese sehr gravierenden Auswirkungen können zu der Annahme führen, dass die Vorschriften in § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1, 2 IfSG die Voraussetzungen, den Umfang und insbesondere die Grenzen dieses Eingriffs nicht ausreichend erkennen lassen und daher wegen Verstoßes gegen den Parlamentsvorbehalt nicht verfassungsgemäß sind. Denn die in § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG enthaltene Befugnis zum Erlass der „notwendigen Schutzmaßnahmen“ ist nur begrenzt durch das Tatbestandsmerkmal der Notwendigkeit und durch den Halbsatz „soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist“. Außerdem ermächtigen § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 und Satz 2 IfSG nach ihrem Wortlaut ausdrücklich lediglich zu der Verpflichtung von Personen, bestimmte Orte nicht zu verlassen oder nicht zu betreten, sowie zur Beschränkung oder dem Verbot von Veranstaltungen oder sonstigen Ansammlungen von Menschen und der Schließung von Badeanstalten oder in § 33 IfSG genannten Gemeinschaftseinrichtungen. Allein aus dem Umstand, dass der Bundesgesetzgeber mit dem Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27.03.2020 das Infektionsschutzgesetz in Kenntnis der zuvor praktisch bundesweit erfolgten Schließung von Verkaufsstellen und Dienstleistungsbetrieben geändert hat, folgt voraussichtlich keine Einhaltung der Anforderungen des Parlamentsvorbehalts (so aber wohl BayVGH, Beschl. v. 30.03.2020 - 20 CS 20.611 - juris Rn. 17). Denn der Gesetzgeber hat in § 28 Abs. 1 IfSG - wie bereits dargestellt - kleine Änderungen vorgenommen, aus denen nicht erkennbar ist, dass die umfassende Schließung von Verkaufsstellen und Dienstleistungsbetrieben zulässig sein soll. |
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| ee) Von dieser offenen, im Hauptsacheverfahren zu klärenden Frage abgesehen, dürfte die durch die CoronaVO angeordnete Schließung zahlreicher Einzelhandelsbetriebe ab Mitte März 2020 durch die CoronaVO vom 17.03.2020 geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne gewesen sein. |
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| Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sind Beschränkungen der Berufsausübungsfreiheit mit Art. 12 Abs. 1 GG nur vereinbar, wenn sie durch hinreichende Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt werden, wenn die gewählten Mittel zur Erreichung des verfolgten Zweckes geeignet und auch erforderlich sind und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der sie rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne) noch gewahrt wird (st. Rspr., vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.02.1986 - 1 BvR 1170/83 - BVerfGE 72, 26, 30; Beschl. v. 15.12.1987 - 1 BvR 563/85 u.a. - BVerfGE 77, 308, 332; Beschl. v. 11.02.1992 - 1 BvR 1531/90 - BVerfGE 85, 248, 259; je m.w.N.). Ein Gesetz ist geeignet, wenn mit seiner Hilfe der erstrebte Erfolg gefördert werden kann. Es ist erforderlich, wenn der Gesetzgeber nicht ein anderes, gleich wirksames, aber das Grundrecht nicht oder weniger stark einschränkendes Mittel hätte wählen können. Bei der Beurteilung der Eignung und Erforderlichkeit steht dem Gesetzgeber ein Beurteilungsspielraum zu (st. Rspr., vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.06.1984 - 1 BvR 1494/78 - BVerfGE 67, 157, 173 ff.; Beschl. v. 09.03.1994 - 2 BvL 43/92 u.a. - BVerfGE 90, 145, 172 f.; je m.w.N.). |
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| Diesen Anforderungen dürfte die angeordnete Schließung der meisten Einzelhandelsbetriebe ab Mitte März 2020 durch die CoronaVO vom 17.03.2020 genügen. Die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus ist von der WHO als Pandemie eingestuft worden. Die bisherigen Erfahrungen in der Bundesrepublik und in anderen Staaten zeigen, dass die exponentiell verlaufende Verbreitung des besonders leicht im Wege der Tröpfcheninfektion von Mensch zu Mensch übertragbaren Virus nur durch eine strikte Minimierung der physischen Kontakte zwischen den Menschen eingedämmt werden kann. Die Schließung von Einrichtungen gem. § 4 Abs. 1 CoronaVO bezweckt vor allem eine Reduzierung der Sozialkontakte (https://www.baden-wuerttemberg.de/de/sevice/presse/pressemitteilung/pid/land-beschliesst-massnahmen-gegen-die-ausbreitung-des-coronavirus/). Dies stellt ein geeignetes Mittel dar, Infektionsketten zu unterbrechen und die Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus zu verlangsamen. |
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| Die getroffenen Maßnahmen sind auch erforderlich. Ein anderes, gleich wirksames, aber weniger eingreifendes Mittel war nicht ersichtlich. Das Ansteckungsrisiko im Falle der Untersagung des Betriebs von Einzelhandelsgeschäften kann gänzlich ausgeräumt werden, während bei deren Öffnung - auch unter Auflagen - und dem zwangsläufigen Aufeinandertreffen von Menschen zumindest ein Restrisiko verbleibt. |
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| Für die Beurteilung der Zumutbarkeit dieser Schließungen ist zu berücksichtigen, dass die davon betroffenen Betriebe gravierende wirtschaftliche Einbußen erleiden werden. Die betroffenen Belange der Betriebe sind als sehr erheblich einzuschätzen, da sie den einzelnen Inhaber des Betriebes und die von diesem beschäftigten Arbeitnehmer in ökonomischer Hinsicht gegebenenfalls existenziell betreffen und aufgrund der Vielzahl der Schließungen für die Volkswirtschaft Baden-Württembergs einschneidende Folgen haben. Demgegenüber stehen jedoch die ebenfalls gravierenden Folgen für Leib und Leben einer Vielzahl vom Coronavirus Betroffener und die damit verbundene Erhaltung der Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems Deutschlands. Denn nach sachverständiger Einschätzung konnte selbst nach den bundesweit vorgenommenen weitgehenden Beschränkungen des öffentlichen Lebens nicht ausgeschlossen werden, dass die Kapazitäten zur Behandlung der mit dem Coronavirus infizierten Personen trotz ihrer Ausweitung nicht ausreichen werden, sondern wurde sogar als wahrscheinlich angesehen, dass eine medizinisch sachgerechte Behandlung aller Erkrankten nicht gewährleistet werden kann (vgl. zur Stellungnahme von sieben medizinischen Fachgesellschaften nur FAZ v. 26.03.2020, S. 1 „Ärzte befürchten Mangel an Intensivbetten“; ähnlich das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung RWI, s. FAZ v. 27.03.2020, S. 17 „Testen, tracken, isolieren - und langsam starten“). |
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| ff) Die Beschränkung der ab dem 20.04.2020 - aufgrund der Fünften Verordnung der Landesregierung zur Änderung der Corona-Verordnung vom 17.04.2020 - geltenden Ausnahmen von den in § 4 Abs. 1 CoronaVO vorgesehenen Betriebsuntersagungen für sonstige Einzelhandelsgeschäfte auf solche mit einer Verkaufsfläche von nicht mehr als 800 Quadratmetern durch § 4 Abs. 1 Nr. 12a CoronaVO verstößt jedoch voraussichtlich gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Denn die Beschränkung der Verkaufsfläche auf 800 Quadratmeter erstreckt sich ohne hinreichenden sachlichen Grund nicht auch auf die ebenfalls von den Betriebsuntersagungen ab dem 20.04.2020 ausgenommenen Betriebe des Handels mit Kraftfahrzeugen und Fahrrädern und des Buchhandels. |
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| (1) Voraussichtlich war der Verordnungsgeber befugt, Ausnahmen von den Betriebsuntersagungen nach § 4 Abs. 1 CoronaVO im Bereich des Einzelhandels ab dem 20.04.2020 nur teilweise zuzulassen. Denn obwohl es bis zu diesem Zeitpunkt zu der befürchteten Gefährdung der Leistungsfähigkeit des deutschen Gesundheitssystems nicht gekommen war, dürfte die Einschätzung des Verordnungsgebers, dass sehr erhebliche Risiken der Infektion mit dem Coronavirus für große Teile der Bevölkerung weiterhin bestehen und diese sich insbesondere bei einer ausnahmslosen Wiedergestattung des Einzelhandels realisieren können, nicht zu beanstanden sein. Auch nach den mittlerweile mehr als fünfwöchigen Beschränkungsmaßnahmen und einer merklichen Abnahme der Infektionsgeschwindigkeit besteht weiterhin die Gefahr, dass ohne Kontaktbeschränkungen die Infektionsgeschwindigkeit wieder sehr schnell zunimmt und es zu einer Überlastung des Gesundheitswesens kommt (https://www.bundesregierung.de/resource/blob/973812/1744452/b94f2c67926030f9015985da586caed3/2020-04-16-bf-bk-laender-data.pdf?download=1). |
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| (2) Wenn sich der Verordnungsgeber mithin dafür entscheidet, im Bereich des Einzelhandels Betriebsuntersagungen nach § 4 Abs. 1 CoronaVO teilweise aufrechtzuerhalten, ist er bei der Ausgestaltung der hierzu getroffenen Regelungen an den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebunden. Dieser gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Der Gleichheitssatz ist dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten oder Normbetroffenen im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können. Dabei verwehrt Art. 3 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung. Differenzierungen bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind (st. Rspr., vgl. BVerfG, Beschl. v. 15.07.1998 - 1 BvR 1554/89 u.a. - BVerfGE 98, 365, 385; Beschl. v. 21.06.2011 - 1 BvR 2035/07 - BVerfGE 129, 49, 68 f.; Urt. v. 19.02.2013 - 1 BvL 1/11 u.a. - BVerfGE 133, 59, 86). |
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| Der allgemeine Gleichheitssatz enthält nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keinen für jeden Regelungsbereich in gleicher Weise geltenden Maßstab. Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen reichen die Grenzen für die Normsetzung vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse. Insoweit gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (BVerfG, Beschl. v. 21.07.2010 - 1 BvR 611/07 u.a. - BVerfGE 126, 400, 416; Beschl. v. 18.07.2012 - 1 BvL 16/11 - BVerfGE 132, 179, 188). |
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| Der jeweils aus Art. 3 Abs. 1 GG folgende Maßstab gilt für die normsetzende Exekutive entsprechend. Jedoch ist der dem Verordnungsgeber zukommende Gestaltungsspielraum enger. Ein solcher besteht von vornherein nur in dem von der gesetzlichen Ermächtigungsnorm abgesteckten Rahmen (Art. 80 Abs. 1 GG). Der Verordnungsgeber darf keine Differenzierungen vornehmen, die über die Grenzen einer formell und materiell verfassungsmäßigen Ermächtigung hinaus eine Korrektur der Entscheidungen des Gesetzgebers bedeuten würden. In diesem Rahmen muss er nach dem Gleichheitssatz im wohlverstandenen Sinn der ihm erteilten Ermächtigung handeln und hat sich von sachfremden Erwägungen freizuhalten (BVerfG, Beschl. v. 23.07.1963 - 1 BvR 265/62 - BVerfGE 16, 332, 338 f.; Beschl. v. 12.10.1976 - 1 BvR 197/73 - BVerfGE 42, 374, 387 f.; Beschl. v. 23.06.1981 - 2 BvR 1067/80 - BVerfGE 58, 68, 79; Beschl. v. 26.02.1985 - 2 BvL 17/83 - BVerfGE 69, 150, 160; Brenner, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl., Art. 80 Abs. 1 GG Rn. 73). Der Verordnungsgeber soll das Gesetz konkretisieren und „zu Ende denken“, weiter gehen seine Befugnisse jedoch nicht. Er muss daher den Zweckerwägungen folgen, die im ermächtigenden Gesetz angelegt sind. Gesetzlich vorgegebene Ziele darf er weder ignorieren noch korrigieren (Nierhaus, in: BK, Art. 80 Abs. 1 GG Rn. 330, 336 [Stand: November 1998]). |
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| (3) Die Regelungen der Landesregierung bei der Lockerung der Betriebsuntersagungen für den Einzelhandel ab dem 20.04.2020 haben sich daher an den Zwecken der Verordnungsermächtigung nach § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 IfSG auszurichten, wenn sie Ungleichbehandlungen vornehmen. Hieraus folgt, dass Ungleichbehandlungen grundsätzlich allein aus infektionsschutzrechtlichen Gründen erfolgen dürfen, da nur zu diesem Zweck die Verordnungsermächtigung erteilt ist. Denn § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 IfSG geben nur Befugnisse zu Schutzmaßnahmen aus Gründen des Infektionsschutzes, soweit und solange diese zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich sind. |
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| Dieser grundsätzliche Maßstab gilt voraussichtlich unabhängig davon, welche Anforderungen im Einzelnen für das Infektionsschutzrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG folgen. Insoweit wird vertreten, dass die strikte Beachtung des Gebots innerer Folgerichtigkeit nicht eingefordert werden kann (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 26.3.2020 - 5 Bs 48/20 - juris Rn. 13; NdsOVG, Beschl. v. 27.04.2020 - 13 MN 98/20 - juris Rn. 64). Denn auch der Gleichheitssatz in seiner „schwächsten“ Ausprägung als Willkürverbot gestattet Ungleichbehandlungen aus sachfremden Erwägungen nicht. Auch das Willkürverbot bindet den Verordnungsgeber im Infektionsschutzrecht an seine aus der sachlich begrenzten Verordnungsermächtigung fließende Verpflichtung, seine Regelungen an infektionsschutzrechtlichen Gesichtspunkten auszurichten. |
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| (4) Zu diesen infektionsschutzrechtlichen Gründen, die Ungleichbehandlungen rechtfertigen können, treten überragend wichtige Gründe des Gemeinwohls hinzu, die voraussichtlich Ungleichbehandlungen ebenfalls erlauben können. Solche überragend wichtigen Gründe des Gemeinwohls können für eine bevorzugte Öffnung des Einzelhandels für solche Güter - wie z.B. Lebensmittel - sprechen, die der unmittelbaren Grundversorgung der Bevölkerung dienen (ähnlich OVG Bln.-Bbg., Beschl. v. 17.04.2020 - 11 S 22/20 - juris Rn. 25). Denn solche gegenständlich eng begrenzten Bevorzugungen bestimmter Einzelhandelsgeschäfte dürften im wohlverstandenen Sinn der dem Verordnungsgeber erteilten Ermächtigung liegen, da der Parlamentsgesetzgeber diese aller Wahrscheinlichkeit nach vorsehen würde, wenn er diese Frage selbst regelte. |
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| Ob und in welchem Umfang über infektionsschutzrechtliche Gründe und überragend wichtige Gründe des Gemeinwohls hinaus Differenzierungen nach Art. 3 Abs. 1 GG zulässig sind, bedarf hier keiner Entscheidung. Zweifelhaft erscheint dem Senat, ob beim Erlass infektionsschutzrechtlicher Verordnungen auch alle sonstigen relevanten Belange zu berücksichtigen sind, etwa die Auswirkungen der Ge- und Verbote für die betroffenen Unternehmen und Dritte und auch öffentliche Interessen an der uneingeschränkten Aufrechterhaltung bestimmter unternehmerischer Tätigkeiten (so NdsOVG, Beschl. v. 27.04.2020 - 13 MN 98/20 - juris Rn. 64). Dagegen spricht, dass solche Belange nicht infektionsschutzrechtlich begründet sind und auch kaum im wohlverstandenen Sinn der dem Verordnungsgeber erteilten infektionsschutzrechtlichen Ermächtigung liegen. Sie gehen vielmehr über diese Ermächtigung deutlich hinaus und würden - wären sie zulässig - dem Verordnungsgeber Differenzierungen jeder Art, z.B. aus Gründen der Wirtschaftspolitik, der Regionalförderung, des Umweltschutzes gestatten, mit der Folge, dass die nicht infektionsschutzrechtlich begründeten Differenzierungen letztlich im Belieben des Verordnungsgebers stünden. Andererseits kann es - insbesondere wenn es um die teilweise Wiedergestattung bisher untersagter Tätigkeiten geht und insoweit verschiedene, infektionsschutzrechtlich gleichwertige Lösungen in Betracht kommen - zulässige Gründe für Differenzierungen geben, die weder im Infektionsschutzrecht gründen noch überragend wichtige Gründe des Gemeinwohls darstellen. |
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| Diese Frage kann jedoch offenbleiben. Denn jede Differenzierung muss, um den Maßgaben des Art. 3 Abs. 1 GG zu genügen, jedenfalls auf sachlichen Gründen beruhen. Daran fehlt es hier jedoch. |
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| (5) Diese Anforderungen hat der Normgeber mit der Fünften Verordnung zur Änderung der CoronaVO voraussichtlich nicht hinreichend beachtet. Dabei ist die in § 4 Abs. 3 Nr. 12a CoronaVO vorgenommene Beschränkung der Ausnahmen von den Betriebsuntersagungen auf Einzelhandelsgeschäfte mit einer Verkaufsfläche von nicht mehr als 800 Quadratmetern - die nach der insoweit geänderten Gemeinsamen Richtlinie des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau und des Ministeriums für Soziales und Integration zur Öffnung von Einrichtungen des Einzelhandels gemäß § 4 Absatz 3 der CoronaVO ab dem 23.04.2020 auch durch Abtrennung von 800 Quadratmetern von größeren Verkaufsflächen gewährleistet werden kann - voraussichtlich nicht grundsätzlich zu beanstanden. Denn eine solche Beschränkung dürfte geeignet sein zu verhindern, dass sehr große Mengen potentieller Kunden insbesondere in die Innenstädte strömen und dadurch - nach nachvollziehbarer Einschätzung der Landesregierung - weiterhin zu vermeidende sehr große Menschenansammlungen mit den damit verbundenen erheblichen Infektionsrisiken entstehen. Zwar mag die Entscheidung der Menschen, Geschäfte in der Innenstadt aufzusuchen, nicht allein von der Größe der Verkaufsflächen der geöffneten Geschäfte abhängen. Dem Verordnungsgeber ist es jedoch nicht verwehrt, insoweit pauschalierende Lösungen mittels plausibler Kriterien umzusetzen, wenn sich diese an infektionsschutzrechtlichen Gründen orientieren und gleichheitsgerecht angewandt werden. Daher dürfte auch nicht zu beanstanden sein, dass sich die Landesregierung mit der Grenze von 800 Quadratmetern bewusst an Kriterien aus dem Städtebaurecht orientiert hat. Dies nimmt der Regelung nicht die Eignung, auf eine Begrenzung des zu erwartenden Kundenstroms hinzuwirken. Denn die Erwägung, dass der großflächige Einzelhandel eine besondere Anziehungskraft hat und dessen unbegrenzte Öffnung zu starken Kundenströmen in den Innenstädten und im ÖPNV und damit zu sehr erheblichen Infektionsgefahren führen kann, erscheint plausibel und sachgerecht (ebenso OVG Bremen, Beschl. v. 23.04.2020 - 1 B 107/20 -; NdsOVG, Beschl. v. 27.04.2020 - 13 MN 98/20 - juris Rn. 58; offenbar auch OVG LSA, Beschl. v. 27.04.2020 - 3 R 52/20 -; OVG Saarl., Beschl. v. 24.04.2020 - 2 B 122/20 -). |
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| Mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist jedoch voraussichtlich nicht vereinbar, dass der Handel mit Kraftfahrzeugen und Fahrrädern nach § 4 Abs. 3 Nr. 7a CoronaVO sowie der Buchhandel nach § 4 Abs. 3 Nr. 10 CoronaVO ab dem 20.04.2020 von der Untersagung nach § 4 Abs. 1 CoronaVO ohne eine Beschränkung auf eine Verkaufsfläche von nicht mehr als 800 Quadratmetern ausgenommen wurden. Hierin dürfte im Vergleich zu den sonstigen Einzelhandelsgeschäften, auf die § 4 Abs. 3 Nr. 12a CoronaVO anwendbar ist, eine nicht zu rechtfertigende, gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßende Ungleichbehandlung liegen. |
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| Für die Privilegierung des Handels mit Kraftfahrzeugen und Fahrrädern - für die der Antragsgegner keine Gründe anführt - ergibt sich ein sachlicher Grund nicht daraus, dass dieser typischerweise nicht in Geschäften, die in der Innenstadt liegen, erfolge, dass in diesen Geschäften die Kundenfrequenz geringer ausfalle und dass diese Geschäfte in der Regel eine so große Verkaufsfläche hätten, dass sich Kunden sowie Verkäufer dort allenfalls in geringem Umfang begegneten, so dass die Gefahren der Übertragung des Coronavirus ausgesprochen gering seien. Denn diese Gesichtspunkte hätten für eine unbeschränkte, nicht auf 800 Quadratmeter Verkaufsfläche begrenzte Zulassung auch von zahlreichen anderen Geschäften, z.B. des Möbelhandels gesprochen. Zudem liegen die genannten Aspekte - große Verkaufsflächen, keine Innenstadtlage, geringere Kundenfrequenz - offensichtlich im Fall des Buchhandels nicht vor. Dieser ist gleichwohl ohne eine Begrenzung auf 800 Quadratmeter Verkaufsfläche ab dem 20.04.2020 wieder möglich. Auch die Erwägung, die Bevorzugung des Handels mit Kraftfahrzeugen und Fahrrädern diene der Sicherung der Mobilität der Bevölkerung (so offenbar OVG LSA, Beschl. v. 27.04.2020 - 3 R 52/20 -), kann die Ungleichbehandlung nicht rechtfertigen. Es ist in keiner Weise erkennbar, dass die Mobilität der Bevölkerung ansatzweise gefährdet wäre. Ebenso wenig ist nachvollziehbar, aus welchen Gründen eine - unterstellt - gefährdete Mobilität der Bevölkerung nicht auf Verkaufsflächen bis zu 800 Quadratmetern gesichert werden kann. |
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| Das Vorbringen des Antragsgegners, die Bevorzugung des Buchhandels diene jenseits der kulturellen Grundversorgung der Bevölkerung mit Literatur dem Zugang der Bevölkerung zu Zeitungen und Zeitschriften und damit der Meinungsbildung der Bürger, und die Erwägung, dass dem Buchhandel zur Wahrung der Informations-, Presse- und Wissenschaftsfreiheit sowie zur Deckung des schulischen Bedarfs ein besonderer Versorgungsauftrag zukomme (so offenbar OVG LSA, Beschl. v. 27.04.2020 - 3 R 52/20 -), können diese Ungleichbehandlung nicht rechtfertigen. Zum einen ist in keiner Weise erkennbar, dass diese behaupteten Funktionen nicht auf einer auf 800 Quadratmeter begrenzten Verkaufsfläche erfüllt werden könnten. Zum anderen war die in einem demokratischen Rechtsstaat zweifellos elementare und in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Freiheit des Bürgers, sich unbeschränkt zu informieren, durch die schon seit Mitte März nach § 4 Abs. 3 Nr. 10 CoronaVO bestehende Ausnahme für den Zeitschriften- und Zeitungsverkauf zu einem sehr erheblichen Teil gewährleistet. |
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| Insgesamt ist daher nicht zu erkennen, dass die Begrenzung der Zulassung sonstiger Einzelhandelsgeschäfte auf eine Verkaufsfläche von 800 Quadratmetern bei gleichzeitiger unbegrenzter Zulassung des Handels mit Kraftfahrzeugen, Fahrrädern und Büchern einem nach Gesichtspunkten des Infektionsschutzes stimmigen Regelungskonzept folgt oder aus sonstigen Gründen den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG genügt. Die Privilegierung des Handels mit Kraftfahrzeugen, Fahrrädern und Büchern beruht vielmehr - nach der im vorliegenden Eilverfahren möglichen, aber auch gebotenen Prüfung - auf nicht sachgerechten Erwägungen. |
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| b) Aufgrund der nicht unerheblichen Erfolgsaussichten in der Hauptsache besteht ein deutliches Überwiegen der von der Antragstellerin geltend gemachten Belange gegenüber den von dem Antragsgegner vorgetragenen gegenläufigen Interessen. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung erscheint daher dringend geboten. |
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| Die Antragstellerin, die nach ihrem Internetauftritt 19 Filialen betreibt, hat vorgetragen, die angeordnete Schließung habe in den ersten vier Wochen der Schließung zu einem finanziellen Schaden von mehreren Millionen Euro geführt, und hierzu eine knappe tabellarische Aufstellung vorgelegt. Der Antragsgegner ist den Berechnungen entgegengetreten, geht aber ebenfalls von signifikanten wirtschaftlichen Auswirkungen für die Antragstellerin aus. Es ist offenkundig, dass die zunächst angeordnete Schließung und die nun nur begrenzt mögliche Öffnung sie in ihren ökonomischen Belangen und ihrer Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG empfindlich trifft. Diese überwiegen die gegenläufigen Interessen des Antragsgegners. Die Interessen der Antragsgegnerin sind zwar von sehr hohem Gewicht. Denn die infektionsschutzrechtlichen Regelungen dienen, wie schon dargelegt, dem Schutz von Leib und Leben einer Vielzahl vom Coronavirus Betroffener und der damit verbundenen Erhaltung der Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems Deutschlands. Aber hieraus folgt nicht, dass die Antragstellerin Beschränkungen des Betriebs ihrer Ladengeschäfte durch voraussichtlich gleichheitswidrige Regelungen hinnehmen müsste. |
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| Aufgrund dieses Überwiegens der Belange der Antragstellerin ist die angegriffene Regelung des § 4 Abs. 3 Nr. 12a CoronaVO vorläufig außer Kraft zu setzen, soweit der Betrieb sonstiger Einzelhandelsgeschäfte auf einer Verkaufsfläche von mehr als 800 Quadratmetern untersagt wird. Dieses vorläufige Außer-Kraft-Setzen erfolgt jedoch - anders als von der Antragstellerin beantragt - nicht mit sofortiger Wirkung, sondern erst mit Ablauf des 03.05.2020, zu dem derzeit auch die Beschränkungen des § 4 Abs. 1 CoronaVO enden. Insoweit bleibt ihr Antrag zum Teil erfolglos. |
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| Denn dem Antragsgegner stehen verschiedene Möglichkeiten offen, den voraussichtlichen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG zu beseitigen. Der allgemeine Gleichheitssatz ist grundsätzlich kein Instrument, das es Beteiligten erlaubt, die anderen eingeräumte, sie selbst nicht betreffende Vergünstigung zu bekämpfen und so auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüfen zu lassen (BVerfG, Urt. v. 20.04.2004 - 1 BvR 905/00 - BVerfGE 110, 274, 303; Urt. v. 17.12.2014 - 1 BvL 21/12 - BVerfGE 138, 136, 172 f.). Folglich kann die Landesregierung insbesondere entweder eine Begrenzung der Verkaufsflächen auf 800 Quadratmeter auch für den Buchhandel sowie den Handel mit Kraftfahrzeugen und Fahrrädern vorsehen oder diese Begrenzung in § 4 Abs. 3 Nr. 12a CoronaVO für sonstige Einzelhandelsbetriebe aufheben. Nimmt sie keine diesbezügliche Änderung der CoronaVO vor, wird die Begrenzung der Verkaufsfläche auf 800 Quadratmeter in § 4 Abs. 3 Nr. 12a CoronaVO ab dem 04.05.2020 vorläufig außer Kraft gesetzt. |
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| 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG. Der Streitwert ist daher nach der sich aus dem Antrag der Antragstellerin für sie ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Da sich die Antragstellerin gegen die Schließung ihres Einzelhandelsgeschäfts wendet, nimmt der Senat die Festsetzung des Streitwerts in Anlehnung an Nr. 54.2.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vor. Danach ist für eine Gewerbeuntersagung der Streitwert nach dem Jahresbetrag des erzielten oder erwarteten Gewinns, mindestens auf 15.000,-- EUR festzusetzen. Da die Antragstellerin eine große Filiale in ... betreibt, ist der Streitwert auf 100.000,-- EUR zu bemessen. Dieser ist im vorliegenden Eilverfahren wegen Vorwegnahme der Hauptsache nicht zu reduzieren. |
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| Dieser Beschluss ist unanfechtbar. |
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