Beschluss vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - A 12 S 91/21

Tenor

Dem Kläger wird für einen durch einen Rechtsanwalt noch zu stellenden Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 27. November 2020 - A 3 K 2154/19 - Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt.

Gründe

 
Das am 05.01.2021 beim Verwaltungsgericht Stuttgart eingegangene Schreiben des Klägers, eines türkischen Staatsangehörigen, ist sinngemäß als Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für einen beabsichtigten Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das am 07.12.2020 zugestellte Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart auszulegen. Aus dem Schreiben, mit dem der Kläger unter Angabe des Aktenzeichens des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (nachfolgend Bundesamt) mitteilt, dass er „Berufung einlegen will“, bzw. darum bittet, seinem „Antrag auf Berufung stattzugeben“, und darauf hinweist, dass er wegen einer stationären Behandlung im Krankenhaus an dem Gerichtstermin nicht teilnehmen konnte, ergibt sich eindeutig das Begehren, das Urteil wegen eines Verfahrensmangels aufheben zu lassen. Hierfür steht allein das Rechtsmittel des Antrags auf Zulassung der Berufung nach § 78 Abs. 3 AsylG zur Verfügung. Das Rechtsschutzgesuch als Prozesskostenhilfeantrag auszulegen, entspricht dem Interesse des Klägers, da dieses - anders als der Antrag auf Zulassung der Berufung - gemäß § 67 Abs. 4 Satz 1 VwGO nicht dem Erfordernis der Vertretung durch einen Prozessbevollmächtigten unterliegt und dem Schreiben des rechtsschutzsuchenden Klägers zu entnehmen ist, dass er bedürftig ist. Gegen diese, ihm mit Verfügung der Vorsitzenden vom 14.01.2021 mitgeteilte Behandlung seines Schreibens hat der Kläger keine Einwendungen erhoben.
Der so ausgelegte Antrag hat Erfolg.
Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht oder nur eingeschränkt aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die vom Kläger beabsichtigte Rechtsverfolgung - ein Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 27.11.2020 - bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg (1.). Der Kläger hat auch dargelegt, dass er nicht in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung aufzubringen (2.).
1. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung ist hinreichend erfolgversprechend im Sinne von § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Dem beabsichtigten Antrag auf Zulassung der Berufung fehlt es nicht deshalb an der hinreichenden Erfolgsaussicht im Sinne von § 114 ZPO, weil der Kläger den Antrag am 05.10.2021 persönlich gestellt hat und zwischenzeitlich die Frist für den Zulassungsantrag von einem Monat nach - am 07.12.2020 erfolgter - Zustellung des Urteils (§ 78 Abs. 4 Satz 1 AsylG) verstrichen ist und daher ein eventuell zu bestellender Bevollmächtigter den Antrag nicht mehr fristgerecht stellen könnte. Denn dem Kläger kann nach derzeitiger Aktenlage aller Voraussicht nach Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 Abs. 1 VwGO gewährt werden, um die formgerechte Stellung eines Berufungszulassungsantrags durch einen Prozessbevollmächtigten nachzuholen.
Nach § 60 Abs. 1 VwGO ist demjenigen, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Dies kommt etwa in Betracht, wenn der Rechtsmittelführer an der Einhaltung der Rechtsmittelfrist wegen des für ihn nicht tragbaren Kostenrisikos ohne sein Verschulden gehindert war. Dies setzt regelmäßig voraus, dass der Rechtsmittelführer innerhalb der Frist für die Einlegung des Rechtsmittels ein Prozesskostenhilfegesuch in bescheidungsfähiger Form angebracht hat. Denn nur dann hat er alles getan, was von ihm zur Fristwahrung erwartet werden kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 08.03.2016 - 6 PKH 3/16, 6 PKH 3/16 (6 B 6/16) -, juris Rn. 4).
Der Annahme, der Kläger habe innerhalb der Frist für die Einlegung des Rechtsmittels ein Prozesskostenhilfegesuch in bescheidungsfähiger Form angebracht, steht nicht entgegen, dass das am 05.01.2021, also noch innerhalb der mit Ablauf des 07.02.2021 endenden Frist des § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylG, beim zuständigen Verwaltungsgericht (§ 78 Abs. 4 Satz 2 AsylG) eingegangene und als Prozesskostenhilfegesuch auszulegende Schreiben nicht vom Kläger handschriftlich unterschrieben war. Zwar muss grundsätzlich auch ein vom Rechtsmittelführer persönlich eingereichter, schriftlicher Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe als bestimmender Schriftsatz unterschrieben werden (BGH, Beschluss vom 07.06.2006 - VIII ZB 96.05 -, juris Rn. 10). Sinn der Schriftform ist es, die Identität des Absenders festzustellen und gleichzeitig klarzustellen, dass es sich nicht um einen Entwurf, sondern um eine gewollte prozessuale Erklärung handelt (Senatsbeschluss vom 13.08.2018 - 12 S 1476/18 -, juris Rn. 6). Bei der Auslegung und Anwendung prozessrechtlicher Vorschriften ist jedoch mit Gewicht in Rechnung zu stellen, dass diese nicht Selbstzweck sind, sondern letztlich der Wahrung der materiellen Rechte der Prozessbeteiligten dienen (näher BVerwG, Beschluss vom 02.01.2017 - 5 B 8.16 -, juris Rn. 7; Senatsbeschluss vom 13.08.2018 - 12 S 1476/18 -, juris Rn. 6). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gibt es daher Ausnahmen vom Grundsatz des Unterschriftserfordernisses, wenn sich auch ohne eigenhändige Namenszeichnung aus anderen Anhaltspunkten eine der Unterschrift vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft und den Rechtsverkehrswillen ergibt. Entscheidend ist insoweit, ob sich aus dem bestimmenden Schriftsatz allein oder in Verbindung mit beigefügten Unterlagen die Urheberschaft und der Wille, das Schreiben in den Rechtsverkehr zu bringen, hinreichend sicher ergeben, ohne dass darüber Beweis erhoben werden müsste (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19.12.2001 - 3 B 33.01 -, juris Rn. 2). Die anhand der Antragsschrift ersichtliche Kenntnis von Umständen, die im Regelfall nur dem Betroffenen bekannt sind, kann geeignet sein, über das Fehlen einer eigenhändigen Unterschrift hinwegzuhelfen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 04.07.2002 - 2 BvR 2168/00 - juris Rn. 24; Senatsbeschluss vom 13.08.2018 - 12 S 1476/18 -, juris Rn. 6). Dasselbe gilt für einen auf dem Briefumschlag vollzogenen eigenhändigen Namenszug im Absendervermerk (BVerwG, Urteile vom 06.12.1988 - 9 C 40/87 -, juris Rn. 9, und vom 17.10.1968 - 2 C 112.65 -, juris Rn. 16).
Danach ergibt sich hier aus dem Namenszug auf dem Briefumschlag und aus dem Inhalt des am 05.01.2021 eingegangenen Schreibens mit hinreichender Sicherheit, dass das Schriftstück von dem Kläger herrührte und von ihm als eine für den Verkehr bestimmte Rechtsmittelschrift gedacht war. Zwar ist der handschriftliche Namenszug auf dem Briefumschlag nicht der des Klägers. Auch liegt keine schriftliche Vollmacht für eine Person dieses Namens („K.“) vor. Aus der Akte des Verwaltungsgerichts ergibt sich jedoch, dass jene oder jener „K.“ schon im erstinstanzlichen Verfahren die Erklärung über die stationäre Aufnahme des Klägers ins Krankenhaus unter Beifügung einer entsprechenden Bestätigung der M. Klinik für den Kläger abgegeben hat, woraus geschlossen werden kann, dass der Kläger „K.“ ermächtigt hat, Erklärungen für ihn abzugeben. Zudem wird in dem am 05.01.2021 eingegangenen Schreiben auf diese Erklärung Bezug genommen und es werden eine Vielzahl von Details zum Umfeld des Klägers genannt, die voraussichtlich nur ihm selbst bekannt sind, wie zum Beispiel das Datum des Schreibens seines Rechtsanwalts zur Mandatsbeendigung, das Datum des Gerichtstermins beim Verwaltungsgericht oder der Name seiner Ehefrau. Auch dies belegt mit hinreichender Sicherheit - ohne Notwendigkeit einer Klärung durch Rückfrage oder durch Beweiserhebung -, dass es sich um eine vom Kläger herrührende und gewollt in den Rechtsverkehr gebrachte Erklärung handelt.
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Dem Kläger kann auch nicht entgegengehalten werden, dass er erstmals mit Schreiben vom 01.02.2021 und damit nach Ablauf der Frist des § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylG eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt hat. Ein Prozesskostenhilfegesuch ist grundsätzlich nur dann in bescheidungsfähiger Form im vorstehenden Sinn angebracht, wenn neben dem Antrag innerhalb der Rechtsmittelfrist auch die notwendigen Angaben über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der erforderlichen Form vorgelegt werden. Diese Voraussetzung erfüllt der Kläger nicht. Auch soweit hiervon eine Ausnahme gemacht wird, wenn der Beteiligte in der Vorinstanz eine den vorgeschriebenen Formanforderungen entsprechende Erklärung abgegeben hat, mit seinem zweitinstanzlichen Prozesskostenhilfegesuch auf diese Bezug nimmt und im Zusammenhang mit dieser Bezugnahme unmissverständlich erklärt, dass sich seither an den wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nichts geändert habe und eine neue Erklärung denselben Inhalt haben müsse (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 22.01.2020 - 1 Bf 3/20.Z -, juris Rn. 15 m.w.N.), kommt dies dem Kläger nicht zugute, da der Rechtsanwalt, der ihn in erster Instanz vertreten hat, dort keinen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe gestellt hatte.
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Allerdings ist vorliegend mit Blick auf den aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Anspruch des Rechtsuchenden auf ein faires Verfahren eine Abweichung von den dargestellten Grundsätzen geboten. Die aus dem Fairnessgebot resultierende Verpflichtung des Gerichts zur Rücksichtnahme auf die Beteiligten gilt im Prozesskostenhilfeverfahren in besonderem Maße, da die Prozesskostenhilfe das aus Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG folgende Gebot der Rechtsschutzgleichheit verwirklichen soll, indem Bemittelte und Unbemittelte in den Chancen ihrer Rechtsverfolgung gleichgestellt werden. Da dieses Verfahren den grundgesetzlich gebotenen Rechtsschutz nicht selbst bietet, sondern erst zugänglich macht, dürfen die Anforderungen - sowohl an den Vortrag der Beteiligten als auch bei der Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse - nicht überspannt werden. Das gilt nicht nur für den ersten Zugang zum Gericht, sondern für die Wahrnehmung aller Instanzen, die eine Prozessordnung vorsieht (vgl. Senatsbeschluss vom 16.07.2020 - 12 S 1558/20 -, juris Rn. 7; OVG Hamburg, Beschluss vom 22.01.2020 - 1 Bf 3/20.Z -, juris Rn. 18 m.w.N.). Die Pflicht des Gerichts zur Rücksichtnahme kann es gebieten, einen Beteiligten, der - wie der Kläger - einen isolierten Prozesskostenhilfeantrag stellt, ohne eine ausgefüllte Formblatterklärung vorzulegen, darauf hinzuweisen, dass der von ihm gestellte Prozesskostenhilfeantrag unvollständig ist und er innerhalb der Rechtsmittelfrist eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf dem amtlichen Vordruck einreichen muss. Dies ist namentlich dann geboten, wenn der Beteiligte nicht rechtskundig beraten ist und deshalb (erkennbar) keine Kenntnis von den Voraussetzungen hat, die erfüllt sein müssen, um im Fall eines isolierten Prozesskostenhilfeantrags Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erlangen zu können (vgl. Senatsbeschluss vom 16.07.2020 - 12 S 1558/20 -, juris Rn. 7; OVG Hamburg, Beschluss vom 22.01.2020 - 1 Bf 3/20.Z -, juris Rn. 23). Da der Kläger erstmals mit der Eingangsverfügung des Senats vom 14.01.2021 zur Vorlage der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Belegen aufgefordert worden ist, er dieser Aufforderung sodann innerhalb der gesetzten Frist durch Vorlage der Formblatterklärung beim Verwaltungsgericht nachgekommen ist und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Kläger anderweitig Kenntnis von den oben genannten Voraussetzungen gehabt hat, kann ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden.
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Der noch durch einen Rechtsanwalt einzulegende Antrag auf Zulassung der Berufung verspricht auch im Übrigen hinreichende Aussichten auf Erfolg.
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Das für die Zulassung der Berufung erforderliche Vorliegen eines - hier in § 78 Abs. 3 AsylG bezeichneten - Zulassungsgrundes, mithin die Erfüllung der Voraussetzungen einer Grundsatz-, einer Divergenz- oder einer Verfahrensrüge, muss soweit dargelegt werden, wie dies ohne anwaltlichen Beistand möglich und zumutbar ist. Zwar kann von einem anwaltlich nicht vertretenen Beteiligten, der einen Antrag auf Prozesskostenhilfe stellt, nicht verlangt werden, dass er die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache darlegt oder die Entscheidung, von der das Urteil abweicht, oder den Verfahrensmangel in der Weise bezeichnet, wie dies gemäß § 78 Abs. 3 AsylG für die Begründung des Zulassungsantrags selbst erforderlich wäre. Geboten ist aber, dass sich aus der in der Antragsfrist vorgelegten Begründung des Prozesskostenhilfegesuchs das Vorliegen eines Zulassungsgrundes zumindest in groben Zügen erkennen lässt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 04.05.2011 - 7 PKH 9.11 -, juris Rn. 2; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 12.01.2021 - A 11 S 2619/20 -, juris Rn. 2; Bayerischer VGH, Beschluss vom 26.02.2020 - 15 ZB 20.25 -, juris Rn. 11; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17.09.2019 - 11 A 3552/19.A -, juris Rn. 4). Dies ist hier der Fall.
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Der Kläger hat vorgetragen, dass ihm sein Anwalt erst mit Schreiben vom 24.11.2020 - also kurz vor dem am 27.11.2020 anberaumten Verhandlungstermin - mitgeteilt habe, dass er seine Kanzlei aufgeben werde und das Mandatsverhältnis mit ihm beendet sei. Zum Gerichtstermin am 27.11.2020 habe er selbst nicht erscheinen können, weil er zu diesem Zeitpunkt in der M.-Klinik in K. in Behandlung gewesen sei. Eine Bescheinigung sei dem Gericht per Einschreiben zugeschickt worden. Damit hat der Kläger in einer für einen Prozesskostenhilfeantrag ausreichenden Weise einen Verfahrensmangel in Form der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO) dargelegt.
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Das Gebot des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) gibt einem Prozessbeteiligten das Recht, im verwaltungsgerichtlichen Verfahren alles aus seiner Sicht Wesentliche vorzutragen, und verpflichtet das Gericht, dieses Vorbringen zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen einzustellen. Die Durchführung der mündlichen Verhandlung und die Entscheidung des Gerichts trotz Abwesenheit eines Beteiligten ist gemäß § 102 Abs. 2 VwGO grundsätzlich gestattet, wenn in der Ladung - wie vorliegend der Fall - auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist. Gleichwohl kann die Entscheidung des Gerichts, den Termin zur mündlichen Verhandlung nicht zu verlegen bzw. zu vertagen, den Anspruch eines Prozessbeteiligten auf rechtliches Gehör verletzen, wenn die Terminverlegung bzw. Vertagung gemäß § 227 ZPO i.V.m. § 173 Satz 1 VwGO aus erheblichen Gründen geboten ist. Das von § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO eröffnete Ermessen ist dann auf Null reduziert. Das rechtliche Gehör gebietet die Aufhebung, Verlegung oder Vertagung eines Verhandlungstermins, wenn ein Verfahrensbeteiligter ohne sein Verschulden an der Teilnahme gehindert ist. Einen beachtlichen Hinderungsgrund stellt insbesondere die vorübergehende Verhandlungsunfähigkeit wegen einer Erkrankung dar. Die prozessuale Mitwirkungspflicht jedes Prozessbeteiligten gebietet es ferner, dass ein Antrag auf Terminverlegung unverzüglich gestellt wird, nachdem die Verhinderung bekannt wird (BVerwG, Beschlüsse vom 20.04.2017 - 2 B 69.16 -, juris Rn. 8, und vom 25.01.2016 - 2 B 34.14 -, juris Rn. 20 f.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 02.07.2020 - 13 A 1241/19.A -, juris Rn. 3 ff.; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 04.11.2020 - A 11 S 3308/20 -, juris Rn. 10).
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Es spricht einiges dafür, dass dieser Verfahrensmangel vorliegt. Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 27.11.2020 ergangen, bei welcher der Kläger weder anwesend noch vertreten war. Der Kläger hatte mit einem nicht datierten, aber laut Eingangsstempel des Verwaltungsgerichts noch am 27.11.2020 dort eingegangenen Schreiben durch die oder den bereits genannten K. mitteilen lassen, dass er „bis auf weiteres in der M.-Klinik in K. zur stationären Krankenhausbehandlung aufgenommen“ worden sei. Auch wenn dem Schreiben keine Vollmacht für K. beigefügt war, dürften keine Zweifel bestanden haben, dass dieses Schreiben mit Wissen und Wollen des Klägers vorgelegt worden ist. Denn ihm war eine Bescheinigung der M.-Klinik beigefügt, mit der die stationäre Aufnahme des Klägers bestätigt wurde. Angesichts der Bestätigung der stationären Aufnahme in ein Krankenhaus spricht auch einiges dafür, dass der Kläger nicht reisefähig gewesen ist. Dieses Schreiben des Klägers musste das Verwaltungsgericht wohl auch als Verlegungsantrag verstehen. Zwar enthielt es keinen ausdrücklichen Antrag, da jedoch der Rechtsanwalt des Klägers dem Gericht wenige Tage zuvor mit Schriftsatz vom 24.11.2020 mitgeteilt hatte, dass das Mandatsverhältnis zum Kläger nicht mehr bestehe und er den Termin nicht wahrnehmen werde, dürfte sich eine entsprechende Auslegung aufgedrängt haben.
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Unerheblich dürfte sein, ob der Verlegungsantrag der Einzelrichterin noch vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung am 27.11.2020 um 10:20 Uhr zur Kenntnis gelangt ist. Denn das dem Gericht nach § 104 Abs. 3 Satz 2 VwGO eingeräumte Ermessen, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen, dürfte sich mit Blick auf den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs zu einer entsprechenden Verpflichtung verdichtet haben (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 01.03.1995 - 8 C 36.92 -, juris Rn. 34). Unschädlich wäre es selbst dann, wenn das Schreiben der Einzelrichterin auch vor der am 30.11.2020 erfolgten Übergabe des Urteils an die Geschäftsstelle nicht mehr vorgelegt worden sein sollte. Denn der bereits am 27.11.2020 der Gerichtsverwaltung vorliegende Antrag war jedenfalls vor Erlass des Urteils wirksam gestellt. Für die Annahme einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist unerheblich, wen innerhalb des Gerichts ein Verschulden trifft, ob die zur Entscheidung berufene Einzelrichterin oder einen sonstigen Bediensteten; das Gericht ist insgesamt dafür verantwortlich, dass dem Gebot des rechtlichen Gehörs Rechnung getragen wird (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 03.07.2001 - 6 B 13.01 -, juris Rn. 11; BSG, Urteil vom 30.10.2001 - B 4 RA 51/01 R -, juris Rn. 13). Anhaltspunkte dafür, dass die Mitteilung des Klägers nicht unverzüglich erfolgt wäre, sind bislang nicht ersichtlich.
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Die Darlegung, was der Kläger bei ordnungsgemäßer Gewährung rechtlichen Gehörs im Einzelnen vorgetragen hätte, dürfte nicht erforderlich sein, da im Fall der fehlerhaften Durchführung der mündlichen Verhandlung in Abwesenheit des Klägers die gesamten Verfahrensgrundlagen betroffen sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 09.06.2008 - 5 B 204.07 -, juris Rn. 4; OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 03.09.2020 - 10 LA 144/20 -, juris Rn. 17; Happ in: Eyermann, VwGO, 15.Aufl. 2019, § 124a Rn. 74).
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2. Mit der vorgelegten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hat der Kläger auch hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht, dass er im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung nicht in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung aufzubringen. Er besitzt kein Vermögen und hat als Einnahmen nur Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.
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Für das weitere Verfahren bemerkt der Senat: Die Zulassung der Berufung ist gemäß § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylG innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils zu beantragen. Für den Zulassungsantrag besteht nach § 67 Abs. 4 VwGO Vertretungszwang. Mit der Zustellung des vorliegenden Beschlusses entfällt die durch das Unvermögen, die Prozesskosten aufzubringen, verursachte unverschuldete Verhinderung, die Rechtsmittelfrist einzuhalten. Dies gilt auch für einen Kläger, der - wie hier - im Zeitpunkt der Bewilligung der Prozesskostenhilfe keinen zur Vertretung bereiten Prozessbevollmächtigten besitzt und im Prozesskostenhilfeantrag keinen beizuordnenden Prozessbevollmächtigten benannt hat. Ihm obliegt es, in der durch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ausgelösten Wiedereinsetzungsfrist des § 60 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 VwGO alles Zumutbare zu tun, um einen vertretungsbereiten Prozessbevollmächtigten zu finden, und - sofern dies erkennbar nicht gelingt - bei Gericht bis zum Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist einen Antrag nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 121 Abs. 5 ZPO auf Beiordnung eines Rechtsanwalts durch die Vorsitzende zu stellen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 28.07.1999 - 9 B 333.99 -, juris Rn. 4, und vom 28.01.2004 - 6 PKH 15.03 -, juris Rn. 13).Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Kosten werden nicht erstattet.Der Beschluss ist unanfechtbar.

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