Beschluss vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - 10 S 2199/21

Gründe

1. Die vom Beigeladenen fristgerecht am 07.07.2021 erhobene Anhörungsrüge ist zulässig und begründet.
Der Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass es im Schriftsatz vom 07.07.2021 heißt, gegen die Kostengrundentscheidung im Senatsbeschluss vom 29.06.2021 werde eine „Gegenvorstellung“ erhoben bzw. das Gericht werde ersucht, die Kostenentscheidung abzuändern. Denn das mit dem Hinweis darauf begründete Begehren, dass der Beigeladene im Verfahren keinen Sachantrag gestellt habe, war nicht zuletzt mit Blick darauf, dass die Gegenvorstellung seit der Einführung der Anhörungsrüge regelmäßig kein statthafter Rechtsbehelf mehr ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 08.03.2018 - 2 C 37.17 - juris Rn. 11) und der Beigeladene der Sache nach eine Gehörsverletzung rügt, bei verständiger Würdigung gemäß § 88 VwGO als Anhörungsrüge auszulegen.
Entgegen der Ansicht der Antragsteller ist die Anhörungsrüge auch nicht wegen § 158 Abs. 1 VwGO unzulässig, wonach die Anfechtung der Entscheidung über die Kosten unzulässig ist, wenn nicht gegen die Entscheidung in der Hauptsache ein Rechtsmittel eingelegt wird. Eine direkte Anwendung der Vorschrift auf die Anhörungsrüge scheidet schon insofern aus, als mit der Anhörungsrüge keine „Anfechtung einer Entscheidung“ begehrt wird, sondern - dem Wortlaut des § 152a VwGO entsprechend - eine Fortführung des Verfahrens, soweit dieses auf einer Gehörsverletzung beruht. Auch für eine entsprechende Heranziehung des § 158 Abs. 1 VwGO zugrundeliegenden Rechtsgedankens auf die Anhörungsrüge sieht der Senat keine Veranlassung (vgl. FG München, Beschluss vom 12.05.2011 - 7 K 854/11 - juris Rn. 8; Bader in: ders. u. a., VwGO, 8. Aufl., § 158 Rn. 6; Neumann/Schaks in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl., § 158 Rn. 39; im Ergebnis ebenso BayVGH, Beschluss vom 26.02.2020 - 22 CS 20.177 - juris; Beschluss vom 18.11.2013 - 10 CE 13.2387 - juris Rn. 2-8 zur Anhörungsrüge sowie Rn. 10 zur Gegenvorstellung; offenlassend OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 18.02.2015 - 1 L 147/14 - juris Rn. 2). Die teilweise vertretene Gegenansicht (vgl. Sächsisches OVG, Beschluss vom 07.05.2020 - 3 B 119/20 - juris Rn. 3) überzeugt den Senat nicht. § 152a VwGO trägt dem Plenarbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 30.04.2003 - 1 PBvU 1/02 - (BVerfGE 107, 395) Rechnung, wonach es das Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs erfordert, eine Möglichkeit fachgerichtlicher Abhilfe bei Gehörsverstößen zu schaffen. Diesem Regelungszweck würde es widersprechen, wenn eine Behebung von Gehörsverstößen durch eine entsprechende Anwendung von § 158 Abs. 1 VwGO gesperrt würde. Soweit sich die Gegenansicht auf den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 29.07.2009 - 5 B 46.09 - (juris) beruft, hat der Senat Zweifel, ob dort tatsächlich - wie von der Gegenansicht vertreten - entschieden worden ist, dass § 158 Abs. 1 VwGO generell auf § 152a VwGO (entsprechend) anzuwenden ist, nachdem das Bundesverwaltungsgericht in der Randnummer 5 des Beschlusses § 158 Abs. 1 VwGO mit der Begründung heranzieht, die Klägerin des dortigen Verfahrens wende sich mit der Anhörungsrüge allein „gegen die Kostenentscheidung des Berufungsgerichts“ (also der Vorinstanz) bzw. § 158 Abs. 1 VwGO stehe der isolierten Anfechtung „der Entscheidung des Berufungsgerichts“ entgegen; zu einer Anhörungsrüge betreffend eine Kostenentscheidung des über die Anhörungsrüge entscheidenden Gerichts verhält sich der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts nicht.
Die Anhörungsrüge des Beigeladenen hat auch in der Sache Erfolg.
Auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten ist das Verfahren gemäß § 152a Abs. 1 VwGO fortzuführen, wenn ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG i. V. m. § 108 Abs. 2 VwGO verpflichtet das entscheidende Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen, in Erwägung zu ziehen und die wesentlichen Gründe für seine Entscheidung anzugeben (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Das Gericht braucht sich jedoch nicht mit jedem Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich auseinanderzusetzen. Denn es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Beteiligtenvorbringen auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Etwas anderes gilt, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2003 - 2 BvR 624/01 - NVwZ-RR 2004, 3; BVerwG, Beschluss vom 07.01.2010 - 5 B 67.09 - ZOV 2010, 97). Dagegen gewährt Art. 103 Abs. 1 GG grundsätzlich weder einen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lassen, noch gegen eine materiell fehlerhafte Rechtsanwendung durch das Gericht. Gegenstand der Rüge nach Art. 103 Abs. 1 GG kann deshalb nicht die Behauptung sein, dass ein Gericht aus dem Vortrag eines Beteiligten unzutreffende Schlüsse gezogen habe (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22.01.1997 - 6 B 55.96 - Buchholz 11 Art. 103 Abs. 1 GG Nr. 52). Ist die Anhörungsrüge begründet, so hilft ihr das Gericht ab, indem es das Verfahren fortführt, soweit dies aufgrund der Rüge geboten ist (Absatz 5 Satz 1).
Gemessen an diesen Maßstäben ist das Verfahren in dem aus der Nummer 1 des Tenors ersichtlichen Umfang fortzuführen. Der Senat hat bei seiner Kostenentscheidung in dem Beschluss vom 29.06.2021 - 10 S 310/21 - nicht zur Kenntnis genommen, dass der Beigeladene - anders als es in der Begründung der Kostenentscheidung auf Seite 13 des Beschlussabdrucks heißt - gerade keinen Sachantrag gestellt hat und damit die Voraussetzungen für eine Kostentragungspflicht des Beigeladenen nach § 154 Abs. 3 VwGO nicht vorgelegen haben.
Weil der Kostenausspruch nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung (vgl. Olbertz in Schoch/Schneider, VwGO, § 154 Rn. 19 ff.) nicht geteilt werden kann, ist das Verfahren in Bezug auf die Entscheidung über den Kostenpunkt nicht nur hinsichtlich der dort ausgesprochenen Kostentragungspflicht des Beigeladenen, sondern insgesamt fortzuführen.
2. Nach der Fortführung des Verfahrens im Kostenpunkt war die Kostenentscheidung im Beschluss des Senats vom 29.06.2021 - 10 S 310/21 - gemäß § 152a Abs. 5 Satz 4 VwGO i. V. m. § 343 Satz 2 ZPO aufzuheben und durch einen inhaltlich zutreffenden Tenor zu ersetzen (vgl. Rudisile in Schoch/Schneider, VwGO, § 152a Rn. 34).
Nachdem durch die Fortführung des vorliegenden Beschlussverfahrens dieses gemäß § 152a Abs. 5 Satz 2 und Satz 3 VwGO in die Lage zu dem Zeitpunkt zurückversetzt worden ist, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können, mithin in die Lage vor der Beschlussfassung des Senats am 29.06.2021, konnte nach der Entscheidung über die Fortführung des Verfahrens (Nr. 1 des Tenors) die Kostenentscheidung in dem Beschluss vom 29.06.2021 ohne weitere Verfahrensschritte im Rahmen des vorliegenden Beschlusses aufgehoben und neu gefasst werden (Nr. 2 des Tenors; vgl. Hessischer VGH, Beschluss vom 15.02.2016 - 3 A 1482/14.Z - juris). Insbesondere hatten die Beteiligten im Rahmen des Anhörungsrügeverfahrens insoweit ausreichend Gelegenheit zur Äußerung, von der sie auch Gebrauch gemacht haben.
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Die Kostenentscheidung war wie aus der Nummer 2 des Tenors ersichtlich neu zu fassen. Nachdem der Beigeladene im Verfahren 10 S 310/21 keinen Sachantrag gestellt hat, konnten ihm keine Kosten auferlegt werden (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO). Zudem waren den Antragstellern keine außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen aufzuerlegen, weil dies nach der Senatsrechtsprechung im Rahmen von § 162 Abs. 3 VwGO regelmäßig vorausgesetzt hätte, dass der Beigeladene einen eigenen Sachantrag gestellt und damit auch ein Prozessrisiko übernommen hat (vgl. zuletzt Senatsbeschluss vom 23.11.2021 - 10 S 4275/20 - juris Rn. 29), was hier nicht der Fall war. Da bei der Fortführung des Verfahrens kein Verbot der reformatio in peius besteht (vgl. Rudisile a. a. O. Rn. 32), ist der Senat nicht gehindert, die Kostenentscheidung insoweit (teilweise) auch zu Lasten des Beigeladenen abzuändern. Im Rahmen der demnach ohne kostenmäßige Beteiligung des Beigeladenen neu zu fassenden Kostenentscheidung im Verfahren 10 S 310/21 erschien es angemessen, die Antragsgegnerin mit dem im Beschluss vom 29.06.2021 dem Beigeladenen auferlegten Anteil an den Verfahrenskosten zu belasten.
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3. Hinsichtlich des Anhörungsrügeverfahrens war keine Kostenentscheidung zu treffen, weil bei Erfolg der Anhörungsrüge, also bei Fortführung des Verfahrens, für das Anhörungsrügeverfahren keine weiteren Gerichts- oder Rechtsanwaltskosten anfallen (vgl. Kautz in Fehling/Kastner/Strömer, 5. Aufl., VwGO, § 152a Rn. 35).
12 
Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.

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