Beschluss vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - 12 S 1084/21

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 3. März 2021 - 1 K 487/20 - geändert. Dem Kläger wird für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Prozesskostenhilfe ... ... bewilligt und die Rechtsanwaltssozietät „... ... ... ...“, ... ...  ... ..., ... ... ..., ..., beigeordnet.

Gründe

I. Der Kläger begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine Klage, mit der er die Verpflichtung der Beklagten erstrebt, ihm rückwirkend ab dem 16.10.2015, hilfsweise ab dem 31.12.2017, eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 AufenthG zu erteilen.
Der Kläger, eigenen Angaben zufolge ein am 01.09.2015 in die Bundesrepublik Deutschland eingereister syrischer Staatsangehöriger, stellte am 16.10.2015 einen Asylantrag. Mit Bescheid vom 22.02.2017 erkannte ihm das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) den subsidiären Schutzstatus zu. Im Übrigen lehnte das Bundesamt den Asylantrag ab.
Unter dem 05.03.2017, eingegangen am 09.03.2017, beantragte der Kläger bei dem (damals noch für ihn zuständigen) Landratsamt Tuttlingen die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Als Aufenthaltszweck gab er dabei „Humanitäre Gründe“ an. Die Aufenthaltserlaubnis wurde ihm in der Folge mit einer Gültigkeit vom 09.03.2017 bis 09.03.2018 mit der Anmerkung „25 Abs. 2 Subsidiär“ erteilt.
Mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 09.03.2017, bei dem Landratsamt Tuttlingen am 13.03.2017 eingegangen, teilte der Kläger mit, er habe gegen den Bescheid des Bundesamts vom 22.02.2017 mit dem Ziel der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft Klage erhoben.
Mit Urteil vom 13.11.2017 - A 4 K 1507/17 -, rechtskräftig seit 16.12.2017, verpflichtete das Verwaltungsgericht Freiburg die Bundesrepublik Deutschland, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen, und hob den Bescheid des Bundesamts vom 22.02.2017 auf, soweit er dieser Verpflichtung entgegenstand.
Nachdem das Landratsamt Tuttlingen den Kläger mit Schreiben vom 02.01.2018 auf das Ablaufen seiner Aufenthaltserlaubnis am 09.03.2018 hingewiesen hatte, beantragte der Kläger unter dem 10.01.2018, bei dem Landratsamt Tuttlingen am 18.01.2018 eingegangen, die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis unter Angabe des Aufenthaltszwecks „§ 25 Abs. 2 Subsidiär“.
Mit Bescheid vom 20.02.2018 erkannte das Bundesamt dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zu. Zur Begründung verwies es auf die rechtskräftige Verpflichtung durch das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 13.11.2017.
Unter dem 06.03.2018, bei dem Landratsamt Tuttlingen am selben Tag eingegangen, stellte der Kläger neben einem Antrag auf einen Reiseausweis erneut einen Antrag auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis. Daraufhin wurde ihm neben einem Reiseausweis, wonach der Kläger Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (GFK) sei, eine Aufenthaltserlaubnis nach „§ 25 Abs. 2“ mit einer Gültigkeit vom 06.03.2018 bis 05.03.2021 erteilt.
Am 28.06.2019 beantragte der Kläger anwaltlich vertreten bei der Beklagten, in deren Zuständigkeitsbereich er zwischenzeitlich verzogen war, die rückwirkende Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 AufenthG ab dem 16.10.2015, hilfsweise ab dem 31.12.2017. Zur Begründung gab er im Wesentlichen an, er könne dann seine am xxxxxxxxxx geborene, zwischenzeitlich volljährig gewordene Tochter xxxxx zu sich nachziehen lassen. Diese war in der Türkei zurückgeblieben und führte bzw. führt ihrerseits ein Verfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland auf Erteilung eines Visums zum Familiennachzug bei dem Verwaltungsgericht Berlin (Urteil vom 08.11.2019 - 22 K 100.18 V -) bzw. Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (OVG 3 B 32/21). Der Kläger meinte, das für eine rückwirkende Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erforderliche berechtigte Interesse ergebe sich nicht nur aus Art. 6 GG, sondern auch aus § 10 Abs. 1 Satz 1 StAG. Wenn die Aufenthaltserlaubnis rückwirkend auf einen früheren Zeitpunkt erteilt werde, könne er sich früher einbürgern lassen. Dass er einen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Alt. 1 AufenthG ab dem Zeitpunkt der Asylantragstellung habe, ergebe sich aus dem 21. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/95/EU und der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union in dessen Urteil vom 12.04.2018 - C-550/16 -, wonach dieser ausführe: „Daher hat jeder Drittstaatsangehörige oder Staatenlose, der die materiellen Voraussetzungen von Kapitel III dieser Richtlinie erfüllt, nach der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz gemäß Kapitel II der Richtlinie 2011/95/EU ein subjektives Recht auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, und zwar noch bevor hierzu eine förmliche Entscheidung ergangen ist“. Das Europarecht gehe daher davon aus, dass eine Person ab Antragstellung ein Flüchtling sei. Um Rechte aus der Flüchtlingseigenschaft ableiten zu können, müsse die zuständige Behörde, in Deutschland das Bundesamt, die Flüchtlingseigenschaft jedoch zuerkennen. Sei die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden, sei dadurch bewiesen, dass der Antragsteller ab dem Zeitpunkt der Antragstellung Flüchtling sei, woraus in seinem Fall folge, dass er seit seiner Asylantragstellung am 16.10.2015 Flüchtling sei und ihm rückwirkend ab diesem Tag die Aufenthaltserlaubnis zu erteilen sei.
10 
Den Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 18.09.2019, zugestellt am 19.09.2019, ab. Den hiergegen vom dem anwaltlich vertretenen Kläger am 24.09.2019 eingelegten Widerspruch wies das Regierungspräsidium Freiburg mit Widerspruchsbescheid vom 17.12.2019, zugestellt am 17.12.2019, als unbegründet zurück.
11 
Mit seiner dagegen am 23.01.2020 bei dem Verwaltungsgericht Freiburg erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren auf rückwirkende Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 AufenthG ab dem 16.10.2015, hilfsweise ab dem 31.12.2017, unter Wiederholung und Vertiefung seines bisherigen Vorbringens weiter.
12 
Seinen mit der Klageerhebung gestellten Antrag, ihm Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Kanzlei des Unterzeichnenden als Rechtsanwälte, hilfsweise unter Beiordnung des Unterzeichners als Rechtsanwalt zu gewähren, hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 03.03.2021, zugestellt am 10.03.2017, mit der Begründung einer fehlenden hinreichenden Erfolgsaussicht der Klage abgelehnt.
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Gegen diesen Beschluss hat der Kläger anwaltlich vertreten am 24.03.2021 mit ausführlicher Begründung Beschwerde eingelegt. Das Verwaltungsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Beschluss vom 25.03.2021).
14 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
15 
II. Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 03.03.2021 hat Erfolg. Sie ist zulässig (§§ 146 ff. VwGO) und begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für sein Klageverfahren und auf Beiordnung eines Rechtsanwalts.
16 
Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Unter den gleichen Voraussetzungen erfolgt nach Maßgabe des § 121 Abs. 2 ZPO die Beiordnung eines Rechtsanwalts.
17 
1. Für die Bestimmung der hinreichenden Erfolgsaussicht gilt ein grundsätzlich anderer Maßstab, als er für das Verfahren in der Sache selbst zugrunde zu legen ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15.11.2017 - 2 BvR 902/17 -, juris Rn. 12 ff.). Zur Gewährung von Prozesskostenhilfe ist es nicht erforderlich, dass der Prozesserfolg (annähernd) gewiss ist. Vielmehr besteht eine hinreichende Erfolgsaussicht schon dann, wenn ein Obsiegen ebenso wahrscheinlich erscheint wie ein Unterliegen, der Prozessausgang also offen ist (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 22.05.2012 - 2 BvR 820/11 -, juris, und vom 13.03.1990 - 2 BvR 94/88 -, juris). Weder dürfen Beweiswürdigungen vorweggenommen noch sollen schwierige Rechtsfragen geklärt werden, die in vertretbarer Weise auch anders beantwortet werden können. Denn die Prüfung der Erfolgsaussicht soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 16.04.2019 - 1 BvR 2111/17 -, juris Rn. 22, und vom 13.03.1990 - 2 BvR 94/88 -, juris). Auch bislang ungeklärte, schwierige Rechtsfragen dürfen im Prozesskostenhilfeverfahren nicht entschieden werden, sondern müssen auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung zugeführt werden können. Prozesskostenhilfe ist allerdings nicht bereits zu gewähren, wenn die entscheidungserhebliche Frage zwar noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, ihre Beantwortung aber im Hinblick auf die einschlägige gesetzliche Regelung oder die durch die bereits vorliegende Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen nicht „schwierig“ erscheint (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 15.11.2017 - 2 BvR 902/17 u.a. -, juris Rn. 12, vom 28.07.2016 - 1 BvR 1695/15 -, juris Rn. 17, und vom 08.07.2016 - 2 BvR 2231/13 -, juris Rn. 10). Prozesskostenhilfe kann abgelehnt werden, wenn eine Erfolgsaussicht in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, jedoch nur eine entfernte ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.05.2012 - 2 BvR 820/11 -, juris Rn. 10; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 07.12.2020 - 12 S 3065/20 -, juris Rn. 7; Bader in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 8. Aufl. 2021, § 166 Rn. 4). Es läuft aber dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit zuwider, wenn ein Fachgericht § 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO dahin auslegt, dass eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage - obwohl dies erheblichen Zweifeln begegnet - als einfach oder geklärt ansieht und sie deswegen bereits im Verfahren der Prozesskostenhilfe zum Nachteil des Unbemittelten beantwortet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.05.2012 - 2 BvR 820/11 -, juris Rn. 11).
18 
Nach diesen Maßstäben kann der Klage des Klägers zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife seines Prozesskostenhilfeantrags, die hier mit Eingang der vollständigen Unterlagen zum Prozesskostenhilfeantrag beim Verwaltungsgericht am 19.02.2021 vorlag (zum maßgeblichen Zeitpunkt vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 25.11.2021 - 12 S 3232/20 -, juris Rn. 4; Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 166 Rn. 14a; Neumann/Schaks in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 166 Rn. 77), mit Blick auf die notwendige Prüfung des Unionsrechts eine hinreichende Erfolgsaussicht nicht abgesprochen werden.
19 
Nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 AufenthG ist einem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes zuerkannt hat.
20 
Zwar dürfte das Verwaltungsgericht in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 22.06.2011 - 1 C 5.10 -, juris Rn. 14, und vom 09.06.2009 - 1 C 7.08 -, juris Rn. 13, vgl. auch BVerwG, Urteile vom 26.10.2010 - 1 C 19.09 -, juris Rn. 13, und vom 29.09.1998 - 1 C 14.97 -, juris Rn. 15; Bayerischer VGH, Urteil vom 30.06.2021 - 19 B 20.2085 -, juris Rn. 46; Sächsisches OVG, Beschluss vom 30.03.2020 - 3 D 7/20 -, juris Rn. 8; OVG Niedersachsen, Urteil vom 08.11.2017 - 8 LB 59/17 -, juris Rn. 24) jedenfalls nach nationalem Recht zutreffend davon ausgegangen sein, dass ein Ausländer - und somit auch der Kläger - die Erteilung eines Aufenthaltstitels nur für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum nach der Antragstellung beanspruchen kann, wenn er ein schutzwürdiges Interesse hieran hat.
21 
Auch dürfte entgegen der Auffassung des Klägers die Annahme des Verwaltungsgerichts nicht zu beanstanden sein, wonach insoweit nicht auf den - von dem Kläger abgesehen vom Asylantrag einzig vor dem 01.01.2018 gestellten - Antrag vom 05. bzw. 09.03.2017 auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zurückgegriffen werden kann. Denn dieser - mit der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis beschiedene - Antrag dürfte angesichts der konkreten Umstände des vorliegenden Einzelfalles, insbesondere aufgrund des dem Kläger zum damaligen Zeitpunkt lediglich zuerkannten subsidiären Schutzstatus, nach dem objektiven Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB) und unter Berücksichtigung der Aufenthaltszwecke und des Lebenssachverhalts, aus denen der Kläger seinen Anspruch herleitete (vgl. Senatsbeschluss vom 16.07.2020 - 12 S 1432/20 -, juris Rn. 7), nur als Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AufenthG auszulegen gewesen sein, nicht aber wie er behauptet (auch) als Antrag nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 AufenthG.
22 
Des Weiteren teilt der Senat die vom Kläger monierte Ansicht des Verwaltungsgerichts, dass insoweit - jedenfalls nach nationalem Recht - nicht auf den Asylantrag des Klägers vom 16.10.2015 zurückgegriffen werden kann, weil dieser Antrag nicht zugleich einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 AufenthG beinhaltete.
23 
Für die Auffassung des Klägers, er hätte einen Anspruch auf Erteilung einer auf seinen Asylantrag zurückwirkenden Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 AufenthG, könnte aber, worauf er hinweist, der 21. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie) sprechen, wonach die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ein deklaratorischer Akt ist. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Begründungserwägungen eines Gemeinschaftsrechtsakts rechtlich nicht verbindlich sind und weder herangezogen werden können, um von den Bestimmungen des betreffenden Rechtsakts abzuweichen, noch, um diese Bestimmungen in einem Sinne auszulegen, der ihrem Wortlaut offensichtlich widerspricht (vgl. EuGH, Urteil vom 19.06.2014 - C-345/13 -, juris Rn. 31). Gleichwohl hat der Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 12.04.2018 - C-550/16 - auch unter Hinweis auf den deklaratorischen Charakter der Flüchtlingsanerkennung (vgl. a.a.O., juris Rn. 53) ausgeführt, dass es für das Recht auf Familienzusammenführung nach Art. 10 Abs. 3 Buchst. a Richtlinie 2003/86/EG (Familienzusammenführungsrichtlinie) nicht darauf ankommen könne, zu welchem Zeitpunkt die zuständige nationale Behörde förmlich über die Anerkennung des Betroffenen als Flüchtling entscheide. Daher habe jeder Drittstaatsangehörige oder Staatenlose, der die materiellen Voraussetzungen der Richtlinie 2011/95/EU erfülle, nach der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz ein subjektives Recht auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, und zwar noch bevor hierzu eine förmliche Entscheidung ergangen ist (vgl. a.a.O., juris Rn. 54). Auch wenn sich die Ausführungen des Gerichtshofs der Europäischen Union in dem Urteil (möglicherweise spezifisch, vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26.04.2019 -, juris Rn. 6, vgl. aber auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13.09.2019 - OVG 3 M 95.19 -, juris) auf die Frage des in Art. 2 Buchst. f i.V.m. Art. 10 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2003/86/EG geregelten Nachzugs von Verwandten in gerader aufsteigender Linie zu einem unbegleiteten minderjährigen Flüchtling bezogen haben, kann eine Auswirkung der Entscheidung auf den vorliegenden Fall im Rahmen des hier vorliegenden Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht von vornherein verneint werden, auch wenn die Frage in einem Hauptsacheverfahren - wie nachfolgend dargestellt - letztlich wohl im negativen Sinne zu beantworten sein dürfte.
24 
Dem Kläger ist zuzugeben, dass der Wortlaut des Art. 24 Abs. 1 UAbs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU - wie der des § 25 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 AufenthG - einer auf die Asylantragstellung zurückwirkenden Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 AufenthG nicht per se entgegensteht. Danach stellen die Mitgliedstaaten Personen, denen der Flüchtlingsstatus zuerkannt worden ist, so bald wie möglich nach Zuerkennung des internationalen Schutzes und unbeschadet des Artikels 21 Absatz 3 einen Aufenthaltstitel aus, der mindestens drei Jahre gültig und verlängerbar sein muss, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen. Eine ausdrückliche Bestimmung, ab wann die Aufenthaltserlaubnis gültig sein soll, findet sich darin somit nicht. Dennoch und ungeachtet der deklaratorischen Natur der Anerkennung dürfte dieser aber keine umfassende Rückwirkung beizumessen sein (eine solche - jedenfalls vor Ergehen der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 12.04.2018 - verneinend: BVerwG, Urteil vom 13.02.2014 - 1 C 4.13 -, juris Rn. 15; ebenso Bauer in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, Vor § 53 Rn. 142, i.E.; Kraft in: Thym/Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, 3. Aufl. 2022, Chp. 20 Art. 13 Rn. 11). Es entspricht dem Regelfall, dass ein Aufenthaltstitel erst für die Zukunft Gültigkeit erlangt. Daher wäre zu erwarten gewesen, dass der Unionsgesetzgeber, wenn er einen solchen Ausnahmefall einer Rückwirkung hätte regeln wollen, diesen ausdrücklich in den Gesetzestext aufgenommen hätte. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass nach Art. 24 Abs. 1 UAbs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU der Aufenthaltstitel mindestens drei Jahre gültig sein muss, und mithin die (Mindest-)Dauer, die offensichtlich zukunftsgerichtet gemeint ist, explizit geregelt wurde. Ferner wird diese Auslegung durch Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32/EU (Asylverfahrensrichtlinie) bestätigt. Nach dessen Satz 1 dürfen Antragsteller ausschließlich zum Zwecke des Verfahrens so lange im Mitgliedstaat verbleiben, bis die Asylbehörde auf der Grundlage der in Kapitel III genannten erstinstanzlichen Verfahren über den Antrag entschieden hat. Art. 9 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 2013/32/EU bestimmt sodann, dass sich aus dieser Berechtigung zum Verbleib (gerade) kein Anspruch auf einen Aufenthaltstitel ergibt. Dem entspricht es, worauf es insoweit allerdings nicht entscheidungserheblich ankommt, dass im nationalen Recht einem Ausländer, der um Asyl nachsucht, zur Durchführung des Asylverfahrens lediglich eine Aufenthaltsgestattung (§ 55 AsylG) zu erteilen ist, nicht aber ein Aufenthaltstitel (§ 4 Abs. 1 Satz 2 AufenthG). Auf das Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK) kann sich der Kläger insoweit voraussichtlich ebenfalls nicht berufen, weil sich dem ein Recht auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nicht entnehmen lässt.
25 
Gegen die Annahme, dass sich aus dem deklaratorischen Charakter der Flüchtlingseigenschaft ein Anspruch auf rückwirkende Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ergibt, spricht des Weiteren die unionsrechtlich vorgegebene Aufspaltung von Statusfeststellungs- und Titelerteilungsverfahren, die sich insbesondere in Art. 13, 18 und 24 der Richtlinie 2011/95/EU und in Art. 9 ff., 31 Richtlinie 2013/32/EU widerspiegelt (vgl. Wittmann in: GK-AufenthG, § 25 Rn. 33 ; zum der [deklaratorischen] Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorgeschalteten Verfahren vgl. auch UNHCR, Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, Neuauflage: UNHCR Österreich, Dezember 2003, Rn. 28 f., 189 ff.). Insoweit dürfte sich die Situation wohl mit der im Falle des Art. 16a Abs. 1 GG als vergleichbar erweisen. Zwischen dem Asylrecht und dem Verfahrensrecht besteht ebenfalls eine enge Verknüpfung. Das Asylrecht ist ein „verwaltetes Grundrecht“ und steht - wie die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft - unter einem Verfahrensvorbehalt. Der politisch Verfolgte muss es erst in einem Anerkennungsverfahren zur Geltung bringen und kann es erst nach Erwirkung des Anerkennungsaktes geltend machen. Bis dahin hat er keine der materiellen Rechtslage entsprechende Rechtsposition. Er ist lediglich zur Antragstellung befugt und hat ein vorläufiges Bleiberecht (sog. Verfahrensvorbehalt; vgl. BVerwG, Urteil vom 15.12.1987 - 9 C 285/86 -, juris Rn. 25; Wittmann in: GK-AufenthG, § 25 Rn. 33 ; zur deklaratorischen Feststellung des Grundrechts auf Asyl, die allerdings erforderlich ist, um dem Status des Asylberechtigten - mit gleichsam konstitutiver Wirkung - Anerkennung zu verschaffen, vgl. auch Bergmann in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 55 AsylG Rn. 2, und BVerfG, Beschluss vom 20.04.1982 - 2 BvL 26/81 -, juris Rn. 141 f.; FG München, Urteil vom 25.06.2008 - 9 K 3238/06 -, juris Rn. 16). Entsprechend werden auch erst mit der förmlichen Anerkennung als Flüchtling die Rechte nach Kapitel 7 der Richtlinie 2011/95/EU zuerkannt.
26 
Ein Anspruch auf eine auf den Eintritt der Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 13.11.2017, mit dem die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet wurde, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, rückwirkende Erteilung der Aufenthaltserlaubnis, also ab dem 16.12.2017, dürfte in einem Hauptsacheverfahren letztlich wohl ebenfalls nicht zu bejahen sein.
27 
Nach nationalem Recht scheitert dies bereits an dem klaren Wortlaut des § 25 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, wonach einem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen ist, wenn „das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge“ die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes zuerkannt hat. Das ist mit einer - wenn auch rechtskräftigen - Verpflichtung durch das Verwaltungsgericht noch nicht gegeben. Denn die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erfolgt nicht durch eine die Feststellung des Bundesamts ersetzende verwaltungsgerichtliche Feststellung, die unstatthaft wäre, sondern im Wege des Verpflichtungsurteils (vgl. zu § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG: BVerwG, Urteil vom 29.03.1996 - 9 C 116.95 -, juris Rn. 15; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27.02.2015 - OVG 7 B 29.14 -, juris Rn. 26). Darin erkennt das Verwaltungsgericht die Flüchtlingseigenschaft nicht selbst zu, sondern verpflichtet vielmehr die zuständige Behörde, einen entsprechenden feststellenden Verwaltungsakt zu erlassen. Eine dementsprechende Umsetzung ist hier erst mit Bescheid des Bundesamts vom 20.02.2018 und mithin nach dem 31.01.2017 erfolgt.
28 
Auch aus unionsrechtlichen Gründen dürfte eine Anknüpfung an den Eintritt der Rechtskraft des Verpflichtungsurteils nicht angezeigt sein. Das Unionsrecht enthält mit Art. 4 bis 12 der Richtlinie 2011/95/EU zwar Vorschriften darüber, unter welchen Voraussetzungen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist; es überlässt jedoch den Mitgliedstaaten, welche nationale Stelle über die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft entscheidet (vgl. Art. 13 der Richtlinie 2011/95/EU und Art. 4 Abs. 1 Richtlinie 2013/32/EU; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27. Februar 2015 - OVG 7 B 29.14 -, juris Rn. 30). Nach den somit maßgeblichen nationalen Bestimmungen des Asylverfahrensgesetzes und der Verwaltungsgerichtsordnung ist vorgesehen, dass die Entscheidung über die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch das Bundesamt getroffen wird (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 13 Abs. 1, § 3 Abs. 1 AsylG) und zwar - wie bereits dargestellt - auch dann, wenn zuvor eine stattgebende verwaltungsgerichtliche Entscheidung ergangen ist (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27.02.2015 - OVG 7 B 29.14 -, juris Rn. 30; Dienelt in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 29 AufenthG Rn. 17 f.; Wittmann in: GK-AufenthG, § 25 Rn. 36 ).
29 
Dass der Kläger schließlich kein schutzwürdiges Interesse an einer rückwirkenden Erteilung des Aufenthaltstitels hätte, lässt sich jedenfalls im Prozesskostenhilfeverfahren ebenfalls nicht von vornherein verneinen. Ein solches ist insbesondere gegeben, wenn die rückwirkende Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für die weitere aufenthaltsrechtliche Stellung des Ausländers erheblich sein kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.10.2010 - 1 C 19.09 -, juris Rn. 13). Anders als der Kläger meint, dürfte er sich insoweit zwar wohl nicht mit Erfolg auf § 10 StAG und darauf berufen können, dass ihm infolge einer auf den Zeitpunkt seiner Asylantragstellung zurückwirkenden Erteilung der Aufenthaltserlaubnis eine frühere Einbürgerung möglich wäre. Denn zutreffend hat die Beklagte insoweit auf § 55 Abs. 3 AsylG hingewiesen, wonach die Zeit eines Aufenthalts nach Absatz 1 (gestatteter Aufenthalt), soweit der Erwerb oder die Ausübung eines Rechts oder einer Vergünstigung von der Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet abhängig ist, angerechnet wird, wenn der Ausländer als Asylberechtigter anerkannt ist oder ihm internationaler Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 (also etwa die Flüchtlingseigenschaft) zuerkannt wurde. Jedoch ist zumindest als offen anzusehen, ob sich ein schutzwürdiges Interesse im genannten Sinne vorliegend nicht aus Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK und dem angestrebten Familiennachzug (vgl. auch Richtlinie 2003/86/EU) ergeben kann.
30 
2. Dem Kläger ist Prozesskostenhilfe xxxx xxxxx zu gewähren, weil er im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des (Beschwerde-)Gerichts (vgl. Senatsbeschluss vom 21.01.2022 - 12 S 1594/21 -, juris Rn. 3 m.w.N.) nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann.
31 
3. Die Beiordnung des Prozessbevollmächtigten beruht auf § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 121 Abs. 2 ZPO. Antragsgemäß ist dem Kläger die von ihm benannte Rechtsanwaltssozietät beizuordnen (zur Möglichkeit der Beiordnung einer Rechtsanwaltssozietät vgl. BGH, Beschluss vom 17.09.2008 - IV ZR 343/07 -, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 17.09.2020 - 2 E 239/20 -, juris Rn. 22 f., und vom 18.05.2015 - 13 A 1802/14 -, juris Rn. 2 f.; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 23.04.2019 - 8 PA 31/19 -, juris; Schultzky in: Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 121 Rn. 7).
32 
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, da keine Gerichtsgebühren anfallen (vgl. Nr. 5502 KV GKG) und außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht erstattet werden (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).
33 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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