Urteil vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - 3 S 3915/21

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 29. April 2021 - 14 K 1958/20 - geändert. Der Bescheid der Beklagten vom 4. Oktober 2019 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Ausübung eines Vorkaufsrechts durch die Beklagte aufgrund ihrer Satzung vom 17.12.2014 „über ein besonderes Vorkaufsrecht nach § 25 Abs. 1 Ziff. 2 BauGB im Bereich Stadtmitte II“ (Satzung „Vorkaufsrecht Stadtmitte II“).
Die Beigeladene veräußerte mit notariellem Vertrag vom 25.7.2019 an den Kläger die bebauten Grundstücke Flst.-Nrn. xxx und xxxxxx xxxxxxxxxxxxxxxxxxx und xx, xxxxxxxxxxx. Die Grundstücke liegen im räumlichen Geltungsbereich der Satzung „Vorkaufsrecht Stadtmitte II“ und des Bebauungsplans „Innenstadt“ der Beklagten vom 25.7.2001.
Der Vertrag vom 25.7.2019 lautet auszugsweise:
III     
Kaufpreis
 1. Der Kaufpreis beträgt
                                                                          1.350.000,-- EUR
 (in Worten: eine Million dreihundertfünfzigtausend Euro).
 Der Kaufpreis setzt sich wie folgt zusammen:
 xxxxxxxxxxxxxxxxxxx (Grundstück mit Gebäude) 500.000 EUR
 Inventar gemäß Bilanz zum 31.12.2016               100.000 EUR
                                                                           -------------
                                                                             600.000 EUR
 xxxxxxxxxxxxxxxxxxxx (Grundstück mit Gebäude) 750.000 EUR
 […]   
 […]   
        
 IV    
 Allgemeine Vertragsbestimmungen
 1. Bei dem Grundstück Flurstück Nr. xxx, xxxxxxxxxxxxxxxxxxx, handelt es sich um ein Gebäude, dessen Ursprünge bis in das Jahr 1622 zurückreichen. Das Gebäude wurde vielfach umgebaut und erweitert. Es steht nicht unter Denkmalschutz. In dem Gebäude wurde bis zum Jahr 2017 ein Hotel betrieben, das wegen eines Brandschadens im Januar 2017 geschlossen wurde und den Betrieb nicht mehr aufgenommen hat. Für das Gebäude liegt ein Brandschutzgutachten vor. Auf dieser Basis wurde bereits eine Baugenehmigung erteilt. Mit Kaufpreiszahlung überträgt der Verkäufer diese Baugenehmigung auf den Käufer. Der Verkäufer hat keinerlei Maßnahmen hinsichtlich der notwendigen oder geplanten Sanierungs- oder Bauarbeiten ergriffen oder durchgeführt. Die Parteien sind darüber einig, dass dies ausschließlich Sache des Käufers ist.
 […]   
 2. Die endgültige Übergabe des Kaufgegenstandes erfolgt Zug um Zug mit der Kaufpreiszahlung.
 3. Der Käufer ist berechtigt, ab sofort auf eigene Kosten und Gefahren mit Renovierungsarbeiten in dem Vertragsgegenstand zu beginnen, soweit diese werterhöhend sind. Im Falle eines Rücktritts des Verkäufers kann dieser keine Beseitigung der Veränderungen verlangen, er hat aber keine Vergütung hierfür zu leisten. Alle Nebenkosten sind ab dem Zeitpunkt der Nutzung in vorstehendem Sinne vom Käufer zu tragen.
 […]   
Der beurkundende Notar übermittelte der Beklagten eine Kopie des Vertrags (Eingang bei der Beklagten am 8.8.2019).
In einem Schreiben vom 30.8.2019 der Beklagten an die Beigeladene heißt es u. a.: Das veräußerte Grundstück liege im Geltungsbereich der Satzung „Vorkaufsrecht Stadtmitte II“. Über die Ausübung des Vorkaufsrechts entscheide der Gemeinderat in seiner Sitzung am 25.9.2019. Zur Vorbereitung des Sachvortrags für die Mitglieder des Gemeinderats sei es notwendig, eine Besichtigung des Kaufobjekts vorzunehmen. Die Beigeladene werde gebeten, Verwaltungsmitarbeitern eine solche Besichtigung zu ermöglichen und eine Terminvereinbarung vorzunehmen.
Mit einem „Kurzbrief“ vom 3.9.2019 sollte dem Kläger das Schreiben vom 30.8.2019 mit der Bitte um „Kenntnisnahme“ und „Erledigung“ übermittelt werden. Ein Abgangsdatum ist auf der in die Verwaltungsakte der Beklagten abgehefteten Kopie des „Kurzbriefs“ nicht vermerkt. Der Kläger hat (in der Berufungsbegründung) angegeben, er habe nur den „Kurzbrief“ erhalten.
In einem Schreiben vom 6.9.2019 verweist die Beigeladene die Beklagte wegen einer Terminabsprache an den Kläger. Dieser sei im Besitz aller Schlüssel und von ihr darüber informiert worden, dass sich die Stadtverwaltung bezüglich eines Begehungstermins mit ihm in Verbindung setzen werde.
Am 18.9.2019 kam es zu einem telefonischen Kontakt zwischen dem Kläger und der Beklagten. Der „Kurzbrief“ und das Schreiben an die Beigeladene vom 30.8.2019 wurden ihm hierauf - noch am 18.9.2019 - per Mail übermittelt. In der Mail heißt es u. a.: „Wie vereinbart, würden Sie sich nach Durchsicht der Unterlagen zwecks der weiteren Vorgehensweise wieder bei mir melden.“
10 
Am 25.9.2019 schlossen die Beigeladene und der Kläger einen „Nachtrag zum Kaufvertrag vom 25.07.2019“. Der „Nachtrag“ lautet auszugsweise:
11 
II    
 Geänderte Sachverhalte
 Die Beteiligten ändern und ergänzen den geschlossenen Kaufvertrag wie folgt:
 Der Käufer hat im Vorfeld der Beurkundung und seit her unter Ausnutzung der bestehenden Baugenehmigung und Beachtung des bestehenden Brandschutzgutachtens Renovierungs- und Ausbaumaßnahmen in dem Gebäude xxxxxxxxxxxxxxxxxx, Flurstück Nummer xxx vorgenommen. Die einzelnen Maßnahmen sind in der Anlage zu diesem Nachtrag aufgeführt. Ebenso sind die dafür durch den Käufer erbrachten und getätigten Aufwendungen im Einzelnen erfasst. Die Aufwendungen umfassen einen Gesamtbetrag in Höhe von (Betrag 106.750,-- EUR). Die Aufwendungen wurden im Hinblick darauf erbracht, dass der Käufer darauf vertraut hat, künftig Eigentümer des Kaufobjekts zu werden. Die mögliche Ausübung eines Vorkaufsrechts wurde dabei nicht beachtet.
 Die Beteiligten sind darüber einig, dass die erbrachten Aufwendungen sich im vollen Umfang werterhöhend auf das Kaufobjekt ausgewirkt haben. Nach Durchführung der Renovierungsarbeiten wurden die Arbeiten zum Brandschutz durch die Stadt xxxxxxxxxxx abgenommen. Danach wurde das Kaufobjekt wieder als Hotel verpachtet.
 Durch die vom Käufer vorgenommenen Arbeiten schuldete der Verkäufer dem Käufer Aufwendungsersatz in Höhe von 106.750,-- EUR. Da es sich hierbei um Bauleistungen handelt, kommt die Mehrwertsteuer mit 19 %, also 20.283,-- EUR hinzu, so dass der Gesamtaufwendungsersatz 127.033,-- EUR beträgt.
 III   
 Vertragsänderungen, Anpassungen
 Im Hinblick auf diese Sachverhalte wird der Kaufvertrag wie folgt geändert:
 Abschnitt III wird insgesamt neu gefasst:
 Kaufpreis
 1. Der Kaufpreis beträgt
                                                                                    1.456.750,-- EUR
 (in Worten: eine Million vierhundertsechsundfünfzigtausendsiebenhundertfünfzig Euro).
 Der Kaufpreis setzt sich wie folgt zusammen:
 xxxxxxxxxxxxxxxxxxx (Grundstück mit Gebäude)            500.000 EUR
 Inventar gemäß Bilanz vom 31.12.2016                          100.000 EUR
 Aufwendungsersatz                                                        106.750 EUR
                                                                                       -------------
                                                                                       706.750 EUR
 xxxxxxxxxxxxxxxxxxxx (Grundstück mit Gebäude)750.000 EUR
 […]   
 […]   
12 
Eine Ausfertigung des „Nachtrags“ ging am 25.9.2019 bei der Beklagten ein.
13 
Der Gemeinderat der Beklagten beschloss in seiner Sitzung am 25.9.2019 einstimmig, „das der Stadt xxxxxxxxxx zustehende Vorkaufsrecht nach § 25 Baugesetzbuch (BauGB) am Verkaufsvorgang über die Grundstücke Flst. Nr. xxx und xxxxx, Gem. xxxxxxxxxx (Anwesen xxxxxxxxxxxxxxxxxxx und xx)“ auszuüben.
14 
Mit Bescheid vom 4.10.2019 übte die Beklagte gegenüber der Beigeladenen „das ihr zustehende Vorkaufsrecht aus hinsichtlich des Verkaufs des Grundstücks Gebäude und Freifläche xxxxxxxxxxxxxxxxxxx, Flurstück Nr. xxx, sowie des Grundstücks Gebäude und Freifläche xxxxxxxxxxxxxxxxx xx, Flurstück Nr. xxxxx durch Kaufvertrag vom 25. Juli 2019 des Notars […], UR-Nr. […]“. Zur Begründung führt die Beklagte u. a. aus: Grundlage für die Aufstellung der Satzung „Vorkaufsrecht Stadtmitte II“ sei ihr Ansinnen, das Zentrum des zentralen Versorgungsgebiets, welches gemäß der Definition ihres Einzelhandelskonzepts im Areal rings um das Hotel xxxxx mit dem xxxxxxxxxxxx sowie dem Kreuzungsbereich xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx-xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx gelegen sei, wieder aufzuwerten. Mit einer städtebaulichen Aufwertung dieser Fläche solle ein wesentlicher Impuls für die Erhaltung und Entwicklung der Funktionsfähigkeit ihrer Innenstadt gesetzt werden. Dies solle mit einer hochwertigen, ansprechenden und stadtmaßstäblich angepassten Architektur und der Ansiedlung von Einzelhandel, Gastronomie und Dienstleistungen erfolgen. Im Einzelhandelskonzept sei dabei u. a. die städtebauliche Neuordnung des Areals angedacht, um einen Einzelhandelsschwerpunkt mit gegebenenfalls größeren Einzelhandelsflächen für Betriebe mit großer Magnetwirkung für die Innenstadt bereitstellen zu können. Durch den Erwerb der Flurstücke Nr. xxx und Nr. xxxxx sowie den bereits erfolgten Erwerb des Flurstücks Nr. xxxxx ebenfalls durch Ausübung eines Vorkaufsrechts sichere sie sich marktfähige Flächen für eine zeitgemäße Einzelhandelsnutzung. Zusammen mit den bereits in ihrem Eigentum stehenden Flurstück Nr. xxxxx verfüge sie über Flächen, die eine zielgerichtete Flächenpolitik zur Stärkung des Einzelhandelsstandorts Innenstadt ermöglichten. Durch die Ausübung des Vorkaufsrechts greife sie in den zwischen der Beigeladenen und dem Kläger geschlossenen Vertrag ein. Der Eingriff habe zur Folge, dass beide Parteien des Vertrags ihre Absichten nicht würden umsetzen können. Der damit verbundene Eingriff sei jedoch verhältnismäßig. Wie dargelegt verfolge sie mit der Ausübung des Vorkaufsrechts ein legitimes städtebauliches Ziel. Der Erwerb der Flächen sei geeignet, das städtebauliche Ziel umzusetzen, da sich städtebauliche Maßnahmen leichter umsetzen ließen, wenn die planende Kommune über Flächen im Plangebiet verfüge. Mildere, aber gleich geeignete Mittel zur Erreichung des Ziels seien nicht ersichtlich. Insbesondere lasse sich durch vertragliche Vereinbarungen mit der Beigeladenen bzw. dem Kläger nicht im gleichen Maß sicherstellen, dass die städtebaulichen Zielsetzungen erreicht würden. Letztlich überwögen auch die städtebaulichen und öffentlichen Interessen gegenüber den privaten Interessen der Beigeladenen und des Klägers. Durch die Ausübung des Vorkaufsrechts komme ein Vertrag zwischen der Beigeladenen und ihr unter den Bestimmungen zustande, die die Beigeladene mit dem Kläger vereinbart hätten. Beachtliche nachteilige Auswirkungen, insbesondere wirtschaftlicher Art ergäben sich aufgrund der gesetzlichen Regelungen nicht. Soweit der Kläger vergeblichen Aufwand vor Abschluss des Vertrags betrieben habe, führe die Ausübung des Vorkaufsrechts für ihn zu Nachteilen. Allerdings überwögen die Interessen der Allgemeinheit an der geordneten städtebaulichen Entwicklung diese Nachteile.
15 
Gegen den Bescheid erhob der Kläger durch seine heutigen Prozessbevollmächtigten am 24.10.2019 Widerspruch. Nachfolgend übermittelte die Beklagte den Prozessbevollmächtigten eine Kopie der Satzung „Vorkaufsrecht Stadtmitte II“; sie bat diese ferner um Begründung des Widerspruchs bis zum 31.1.2020. An diesem Tag ging bei der Beklagten eine solche ein.
16 
Mit Urteil vom 29.4.2021 hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe die Klage des Klägers vom 28.4.2020 gegen den Bescheid vom 4.10.2019 abgewiesen. Zur Begründung hat es u. a. ausgeführt: Rechtsgrundlage des Bescheids vom 4.10.2019 sei § 25 Abs. 1 Nr. 2 BauGB i. V. m. der Satzung „Vorkaufsrecht Stadtmitte II“. Die Satzung sei wirksam. Die Ausübung des Vorkaufsrechts durch den Bescheid sei formell rechtmäßig. Dem Bescheid liege ein formell rechtmäßiger Gemeinderatsbeschluss zugrunde. Es sei eine den Anforderungen des § 28 Abs. 1 LVwVfG noch genügende Anhörung der Beteiligten durchgeführt worden. Der Bescheid sei auch materiell rechtmäßig. Gegen die Wirksamkeit des Vertrags vom 25.7.2019 bestünden keine Bedenken. Sie werde durch die Änderungen im Nachtragskaufvertrag nicht berührt; diese beträfe lediglich die Änderung von Modalitäten. Das Wohl der Allgemeinheit rechtfertige die Ausübung des Vorkaufsrechts. Der Rechtmäßigkeit der Ausübung des Vorkaufsrechts stehe nicht entgegen, dass die Beklagte im Bescheid vom 4.10.2019 keinen konkreten Verwendungszweck angegeben habe. Ein Ausschlussgrund nach § 26 BauGB liege nicht vor. Ein Abwendungsrecht bestehe nicht. Es lägen auch keine Ermessensfehler vor.
17 
Auf Antrag des Klägers hat der Senat mit Beschluss vom 17.12.2021 (3 S 2241/21) die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen. Der Beschluss wurde dem Kläger am 30.12.2021 zugestellt.
18 
Am 24.1.2022 hat der Kläger die Berufung begründet. Er trägt u. a. vor: Die Beigeladene und er seien nicht in ausreichendem Maße angehört worden. Zudem fehle es an dem erforderlichen Ratsbeschluss über die Ausübung des Vorkaufsrechts. Nur der Kaufvertrag vom 25.7.2019 sei Grundlage der Gemeinderatssitzung gewesen und nur über diesen sei abgestimmt worden. Der Nachtrag sei nicht Gegenstand der Beratung des Gemeinderats gewesen. Der Kaufvertrag vom 25.7.2019 sei zum Zeitpunkt des Ratsbeschlusses wirksam geändert gewesen. Grund für den Nachtrag sei der Umstand gewesen, dass er Sanierungsarbeiten in der genannten Größenordnung durchgeführt gehabt habe. Der Bescheid vom 4.10.2019 sei ermessensfehlerhaft. Die Annahme der Beklagten, sie habe ein legitimes städtebauliches Ziel verfolgt, sei mit Vorsicht zu genießen. Die Fläche sei nicht geeignet, das städtebauliche Ziel umzusetzen. Denn es gebe für die maßgeblichen Grundstücke einen Bebauungsplan, der schon vorschreibe und festlege, wie die Fläche zu bebauen sei. Seine privaten Interessen, die dem Gemeinderat nicht bekannt gewesen seien, seien bei den ganzen Überlegungen überhaupt nicht berücksichtigt worden. Insbesondere hätte die Beklagte berücksichtigen müssen, dass er aufgrund ihrer Verfügung den Brandschaden behoben und damit die bauliche Anlage wiederhergestellt habe. Es sei von einem Ermessensdefizit auszugehen, da sich die Beklagte mit dem Nachtragskaufvertrag nicht auseinandergesetzt habe.
19 
Der Kläger beantragt,
20 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 29. April 2021 - 14 K 1958/20 - zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 4. Oktober 2019 aufzuheben
21 
sowie
22 
die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.
23 
Die Beklagte beantragt,
24 
die Berufung zurückzuweisen.
25 
Die Beklagte verteidigt das Urteil des Verwaltungsgerichts. Sie trägt u. a. vor: Zwar habe sich ihr Gemeinderat am 25.9.2019 nicht mit dem Nachtrag zum Kaufvertrag befasst, doch begründe dies keinen zur Rechtswidrigkeit des Gemeinderatsbeschlusses führenden Fehler. Die Änderungen des ursprünglichen Kaufvertrags durch den Nachtrag vom 25.9.2019 seien nicht Gegenstand des durch die Ausübung des Vorkaufsrechts zwischen der Beigeladenen und ihr zustande gekommenen Kaufvertrags geworden. Selbst wenn die Änderung des ursprünglichen Kaufvertrags Auswirkungen auf den Inhalt des Zweitvertrags gehabt hätte, würde die Nichtbefassung des Gemeinderats mit dem Nachtrag keinen Verstoß gegen Vorschriften der Gemeindeordnung begründen. Sie habe den Kläger und die Beigeladene ordnungsgemäß angehört. Der Nachtrag führe zu keinem neuen oder anderen Vorkaufsfall. Selbst wenn sie gezwungen wäre, den Inhalt des Zweitvertrags bereits im Ausübungsbescheid zu bestimmen, wäre der Ausübungsbescheid vom 4.10.2019 so auszulegen, dass er den Kaufvertrag in der Fassung betreffe, wie er der Gemeinde zum Zeitpunkt des Versands des Ausübungsbescheids bekannt gewesen sei. Aus dem Nachtrag ergäben sich keine Gesichtspunkte, welche sie zusätzlich zu den im Ausübungsbescheid angegebenen Erwägungen noch zugunsten des Klägers in ihre Ermessensentscheidung hätte einbeziehen müssen. Sie bekräftige, dass sie das Vorkaufsrecht auch zu dem im Nachtrag genannten Kaufpreis ausüben wolle.
26 
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
27 
Dem Senat liegen die Akten des Verwaltungsgerichts, die Akten der Beklagten zur Ausübung des Vorkaufsrechts, die Akten der Beklagten zur Satzung „Vorkaufsrecht Stadtmitte II“, der Bebauungsplan „Innenstadt“ der Beklagten und das Stadtmarketing- und Stadtentwicklungskonzept xxxxxxxxxx vom Januar 2014 vor. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten bzw. Unterlagen und die im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof gewechselten Schriftsätze mit Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

28 
Die vom Senat zugelassene und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers hat Erfolg. Die zulässige Klage des Klägers ist begründet.
29 
I. Die Klage ist zulässig. Sie ist als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO statthaft. Die Voraussetzungen des § 75 VwGO für eine Zulässigkeit der Klage abweichend von § 68 VwGO sind erfüllt. Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat waren seit Erhebung des Widerspruchs mehr als zweieinhalb Jahre vergangen. Ein zureichender Grund dafür, dass die Beklagte (zu deren Zuständigkeit s. § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 VwGO, § 17 Abs. 1 AGVwGO, § 119 Satz 1 Hs. 2 GemO) über den Widerspruch des Klägers vom Oktober 2019 nicht entschieden hatte, ist weder von ihr geltend gemacht worden noch ersichtlich.
30 
Auch wenn der Kläger nicht Adressat des Bescheids vom 4.10.2019 ist, ist er klagebefugt i. S. des § 42 Abs. 2 VwGO. Die Ausübung des Vorkaufsrechts durch eine Gemeinde ist ein privatrechtsgestaltender Verwaltungsakt, der sich auch gegenüber dem Käufer als belastender Verwaltungsakt darstellt (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 23.6.2015 - 8 S 1386/14 - juris Rn. 36 m. w. N.).
31 
II. Die Klage ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 4.10.2019 ist zulasten des Klägers rechtswidrig (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
32 
1. Maßgebliche Sach- und Rechtslage für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausübung eines (gemeindlichen) Vorkaufsrechts ist grundsätzlich diejenige zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (Senatsurt. v. 30.9.2021 - 3 S 2595/20 - juris Rn. 24; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 9.11.2021 - 4 C 1.20 - juris Rn. 21). Da das Widerspruchsverfahren noch nicht durch den Erlass eines Widerspruchsbescheids abgeschlossen ist, ist vorliegend - ausnahmsweise - auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat abzustellen.
33 
2. Rechtsgrundlage des Bescheids vom 4.10.2019 sind § 28 Abs. 2 Satz 1, § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB i. V. m. der Satzung „Vorkaufsrecht Stadtmitte II“.
34 
Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB kann die Gemeinde in Gebieten, in denen sie städtebauliche Maßnahmen in Betracht zieht, zur Sicherung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung durch Satzung Flächen bezeichnen, an denen ihr ein Vorkaufsrecht an den Grundstücken zusteht. Auf dieser Rechtsgrundlage hat die Beklagte die Satzung „Vorkaufsrecht Stadtmitte II“ erlassen, gegen deren Rechtmäßigkeit der Kläger im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof keine Einwände erhoben hat.
35 
Das Vorkaufsrecht - und damit auch das auf der Grundlage von § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB begründete satzungsrechtliche Vorkaufsrecht - kann nach § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB durch Verwaltungsakt gegenüber dem Verkäufer ausgeübt werden.
36 
3. Der Bescheid vom 4.10.2019 ist bereits formell rechtswidrig. Der Kläger ist vor Erlass des Bescheids nicht ordnungsgemäß angehört worden (dazu a)). Der Anhörungsmangel ist auch nicht geheilt worden (dazu b)). Ob die Beigeladene vor Erlass des Bescheids ordnungsgemäß angehört worden ist, bedarf keiner Entscheidung. Der Kläger könnte sich auf eine rechtsfehlerhafte Anhörung der Beigeladenen nicht berufen (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO: „dadurch“). Der Bescheid vom 4.10.2019 ist der Beigeladenen gegenüber bestandskräftig geworden.
37 
a) Der Kläger ist vor Erlass des Bescheids vom 4.10.2019 nicht ordnungsgemäß angehört worden.
38 
aa) Nach § 28 Abs. 1 LVwVfG ist, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern.
39 
bb) Der Kläger als Käufer des Vertrags vom 25.7.2019 musste vor Erlass des Bescheids vom 4.10.2019 angehört werden (vgl. auch BayVGH, Urt. v. 2.10.2013 - 1 BV 11.1944 - juris Rn. 32). Denn die Ausübung eines Vorkaufsrechts nach § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB hat zur Folge, dass der im (Erst-)Vertrag begründete Anspruch auf Übereignung des Grundstücks von der Beigeladenen (als Verkäuferin) nicht mehr erfüllt werden kann.
40 
cc) Der Senat muss, auch nach den diesbezüglichen Erörterungen in der mündlichen Verhandlung, davon ausgehen, dass der Kläger zunächst nur den Kurzbrief vom 3.9.2019 erhalten hat und ihm das an die Beigeladene gerichtete Schreiben vom 30.8.2019 erst per Mail am 18.9.2019 übermittelt worden ist.
41 
dd) Mit der Übersendung des Kurzbriefs und dem Schreiben sowie mit den Ausführungen in der Mail wurde dem Kläger nicht i. S. v. § 28 Abs. 1 LVwVfG Gelegenheit gegeben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Dazu ist jedenfalls erforderlich, dass die anhörende Behörde dem Betroffenen hinreichend deutlich macht, dass sie ihm Gelegenheit zur Äußerung einräumt (vgl. nur Kallerhoff/Mayen in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 28 Rn. 35). Bereits an dieser Voraussetzung fehlt es.
42 
In dem Kurzbrief ist lediglich von der Bitte um „Kenntnisnahme“ und „Erledigung“ die Rede. Zwar wäre denkbar, dass der Kläger die Übermittlung des Schreibens vom 30.8.2019 so hätte verstehen müssen, dass er ebenfalls angehört werden sollte. Indes kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Beigeladene mit diesem Schreiben angehört worden ist. In dem Schreiben teilt die Beklagte der Beigeladenen mit, dass ihr Gemeinderat über die Ausübung des Vorkaufsrechts in seiner Sitzung am 25.9.2019 entscheiden werde und dass zur „Vorbereitung des Sachvortrages für die Mitglieder des Gemeinderats“ eine Besichtigung des Kaufobjekts notwendig sei. Die Beklagte bittet sodann die Beigeladene, Verwaltungsmitarbeitern eine solche Besichtigung zu ermöglichen, und sich diesbezüglich mit der Beklagten in Verbindung zu setzen. Dass sich die Beigeladene zu der Ausübung des Vorkaufsrechts äußern - und insoweit Einfluss auf den Sachvortrag nehmen - darf, kann dem Schreiben nicht entnommen werden; nicht zuletzt wird der Beigeladenen darin auch keine Frist zur Äußerung gesetzt. Mit dem Schreiben vom 30.8.2019 wurde die Beigeladene auch deshalb nicht ordnungsgemäß angehört, weil die Beklagte keine Gründe dafür nennt, weshalb sie in Erwägung zieht, das Vorkaufsrecht auszuüben. Die Gelegenheit, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern, setzt aber notwendigerweise voraus, dass diese Tatsachen dem Betroffenen mitgeteilt werden (vgl. nur Grünewald in Obermayer/Funke-Kaiser, VwVfG, 6. Aufl. 2021, § 28 Rn. 20).
43 
Eine den gesetzlichen Anforderungen genügende Anhörung erfolgte auch nicht unter Berücksichtigung der Ausführungen in der Mail der Beklagten an den Kläger vom 18.9.2019. In dieser wird im Wesentlichen festgehalten, es sei vereinbart, dass sich der Kläger „nach Durchsicht der Unterlagen zwecks der weiteren Vorgehensweise“ wieder bei der Unterzeichnerin melden werde. Daraus wird nach Auffassung des Senats nicht hinreichend deutlich, dass dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt werden soll. Eine Mitteilung eventuell entscheidungserheblicher Tatsachen ist in der Mail vom 18.9.2019 ebenfalls nicht enthalten.
44 
ee) Die von den Beteiligten problematisierte Frage, ob eine Äußerungsfrist von einer Woche (Übersendung am 18.9.2019 und Gemeinderatssitzung am 25.9.2019) angemessen war bzw. gewesen wäre, braucht nach Vorstehendem nicht entschieden zu werden.
45 
b) Die Anhörung ist auch nicht zwischenzeitlich nachgeholt worden.
46 
aa) Nach § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 LVwVfG kann die erforderliche Anhörung bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden.
47 
bb) Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (s. etwa jüngst Urt. v. 22.2.2022 - 4 A 7.20 - juris Rn. 25 m. w. N.) setzt eine Heilung voraus, dass die Anhörung nachträglich ordnungsgemäß durchgeführt und ihre Funktion für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht wird. Diese Aufgabe besteht nicht allein darin, dass der Betroffene seine Einwendungen vorbringen kann und diese von der Behörde zur Kenntnis genommen werden, sondern schließt vielmehr ein, dass die Behörde ein etwaiges Vorbringen bei ihrer Entscheidung in Erwägung zieht. Dementsprechend reichen Äußerungen und Stellungnahmen von Beteiligten im gerichtlichen Verfahren als solche zur Heilung einer zunächst unterbliebenen Anhörung nicht aus. Eine funktionsgerecht nachgeholte Anhörung setzt vielmehr voraus, dass sich die Behörde nicht darauf beschränkt, die einmal getroffene Sachentscheidung zu verteidigen, sondern das Vorbringen des Betroffenen erkennbar zum Anlass nimmt, die Entscheidung kritisch zu überdenken.
48 
cc) Gelegenheit zur Stellungnahme hat die Beklagte dem Kläger bereits mit dem Schreiben vom 20.12.2019 eingeräumt. In diesem Schreiben bittet sie den Kläger, dem die aus Sicht der Beklagten entscheidungserheblichen Tatsachen aufgrund des Bescheids vom 4.10.2019 bekannt waren, den Widerspruch bis zum 31.1.2020 zu begründen. Dem ist der Kläger auch nachgekommen.
49 
dd) Eine Heilung des Anhörungsmangels hätte allerdings auch eine erneute Entscheidung des Gemeinderats der Beklagten unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers vorausgesetzt. Eine solche Entscheidung hat aber, was einer der Prozessbevollmächtigten der Beklagten auf diesbezügliche Nachfrage des Senats in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich bestätigt hat, der Gemeinderat der Beklagten bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht getroffen.
50 
Das für die Entscheidung über die Ausübung des Vorkaufsrechts im vorliegenden Fall zuständige Organ ist der Gemeinderat der Beklagten, nicht die vom (Ober-)Bürgermeister (gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1, § 44 Abs. 1 Satz 1 GemO) geleitete Verwaltung. Bei der Ausübung des Vorkaufsrechts handelt es nicht um ein Geschäft der laufenden Verwaltung i. S. des § 44 Abs. 2 Satz 1 GemO. Hiervon geht offensichtlich auch die Beklagte aus. Solche Geschäfte sind im Wesentlichen dadurch gekennzeichnet, dass sie weder nach der grundsätzlichen Seite noch für den Gemeindehaushalt von erheblicher Bedeutung sind und zu den normalerweise anfallenden Geschäften der Gemeinde gehören (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 19.10.2021 - 1 S 2579/21 - juris Rn. 67). Beide Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Der von der Beklagten an die Klägerin zu zahlende Kaufpreis beträgt jedenfalls mehr als eine Million Euro. Es liegt auf der Hand, dass ein Erwerb zu einem solchen Betrag in einer Gemeinde wie der Beklagten mit etwas mehr als 20.000 Einwohnern von erheblicher haushaltsrechtlicher Relevanz ist. Dies wird auch dadurch untermauert, dass nach der am 25.9.2019 geltenden Hauptsatzung der Beklagten ihrem Oberbürgermeister die Ausübung von Vorkaufsrechten (nur) „bis zu einem Wert bis zu 40.000 EUR im Einzelfall“ übertragen war (§ 10 Abs. 2 Nr. 2.9). Es spricht auch nichts dafür, dass ein Grundstücksgeschäft mit einem Volumen von über einer Million Euro bei der Beklagten ein normaler, gleichsam alltäglicher Vorgang ist. Aus vorstehendem Hinweis auf die seinerzeit geltende Hauptsatzung ergibt sich zugleich, dass die Ausübung des Vorkaufsrechts nicht ein Geschäft war, das der Gemeinderat dem Oberbürgermeister zur Erledigung in eigener Zuständigkeit übertragen hatte (vgl. § 44 Abs. 2 Satz 1 GemO).
51 
4. Der Bescheid vom 4.10.2019 ist auch materiell rechtswidrig.
52 
a) Das der Beklagten bei der Ausübung des Rechts zur Ausübung des Vorkaufsrechts eingeräumte Ermessen hat diese zulasten des Klägers fehlerhaft ausgeübt.
53 
aa) Ist für die Entscheidung über die Ausübung des Rechts zur Ausübung des Vorkaufsrechts - wie im vorliegenden Fall - gemeindeintern der Gemeinderat zuständig, so hat dieser das der Gemeinde eingeräumte Ermessen auszuüben. Die Ermessensausübung durch den Gemeinderat ist dann auch Gegenstand der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle gemäß § 114 Satz 1 VwGO. Die Ermessenserwägungen in dem von der Gemeindeverwaltung in Vollzug des Gemeinderatsbeschlusses erlassenen Ausübungsbescheid sind hingegen nicht von ausschlaggebender Bedeutung; sie sind allenfalls ein Indiz dafür, dass der Gemeinderat entsprechende Ermessenserwägungen angestellt hat. Unbeachtlich sind auch im Prozess nachgeschobene Ermessenserwägungen (vgl. § 114 Satz 2 VwGO), sofern diese nicht auf einer Befassung des Gemeinderats beruhen.
54 
Soweit ein Prozessbevollmächtigter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen hat, dass eine Ermessensausübung durch den Gemeinderat auf praktische Schwierigkeiten stößt, ist dem zum einen entgegenzuhalten, dass die Ermessensausübung durch den Gemeinderat zwingende Folge von dessen Entscheidungszuständigkeit ist. Zum anderen scheinen die praktischen Schwierigkeiten nicht unüberwindbar zu sein. Insbesondere ist es denkbar, dass in der Vorlage für den Gemeinderat die maßgeblichen Erwägungen für die Ausübung des Ermessens enthalten sind und der Gemeinderat sich diese zu eigen macht (entsprechend der Praxis in Bebauungsplanverfahren, dass der Gemeinderat seine Abwägungsentscheidung in der Weise trifft, dass er einem ihm vorgelegten Abwägungsvorschlag zustimmt).
55 
bb) Es ist bereits zweifelhaft, ob dem Gemeinderat der Beklagten bewusst war, dass Ermessen auszuüben war. Auf die Notwendigkeit einer Ermessensentscheidung wird weder in der Beschlussvorlage vom 27.8.2019 noch in der für die Gemeinderatssitzung erstellten Präsentation ausdrücklich hingewiesen. Auch der Niederschrift über die Gemeinderatssitzung lässt sich dies nicht mit hinreichender Sicherheit entnehmen. Der Frage braucht jedoch nicht weiter nachgegangen zu werden.
56 
Denn jedenfalls war dem Gemeinderat der Beklagten, wie sie im Berufungsverfahren ausdrücklich eingeräumt hat, der „Nachtrag zum Kaufvertrag vom 25.07.2019“ nicht bekannt. Er konnte damit das besondere Erwerbsinteresse des Klägers, das über das Erwerbsinteresse hinausgeht, das ein (Erst-)Käufer regelmäßig hat, nicht berücksichtigen. Dies führt zur Fehlerhaftigkeit der (Ermessens-)Entscheidung zu Lasten des Klägers.
57 
Aus dem „Nachtrag“ wird deutlich, dass der Kläger von der ihm im Vertrag vom 25.7.2019 eingeräumten Befugnis, werterhöhende Renovierungsarbeiten bereits vor der Übergabe des Kaufgegenstands (und dem Eigentumsübergang) vorzunehmen, bereits Gebrauch gemacht hat. Dass in dem Objekt Maßnahmen durchgeführt worden waren, war der Beklagten zudem aufgrund der „Schlussabnahme“ vom 27.8.2019 jedenfalls im Grundsatz bekannt. Da dem Gemeinderat der Beklagten diese bei der Ausübung des Ermessens zu berücksichtigende Information vorenthalten wurde, konnte er sich mit ihr bereits nicht beschäftigen. Dass sie (wohl) in dem Bescheid vom 4.10.2019 angesprochen ist („Aufwand vor Abschluss des Vertrags“), ist ohne Bedeutung, da die dortigen Erwägungen nicht von dem zuständigen Gemeinderat der Beklagten angestellt worden waren.
58 
cc) Zur Vermeidung von Missverständnissen weist der Senat darauf hin, dass er damit keine Aussage darüber getroffen hat, ob die Beigeladene und der Kläger nach Entstehen des Rechts zur Ausübung des Vorkaufsrechts mit dem Zustandekommen des Vertrags vom 25.7.2019 den Nachtrag mit Wirkung gegenüber der Beklagten ändern konnten. Entscheidend ist, dass sich aus dem Nachtrag Umstände ergeben haben, die in die Ermessensentscheidung der Beklagten einzustellen waren.
59 
Es spricht allerdings sehr viel dafür, dass mit der Übersendung des Nachtrags an die Beklagte die Zwei-Monats-Frist des damaligen § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB erneut zu laufen begann, so dass die Beklagte ausreichend Zeit gehabt hätte, dem Gemeinderat eine Befassung mit den Umständen zu ermöglichen.
60 
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO.
61 
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
62 
Beschluss vom 20. Juli 2022
63 
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren durch den Kläger wird für notwendig erklärt (vgl. § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO).
64 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
65 
Beschluss vom 20. Juli 2022
66 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 GKG i. V. m. der Empfehlung in Nr. 9.6.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt z. B. in Schoch/Schneider, VwGO, unter § 163) auf
67 
337.500 Euro
68 
festgesetzt.
69 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

28 
Die vom Senat zugelassene und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers hat Erfolg. Die zulässige Klage des Klägers ist begründet.
29 
I. Die Klage ist zulässig. Sie ist als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO statthaft. Die Voraussetzungen des § 75 VwGO für eine Zulässigkeit der Klage abweichend von § 68 VwGO sind erfüllt. Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat waren seit Erhebung des Widerspruchs mehr als zweieinhalb Jahre vergangen. Ein zureichender Grund dafür, dass die Beklagte (zu deren Zuständigkeit s. § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 VwGO, § 17 Abs. 1 AGVwGO, § 119 Satz 1 Hs. 2 GemO) über den Widerspruch des Klägers vom Oktober 2019 nicht entschieden hatte, ist weder von ihr geltend gemacht worden noch ersichtlich.
30 
Auch wenn der Kläger nicht Adressat des Bescheids vom 4.10.2019 ist, ist er klagebefugt i. S. des § 42 Abs. 2 VwGO. Die Ausübung des Vorkaufsrechts durch eine Gemeinde ist ein privatrechtsgestaltender Verwaltungsakt, der sich auch gegenüber dem Käufer als belastender Verwaltungsakt darstellt (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 23.6.2015 - 8 S 1386/14 - juris Rn. 36 m. w. N.).
31 
II. Die Klage ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 4.10.2019 ist zulasten des Klägers rechtswidrig (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
32 
1. Maßgebliche Sach- und Rechtslage für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausübung eines (gemeindlichen) Vorkaufsrechts ist grundsätzlich diejenige zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (Senatsurt. v. 30.9.2021 - 3 S 2595/20 - juris Rn. 24; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 9.11.2021 - 4 C 1.20 - juris Rn. 21). Da das Widerspruchsverfahren noch nicht durch den Erlass eines Widerspruchsbescheids abgeschlossen ist, ist vorliegend - ausnahmsweise - auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat abzustellen.
33 
2. Rechtsgrundlage des Bescheids vom 4.10.2019 sind § 28 Abs. 2 Satz 1, § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB i. V. m. der Satzung „Vorkaufsrecht Stadtmitte II“.
34 
Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB kann die Gemeinde in Gebieten, in denen sie städtebauliche Maßnahmen in Betracht zieht, zur Sicherung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung durch Satzung Flächen bezeichnen, an denen ihr ein Vorkaufsrecht an den Grundstücken zusteht. Auf dieser Rechtsgrundlage hat die Beklagte die Satzung „Vorkaufsrecht Stadtmitte II“ erlassen, gegen deren Rechtmäßigkeit der Kläger im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof keine Einwände erhoben hat.
35 
Das Vorkaufsrecht - und damit auch das auf der Grundlage von § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB begründete satzungsrechtliche Vorkaufsrecht - kann nach § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB durch Verwaltungsakt gegenüber dem Verkäufer ausgeübt werden.
36 
3. Der Bescheid vom 4.10.2019 ist bereits formell rechtswidrig. Der Kläger ist vor Erlass des Bescheids nicht ordnungsgemäß angehört worden (dazu a)). Der Anhörungsmangel ist auch nicht geheilt worden (dazu b)). Ob die Beigeladene vor Erlass des Bescheids ordnungsgemäß angehört worden ist, bedarf keiner Entscheidung. Der Kläger könnte sich auf eine rechtsfehlerhafte Anhörung der Beigeladenen nicht berufen (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO: „dadurch“). Der Bescheid vom 4.10.2019 ist der Beigeladenen gegenüber bestandskräftig geworden.
37 
a) Der Kläger ist vor Erlass des Bescheids vom 4.10.2019 nicht ordnungsgemäß angehört worden.
38 
aa) Nach § 28 Abs. 1 LVwVfG ist, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern.
39 
bb) Der Kläger als Käufer des Vertrags vom 25.7.2019 musste vor Erlass des Bescheids vom 4.10.2019 angehört werden (vgl. auch BayVGH, Urt. v. 2.10.2013 - 1 BV 11.1944 - juris Rn. 32). Denn die Ausübung eines Vorkaufsrechts nach § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB hat zur Folge, dass der im (Erst-)Vertrag begründete Anspruch auf Übereignung des Grundstücks von der Beigeladenen (als Verkäuferin) nicht mehr erfüllt werden kann.
40 
cc) Der Senat muss, auch nach den diesbezüglichen Erörterungen in der mündlichen Verhandlung, davon ausgehen, dass der Kläger zunächst nur den Kurzbrief vom 3.9.2019 erhalten hat und ihm das an die Beigeladene gerichtete Schreiben vom 30.8.2019 erst per Mail am 18.9.2019 übermittelt worden ist.
41 
dd) Mit der Übersendung des Kurzbriefs und dem Schreiben sowie mit den Ausführungen in der Mail wurde dem Kläger nicht i. S. v. § 28 Abs. 1 LVwVfG Gelegenheit gegeben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Dazu ist jedenfalls erforderlich, dass die anhörende Behörde dem Betroffenen hinreichend deutlich macht, dass sie ihm Gelegenheit zur Äußerung einräumt (vgl. nur Kallerhoff/Mayen in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 28 Rn. 35). Bereits an dieser Voraussetzung fehlt es.
42 
In dem Kurzbrief ist lediglich von der Bitte um „Kenntnisnahme“ und „Erledigung“ die Rede. Zwar wäre denkbar, dass der Kläger die Übermittlung des Schreibens vom 30.8.2019 so hätte verstehen müssen, dass er ebenfalls angehört werden sollte. Indes kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Beigeladene mit diesem Schreiben angehört worden ist. In dem Schreiben teilt die Beklagte der Beigeladenen mit, dass ihr Gemeinderat über die Ausübung des Vorkaufsrechts in seiner Sitzung am 25.9.2019 entscheiden werde und dass zur „Vorbereitung des Sachvortrages für die Mitglieder des Gemeinderats“ eine Besichtigung des Kaufobjekts notwendig sei. Die Beklagte bittet sodann die Beigeladene, Verwaltungsmitarbeitern eine solche Besichtigung zu ermöglichen, und sich diesbezüglich mit der Beklagten in Verbindung zu setzen. Dass sich die Beigeladene zu der Ausübung des Vorkaufsrechts äußern - und insoweit Einfluss auf den Sachvortrag nehmen - darf, kann dem Schreiben nicht entnommen werden; nicht zuletzt wird der Beigeladenen darin auch keine Frist zur Äußerung gesetzt. Mit dem Schreiben vom 30.8.2019 wurde die Beigeladene auch deshalb nicht ordnungsgemäß angehört, weil die Beklagte keine Gründe dafür nennt, weshalb sie in Erwägung zieht, das Vorkaufsrecht auszuüben. Die Gelegenheit, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern, setzt aber notwendigerweise voraus, dass diese Tatsachen dem Betroffenen mitgeteilt werden (vgl. nur Grünewald in Obermayer/Funke-Kaiser, VwVfG, 6. Aufl. 2021, § 28 Rn. 20).
43 
Eine den gesetzlichen Anforderungen genügende Anhörung erfolgte auch nicht unter Berücksichtigung der Ausführungen in der Mail der Beklagten an den Kläger vom 18.9.2019. In dieser wird im Wesentlichen festgehalten, es sei vereinbart, dass sich der Kläger „nach Durchsicht der Unterlagen zwecks der weiteren Vorgehensweise“ wieder bei der Unterzeichnerin melden werde. Daraus wird nach Auffassung des Senats nicht hinreichend deutlich, dass dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt werden soll. Eine Mitteilung eventuell entscheidungserheblicher Tatsachen ist in der Mail vom 18.9.2019 ebenfalls nicht enthalten.
44 
ee) Die von den Beteiligten problematisierte Frage, ob eine Äußerungsfrist von einer Woche (Übersendung am 18.9.2019 und Gemeinderatssitzung am 25.9.2019) angemessen war bzw. gewesen wäre, braucht nach Vorstehendem nicht entschieden zu werden.
45 
b) Die Anhörung ist auch nicht zwischenzeitlich nachgeholt worden.
46 
aa) Nach § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 LVwVfG kann die erforderliche Anhörung bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden.
47 
bb) Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (s. etwa jüngst Urt. v. 22.2.2022 - 4 A 7.20 - juris Rn. 25 m. w. N.) setzt eine Heilung voraus, dass die Anhörung nachträglich ordnungsgemäß durchgeführt und ihre Funktion für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht wird. Diese Aufgabe besteht nicht allein darin, dass der Betroffene seine Einwendungen vorbringen kann und diese von der Behörde zur Kenntnis genommen werden, sondern schließt vielmehr ein, dass die Behörde ein etwaiges Vorbringen bei ihrer Entscheidung in Erwägung zieht. Dementsprechend reichen Äußerungen und Stellungnahmen von Beteiligten im gerichtlichen Verfahren als solche zur Heilung einer zunächst unterbliebenen Anhörung nicht aus. Eine funktionsgerecht nachgeholte Anhörung setzt vielmehr voraus, dass sich die Behörde nicht darauf beschränkt, die einmal getroffene Sachentscheidung zu verteidigen, sondern das Vorbringen des Betroffenen erkennbar zum Anlass nimmt, die Entscheidung kritisch zu überdenken.
48 
cc) Gelegenheit zur Stellungnahme hat die Beklagte dem Kläger bereits mit dem Schreiben vom 20.12.2019 eingeräumt. In diesem Schreiben bittet sie den Kläger, dem die aus Sicht der Beklagten entscheidungserheblichen Tatsachen aufgrund des Bescheids vom 4.10.2019 bekannt waren, den Widerspruch bis zum 31.1.2020 zu begründen. Dem ist der Kläger auch nachgekommen.
49 
dd) Eine Heilung des Anhörungsmangels hätte allerdings auch eine erneute Entscheidung des Gemeinderats der Beklagten unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers vorausgesetzt. Eine solche Entscheidung hat aber, was einer der Prozessbevollmächtigten der Beklagten auf diesbezügliche Nachfrage des Senats in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich bestätigt hat, der Gemeinderat der Beklagten bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht getroffen.
50 
Das für die Entscheidung über die Ausübung des Vorkaufsrechts im vorliegenden Fall zuständige Organ ist der Gemeinderat der Beklagten, nicht die vom (Ober-)Bürgermeister (gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1, § 44 Abs. 1 Satz 1 GemO) geleitete Verwaltung. Bei der Ausübung des Vorkaufsrechts handelt es nicht um ein Geschäft der laufenden Verwaltung i. S. des § 44 Abs. 2 Satz 1 GemO. Hiervon geht offensichtlich auch die Beklagte aus. Solche Geschäfte sind im Wesentlichen dadurch gekennzeichnet, dass sie weder nach der grundsätzlichen Seite noch für den Gemeindehaushalt von erheblicher Bedeutung sind und zu den normalerweise anfallenden Geschäften der Gemeinde gehören (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 19.10.2021 - 1 S 2579/21 - juris Rn. 67). Beide Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Der von der Beklagten an die Klägerin zu zahlende Kaufpreis beträgt jedenfalls mehr als eine Million Euro. Es liegt auf der Hand, dass ein Erwerb zu einem solchen Betrag in einer Gemeinde wie der Beklagten mit etwas mehr als 20.000 Einwohnern von erheblicher haushaltsrechtlicher Relevanz ist. Dies wird auch dadurch untermauert, dass nach der am 25.9.2019 geltenden Hauptsatzung der Beklagten ihrem Oberbürgermeister die Ausübung von Vorkaufsrechten (nur) „bis zu einem Wert bis zu 40.000 EUR im Einzelfall“ übertragen war (§ 10 Abs. 2 Nr. 2.9). Es spricht auch nichts dafür, dass ein Grundstücksgeschäft mit einem Volumen von über einer Million Euro bei der Beklagten ein normaler, gleichsam alltäglicher Vorgang ist. Aus vorstehendem Hinweis auf die seinerzeit geltende Hauptsatzung ergibt sich zugleich, dass die Ausübung des Vorkaufsrechts nicht ein Geschäft war, das der Gemeinderat dem Oberbürgermeister zur Erledigung in eigener Zuständigkeit übertragen hatte (vgl. § 44 Abs. 2 Satz 1 GemO).
51 
4. Der Bescheid vom 4.10.2019 ist auch materiell rechtswidrig.
52 
a) Das der Beklagten bei der Ausübung des Rechts zur Ausübung des Vorkaufsrechts eingeräumte Ermessen hat diese zulasten des Klägers fehlerhaft ausgeübt.
53 
aa) Ist für die Entscheidung über die Ausübung des Rechts zur Ausübung des Vorkaufsrechts - wie im vorliegenden Fall - gemeindeintern der Gemeinderat zuständig, so hat dieser das der Gemeinde eingeräumte Ermessen auszuüben. Die Ermessensausübung durch den Gemeinderat ist dann auch Gegenstand der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle gemäß § 114 Satz 1 VwGO. Die Ermessenserwägungen in dem von der Gemeindeverwaltung in Vollzug des Gemeinderatsbeschlusses erlassenen Ausübungsbescheid sind hingegen nicht von ausschlaggebender Bedeutung; sie sind allenfalls ein Indiz dafür, dass der Gemeinderat entsprechende Ermessenserwägungen angestellt hat. Unbeachtlich sind auch im Prozess nachgeschobene Ermessenserwägungen (vgl. § 114 Satz 2 VwGO), sofern diese nicht auf einer Befassung des Gemeinderats beruhen.
54 
Soweit ein Prozessbevollmächtigter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen hat, dass eine Ermessensausübung durch den Gemeinderat auf praktische Schwierigkeiten stößt, ist dem zum einen entgegenzuhalten, dass die Ermessensausübung durch den Gemeinderat zwingende Folge von dessen Entscheidungszuständigkeit ist. Zum anderen scheinen die praktischen Schwierigkeiten nicht unüberwindbar zu sein. Insbesondere ist es denkbar, dass in der Vorlage für den Gemeinderat die maßgeblichen Erwägungen für die Ausübung des Ermessens enthalten sind und der Gemeinderat sich diese zu eigen macht (entsprechend der Praxis in Bebauungsplanverfahren, dass der Gemeinderat seine Abwägungsentscheidung in der Weise trifft, dass er einem ihm vorgelegten Abwägungsvorschlag zustimmt).
55 
bb) Es ist bereits zweifelhaft, ob dem Gemeinderat der Beklagten bewusst war, dass Ermessen auszuüben war. Auf die Notwendigkeit einer Ermessensentscheidung wird weder in der Beschlussvorlage vom 27.8.2019 noch in der für die Gemeinderatssitzung erstellten Präsentation ausdrücklich hingewiesen. Auch der Niederschrift über die Gemeinderatssitzung lässt sich dies nicht mit hinreichender Sicherheit entnehmen. Der Frage braucht jedoch nicht weiter nachgegangen zu werden.
56 
Denn jedenfalls war dem Gemeinderat der Beklagten, wie sie im Berufungsverfahren ausdrücklich eingeräumt hat, der „Nachtrag zum Kaufvertrag vom 25.07.2019“ nicht bekannt. Er konnte damit das besondere Erwerbsinteresse des Klägers, das über das Erwerbsinteresse hinausgeht, das ein (Erst-)Käufer regelmäßig hat, nicht berücksichtigen. Dies führt zur Fehlerhaftigkeit der (Ermessens-)Entscheidung zu Lasten des Klägers.
57 
Aus dem „Nachtrag“ wird deutlich, dass der Kläger von der ihm im Vertrag vom 25.7.2019 eingeräumten Befugnis, werterhöhende Renovierungsarbeiten bereits vor der Übergabe des Kaufgegenstands (und dem Eigentumsübergang) vorzunehmen, bereits Gebrauch gemacht hat. Dass in dem Objekt Maßnahmen durchgeführt worden waren, war der Beklagten zudem aufgrund der „Schlussabnahme“ vom 27.8.2019 jedenfalls im Grundsatz bekannt. Da dem Gemeinderat der Beklagten diese bei der Ausübung des Ermessens zu berücksichtigende Information vorenthalten wurde, konnte er sich mit ihr bereits nicht beschäftigen. Dass sie (wohl) in dem Bescheid vom 4.10.2019 angesprochen ist („Aufwand vor Abschluss des Vertrags“), ist ohne Bedeutung, da die dortigen Erwägungen nicht von dem zuständigen Gemeinderat der Beklagten angestellt worden waren.
58 
cc) Zur Vermeidung von Missverständnissen weist der Senat darauf hin, dass er damit keine Aussage darüber getroffen hat, ob die Beigeladene und der Kläger nach Entstehen des Rechts zur Ausübung des Vorkaufsrechts mit dem Zustandekommen des Vertrags vom 25.7.2019 den Nachtrag mit Wirkung gegenüber der Beklagten ändern konnten. Entscheidend ist, dass sich aus dem Nachtrag Umstände ergeben haben, die in die Ermessensentscheidung der Beklagten einzustellen waren.
59 
Es spricht allerdings sehr viel dafür, dass mit der Übersendung des Nachtrags an die Beklagte die Zwei-Monats-Frist des damaligen § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB erneut zu laufen begann, so dass die Beklagte ausreichend Zeit gehabt hätte, dem Gemeinderat eine Befassung mit den Umständen zu ermöglichen.
60 
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO.
61 
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
62 
Beschluss vom 20. Juli 2022
63 
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren durch den Kläger wird für notwendig erklärt (vgl. § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO).
64 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
65 
Beschluss vom 20. Juli 2022
66 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 GKG i. V. m. der Empfehlung in Nr. 9.6.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt z. B. in Schoch/Schneider, VwGO, unter § 163) auf
67 
337.500 Euro
68 
festgesetzt.
69 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

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