Beschluss vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - 6 S 1310/21

Tenor

Der Verwaltungsrechtsweg ist unzulässig.

Der Rechtsstreit wird an das Oberlandesgericht Karlsruhe verwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Die Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht wird zugelassen.

Gründe

1. Nach erfolgter Anhörung der Beteiligten stellt der Senat gemäß § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG von Amts wegen die Unzulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs fest und verweist den Rechtsstreit an das nach § 201 Abs. 1 Satz 1 GVG zuständige Oberlandesgericht Karlsruhe.
a) Der Kläger begehrt die Beiordnung eines Notanwalts nach § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 78b Abs. 1 ZPO für eine noch zu erhebende Klage gegen das Land Baden-Württemberg auf Entschädigung wegen überlanger Dauer eines Gerichtsverfahrens gemäß §§ 198 ff. GVG. Hierfür ist der Verwaltungsrechtsweg im vorliegenden Fall nicht eröffnet. Denn das Gerichtsverfahren, in dessen Rahmen der Kläger die Verpflichtung der Staatsanwaltschaft Mannheim und der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe begehrte, ihm diverse an ihn gerichtete Schriftstücke „in einer rechtswirksamen Form zu übermitteln“, und dessen Dauer er als unangemessen beanstandet, war zwar ursprünglich beim Verwaltungsgericht Karlsruhe (1 K 10232/17) anhängig. Das Verwaltungsgericht hat in diesem Ausgangsverfahren jedoch den Verwaltungsrechtsweg mit rechtkräftigem Beschluss vom 29.05.2020 für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Oberlandesgericht Karlsruhe verwiesen (vgl. insoweit auch den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 15.04.2021 - 4 S 1467/21 -, mit dem der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine noch zu erhebende Beschwerde gegen den Verweisungsbeschluss abgelehnt wurde). Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat das Verfahren unter dem Aktenzeichen 2 VAs 49/20 fortgeführt und die als „Antrag auf gerichtliche Entscheidung“ ausgelegten Anträge des Klägers schließlich zurückgewiesen.
Bei dem vom Kläger nunmehr geltend gemachten Entschädigungsanspruch handelt es sich um einen einheitlichen, gegen das Land Baden-Württemberg gerichteten Anspruch, der sich nicht in selbständige Ansprüche hinsichtlich der verschiedenen Verfahrensabschnitte aufteilen lässt. Denn er bezieht sich seinerseits auf ein einheitliches Ausgangsverfahren (Gerichtsverfahren im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 6 Nr. 1 GVG), dessen Überlänge im Entschädigungsverfahren gerügt wird. Gerichtsverfahren in diesem Sinne ist das gesamte gerichtliche Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss, auch wenn dieses über mehrere Instanzen oder bei verschiedenen Gerichten geführt worden ist. Dies gilt auch dann, wenn es sich um Gerichte verschiedener Gerichtsbarkeiten handelte, da die Verweisung des Rechtsstreits an das Gericht des zulässigen Rechtswegs nicht zu einer Aufspaltung eines Verfahrens führt, sondern das Verfahren lediglich formell dem richtigen Rechtsweg zuordnet, während die Wirkungen der Rechtshängigkeit bestehen bleiben (§ 17b Abs. 1 Satz 2 GVG). Dem vor dem Verwaltungsgericht begonnenen und vor dem Oberlandesgericht fortgeführten Verfahren lag ein einheitlicher Lebenssachverhalt zugrunde; es stellt sich damit als einheitliches Gerichtsverfahren im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 6 Nr. 1 GVG dar, das lediglich aufgrund des zunächst unzulässig beschrittenen Verwaltungsrechtswegs bei mehreren Gerichten anhängig war. Auch das Entschädigungsverfahren kann daher nur einheitlich geführt werden, da die Angemessenheit der Verfahrensdauer für das gesamte Verfahren als Einheit zu bewerten ist.
Wird ein Ausgangsverfahren – wie hier – von einem Verwaltungsgericht bindend in die ordentliche Gerichtsbarkeit verwiesen und im dortigen Instanzenzug beendet, ist für einen Entschädigungsrechtsstreit wegen überlanger Verfahrensdauer die Rechtswegzuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit für das gesamte Gerichtsverfahren eröffnet (zum Ganzen: BVerwG, Beschluss vom 08.12.2021 - 5 B 1.21 -, NVwZ 2022, 412 ; zu einer vergleichbaren Konstellation bei einer Verweisung durch die Sozialgerichtsbarkeit vgl. LSG LSA, Beschluss vom 06.08.2020 - L 10 SF 33/18 EK -, juris Rn. 5 und OLG Frankfurt, Urteil vom 08.05.2013 - 4 EntV 18/12 -, juris Rn. 50 ff.). Dem steht auch nicht entgegen, dass der Kläger vor allem eine Verzögerung während der Anhängigkeit des Ausgangsverfahrens beim Verwaltungsgericht geltend macht (vgl. LSG LSA, a.a.O. Rn. 6).
b) Der Verweisung des vorliegenden Verfahrens steht nicht entgegen, dass es sich um einen isolierten Antrag auf Beiordnung eines Notanwalts handelt.
In der Rechtsprechung ist, soweit ersichtlich, bisher nicht geklärt, ob § 17a GVG auf einen isolierten Antrag auf Beiordnung eines Notanwalts nach § 78b ZPO (hier in Verbindung mit § 173 Satz 1 VwGO) Anwendung findet und das Gericht, das den beschrittenen Rechtsweg für unzulässig hält, ein solches Verfahren an ein Gericht des anderen Rechtswegs verweisen kann bzw. muss.
Für die vergleichbare Verfahrenskonstellation des isolierten Prozesskostenhilfeantrags ist dies in Rechtsprechung und Literatur sehr umstritten. Der beschließende Verwaltungsgerichtshof hat – wie mehrere andere Obergerichte – eine Anwendbarkeit des § 17a GVG in isolierten Prozesskostenhilfeverfahren in der Vergangenheit mit der Begründung abgelehnt, für die Anwendbarkeit fehle ein unabweisbares Bedürfnis, da der Verweisung des Prozesskostenhilfeverfahrens für die noch zu erhebende Klage keine Bindungswirkung zukomme und die Gefahr eines negativen Kompetenzkonflikts vernachlässigt werden könne (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 04.04.1995 - 9 S 701/95 -, NJW 1995, 1915 ; vgl. im Ergebnis ebenso: OVG LSA, Beschluss vom 19.08.2020 - 3 O 141/20 -, LKV 2021, 40 ; BayVGH, Beschluss vom 29.09.2014 - 10 C 12.1609 -, juris Rn. 28; NdsOVG, Beschluss vom 07.02.2000 - 11 O 281/00 -, juris Rn. 5; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 14.08.2007 – 19 W 16/07 -, MDR 2007, 1390 12 S 389/03 -, n.v; Beschluss vom 15.11.2004 - 12 S 2360/04 -, VBlBW 2005, 195 ). Hiergegen kann jedoch eingewendet werden, dass auch die aus der mangelnden Bindungswirkung für das Hauptsacheverfahren folgenden Nachteile vernachlässigt werden können, während es mit Blick auf die Gewährung effektiven Rechtsschutzes bedenklich erscheint, wenn das angerufene Gericht den rechtswegfremden Prozesskostenhilfeantrag wegen fehlender Erfolgsaussicht zurückweisen müsste und der Beteiligte gehalten wäre, einen neuen Antrag im zuständigen Rechtsweg zu stellen, der dann gegebenenfalls nicht mehr die Einhaltung von Klage- oder Verjährungsfristen (hier etwa die Frist des § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG) ermöglicht und mangels Bindungswirkung nach § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG nicht ausschließt, dass das dann angerufene Gericht wiederum seine Rechtswegzuständigkeit verneint. So hat jüngst auch der Bundesgerichtshof nach eingehender Auseinandersetzung mit der hierzu ergangenen Rechtsprechung und Literatur festgestellt, dass ein isoliertes Prozesskostenhilfeverfahren entsprechend § 17a Abs. 2 GVG an das Gericht des zulässigen Rechtswegs zu verweisen ist (BGH, Beschluss vom 21.10.2020 - XII ZB 276/20 -, MDR 2021, 51 ; so auch bereits: OVG NRW, Beschluss vom 20.08.2020 - 4 D 137/20, 4 B 1169/20 -, NWVBl 2021, 42 ; OVG Meckl.-Vorp., Beschluss vom 30.12.2009 - 3 O 133/09 -, juris Rn. 8; SächsOVG, Beschluss vom 27.04.2009 - 2 D 7/09 -, SächsVBl 2010, 99 ; HambOLG, Beschluss vom 14.07.2015 - 9 W 29/15 -, juris Rn. 15 ff.; Ziekow, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 17 GVG Rn. 12; Riese, in: Schoch/Schneider, VwGO, Juli 2020, § 166 Rn. 64). Er hat neben dem vorstehenden Einwand ausgeführt, der Begriff „Rechtsstreit“ meine in § 17a Abs. 2 GVG nicht nur das kontradiktorische Erkenntnisverfahren, sondern könne weitere, dem Erkenntnisverfahren vor-, nach- oder nebengelagerte Verfahren erfassen. Dies folge bereits aus dem Wortlaut, der in § 17a Abs. 2 Satz 2 GVG neben dem „Kläger“ auch den „Antragsteller“ aufführe, und entspreche dem Ziel der Regelung, Gerichtsverfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen, indem ohne langwierige Zuständigkeitsstreitigkeiten Klarheit über den zulässigen Rechtsweg erlangt werden könne. Dementsprechend sei anerkannt, dass etwa auch in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 15.11.2000 - 3 B 10.00 -, ZOV 2002, 236 m.w.N.; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 10.07.2020 - 2 S 623/20 -, ESVGH 71, 1 ) oder in Zwangsvollstreckungsverfahren eine Rechtswegverweisung entsprechend § 17a GVG in Betracht komme, obwohl es sich dabei jeweils nicht um „Rechtsstreite“ im technischen Sinne handele. Zweck der in § 17a GVG vorgesehenen Rechtswegverweisung sei es überdies, die Sachentscheidung derjenigen Gerichtsbarkeit zuzuweisen, die angesichts ihrer Spezialisierung über eine entsprechende Erfahrung und Kompetenz verfüge. Dieses Interesse bestehe auch bereits in Prozesskostenhilfeverfahren.
Der hier zur Entscheidung berufene Senat hält die Ausführungen des Bundesgerichtshofs für überzeugend und schließt sich ihnen an. Sie sind auf die hier vorliegende Verfahrenskonstellation des isolierten Antrags auf Beiordnung eines Notanwalts übertragbar. Hierbei verkennt der Senat nicht, dass das Gesetz für die Beiordnung eines Notanwalts im Sinne von § 78b Abs. 1 ZPO mit dem Begriff der „Aussichtslosigkeit“ einen – aus Sicht des jeweiligen Antragstellers – weniger strengen Maßstab aufstellt als im Rahmen der Gewährung von Prozesskostenhilfe mit dem Erfordernis der „hinreichenden Aussicht auf Erfolg“ (§ 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO) verlangt wird (BVerwG, Beschluss vom 28.03.2017 - 2 B 4.17 -, NVwZ 2017, 1550 m.w.N.; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 21.04.2021 - 6 S 2876/20 -, juris Rn. 3). Eine gewisse sachliche Prüfung der beabsichtigten Rechtsverfolgung hat das Gericht jedoch auch in diesem Zusammenhang vorzunehmen. Wie bei der Prozesskostenhilfe entspricht es dem Sinn und Zweck des § 17a GVG, dass auch diese Prüfung durch das sachnähere Gericht des zulässigen Rechtswegs vorgenommen wird.
2. Gemäß § 17b Abs. 2 GVG bleibt die Entscheidung über die Kosten der End-entscheidung vorbehalten.
10 
3. Die Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht ist gemäß § 173 Satz 1, § 152 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 17a Abs. 4 Satz 5 GVG vorliegen. Die Frage, ob isolierte Anträge auf Beiordnung eines Notanwalts in Anwendung des § 17a Abs. 2 GVG an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs verwiesen werden können, betrifft eine unbestimmte Vielzahl weiterer Fälle und ist in der Verwaltungsgerichtsbarkeit höchstrichterlich nicht geklärt (auch in Bezug auf isolierte Prozesskostenhilfeanträge offenlassend: BVerwG, Beschluss vom 21.03.2022 - 9 AV 1.22 -, NVwZ 2022, 1062 ). Ihr kommt grundsätzliche Bedeutung zu.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen