Beschluss vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - 9 S 1394/22

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 10. Juni 2022 - 10 K 1659/22 - geändert.

Der Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seiner Klage im Verfahren 10 K 1185/21 gegen die drei Beitragsbescheide des Antragsgegners vom 16.02.2021 und dessen Widerspruchsbescheid vom 26.03.2021 (Mitgliedsnummer …) anzuordnen, wird abgelehnt.

Im Übrigen wird die Beschwerde mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass Nr. 2 des Tenors des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 10. Juni 2022 wie folgt neu gefasst wird:

Es wird festgestellt, dass die Klage des Antragstellers im Verfahren 10 K 1660/22 hinsichtlich der Bescheide des Antragsgegners über die Festsetzung von Säumniszuschlägen vom 25.01.2022, 28.02.2022, 28.03.2022 und 25.04.2022 sowie hinsichtlich dessen Widerspruchsbescheids vom 28.04.2022, soweit er die vorgenannten Bescheide betrifft, aufschiebende Wirkung hat.

Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen tragen der Antragsteller zu 8/9 und der Antragsgegner zu 1/9.

Der Streitwert wird unter Abänderung der Streitwertfestsetzung im Beschluss des Verwaltungsgerichts für beide Rechtszüge auf jeweils 2.643,20 EUR festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde des Antragsgegners richtet sich bei sachdienlicher Auslegung gegen den im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes 10 K 1659/22 ergangenen Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 10.06.2022, mit dem dieses dem Antrag des Antragstellers gemäß § 80 Abs. 5 VwGO stattgegeben hat. Soweit die Beschwerdeschrift dem angefochtenen Beschluss das Datum „09.06.2022“ zugeschrieben hat, handelt es sich um eine offensichtliche Unrichtigkeit, die nach dem plausiblen Vortrag des Prozessbevollmächtigten des Antragsgegners auf einem Kanzleiversehen beruht.
Die statthafte und auch im Übrigen zulässige (vgl. § 147 Abs. 1, § 146 Abs. 1 und 4 VwGO) Beschwerde des Antragsgegners ist zum überwiegenden Teil begründet (1.). Lediglich hinsichtlich der geforderten Säumniszuschläge ist die Beschwerde unbegründet. Insoweit ist Nr. 2 des Tenors des angefochtenen Beschlusses allerdings klarstellend dahingehend zu fassen, dass der Klage des Antragstellers im Verfahren 10 K 1660/22 aufschiebende Wirkung zukommt (2.).
1. Auf der Grundlage des Beschwerdevorbringens hat das Verwaltungsgericht dem Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die drei Beitragsbescheide des Antragsgegners vom 16.02.2021 für Dezember 2019 sowie für die Jahre 2020 und 2021 sowie den Widerspruchsbescheid vom 26.03.2021 anzuordnen, zu Unrecht stattgegeben.
Der Maßstab für die gerichtliche Entscheidung ergibt sich hier, weil es um die Anforderung von öffentlichen Abgaben nach § 80 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwGO geht, aus einer entsprechenden Anwendung von § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO (vgl. VGH Bad.-Württ, Beschluss vom 04.02.2015 - 2 S 2542/14 -, juris; Senatsbeschluss vom 25.02.2013 - 9 S 2346/12 -). Nach dieser Vorschrift soll die Aussetzung der Vollziehung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen (dazu unter a) oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (dazu unter b). Beide Voraussetzungen liegen hier bezüglich der Bescheide vom 16.02.2021 nach Aktenlage nicht vor.
a) Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit im Sinne von § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO sind nur dann anzunehmen, wenn ein Erfolg von Rechtsbehelf oder Klage wahrscheinlicher als deren Misserfolg ist, wobei ein lediglich als offen erscheinender Verfahrensausgang die Anordnung nicht trägt (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 04.02.2015, a.a.O.; Schoch, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand: Februar 2022, § 80 VwGO Rn. 283). Die in § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO gesetzlich generell bestimmte sofortige Vollziehbarkeit würde ihren Zweck nicht erreichen, wenn die aufschiebende Wirkung schon bei offenem Verfahrensausgang angeordnet werden müsste, denn nach der gesetzlichen Wertung soll das Vollziehungsrisiko beim Bürger und nicht bei der Verwaltung liegen (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 04.02.2015, a.a.O).
Ausgehend hiervon können die Erfolgsaussichten der gegenständlichen Klage des Antragstellers nach derzeitigem Sachstand lediglich als offen bezeichnet werden.
aa) Der Antragsgegner hatte aufgrund der vom Antragsteller zu Beginn seiner Mitgliedschaft in einem Formular getätigten Angaben dessen monatlichen Beitrag zunächst mit zwei Bescheiden vom 07.02.2020 für den Zeitraum vom 01.12.2019 bis 31.12.2019 und für den Zeitraum ab dem 01.01.2020 jeweils auf den Mindestbeitrag festgesetzt. Durch Vorlage des Einkommensteuerbescheids für das Jahr 2019 am 15.01.2021 wurde dem Antragsgegner bekannt, dass der Antragsteller auch Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit hat und Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet. Daraufhin erließ der Antragsgegner am 16.02.2021 drei Bescheide, mit denen er die Beiträge gemäß § 13 Abs. 1 VwS für den Zeitraum 01.12.2019 bis 31.12.2019, für den Zeitraum 01.01.2020 bis 31.12.2020 und für den Zeitraum ab dem 01.01.2021 jeweils neu in Höhe des „3/10 Regelpflichtbeitrags“ festsetzte.
Das Verwaltungsgericht hat angenommen, die Rücknahme eines als rechtswidrig erkannten Beitragsbescheids des Antragsgegners richte sich nach § 45, § 3 Abs. 1 Nr. 3 lit. b) KAG, § 130 AO und erfordere eine Ermessensentscheidung. Hier liege bei jedem der drei angegriffenen Bescheide vom 16.02.2021 und bei dem Widerspruchsbescheid vom 26.03.2021 ein Ermessensausfall vor. Die Bescheide enthielten überhaupt keine ausdrückliche Entscheidung zur Rücknahme der beiden Bescheide vom 07.02.2020 und auch keinerlei Anhaltspunkte für eine Ermessensausübung. Die [eine Rechtspflicht zur Änderung von Steuerbescheiden regelnde] Bestimmung des § 173 AO gelte nach § 45, § 3 Abs. 1 Nr. 4 lit. c) KAG nur für kommunale Steuern. Eine sonstige öffentliche Abgabe im Sinne von § 45 KAG, wie sie bei dem in Streit stehenden Mitgliedsbeitrag vorliege, sei keine kommunale Steuer im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 4 lit. c) KAG.
Dieser Auffassung vermag der Senat nicht zu folgen. Die Annahme des Verwaltungsgerichts dürfte darauf beruhen, dass es den in § 3 Abs. 1 Nr. 4 lit. c) KAG enthaltenen Zusatz „mit der Maßgabe, dass die Vorschrift nur für kommunale Steuern gilt“ auf sämtliche Bestimmungen der Paragraphenkette („§§ 173, 173a, 174“) und nicht allein auf § 174 AO bezogen hat. Dies dürfte indes weder mit dem Wortlaut („die Vorschrift“) noch mit der gesetzlichen Systematik vereinbar sein und widerspricht im Übrigen der Rechtsprechung des Senats. Danach ist der Beitrag zum Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg eine „sonstige öffentliche Abgabe“ im Sinne von § 45 KAG. Auf ihn sind daher die in § 3 KAG genannten Bestimmungen der Abgabenordnung sinngemäß anzuwenden, soweit nicht eine besondere gesetzliche Regelung besteht. Die Abgabenordnung unterscheidet zwischen Steuerbescheiden und sonstigen Verwaltungsakten. Steuerbescheide sind Verwaltungsakte, durch die verbindlich festgesetzt wird, wie hoch die nach Art, Zeitraum und Zeitpunkt näher bestimmte Steuer ist. Während die übrigen Verwaltungsakte grundsätzlich frei abänderbar oder aufhebbar sind, sofern nicht die Einschränkungen der §§ 130 Abs. 2 und 3, 131 Abs. 2 AO eingreifen, gelten für Steuerbescheide in Gestalt der §§ 172 ff. AO besondere Regelungen. Steuerbescheide unterliegen danach einer besonderen Bestandskraft. Die genannten Vorschriften sind gemäß § 45, § 3 Abs. 1 Ziff. 4c KAG auf die Beitragsbescheide des Versorgungswerks mit bestimmten Maßgaben sinngemäß anzuwenden (zum Ganzen Senatsurteil vom 27.07.2012 - 9 S 569/11 -, juris, m.w.N.; vgl. auch VG Freiburg, Urteile vom 24.02.2016 - 7 K 3013/14 -, und vom 10.09.2013 - 1 K 1114/13 -; VG Sigmaringen, Urteil vom 27.01.2016 - 1 K 2114/15 -).
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Mithin ist das Verwaltungsgericht unter Ausblendung der einschlägigen Rechtsprechung zu Unrecht davon ausgegangen, dass § 173 AO im vorliegenden Fall keine Anwendung findet und die gegenständlichen Bescheide wegen fehlender Anhaltspunkte für eine Ermessensausübung voraussichtlich rechtswidrig sind.
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Danach begegnet die - sinngemäße - Anwendbarkeit des § 173 AO keinen rechtlichen Bedenken. Insoweit führen auch die unter dem Gesichtspunkt rechtstaatlichen Vertrauensschutzes erhobenen, pauschalen verfassungsrechtlichen Einwände gegen die Anwendbarkeit der Bestimmung zu keiner anderen Beurteilung. Dabei lässt der Antragsteller insbesondere unberücksichtigt, dass dem Gesetzgeber bei der Normierung von Vertrauensschutz gewährleistenden Regelungen in Hinsicht auf den Zielkonflikt zwischen Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit ein erheblicher Spielraum zukommt (vgl. Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz-Kommentar, Stand: Januar 2022, Art. 20 Rn. 95 m.w.N.).
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Vor diesem Hintergrund spricht zunächst einiges für die Rechtmäßigkeit der Bescheide vom 16.02.2021. Nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Demgemäß ist grundsätzlich davon auszugehen, dass bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen auch dem Antragsgegner kein Ermessen eingeräumt ist, sondern dieser grundsätzlich eine Aufhebung bzw. Änderung von rechtswidrigen Beitragsbescheiden vorzunehmen hat.
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Danach geht der Antragsgegner aller Voraussicht nach zutreffend davon aus, dass er aufgrund des nachträglichen Bekanntwerden des Umstands, dass der Antragsteller bereits in der Vergangenheit rentenversicherungspflichtig war, verpflichtet war, die bestandskräftigen Beitragsbescheide vom 07.02.2020 aufzuheben. Da nach § 13 Abs. 1 VwS Mitglieder, die zugleich Pflichtversicherte in der gesetzlichen Rentenversicherung sind, einen Beitrag in Höhe von 3/10 des Regelpflichtbeitrags leisten, dürften sich die in der Vergangenheit vorgenommenen Beitragsfestsetzungen auf den Mindestbeitrag nach § 11 Abs. 3 VwS (1/13 des Regelpflichtbeitrags) als rechtswidrig zu niedrige und demgemäß die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Satz 1 AO erfüllende Festsetzungen darstellen. Deshalb spricht einiges dafür, dass der Antragsgegner die Beitragsfestsetzungen in den bestandskräftigen Bescheiden vom 07.02.2020 durch die Bescheide vom 16.02.2021 konkludent aufgehoben hat. Denn er hat mit Rückwirkung nunmehr eine satzungsgemäße Neufestsetzung der Beiträge vorgenommen. Dies ist auf der Grundlage der § 45, § 3 Abs. 1 Ziff. 4c KAG i.V.m. § 173 Abs. 1 Satz 1 AO jedenfalls grundsätzlich nicht zu beanstanden.
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bb) Auch im Hinblick auf die weiteren Einwendungen des Antragstellers gegen die Rechtmäßigkeit der Bescheide vermag der Senat nach derzeitigem Sachstand jedenfalls eine überwiegende Erfolgsaussicht der von ihm erhobenen Klage nicht festzustellen.
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(1) Die behauptete Nichtigkeit der angegriffenen Bescheide wird schon nicht schlüssig dargelegt. Die Angriffe des Antragstellers beziehen sich insoweit (lediglich) auf die Bezeichnung der Bescheide, die die - zumindest missverständliche - Überschrift „Beiträge für die Angestelltentätigkeit“ tragen. Der Antragsteller macht geltend, da er keine beitragspflichtige Angestelltentätigkeit ausübe, fehle dem Antragsgegner offensichtlich die Kompetenz für die Festsetzung der Beiträge für die Angestelltentätigkeit. Diese Argumentation verfängt nicht. Ungeachtet der Überschrift der Bescheide dürften ausweislich ihres sonstigen Inhalts in der Sache keine Zweifel daran bestehen, dass mit ihnen an die Mitgliedschaft des Antragstellers beim Antragsgegner angeknüpft und auf der Grundlage der für ihn als Mitglied geltenden satzungsrechtlichen Regelung des § 13 Abs. 1 VwS wegen der bestehenden gesetzlichen Rentenversicherungspflicht ein entsprechender Beitrag erhoben wird. Im Übrigen ist Gegenstand der Anfechtungsklage der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat (§ 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Dass der Widerspruchsbescheid des Antragsgegners vom 26.03.2021 die beanstandete Bezeichnung aufweist, ist nicht ersichtlich.
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(2) Der Antragsteller macht weiter geltend, maßgeblicher Ausschlussgrund für eine Änderung der Festsetzung zu seinen Lasten auf der Grundlage des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sei die Verletzung der amtlichen Ermittlungspflicht trotz ordnungsgemäßer Mitwirkung des Steuerschuldners. Das nehme die Rechtsprechung dann an, wenn der Behörde die ihr tatsächlich erst später bekannt gewordenen Tatsachen bei ordnungsgemäßer Erfüllung ihrer Amtsermittlungspflicht nicht verborgen geblieben wären. Der Antragsgegner habe indes die ihm gemäß §§ 45, 3 Absatz 1 Nr. 3 a) KAG, § 88 AO obliegende Amtsaufklärungspflicht verletzt. Da seine Satzung nur ganz wenige Konstellationen für die Beitragsbemessung vorsehe, sei er gemäß § 88 AO verpflichtet gewesen, die wenigen Konstellationen in dem von ihm verwendeten Formular zu erfragen. Gleichwohl habe er in dem verwendeten Formular vergessen, nach einer Versicherungspflicht in der Rentenversicherung zu fragen, welche nach § 13 Abs. 1 VwS zu einem 3,9 fachen Mindestbeitrag führe. Die Aufnahme dieser Option in das Formular wäre ohne großen Aufwand möglich und geboten gewesen. Entgegen der Ansicht des Antragsgegners im Widerspruchsbescheid sei Teil C des Formulars, der die Antragstellung als „angestellter Rechtsanwalt“ betreffe, nicht einschlägig. Er sei sozialversicherungspflichtiger Angestellter der BGV AG und habe für diese Tätigkeit keine Zulassung als Rechtsanwalt. Damit erfülle er die Tatbestandsmerkmale der in § 46 BRAO legal definierten Begriffe des „angestellten Rechtsanwalts“ bzw. des „Syndikusrechtsanwalts“ nicht. Deshalb habe er zu Recht und ohne Verletzung seiner Mitwirkungspflicht den offensichtlich nicht einschlägigen Teil C nicht angekreuzt.
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In der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zu § 173 AO ist anerkannt, dass die Finanzbehörde nach den Grundsätzen von Treu und Glauben daran gehindert sein kann, die Änderung eines Bescheids zulasten des Steuerpflichtigen darauf zu stützen, dass ihr steuerrechtlich erhebliche Tatsachen erst nachträglich bekannt geworden sind. Das wird dann angenommen, wenn der Finanzbehörde die ihr tatsächlich erst später bekannt gewordenen Tatsachen bei ordnungsgemäßer Erfüllung ihrer Amtsermittlungspflicht nicht verborgen geblieben wären. Welche Anforderungen an die Ermittlungen der Finanzbehörde zu stellen sind, ergibt sich aus § 88 AO, lässt sich also nicht ohne Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles allgemein festlegen. Die Feststellungslast für derartige Pflichtverletzungen trägt der Steuerpflichtige (zum Ganzen vgl. nur Rüsken, in: Klein, AO, 15. Aufl. 2020, § 173 Rn. 80 m.w.N. aus der Rechtsprechung des BFH).
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Ob und inwieweit diese Grundsätze auch für die Vorgehensweise des Antragsgegners bei der Beitragserhebung gelten, bedarf im vorliegenden Verfahren keiner abschließenden Entscheidung. Dies gilt auch für die Fragen, ob der Antragsteller seiner Mitwirkungspflicht (vgl. § 39 Abs. 1 VwS) in vollem Umfang nachgekommen ist und er der nachträglichen Änderung seiner Beitragsbescheide durch den Antragsgegner tatsächlich den Grundsatz von Treu und Glauben entgegenhalten kann. Denn insoweit handelt es sich - gerade auch mit Blick auf die Notwendigkeit einer Konkretisierung der Anforderungen an die Ermittlungspflicht des Antragsgegners - um tatsächlich und rechtlich schwierige Fragen, deren Beantwortung dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben muss.
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(3) Auch der Vortrag zur geltend gemachten Verfassungs- bzw. Unionsrechtswidrigkeit des § 13 Abs. 1 VwS führt zu keiner anderen Beurteilung. Die Regelung des § 13 Abs. 1 VwS war in der Vergangenheit mehrfach Gegenstand der Rechtsprechung des Senats wie der Verwaltungsgerichte. Durchgreifende Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit der Bestimmung mit höherrangigem Recht sind bislang nicht erhoben worden (vgl. Senatsurteil vom 28.01.2003 - 9 S 871/02 - juris; VG Freiburg, Urteile vom 25.09.2008 - 4 K 701/08 -, und vom 03.07.2003 - 4 K 1472/01 -, beide juris; VG Karlsruhe, Urteil vom 25.03.2011 - 1 K 206/10 -). Hiermit setzt sich der Antragsteller nicht auseinander. Im Hinblick auf die Unionsrechtswidrigkeit dürfte es im Übrigen schon an hinreichenden Anhaltspunkten für einen grenzüberschreitenden Bezug des vorliegenden Sachverhalts fehlen. Entgegen dem Vortrag des Antragstellers dürfte der „besondere Beitrag“ in § 13 Abs. 1 VwS auch eine ausreichende gesetzliche Grundlage in der Bestimmung des § 17 Abs. 1 Nr. 4 RAVG finden (vgl. auch VG Freiburg, Urteil vom 03.07.2003, a.a.O., juris). Soweit er der Sache nach geltend macht, mit § 13 Abs. 1 VwS lasse die Satzung im Widerspruch zu § 8 Abs. 1 RAVG Beiträge zu, die gerade nicht einkommensbezogen seien, nimmt er nicht hinreichend in den Blick, dass § 8 Abs. 1 RAVG explizit nur für den in § 11 Abs. 1 VwS näher geregelten Regelpflichtbeitrag gilt.
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dd) Schließlich dürften auch die gegen den Widerspruchsbescheid erhobenen Einwände nicht durchgreifen.
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Soweit der Antragsteller geltend macht, der Widerspruchsbescheid sei rechtswidrig, da er allein vom Vorstandsvorsitzenden und deshalb vom falschen Organ erlassen worden sei, vermag der Senat dies nicht nachzuvollziehen. Ausweislich der vorliegenden Akten hat der Vorstand des Antragsgegners in seiner Sitzung vom 25.03.2021 den Beschluss gefasst, den Widerspruch gegen die Beitragsbescheide vom 16.02.2021 zurückzuweisen (Behördenakte S. 43). Dass § 42 Abs. 2 VwS nicht beachtet worden wäre, ist demnach nicht dargetan und nicht ersichtlich.
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Mit dem Vortrag zur Rechtswidrigkeit des Widerspruchsbescheides in Bezug auf die erhobene Widerspruchsgebühr wird die Rechtmäßigkeit des Widerspruchsbescheides hinsichtlich der Beitragsbescheide vom 16.02.2021 nicht in Frage gestellt. Unabhängig davon dürfte bei der Einschätzung der Erfolgs-aussichten der Klage im Hinblick auf die entgegen § 71 VwGO unterbliebene Anhörung zur erstmaligen Beschwer in Gestalt der Festsetzung einer Widerspruchsgebühr zu berücksichtigen sein, dass die fehlende Anhörung bis zum Abschluss des Klageverfahrens nachgeholt und der Fehler damit geheilt werden kann (vgl. § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 LVwVfG).
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b) Eine unbillige und nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte im Sinne von § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO besteht dann, wenn durch die Vollziehung wirtschaftliche Nachteile drohen, die durch eine etwaige spätere Rückzahlung der eingezogenen Beträge nicht ausgeglichen werden oder nur schwer gutzumachen sind, oder wenn die Vollziehung zu einer Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz führen würde (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 11.10.2010 - 2 BvR 1710/10 -, juris Rn. 20; Senatsbeschlüsse vom 14.07.2014 - 9 S 954/14 -, vom 25.02.2013 - 9 S 2346/12 - und vom 29.06.1992 - 9 S 1346/92 -, juris Rn. 13). Die wirtschaftliche Existenz ist gefährdet, wenn ohne die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der notwendige Lebensunterhalt nicht mehr bestritten werden kann, das heißt vorübergehend oder dauernd keine ausreichenden Mittel mehr für Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Behandlung, Ausbildung und sonstige Bedürfnisse des täglichen Lebens verbleiben. Die Grundsätze des Familienunterhaltsrechts sind zu berücksichtigen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 25.02.2013, a.a.O., und vom 29.06.1992, a.a.O., Rn. 13).
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An diesem Maßstab gemessen kommt eine Aussetzung der Vollziehung wegen einer unbilligen Härte im Sinne von § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht in Betracht. An hinreichend substantiierten und umfassenden Angaben zu seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen hat es der Antragsteller fehlen lassen.
25 
2. Soweit das Verwaltungsgericht dem Antrag des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hinsichtlich der geforderten Säumniszuschläge stattgegeben hat, ist die Beschwerde im Ergebnis unbegründet.
26 
Das Verwaltungsgericht hat die Annahme der Begründetheit des vorläufigen Rechtsschutzbegehrens hinsichtlich der Säumniszuschläge darauf gestützt, dass durch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage des Antragstellers gegen die drei Beitragsbescheide vom 16.02.2021 jedenfalls rückwirkend zum Zeitpunkt des Erlasses der Verwaltungsakte deren sofortige Vollziehbarkeit entfallen ist und damit auch die rechtlichen Voraussetzungen für den Anspruch auf Säumniszuschläge bezüglich der in diesen Bescheiden festgesetzten Beiträgen fehlen. Diese Begründung erweist sich aus den unter 1. dargelegten Gründen nicht als tragfähig.
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Das Begehren des Antragstellers hat insoweit jedoch aus einem anderen Grund Erfolg. Seinen erstinstanzlichen Antrag, „die bereits begonnene Vollziehung, insbesondere die Erhebung von Säumniszuschlägen aufzuheben“, legt der Senat dabei - anders als das Verwaltungsgericht - dahingehend aus, dass die Feststellung begehrt wird, dass der gegen die Bescheide hinsichtlich der Säumniszuschläge und den entsprechenden Widerspruchsbescheid erhobenen Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung zukommt. Sachdienlich wendet sich der Antragsteller gegen die unter Missachtung der bestehenden aufschiebenden Wirkung seiner Klage erfolgende behördliche Vollziehung der Bescheide über die Säumniszuschläge. Denn der Antragsgegner hat die Bescheide jeweils mit dem Hinweis versehen „Rechtsbehelfe ändern nichts an der sofortigen Vollziehung von Beitragsbescheiden, vgl. § 80 (2) VwGO“ und sich der Sache nach damit eines Vollziehungsrechts berühmt. In dieser Situation der sog. faktischen Vollziehung kommt vorläufiger Rechtsschutz in analoger Anwendung des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO in Betracht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30.08.2012 - 7 VR 6/12 -, juris; Schoch, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand: Februar 2022, § 80 VwGO Rn. 352; Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018., § 80 Rn. 164; vgl. auch Hoppe, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 115). Statthafter Antrag ist insoweit der Antrag auf Feststellung, dass der eingelegte Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat, da regelmäßig bereits die feststellende Entscheidung des Gerichts wirksamen vorläufigen Rechtsschutz vermittelt (vgl. Schoch, a.a.O., § 80 VwGO Rn. 356).
28 
In diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, dass die Statthaftigkeit des vom Verwaltungsgericht angenommenen, auf die unmittelbare Aufhebung der Bescheide über Festsetzung von Säumniszuschlägen sowie des entsprechenden Widerspruchsbescheids gerichteten „Annexantrags nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO“ Zweifeln ausgesetzt ist. Dies dürfte schon deshalb gelten, weil der unmittelbar auf § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO gestützte Antrag auf Aufhebung der Vollziehung nur bei rechtmäßigen Vollziehungsmaßnahmen in Betracht kommt (vgl. Schoch, a.a.O., § 80 VwGO Rn. 356, 342; Hoppe, in: Eyermann, a.a.O., § 80 Rn. 115). Im Übrigen bemerkt der Senat, dass die erstinstanzliche Annahme eines unmittelbar auf die „Aufhebung der Bescheide“ (und nicht auf die Aufhebung der Vollziehung der Bescheide) über die Festsetzung von Säumniszuschlägen“ gerichteten Antrags ebenso wie die - offenbar vom Willen zu einer Entscheidung in der Hauptsache getragene - entsprechende Tenorierung in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes prozessrechtlichen Bedenken begegnet (vgl. § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO auf der einen und § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO auf der anderen Seite).
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Entgegen der Auffassung des Antragsgegners kommt der gegen die Bescheide hinsichtlich der Säumniszuschläge und den entsprechenden Widerspruchsbescheid erhobenen Anfechtungsklage dem gesetzlichen Regelfall entsprechend aufschiebende Wirkung im Sinne des § 80 Abs. 1 VwGO zu. Bei Säumniszuschlägen handelt es sich nicht um Abgaben oder Kosten im Sinne von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO, die der Deckung des Finanzbedarfs von Trägern öffentlicher Verwaltung dienen, sondern vorwiegend um ein Druckmittel (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 04.02.2015 - 2 S 2436/14 -, juris; BayVGH, Beschluss vom 21.12.1998 - 4 ZS 98.2811 -, juris; Nds. OVG, Beschluss vom 13.10.2011 - 8 ME 173/11 -, juris; Sächs. OVG, Beschluss vom 06.10.2015 - 3 B 177/15 -, juri; OVG LSA, Beschluss vom 05.07.2006 - 4 M 272/06 -, juris; Thür. OVG, Beschluss vom 23.11.2007 - 4 EO 536/07 -, KStZ 2008, 218 f.; Schoch, a.a.O., § 80 Rn. 137b; Hoppe, a.a.O., § 80 Rn. 30; a.A. OVG NRW, Beschluss vom 18.09.2020 - 14 B 985/20 -, juris; OVG Bln.-Bbg., Beschlüsse vom 14.03.2011 - OVG 9 S 50.10 -, juris; Hess. VGH, Beschluss vom 01.02.2012 - 5 B 77/12 -, juris; Puttler, a.a.O., § 80 Rn. 59). Auch ein Fall des § 12 Satz 1 LVwVG dürfte nicht gegeben sein. Danach haben Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung getroffen werden. Dazu gehören aber nur diejenigen Maßnahmen, die im engeren Sinn zur zwangsweisen Durchsetzung eines Verwaltungsakts getroffen werden. Die Erhebung von Säumniszuschlägen als Druckmittel eigener Art ist jedoch weder ein selbständiges Zwangsmittel, noch dient sie unmittelbar der Vollstreckung der Hauptforderung (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 04.02.2015, a.a.O.).
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Danach ist - in Abweichung von Nr. 2 des Tenors der angefochtenen Entscheidung - auf den Antrag des Antragstellers die Feststellung auszusprechen, dass seiner gegen die Bescheide hinsichtlich der Säumniszuschläge und den entsprechenden Widerspruchsbescheid erhobenen Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung zukommt. Die diesbezügliche Zurückweisung der Beschwerde des Antragsgegners ist deshalb zur Klarstellung mit der im Tenor wiedergegebenen Maßgabe zu verbinden.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 Satz 1, § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
32 
Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 3 Satz 1, § 39 GKG und Nr. 1.5 Satz 1 und 2 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs. Der Senat hat dabei als wirtschaftliches Interesse des Antragstellers für den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Beitragsbescheide die Differenz zwischen den in den Zeiträumen 01.12.2019 bis 31.12.2019, 01.01.2020 bis 31.12.2020 und 01.01.2021 bis 31.12.2021 zunächst festgesetzten Mindestbeiträgen und den in den streitgegenständlichen Bescheiden festgesetzten 3/10-Regelpflichtbeiträgen angesetzt. Der sich insoweit insgesamt ergebende Streitwert der Hauptsache in Höhe von 7.248,80 EUR ist im vorliegenden Eilverfahren zu vierteln (= 1.812,20 EUR), weil ein Fall des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO vorliegt (vgl. Nr. 1.5 Satz 1 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs). Für den Antrag betreffend die Erhebung der Säumniszuschläge, auf die § 43 Abs. 1 GKG weder unmittelbar noch entsprechende Anwendung findet (vgl. nur LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 26.01.2009 - L 10 R 5795-08 W/B -, juris), hat der Senat insgesamt 831,00 EUR zugrunde gelegt und von einer Reduzierung dieses Betrags im Eilverfahren abgesehen (vgl. Nr. 1.5 Satz 2 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs).
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Die Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts für das erstinstanzliche Verfahren ist danach gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG von Amts wegen entsprechend zu ändern.
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Der Beschluss ist unanfechtbar.

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