Beschluss vom Amtsgericht Frankenthal (Pfalz) - 71 F 79/20 eA

Tenor

        

1. Die Entscheidungsbefugnis über die Wahl der Grundschule wird bis auf Weiteres auf die Antragsgegnerin übertragen.

2. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

3. Der Verfahrenswert wird auf 1.500,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Beteiligten sind die Eltern des Kindes S..., geb. .... Die Beteiligten sind und waren nicht miteinander verheiratet und üben die elterliche Sorge für das Kind gemeinsam aus. S... soll zu Beginn des Schuljahres nach den Sommerferien 2020 in die erste Klasse einer Grundschule eingeschult werden.

2

Die Eltern sind unterschiedlicher Auffassung, was den Schultyp angeht. Der Antragsteller möchte das Kind auf einer Regelgrundschule anmelden und bevorzugt hier die Grundschule in S..., wo das Kind auch wohnt. Die Mutter möchte das Kind auf der Waldorfschule in F... einschulen.

3

Der Antragsteller ist der Auffassung, dass die Waldorfschule für S... keine geeignete Schulform sei. Er hat grundsätzlich Bedenken gegen diese Schulform und meint, dass es besser für S... wäre, wenn sie gleich lernt, wie es in einer Regelschule abläuft, sich gegenüber anderen auch durchzusetzen und in Wettbewerb um Noten zu treten. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Antragsschriftsatz und die persönliche Anhörung im Termin vom 18.06.2020 verwiesen.

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Der Antragsteller beantragt,

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die Entscheidungsbefugnis über die Schulwahl auf ihn zu übertragen.

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Die Antragsgegnerin beantragt,

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ihrerseits die alleinige Entscheidungsbefugnis für die Wahl der Grundschule.

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Sie meint, das Konzept der Waldorfpädagogik sei für S... besonders sinnvoll. Zudem sei dort eine gute Nachmittagsbetreuung gewährleistet und S... wolle auch auf diese Schule.

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Das Gericht hat die Angelegenheit mit den Eltern persönlich erörtert. Für das Kind wurde eine Verfahrensbeiständin bestellt. Verfahrensbeiständin und Jugendamt wurden im Termin persönlich gehört. Das Kind wurde ebenfalls persönlich gehört. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Anhörungsvermerke von 18.06.2020 verwiesen.

II.

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Gemäß §§ 1628 Satz 1 BGB, 49 ff. FamFG ist der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung die alleinige Entscheidungsbefugnis über die Anmeldung zur Grundschule für die Tochter S... zu übertragen.

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1. Das dringliche Regelungsbedürfnis im Sinne des § 49 Abs. 1 FamFG folgt aus der Tatsache, dass S... nach den unmittelbar bevorstehenden Sommerferien eingeschult werden soll und das Abwarten eines Hauptsacheverfahrens vor diesem Hintergrund unzumutbar ist. Eine Vorwegnahme der Hauptsache ist hiermit nicht dauerhaft verbunden, da eine anderweitige Regelung auch nach der Einschulung grds. noch erfolgen kann.

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2. Gemäß § 1628 Satz 1 BGB kann das Familiengericht für den Fall, dass sich die Eltern in einer einzelnen Angelegenheit oder in einer bestimmten Art von Angelegenheiten der elterlichen Sorge, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, nicht einigen können, auf Antrag eines Elternteils die Entscheidung einem Elternteil übertragen. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen hier vor. Die beteiligten Kindeseltern sind Inhaber der gemeinsamen elterlichen Sorge. Sie sind derzeit nicht in der Lage, sich in einer einzelnen Angelegenheit betreffend die elterliche Sorge - hier die Schulart für die Einschulung der Tochter S... - zu einigen. Bei der Frage des Schulwechsels und der Frage, welche Schule das Kind künftig besuchen soll handelt es sich auch um eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung für das Kind, die zunächst nicht der Alleinentscheidungskompetenz der Antragsgegnerin gemäß § 1687 Abs. 1 Satz 2 BGB unterfällt (vgl. OLG Schleswig, NJW-RR 2011, 581 m.w.N.).

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3. Maßstab für die Entscheidung, welchem der beiden Elternteile die alleinige Entscheidungsbefugnis des Schulbesuchs der Tochter übertragen wird, ist das Kindeswohl, § 1697a BGB. Es ist in der Sache diejenige Entscheidung zu treffen, die dem Wohl des Kindes am besten entspricht. § 1628 BGB ermächtigt die Gerichte unter Wahrung des Elternrechts aus Art. 6 II GG jedoch nur dazu, zur Herbeiführung einer notwendigen Entscheidung bei Uneinigkeit der Eltern einem Elternteil die Entscheidungskompetenz zu übertragen (BVerfG NJW 2003, 1031, beck-online). Trifft das Gericht an Stelle dessen eine eigene Sachentscheidung, verstößt es nicht nur gegen Gesetzesrecht, sondern greift in verfassungswidriger Weise in das Recht der von der Entscheidung betroffenen Eltern aus Art. 6 II 1 GG ein. Vielmehr ist umfassend zu prüfen, welcher Elternteil am ehesten geeignet ist, eine am Kindeswohl ausgerichtete Entscheidung zu treffen und dabei auch die Vorstellungen der Eltern über die gewünschte Schule an diesem Maßstab zu messen unter Einbeziehung der Frage, welche Auswirkungen die jeweilige Schulwahl auch auf das soziale Umfeld des Kindes haben könnte (BVerfG aaO; OLG Schleswig aaO.)

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Das Gericht hat deshalb zwischen den von den Kindeseltern vorgeschlagenen Entscheidungen für die regelungsbedürftige Angelegenheit abzuwägen, dabei die Interessen des Kindes im Einzelnen zu beachten und so festzustellen, welchem Entscheidungsvorschlag zu folgen ist. Dabei sind auch die tatsächlichen Betreuungsmöglichkeiten der Elternteile zu berücksichtigen (vgl. OLG Brandenburg, NJOZ 2008, 2663).

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3.1. Vor diesem Maßstab und im Rahmen dieser Gesamtabwägung ist der Antragsgegnerin die alleinige Entscheidungsbefugnis über den Schulbesuch des Kindes zu übertragen, weil dies dem Wohl von S... am besten entspricht. Das Gericht hat insofern ausdrücklich nicht darüber zu entscheiden, welche Schulart für S... die am besten geeignete ist, sondern welcher Elternteil in Ansehung obiger Maßstäbe am ehesten zur Entscheidung geeignet ist.

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3.2. Insofern ist zunächst als für die Antragsgegnerin sprechend berücksichtigen, dass die Kindesmutter im Ergebnis ganz überwiegend von den Folgen der zu treffenden Entscheidung betroffen ist, da das Kind seinen dauerhaften Lebensmittelpunkt bei ihr hat (so als prägendes Argument OLG Schleswig aaO; AG Lemgo, FamRZ 2004, 49), wenngleich dies nicht ohne weiteres der alleinentscheidende Gesichtspunkt der Abwägung ist (vgl. OLG Dresden, FamRZ 2017, 39). Denn die Antragsgegnerin muss im Wesentlichen mit den Folgen der getroffenen Entscheidung leben und etwaige Schwierigkeiten und Probleme auffangen. Sie hat das Kind überwiegend in die Schule zu bringen und wieder abzuholen bzw. beides selbstständig zu organisieren. Zwar hat der Antragsteller geltend gemacht, dass er das Kind regelmäßig zur Schule nach S... fahren und auch wieder abholen könnte. Ob dies in der Zukunft allerdings zuverlässig der Fall sein wird, lässt sich jedenfalls nicht sicher prognostizieren. In der Vergangenheit wurde das Holen und Bringen in den Kindergarten jedenfalls nicht dergestalt praktiziert. Zudem ist der Antragsteller im Schichtbetrieb tätig, wobei es, wie sich in der Anhörung vom 18.06.2020 herausgestellt hat, auch vorkommen kann, dass Schichten getauscht werden. Für den Besuch einer Regelgrundschule spricht insofern aber jedenfalls die im Gegensatz zur Waldorfschule auch im Nachmittag bestehende Flexibilität bei der Betreuung, die einer engeren Einbindung des Antragstellers entgegenkommen dürfte.

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3.3. Der teilweise mögliche Verlust des bisherigen sozialen Umfelds bei einem Besuch der Waldorfschule spricht eher für den Antragsteller, wiegt für das Gericht indes nicht so schwer, dass es aus Gründen des Kindeswohls einen Schulbesuch in der Grundschule etwa in S... für notwendig halten würde. Denn es ist nicht vorgetragen und steht auch nicht fest, welches soziale Umfeld hiermit gemeint sein könnte, etwa dass eine Vielzahl von Kindern aus dem Kindergarten, mit denen S... derzeit zu tun hat, auch in diese Schule gehen würden o. ä. Vielmehr scheint es sich so zu verhalten, dass S... engste Freundinnen ebenfalls nicht in S... zur Grundschule gehen. Dies folgt jedenfalls aus dem Ergebnis der Kindesanhörung. Ein teilweiser Verlust des sozialen Umfelds ist überdies bei der Einschulung in aller Regel bereits immanent. Dennoch ist anzunehmen, dass zumindest die Mehrzahl der Kinder, mit denen S... derzeit den Kindergarten besucht, auf der Grundschule in S... eingeschult wird. Der Schulbesuch vor Ort hätte zudem den Vorteil, dass S... den Schulweg alleine bewerkstelligen könnte, mit Klassenkameradinnen den Schulweg teilen könnte etc. Auch die Pflege von Freundschaften mit Mitschülern ist vor dem Hintergrund der kürzeren Wege deutlich einfacher in S.... Allerdings würde der Antragsteller auch einen Schulbesuch bei einer Regelgrundschule in F... in Betracht ziehen, für den letztlich dieselben Nachteile einer ortferneren Schule gelten. Zudem bietet der Schulbesuch in F... die Möglichkeit zur deutlichen örtlichen Erweiterung des sozialen Netzwerks, was sich auch als in persönlicher Hinsicht gewinnbringend zeigen kann.

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3.4. Aus dem Ergebnis der durchgeführten Anhörungen folgt zudem, dass sich die Mutter intensiv mit der Frage der Schulart auseinandergesetzt hat und mit dem Kind auch zumindest die Grundschule in S... und die Waldorfschule selbst besucht hat. Auch dies spricht für die Mutter. Der Vater hat nach eigenen Angaben lediglich bei diesen Schulen angerufen und sich im Internet informiert. Dass er das Thema mit S... erörtert und eine auf das Kind bezogene Abwägung durchgeführt hätte, ist nicht ersichtlich. Vielmehr lehnt er das Modell der Waldorfschule grundsätzlich ab. Die Antragsgegnerin bringt nachvollziehbare Gründe vor, weshalb sie eine Einschulung auf die Waldorfschule für richtig hält. Die Waldorfschule ist eine staatlich anerkannte Ersatzschule. Die Waldorfpädagogik, der dahinterstehende Gedanke der Anthroposophen, die besondere Schulorganisation usw. sind zwar diskutabel, aber können nicht per se als Gefahr für das Wohl des Kindes angesehen werden (vgl. schon AG Lemgo aaO).

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3.5. Grundsätzlich spricht zwar auch nichts dagegen, dass S... die Regelschule besucht. Allerdings ist sowohl die Mutter, als auch zuletzt die Verfahrensbeiständin, als auch S... selbst, der Ansicht, dass diese Schulform für sie die Beste ist. Das Kind hat im Rahmen der persönlichen Anhörung angegeben, unbedingt auf die Waldorfschule zu wollen. Zwar waren die Gründe, die sie hierfür genannt hat nicht dergestalt, dass man sie als Ergebnis einer vernuftgetragenen Abwägung bezeichnen könnte. Dies kann indes von einem Kind in diesem Alter auch gar nicht erwartet werden. Vielmehr sind Kinder im Alter von sechs Jahren in der Regel nicht in der Lage die Folgen der Wahl eines bestimmten Schultyps abzusehen und eine Entscheidung hiernach auszurichten (vgl. etwa OLG Dresden, FamRZ 2017, 39). Bereits deswegen ist der Wille S... bei der Entscheidungsfindung nicht von maßgeblicher Bedeutung. Zudem wurde deutlich, dass die Mutter dem Kind offenbar suggeriert hat, dass sie in der Regelschule nicht freundlich empfangen würde. Auch insofern darf eine stabile Willensbildung bei dem Kind im Vorfeld bezweifelt werden. Allerdings wurde doch ganz offensichtlich, dass der beginnende Schulbesuch in der Waldorfschule für das Kind ganz besonders positiv belegt ist, wohingegen der Besuch einer Regelschule für S... aus ihrer Sicht negativ wäre. Das Gericht geht mit der Auffassung der Verfahrensbeiständin davon aus, dass diese besondere emotionale Geneigtheit des Kindes für den Schulbeginn in der Waldorfschule diesem den Schulanfang besonders erleichtern kann. Hingegen wäre die Einschulung in einer Regelgrundschule nun für das Kind gänzlich negativ belegt. Ob man die Einstellung des Kindes binnen kurzer Zeit auch wieder ändern könnte, so der Vortrag des Antragstellers, darf angesichts der Deutlichkeit der geäußerten Auffassung S...s und in Anbetracht der Tatsache, dass die Mutter den Besuch der Waldorfschule einfordert und daher die Regelschule als solche offenbar gegenüber dem Kind negativ dargestellt hat, zumindest bezweifelt werden. Letztlich misst das Gericht dem Willen des Kindes vorliegend aber keine entscheidende Bedeutung zu.

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3.6. Die Tatsache, dass der Antragsteller die Waldorfpädagogik ablehnt, ist kein entscheidendes Kriterium für die Anmeldung in der Regelschule. Zwar ist es wünschenswert, insbesondere für das Kind, dass beide Elternteile dessen schulischen Werdegang und auch die Schule als solche unterstützen. Nach den durch das Gericht eingeholten Erkenntnissen (Telefonat mit der Schulleitung) setzt aber auch die Waldorfschule keine stetige Mitarbeit beider Elternteile voraus. Gleiches gilt für die Schulkosten. Insofern praktiziert die Schule ein variables Modell, dass sich am Einkommen der Eltern orientiert und Mindestbeiträge nicht vorsieht. Inwiefern der Vater durch die Schulwahl der Mutter aus der elterlichen Verantwortung gedrängt würde oder die Umgangskontakte zwischen Vater und Kind hierdurch beeinträchtigt würden, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Die durch die Ganztagsschule angebotene Betreuung ermöglicht der Antragsgegnerin zudem, umfassend beruflich tätig zu sein, zumal sie nach eigenen Angaben für das Holen und Bringen auch auf die Unterstützung ihrer Mutter zählen kann und der Antragsteller sich ebenfalls bereit gezeigt hat, grundsätzlich hierbei mitzuwirken.

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4. Das Jugendamt hat sich zur Sache nicht abschließend positioniert und hält grundsätzlich beide Schularten für das Kind für geeignet. Die Verfahrensbeiständin hat sich zuletzt für einen Besuch der Waldorfschule und damit für die Entscheidungsbefugnis der Mutter ausgesprochen. Unter diesen Umständen erscheint es nach Abwägung aller Positionen dem Wohl von S... am besten zu entsprechen, wenn die Entscheidungsbefugnis über die Einschulung auf die Mutter übertragen wird.

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5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1 FamFG. Die Entscheidung über die Verfahrenswertfestsetzung ergibt sich aus §§ 45 Abs. 1 Nr. 1, 41 FamGKG.

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