Urteil vom Amtsgericht Halle (Saale) - 93 C 4681/11

Tenor

1.) Die Klage wird abgewiesen.

2.) Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3.) Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung, auch zu einem Teilbetrag, durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

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Die Klägerin verlangt Entgelt für in einem Pflegeheim erbrachte Serviceleistungen.

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Die im Jahr 1929 geborene Beklagte zog im Februar 2010 in das Pflegeheim „K…-Wohnanlage“ in der Z… Straße … in … H…, weil sie pflegebedürftig ist. Neben dem Mietvertrag und einem Pflegevertrag schloss die Beklagte, vertreten durch ihre Betreuerin, auch mit der Klägerin den vorliegend streitgegenständlichen Servicevertrag vom 21. Januar 2010. Gemäß § 3 des Vertrages wurde dieser ab dem 15. Februar 2010 geschlossen. Gemäß § 2 des Vertrages war ein monatliches Entgelt von 220,00 € zu bezahlen. Gemäß § 6 Abs. 2 des Vertrages ist die Kündigung mit einer Frist von drei Monaten möglich. Gemäß § 6 Abs. 3 des Vertrages muss die Kündigung bis zum 3. Werktag der Kündigungsfrist erfolgen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Servicevertrag Bl. 14 – 21 d. A. verwiesen.

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Am 12. März 2010 zog die Beklagte in ein anderes Pflegeheim um. Vertreten durch ihre Betreuerin kündigte die Beklagte den Servicevertrag unter dem 15. März 2010. Wegen der Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 15. März 2010 Bl. 22 d. A. verwiesen.

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Die Klägerin verlangt mit der vorliegenden Klage das von der Beklagten nicht bezahlte Entgelt für die Monate April bis Juni 2010 sowie vorgerichtliche Anwaltskosten. Die Klägerin hält die vertragliche Vereinbarung einer dreimonatigen Kündigungsfrist für wirksam und ist der Ansicht, dass die Kündigung der Beklagten daher erst zum 30. Juni 2010 wirksam geworden sei.

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Die Klägerin beantragt

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1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 660,00 € zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus
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a.) Servicepauschale für 4/10 in Höhe von 220,00 € seit dem 7. April 2010
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b.) Servicepauschale für 5/10 in Höhe von 220,00 € seit dem 6. Mai 2010
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c.) Servicepauschale für 6/10 in Höhe von 220,00 € seit dem 7. Juni 2010
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2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 120,67 € zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Die Beklagte behauptet, dass sie an schwerer Altersdemenz leide, weshalb die „K…-Wohnanlage“ für sie nicht geeignet sei, was sie vor dem Einzug dort aber nicht habe erkennen können. Insbesondere habe die Klägerin nicht die in ihrem Fall erforderlichen Serviceleistungen erbracht. Die Beklagte ist der Ansicht, sie schulde schon deshalb kein Entgelt, weil die Klägerin seit dem Auszug der Beklagten am 12. März 2010 aus der „K…-Wohnanlage“ ihre vertraglichen Pflichten nicht mehr habe erfüllen können, weshalb die Beklagte auch keine Gegenleistung schulde. Zudem ist die Beklagte der Ansicht, dass die Klägerin die vorgehaltene Arbeitskraft durch den Abschluss eines anderen, identischen Servicevertrages hätte nutzen können. Jedenfalls müsse sich die Klägerin anrechnen lassen, was sie infolge der Befreiung von der Leistungen erspare oder durch anderweitige Verwendung der Arbeitskraft erwerbe oder zu erwerben böswillig unterlasse.

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Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 14. Juni 2010 verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist unbegründet.

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Gemäß § 621 Nr. 3 BGB wirkte die Kündigung der Beklagten vom 15. März 2010 zum Ablauf des 31. März 2010, sodass die Beklagte ab April 2010 kein Entgelt mehr bezahlen muss.

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Die formularmäßige Vereinbarung einer Kündigungsfrist von drei Monaten in § 6 Abs. 1 Nr. 3 BGB ist unwirksam. Sie benachteiligt den Leistungsempfänger gemäß § 307 Abs. 1 BGB unangemessen. Die vereinbarte dreimonatige Kündigungsfrist stellt eine erhebliche Abweichung von der gesetzlichen Regelung des § 621 Nr. 3 BGB dar, die Nachteile von einigem Gewicht für den Leistungsempfänger begründen. Er kann ein besonderes Interesse an einer Kündigung innerhalb der gesetzlichen Frist haben. In einem Pflegeheim halten sich naturgemäß viele schwer kranke oder pflegebedürftige Menschen auf. Daher wird sich oft kurzfristig die Notwendigkeit ergeben, die Einrichtung zu wechseln und aus dem Pflegeheim, für welches der Servicevertrag geschlossen wurde, auszuziehen und in ein anderes Heim umzuziehen, beispielsweise ein Heim, das auf besondere Bedürfnisse spezialisiert ist. Beispielsweise kann schon bei Einzug die Einrichtung – für den Leistungsempfänger nicht erkennbar – nicht geeignet sein. Oder die bereits vorhandene Erkrankung verschlimmert sich oder es treten weitere Erkrankungen hinzu, so dass die Pflege in einer anderen Einrichtung notwendig wird. Schließlich wird oft damit zu rechnen sein, dass die Leistungsempfänger versterben, sodass es auch für die Erben unbillig ist, sich noch drei Monate an einem für den Verstorbenen abgeschlossenen Servicevertrag festhalten lassen zu müssen.

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Zwar sind auf der anderen Seite auch die Interessen der Klägerin zu beachten, insbesondere an einer gewissen Planungssicherheit. Insoweit führt die Klägerin in ihrem nachgelassenen Schriftsatz vom 27. Juni 2012 durchaus zu Recht aus, dass sie qualifiziertes Personal vorhalten müsse und Planungssicherheit benötige, um ein hohes Maß an Qualität der Dienstleistungen anbieten zu können. Jedoch liegt die hohe Fluktuation der Bewohner eines Pflegeheims in der Natur der Sache. Die Klägerin muss sich daher von Anfang darauf einstellen und ihre Planung darauf ausrichten, dass Bewohner des Pflegeheims dieses oft kurzfristig verlassen müssen. Schließlich ist angesichts der Tatsache, dass die Zahl der Pflegebedürftigen auf Grund des demografischen Wandels und der Überalterung der Gesellschaft nicht sinken wird, auch nicht zu befürchten, dass der Klägerin Nachteile entstehen, wenn es bei der gesetzlichen Kündigungsfrist bleibt. Vielmehr dürfte davon auszugehen sein, dass alsbald mit einem neuen Heimbewohner ein neuer Servicevertrag abgeschlossen werden kann.

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Hinsichtlich der vorgerichtlichen Anwaltskosten wäre die Klage im übrigen auch dann, wenn sie in der Hauptsache begründet wäre, abzuweisen. Die Beklagte hat bereits in ihrem Kündigungsschreiben vom 15. März 2010 erklärt, dass sie die dreimonatige Kündigungsfrist nicht akzeptiere. Bei dieser Sachlage waren vorgerichtliche Mahnungen von vorneherein aussichtslos und nicht erfolgversprechend, weshalb die vorgerichtliche Einschaltung eines Rechtsanwalts gegen das stets zu beachtende Wirtschaftlichkeitsgebot verstieß und ein Mitverschulden der Klägerin gemäß § 254 BGB darstellt. Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, dass sie die Beklagte vorgerichtlich habe mahnen müssen, um für den Fall eines sofortigen Anerkenntnisses der Beklagten nach Klageerhebung der Gefahr einer ihr nachteiligen Kostenentscheidung gemäß § 93 ZPO zu entgehen. Denn angesichts der Begründung der Kündigung hätte die Beklagte – das Bestehen der Klageforderung unterstellt – Anlass zur Klageerhebung im Sinne des § 93 ZPO gegeben.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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Beschluss

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Der Streitwert wird auf 660,00 € festgesetzt.


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