Urteil vom Amtsgericht Halle (Saale) - 93 C 2240/13
Tenor
1.) Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 657,98 € für die Zeit vom 07.06.2012 bis zum 20.08.2013 und aus weiteren 49,22 € für die Zeit vom 07.08.2012 bis zum 20.08.2013 zu bezahlen.
2.) Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
3.) Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 90 % und die Beklagten 10 %.
4.) Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung, auch zu einem Teilbetrag, durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Mahnverfahren auf 1.762,07 € und für das streitige Verfahren auf 1.054,87 € festgesetzt.
Tatbestand
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Die Klägerin verlangt von den Beklagten Nachzahlung aus einer Betriebskostenabrechnung sowie Zinsen auf verspätet gezahlte Miete.
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Die Klägerin vermietete den Beklagten mit Mietvertrag vom 04.01.2010 eine Wohnung im Haus H… in 06108 Halle (Saale). Wegen der Einzelheiten wird auf den Mietvertrag Bl. 23-30 d. A. verwiesen. In diesem Mietobjekt befinden sich noch drei Gewerbeeinheiten, unter anderem ein Küchenstudio. Die monatliche Miete betrug in der Zeit bis zum 30.07.2012 insgesamt 733,00 € (Nettomiete einschließlich Betriebskostenvorauszahlungen), in der Zeit ab dem 01.08.2012 bis zum 31.07.2013 betrug die monatliche Miete insgesamt 799,22 € (netto Miete einschließlich Betriebskostenvorauszahlungen).
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Einen Teilbetrag der Miete für Juni 2012 i.H.v. 657,98 € sowie einen Teilbetrag der Miete für August 2012 i.H.v. 49,22 € zahlten die Beklagten erst am 20.08.2013, nachdem ihnen in der vorliegenden Sache am 13.06.2013 der Mahnbescheid zugestellt worden ist.
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Unter dem 12.07.2012 rechnete die - in Berlin ansässige - Hausverwaltung der Klägerin über die Betriebskosten für das Jahr 2011 ab. Die Abrechnung endete mit einem von den Beklagten zu zahlenden Nachforderungsbetrag i.H.v. 1.159,42 €. Wegen der Einzelheiten wird auf die Betriebskostenabrechnung Bl. 31-35 der Akte verwiesen. Mit anwaltlichem Schreiben vom 22.08.2012 erhoben die Beklagten Einwendungen gegen die Betriebskostenabrechnung und baten um die Übersendung von Abrechnungsbelegen. Sie sagte insoweit zu, Kosten i.H.v. 0,25 € pro Kopie zu übernehmen. Wegen der Einzelheiten wird auf das Schreiben Bl. 59 d. A. (einschließlich Rückseite) verwiesen. Unter dem 20.02.2013 korrigierte die Klägerin die Betriebskostenabrechnung dahingehend, dass sie den Nachforderungsbetrag aus der Betriebskostenabrechnung vom 12.07.2012 um 104,55 € reduziert. Wegen der Einzelheiten wird auf die Korrektur der Betriebskostenabrechnung Bl. 36-37 d. A. verwiesen.
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Mit Schreiben vom 27.02.2013 erwiderte die Hausverwaltung der Klägerin auf das Schreiben der Beklagten vom 22.08.2012 und bot dem Beklagten einen Termin zur Belegeinsicht an. Für die Erstellung von Belegkopien verlangte die Klägern eine Entschädigung von 0,50 € pro Kopie im Voraus. Wegen der Einzelheiten wird auf das Schreiben Platz 60-61 der Akte verwiesen. Mit Anwaltsschriftsatz vom 22.03.2013 wiederholten die Beklagten ihre Einwendungen gegen die Betriebskostenabrechnung, sagten sich für die entstehenden Kosten hinsichtlich der Belegkopien stark und baten erneut um die Übersendung der Belegkopien. Wegen der Einzelheiten wird auf das Schreiben Bl. 63a (einschließlich Rückseite) d. A. verwiesen. Mit Schreiben vom 25.03.2013 erklärte die Hausverwaltung der Klägerin, dass sie davon ausgehe, dass die Beklagten kein Interesse an Belegeinsicht hätten. Wegen der Einzelheiten wird auf das Schreiben Bl. 64-65 d. A. verwiesen.
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Die Klägerin ist der Ansicht, dass die Beklagten keinen Anspruch auf die Übersendung von Belegkopien hinsichtlich der Betriebskosten hätten. Vielmehr sei dem Beklagten zuzumuten, im Büro der Hausverwaltung in Leipzig Belegeinsicht zu nehmen. Insoweit obliege es dem Beklagten, darzulegen und zu beweisen, dass ihnen ausnahmsweise diese Belegeinsicht unzumutbar sei. Der Einwand der Beklagten hinsichtlich des Vorwegabzuges für die Gewerbeeinheiten ist nach Ansicht der Klägerin unsubstantiiert.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin weitere 1.054,87 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweils geltenden Basiszinssatz gemäß § 247 BGB aus 657,98 € seit dem 07.06.2012 bis zum 20.08.2013, aus 49,22 € seit dem 07.08.2012 bis zum 20.08.2013 und aus 1.054,87 € seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagten beantragen,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagten sind der Ansicht, dass angesichts der unstreitigen Tatsache, dass die Hausverwaltung der Klägerin in Leipzig ansässig ist, es ihnen nicht zuzumuten sei, Belegeinsicht bei der Hausverwaltung zu nehmen. Sie hätten daher Anspruch auf Übersendung von Belegkopien. Zudem verweisen die Beklagten auf die unstreitige Tatsache, dass die Klägerin ihnen zunächst die Übersendung von Kopien angeboten hat. Die Beklagten sind der Ansicht, dass angesichts der unstreitigen Tatsache, dass sich in dem Mietobjekt auch Gewerbeeinheiten befinden, die Klägerin insoweit einen Vorwegabzug der auf die Gewerbeeinheiten entfallenden Betriebskostenanteile vornehmen müsse.
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Zur Klarstellung wird darauf hingewiesen, dass die Beklagten den in der Klageerwiderung vom 08.10.2013 ursprünglich erhobenen Einwand, dass teilweise Betriebskostenvorauszahlungen der Beklagten in der Betriebskostenabrechnung nicht eingestellt sei, nicht mehr aufrechterhalten.
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Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist hinsichtlich der geltend gemachten Betriebskostennachforderung - jedenfalls zur Zeit - unbegründet. Die Beklagten haben gegen die streitgegenständliche Betriebskostennachforderung ein Zurückbehaltungsrecht, auf das sie sich zwar nicht ausdrücklich, aber der Sache nach berufen haben.
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Dem Mieter steht gegenüber der Betriebskostennachforderung des Vermieters ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB zu, solange der Vermieter ihm keine Überprüfung der Abrechnung ermöglicht (BGH, Urteil vom 8. März 2006, Az. VIII ZR 78/05, Rn. 21, zitiert nach juris). Vorliegend hat die Klägerin den Beklagten eine Überprüfung der Abrechnung nicht ermöglicht, da sie es abgelehnt hat, den Beklagten die geforderten Belegkopien zu übersenden, obwohl die Beklagten erklärt haben, die von der Klägern verlangten Kopierkosten zu übernehmen. Das Schreiben der Rechtsanwältin der Beklagten vom 22.03.2013 konnte die Klägerin auch nicht so verstehen, dass die Beklagten nur die zunächst angebotenen 0,25 € pro Kopie statt der von der Klägerin verlangten 0,50 € pro Kopie zahlen wollten. Vielmehr mussten die Beklagten das Schreiben der Hausverwaltung der Klägerin vom 25.03.2013 so auffassen, dass die Klägerin die Übersendung von Belegkopien ablehnte.
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Zwar sieht das Gesetz einen Anspruch des Mieters auf Überlassung von Fotokopien der Abrechnungsbelege für den Bereich der preisfreien Wohnraums nicht vor (BGH, a. a. O., Rn 22). Ein Anspruch des Mieters auf Überlassung von Fotokopien von Rechnungsbelegen kommt jedoch nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) ausnahmsweise dann in Betracht, wenn ihm die Einsichtnahme in die Abrechnungsunterlagen in den Räumen des Vermieters nicht zugemutet werden kann (BGH, a. a. O., Rn 25). So liegt der Fall hier.
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Es lässt sich schwer eine allgemeine Regel aufstellen, ab welcher Entfernung zwischen Wohnung des Mieters und Sitz des Vermieters bzw. der Hausverwaltung eine Belegeinsicht für den Mieter nicht mehr zumutbar ist. Das Gericht ist jedenfalls für den - in der Praxis sehr häufigen - Fall, dass ein Mieter in Halle (Saale) es mit einer in Leipzig ansässigen Hausverwaltung zu tun hat, der Ansicht, dass eine Belegeinsicht in Leipzig nicht mehr zumutbar ist. Im Anschluss an das Urteil des Amtsgerichts Dülmen vom 30.08.2010 (Az. 3 C 121/10, zitiert nach juris) und dem nachfolgenden Beschluss des Landgerichts Münster vom 25.11.2010 (Az. 3 S 160/10, zitiert nach juris) ist das Gericht der Ansicht, dass die Grenze für eine zumutbare Entfernung ungefähr bei 30 km anzusetzen ist.
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Zwar mag man die Zahl „30 km“ für willkürlich halten, das würde aber für jede andere Zahl genauso gelten, und irgendwo muss man die Grenze ziehen. Sicher ist die Belegeinsicht bei einer Entfernung von einem Kilometer zumutbar, und ebenso sicher ist die Belegeinsicht bei einer Entfernung von 500 km nicht zumutbar. Würde man auf die beliebten Umstände des Einzelfalles unter umfassender Abwägung aller Gesichtspunkte abstellen, würde man einer uferlosen Kasuistik Tür und Tor öffnen, es würde dann jede Rechtssicherheit fehlen.
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Die Entfernung von Halle nach Leipzig beträgt in der Luftlinie 32 km (http://www.luftlinie.org/Halle-Saale/Leipzig). Aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit hält es das Gericht daher insgesamt für unzumutbar, dass ein in Halle wohnender Mieter in Leipzig Belegeinsicht nehmen soll, ohne dass es im einzelnen auf die genaue Adresse des Mieters sowie des Vermieters bzw. der Hausverwaltung ankommt. Zu beachten ist, wenn das Gericht insoweit die 30-km-Grenze anwendet, auch, dass eine zurückzulegende Wegstrecke fast stets länger als die Luftlinie ist und dass jedenfalls bei Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln im Regelfall ein mindestens zweimaliges Umsteigen (in Halle von der Straßenbahn in die S-Bahn und in Leipzig wieder von der S-Bahn in die Straßenbahn) erforderlich ist.
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Hinzu kommt, dass die konkrete Entfernung von der Wohnung der Beklagten bis zum Sitz der Hausverwaltung (T… …, 04… Leipzig, wobei die Klägerin diese Leipziger Adresse im Rechtsstreit noch nicht einmal mitgeteilt hat, so dass das Gericht sie erst im Internet unter http://www... recherchieren musste) 44,86 km beträgt, wenn man die Strecke mit dem Auto zurücklegen will (http://www...). Dies ist nicht mehr zumutbar, so dass gemäß § 242 BGB nach der zitierten Rechtsprechung des BGH die Beklagten einen Anspruch auf Übersendung der Belegkopien haben.
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Im vorliegenden Fall ist weiter auch zu beachten, dass im vorgerichtlichen Schriftwechsel die Klägerin zwar Belegeinsicht angeboten hat, auf ihre Leipziger Adresse aber gar nicht hingewiesen hat. Die Schreiben der Hausverwaltung vom 27.02.2013 und vom 25.03.2013 enthalten lediglich die Berliner Adresse der Hausverwaltung. Auch die Betriebskostenabrechnung vom 12.07.2012 sowie die Korrektur der Betriebskostenabrechnung vom 20.02.2013 nennen lediglich die Berliner Adresse. Im Mietvertrag ist zwar eine Hausverwaltung aus Leipzig genannt, dies ist aber nicht die Hausverwaltung, von welcher die Betriebskostenabrechnung stammt. Die Beklagten oder ihre Rechtsanwältin mussten auch nicht erst im Internet recherchieren, ob es möglicherweise auch eine Anschrift in Leipzig gibt. Erst im Rechtsstreit hat sich die Klägerin darauf berufen, dass Belegeinsicht in Leipzig möglich sei. Die Angabe in der Anspruchsbegründung vom 28.08.2013, dass den Beklagten die Einsichtnahme in die Abrechnungsbelege „am Sitz der Verwaltung in Leipzig“ angeboten worden sei, ist daher schlicht falsch. Zudem hat, wie schon erwähnt, selbst im Rechtsstreit die Klägerin noch nicht einmal ihre genaue Leipziger Adresse mitgeteilt.
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Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, dass die Beklagten ihr vorab 0,50 € pro Kopie hätten zahlen müssen. Zum einen ist das Schreiben der Rechtsanwältin der Beklagten vom 20.03.2013 durchaus so zu verstehen, dass die Beklagten bereit sind, die in dem Schreiben der Hausverwaltung vom 27.02.2013 geforderten 0,50 € pro Kopie zu bezahlen, wobei Zahlung im Voraus schon deshalb kaum möglich ist, da die Beklagten ja vor Übersendung der Kopien gar nicht wissen können, wie viele Kopien überhaupt gefertigt werden müssen. Jedenfalls haben sich die Beklagten nicht geweigert, diese Gebühr zu bezahlen, sodass es Sache der Klägerin gewesen wäre, den Beklagten mitzuteilen, welchen Betrag sie für die Übersendung der Belegkopien (vorab) überweisen sollen. Hinzu kommt, dass die Klägerin ohnehin nur die von den Beklagten ursprünglich angebotenen 0,25 € pro Kopie verlangen kann (AG Charlottenburg, Urteil vom 20.03.2013, Az. 213 C 371/12, zitiert nach juris).
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Da die Beklagten derzeit ein Zurückbehaltungsrecht gegen die Betriebskostennachforderung der Klägerin haben, kommt es auf die weiteren Einwendungen der Beklagten gegen die Betriebskostenabrechnung nicht an. Die Beklagten können auch nicht zur Nachzahlung der Betriebskostenforderung Zug um Zug gegen Übersendung der Abrechnungsbelege verurteilt werden. Denn nach der Übersendung der Abrechnungsbelege ist ja den Beklagten zunächst Gelegenheit zu geben, (weitere) Einwendungen gegen die Betriebskostenabrechnung zu erheben.
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Hingegen müssen die Beklagten die von der Klägerin geforderten Verzugszinsen auf die verspätet gezahlten Mieten für Juli und August 2012 gemäß §§ 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 288 Abs. 1 BGB bezahlen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, wobei das Gericht berücksichtigt hat, dass die im Mahnverfahren zusätzlich geltend gemachte Forderung i.H.v. 707,20 € für rückständige Miete für die Monate Juni und August 2012, welche im streitigen Verfahren nicht mehr geltend gemacht wird, berechtigt war. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht für die Klägerin auf §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO und für die Beklagten auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Es ist kein Grund zu erkennen, gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4 ZPO die Berufung der Beklagten zuzulassen.
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