Urteil vom Arbeitsgericht Düsseldorf - 6 Ca 1881/21
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 27.03.2021, zugegangen am 29.03.2021, nicht zum 31.12.2021 aufgelöst wird.
2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerpartei ein Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Leistung und Verhalten erstreckt.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerpartei bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag weiter als First Officer zu beschäftigen.
4. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
5. Der Streitwert beträgt 35.903,25 €.
6. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.
1
T a t b e s t a n d:
2Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten ordentlichen Kündigung sowie die Erteilung eines Zwischenzeugnisses und die Weiterbeschäftigung des Klägers bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens.
3Die Beklagte ist eine aus der früheren I. hervorgegangene, international agierende deutsche Fluggesellschaft mit Sitz in Hannover-Langenhagen.
4Der 00-jährige ledige Kläger ist seit dem 19.05.2014 bei der Beklagten als First Officer zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsverdienst von 7.180,65 € beschäftigt.
5Die Beklagte beschäftigt (Stand 16.04.2021) 2.151 Mitarbeiter, wovon 527 dem Cockpitpersonal angehörten. Auf Grundlage des zwischen der Beklagten und der Vereinigung Cockpit e.V. geschlossenen Tarifvertrags für das Cockpitpersonal vom 31.10./26.11.2012 (im Folgenden: TV PV Cockpit) ist bei der Beklagten eine Personalvertretung für das Cockpitpersonal gebildet.
6Am 05.03.2021 schloss die Beklagte mit der Gesamtvertretung Bord einen Interessenausgleich (Anlage B4), der auszugsweise folgenden Inhalt hat:
7„§ 3
8Geplante Betriebsänderung und Auswirkung auf die Arbeitsverhältnisse
9U. wird ihre Flotte auf 22 Flugzeuge reduzieren und sechs ihrer derzeit unterhaltenden Stationen vollständig und dauerhaft schließen, d. h. an diesen Stationen wird kein U.-Fluggerät mehr stationiert. Durch die Flottenreduzierung, Stationsschließungen und Neustrukturierung des Streckennetzes ergibt sich ein Personalüberhang über alle Mitarbeitergruppen, die in den Geltungsbereich dieses Interessenausgleichs fallen.
101. Geplante Maßnahmen mit Auswirkungen auf das fliegende Personal
111.1. Flottenreduzierung auf 22 A/C
12Die U. wird ihre derzeit betriebene Flotte schrittweise jeweils zu den nächstmöglichen Zeitpunkten auf 22 Flugzeuge (A/C) reduzieren (nachfolgend: die Flottenreduzierung). Die Flottenreduzierung erfolgt teilweise durch Verschiebung der Flugzeuge innerhalb der U.-Gruppe, im Übrigen durch Ausflottung (Phase-Outs).
13Die Zielgröße von 22 Flugzeugen (einschließlich der zur Zeit für F. im Wet-Lease betriebenen zwei A/C) wird im Sommer 2022 erreicht werden.
14Vorübergehende Unterschreitungen der Zielgröße aus technischen Gründen (im Zuge von Aus- und Umflottungsabläufen) bleiben unberührt.
151.2. Stationsschließungen; Verbleib von fünf Stationen; Neustrukturierung des Streckennetzes
16Die U. wird ihre Stationen an den Flughäfen Hamburg (HAM), Münster-Osnabrück (FMO), Berlin Tegel (TXL; betrifft auch die Mitarbeiter mit seit 01.11.2020 vorübergehend zugewiesener Homebase BER), Bremen (BRE) und Nürnberg (NUE) mit Beginn des Winterflugplans 2021/22, spätestens zum 31.12.2021 vollständig schließen; die Station Köln soll nach aktuellem Planungsstand erst zum Ende des Sommerflugplans 2023 (Ende des Wet-Lease für F.) geschlossen werden (nachfolgend: die Stationsschließungen). U. wird an diesen geschlossenen Stationen kein U.-Fluggerät mehr stationieren.
17[…]
182. Auswirkungen der geplanten Maßnahmen auf das Cockpit- und Kabinenpersonal
19[…]
202.2. Die geplante flotten Reduzierung (Ziffer 1.1), die geplanten Stationsschließungen (Ziffer 1.2) und die damit einhergehende Neustrukturierung des Streckennetzes führen ferner dazu, dass im Bereich des Cockpit- und Kabinenpersonals die Beschäftigtenzahl und die für den Flugbetrieb erforderlichen Sonderfunktionen der reduzierten Flugzeugzahl anzupassen ist. Dabei dürfen die gemäß den hierzu abgeschlossenen Tarifverträgen mit der Vereinigung Cockpit und der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di geregelten Beschäftigtenzahlen (Cockpit: 370 Mitarbeiter; Kabine: 830 Mitarbeiter) nicht unterschritten werden.“
21Ferner schloss die Beklagte am 11.03.2021 mit der Personalvertretung Cockpit einen Sozialplan ab, der in § 4 Abs. 4, 5 Auswahlrichtlinien zur Durchführung der Sozial-auswahl vorsieht, wegen dessen Einzelheiten auf den Sozialplan (Anlage B7) Bezug genommen wird. Insbesondere sehen die Auswahlrichtlinien mit den Kapitänen und den First Officern (Co-Piloten) zwei Vergleichsgruppen vor. § 4 Abs. 4 des Sozialplans sieht zudem ein Punkteschema zur Bewertung der Sozialdaten vor. In § 4 des Sozialplans heißt es sodann:
22Flottenreduzierung auf 22 A/C
231. Die U. wird ihre derzeit betriebene Flotte schrittweise bis Sommer 2022 auf 22 Flugzeuge (A/C) reduzieren (nachfolgend: Die Flottenreduzierung).
24Darin enthalten sind zwei Flugzeuge, die befristet (derzeit bis Ende Sommersaison 2023) im Wet-Lease für F. aus der Station Köln (CGN) betrieben werden sollen (vergleiche unten § 11).“
25Mit Schreiben vom 18.03.2021 hörte die Beklagte die Personalvertretung Cockpit zu der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist des Klägers an. Wegen der Einzelheiten wird auf das Anhörungsschreiben (Anlage B10) Bezug genommen. Mit Schreiben vom 11.03.2021 (Anlage B12) leitete die Beklagte gegenüber der Gesamtvertretung Bordpersonal – nachdem diese zuvor von den Personalvertretungen Cockpit und Kabine dazu bevollmächtigt worden waren – das Konsultationsverfahren ein. Am 19.03.2021 führten die Beklagte und die Gesamtvertretung Bord einen weiteren Beratungs- und Konsultationstermin durch. Am Ende dieses Termins erklärte der Vorsitzende der Gesamtvertretung Bordpersonal, dass keine weiteren Fragen mehr offen seien – weitere Erklärungen sollten nicht abgegeben werden. Mit Schreiben vom 25.03.2021 widersprach die Personalvertretung Cockpit der Kündigung (Bl. 58 f. d.A.).
26Am 27.03.2021 erstattete die Beklagte sowohl bei der Agentur für Arbeit in „(…)“als auch bei der Agentur für Arbeit in „(…)“ (Anlage B13) eine Massenentlassungsanzeige. Die Agentur für Arbeit „(…)“ bestätigte den vollständigen Eingang der Massenentlassungsanzeige mit Schreiben vom 29.03.2021 (Anlage B14).
27Mit Schreiben vom 27.03.2021, dem Kläger am 30.03.2021 zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers ordentlich zum 31.12.2021.
28Mit seiner am 16.04.2021 bei dem Arbeitsgericht Düsseldorf eingegangenen, der Beklagten am 27.04.2021 zugestellten Klage wendet sich der Kläger gegen die Wirksamkeit der Kündigung und macht darüber hinaus die Erteilung eines Zwischenzeugnisses hilfsweise eines entsprechenden Endzeugnisses sowie seine Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens geltend.
29Der Kläger bestreitet das Vorliegen dringender betrieblicher Erfordernisse. Die Beklagte habe nicht dargelegt, dass ein entsprechender Beschäftigungsbedarf mit Ablauf der Kündigungsfrist entfalle. Es komme auf den tatsächlichen und nicht auf einen vereinbarten Beschäftigungsbedarf an. Bereits jetzt sei der Bestand an Flugzeugen deutlich reduziert. Trotzdem sei die Beklagte nicht in der Lage, ohne überobligatorische Inanspruchnahme des Cockpitpersonals das aktuelle Flugaufkommen zu bedienen. Alle Mitarbeiter müssten zur Aufrechterhaltung des Flugbetriebs Mehrflugstunden leisten.
30Die lettische Chartergesellschaft T. führe ab dem Sommer 2021 mehrere hundert Flüge ab Saarbrücken und Basel im Vollcharter für die U. durch. Die Destinationen lägen rund um das Mittelmeer und auf den kanarischen Inseln.
31Darüber hinaus seien im Unternehmen der Beklagten freie Stellen ausgeschrieben, auf denen er weiterbeschäftigt werden könne.
32Die Beklagte habe zudem keine ordnungsgemäße Sozialauswahl durchgeführt. Die im Sozialplan enthaltene Auswahlrichtlinie sei grob fehlerhaft. Die Kriterien der Sozialauswahl seien nicht ausgewogen berücksichtigt. Ferner sei die Bildung der Vergleichsgruppen - Kapitäne und First Officer – und die stationsübergreifende Sozialauswahl grob fehlerhaft. Zudem verstoße die Kündigung gegen § 4 Abs. 6 des Sozialplans; danach habe die Beklagte die Mitarbeiter mit Sonderkündigungsschutz aufgrund von Elternzeit oder Pflegezeit nicht komplett aus der Sozialauswahl herausnehmen dürfen. Er bestreite, dass die von der Beklagten als Leistungsträger aus der Sozialauswahl herausgenommen Mitarbeiter entsprechende besondere Kenntnisse und Fähigkeiten verfügten. Insbesondere habe die Beklagte bei der Sozialauswahl auch sog. Area-Manager herausgenommen, wobei diese keine nennenswerten Zusatzqualifikationen benötigten.
33Schließlich rügt er die ordnungsgemäße Anhörung der Personalvertretung Cockpit und die Ordnungsgemäßheit der Massenentlassungsanzeige und bestreitet die ordnungsgemäße Durchführung des Konsultationsverfahrens.
34Der Kläger beantragt,
35- 36
1. es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 27.03.2021, zugegangen am 30.03.2021, nicht zum 31.12.2021 aufgelöst wird;
- 38
2. die Beklagte wird verurteilt, der Klägerpartei ein Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Leistung und Verhalten erstreckt;
- 40
3. hilfsweise, für den Fall, dass der Feststellungsantrag zu Ziffer 1 abgewiesen wird, die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ein endgültiges Zeugnis zu erteilen, das sich auf Leistung und Verhalten erstreckt;
- 42
4. hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit dem Feststellungsantrag zu Ziffer 1, die Beklagte zu verurteilen, die Klägerpartei bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag weiter als Frist Officer zu beschäftigen.
Die Beklagte beantragt,
44die Klage abzuweisen.
45Die Beklagte ist der Auffassung, die Kündigung sei aus betriebsbedingten Gründen gerechtfertigt.
46Die Beklagte behauptet, der Kündigung liege die unternehmerische Entscheidung zu Grunde, die Flotte von ursprünglich 39 auf 22 Flugzeuge zu verkleinern, sechs der ursprünglich elf betriebenen Stationen zu schließen und in diesem Rahmen das Streckennetz neu zu strukturieren. Die Reduzierung der Flotte von 35 auf 22 Flugzeuge werde bis spätestens Sommer 2022 erfolgen. Der mit der Flottenreduzierung korrespondierende Entfall des Beschäftigungsbedarfs trete tatsächlich spätestens mit Ende des Sommerflugplans zum 31.10.2021 ein, da während des Winterflugplans (01.11.2021 bis 30.04.2021) auch für 22 Flugzeuge keine Auslastungsmöglichkeit bestehe. Wegen des im Sozialplan vereinbarten Beschäftigungsbedarfs von 370 Mitarbeitern des Cockpitpersonals werde daher spätestens zum 31.12.2021 nur ein (vereinbarter) Beschäftigungsbedarf für 185 Kapitäne bestehen. Dies werde sich auch in Zukunft nicht ändern.
47Der tatsächliche operative Beschäftigungsbedarf liege sogar unter der Grenze der im Sozialplan vereinbarten 370 Cockpit-Mitarbeiter. Ausgehend von der künftigen Flottengröße von 22 Flugzeugen bestehe bei dem maßgeblichen Crewfaktor von 7,05 FTE (jeweils für die Gruppe der Kapitäne und Ersten Offiziere) operativ nur noch Beschäftigungsbedarf für 310 FTE. Dabei berücksichtige sie für die Monate Juni und Juli 2022 inklusive Simulatortraining ein Gesamtflugvolumen von 8.826 Blockstunden je Berufsgruppe pro Monat. Die sich aus einem Vergleich mit vergangenen Jahren ergebende, durchschnittlich von einem FTE leistbare Blockstundenzahl betrage je Berufsgruppe 83 pro Monat. So ergebe sich ein Bedarf von 106,5 FTE pro Berufsgruppe, mithin 213 FTE. Unter Berücksichtigung von Spare-Kapazitäten von 9,5 FTE und als operativen Puffer ergebe sich ein Bedarf von 232 FTE. Orientiert an den Erfahrungswerten der Personalplanung der letzten drei Jahre sei der Wert von 232 FTE nochmals um 78 FTE erhöht worden, um Urlaubsabwesenheit, Krankheitsabwesenheiten und Bürotage in der Bedarfsberechnung zu berücksichtigen.
48Nach den ebenfalls auf die bisherigen Erfahrungswerte der letzten drei Jahre gestützten Prognosen der Beklagten biete ein Beschäftigungsbedarf von 310 FTE unter Berücksichtigung von Teil-, Eltern- und Pflegezeiten und sonstigen vorübergehenden Abwesenheiten eine operative Beschäftigungsmöglichkeit für 340 Köpfe des Cockpitpersonals und liege damit immer noch deutlich unterhalb des tarifvertraglich vereinbarten Beschäftigungsbedarfes von 370 Mitarbeitern. Die 370 Mitarbeiter, gegenüber denen keine Kündigungen ausgesprochen wurden, hätten zum Zeitpunkt des Kündigungszuganges (Stand 30.03.2021) rechnerisch 346 FTE entsprochen, wobei 174 FTE auf die Berufsgruppe der Kapitäne und 172 FTE auf die Berufsgruppe der First Office entfallen seien.
49Die über die 310 FTE (= 340 Köpfe) durch die tarifvertragliche Vereinbarung zusätzlich generierten Stellen sollen wirtschaftlich kompensiert werden durch die verpflichtende Sonderteilzeit aller Cockpitbeschäftigten ab dem 01.01.2022 gemäß dem Tarifvertrag Sonderteilzeit vom 05.03.2021 (Schriftsatz der Beklagten vom 08.10.2021, Seite 14, Bl. 280 d.A.).
50Eine Kontrollüberlegung bestätige, dass ihre Berechnungen und Prognosen zutreffend seien. Die 370 Mitarbeiter, gegenüber denen keine Kündigungen ausgesprochen worden seien, entsprächen zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs rechnerisch 346 FTE, wobei 174 FTE auf die Berufsgruppe der Kapitäne und 174 FTE auf die Berufsgruppe der First Officer entfielen. Die zum 30.03.2021 bekannten und geltenden Teilzeiten seien in dem Wert von 346 FTE selbstverständlich berücksichtigt. Zwar seien hier auch 74 FTE enthalten, die zum 30.03.2021 über einen gesetzlichen Sonderkündigungsschutz verfügten. Allerdings stünden auch diese Mitarbeiter zu großen Teilen als Arbeitskraft zur Verfügung und seien in den allermeisten Fällen in Teilzeit und das auch nur mit geringfügiger Arbeitszeitreduzierung tätig. Vor Ende 2021 würde zudem betreffend 33 FTE der Sonderkündigungsschutz enden. Der verbleibende Ausfall aufgrund von Eltern-, Pflege-, oder Familienpflegezeiten betrage nach den zum 30.03.2021 angestellten Berechnungen ab dem 01.01.2022 9 FTE.
51Die Reduzierung der Flotte sei im Sozialplan nur deswegen als „schrittweise“ bezeichnet worden, weil Ausflottungsvorgänge sich nicht taggenau planen ließen. Dies sei von diversen Faktoren abhängig, wie der Kooperation mit Leasinggebern und dem Luftfahrtbundesamt. Eine Verzögerung bedeute indes nicht, dass ein höherer Beschäftigungsbedarf bestünde.
52Schon zu Beginn der Sommersaison, d.h. ab dem 01.05.2022 werde auch die tatsächliche Flottengröße das Zielbild von 22 Flugzeugen erreicht haben. Auch in der Zahl von 22 zu Beginn der Sommersaison seien die beiden Flugzeuge der F.-Operation bereits eingerechnet.
53Die Beklagte ist der Auffassung, die Sozialauswahl sei zutreffend erfolgt. Die Bildung der Vergleichsgruppen Kapitäne und First Officer bilde die flugbetrieblich und aus öffentlich-rechtlichen Gründen zwingend erforderliche Zusammensetzung der Cockpitcrews ab. Zudem würden sie die beiden unterschiedlichen Hierarchiestufen beim Cockpitpersonal, die sich signifikant durch Werdegang, Ausbildung und Vergütung unterscheiden, widerspiegeln. Eine Einbeziehung von Mitarbeitern mit Sonderkündigungsschutz in die Sozialauswahl sei nicht geboten gewesen. Eine Verpflichtung des Arbeitgebers, bei den zuständigen Behörden Anträge Zulässigerklärung der Kündigungen der sonderkündigungsgeschützten Mitarbeiter zu stellen, bestehe nicht. Ein hier vorliegender Personalabbau, der nicht auf einer Betriebsstilllegung, sondern im Wesentlichen auf einer Flottenverkleinerung beruhe, sei zudem kein „besonderer Fall“ im Sinne der maßgeblichen Bestimmungen des BEEG, PflegeZG, FPflegeZG; es sei davon auszugehen, dass die Aufsichtsbehörden die Anträge auf Zulässigerklärung der Kündigung der sonderkündigungsgeschützten Mitarbeiter abgelehnt hätten.
54Die Durchführung der Sozialauswahl gemäß den Auswahlrichtlinien im Sozialplan innerhalb der beiden Vergleichsgruppen Kapitäne und First Officer unter Berücksichtigung der Herausnahme von Leitungspersonal aus der Sozialauswahl habe ergeben, dass der Kläger mit 41 Punkten an Rangstelle 211 der Sozialauswahlliste stehe. Der maßgebliche Schwellenwert im Hinblick auf die nicht zu kündigenden Beschäftigten liege für First Officer und für Kapitäne jeweils bei Rangstelle 185. Auf die Herausnahme der Mitarbeiter mit Sonderkündigungsschutz komme es nicht an, da lediglich 4 Mitarbeiter mit Sonderkündigungsschutz weniger Sozialpunkte als der Kläger hätten.
55Weder im Flugbetrieb noch im Unternehmen der Beklagten bestünden Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten, die dem Kläger hätten angeboten werden können oder müssen. Die Chartergesellschaft T. führe während der Sommerflugplanperiode Flüge im Auftrag der U. Deutschland GmbH durch. Sie, die Beklagte, habe allerdings keinen bestimmenden Einfluss darauf, bei welcher Fluggesellschaft der Reiseveranstalter seine Flüge einkaufe. Die seitens der Personalvertretung im Rahmen des Widerspruchs gegen die Kündigung benannten Stellen bestünden entweder nicht oder der Kläger sei für diese nicht geeignet.
56Aus der Tatsache, dass Kollegen des Klägers teilweise Mehrflugstunden aufweisen, könne nicht abgeleitet werden, dass der Beschäftigungsbedarf über den 31.12.2021 hinaus fortbestünde. Zunächst handele es sich bei Mehrflugstunden nicht um Über-stunden, sondern um die tariflich festgelegten Grenzen, ab denen Piloten eine zusätzliche Vergütung zu zahlen ist, wenn sie fliegen. Zur Frage des Beschäftigungsbedarfs seien Mehrflugstunden daher von vornherein begrenzt aussagefähig. Ferner beruhten die Mehrflugstunden nicht auf einem unvorhergesehenen hohen Beschäftigungsbedarf, sondern ließen sich im Wesentlichen auf unvorhergesehene Änderungen im Flugplan zurückführen, wie z.B. Ausfall anderer Kollegen aufgrund von Arbeitsbefreiungen, Impfterminen, Freistellungen und Krankmeldungen.
57Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den gesamten Inhalt der Akte, insbesondere die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsprotokolle, Bezug genommen.
58E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
59A.
60Die zulässige Klage ist begründet. Der Antrag zu 3. ist nicht zur Entscheidung angefallen.
61I.
62Der form- und fristgerecht im Sinne der §§ 4, 7, 13 KSchG erhobene Kündigungsschutzantrag ist zulässig und begründet. Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis wird durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 27.03.2021 nicht mit Ablauf des 31.12.2021 beendet werden.
631. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt und damit rechtsunwirksam im Sinne von § 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG.
64a) Das Kündigungsschutzgesetz findet auf das Arbeitsverhältnis gemäß §§ 1, 23 KSchG in persönlicher und betrieblicher Hinsicht Anwendung. Die Beklagte beschäftigte im Zeitpunkt der Kündigung regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer. Der Kläger ist länger als sechs Monate bei der Beklagten beschäftigt.
65b) Die Kündigung ist nicht gemäß § 1 Abs. 2 KSchG durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers in dem Betrieb der Beklagten entgegenstehen, gerechtfertigt. Die Beklagte hat nicht nachvollziehbar dargelegt, dass zum Zeitpunkt der Kündigung die Prognose gerechtfertigt war, die Aufgaben des Klägers würden mit Ablauf der Kündigungsfrist wegfallen. Der Kammer fehlt es bereits an einer hinreichend konkreten Darlegung der Berechnung des aufgrund der geplanten Flottenreduzierung verbleibenden Beschäftigungsbedarfs.
66aa) Dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG liegen vor, wenn die Umsetzung einer unternehmerischen (Organisations-)Entscheidung auf der betrieblichen Ebene spätestens mit Ablauf der Kündigungsfrist zu einem voraussichtlich dauerhaften Wegfall des Bedarfs an einer Beschäftigung des betroffenen Arbeitnehmers führt. Diese Prognose muss schon im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung objektiv berechtigt sein (BAG, Urteil vom 31.07.2014 – 2 AZR 422/13 – Rn. 3; BAG, Urt. v. 23.02.2010 – 2 AZR 268/08 – Rn. 17). Ein dringendes „betriebliches“ Erfordernis, das einer Weiterbeschäftigung entgegensteht, ist gegeben, wenn die Arbeitskraft des Arbeitnehmers im Betrieb nicht mehr gefordert ist.
67Hängt der Wegfall des Beschäftigungsbedarfs von einer solchen unternehmerisch-organisatorischen Maßnahme des Arbeitgebers ab, braucht diese bei Kündigungszugang noch nicht tatsächlich umgesetzt zu sein. Es genügt, dass sie sich konkret und greifbar abzeichnet. Dazu müssen – soweit die Kündigung ihren Grund in einer Änderung der betrieblichen Organisation hat – zumindest die Absicht und der Wille des Arbeitgebers, die fraglichen Maßnahmen vorzunehmen, schon vorhanden und abschließend gebildet worden sein. Andernfalls lässt sich im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung – auf den es dafür unverzichtbar ankommt – nicht hinreichend sicher prognostizieren, es werde bis zum Ablauf der Kündigungsfrist tatsächlich zum Wegfall des Beschäftigungsbedarfs kommen (BAG, Urt. v. 20.11.2014 – 2 AZR 512/13 – Rn. 16; BAG, Urt. v. 31.07.2014 – 2 AZR 422/13 – Rn. 34; BAG, Urt. v. 20.02.2014 – 2 AZR 346/12 – Rn. 18; BAG, Urt. v. 23.02.2010 – 2 AZR 268/08 – Rn. 18).
68Die Zweckmäßigkeit der unternehmerischen Entscheidung ist dabei von den Arbeitsgerichten nur begrenzt darauf überprüfbar, ob sie offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist (st. Rspr., BAG, Urt. v. 24.05.2012 – 2 AZR 124/11; BAG, Urt. v. 06.07.2006 – 2 AZR 442/05). Zum Entscheidungsspielraum des Arbeitsgebers gehört dabei auch die Befugnis, die Zahl der Arbeitskräfte zu bestimmen, mit denen eine Arbeitsaufgabe zukünftig erledigt werden soll (BAG, Urt. v. 17.06.1999 – 2 AZR 522/98). Der Arbeitgeber kann grundsätzlich sowohl das Arbeitsvolumen als auch das diesem zugeordnete Arbeitskraftvolumen und somit auch das Verhältnis dieser beiden Größen zueinander bestimmen (zum öffentlichen Dienst: BAG, Urt. v. 23.11.2004 – 2 AZR 38/04). Allerdings obliegt es den Arbeitsgerichten nachzuprüfen, ob die fragliche Entscheidung tatsächlich umgesetzt wurde und dadurch das Beschäftigungsbedürfnis für einzelne Arbeitnehmer entfallen ist (BAG, Urt. v. 24.05.2012 – 2 AZR 124/11; BAG, Urt. v. 23.02.2012 – 2 AZR 548/10; BAG, Urt. v. 16.12.2010 – 2 AZR 770/09).
69bb) Diesen Anforderungen wird das tatsächliche Vorbringen der Beklagten nicht gerecht.
70(1) Die Beklagte hat die unternehmerische Entscheidung getroffen, ihre Flotte auf 22 Flugzeuge zu reduzieren. Ebenso prognostiziert die Beklagte einen Crewfaktor von 7,05 FTE (Vollzeitkräfte) pro Flugzeug. Die Kammer hat ihre Zweifel, ob man bei dieser Konstellation lediglich darauf abstellen kann, dass sowohl die Festlegung der Flugzeugflotte als auch die Festlegung der erforderlichen Vollzeitkräfte pro Flugzeug jeweils als freie unternehmerische Entscheidung lediglich einer Missbrauchskontrolle unterliegen und sich der Wegfall des Beschäftigungsbedarfs somit bereits aus einem Vergleich des Mitarbeiterbestands vor und nach der Flottenreduzierung ergibt. Der Wegfall des Beschäftigungsbedarfs wäre durch die Arbeitsgerichte tatsächlich nicht nachprüfbar, sondern müsste lediglich anhand der abgebauten Flugzeuge berechnet und ungeprüft angenommen werden.
71Letztendlich kann dies jedoch dahinstehen, da die Kammer bereits zu dem Ergebnis kommt, dass sie anhand der erfolgten Darlegungen der Beklagten zu der Berechnung des Crewfaktors bereits nicht in der Lage ist, eine Prüfung dahingehend vorzunehmen, ob die – unterstellte grundsätzlich freie – unternehmerische Entscheidung offenbar unsachlich, willkürlich oder missbräuchlich ist. Erforderlich wäre in dieser Konstellation nach Auffassung der Kammer jedenfalls eine transparente und plausible Darstellung des zugrundeliegenden Zahlenwerkes. Eine solche substantiierte und für den Kläger einlassungsfähige Darlegung ist nicht erfolgt. Die Beklagte legt zwar dar, welche Parameter sie für die Berechnung des Crewfaktors zugrunde gelegt hat. Ein transparentes Zahlenwerk wird jedoch nicht dargelegt. Sie stützt sich lediglich darauf, dass die angenommenen – der Berechnung des Crewfaktors zugrunde gelegten – Zahlen auf Erfahrungswerten beruhen. Zum Teil wird gar nicht erörtert, woher die unterstellten Zahlen stammen. Der Vortrag der Beklagten ist für die Kammer nicht überprüfbar und den Kläger nicht einlassungsfähig. Bei der Berechnung des Crewfaktors mag der erste Schritt betreffend die Blockstunden noch als ausreichende Darlegung unterstellt werden. Hinsichtlich des zweiten Schrittes, der leistbaren Blockstundenanzahl pro Mitarbeiter je Berufsgruppe von 83 im Monat, ist für die Kammer bereits nicht einleuchtend, ob es sich hierbei um den Durchschnitt der tatsächlich geleisteten Blockstunden handelt, oder es sich um die Stunden handelt, die theoretisch ein Mitarbeiter hätte leisten können. Gänzlich offen ist zudem, auf welchen Zeitraum hinsichtlich der vergangenen Jahre, die herangezogen wurden, abgestellt wurde. Jedenfalls aber auf der dritten Stufe fehlt es an einer nachvollziehbaren Darlegung. Die Beklagte addiert einen Puffer von 9,5 FTE je Berufsgruppe für Spare-Kapazitäten (d.h. Ersatzflugzeuge) und als operativen Puffer ohne Darlegung, woher sie diesen Puffer nimmt. Es wird an dieser Stelle nicht einmal vorgetragen, dass dieser Puffer aus vergangenen Erfahrungen resultiert. Der „Puffer“ von 78 FTE für Urlaubs-, Krankheitsabwesenheiten und Bürotage anhand von Erfahrungswerten der letzten drei Jahre lässt ebenfalls keine Überprüfung durch die Kammer zu. Der Kammer bliebe nichts anderes übrig, als diese Zahlenwerte zu glauben.
72Auch soweit die Beklagte vorträgt, dass das Ausreichen eines Crewfaktors von 7,05 FTE sich dadurch zeige, dass auch der Crewfaktor 2019 bei 37 Flugzeugen und einem Mitarbeiterbestand von 516 FTE bei 6,97 lag, ist dieser Verweis auf einen Crewfaktor in der Vergangenheit als Kontrollüberlegung nicht ausreichend. Wie viele FTE pro Flugzeug benötigt werden, dürfte insbesondere auch von dem geplanten Streckennetz und der Auslastung der einzelnen Flugzeuge abhängen. Sofern ein Flugzeug länger am Boden steht, benötigt man auch weniger Vollzeitkräfte für ein Flugzeug. Hierzu erfolgen keine Darlegungen. Darüber hinaus ersetzt eine vergangenheitsbezogene Kontrollüberlegung keinen substantiierten Sachvortrag.
73(2) Auch wenn man den Crewfaktor von 7,05 FTE - und damit bei 22 Flugzeugen für beide Vergleichsgruppen einen Wert von 310 FTE - als gegeben annimmt, bleibt es jedenfalls hinsichtlich der konkreten Umsetzung dieser unternehmerischen Entscheidung bei der vollen gerichtlichen Kontrolle darüber, ob bei Annahme dieses Crewfaktors ein dringendes Bedürfnis am Wegfall des Beschäftigungsumfangs des gekündigten Arbeitnehmers besteht. Hierzu hätte es einer substantiierten Darlegung der Beschäftigungsbedarfe einschließlich der Teilzeitquoten, Ausfallzeiten und sonstigen Zeiten von zu erwartetem Arbeitsausfall wegen Mutterschutz, Elternzeit und Pflegezeit bedurft. Sofern eine vorzunehmende Gesamtbetrachtung ergibt, dass ausgehend von der zukünftig nur noch benötigten Arbeitsmenge ein bestimmter Personalbedarf ausreicht, um den Beschäftigungsbedarf abzudecken, kann auf den tatsächlichen Wegfall des vom Kläger besetzten Arbeitsplatzes und deren Arbeitsmenge geschlossen werden (so auch ArbG Hannover, Urt. v. 31.08.2021 – 5 Ca 137/21).
74(a) Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen der Beklagten nicht. Hierzu führt die 7. Kammer in einem Parallelverfahren mit Urteil vom 24.09.2021 (Az. 7 Ca 1882/21) aus:
75„(1)
76Die Beklagte hat nicht ausreichend dargelegt, warum sie im Zeitpunkt der Kündigung davon ausgehen durfte, mit Ablauf der Kündigungsfrist werde der Beschäftigungsbedarf für den Kläger weggefallen sein. Der Umstand, dass die Beklagte sich im Sozialplan auf die Anzahl von 370 verbleibenden Cockpit-Mitarbeitern geeinigt hat, führt nicht dazu, dass der Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit ohne Weiteres angenommen werden kann. In Bezug auf einen „operativen“ tatsächlichen Beschäftigungsbedarf führt die Beklagte lediglich aus, dass dieser deutlich unterhalb der Grenze der vereinbarten 370 Cockpit-Mitarbeiter liege. Ausgehend von der künftigen Flottengröße von 22 Flugzeugen bestehe bei einem Crewfaktor von 7,05 FTE insgesamt im Cockpit (Kapitäne und Erste Offiziere mit je der gleich hohen Zahl an Köpfen) operativ nur noch Beschäftigungsbedarf für 310 FTE. Nach ihren auf die bisherigen Erfahrungswerte gestützten Prognosen biete ein Beschäftigungsbedarf von 310 FTE unter Berücksichtigung von Teil-, Eltern- und Pflegezeiten und sonstigen vorübergehenden Abwesenheiten eine operative Beschäftigungsmöglichkeit für 340 Köpfe des Cockpitpersonals. Dieser Vortrag ist für die Kammer nicht überprüfbar und für den Kläger nicht einlassungsfähig. Aus dem Vortrag der Beklagten ergibt sich nicht nachvollziehbar, wie viele Cockpit-Mitarbeiter bzw. Piloten für den künftigen Betrieb mit 22 Flugzeugen benötigt werden. Bei einem Crewfaktor von 7,05 FTE für 22 Flugzeuge ergibt sich auch unter Berücksichtigung der von der Beklagten eingeplanten Reserve von ca. einem Viertel der gesamten FTE für Urlaube, Krankheiten und sonstige vorübergehende Arbeitsausfälle nicht der von ihr vorgetragene Wert. Mangels Sachvortrags zur vertraglichen Wochenarbeitszeit der einzelnen Kapitäne und First Officer lässt sich auch nicht feststellen, wie viele Mitarbeiter dies genau sind. Auch legt die Beklagte nicht dar, von welchen Erfahrungswerten der Vergangenheit sie im Hinblick auf die Planung der Teilzeitquoten ausgeht, mithin wie man von 310 FTE auf eine Kopfanzahl von 340 Köpfen kommt (so auch ArbG Düsseldorf, Urteil vom 07.09.2021 – 5 Ca 1874/21).“
77Diesen zutreffenden Erwägungen schließt sich die erkennende Kammer an. Der weitergehende Vortrag der Parteien im vorliegenden Verfahren gibt Anlass zu folgenden weiteren Ausführungen.
78(b) Auch die seitens der Beklagten getätigte Kontrollüberlegung führt zu keinem anderen Ergebnis. Zunächst ist anzuführen, dass diese keinen substantiierten Vortrag ersetzt. Zudem greift die Kontrollüberlegung aus Sicht der Kammer auch zu kurz. Dass die 370 Köpfe, d.h. die nicht gekündigten Cockpit-Mitarbeiter zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs unter Berücksichtigung von bekannten und geltenden Teilzeiten 346 FTE entsprachen, und hiervon 172 FTE auf die First Officer fielen, führt noch nicht zu der Prognosebestätigung, dass bei Beendigungszeitpunkt 310 FTE auch 340, bzw. 370 Köpfen entsprechen werden. Wenn zum 30.03.2021 insgesamt 74 FTE über einen gesetzlichen Sonderkündigungsschutz verfügten hätte es einer substantiierten Darlegung der einzelnen Teilzeittätigkeiten und der jeweiligen Dauer des Sonderkündigungsschutzes bedurft. Die Beklagte genügte ihrer Darlegungslast nicht, indem sie erörtert, dass Mitarbeiter mit Sonderkündigungsschutz „in den allermeisten Fällen“ und „in der Regel nur mit geringfügiger Arbeitszeitreduzierungen“ tätig sind. Indem die Beklagte behauptet, dass ab dem 01.01.2022 insgesamt nur 9 FTE noch aufgrund von Sonderkündigungsschutz ausfallen, ist auch dieser Vortrag nicht substantiiert genug und seitens des Klägers nicht einlassungsfähig. Auch hat die Beklagte bei dieser Prognoseberechnung zukünftige Anträge auf Eltern-, Pflegezeit oder Familienpflegezeit gänzlich ausgenommen und nicht bei ihrer Prognose berücksichtigt. Wenn man jedoch bei der Prognose berücksichtigt, dass bis zum Beendigungszeitpunkt bzgl. einiger Mitarbeiter der Sonderkündigungsschutz endet und sich somit der Ausfall an FTE verringert, dann muss man nach Auffassung der Kammer jedoch auch wiederum eine Prognose hinsichtlich neuer entsprechender Anträge und einem neuen angefallenen Ausfall von FTE treffen. Hieran fehlt es vorliegend.
79(3) Darüber hinaus war für die Kammer nicht nachvollziehbar, wieso der Beschäftigungsbedarf bereits zum 31.12.2021 wegfallen soll.
80(a) Grundsätzlich muss der Kündigungsgrund – also Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit – bei Ausspruch der Kündigung vorliegen. In Fällen, in denen zwar bei Zugang der Kündigung noch die Möglichkeit der Beschäftigung besteht, aber die für den künftigen Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses maßgeblichen Entscheidungen bereits getroffen sind, kommt es darauf an, ob der Arbeitnehmer bis zum Kündigungstermin voraussichtlich entbehrt werden kann. Davon ist auszugehen, wenn im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung auf Grund einer vernünftigen, betriebswirtschaftlichen Betrachtung zu erwarten ist, zum Zeitpunkt des Kündigungstermins werde mit einiger Sicherheit der Eintritt des die Entlassung erforderlich machenden betrieblichen Grundes gegeben sein (vgl. BAG, Urt. v. 13.02.2008 – 2 AZR 79/06 – Rn. 22 f.; BAG, Urt. v. 12.04.2002 – 2 AZR 256/01).
81(b) Davon ausgehend konnte nach dem Vortrag der Beklagten nicht angenommen werden, dass der Beschäftigungsbedarf mit Ablauf des 31.12.2021 entfallen wird. Dazu führt die 10. Kammer in einem Parallelverfahren mit Urteil vom 08.07.2021 (Az. 10 Ca 1765/21) aus:
82„Hinzu kommt, dass auch nicht erkennbar ist, wieso der komplette Beschäftigungsbedarf bereits zum 31.12.2021 wegfallen soll. Sowohl im Interessenausgleich als auch im Sozialplan ist geregelt, dass die Flottenreduzierung bis zum Sommer 2022 abgeschlossen sein soll. Ausweislich des Sozialplans soll die Flotte „schrittweise“ bis zum Sommer 2022 reduziert werden. Die beiden Flugzeuge, die für die F. vom Kölner Flughafen aus im Wet-Lease tätig sind, sollen sogar bis zum Ende des Sommerflugplans 2023 weiter betrieben werden. Damit würde dann aber auch eine schrittweise Stellenreduzierung einhergehen, was dazu führen würde, dass die Beklagte den sozial schutzwürdigen Arbeitnehmern erst als letzten zu einem späteren Termin hätte kündigen dürfen. Auch zu dieser Frage, wie sich die schrittweise Flottenreduzierung vollziehen soll, hat die Beklagte keinen Sachvortrag gehalten.“
83Diesen zutreffenden Ausführungen der 10. Kammer schließt die erkennende Kammer sich vollumfänglich an. Darüber hinaus schließt sich die Kammer den nachfolgenden zutreffenden weiteren Ausführungen der 7. Kammer in einem Parallelverfahren (Urteil vom 24.09.2021 - Az. 7 Ca 1882/21) an:
84„Nach den Regelungen im Interessenausgleich und im Sozialplan kann der Wegfall des Beschäftigungsbedarfs erst im Sommer 2022 angenommen werden. Der Vortrag der Beklagten, der Entfall des Beschäftigungsbedarfs trete tatsächlich spätestens mit Ende des Sommerflugplans zum 31.10.2021 ein, da während des Winterflugplans (01.11.2021 bis 30.04.2021) auch für 22 Flugzeuge keine Auslastungsmöglichkeit bestehe, führt zu keinem anderen Ergebnis. Die Beklagte führt nicht im Einzelnen aus, in welchem geringeren Umfang der Beschäftigungsbedarf während des Winterflugplans besteht. Dies ergibt sich auch nicht aus der Angabe, dass die Winterauslastung im Schnitt nur ca. 50 % der Auslastung des Sommergeschäfts erreiche. Auch aus dem von der Beklagten angestellten Vergleich der Anzahl der Flüge im Sommer und Winterzeitraum in den Jahren 2017 bis 2019 ergibt sich nicht, in welchem konkreten Umfang der Beschäftigungsbedarf im Winter-Zeitraum besteht bzw. bis zum Ablauf der Kündigungsfrist entfällt. Davon ausgehend, dass der reduzierte Bedarf während des Winterflugplans sich auf den Zeitraum bis April 2022 bezieht, bleibt auch vollkommen offen, wie die Beklagten den – nach ihrem eigenen Vortrag – ab Mai 2022 geltenden Sommerflugplan bedienen will. Soweit sie weiter auf ein Delta von -34 % der Buchungseingänge seit Mitte Juni 2021 für die verbleibenden Sommermonate bis abfliegend Oktober 2021 im Vergleich zum Vorjahr verweist, kann dem ebenfalls kein konkreter Beschäftigungsbedarf bzw. dessen Wegfall entnommen werden. Zwar führt die Beklagte aus, dass die Ausflottungsvorgänge sich nicht taggenau planen ließen, da sie von diversen Faktoren wie der Kooperation mit Leasinggebern und dem Luftfahrtbundesamt abhängig seien. Diese nicht näher konkretisierten Angaben lassen jedoch nicht erkennen, dass der Prognose, der Beschäftigungsbedarf entfalle mit Ablauf des 31.12.2021, eine vernünftige, betriebswirtschaftliche und nachvollziehbare Betrachtung zugrunde liegt. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Beklagten vorgelegten Übersicht mit der Überschrift „Entwicklung Bedarf und tatsächliche Gesamtflotte U. Sommer 2019 bis Sommer 2022“; dieser ist lediglich zu entnehmen, dass im Zeitraum des Winterflugplans 2021/2022 bei einer Gesamtflotte von 25 Flugzeugen ein Bedarf von 22 Flugzeugen besteht. Der Übersicht lassen sich jedoch keine konkreten Angaben entnehmen, woraus die Beklagte auf den Bedarf von 22 Flugzeugen bei einem Bestand von 25 Flugzeugen schließt (so auch ArbG Düsseldorf, Urteil vom 07.09.2021 – 5 Ca 1874/21).“
85II.
86Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses. Dieser Anspruch ergibt sich aus § 109 GewO in Verbindung mit einer vertraglichen Nebenpflicht der Beklagten.
87Die Voraussetzungen, unter denen ein Arbeitnehmer die Ausstellung eines Zwischenzeugnisses beanspruchen kann, sind zwar gesetzlich nicht geregelt. Nach § 109 GewO kann der Arbeitnehmer ein (Abschluss-) Zeugnis nur bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses verlangen. Soweit tarifliche Regelungen nicht bestehen, kann sich die Verpflichtung zur Erteilung eines Zwischenzeugnisses jedoch als vertragliche Nebenpflicht ergeben. Eine solche Verpflichtung setzt voraus, dass der Arbeitnehmer aus einem triftigen Grund auf ein Zwischenzeugnis angewiesen ist. Das ist u.a. dann anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer das Zwischenzeugnis wegen der bevorstehenden Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu Bewerbungszwecken benötigt. Nach Ablauf der Kündigungsfrist bzw. nach Ende der Laufzeit eines befristeten Vertrags kann der Arbeitnehmer zwar grundsätzlich nur ein (Abschluss-)Zeugnis beanspruchen. Streiten die Parteien aber gerichtlich über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, besteht ein triftiger Grund für die Erteilung eines Zwischenzeugnisses. Der Anspruch hierauf entfällt erst mit rechtskräftigem Abschluss des Beendigungsrechtsstreits (vgl. nur BAG, Urteil vom 04.11.2015 – 7 AZR 933/13 – NZA 2016, 547; ErfK/Müller-Glöge, 21. Auflage 2021, § 109 GewO Rn. 50 f.).
88III.
89Der Antrag auf Erteilung eines endgültigen Arbeitszeugnisses ist der Kammer aufgrund des Obsiegens des Klägers mit dem Kündigungsschutzantrag nicht zur Entscheidung angefallen.
90IV.
91Der wegen des Obsiegens des Klägers mit dem Bestandsschutzantrag zur Entscheidung angefallene Weiterbeschäftigungsantrag ist begründet. Der Kläger kann von der Beklagten seine Weiterbeschäftigung bis zur rechtskräftigen Erledigung der vorliegenden Bestandsstreitigkeit verlangen.
921. Nach den Grundsätzen, die der Große Senat mit Beschluss vom 27.02.1985 (GS 1/84, NZA 1985, 702) aufgestellt hat, kann ein Arbeitnehmer seine Weiterbe-schäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits aus §§ 611, 613 i.V.m. § 242 BGB sowie seinem sich aus Art. 1. Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG erge-benden allgemeinen Persönlichkeitsrecht verlangen, wenn nicht überwiegende schützenswerte Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen. Dabei ist das Risiko eines ungewissen Prozessausgangs grundsätzlich zugunsten des Arbeitgebers zu berücksichtigen, das Prozessrisiko ändert sich aber, wenn der Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozess ein obsiegendes Urteil erstreitet. In diesem Fall kann die Ungewissheit über den endgültigen Prozessausgang für sich allein ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers nicht mehr begründen. Vielmehr muss der Arbeitgeber für diesen Fall zusätzliche Umstände anführen, aus denen sich sein überwiegendes Interesse an der Nichtbeschäftigung ergibt (BAG GS, Beschl. v. 27.02.1985, GS 1/84, aaO; ErfK/Kiel, § 4 KSchG Rn. 37 ff.).
932. Danach kann der Kläger von der Beklagten die Weiterbeschäftigung als First Officer bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens verlangen. Schützenswerte Interessen der Beklagten, die einer Weiterbeschäftigung entgegenstehen, sind weder ersichtlich noch hat die Beklagte solche hinreichend vorgetragen.
94B.
95Die Kostenentscheidung erfolgte gemäß den § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 91 Abs. 1 ZPO.
96Der nach § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil anzugebende Rechtsmittelstreitwert ergibt sich aus den Streitgegenständen, über die mit vorliegendem Urteil entschieden wurde. Dabei hat die Kammer im Hinblick auf den Kündigungsschutzantrag den Brutto-Quartalsbezug des Klägers angesetzt. Der Weiterbeschäftigungsantrag und der Antrag auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses sind jeweils mit einem weiteren Bruttomonatsgehalt berücksichtigt worden.
97C.
98Gründe für eine gesonderte Zulassung der Berufung sind nicht gegeben (§ 64 Abs. 3 ArbGG).
99I.
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