Urteil vom Arbeitsgericht Hamburg (27. Kammer) - 27 Ca 525/16

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf EUR 27.492,00 festgesetzt.

4. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

Tatbestand

1

Artikel I.

2

Die Parteien streiten über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses durch eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung, hilfsweise über die zugrunde gelegte Kündigungsfrist.

3

Die Beklagte betrieb bis zum 31.12.2016 auf dem Gelände „A.“ am Hamburger Hafen einen Terminalbetrieb (Umschlagplatz für Container und Stückgut) mit mehr als 10 Arbeitnehmern in Vollzeit. Bei ihr existierte ein Betriebsrat.

4

Der am ...1955 geborene, verheiratete und keinem Kind zum Unterhalt verpflichtete Kläger war bei der Beklagten seit dem 15.05.1986 als technischer Angestellter zuletzt zu einem regelmäßigen Bruttomonatsgehalt von EUR 6.677,54 beschäftigt.

5

Auf das Arbeitsverhältnis findet der Rahmentarifvertrag für die technischen Angestellten in den Stückgut-Kaibetrieben (im Weiteren: „RTV TA Kaibetriebe“) Anwendung. Der RTV TA Kaibetriebe gültig ab 01.05.1992 enthält in der Fassung vom 06.05.2003 für die Kündigungsfristen unter § 15 Ziff. 1 die folgenden Regelungen:

6

„Für die Kündigung gelten die gesetzlichen Kündigungsfristen.
Bei 15jährigem Bestehen des Arbeitsverhältnisses beträgt die beiderseitige Kündigungsfrist neun Monate zum Ende eines Kalenderhalbjahres, wenn der Arbeitnehmer das 50. Lebensjahr vollendet hat.
Soweit Sozialpläne abgeschlossen wurden, beträgt die Kündigungsfrist einen Monat zum Monatsende."

7

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 24.11.2016, dem Kläger taggleich zugegangen, zum 31.12.2016 (Anlage K 1, Bl. 13 d.A.). Mit der streitgegenständlichen Kündigungsschutzklage wendet sich der Kläger gegen diese Kündigung.

8

Die Beklagte hatte bereits mit Gesellschafterbeschluss vom 19.02.2016 die unternehmerische Entscheidung getroffen, ihren einzigen Betrieb zum 31.12.2016 zu schließen und allen Mitarbeitern zu kündigen, nachdem der Pachtvertrag für die Nutzung ihres Betriebsgeländes zu diesem Stichtag auslief und sowohl eine Laufzeitverlängerung nicht zustande kam als auch eine Ausweichfläche nicht gefunden werden konnte. Diese Entscheidung wurde auch so umgesetzt, insbesondere sämtlichen Mitarbeitern unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von einem Monat zum Monatsende gekündigt, nachdem zuvor am 14.09.2016 Verhandlungen über einen Interessenausgleich zwischen den Betriebsparteien gescheitert waren und am gleichen Tag gegen die Stimmen des Betriebsrats durch Spruch der Einigungsstelle ein Sozialplan beschlossen wurde (vgl. Anlagen B 2 und B 3, Bl. 126 und Bl. 140 d.A.).

9

Mit Schreiben vom 31.10.2016 (Anlage B 4, Bl. 149 d.A.) erstattete die Beklagte gegenüber der Bundesagentur für Arbeit die Anzeige über die im Zusammenhang mit der Betriebsstilllegung geplanten 59 Entlassungen. Dem waren unter anderem ein Unterrichtungsschreiben an den Betriebsrat vom 11.05.2016 (Anlage B 7, Bl. 162 d.A.), ein Angebot zur „abschließenden Beratung“ mit dem Betriebsrat vom 15.09.2016 (Anlage B 8, Bl. 171 d.A.) und das Schreiben der Beklagten an den Betriebsrat im Rahmen des Konsultationsverfahrens vom 13.10.2016, mit dem diese eine Beratung der Betriebsparteien am Vormittag des 30.09.2016 zusammenfasste und das Verfahren als abgeschlossen ansah (Anlage B 9, Bl. 173 d.A.), beigefügt. Auf das Schreiben vom 13.10.2016 hin zeigte der Betriebsrat keinen weiteren Informations- und/oder Beratungsbedarf an. In dem Schreiben an den Betriebsrat vom 11.05.2016 heißt es unter Ziff. 6:

10

Die Kriterien für die Berechnung etwaiger Abfindungen ergeben sich aus dem gemäß § 112 BetrVG abzuschließenden Sozialplan“.

11

Am 09.11.2016 (Anlage B 6, Bl. 161 d.A.) teilte die Bundesagentur für Arbeit der Beklagten mit, dass die beabsichtigten Kündigungen am 24.11.2016 mit Wirkung nach Ablauf der Sperrfrist am 30.11.2016 rechtswirksam ausgesprochen werden können.

12

Zur Kündigung des Klägers wurde der Betriebsrat mit Schreiben vom 02.11.2016 angehört (Anlage B 10, Bl. 176 d.A.).

13

Der Sozialplan, der vom Betriebsrat angefochten wurde (das Beschlussverfahren ist bislang nicht rechtskräftig abgeschlossen), sieht u.a. einen Ausschluss von rentennahen Arbeitnehmern von Sozialplanleistungen, insbesondere einer Abfindung vor. Insoweit heißt es unter Teil I, § 1 Abs. 2:

14

Keine Leistungen nach den Bestimmungen dieses Sozialplanes erhalten Mitarbeiter (Ausschlusstatbestände),
* ...
* die aus Gründen ausscheiden, die nicht mit der Stillegung des Betriebs zusammenhängen, insbesondere Mitarbeiter,

15

** ...
** die entweder unmittelbar nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis oder im Anschluss an eine mögliche Bezugnahme von Arbeitslosengeld I (unabhängig von der tatsächlichen Bezugnahme des Arbeitslosengeldes) eine Altersrente (gekürzt oder ungekürzt) aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Anspruch nehmen können (sog. „rentennahe Arbeitnehmer“), wobei eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen gem. §§ 37, 236a SGB VI sowie eine Altersrente für Frauen gem. § 237a SGB VI außer Betracht bleibt.“

16

Der Kläger kann nach dem Bezug von Arbeitslosengeld I eine gekürzte Altersrente in Anspruch nehmen und soll demnach keine Abfindung von der Beklagten erhalten.

17

Der Kläger hält die Kündigung zuletzt noch für unwirksam, weil die Beklagte vor Ausspruch der Kündigung das Konsultationsverfahren gem. § 17 Abs. 2 KSchG nicht ordnungsgemäß durchgeführt habe. Die Unterrichtung des Betriebsrats sei in diesem Zusammenhang mangels Mitteilung der Kriterien für die Berechnung etwaiger Abfindungen und mangels Mitteilung über den Erhalt von Entschädigungszahlungen für die vorzeitige Beendigung des Pachtvertrages nicht vollständig gewesen. Außerdem habe die Beklagte vor Beendigung des Konsultationsverfahrens bereits Fakten in Bezug auf die Entlassungen geschaffen, weil sie schon zuvor den Vertrag mit der Reederei C., der Reederei mit dem größten Volumen bei der Beklagten, beendet habe und die Reederei O. das Terminal der Beklagten zuletzt am 07.10.2016 anlief.

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In jedem Fall sei die Kündigungsfrist nicht eingehalten worden, weil die Regelung in § 15 Ziff. 1 Abs. 3 des RTV TA Kaibetriebe nicht eindeutig und unwirksam sei. Die tarifvertragliche Regelung zur pauschalen Abkürzung von Kündigungsfristen bei abgeschlossenem Sozialplan verlasse das gesetzliche Leitbild und die Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien bei weitem. Sie verstoße zudem gegen Art. 3 Abs. 1 GG und §§ 1, 7 Abs. 2 AGG. Die Tarifvertragsparteien hätten ungleiche Lebenssachverhalte gleich behandelt und würden dadurch ältere Arbeitnehmer benachteiligen. Dies sei auch deshalb gleichbehandlungswidrig und altersdiskriminierend, weil der vorliegende Sozialplan keine adäquate Kompensation vorsehe. Die Dotierung des Sozialplans mit ca. EUR 1,6 Mio. unterschreite die Vergütungsersparnis durch die abgekürzten Kündigungsfristen, die ca. EUR 2,1 Mio. betrage. Insbesondere rentennahe Arbeitnehmer, die ganz von Sozialplanabfindungen ausgeschlossen sind, würden durch die abgekürzte Kündigungsfrist doppelt benachteiligt. Dementsprechend gelte die tarifvertragliche Kündigungsfrist zum 31.12.2017 und jedenfalls die gesetzliche Kündigungsfrist zum 30.06.2017.

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Darüber hinaus stünde dem Kläger eine Abfindung gemäß dem Sozialplan zu, wenn das Arbeitsverhältnis aufgrund der Kündigung ende. Der Ausschlusstatbestand in Teil I, § 1 Abs. 2 des Sozialplans greife nur für Mitarbeiter, die nicht wegen der Betriebsstillegung ausscheiden, und würde jedenfalls im Falle des Klägers eine unzulässige Benachteiligung wegen des Alters darstellen, so dass er nach §§ 1, 7 AGG unwirksam sei. Insoweit widerspräche es sich auch, dass der Sozialplan bei der Abfindungsberechnung für Mitarbeiter ab Vollendung des 61. Lebensjahres einen Berechnungsfaktor vorsähe (vgl. Teil III, § 4 Abs. 5). Denn bei der Beklagten würden alle diese Mitarbeiter den Ausschlusstatbestand erfüllen. Der Geschäftsführer der Beklagten, Herr B., habe ihm, dem Kläger, zunächst noch die Zahlung eine Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes zugesagt. Noch dazu hätten zwei andere Mitarbeiter, die über 61 Jahre alt waren, nämlich Herr B1 und Herr S., eine Abfindung von der Beklagten erhalten. Die Höhe seiner Abfindung berechne der Kläger auf der Grundlage des Sozialplanes mit EUR 53.588,25

20

Mit der am 13.12.2017 beim Arbeitsgericht Hamburg eingegangenen und zuletzt in der Sitzung vom 21.06.2017 (Bl. 297 d.A.). geänderten Klage beantragt der Kläger:

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1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 24.11.2016 aufgelöst ist,

22

2. hilfsweise wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis bis zum 31.12.2017 unverändert fortbesteht,

23

3. weiter hilfsweise wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien bis zum 30.06.2017 unverändert fortbesteht,

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4. weiter hilfsweise wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger – zum Zeitpunkt der rechtskräftigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.12.2016, hilfsweise zum 30.06.2017, hilfsweise zum 31.12.2017 – eine Abfindung in Höhe von EUR 53.588,25 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten ab Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu zahlen.

25

Die Beklagte beantragt,

26

die Klage abzuweisen.

27

Die Beklagte trägt vor, dass nicht sie die Verträge mit den Reedereien C. und O. beendet und damit Fakten geschaffen, sondern C. bereits im Mai 2016 ihrerseits den Vertrag gekündigt habe. O. habe formlos mitgeteilt, sie werde das Terminal nicht mehr anlaufen. Beide Reedereien hätten erfahren, dass die Beklagte das Pachtgelände ab dem 01.01.2017 nicht mehr nutzen könne.

28

Auch die Abkürzung der Kündigungsfrist in § 15 Ziff. 1 RTV TA Kaibetriebe bei der Anwendung von Sozialplänen verstoße nicht gegen höherrangiges Recht, sondern halte sich im Rahmen des nach § 622 Abs. 4 BGB zulässigen Gestaltungsspielraums der Tarifvertragsparteien. Abgesehen davon, dass die von dem Kläger in den Raum gestellten Zahlen unzutreffend seien, hätten längere Kündigungsfristen und/oder ein höheres Sozialplanvolumen mit großer Sicherheit zur Insolvenz der Beklagten geführt.

29

Es sei auch richtig, dass dem Kläger kein Anspruch auf eine Abfindung zustände, deren Höhe er zudem falsch berechnet habe. Abgesehen davon, dass der entsprechende Ausschlusstatbestand in Teil I, § 1 Abs. 2 des Sozialplanes eingreife und insoweit auch kein Widerspruch zu den Abfindungsregelungen bestünde, sei der Ausschluss rentennaher Jahrgänge rechtmäßig, selbst wenn diese, wie der Kläger, nur eine gekürzte Altersrente in Anspruch nehmen könnten. Der Geschäftsführer der Beklagten habe nie eine anderslautende Zusage gegenüber dem Kläger getroffen. Soweit der Kläger sich insoweit auf ein Gespräch Ende September 2016 beziehe, habe Herr B. lediglich eine vorläufige Berechnung mitgeteilt und u.a. darauf hingewiesen, dass es noch zu Veränderungen kommen kann, wenn persönliche Daten der Mitarbeiter – gerade wie der Zeitpunkt des möglichen Rententeintritts –vorliegen. Mit Herrn B1 und Herrn F. habe die Beklagte schließlich auf deren Wunsch schon im Januar und Februar 2016 Aufhebungsverträge abgeschlossen, d.h. losgelöst von der Entscheidung zur Stilllegung. Darüber hinaus sei die jeweils gezahlte Abfindung bedeutend geringer gewesen sei, als der Betrag, den die Beklagte bei einer Fortsetzung der Arbeitsverhältnisse bis zum 31.12.2016 an diese Mitarbeiter hätte zahlen müssen.

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Auf den Tatsachenvortrag der Parteien in ihren Schriftsätzen und Anlagen sowie in ihren protokollierten Erklärungen wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

31

Artikel II.

I.

32

Die Klage ist zulässig. Das gilt auch hinsichtlich des Klagantrags zu 4, der zwar als Feststellungsantrag formuliert, eindeutig aber auf die (allerdings zukünftige, in keinem Fall fällige, gleichwohl dem Grunde nach bestrittene) Zahlung einer konkret bezifferten Abfindung nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerichtet und deshalb entsprechend auslegungsfähig ist.

II.

33

Die Klage ist unbegründet.

34

A. Zur Kündigung und Kündigungsfrist

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Die streitgegenständliche Kündigung vom 24.11.2016 ist sozial gerechtfertigt und beendet das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 31.12.2016. Die Kammer folgt insoweit nach eigener Prüfung den zutreffenden Ausführungen der Kammer 24 des Arbeitsgerichts Hamburg im Urteil vom 24.05.2017 (Az.: 24 Ca 246/16) und macht sich diese zu Eigen.

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1. Das Kündigungsschutzgesetz ist auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbar. Das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger hat im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ununterbrochen länger als sechs Monate bestanden (§ 1 Abs. 1 KSchG). Die Beklagte beschäftigte in ihrem einzigen Betrieb regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von mehr als 30 Stunden ohne die zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten (§ 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 KSchG).

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2. Die Kündigung gilt nicht als von Anfang gem. §§ 7, 4 Satz 1 KSchG als rechtswirksam, da die dreiwöchige Klagefrist eingehalten ist. Die Klage gegen die dem Kläger am 24.11.2016 zugegangene Kündigung ging innerhalb der Frist des § 4 KSchG, nämlich am 13.12.2016 bei Gericht ein und wurde der Beklagten auch „demnächst“ i.S.v. § 167 ZPO, nämlich am 22.12.2016 (Bl. 23 d.A.) zugestellt.

38

3. Die Kündigung ist gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers entgegenstehen. Es ist unstreitig, dass die Beklagte ihren einzigen Terminalbetrieb zum 31.12.2016 eingestellt und zu diesem Termin allen dort Beschäftigten gekündigt hat. Dementsprechend war weder eine Sozialauswahl durchzuführen noch bestand sonst eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den Kläger.

39

4. Vor Ausspruch der Kündigung des Klägers ist der Betriebsrat bei der Beklagten nach § 102 Abs. 1 BetrVG ordnungsgemäß angehört worden.

40

5. Die Kündigung ist schließlich auch nicht mangels ordnungsgemäßer Konsultation des Betriebsrats im Rahmen der Massenentlassungsanzeige gemäß §§ 17 Abs. 2 KSchG i.V.m. § 134 BGB unwirksam.

41

a. Die Beklagte musste vor der Kündigung des Klägers das Massenentlassungsverfahren durchführen, da der nach § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG maßgebliche Schwellenwert überschritten war.

42

b. Die Beklagte hat den Betriebsrat ordnungsgemäß konsultiert. Sie hat ihn über die in § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG genannten Gesichtspunkte ordnungsgemäß schriftlich unterrichtet.

43

aa. Dabei kommt es nicht darauf an, dass die Beklagte den Betriebsrat nicht über eine Entschädigung für die vorzeitige Rückgabe der Pachtfläche informierte. Denn dieser Umstand hatte keinen Einfluss auf die Betriebsstilllegung als solche. Das gilt auch, wenn ein Teilbetrag – was die Beklagte bis zuletzt bestritten hat – für die Entschädigung von Arbeitnehmern gedacht war.

44

bb. Die Beklagte hat den Betriebsrat auch hinreichend gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 KSchG über die für die Berechnung etwaiger Abfindungen vorgesehenen Kriterien unterrichtet. Vor dem Zustandekommen des Sozialplans war keine konkretere Unterrichtung als der Hinweis auf den abzuschließenden Sozialplan möglich. Dieser Hinweis war deshalb ausreichend (vgl. BAG, Urt. v. 18.09.2003, Az: 2 AZR 79/02). Nach dem Zustandekommen des Sozialplans bedurfte es keines besonderen Hinweises mehr, weil dem Betriebsrat als Teilnehmer der Einigungsstelle der Sozialplan bekannt war.

45

cc. Die Ordnungsgemäßheit der Konsultation des Betriebsrats ist schließlich auch nicht deshalb zu beanstanden, weil die Beklagte vor Beendigung der Konsultation bereits Fakten in Bezug auf die Entlassungen geschaffen hatte. Weder die Kündigung des Vertrages durch die Reederei C. noch das Verhalten der Reederei O., die formlos mitgeteilt hatte, sie werde das Terminal nicht mehr anlaufen, sind auf zielgerichtetes Verhalten der Beklagten zurückzuführen, sondern jeweils eigene Entscheidungen der Reedereien. Da der Kläger diesem Vortrag der Beklagten zuletzt nicht entgegengetreten ist, ist er als unstreitig anzusehen.

46

6. Die Kündigung wurde schließlich auch unter Einhaltung der sich zutreffend aus § 15 Ziff. 1 Abs. 3 RTV TA Kaibetriebe ergebenden Kündigungsfrist von einem Monat zum Monatsende, d.h. zum 31.12.2016 ausgesprochen. Dementsprechend sind auch die hilfsweise gestellten Klaganträge unbegründet. Denn wegen des am 14.09.2016 durch Spruch zustande gekommenen Sozialplans findet weder die Kündigungsfrist gemäß § 15 Ziff. 1 Abs. 2 RTV TA Kaibetriebe von neun Monaten zum Kalenderhalbjahr noch die gesetzliche Kündigungsfrist gemäß § 15 Ziff. 1 Abs. 1 RTV TA Kaibetriebe i.V.m. § 622 Abs. 2 BGB von sieben Monaten zum Monatsende Anwendung.

47

a. Die Anwendung der Tarifnorm auf die Kündigung vom 24.11.2016 ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Sozialplan unter dem Az. 29 BV 23/16 vor dem Arbeitsgericht Hamburg angefochten wurde und deshalb nicht zur Anwendung kommt. Denn eine Anfechtung entfaltet keine suspendierende Wirkung in Bezug auf die Geltung des Spruchs der Einigungsstelle (vgl. Fitting, BetrVG, § 76, Rdnr. 164 m.w.N; LAG Köln, Beschl. v. 20.04.1999, Az: 13 TaBV 243/98). Der Spruch gilt solange als wirksam, bis seine Unwirksamkeit rechtskräftig feststeht.

48

b. Die tarifvertragliche Regelung gemäß § 15 Ziff. 1 Abs. 3 RTV TA Kaibetriebe, wonach bei Abschluss von Sozialplänen die Kündigungsfrist einen Monat zum Monatsende beträgt, ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt unwirksam.

49

aa. Der Bestimmtheitsgrundsatz ist nicht verletzt. Vielmehr ist die tarifvertragliche Regelung nach Wortlaut und Sinn dahin auszulegen, dass die abgekürzte Kündigungsfrist dann zur Anwendung gelangt, wenn der zu kündigende Arbeitnehmer wegen einer sozialplanpflichtigen Betriebsänderung gemäß § 112 BetrVG durch Kündigung betroffen ist und in den betrieblichen und persönlichen Geltungsbereich des Sozialplans fällt. Das ist hier der Fall.

50

bb. Den Tarifvertragsparteien ist es gemäß § 622 Abs. 4 BGB grundsätzlich erlaubt, von den gesetzlichen Mindestkündigungsfristen abzuweichen. Das gilt nicht nur für die Bestimmung der Kündigungsfristen und Kündigungstermine, sondern auch für die Voraussetzungen, unter denen der Anspruch auf verlängerte Kündigungsfristen gegebenenfalls entsteht (vgl. BT-Drs. 12/4902, S. 9).

51

cc. Die tarifvertragliche Regelung verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

52

Die Tarifvertragsparteien sind bei ihrer Normsetzung an die Grundrechte und damit an den Gleichheitssatz in Art. 3 Abs. 1 GG gebunden (vgl. BAG, Urt. v. 18.09.2003, Az: 2 AZR 537/02). Eine gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßende Ungleichbehandlung liegt vor, wenn sich für die vorgenommene Differenzierung ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie einleuchtender Grund nicht finden lässt, wenn also für eine am Gleichheitsgedanken orientierte Betrachtung die Regelung als willkürlich anzusehen ist. Der Gleichheitssatz wird durch eine Tarifnorm verletzt, wenn die Tarifvertragsparteien es versäumt haben, tatsächliche Gleichheiten oder Ungleichheiten der zu ordnenden Lebensverhältnisse zu berücksichtigen, die so bedeutsam sind, dass sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise beachtet werden müssen. Die Tarifvertragsparteien haben hiernach eine weitgehende Gestaltungsfreiheit. Sie brauchen nicht die zweckmäßigste, vernünftigste und gerechteste Lösung zu wählen, vielmehr genügt es, wenn sich für die getroffene Regelung ein sachlich vertretbarer Grund ergibt. Die aus dem Gleichheitssatz folgenden Grenzen sind erst dann überschritten, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten.

53

Dazu führt das BAG zu einer wortgleichen Regelung in dem Rahmentarifvertrag für die Hafenarbeiter der deutschen Seehafenbetriebe aus (vgl. BAG, Urt. v. 18.09.2003, Az: 2 AZR 537/02):

54

„Für die vom RTV erfassten Arbeiter folgt eine Ungleichbehandlung aus dem Umstand, dass sich für Arbeiter mit langen Betriebszugehörigkeiten unterschiedlich lange Kündigungsfristen ergeben können. Während für einen 50-jährigen Arbeiter bei einer Betriebszugehörigkeit von 15 Jahren die Kündigungsfrist ohne Anwendung eines Sozialplans neun Monate zum Ende eines Kalenderhalbjahres beträgt, ist sie bei Anwendung eines Sozialplans auf einen Monat zum Monatsende begrenzt.

55

Diese Ungleichbehandlung ist allerdings unter Berücksichtigung des weiten Gestaltungsspielraums der Tarifvertragsparteien gerechtfertigt. Nach der gesetzlichen Definition in § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG stellt ein Sozialplan eine Einigung über den Ausgleich oder die Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die den Arbeitnehmern infolge der geplanten Betriebsänderung entstehen, dar. Die Tarifvertragsparteien sind somit offensichtlich davon ausgegangen, dass der Schutz älterer Arbeitnehmer mit langer Betriebszugehörigkeit, der außerhalb der Anwendung eines Sozialplans (u.a.) durch lange Kündigungsfristen erreicht wird, von den Betriebspartnern bei den Verhandlungen über den Abschluss eines Sozialplans berücksichtigt wird. Dabei haben sie einerseits das Interesse des Arbeitgebers berücksichtigt, bei anstehenden Betriebsänderungen schnell handeln zu können und die geplante Umstrukturierung vorzunehmen, ohne Arbeitnehmer über mehrere Monate weiterbeschäftigen oder zumindest vergüten zu müssen, obwohl der Bedarf an der Arbeitsleistung längst entfallen ist. Andererseits kann für Arbeitnehmer eine Verkürzung der Kündigungsfrist, die bei einer derartigen tariflichen Regelung nicht zu Nachteilen im Hinblick auf den Anspruch auf Arbeitslosengeld führt, von Vorteil sein. Ein Vorteil ergibt sich insbesondere dann, wenn die Betriebspartner die Ersparnis des Arbeitgebers durch die Verkürzung der Kündigungsfristen bei ihren Verhandlungen über die Höhe der Abfindung in ihre Überlegungen einstellen.“

56

Danach sieht das BAG mit überzeugender Argumentation das Vorliegen eines sachlich vertretbaren Grundes für die tarifliche Regelung, die alle Beschäftigten ohne Ansehung von Alter und Dauer der bereits erdienten Kündigungsfrist gleichermaßen trifft, bereits dadurch als erfüllt an, dass der Abschluss eines Sozialplans notwendige Voraussetzung für den Eingriff in die verkürzten Kündigungsfristen ist. Das dadurch zum Ausdruck kommende Vertrauen in die Betriebsparteien, denen gemäß § 112 BetrVG sowohl die Möglichkeit eingeräumt, als auch die Verpflichtung übertragen ist, eine Regelung unter Beachtung der schützenswerten Interessen auch der älteren Arbeitnehmer herbeizuführen, stellt per se einen hinreichend vertretbaren sachlichen Grund für die tarifvertragliche Regelung dar.

57

dd. Die Regelung verstößt auch nicht wegen unmittelbarer oder mittelbarer Altersdiskriminierung gegen §§ 1, 7 Abs. 2 AGG.

58

Zwar sind die Regelungsbefugnisse der Tarifvertragsparteien durch entgegenstehendes zwingendes Gesetzesrecht begrenzt, wozu auch die einfachrechtlichen Diskriminierungsverbote gemäß § 1, 7 AGG fallen (vgl. BAG, Urt. v. 09.12.2015, Az: 4 AZR 684/12, m.w.N.). Allerdings ist bei der Prüfung der Angemessenheit einer mittelbaren Benachteiligung i.S.v. § 3 Abs. 2 AGG die aus der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie resultierende Gestaltungsbefugnis der Tarifvertragsparteien zu beachten. Das Erfordernis einer Rechtfertigung entfällt dadurch zwar nicht. Jedoch ist aufgrund der weitreichenden Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien und deren Einschätzungsprärogative bzgl. der sachlichen Gegebenheiten, der betroffenen Interessen und der Rechtsfolgen deren Beurteilungs- und Ermessensspielraum hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung der Regelung zu berücksichtigen. Sie können tarifvertragliche Ansprüche ebenso differenzierend wie pauschalierend festlegen. Insbesondere sind Pauschalierungen auch aus Gründen der Praktikabilität – ungeachtet der damit verbundenen Härten – zulässig, wenn durch Sachgrund und legitimes Ziel gerechtfertigt. Auch im Vertragsrecht ist eine Altersdiskriminierung nicht pönalisiert, wenn objektiv angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt, § 8 AGG. Diese gesetzliche Wertung gilt erst recht in Ansehung des erweiterten Beurteilungs- und Ermessensspielraums, wie er den Tarifvertragsparteien gemäß Art. 9 Abs. 3 GG übertragen ist.

59

Danach gilt für die Bewertung von § 15 Ziff. 1 Abs. 3 RTV TA Kaibetriebe, dass die tarifvertragliche Regelung nicht als altersdiskriminierend zu beanstanden ist. Denn die dahinterstehende Motivation für den Eingriff in erworbene Kündigungsfristen, die lange beschäftigte und damit ältere Arbeitnehmer härter trifft als kürzer Beschäftigte und solche unter Lebensalter 50, knüpft an eine sozialplanpflichtige Betriebsänderung an. Wie oben ausgeführt, soll für diesen Fall eine zeitliche Flexibilität ermöglicht werden, verbunden mit der erkennbaren Erwartung der Tarifvertragsparteien, durch den Sozialplan werde eine Milderung von Nachteilen der von Kündigung Betroffenen gewährleistet sein.

60

ee. Auch eine ergänzende Tarifauslegung im Wege der teleologischen Reduktion gebietet kein anderes Ergebnis.

61

Mit der teleologischen Reduktion, die zu den von Verfassung wegen anerkannten Auslegungsgrundsätzen gehört, wird der ausgehend vom Gesetzeszweck zu weit gefasste Wortlaut auf den Anwendungsbereich reduziert, welcher der ratio legis entspricht (BAG Urt. v. 13.11.2014, Az: 6 AZR 868/13). Bei Beachtung der verfassungsrechtlich geschützten Tarifautonomie kann die teleologische Reduktion auch bei Tarifverträgen ein Mittel zur Schließung einer unbewussten oder nachträglich entstandenen Regelungslücke sein (vgl. BAG Urt. v. 16.12.2010, Az: 6 AZR 433/109; Urt. v. 21.05.2015, Az: 6 AZR 254/14).

62

Die telelogische Reduktion ist dadurch gekennzeichnet, dass sie die nach ihrem Wortlaut anzuwendende Vorschrift hinsichtlich eines Teils der von ihr erfassten Fälle für gleichwohl unanwendbar hält, weil Sinn und Zweck, Entstehungsgeschichte und Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelung gegen eine uneingeschränkte Anwendung sprechen. Sie setzt voraus, dass der gesetzessprachlich erfasste, d.h. der gesetzlich in bestimmter Weise geregelte Fall nach Maßgabe des Gleichheitssatzes nach einer anderen Entscheidung verlangt als die übrigen geregelten Fälle, um Wertungswidersprüche zu vermeiden (vgl. BAG Urt. v. 22.10.2015, Az: 2 AZR 381/14; Urt. v. 21.02.2013, Az: 2 AZR 433/12).

63

(1) Ausgehend von Sinn und Zweck der tariflichen Regelung könnte die Tarifnorm für solche Sozialpläne nicht zur Anwendung gelangen, deren Dotierung die durch die abgekürzten Kündigungsfristen ersparte Vergütungssumme nicht erreicht oder jedenfalls signifikant unterschreitet. Allerdings würde dies voraussetzen, dass es den Tarifvertragsparteien mit der Tarifregelung ausschließlich darauf ankam, durch die abgekürzten Kündigungsfristen die Dotierung des Sozialplans zu bestimmen oder jedenfalls zu beeinflussen. Das ist jedoch nicht feststellbar. Denn Sinn und Zweck der tarifvertragliche Regelung dürften auch dadurch bestimmt sein, dass im Falle der Betriebsänderung mit kurzen Kündigungsfristen schneller auf einen Veränderungsbedarf und einen eventuell sinnentleerten Fortbestand der Arbeitsverhältnisse reagiert werden kann und/oder gegebenenfalls im Verfahren zum Interessenausgleich und Sozialplan unter geringerem Zeitdruck verhandelt werden kann.

64

Es kommt daher nicht darauf an, ob tatsächlich eine signifikante Disparität zwischen der Sozialplandotierung und dem Einsparvolumen durch abgekürzte Kündigungsfristen besteht, d.h. die Angaben zum Zahlenwerk können hier dahinstehen. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob die Beklagte bei längeren Kündigungsfristen deutlich früher Kündigungen hätte aussprechen müssen.

65

(2) Die tarifvertragliche Regelung unter § 15 Ziff. 1 Abs. 3 RTV TA Kaibetriebe könnte für den vorliegende Sozialplan aber deshalb nach Sinn und Zweck nicht zur Anwendung gelangen, weil trotz abgekürzter Kündigungsfrist für einzelne Arbeitnehmer bzw. eine Gruppe von Arbeitnehmern gar keine Kompensation im Sozialplan vorgesehen ist. Das folgt vorliegend aus Teil I § 1 Abs. 2 des Sozialplans, wonach sog. rentennahe Arbeitnehmer keine Abfindung erhalten, gleichzeitig aber die verlängerte Kündigungsfrist verlieren, d.h. kumulativ betroffen sind.

66

(aa) Auch die Gruppe der rentennahen Arbeitnehmer fällt in den Anwendungsbereich des Sozialplans, obwohl sie als Unterfall des Ausschlusstatbestandes „Ausscheiden aus Gründen, die nicht mit der Stilllegung des Betriebes zusammenhängen“ aufgeführt ist. Da diese Gruppe von Arbeitnehmern jedoch ersichtlich gerade wegen der Stilllegung des Betriebes aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet, handelt es sich um ein bloßes redaktionelles Versehen bzw. um einen Formatierungsfehler im Sozialplan vom 14.09.2016 (dazu auch noch gleich nachfolgend unter B. 1. a).

67

(bb) Es bestehen bereits Zweifel, ob in Ansehung der für diese Gruppe von Arbeitnehmern entstehenden Härten eine unbewusste Regelungslücke in der tarifvertraglichen Regelung anzunehmen ist. Nur dann aber wäre eine ergänzende Tarifauslegung überhaupt zulässig, weil nur unter der Voraussetzung einer bestehenden Regelungslücke in die Regelungskompetenz der Tarifvertragsparteien eingegriffen werden darf.

68

§ 10 Satz 3 Nr. 6 Alt. 2 AGG lässt ausdrücklich Sozialplanregelungen zu, wonach rentennahe Arbeitnehmer unter der Voraussetzung, dass diese wirtschaftlich abgesichert sind, weil sie, gegebenenfalls nach Bezug von Arbeitslosengeld rentenberechtigt sind, von Abfindungen ausgenommen sind. Derartige Sozialplanregelungen sind daher weder unüblich noch per se altersdiskriminierend und daher unwirksam. Das entspricht auch der Rechtsprechung des EuGH einerseits, der Rechtsprechung des BAG andererseits. Danach kann eine Ungleichbehandlung von älteren Arbeitnehmern bei der Berechnung der Sozialplanabfindung durch ein legitimes Ziel i.S.v. Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 der RL 2000/78/EG gerechtfertigt sein, wenn der Sozialplan die Gewährung eines Ausgleichs für die Zukunft, den Schutz der jüngeren Arbeitnehmer sowie die Unterstützung bei ihrer beruflichen Wiedereingliederung und eine gerechte Verteilung der begrenzten finanziellen Mittel bezweckt (vgl. EuGH i.d. Rs. „Odar“ v. 06.12.2012, C-152/11). Auch das BAG lässt eine weite Ausgestaltung des durch § 10 Satz 3 Nr. 6 Alt. 2 AGG eröffneten Gestaltungs- und Beurteilungsspielraums unter Beachtung einer weiteren Verhältnismäßigkeitsprüfung nach § 10 Satz 2 AGG zu, was einen gänzlichen Ausschluss von Abfindungszahlungen für rentennahe Arbeitnehmer beinhalten kann (vgl. BAG, Urt. v. 09.12.2014, Az: 1 AZR 102/13 sowie gleich nachfolgend unter B. 1. c).

69

Es darf daher unterstellt werden, dass dies auch den Tarifvertragsparteien bekannt war und von ihnen folglich bewusst in Kauf genommen wurde.

70

(cc) Aber auch dann, wenn eine Regelungslücke anzunehmen ist, liegt ein gleichbehandlungswidriger Wertungswiderspruch, der zu einer ergänzenden Tarifauslegung führt, nicht vor.

71

Zwar mutet der Sozialplan denjenigen Arbeitnehmern, die trotz abgekürzter Fristen rentennah im Sinne von Teil I § 1 Abs. 2 des Sozialplans sind, es zu, vorzeitig Rente in Anspruch zu nehmen und dadurch kompensationslos Rentenabzüge hinzunehmen. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, dass diese Gruppe von Arbeitnehmern ohne abgekürzte Fristen erst recht rentennah gewesen wäre, und gleichfalls kompensationslos ausgeschieden wäre, was wie oben ausgeführt, für sich betrachtet nicht zu beanstanden ist. Der besondere Nachteil liegt dann darin begründet, dass sich bei unterstellter Arbeitslosigkeit die Dauer des Bezuges von ALG I bis zum Erreichen des Rentenbezuges und die damit einhergehenden Einkommenseinbußen individuell je nach Lebensalter und erfüllter Wartezeit gemäß §§ 236, 236 b SGB VI verlängern, wobei im Sozialplan unter Teil I § 1 Abs. 2 in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BAG eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen (vgl. BAG, Urt. v. 17.11.2015, Az: 1 AZR 938/13) wie auch für Frauen außer Betracht bleiben. Gegenüber der Gruppe von – in unterschiedlichem Ausmaß betroffenen – rentennahen Arbeitnehmern erwerben allerdings diejenigen Arbeitnehmer, die gerade wegen der abgekürzten Fristen nicht als rentennah anzusehen sind, nämlich weil sie wegen früheren Ausscheidens längere Wartezeiten nicht erfüllen und/oder das erforderliche Lebensalter nicht erreichen, einen Abfindungsanspruch, der ansonsten nicht entstehen würde.

72

Das Zusammenspiel von tarifvertraglicher Kündigungsregelung einerseits und Sozialplan andererseits führt folglich zu Verschiebungen, die bei Einzelfallbetrachtung zu Härten führen können, in der Gesamtschau jedoch einen Ausgleich erfahren. Dies ist als Ergebnis des Umstandes, dass sowohl den Tarifvertragsparteien als auch den Betriebsparteien pauschalierte Regelungen erlaubt sind, hinzunehmen. Dabei ist schließlich auch zu berücksichtigen, dass die verlängerten Kündigungsfristen, sei es gesetzlich gemäß § 622 Abs. 2 BGB, sei es gemäß § 15 Ziff. 1 Abs. 2 RTV TA Kaibetriebe vorrangig den Zweck haben, einem besonders langjährig beschäftigen sowie älteren Arbeitnehmer bei Kündigung eine längere Frist zu ermöglichen, um sich auf dem Arbeitsmarkt nach langen Jahren im gewohnten Arbeitsumfeld umzuorientieren. Der Sozialplan hat demgegenüber den gesetzlich bestimmten Sinn, für die Milderung wirtschaftlicher Nachteile zu sorgen, die infolge der geplanten Betriebsänderung entstehen. Diesen Zielkonflikt haben die Tarifvertragsparteien zulässigerweise dahin gelöst, der wirtschaftlichen Absicherung zulasten längerer Kündigungsfristen Priorität einzuräumen und den Betriebsparteien als sachnäher die Verantwortung zu übertragen.

73

ff. Die Abkürzung der Kündigungsfristen ist schließlich auch nicht in Ansehung der Fristbestimmung auf (nur) einen Monat zu beanstanden. Denn den Tarifvertragsparteien kommt insoweit gemäß § 622 Abs. 4 BGB eine umfassende Regelungskompetenz zu. Etwas anderes folgt auch nicht aus der Entscheidung des BAG vom 26.10.2016 (Az: 7 AZR 140/15) zur Befristungsdauer für die sachgrundlose Befristung durch Tarifvertrag. Ob aus dieser Entscheidung ein allgemeiner Rechtssatz des Inhalts herzuleiten ist, dass für die Tarifvertragsparteien grundsätzlich eine Abweichung vom gesetzlichen Leitbild nur dann erlaubt ist, wenn die Abweichung nicht mehr als das Dreifache der gesetzlichen Frist beträgt, kann offen bleiben. Denn bei Anwendung dieses Rechtssatzes – trotz der Tariföffnungsklausel gemäß § 622 Abs. 4 BGB – ist die Abweichungsgrenze vorliegend nicht überschritten.

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Die für den Sonderfall der Betriebsänderung mit Kündigungen vorgesehene tarifvertragliche Regelung weicht nicht mehr als um das Dreifache vom gesetzlichen Leitbild ab. Dabei ist für die Vergleichsgröße auf die Kündigungsfrist gemäß § 113 Satz 2 InsO abzustellen. Eine Nivellierung der Kündigungsfrist ohne Ansehung von Alter und Beschäftigungsdauer ist für den Fall der Insolvenz gesetzlich mit einer Abkürzung auf eine maximale Kündigungsfrist von 3 Monaten zum Monatsende vorgesehen. Dass in bestimmten Sonderfällen in „erdiente“ Kündigungsfristen unterschiedslos und auch zulasten von langjährig Beschäftigten eingegriffen werden darf, ist folglich gesetzlich gerade nicht ohne Vorbild.

75

Diese Regelung als gesetzliches Leitbild heranzuziehen ist auch nicht etwa deshalb sachwidrig, weil § 113 Satz 3 InsO vorsieht, dass wegen der vorzeitigen Beendigung des Dienstverhältnisses durch den Insolvenzverwalter Schadensersatz verlangt werden kann. Da es sich bei dem Schadenersatzanspruch jedoch nicht um eine Masseforderung sondern um eine Insolvenzforderung handelt („Schadensersatz als Insolvenzgläubiger“), wird ein Schadenersatzanspruch faktisch vielfach nicht durchsetzbar sein. Daraus folgt, dass der Gesetzgeber eine Abkürzung der Kündigungsfristen auf 3 Monate für zumutbar erachtet, auch wenn diese kompensationslos bleibt. Deshalb liegt eine vergleichbare Situation für die Abkürzung der Kündigungsfrist gemäß § 15 Ziff. 1 Abs. 3 RTV TA Kaibetriebe vor.

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Die tarifvertragliche Kündigungsfrist von einem Monat zum Monatsende weicht von der gesetzlich in § 113 Satz 2 InsO vorgesehenen Kündigungsfrist nicht in einem zu beanstandenden Umfang ab.

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B. Zum (hilfsweisen) Zahlungsanspruch

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Der Kläger hat trotz Beendigung seines Arbeitsverhältnisses aufgrund der Kündigung vom 24.11.2016 zum 31.12.2016 keinen Anspruch auf die Zahlung einer Abfindung gemäß Sozialplan. Das ergibt sich weder unmittelbar aus dem Sozialplan, noch aus einer dahingehenden Individualzusage oder nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz.

79

1. Der Kläger kann unmittelbar nach dem Bezug von Arbeitslosengeld I eine gekürzte Altersrente in Anspruch nehmen und fällt damit zunächst unter den Ausschlusstatbestand in Teil 1 § 1 Abs. 2 des Sozialplans, d.h. demnach stehen ihm keine Sozialplanleistungen, insbesondere kein Anspruch auf eine Abfindung gemäß Teil III des Sozialplans zu.

80

a. Voraussetzung des Ausschlusstatbestands ist insbesondere nicht, dass der Kläger aus Gründen ausscheidet, die nicht mit der Stilllegung des Betriebs zusammenhängen. So lautet zwar die Eingangsformulierung des Sozialplans unter Teil 1 § 1 Abs. 2. Offenkundig handelt sich dabei jedoch um ein bloßes Redaktionsversehen (vgl. schon oben unter A. 6 b ee (2) (aa)). Der Sozialplan regelt in Teil I § 1 Abs. 2 schon ausweislich der Überschrift allgemein alle Ausschlusstatbestände. Die rentennahen Mitarbeiter bilden eine dieser Gruppen. Weitere Voraussetzungen für den Ausschluss von den Sozialplanleistungen sieht der Sozialplan auch insoweit nicht vor. Das ergibt sich auch nicht daraus, dass einige der ausgenommenen Mitarbeitergruppen unzutreffend unter dem Oberbegriff „Mitarbeiter, die aus Gründen ausscheiden, die nicht mit der Stilllegung des Betriebs zusammenhängen“ zusammengefasst sind. Darin ist in keinem Fall eine zusätzliche Voraussetzung für den Ausschlusstatbestand zu finden.

81

b. Hinsichtlich des Ausschluss rentennaher Arbeitnehmer ist der Sozialplan auch nicht widersprüchlich, wenn er gleichzeitig für Mitarbeiter, die das 61. Lebensjahr vollendet haben, einen Abfindungsfaktor festlegt. Denn tatsächlich ist es nicht zwingend, dass jeder Mitarbeiter in dieser Altersgruppe bereits nach dem Bezug von Arbeitslosengeld I eine vorzeitige Altersrente in Anspruch nehmen kann. Zum einen variiert die Anspruchsdauer des Arbeitslosengeldes nach Dauer der Beschäftigung und Lebensalter, d.h. kann diese auch weniger als zwei Jahre betragen (vgl. § 147 SGB III). Zum anderen kann nur derjenige Mitarbeiter mit Vollendung des 63. Lebensjahres eine (gekürzte) Altersrente beziehen, der eine Wartezeit von 35 Jahren erfüllt hat (vgl. § 36 SGB VI). Dementsprechend weist der Sozialplan als abstrakt-generelle Regelung mit Recht und keinesfalls widersprüchlich auch einen Abfindungsfaktor für Mitarbeiter ab dem 61. Lebensjahr aus – gleich ob sich tatsächlich in der Belegschaft der Beklagten ein Mitarbeiter findet, der trotz Vollendung des 61. Lebensjahres nach dem Bezug von Arbeitslosengeld keine Altersrente in Anspruch nehmen kann und dem deswegen ein Anspruch auf Abfindung zusteht.

82

c. Der Ausschlusstatbestand, der eine Benachteiligung älterer (rentennaher) Arbeitnehmer beinhaltet, ist nicht gem. §§ 1, 7 AGG unwirksam. Vielmehr ist es nach § 10 S. 3 Nr. 6 AGG ausdrücklich zulässig, dass solche Beschäftigten von Leistungen eines Sozialplans ausgeschlossen werden, die wirtschaftlich abgesichert sind, weil sie, gegebenenfalls nach Bezug von Arbeitslosengeld, rentenberechtigt sind (vgl. schon oben unter A. 6 b ee (2) (bb).

83

Etwas anderes ergibt sich nun auch nicht aus der von dem Kläger zitierten Entscheidung des EuGH in der Rechtssache „Andersen“ vom 12.10.2010 (Rs. C 499/08). Die Entscheidung des EuGH betraf ein dänisches Gesetz über staatliche Leistungen, welches – anders als ein Sozialplan – gerade nicht der Überbrückung zukünftiger Nachteile diente. Das BAG hat sich in seiner Entscheidung vom 26.03.2013 (Az: 1 AZR 813/11), d.h. zeitlich nachfolgend mit der Rechtsprechung des EuGH auseinandergesetzt und letztlich bestätigt, dass rentennahe Jahrgänge bei begrenzten Mitteln von dem Bezug von Sozialplanleistungen ausgenommen werden können, selbst wenn sie, wie der Kläger, nach dem Bezug von Arbeitslosengeld nur eine gekürzte Altersrente in Anspruch nehmen können. Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers betraf der vom BAG entschiedene Fall genau diese Fallgestaltung. Auch hierzu hat das BAG ausgeführt:

84

Einen darüber hinausgehenden Ausgleich der Abschläge für die vorzeitige Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente mussten die Betriebsparteien angesichts der begrenzt zur Verfügung stehenden Sozialplanmittel und der den anderen Arbeitnehmern voraussichtlich entstehenden Nachteile nicht vorsehen.

85

Es ist somit unionsrechtlich nicht geboten, älteren Arbeitnehmern einen Abfindungsbetrag zu gewähren, der die zu erwartenden Nachteile bis zur Inanspruchnahmemöglichkeit einer vorgezogenen Regelaltersrente übersteigt.

86

2. Der Kläger hat zuletzt nicht mehr behauptet, dass ihm von Herrn B. verbindlich die Zahlung einer Abfindung (auch entgegen des Ausschlusstatbestands in Teil I § 1 Abs. 2 des Sozialplans) zugesagt wurde. Die Beklagte hat ausgeführt, dass auch dem Kläger im September 2016 lediglich eine vorläufige Berechnung mitgeteilt wurde. Dem ist der Kläger nicht mehr entgegengetreten.

87

3. Das gilt auch im Hinblick auf den Vortrag der Beklagten zu den Abfindungszahlungen an Herrn B1 sowie Herrn F., so dass sich ein Abfindungsanspruch des Klägers gegen die Beklagte auch nicht unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten ergibt. Vielmehr sind Herr B1 sowie Herr F. nicht aufgrund der Betriebsstilllegung zum 31.12.2016 nach Abschluss des (angefochtenen) Sozialplans im November gekündigt worden. Sie sind bereits im Januar bzw. Februar 2016 auf eigenen Wunsch ausgeschieden und haben noch dazu eine Abfindung erhalten, die nicht der Vergütung bis einschließlich Dezember 2016 entsprach. Das rechtfertigt die unterschiedliche Behandlung des Klägers.

88

Artikel III.    III.

89

1. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, weil er unterlegen ist (§ 91 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 46 Abs. 2 ArbGG).

90

2. Der gemäß § 61 ArbGG festgesetzte Wert des Streitgegenstandes, dessen maßgeblicher Zeitpunkt der Schluss der mündlichen Verhandlung ist (vgl. Germelmann/Matthes/Prütting/ Müller-Glöge, ArbGG, 8. Aufl., § 61 Rn. 18), ergibt sich für die Klaganträge 1-3 aus § 42 Abs. 3 GKG, d.h. entspricht drei Monatsgehältern. Für den Klagantrag zu 4 war der geltend gemachte Zahlbetrag zu addieren.

91

3. Hinsichtlich des Kündigungsschutzantrags war eine gesonderte Feststellung über die Zulassung der Berufung nicht erforderlich, weil sie bereits kraft Gesetzes zulässig ist (§ 64 Abs. 2 Buchst. c) ArbGG). Im Übrigen lagen die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung gemäß §§ 64 Abs. 2 Buchst. a) ArbGG, 64 Abs. 3 ArbGG nicht vor: Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch betrifft sie Rechtsstreitigkeiten aus Tarifverträgen oder aus unerlaubten Handlungen, bei denen es sich um Maßnahmen zum Zwecke des Arbeitskampfes oder um Fragen der Vereinigungsfreiheit handelt, noch ist die Kammer in der Auslegung einer Rechtsvorschrift von einem ihr im Verfahren vorgelegten Urteil, das für oder gegen eine Partei des Rechtsstreits ergangen ist, oder von einem Urteil des im Rechtszug übergeordneten Landesarbeitsgerichts abgewichen.

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