Urteil vom Arbeitsgericht Magdeburg (11. Kammer) - 11 Ca 1707/16

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

3. Der Streitwert wird mit 340,-- € festgesetzt.

4. Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin ist bei der Beklagten seit dem 2008 als Mitarbeiterin im Bereich Geldtransport beschäftigt. Vereinbart ist eine monatliche Arbeitszeit von max. 220 Stunden und einer Stundenvergütung von 11,24 € brutto. Das Entgelt richtet sich nach den am Beschäftigungsort geltenden mit einer Gewerkschaft und dem BDWG abgeschlossenen Mantel- und Lohn-/Entgelttarifverträgen für das Wach- und Sicherheitsgewerbe.

2

Am 06.04.2016 fuhr die Klägerin mit dem ihr dienstlich überlassenen PKW Renault Kangoo (Erstzulassung 22.03.2016), Kennzeichen …, auf das Gelände des E-Centers im Bördepark in M. Für das Fahrzeug bestand eine Vollkaskoversicherung mit einer Selbstbeteiligung von 300,-- €. Sie parkte gegen 07:15 Uhr vor dem Gebäude, hinter dem Fahrzeug befand sich ein Pfeiler. Nachdem sie ihre dienstliche Tätigkeit in dem Gebäude verrichtet hatte, verließ sie das Gebäude, ihr Fahrzeug war zu diesem Zeitpunkt von einem Fahrzeug der sog. sprinter-Klasse zugeparkt, dessen Fahrer mit Ladetätigkeit beschäftigt war. Da sie vorwärts nicht fahren konnte, versuchte sie, rückwärts aus der Parklücke herauszufahren und fuhr gegen den Pfeiler. Über den Vorfall fertigte die Klägerin unter dem Datum 06.04.2016 einen „Unfallbericht“, auf dessen Inhalt (Bl. 69 d. A.) verwiesen wird. Es entstand ein Schaden an dem Fahrzeug, dessen Behebung laut Kostenvoranschlag der Firma VW-Autozentrum V. 2.054,53 € netto betragen wird.

3

Mit Schreiben vom 03.05.2016 forderte die Beklagte von der Klägerin die Erstattung der 300,-- € Selbstbeteiligung. Die Klägerin lehnte mit Schreiben vom 03.05.2016 ab.

4

Daraufhin zog die Beklagte von dem Entgelt für die Monate Mai, Juni und Juli jeweils 100,-- € netto ab.

5

Mit der bei Gericht am 28.06.2016 eingegangenen und der Beklagten am 05.07.2016 zugestellten Klage, erweitert mit einem bei Gericht am 07.11.2016 eingegangenen und der Beklagten am 15.11.2016 zugestellten Schriftsatz, begehrt die Klägerin die Nachzahlung der einbehaltenen 300,-- €.

6

Sie ist der Ansicht, es würde allenfalls ein Fall mittlerer Fahrlässigkeit vorliegen.

7

Sie beantragt:

8

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 100,-- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.06.2016 zu zahlen.

9

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 200,-- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

10

3. Die Beklagte wird verurteilt, 40,-- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.06.2016 zu zahlen.

11

Die Beklagte beantragt:

12

1. Die Klage abzuweisen.

13

2. Hilfsweise festzustellen, dass die Klägerin verpflichtet ist, der Beklagten den wirtschaftlichen Schaden in Höhe des Selbstbehalts von 300,-- € im Zusammenhang mit dem Unfall vom 06.04.2016 mit dem PKW, amtliches Kennzeichen …, zu ersetzen.

14

3. Die Berufung gemäß § 64 Abs. 3 Ziffer 1 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.

15

Sie ist der Ansicht, die Klägerin habe mit mittlerer Fahrlässigkeit, wenn nicht mit grober Fahrlässigkeit, gehandelt, als sie rückwärts fuhr, ohne sich zu vergewissern, dass hinter ihrem Fahrzeug kein Hindernis sei. Die Schadenspauschale sei auf arbeitsrechtliche Ansprüche nicht anwendbar.

16

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der mündlich vorgetragenen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

17

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Nachzahlung der einbehaltenen 100,-- € netto für den Monat Mai 2016 (I.). Die Ansprüche für Juni und Juli 2016 sind auf Grund der hier geltenden Ausschlussfrist ausgeschlossen (II.). Da die Klage unbegründet ist, besteht auch kein Anspruch auf die geltend gemachte Schadenspauschale (III.). Die Berufung war nicht zuzulassen (IV.).

I.

18

Der Anspruch auf Nachzahlung der einbehaltenen 100,-- € ist nicht begründet. Der Entgeltanspruch der Klägerin ist durch die von der Beklagten konkludent erklärte Aufrechnung ausgeschlossen.

19

Der Aufrechnungsanspruch der Beklagten besteht. Er ergibt sich aus § 280 Abs. 1, 619 a BGB.

20

Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, kann gemäß § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Abweichend von § 280 Abs. 1 BGB hat der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber Ersatz für den aus der Verletzung einer Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis entstehenden Schaden nur zu leisten, wenn er die Pflichtverletzung zu vertreten hat, § 619 a BGB.

21

Zu den ungeschriebenen Nebenpflichten eines Arbeitnehmers gehört, die ihm überlassenen Gegenstände, die er für die Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung benötigt, pfleglich zu behandeln und nicht zu beschädigen. Der Klägerin war der PKW Renault Kangoo … überlassen. In Ausübung ihrer vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung hat sie den Wagen beschädigt, als sie am 06.04.2016 gegen 07:15 Uhr rückwärts gegen einen Pfeiler fuhr. Damit hat sie eine Pflichtverletzung im Sinne des § 280 Abs. 1 BGB begangen.

22

Diese hat sie zu vertreten. Nach Auffassung der Kammer hat sie grob fahrlässig gehandelt. Für die Haftung im Arbeitsverhältnis gelten jedoch haftungsrechtliche Besonderheiten.

23

Da der Arbeitnehmer nach den allgemeinen Regeln des BGB auch für leichte Fahrlässigkeit haftet, wird die daraus resultierende strenge Haftung allgemein als zu streng empfunden, so dass Haftungserleichterungen durch die Rechtsprechung entwickelt wurden.

24

Nach der grundlegenden Entscheidung des Großen Senats des BAG (25.09.1957) ist dies gerechtfertigt, weil und soweit es die Eigenart der vom Arbeitnehmer zu leistenden Dienste mit großer Wahrscheinlichkeit mit sich bringt, dass auch dem sorgfältigen Arbeitnehmer Fehler unterlaufen, die zwar für sich genommen fahrlässig sind, mit denen aber auf Grund der menschlichen Unzulänglichkeit gerechnet werden muss. Neben diesem Gesichtspunkt der Gefahrträchtigkeit spricht für die Begrenzung der Arbeitnehmerhaftung das durch den Arbeitgeber geschaffene betriebliche Risikopotenzial. Die Risikofaktoren legt der Arbeitnehmer durch sein Weisungsrecht fest. Der Arbeitnehmer hat keine Möglichkeit, dem auszuweichen oder sich dagegen zu versichern. Es kommt hinzu, dass die volle Überwälzung des Haftungsrisikos auf den Arbeitnehmer für diesen die wirtschaftliche Existenzvernichtung bedeuten kann. Seit der Entscheidung des BAG vom 25.09.1997, 8 AZR 288/96 in NZA 1998, 310 gilt nunmehr in Anlehnung an die frühere Rechtsprechung des BAG ein dreistufiges Haftungsmodell. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass bei leichtester Fahrlässigkeit des Arbeitnehmers dieser nicht haftet, bei mittlerer Fahrlässigkeit eine anteilige Haftung eintritt und der Arbeitnehmer bei grober Fahrlässigkeit und Vorsatz in der Regel voll haftet, wobei allerdings auch hier eine summenmäßige Begrenzung in Betracht kommen kann. Leichteste Fahrlässigkeit liegt vor, wenn es sich um geringfügige und leicht entschuldbare Pflichtwidrigkeiten handelt, die jedem Arbeitnehmer unterlaufen können. Bei mittlerer Fahrlässigkeit ist der Haftungsanteil des Arbeitnehmers unter Berücksichtigung aller Umstände zu bestimmen, insbesondere auch nach der Versicherbarkeit durch den Arbeitgeber, nach der Höhe des Verdienstes, dem Vorverhalten des Arbeitnehmer und seinen sozialen Verhältnissen, so dass anteilige Haftung keineswegs automatisch hälftige Haftung bedeutet.

25

Grobe Fahrlässigkeit ist anzunehmen, wenn besonders schwerwiegende und auch subjektiv unentschuldbare Pflichtverletzungen vorliegen, wenn nämlich der Arbeitnehmer diejenige Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die jedem eingeleuchtet hätte. Dabei stellt ein Augenblicksversagen noch keine grobe Fahrlässigkeit dar. Dabei ist auch bei grober Fahrlässigkeit eine Haftungserleichterung nicht generell ausgeschlossen, sie kommt bei deutlichem Missverhältnis zwischen Verdienst und Höhe des Schadens in Betracht, wenn die Existenz des Arbeitnehmers bei voller Inanspruchnahme bedroht ist. Vorsatz setzt das Wissen und Wollen des Schadens voraus. Nicht ausreichend ist der vorsätzliche Verstoß gegen Weisungen, solange nicht zusätzlich Vorsatz hinsichtlich des Schadens gegeben ist. Dabei ist es Sache des Arbeitgebers, die Tatsachen vorzutragen, aus denen er den Verschuldensgrad des Arbeitnehmers ableitet (Palandt, 64. Aufl., § 619 a BGB, Rdnr. 6; Erf.Kom./Preis, 17. Aufl., § 619 a BGB, Rn. 21 m.w.N.).

26

Nach Auffassung der Kammer hat die Klägerin grob fahrlässig gehandelt. Die Klägerin ist rückwärts gefahren, ohne sich zu vergewissern, ob der Fahrweg hinter ihr frei ist. Es ist eine Selbstverständlichkeit, sich darüber Klarheit zu verschaffen, ob der rückwärtige Fahrweg ungehindert befahren werden kann. Rückwärtsfahren ist auf Grund der eingeschränkten Sichtverhältnisse mit besonderen Gefahren verbunden. Dies gilt insbesondere für einen Kastenwagen wie den Renault Kangoo. Daher ist es zwingend erforderlich, sich vor der Fahrt zu vergewissern, dass der rückwärtige Fahrweg frei von Hindernissen ist. Es reicht nicht aus, nur auf eine Fahrseite zu achten, wie dies die Klägerin nach ihrer eigenen Einlassung getan hat. Notfalls muss sie noch einmal aussteigen, wenn sie bemerkt, dass sie aus einer Parklücke nur rückwärts herausfahren kann. Gegebenenfalls muss sie sich durch einen Beifahrer herauswinken lassen. Ist der Fahrer - wie im Fall der Klägerin - allein, hätte die Klägerin notfalls einen Passanten bitten müssen, ihr beim Rückwärtsfahren durch Handzeichen zu helfen. Auch um 07:15 Uhr dürften schon andere Personen anwesend gewesen sein, die sie um Hilfe hätte bitten können. Sie ist jedoch nicht einmal ausgestiegen, um nachzuschauen, ob sie rückwärts fahren kann oder ob hinter ihrem Fahrzeug sich ein Hindernis befindet. Damit hat sie diejenige Sorgfalt außer Acht gelassen, die jedem eingeleuchtet hätte. Sie hat grob fahrlässig gehandelt.

27

Sie hat auch grob fahrlässig in Kauf genommen, dass bei diesem Fahrmanöver ein Schaden eintritt.

28

Den von ihr verursachten Schaden, den die Beklagte geltend macht, hat sie daher in voller Höhe zu ersetzen. Die Beklagte hat im Termin zur mündlichen Verhandlung erklärt, nur den Selbstbehalt von 300,-- € geltend zu machen. Sie hat somit den Schadenersatzanspruch auf diese Höhe beschränkt. Dieser Betrag ist nicht so hoch, dass eine Haftungserleichterung geboten ist. Ein deutliches Missverhältnis zwischen ihrem Verdienst und den 300,-- € ist nicht anzunehmen. Ihre wirtschaftliche Existenz ist durch den Einbehalt der 100,-- € für Mai 2016 nicht bedroht.

29

Die Klage zum Antrag zu 1 aus der Klageschrift war abzuweisen.

II.

30

Die mit der Klagerweiterung vom 07.11.2016 geltend gemachten Ansprüche (Antrag zu 2) sind verfallen.

31

Auf das Arbeitsverhältnis findet zumindest kraft einzelvertraglicher Bezugnahme in Ziffer 4 des Arbeitsvertrages der Parteien vom 19.08.2016 der Manteltarifvertrag vom 10.05.2011 für Sicherheitsdienstleistungen Sachsen-Anhalt und Mecklenburg Vorpommern Anwendung. § 12 dieses Tarifvertrages lautet wie folgt:

32

„Sämtliche gegenseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis erlöschen drei Monate nach Fälligkeit, von oder gegen ausgeschiedene Arbeitnehmer jedoch nicht später als einen Monat nach Fälligkeit der Ansprüche für den Kalendermonat, in dem des Arbeitsverhältnis endet, sofern sie nicht vorher unter Angabe der Gründe schriftlich geltend gemacht worden sind.

33

Lehnt die Gegenpartei den Anspruch ab, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von drei Monaten nach der Ablehnung gerichtlich geltend gemacht wird.

34

Von der Ausschlussfrist werden jedoch Schadensersatzansprüche, die auf vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Handlungen beruhen, nicht erfasst.“.

35

Die Ansprüche der Klägerin für Juni und Juli 2016 sind verfallen. Fälligkeit der Ansprüche trat jeweils zum Monatsletzten ein. Damit begann die Ausschlussfrist für den Monat Juni 2016 am 01.07.2016 zu laufen und endete mit Ablauf des 30.09.2016. Die Ausschlussfrist für den Monat Juli 2016 begann am 01.08.2016 zu laufen und endete am 31.10.2016. Die Klageerweiterung für diese beiden Monate ging jedoch erst am 09.11.2016 bei Gericht, somit nach Ablauf der tarifvertraglichen Ausschlussfrist, ein. Diese beiden Ansprüche sind somit verfallen.

III.

36

Der Anspruch auf Erstattung der Schadenspauschale in Höhe von 40,-- € besteht nicht. Da die Klage unbegründet ist, liegt Verzug der Beklagten, Voraussetzung für den Anspruch nach § 288 Abs. 5 BGB, nicht vor. Auch der Antrag zu 3 war als unbegründet abzuweisen.

IV.

37

Der Hilfsantrag fiel nicht zur Entscheidung an. Die Klage war abzuweisen mit der Folge, dass über den Hilfsantrag nicht zu entscheiden war.

V.

38

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin als untergelegene Partei gemäß den §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 ZPO.

39

Der Streitwert wurde gemäß den §§ 61 Abs. 1 ArbGG, 3, 5 ZPO in Höhe der Summe der eingeklagten Beträge festgesetzt.

40

Busch


Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen