Urteil vom Arbeitsgericht Siegburg - 1 Ca 1504/16
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
3. Der Streitwert wird auf 700,00 Euro festgesetzt.
4. Die Berufung wird zugelassen.
1
Tatbestand
2Die Klägerin begehrt die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von Mindestbeiträgen.
3Die Klägerin ist eine gemeinsame Einrichtung des AAA und des BBB. Ihr Unternehmenszweck ist aufgrund des Tarifvertrages über die Förderung der beruflichen Ausbildung im Schornsteinfegerhandwerk (TV-A) die Einziehung der Beiträge gemäß diesem Vertrag sowie die Zahlung von Ausgleichsbeträgen an ausbildende Betriebe. Der TV-A wurde vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales am 27.11.2014 mit Wirkung zum 01.01.2015 für allgemeinverbindlich erklärt. Im TV-A heißt es:
4„§ 1 Geltungsbereich
5Der Tarifvertrag gilt
6räumlich: für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland
7fachlich: für alle Betriebe des Schornsteinfegerhandwerks. Das sind alle Betriebe, die zulassungspflichtige Tätigkeiten nach § 1 Absatz 2 in Verbindung mit Anlage A Nummer 12 der Handwerksordnung ausüben.
8persönlich: für alle Auszubildenden, die in dem anerkannten Ausbildungsberuf Schornsteinfeger nach der Verordnung über die Berufsausbildung zum Schornsteinfeger und zur Schornsteinfegerin ausgebildet werden und eine nach den Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) versicherungspflichtige Tätigkeit ausüben.
9§ 2 Förderung der beruflichen Ausbildung
10Zur Förderung der Bereitstellung einer ausreichenden Anzahl von Ausbildungsplätzen und um die Durchführung einer qualifizierten, den besonderen Anforderungen des Wirtschaftszweigs gerecht werdenden Berufsbildung der Auszubildenden im Schornsteinfegerhandwerk zu sichern, gründen die Tarifvertragsparteien eine Ausbildungskostenausgleichskasse. Die Ausbildungskostenausgleichskasse wird als nicht gewinnorientierte Gesellschaft in der Rechtsform einer GmbH gegründet. Diese Gesellschaft wird ermächtigt von den Betrieben Beiträge im eigenen Namen einzuziehen und entsprechend dem Gesellschaftszweck einen Zuschuss zu den Ausbildungskosten an die ausbildenden Betriebe auszuzahlen.
11§ 3 Ausbildungskostenausgleich
12(1) Jeder Betrieb, der einen Auszubildenden zum Schornsteinfeger ausbildet, hat ab dem 1. Januar 2015 gegenüber der Ausbildungskostenausgleichskasse unter den Voraussetzungen der Einhaltung der §§ 5 bis 7 einen Anspruch auf Ausbildungskostenausgleich:
13a)im ersten Ausbildungsjahr: 6 550 Euro brutto
14b)im zweiten Ausbildungsjahr: 5 250 Euro brutto
15c)im dritten Ausbildungsjahr: 3 550 Euro brutto
16Der Anspruch auf Ausbildungskostenausgleich erfolgt maximal für eine Ausbildungsdauer von 36 Monaten.
17(2) Der Anspruch auf Ausbildungskostenausgleich besteht ungeachtet möglicher Ansprüche des Betriebs gegen Dritte auf Ersatz der Kosten der im Krankheitsfall fortgezahlten Ausbildungsvergütung.
18(3) Die Höhe der Ausgleichszahlungen wird für jeden Auszubildenden und für jedes Kalenderjahr gesondert für die Ausbildungszeit berechnet. Es werden für die Ausgleichszahlungen ausschließlich die Zeiten berücksichtigt, in denen das Ausbildungsverhältnis besteht. Beginnt oder endet das Ausbildungsverhältnis während des Kalenderjahres, so ist die Ausgleichszahlung anteilig nach Kalendermonaten und Kalendertagen zu entrichten.
19(4) Der kalenderjährliche Anspruch auf Ausbildungskostenausgleich wird in vier Raten fällig. Der Anspruch auf Ausbildungskostenausgleich für das 1. Quartal wird am 30. April des Kalenderjahres fällig, der Anspruch auf Ausbildungskostenausgleich für das 2. Quartal wird am 30. Juli des Kalenderjahres fällig, der Anspruch auf Ausbildungskostenausgleich für das 3. Quartal wird am 30. Oktober des Kalenderjahres fällig und der Anspruch auf Ausbildungskostenausgleich für das 4. Quartal wird am 30. Januar des darauf folgenden Kalenderjahres fällig.
20....
21§ 7 Beiträge
22(1) Die Mittel für die Ausgleichszahlungen und die Kosten für die Verwaltung der Ausbildungskostenausgleichskasse werden von den Betrieben durch Beiträge aufgebracht. Beitragspflichtig sind die in § 1 des Tarifvertrags genannten Betriebe.
23(2) Ab dem 1. Januar 2015 hat jeder Betrieb kalenderjährlich einen Beitrag von 4,4 % der Summe der im letzten Kalenderjahr entrichteten Bruttolöhne aller in seinem Betrieb beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer, die nach dem Schornsteinfegerhandwerksgesetz mit der Ausübung von Schornsteinfegertätigkeiten betraut sind, als Beitrag an die Ausbildungskostenausgleichskasse abzuführen. Für einen Betrieb, der erstmalig gegründet wurde, gilt Satz 1 mit der Maßgabe, dass die Bruttolohnsumme des Gründungsjahres zugrunde gelegt wird. Unabhängig von Satz 1 und Satz 2 beträgt der Mindestbeitrag je Betrieb 400 Euro brutto pro Kalenderjahr.
24(3) Bruttolohn ist
25a)bei Arbeitnehmern, die dem deutschen Lohnsteuerrecht unterliegen, der für die Berechnung der Lohnsteuer zugrunde zu legende und in die Lohnsteuerkarte oder die Lohnsteuerbescheinigung einzutragende Bruttoarbeitslohn einschließlich der Sachbezüge, die nicht nach § 40 des Einkommensteuergesetzes (EStG) versteuert werden, der nach § 3 Nummer 39 EStG bei geringfügiger Beschäftigung steuerfreie Bruttoarbeitslohn sowie der nach den §§ 40a, 40b, 52 und 52a EStG pauschal zu versteuernde Bruttoarbeitslohn,
26b)bei Arbeitnehmern, die nicht dem deutschen Lohnsteuerrecht unterliegen, der Bruttoarbeitslohn einschließlich der Sachbezüge, der bei Anwendung des deutschen Steuerrechts nach Buchstabe a als Bruttolohn gelten würde.
27(4) Die von dem Betrieb zu zahlende Ausbildungsvergütung zählt nicht zum umlagepflichtigen Bruttolohn im Sinne von § 7 Absatz 2.
28(5) Der Betrieb hat den Beitrag in vier gleichen Raten zu zahlen. Der Beitrag wird jeweils fällig zum 20. Kalendertag des 1. Monats im Kalendervierteljahr.
29(6) Entsteht oder endet die Beitragspflicht während des Kalenderjahres, so ist der Beitrag anteilig nach Kalendermonaten und Kalendertagen zu entrichten. Auf einen Kalendermonat entfällt der 12. Teil eines Jahresbeitrags, auf einen Kalendertag der 30. Teil des auf den Kalendermonat treffenden Anteils.
30(7) Der Betrieb hat der Ausbildungskostenausgleichskasse über ein von ihr zur Verfügung gestelltes Formular die gezahlten Bruttolohnsummen des abgelaufenen Kalenderjahres bis zum 30. April des Folgejahres nachzuweisen. Die Ausbildungskostenausgleichskasse kann notwendige Unterlagen einsehen, um die eingereichten Lohnnachweise prüfen zu können. Die Ausbildungskostenausgleichskasse darf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, die ihr bei der Überprüfung bekannt werden, nicht offenbaren oder für andere Zwecke verwerten.
31(8) Stellt sich nach Ablauf eines Kalenderjahres heraus, dass der Beitrag zu hoch oder zu niedrig war, um die tarifvertraglich festgelegten Leistungen zu decken, so hat auf Antrag einer der Tarifvertragsparteien für das folgende Kalenderjahr eine entsprechende Anpassung zu erfolgen.
32§ 8 Gerichtsstand
33Erfüllungsort und Gerichtsstand für Ansprüche gegen den Betrieb sowie für Ansprüche der Betriebe ist Siegburg.“
34Der vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales am 23.03.2013 mit Wirkung zum 01.11.2012 für allgemeinverbindlich erklärte Vorgängertarifvertrag (TV-A 2012) sah im Unterschied zum vorgenannten Tarifvertrag einen jährlichen Mindestbeitrag von 800,00 Euro vor.
35Die Klägerin hat Klage erhoben mit den Anträgen,
36den Beklagten zu verurteilen,
37- 38
1. an sie 100,00 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 21.01.2015,
- 39
2. an sie 100,00 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 21.04.2015,
- 40
3. an sie 100,00 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 21.07.2015,
- 41
4. an sie 100,00 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 21.10.2015,
- 42
5. an sie 100,00 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 21.01.2016,
- 43
6. der Klägerin die Bruttolohnsummen der mit Schornsteinfegerarbeiten betrauten gewerblichen Mitarbeiter für das Jahr 2015 anzugeben.
Sie vertritt unter Berufung auf eine entsprechende Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Köln die Auffassung, auch ein Betriebsinhaber, der keine Arbeitnehmer und keine Auszubildenden habe, sei aufgrund der allgemeinverbindlichen Tarifverträge zur Zahlung des Mindestbeitrags verpflichtet.
45Im Gütetermin vom 05.07.2016 ist der Beklagte trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen.
46Die Klägerin erklärt die Klageanträge zu 5. und 6. für erledigt und beantragt im Übrigen unter Bezugnahme auf die Klageschrift den Erlass eines Versäumnisurteils.
47Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachstandes wird auf den Inhalt der Akte Bezug genommen.
48Entscheidungsgründe
49Nach § 55 Absatz 1 Nr. 4 ArbGG hatte die Vorsitzende allein zu entscheiden.
50I.
51Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist gemäß § 2 Absatz 1 Nr.6 ArbGG gegeben. Zwar ist Gegenstand des Rechtsstreits die Klage einer gemeinsamen Einrichtung von Tarifvertragsparteien gegen einen Betriebsinhaber, von dem die Klägerin gerade nicht behauptet, dass er Arbeitgeber ist. Nach den hier anzuwendenden Grundsätzen des Sic-non-Falles kommt es aber im Rahmen der Prüfung der Prozessvoraussetzungen weder darauf an, ob der TV-A bzw. die Allgemeinverbindlicherklärung den Beklagten überhaupt erfasst, noch darauf, ob die Allgemeinverbindlicherklärung wirksam ist:
52Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (grundlegend BAG NJW 1996, 2948) ist der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen immer dann gegeben, wenn die Klage mit Erfolg nur auf eine arbeitsrechtliche Grundlage gestützt werden kann. Hauptanwendungsfall ist die Statusklage und die Kündigungsschutzklage, wenn nur arbeitsrechtliche Unwirksamkeitsgründe geltend gemacht werden. In diesen Fällen ist nicht einmal ein schlüssiger Tatsachenvortrag des Klägers im Hinblick auf seine Arbeitnehmereigenschaft erforderlich. Vielmehr reicht seine bloße Rechtsansicht aus, er sei Arbeitnehmer: Würde in diesen Fällen der Rechtsstreit verwiesen, so müsste das Gericht, wenn es der Begründung folgt, die zur Verweisung geführt hat, die Klage als unbegründet abweisen. Weder die gesetzliche Zuständigkeitsverteilung noch der Gedanke der Respektierung der Nachbargerichtsbarkeit verlangt in diesen Fällen eine Verweisung in einen anderen Rechtsweg (BAG a.a.O.). Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Rechtsprechung gibt es nicht (BVerfG NZA 1999, 1234).
53Vorliegend kann die Klage nur auf eine arbeitsrechtliche Anspruchsgrundlage, nämlich die Vorschriften des TV-A bzw. TV-A 2012 gestützt werden.
54Das Arbeitsgericht Siegburg ist auch örtlich zuständig. § 8 TV-A bestimmt in zulässiger Weise (§ 48 Absatz 2 Nr.2 ArbGG) für Ansprüche gegen den Betrieb und für Ansprüche der Betriebe Siegburg als Gerichtsstand. Nach den auch in diesem Zusammenhang anzuwendenden Grundsätzen des Sic-non-Falles kommt es nicht darauf an, ob der TV-A bzw. die Allgemeinverbindlicherklärung den Betrieb des Beklagten erfasst. Dieser Frage kommt Doppelrelevanz sowohl für die örtliche Zuständigkeit als auch für die Begründetheit der Klage zu. Würde der Rechtsstreit an ein anderes Arbeitsgericht verwiesen, weil die Kammer die Frage, ob der Betrieb des Beklagten vom TV-A bzw. der Allgemeinverbindlicherklärung erfasst wird, verneint, wäre das Arbeitsgericht, an das verwiesen wird, nicht gehindert, diese streitentscheidende Frage anders zu beurteilen als das erkennende Gericht. Es müsste eine Sachentscheidung treffen, für die nach § 48 Absatz 2 Nr.2 ArbGG, § 8 TV-A das Arbeitsgericht Siegburg örtlich zuständig ist. Das wäre systemwidrig.
55II.
56Die Klage war abzuweisen, denn der Vortrag der Klägerin rechtfertigt die Klageanträge nicht, § 331 Absatz 2, 2. Halbsatz ZPO.
57Die Klägerin trägt nicht vor, dass der Beklagte einen Arbeitnehmer oder einen Auszubildenden beschäftigt. Damit sind die Voraussetzungen für die Verpflichtung zur Entrichtung von Beiträgen nach den TV-A nicht dargelegt. Ein Solo-Selbständiger, der weder Arbeitnehmer noch Auszubildende beschäftigt, ist nicht Arbeitgeber. Ihm können deshalb auf der Grundlage der für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge keine Pflichten auferlegt werden.
58Die TV-A sind insoweit nichtig, als sie so genannte Solo-Selbstständige verpflichten wollen, denn diese Personen sind nicht Arbeitgeber und können deshalb nicht aufgrund einer Allgemeinverbindlicherklärung wirksam in den Geltungsbereich eines Tarifvertrages einbezogen werden ( a. A. LAG Köln 23.10.2015 - 9 Sa 395/15; Bayreuther/Deinert, Der Einbezug arbeitnehmerloser Betriebe in gemeinsame Einrichtungen in die Tarifvertragsparteien, RdA 2015, 129 ff). Den Tarifvertragsparteien fehlt es insoweit an der Tarifmacht:
59Gemäß § 1 Absatz 1 TVG regelt ein Tarifvertrag die Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien und enthält Rechtsnormen, die den Inhalt, den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen sowie betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen ordnen können. Nach § 2 Absatz 1 TVG sind Tarifvertragsparteien Gewerkschaften, einzelne Arbeitgeber sowie Vereinigungen von Arbeitgebern. Laut § 4 Absatz 1 TVG gelten die Rechtsnormen des Tarifvertrages, die den Inhalt, den Abschluss oder die Beendigung von Arbeitsverhältnissen ordnen, unmittelbar und zwingend zwischen den beiderseits Tarifgebundenen, die unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages fallen. § 4 Absatz 2 TVG regelt, dass die von einer gemeinsamen Einrichtung der Tarifvertragsparteien in einem Tarifvertrag vorgesehenen Regelungen auch unmittelbar und zwingend für die Satzung dieser Einrichtung und das Verhältnis der Einrichtung zu den tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern gelten.
60Aus all diesen Vorschriften und dem Sinn und Zweck eines Tarifvertrages ist zu schließen, dass der Vertragspartner der Gewerkschaft beim Abschluss eines Tarifvertrages ein oder mehrere Arbeitgeber (oder Zusammenschlüsse von Arbeitgebern) ist/sind. Der gegenteiligen Auffassung von Bayreuther/Deinert (a. a. O.; ihnen folgend LAG Köln a.a.O) vermag sich das Gericht nicht anzuschließen, denn die Argumentation von Bayreuther/Deinert (a. a. O.) Argumente überzeugt nicht:
61Zunächst ist festzuhalten, dass sich die Frage der Einbeziehung arbeitnehmerloser Betriebe in den Geltungsbereich von Tarifverträgen in aller Regel nur im Zusammenhang mit für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen stellt. Dass ein Solo-Selbstständiger, der nicht einmal konkret beabsichtigt, Arbeitnehmer zu beschäftigen, einem Arbeitgeberverband beitritt oder mit einer Gewerkschaft einen Firmentarifvertrag schließt, dürfte - wenn überhaupt - nur ausnahmsweise vorkommen.
62Die von Bayreuther/Deinert in Bezug genommene Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 24.06.1989 (NJW 1999, 812) stützt die von den Autoren vertretene Auffassung nicht. Dass das Bundesarbeitsgericht in dieser Entscheidung unter Hinweis auf Löwisch/Rieble (TVG, Kommentar, § 2 Rn. 60) ausführt, die Tariffähigkeit des Arbeitgebers setze nicht erst mit Abschluss des ersten Arbeitsvertrages ein, es genüge vielmehr, dass die Beschäftigung von Arbeitnehmern vorgesehen ist, lässt bei unbefangener Betrachtung darauf schließen, dass auf die Beschäftigung von Arbeitnehmern als Merkmal für die Begründung der Arbeitgebereigenschaft und damit der Tariffähigkeit gerade nicht verzichtet wird. Verdeutlicht wird dies durch das vom Bundesarbeitsgericht angeführte Beispiel, dass eine aus einem Unternehmen ausgegründete Tochter, die „noch keine Arbeitnehmer beschäftigt“, einen Haustarifvertrag abschließen kann. Weder vom Bundesarbeitsgericht (NJW 1999, 812) noch von Löwisch/Rieble (a. a. O.) wird im Übrigen in der von Bayreuther/Deinert angenommenen Allgemeinheit die Tariffähigkeit potentieller Arbeitgeber bejaht. Den Begriff „potentiell“ definiert der Duden als „möglich (im Gegensatz zu wirklich), denkbar; der Anlage, Möglichkeit nach [vorhanden]; vielleicht zukünftig“. Das Bundesarbeitsgericht (NJW 1999, 812) und Löwisch/Rieble (a.a.O) befassen sich nicht mit der Frage, wie der Fall zu beurteilen ist, dass eine natürliche oder juristische Person „vielleicht zukünftig“ Arbeitgeber ist. Insbesondere behandeln sie den Fall nicht, dass eine natürliche oder juristische Person, die die Einstellung von Arbeitnehmern oder zumindest sonst abhängig Beschäftigten nicht einmal beabsichtigt, einen Tarifvertrag abschließt.
63Daraus, dass die Tarifmacht der Tarifvertragsparteien auch Ausbildungsverhältnisse und solche Rechtsverhältnisse umfasst, die im Zusammenhang mit der Begründung, Abwicklung oder Nachwirkung von Arbeitsverhältnissen stehen (Beratungsanwärter, Vorruhestands- und Ruhestandverhältnisse), kann nicht geschlossen werden, dass sich die Tarifmacht auch auf Solo-Selbstständige erstreckt. Es geht bei all den vorgenannten Fallgestaltungen stets um Rechtsverhältnisse, die mit Arbeitsverhältnissen im engen Zusammenhang stehen bzw. einem Arbeitsverhältnis ähnlich sind. Immer wird eine Rechtsbeziehung des Arbeitgebers zu einer anderen Rechtsperson vorausgesetzt.
64Auch der Betriebsbegriff gibt für die im vorliegenden Zusammenhang interessierende Frage nichts her. Es ist unbestritten, dass auch ein Solo-Selbstständiger einen Betrieb im Sinne der klassischen Definition unterhält. Denn ein Betrieb ist eine organisatorische Einheit, innerhalb derer der Unternehmer allein oder zusammen mit seinen Mitarbeitern bestimmte arbeitstechnische Zwecke mit Hilfe sächlicher oder materieller Mittel fortgesetzt verfolgt. Daraus kann aber nicht gefolgert werden, dass der Inhaber eines Betriebes, der allein in dem Betrieb tätig ist und ausschließlich aus der Verwertung der eigenen Arbeitskraft Einkommen erzielt, ein Arbeitgeber im Sinne des TVG ist.
65Die Allgemeinverbindlicherklärung schafft keine eigenständige Rechtsgrundlage für die Einbeziehung von Solo-Selbstständigen in den Geltungsbereich des TV-A bzw. TV-A 2012. Sie bewirkt lediglich die Erstreckung des Tarifvertrages auf diejenigen Arbeitgeber, die nicht dem tarifschließenden Verband angehören. Der Solo-Selbstständige ist aber kein Arbeitgeber. Der Solo-Selbstständige ist, wie bereits festgestellt, jemand, der typischerweise gerade allein tätig ist und auch nicht vorübergehend Arbeitnehmer beschäftigt, oder Auszubildende hat.
66Es kann kaum davon ausgegangen werden, dass Solo-Selbstständige einem Arbeitgeberverband beitreten. Die Einbeziehung dieses Personenkreises in den Geltungsbereich des Tarifvertrages einer gemeinsamen Einrichtung kann deshalb nur über die Allgemeinverbindlicherklärung erfolgen. Die Tarifvertragsparteien, die die Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrages beantragen, der Solo-Selbstständige zur Beitragszahlung an ihre gemeinsame Einrichtung verpflichten soll, beabsichtigen damit insoweit von vornherein, Personen, die ausschließlich aus der Verwertung ihrer eigenen Arbeitskraft Einkünfte erzielen, Zahlungspflichten aufzuerlegen, die typischerweise nicht ihnen, sondern ausschließlich den Betriebsinhabern zum Vorteil gereichen, die Arbeitnehmer und/oder Auszubildende beschäftigen. Dass dies rechtlich problematisch ist, räumen Bayreuther/Deinert ein (a.a.O., 138 f).
67Ob die TV-A und TV-A 2012 Betriebe, die lediglich vorübergehend keine Arbeitnehmer und/oder oder Auszubildende beschäftigen, zur Beitragszahlung verpflichten können, kann dahin stehen. Darum geht es vorliegend nicht.
68Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Das gilt auch, soweit der Rechtsstreit von der Klägerin für erledigt erklärt worden ist. Da die Klage von vornherein unbegründet war, ist keine Erledigung gegeben (Musielak/Voit, ZPO, § 91a Rn 29 m.w.N.).
69Der gemäß § 61 Absatz 1 ArbGG im Urteil auszuweisende Streitwert war nach §§ 3, 5 ZPO mit dem addierten Wert der geltend gemachten Ansprüche zu bewerten.
70Gemäß § 64 Absatz Absatz 3 lit. a) ArbGG war die Berufung auch zuzulassen, soweit sie nicht von Gesetzes wegen statthaft ist, denn die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung. Höchstrichterlich ist bislang nicht geklärt, ob Solo-Selbständige durch einen für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag zur Zahlung von Beiträgen verpflichtet werden können. Nicht nur für das Schornsteinfegerhandwerk, sondern auch im Bereich des Baugewerbes ist ein Tarifvertrag über gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien für allgemeinverbindlich erklärt worden, der Solo-Selbständige einbeziehen will (§ 17 des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) vom 03.05.2013 in der Fassung der Änderungstarifverträge vom 03.12.2013 und 10.12.2014.
71RECHTSMITTELBELEHRUNG
72Gegen dieses Urteil kann von der klagenden Partei Berufung eingelegt werden. Für die beklagte Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
73Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist* von einem Monat schriftlich oder in elektronischer Form beim
74Landesarbeitsgericht Köln
75Blumenthalstraße 33
7650670 Köln
77Fax: 0221-7740 356
78eingegangen sein.
79Die elektronische Form wird durch ein qualifiziert signiertes elektronisches Dokument gewahrt, das nach Maßgabe der Verordnung des Justizministeriums über den elek-tronischen Rechtsverkehr bei den Arbeitsgerichten im Lande Nordrhein-Westfalen (ERVVO ArbG) vom 2. Mai 2013 in der jeweils geltenden Fassung in die elektronische Poststelle zu übermitteln ist. Nähere Hinweise zum elektronischen Rechtsverkehr finden Sie auf der Internetseite www.egvp.de.
80Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach dessen Verkündung.
81Die Berufungsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
82- 83
1. Rechtsanwälte,
- 84
2. Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
- 85
3. juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
Eine Partei, die als Bevollmächtigte zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
87* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
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Referenzen
- EStG § 52a (weggefallen) 1x
- Urteil vom Landesarbeitsgericht Köln - 9 Sa 395/15 1x
- ZPO § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht 1x
- ZPO § 5 Mehrere Ansprüche 1x
- § 1 Absatz 1 TVG 1x (nicht zugeordnet)
- ArbGG § 48 Rechtsweg und Zuständigkeit 2x
- § 4 Absatz 1 TVG 1x (nicht zugeordnet)
- EStG § 40a Pauschalierung der Lohnsteuer für Teilzeitbeschäftigte und geringfügig Beschäftigte 1x
- § 4 Absatz 2 TVG 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 3 Wertfestsetzung nach freiem Ermessen 1x
- ArbGG § 61 Inhalt des Urteils 1x
- EStG § 52 Anwendungsvorschriften 1x
- § 2 Absatz 1 TVG 1x (nicht zugeordnet)
- ArbGG § 55 Alleinentscheidung durch den Vorsitzenden 1x
- EStG § 40b Pauschalierung der Lohnsteuer bei bestimmten Zukunftssicherungsleistungen 1x
- ArbGG § 2 Zuständigkeit im Urteilsverfahren 1x
- ZPO § 331 Versäumnisurteil gegen den Beklagten 1x