Urteil vom Anwaltsgerichtshof NRW - 1 AGH 15/20
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Der Streitwert wird auf 25.000,00 EUR festgesetzt.
1
Tatbestand
2Die Klägerin begehrt die Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 29.05.2020, mit dem diese die Beigeladene als Syndikusrechtsanwältin gemäß § 46a BRAO zugelassen hat.
31.
4Mit Antrag vom 24.10.2019 begehrte die seit dem 27.12.2005 bei der Beklagten zur Rechtsanwaltschaft zugelassene Beigeladene die Zulassung als Syndikusrechtsanwältin für ihre am 01.11.2019 beginnende Tätigkeit bei ihrer Arbeitgeberin, der B in E. In der zum Bestandteil des Arbeitsvertrages gemachten und von einem Vertreter des Geschäftsbereichs Personal unterzeichneten Tätigkeitsbeschreibung vom 12.11.2019/16.12.2019, werden die Merkmale der anwaltlichen Tätigkeit im Wesentlichen wie folgt beschrieben:
5Beratung im Rahmen des Aufgabenkreises zu juristischen Fragestellungen in den Rechtsgebieten Betreuungsrecht, gesetzliche Krankenversicherung (SGB V), Erstattungsansprüche nach SGB X, Schadensersatzrecht, Fehlverhaltensbekämpfung nach § 197a SGB, § 47 SGB XI (inkl. Amtshaftung und Produkthaftung), Urheberrecht, Vollstreckungsrecht, Wettbewerbsrecht, Vertragsrecht, Prozessvertretung vor den Sozial-, Verwaltungs- und Zivilgerichten.
6Prüfung von Rechtsfragen:
7- Aufklärung des Sachverhalts und Klärung der Rechtslage in den dargestellten Rechtsgebieten
8- Beratung verschiedener Unternehmungsbereiche im operativen Bereich vor Ort sowie des Vorstandes in den Rechtsgebieten und über Handlungsmöglichkeiten
9- Prüfung der Rechtsfragen erfolgt anhand Literatur und Rechtsprechung, die Aufklärung des Sachverhalts durch Befragung der Mitarbeiter und der Regionaldirektoren
10- Vorschlag optionaler Lösungswege
11- Beauftrage für Compliancefragen
12Erteilung von Rechtsrat:
13- Beratung gegenüber den Mitarbeitern des Arbeitgebers und dem Vorstand, mündlich, schriftlich, in Form eines Votums oder eines Gutachtens
14- Einwirkung auf den Fortgang der Verfahren, wesentliche Mitentscheidung über gerichtliche Verfolgung von Ansprüchen
15Gestaltung von Rechtsverhältnissen:
16- Führen von Vertragsverhandlungen
17- Gestaltung und Entwicklung von Verträgen
18- Überprüfung von Leistungsverträgen
19Außerdem sei die Beigeladene befugt, im Rahmen ihrer Zuständigkeitsbereiche eigenverantwortlich nach Außen aufzutreten, insbesondere vor Gericht.
20Mit Schreiben vom 23.03.2020 bescheinigte der Arbeitgeber der Beigeladenen ihre fachliche Unabhängigkeit der Berufsausübung i.S.d. § 46 Abs. 3 BRAO. Außerdem bescheinigte er auf Anfrage der Beklagten mit Schreiben vom 26.02.2020, dass die Beigeladene keine hoheitliche Tätigkeit ausübe. Gemäß den Gepflogenheiten der Sozialgerichtsbarkeit nehme die Beigeladene die von ihr vorzunehmenden Unterschriftsleistungen mit dem Zusatz „im Auftrag“ vor, im Übrigen zeichne sie mit dem Zusatz „Justiziarin“.
212.
22Mit Schreiben vom 27.04.2020 wurde die Klägerin zur beabsichtigten Zulassung der Beigeladenen angehört. In ihrem Schreiben vom 05.05.2020 wies sie darauf hin, dass die Zulassungsvoraussetzungen für die Zulassung als Syndikusrechtsanwältin nicht gegeben seien, weil die Beigeladene hoheitlich tätig sei und dies ein Zulassungsversagungsgrund i.S.v. § 46a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 7 Nr. 8 BRAO sei.
233.
24Aufgrund dieser Bedenken der Klägerin bat die Beklagte die Beigeladene um Mitteilung, ob sie gegenüber Mitarbeitern, die hoheitliche Tätigkeiten ausübten, weisungsberechtigt sei bzw. diese Entscheidungen beeinflussen könne. Mit Schreiben vom 13.05.2020 teilte die Beigeladene mit, dass sie weder selbst hoheitlich tätig sei noch gegenüber Mitarbeitern, die eine hoheitliche Tätigkeit ausübten, weisungsberechtigt sei.
25Mit Bescheid vom 29.05.2020 schließlich ließ die Beklagte die Beigeladene gemäß § 46a BRAO als Syndikusrechtsanwältin für ihre Tätigkeit bei der B zu und ordnete die sofortige Vollziehung des Zulassungsbescheides an.
264.
27Gegen diesen, der Klägerin am 22.06.2020 zugestellten Bescheid richtet sich die am 02.07.2020 erhobene Klage. Zur Begründung ihrer Klage trägt die Klägerin im Wesentlichen Folgendes vor:
28Der Zulassung der Beigeladenen als Syndikusrechtsanwältin stehe der Zulassungsversagungsgrund des § 7 Nr. 8 BRAO entgegen. Krankenkassen handelten im Bereich des Mitgliedschafts- und Beitragsrechts, des Leistungsrechts und des Verwaltungsverfahrensrechts regelmäßig durch Verwaltungsakt. So sei etwa gemäß § 50 Abs. 3 Satz 1 SGB X die zu erstattende Leistung durch schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen. Die Geltendmachung von Erstattungsansprüchen sei mithin unzweifelhaft der Hoheitsverwaltung zuzurechnen. In diesem Bereich sei die Beigeladene ausweislich der Ausführungen in der Tätigkeitsbeschreibung tätig. Aus den Angaben in der Tätigkeitsbeschreibung, in ihrem Zuständigkeitsbereich nehme die Beigeladene wesentlichen Einfluss auf den Fortgang des Verfahrens, indem sie wesentlich darüber mitentscheide, ob ein gerichtlicher Weg beschritten werden oder nicht, sei zu schließen, dass sie zumindest Mitentscheidungsbefugnisse hinsichtlich der Erhebung/Vermeidung von Klagen und Führung von Prozessen habe. Somit sei es auch naheliegend, dass sie auch im Rahmen von Verwaltungsverfahren Entscheidungsbefugnisse habe und in einem ihr vorgelegten Einzelfall etwa darüber entscheiden könne, ob ein Erstattungsanspruch nach § 50 SGB X durch Verwaltungsakt geltend gemacht werden solle. Es sei zumindest naheliegend, dass sie in einem ihr vorgelegten Einzelfall den Mitarbeitern, die üblicherweise über die Geltendmachung von Erstattungsansprüchen entschieden, verbindliche Weisungen erteilen könne. Die Erklärung der Beigeladenen im Schreiben vom 13.05.2020, dass sie weder hoheitlich tätig sei, noch weisungsberechtigt gegenüber Mitarbeitern sei, die eine hoheitliche Tätigkeit ausüben, sei eine schlichte Rechtsbehauptung. Außerdem sei die Erklärung widersprüchlich, soweit die Beigeladene in dem Schreiben auf „meine Entscheidungen“ hinweise.
29Auch die Tätigkeit der Beigeladenen im Bereich der „Fehlverhaltensbekämpfung nach §§ 197a SGB V, 47 SGB XI“ gehöre zur hoheitlichen Tätigkeit. Es handele sich bei dieser Fehlverhaltensbekämpfung um ein „sozialrechtliches Vorschaltverfahren zur Gewinnung strafprozessualer Verdachtslagen“, aus dessen Feststellungen für nachfolgende Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft präjudizierende Folgerungen abgeleitet werden könnten. Vor diesem Hintergrund sei das Verfahren der Stellen nach § 197a SGB V als Sozialverwaltungsverfahren i.S.d. § 80 SGB X und die Entscheidung über die Verdachtsweitergabe gemäß § 197a Abs. 4 SGB V als Verwaltungsakt i.S.d. § 31 SGB X zu qualifizieren.
30Die Klägerin beantragt,
31den Zulassungsbescheid der Beklagten vom 29.05.2020 aufzuheben.
32Die Beklagte beantragt,
33die Klage abzuweisen.
34Die Beigeladene beantragt,
35die Klage abzuweisen.
36Die Beklagte tritt dem Vortrag der Klägerin entgegen und legt dar, dass die Tätigkeit der Beigeladenen nicht hoheitlich sein. Sie sei in ihrer Tätigkeit in der Stabsstelle Recht ihrer Arbeitgeberin beratend tätig und wirke an Entscheidungen und dem Erlass von Verwaltungsakten nicht unmittelbar mit, sie sei lediglich in die Vorbereitung von Entscheidungen eingebunden, die aber nicht als hoheitliche Tätigkeit zu bewerten sei.
37Die Beigeladene trägt vor, sie sei wie alle andern Mitarbeiter im Stabsbereich Recht lediglich als Prüfstelle tätig und sei gegenüber den Fachabteilungen, die hoheitliche Maßnahmen entschieden, nicht weisungsbefugt. Die Fachabteilungen führten die Verwaltungsverfahren selbst. Der Stabsbereich Recht werde erst wieder in Klageverfahren der Fachabteilungen involviert; ob der Rechtsweg beschritten werde, entscheide die Fachabteilung. Auch im Bereich der Fehlverhaltensbekämpfung sei sie allenfalls gelegentlich zu schadenersatzrechtlichen oder strafrechtlichen Fragen beratend tätig; die Abteilung sei selbst mit einem Juristen besetzt, der die Abteilung umfassend berate.
38In der mündlichen Verhandlung hat die Beigeladene auf Befragen darauf hingewiesen, dass die Fachabteilungen selbst entschieden und die Stabsabteilung Recht, der sie angehöre bei Bedarf beratend hinzugezogen werde. Sie teile das Ergebnis ihrer Prüfung der Fachabteilung mit und erfahre häufig nicht einmal, wie der Vorgang in der Fachabteilung entschieden werde.
39Darüberhinaus prüfe sie Verträge und Haftungsfragen. Bei Vertragsverhandlungen sei sie bisher nicht nach außen tätig geworden, trete aber in Gerichtsverfahren als Vertreterin ihrer Arbeitgeberin auf.
40Entscheidungsgründe
41I.
42Die Anfechtungsklage der Klägerin ist zulässig. Gegen den Bescheid der Beklagten ist ohne Durchführung eines Vorverfahrens (§ 68 VwGO, § 110 JustG NRW) Anfechtungsklage zulässig (§ 42 VwGO, §§ 112 Abs. 1, 112c Abs. 1 BRAO) Der Anwaltsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen ist für die Klage zuständig (§ 112a BRAO).
43II.
44Die Klage ist unbegründet. Die Beklagte hat der Beigeladenen die Zulassung zur Syndikusrechtsanwältin zu Recht erteilt.
45Der Bescheid ist formell rechtmäßig. Über die Zulassung der Beigeladenen als Syndikusrechtsanwältin hat die örtlich zuständige Rechtsanwaltskammer auf Antrag der Beigeladenen nach Anhörung des Trägers der Rentenversicherung (§ 46a Abs. 2 Satz 1 BRAO) entschieden.
46Der angefochtene Zulassungsbescheid ist auch materiell rechtmäßig. Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft als Syndikusrechtsanwältin ist gemäß § 46a Abs. 1 BRAO auf Antrag zu erteilen, wenn
47- 48
1. die allgemeinen Zulassungsvoraussetzungen zum Beruf des Rechtsanwalts gemäß § 4 erfüllt sind
- 49
2. kein Zulassungsversagungsgrund nach § 7 vorliegt und
- 50
3. die Tätigkeit den Anforderungen des § 46 Abs. 2 bis 5 entspricht.
1.
52Dafür, dass die Zulassungsvoraussetzungen gemäß § 4 BRAO nicht vorliegen, ist nichts ersichtlich. Die Beigeladene ist seit 2005 als Rechtsanwältin zugelassen.
532.
54Auch Zulassungsversagungsgründe nach § 7 BRAO sind nicht ersichtlich, insbesondere solche gemäß § 7 Nr. 8.
55Gem. § 46a Abs. 1 Nr. 2 BRAO i.V.m. § 7 Nr. 8 BRAO ist die Zulassung als Syndikusrechtsanwältin zu versagen, wenn eine Tätigkeit ausgeübt wird, die mit dem Beruf einer Syndikusrechtsanwältin, insbesondere ihrer Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege, nicht vereinbar ist oder das Vertrauen in seine Unabhängigkeit gefährden kann.
56a)
57Der BGH hat die Voraussetzungen für die Anwendung dieses Zulassungsversagungsgrundes auf die Zulassung von Syndikusrechtsanwälten in seinem Urteil vom 22.06.2020 – AnwZ (Bfg) 81/18 – noch einmal wie folgt zusammengefasst:
58Nach zwischenzeitlich gefestigter Rechtsprechung des Senats kann das Zulassungshindernis des § 7 Nr. 8 BRAO einer Zulassung als Syndikusrechtsanwalt entgegenstehen (vgl. BGH, Urteil vom 30.09.2019 – AnwZ (Bfg) 38/18, NJW 2019, 3644 Rn. 16). Eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst ist zwar nicht von vornherein mit einer Zulassung als Syndikusrechtsanwalt unvereinbar. Es ist jedoch jeweils im Einzelfall zu prüfen, ob die ausgeübte Tätigkeit im öffentlichen Dienst einer Zulassung entgegensteht, ob also die Belange der Rechtspflege durch die Zulassung gefährdet sind (BGH, Urteil vom 30.09.2019 – AnwZ (Bfg) 38/18, a.a.O. Rn. 17). Mit dieser Prüfung sind die Besonderheiten der anwaltlichen Tätigkeit des Syndikusrechtsanwalts nach §§ 46 f. BRAO zu berücksichtigen.
59Eine Gefährdung der Interessen der Rechtspflege i.S.v. § 7 Nr. 8 BRAO und damit ein Ausschluss der Zulassung ergibt sich hierbei insbesondere dann, wenn der Antragsteller am Erlass hoheitlicher Maßnahmen mit Entscheidungsbefugnis beteiligt ist. Mit einer Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege ist eine solche hoheitliche Tätigkeit nicht vereinbar. Die Ausübung hoheitlicher Befugnisse ist den staatlichen Organen als solchen vorbehalten. Derjenige, der hoheitlich tätig wird, nimmt spezifische Staatsfunktionen wahr und ist deutlich enger in die Staatshierarchie eingebunden als nicht hoheitlich tätige Angestellte des öffentlichen Dienstes. Der hoheitlich tätige Angestellte handelt – auch aus Sicht der Rechtsuchenden – gleichsam als Staat im Rahmen der der staatlichen Stelle zukommenden Hoheitsgewalt, nicht jedoch als Berater oder Vertreter seines Arbeitgebers und damit nicht als unabhängiges Organ der Rechtspflege (BGH, Urteil vom 30.09.2019 – AnwZ (Bfg) 38/18, a.a.O. Rn. 21).
60Auf den Umfang der hoheitlichen Tätigkeit des Antragstellers kommt es hierbei nicht entscheidend an. Insbesondere muss die hoheitliche Tätigkeit nicht den Schwerpunkt der Gesamttätigkeit darstellen. Der Zulassungsversagungsgrund des § 7 Nr. 8 BRAO stellt nicht auf den Schwerpunkt der Tätigkeit ab, sondern darauf, ob zu dem Tätigkeitsfeld des Antragstellers Aufgaben gehören, die mit dem Beruf des Rechtsanwalts unvereinbar sind. Nicht entscheidend ist auch, ob der Antragsteller nach außen hin als Entscheidungsträger in Erscheinung tritt oder als solcher zu erkennen ist. Nicht das äußere Erscheinungsbild ist maßgeblich, sondern der objektive Inhalt der Tätigkeit, mithin die tatsächlich bestehende Entscheidungsbefugnis. Die Unvereinbarkeit folgt nicht aus dem äußeren Erscheinungsbild, sondern aus der Tätigkeit als solcher. Eine Zulassung scheidet demnach insbesondere dann aus, wenn die hoheitlichen Maßnahmen innerhalb der Organisationseinheit getroffen werden, welcher der Antragsteller angehört und wenn der Antragsteller hieran mit Entscheidungskompetenz beteiligt ist. Fungiert der Antragsteller dagegen lediglich als rechtliche Prüfstelle ohne weisungsbefugt zu sein, ist eine Zulassung nicht nach § 7 Nr. 8 BRAO ausgeschlossen (BGH, Urteil vom 30.09.2019 – AnwZ (Bfg) 38/18, a.a.O. Rn. 23 mwN).
61b)
62Aus der zitierten Entscheidung des BGH ergibt sich, dass eine Zulassung als Syndikusrechtsanwältin ausscheidet, wenn die Beigeladene am Erlass hoheitlicher Maßnahmen mit Entscheidungsbefugnis beteiligt ist; unschädlich ist dabei, wenn sie im Zusammenhang mit hoheitlichen Maßnahmen lediglich als Prüfstelle auftritt und hoheitliche Maßnahmen, etwa durch Stellungnahmen, Rechtsgutachten, mündliche oder schriftliche Beratungen sowie Fertigung von Entscheidungsentwürfen vorbereitet. Ebenso wenig ist entscheidend, ob und wie häufig Entscheidungsvorschlägen gefolgt werden. Auch handelt eine Syndikusrechtsanwältin nicht hoheitlich, wenn sie ihren Arbeitgeber vor Gerichten vertritt. Dies gilt auch dann, wenn die Syndikusrechtsanwältin einen gerichtlichen Vergleich schließt oder einem Vergleichsvorschlag des Gerichts zustimmt, welcher den Arbeitgeber unmittelbar zu einem hoheitlichen Handeln verpflichtet (vgl. BGH, Urteil vom 06.05.2019 – AnwZ (Bfg) 31/17).
63c)
64Die B ist als Trägerin der gesetzlichen Krankenversicherung eine Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung (vgl. § 29 Abs. 1 SGB IV, § 4 SGB V). Die Beigeladene und die Arbeitgeberin der Beigeladenen haben in gesonderten Erklärungen versichert, dass sie, die Beigeladene, keine hoheitlichen Tätigkeiten wahrnehme. Dies wurde ihr von ihrem Arbeitgeber vom 26.02.2020 ausdrücklich bestätigt. Soweit die Klägerin vorträgt, diese Erklärungen seien nicht ausreichend und schlichte Rechtsbehauptungen, kann sie diese nicht belegen, sondern verbleibt ebenfalls im Vagen. Auch aus der Formulierung in Ziff. 3 der Tätigkeitsbeschreibung, dass die Beigeladene in ihrem Zuständigkeitsbereich wesentlich Einfluss auf den Fortgang des Verfahrens nehme, indem sie wesentlich darüber mitentscheide, ob ein gerichtlicher Weg beschritten werde oder nicht, ist nicht zwingend zu folgern, dass die Beigeladene mit Entscheidungsbefugnis Einfluss auf hoheitliche Maßnahmen der Arbeitgeberin nimmt. Aus den Formulierungen erschließt sich vielmehr, dass die Beigeladene die Sach- und Rechtslage umfassend prüft und sodann aufgrund dieser Prüfung Empfehlungen für den weiteren Fortgang der Sache gibt, ohne allerdings für eine konkrete Entscheidung weisungsbefugt zu sein. Der Vortrag der Klägerin, dass naheliegend sei, dass sie in einem ihr vorgelegten Einzelfall den Mitarbeitern, die üblicherweise über die Geltendmachung von Erstattungsansprüchen nach § 50 SGB X entscheiden, verbindliche Weisungen erteilen kann, widerspricht den ausdrücklichen Erklärungen der Beigeladenen und ihrer Arbeitgeberin.
65Auch aus den Ausführungen der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung ergibt sich nichts Gegenteiliges. Sie bestätigen das sich aus der Aktenlage ergebende Bild, dass sie in der Stabsabteilung Recht als Prüfstelle fungiere und keine eigene Entscheidungsbefugnis hat und auch keinen Einfluss auf die Entscheidungen der Fachabteilungen nimmt. Dies gilt auch im Bereich der Fehlverhaltensbekämpfung.
663.
67Die Tätigkeit der Beigeladenen entspricht im Übrigen den Anforderungen des § 46 Abs. 2 - 5 BRAO. Ihre Tätigkeit ist insbesondere von den in § 46 Abs. 3 Nr. 1 bis 4 BRAO genannten Merkmalen geprägt. Dies ist zwischen den Parteien unstreitig.
68a)
69Die Beigeladene ist entsprechend § 46 Abs. 2 BRAO bei einer anderen als der in § 46 Abs. 1 BRAO genannten Personen oder Gesellschaften angestellt.
70b)
71Angestellte Syndikusrechtsanwälte sind anwaltlich tätig, wenn ihre fachlich unabhängig und eigenverantwortlich auszuübenden Tätigkeiten durch die in § 46 Abs. 3 Nr. 1. bis 4. BRAO aufgeführten Merkmale geprägt sind (§ 46 Abs. 3 BRAO). Eine fachlich unabhängige Tätigkeit übt nicht aus, wer sich an Weisungen zu halten hat, die eine eigenständige Analyse der Rechtslage und eine einzelfallorientierte Rechtsberatung ausschließen. Die fachliche Unabhängigkeit ist vertraglich und tatsächlich zu gewährleisten. Aus § 46 Abs. 2 BRAO i.V.m. den Absätzen 3 und 4 wird deutlich, dass nicht jeder Mitarbeiter eines Unternehmens, der juristisch geprägte Tätigkeiten ausübt, anwaltlich tätig ist. Die anwaltliche Tätigkeit ist entscheidend von der Unabhängigkeit der anwaltlichen Beratung und Vertretung in Rechtsangelegenheiten geprägt (vgl. § 3 BRAO).
72Die Tätigkeit der Beigeladenen ist von den Merkmalen des § 46 Abs. 3 Nr. 1 bis 4 BRAO, die kumulativ erfüllt sein müssen, geprägt.
73aa)
74Die Prüfung von Rechtsfragen setzt eine möglichst genaue Aufklärung des Sachverhaltes voraus, zu dem der Rechtsanwalt beratend tätig werden soll, an die sich das Aufzeigen verschiedener Lösungsmöglichkeiten und deren Bewertung in rechtlicher, tatsächlicher und wirtschaftlicher Hinsicht anschließen. Die Prüfung von Rechtsfragen mündet in der Erteilung von Rechtsrat.
75Die in der Tätigkeitsbeschreibung 12.11.2019/16.12.2019 beschriebenen Tätigkeiten lassen sich unter die Merkmale des § 46 Abs. 3 Nr. 1. und 2. BRAO subsumieren. Diese Tätigkeiten entsprechen den Merkmalen anwaltlicher Tätigkeit, wie sie in § 3 BRAO beschrieben werden. Danach ist der Rechtsanwalt der berufene unabhängige Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten, also solcher Tätigkeiten, die Rechtsfragen aufwerfen und deshalb eine rechtliche Beistandspflicht erfordern. Die Beigeladene klärt nach Einschaltung durch die Fachabteilungen den Sachverhalt auf und klärt die Rechtslage, in dessen weiterem Verlauf das Aufzeigen von Lösungswegen, also der Rechtsrat steht.
76bb)
77Die in der Tätigkeitsbeschreibung beschriebenen Tätigkeiten erfüllen auch das Merkmal der Rechtsgestaltung und der Befugnis, nach Außen verantwortlich aufzutreten (§ 46 Abs. 3 Nr. 3. und 4. BRAO). Die Beigeladene ist demnach mit dem Entwerfen von Verträgen, ihrer Überprüfung und, worauf sie in der mündlichen Verhandlung hingewiesen hat, jedenfalls perspektivisch mit dem Führen von Vertragsverhandlungen beschäftigt und hat auch die Befugnis, eigenverantwortlich, vor allem gegenüber Gerichten aufzutreten.
78cc)
79Die Tätigkeit der Beigeladenen ist auch von den in § 46 Abs. 3 BRAO beschriebenen Merkmalen geprägt. Die Beigeladene nimmt für ihre Arbeitgeberin ausschließlich anwaltlich geprägte Tätigkeiten wahr.
80dd)
81Entsprechend § 46 Abs. 3 BRAO muss die Tätigkeit der Beigeladenen auch weisungsfrei sein. Dies hat die Arbeitgeberin erklärt und zum Bestandteil des Vertrages gemacht. Von der Klägerin wird dieses Merkmal auch nicht in Frage gestellt.
824.
83Nach alledem war die Klage abzuweisen.
84III.
85Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 112c BRAO, 154, 162 Abs. 3 VwGO und §§ 167 Abs. 2 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 194 Abs. 1 und 2 BRAO, 52 GKG.
86Ein Anlass, die Berufung nach § 112 c BRAO, 124, 124a Abs. 1 VwGO zuzulassen, besteht nicht. Weder weist die Rechtssage besondere, tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten auf, noch hat sie grundsätzliche Bedeutung (§§ 124 Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 2 und 3 VwGO).
87Rechtsmittelbelehrung
88Gegen dieses Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils die Zulassung der Berufung beantragt werden. Der Antrag ist bei dem Anwaltsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen, Heßlerstraße 53, 59065 Hamm, zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45 a, 76133 Karlsruhe, einzureichen.
89Die Berufung ist nur zuzulassen,
90- 91
1. wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
- 92
2. wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
- 93
3. wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
- 94
4. wenn das Urteil von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des. gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
- 95
5. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Vor dem Anwaltsgerichtshof und dem Bundesgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Das gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesgerichtshof eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte und Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, zugelassen. Ferner sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) bezeichneten Personen und Organisationen als Bevollmächtigte zugelassen. Ein nach dem Vorstehenden Vertretungsberechtigter kann sich selbst vertreten; es sei denn, dass die sofortige Vollziehung einer Widerrufsverfügung angeordnet und die aufschiebende Wirkung weder ganz noch teilweise wiederhergestellt worden ist. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.
97Die Festsetzung des Streitwerts ist unanfechtbar.
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