Beschluss vom Bundesgerichtshof (10. Zivilsenat) - X ARZ 326/17

Tenor

Zuständiges Gericht ist das Landgericht Mönchengladbach.

Gründe

1

I. Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Feststellung der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses, auf Erteilung von Gehaltsabrechnungen sowie auf Zahlung von Vergütung und Entschädigung aufgrund vorzeitiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Anspruch.

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Die Beklagte erwarb von der Klägerin deren unter der Geschäftsbezeichnung E.          geführtes einzelkaufmännisches Unternehmen. Ferner schlossen die Parteien einen befristeten Arbeitsvertrag, nach dem die Klägerin im Fall der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Entschädigung erhalten sollte, die sich ratierlich pro beschäftigten Monat verringerte. Die Klägerin erbrachte Arbeitsleistungen. Die Beklagte erklärte schließlich den Rücktritt vom Unternehmenskauf- und Arbeitsvertrag.

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Im Verfahren vor dem von der Klägerin angerufenen Arbeitsgericht Mönchengladbach haben die Parteien am 7. Juni 2016 einen Teilvergleich geschlossen. Der Beklagten blieb vorbehalten, "beim Landgericht möglicherweise bestehende Schadensersatzansprüche bzw. Aufwendungsersatzansprüche bezogen auf das vorliegende Arbeitsverhältnis im Rahmen der Rückabwicklung des Unternehmenskaufvertrags geltend zu machen". Insoweit haben sich die Parteien im Vergleich mit einer Verweisung an das Landgericht Mönchengladbach einverstanden erklärt.

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Das Arbeitsgericht Mönchengladbach hat sich am Ende des Termins mit in Anwesenheit der Parteien verkündetem Kammerbeschluss für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit hinsichtlich möglicher Schadensersatzansprüche an das Landgericht Mönchengladbach als sachlich zuständiges Gericht verwiesen.

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Nach Anhörung der Parteien hat das Landgericht Mönchengladbach die Sache dem Bundesgerichtshof zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

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II. Das zuständige Gericht ist in entsprechender Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu bestimmen.

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1. Bei negativen Kompetenzkonflikten zwischen Gerichten verschiedener Gerichtszweige ist § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO entsprechend anwendbar. Obwohl ein nach § 17a GVG ergangener und unanfechtbar gewordener Beschluss, mit dem ein Gericht den beschrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an ein anderes Gericht verwiesen hat, nach dem Gesetz keiner weiteren Überprüfung unterliegt, ist eine - regelmäßig deklaratorische - Zuständigkeitsbestimmung entsprechend § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit geboten, wenn es innerhalb eines Verfahrens zu Zweifeln über die Bindungswirkung der Verweisung kommt und deshalb keines der in Frage kommenden Gerichte bereit ist, die Sache zu bearbeiten, oder die Verfahrensweise eines Gerichts die Annahme rechtfertigt, dass der Rechtsstreit von diesem nicht prozessordnungsgemäß gefördert werden wird, obwohl er gemäß § 17b Abs. 1 GVG vor ihm anhängig ist (BGH, Beschluss vom 11. Juli 2017 - X ARZ 76/17, WM 2017, 1755 Rn. 4; Beschluss vom 29. April 2014 - X ARZ 172/14, NJW 2014, 2125 Rn. 5; Beschluss vom 14. Mai 2013 - X ARZ 167/13, MDR 2013, 1242 Rn. 5 mwN). So liegt der Fall hier. Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landgericht haben eine inhaltliche Befassung mit der Sache abgelehnt.

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2. Der Bundesgerichtshof ist für die Entscheidung zuständig. Sofern zwei Gerichte unterschiedlicher Rechtswege ihre Zuständigkeit verneint haben, obliegt die Bestimmung des zuständigen Gerichts demjenigen obersten Gerichtshof des Bundes, der zuerst darum angegangen wird (BGH, WM 2017, 1755 Rn. 6; NJW 2014, 2125 Rn. 7 mwN).

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3. Zuständiges Gericht ist das Landgericht Mönchengladbach. Seine Zuständigkeit ergibt sich aus der Bindungswirkung des rechtskräftigen Verweisungsbeschlusses des Arbeitsgerichts nach § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG.

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a) Ein nach § 17a GVG ergangener Beschluss, mit dem ein Gericht den zu ihm beschrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Gericht eines anderen Rechtswegs verwiesen hat, ist einer weiteren Überprüfung entzogen, sobald er unanfechtbar geworden ist. Ist das zulässige Rechtsmittel nicht eingelegt worden oder ist es erfolglos geblieben oder zurückgenommen worden, ist die Verweisung für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich des Rechtswegs gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG bindend (BGH, WM 2017, 1755 Rn. 8; NJW 2014, 2125 Rn. 9; MDR 2013, 1242 Rn. 9).

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b) Die Verweisung an das Landgericht Mönchengladbach ist unanfechtbar geworden. Eine Beschwerde nach § 78 ArbGG in Verbindung mit § 567 ZPO an das Landesarbeitsgericht (vgl. § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG) kann innerhalb der Rechtsmittelfrist nicht eingelegt werden; die Parteien haben wirksam darauf verzichtet.

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Ob ein Verzicht vorliegt, ist durch objektive Auslegung der Erklärung zu ermitteln. Dabei ist wegen seiner weitreichenden Wirkungen Zurückhaltung geboten, insbesondere bei der Annahme eines konkludenten Verzichts. Ein Rechtsmittelverzicht ist nur dann anzunehmen, wenn in der Erklärung klar und eindeutig der Wille zum Ausdruck kommt, die Entscheidung endgültig hinnehmen und nicht anfechten zu wollen (vgl. BGH, Beschluss vom 5. September 2006 - VI ZB 65/05, NJW 2006, 3498 Rn. 8).

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Indem die Parteien im Vergleich vom 7. Juni 2016 vor dem Arbeitsgericht jedoch erklärt haben, mögliche - nicht vom Teilvergleich umfasste - Ansprüche vor den Zivilgerichten weiter zu verfolgen, haben sie zum Ausdruck gebracht, die Entscheidung als endgültig hinzunehmen und nicht anfechten zu wollen. Eine Erledigung des arbeitsgerichtlichen Rechtsstreits durch den Teilvergleich setzte zwingend voraus, dass die Parteien die Verweisung endgültig hinnehmen und nicht mehr anfechten wollten.

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c) Dieser Beurteilung steht im Streitfall nicht entgegen, dass der Rechtsmittelverzicht bereits vor dem Erlass der betroffenen Entscheidung erklärt wurde. Der Verzicht ist Prozesshandlung und kann sowohl vor als auch nach Erlass der betroffenen Entscheidung abgegeben werden (vgl. BeckOK ZPO/Wulf, 26. Edition, § 515 Rn. 3-4; MünchKomm.ZPO/Rimmelspacher, 5. Aufl., § 515 Rn. 8). Für den Zeitraum nach dem Inkrafttreten des Zivilprozessreformgesetzes zum 1. Januar 2002 folgt dies für das Rechtsmittel der Berufung aus der Streichung der noch in § 514 ZPO aF enthaltenen Beschränkung auf nach Erlass des Urteils erklärte Verzichte in § 515 ZPO und allgemein für gegen zivilgerichtliche Urteile gerichtete Rechtsmittel aus § 313a Abs. 2, Abs. 3 1. Halbsatz ZPO.

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Für das Urteilsverfahren und das Beschlussverfahren nach dem Arbeitsgerichtsgesetz, bei denen die Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Berufung nach § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG bzw. § 64 Abs. 6 Satz 1, § 87 Abs. 2 Satz 1 ArbGG entsprechend gelten, gilt nichts anderes (vgl. BAG, Beschluss vom 8. September 2010 - 7 ABR 73/09, NZA 2011, 934 Rn. 31 f. mwN).

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Zwar wird teilweise vertreten, dass ein Rechtsmittelverzicht für der Beschwerde unterliegende Entscheidungen gegenüber dem Gericht vor deren Erlass nach allgemeinen Grundsätzen des Rechtsmittelrechts nicht möglich sei (vgl. für die Streitbeschwerde, OLG Celle, Beschluss vom 17. November 2005 - 3 W 142/05, juris Rn. 10; OLG Köln, Beschluss vom 18. November 1999 - 12 W 56/99, juris Rn. 20; MünchKomm.ZPO/Lipp, 5. Aufl., § 567 Rn. 35). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist aber ein im Wege eines Vergleichs erklärter Rechtsmittelverzicht wirksam, denn Parteien eines Rechtsstreits können materiell-rechtlich bindende Vereinbarungen über einen Rechtsmittelverzicht treffen (BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2013 - VII ZR 248/11, IBRRS 2013, 464). Im Streitfall konnten die Parteien jedenfalls vor dem in Rede stehenden Verweisungsbeschluss in dem geschlossenen Vergleich auf das Rechtsmittel verzichten.

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d) Der Rechtsmittelverzicht in Form einer gegenüber dem Gericht abgegebenen Erklärung führt die formelle Rechtskraft der betroffenen Entscheidung herbei (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 1988 - II ZR 334/87, NJW 1989, 170; MünchKomm.ZPO/Rimmelspacher, 5. Aufl., § 515 Rn. 16 mwN; Zöller/Stöber, ZPO, 31. Aufl., § 705 Rn. 9) und ist von Amts wegen zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 12. März 2002 - VI ZR 379/01, NJW 2002, 2108, 2109; Beschluss vom 1. April 1958 - VIII ZR 191/57, NJW 1958, 868). Ist ein allseitiger Rechtsmittelverzicht bereits im Vorfeld einer Entscheidung erklärt, erwächst die Entscheidung mit ihrem Erlass in Rechtskraft (vgl. Musielak/Voit/Ball, ZPO, 14. Aufl., § 515 Rn. 8; Prütting/Gehrlein/Lemke, ZPO, 8. Aufl., § 515 Rn. 12).

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4. Für eine Durchbrechung der Bindungswirkung, wie sie im Anwendungsbereich des § 281 Abs. 1 ZPO insbesondere für objektiv willkürliche Entscheidungen anerkannt ist, ist grundsätzlich kein Raum (BGH, WM 2017, 1755 Rn. 9; NJW 2014, 2125 Rn. 12). Das gesetzliche Mittel zur Sicherung einer Entscheidung durch das Gericht des zulässigen Rechtswegs ist allein die Eröffnung des Rechtsmittels gegen den Verweisungsbeschluss. Steht den Parteien aber ein Rechtsmittel zu Gebote und wird dieses nicht genutzt, besteht kein Anlass, dem Gericht des für zulässig erklärten Rechtswegs die Befugnis zuzubilligen, sich an die Stelle des Rechtsmittelgerichts zu setzen (BGH, MDR 2013, 1242 Rn. 12).

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5. Der Bundesgerichtshof hat bislang offenlassen können, ob Ausnahmefälle denkbar sind, in denen die bindende Wirkung einer rechtskräftigen Verweisung zu verneinen ist. Diese Frage bedarf auch im Streitfall keiner Entscheidung. Eine Durchbrechung der Bindungswirkung kommt allenfalls bei, wie es das Bundesverwaltungsgericht formuliert hat (BVerwG, Beschluss vom 8. November 1994 - 9 AV 1/94, NVwZ 1995, 372), "extremen Verstößen" gegen die den Rechtsweg und seine Bestimmung regelnden materiell- und verfahrensrechtlichen Vorschriften in Betracht (BGH, NJW 2014, 2125 Rn. 13 mwN).

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a) Ein derart krasser Rechtsfehler ist im Streitfall nicht gegeben. Das Arbeitsgericht hat ersichtlich und vertretbarerweise angenommen, dass es sich bei den nicht vom Teilvergleich umfassten Forderungen der Klägerin ungeachtet ihrer "Einkleidung" in den Arbeitsvertrag um solche aus dem Kaufvertrag handelt.

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b) Einen die Bindungswirkung beseitigenden extremen Rechtsverstoß stellt es auch nicht dar, dass der Verweisungsbeschluss entgegen § 17a Abs. 4 Satz 2 GVG nicht begründet ist. Eine fehlende Begründung rechtfertigt eine Durchbrechung der Bindungswirkung jedenfalls dann nicht, wenn sich der Verweisungsgrund - wie im Streitfall - aus der Akte ergibt (BAG, Beschluss vom 4. September 1995 - 5 AS 14/95, juris Rn. 16).

Meier-Beck     

      

Gröning     

      

Grabinski

      

Bacher     

      

Marx     

      

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