Urteil vom Bundesgerichtshof (11. Zivilsenat) - XI ZR 106/16

Tenor

Auf die Revision der Kläger und unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen wird der Beschluss des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 2. März 2016 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht die Berufung der Kläger gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Landshut vom 24. September 2015 den Antrag betreffend zurückgewiesen hat, die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger 34.157,44 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. August 2013 zu bezahlen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Kläger nehmen die Beklagte auf Erstattung einer "Vorfälligkeitsentschädigung" und vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten nach Widerruf ihrer auf Abschluss eines Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärungen in Anspruch.

2

Die Kläger schlossen am 15. April 2009 mit der Beklagten durch Präsenzgeschäft einen Verbraucherdarlehensvertrag über 318.000 €. Dem Darlehensvertrag war folgende Widerrufsbelehrung beigefügt:

Abbildung

3

Auf Wunsch der Kläger wurde das Darlehen zum 1. August 2013 gegen eine "Vorfälligkeitsentschädigung" in Höhe von 34.157,44 € vorzeitig abgelöst. Mit Schreiben ihres am 26. Januar 2015 mandatierten vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten vom 27. Januar 2015 widerriefen die Kläger ihre auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärungen.

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Ihre Klage auf Erstattung der "Vorfälligkeitsentschädigung" nebst Zinsen und vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten hat das Landgericht abgewiesen. Auf die dagegen gerichtete Berufung hat das Berufungsgericht durch Verfügung des Vorsitzenden vor Bestimmung einer Berufungserwiderungsfrist und Eingang einer Berufungserwiderung einen Hinweis nach § 522 Abs. 2 ZPO erteilt. Nach Vorlage der Berufungserwiderung und Ablauf der den Klägern in der Hinweisverfügung gesetzten Frist hat es die Berufung durch einstimmigen Beschluss zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision der Kläger, mit der sie ihr Klagebegehren in vollem Umfang weiterverfolgen.

Entscheidungsgründe

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Die Revision der Kläger hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg.

I.

6

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, die Widerrufsbelehrung habe die Kläger zutreffend über die Bedingungen unterrichtet, von denen das Anlaufen der Widerrufsfrist abhängig gewesen sei. Da der Darlehensvertrag als Präsenzgeschäft zustande gekommen sei, sei die zur Beschreibung der Voraussetzungen für das Anlaufen der Widerrufsfrist gebrauchte Wendung "die Vertragsurkunde, der schriftliche Vertragsantrag oder eine Abschrift der Vertragsurkunde oder des Vertragsantrags" hinreichend deutlich gewesen.

II.

7

Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung in einem wesentlichen Punkt nicht stand.

8

1. Im Gegensatz zur Rechtsauffassung der Revision genügt die angefochtene Entscheidung allerdings den Anforderungen, die § 540 Abs. 1 Satz 1 ZPO bzw. § 522 Abs. 2 Satz 4 ZPO an die Entscheidung des Berufungsgerichts stellen, so dass der Zurückweisungsbeschluss nicht von Amts wegen aufzuheben ist (BGH, Beschluss vom 22. September 2016 - V ZR 4/16, juris Rn. 10).

9

Nach § 540 Abs. 1 Satz 1 ZPO bzw. § 522 Abs. 2 Satz 4 ZPO müssen aus dem Berufungsurteil bzw. dem Zurückweisungsbeschluss die tatsächlichen Grundlagen, von denen das Berufungsgericht ausgegangen ist, ersichtlich sein. Dabei reicht für die Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bzw. § 522 Abs. 2 Satz 4 ZPO die Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil nebst einer Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen und der zumindest sinngemäßen Wiedergabe der Berufungsanträge (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteile vom 26. Februar 2003 - VIII ZR 262/02, BGHZ 154, 99, 100 f., vom 21. September 2016 - VIII ZR 188/15, NJW 2016, 3787 Rn. 6 und vom 9. Dezember 2016 - V ZR 231/15, NJW-RR 2017, 653 Rn. 4).

10

Dem wird der Zurückweisungsbeschluss gerecht. Er enthält einen als Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen zu verstehenden Hinweis auf das Urteil des Landgerichts und Ausführungen zum weiteren Vortrag der Kläger in der Berufungsinstanz. Das Berufungsgericht hat außerdem festgehalten, die Kläger verfolgten mit ihrer Berufung "ihre erstinstanzlichen Anträge vollumfänglich" weiter. Das entspricht einer sinngemäßen Wiedergabe der Berufungsanträge.

11

2. Das Berufungsgericht hat den Zurückweisungsbeschluss entgegen der Rüge der Revision auch nicht deshalb verfahrensfehlerhaft erlassen, weil es einen Hinweis nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO vor Eingang der Berufungserwiderung erteilt hat.

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Das Verfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO setzt nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht voraus, dass eine Berufungserwiderung eingegangen oder dem Berufungsbeklagten ergebnislos eine Frist zur Erwiderung gesetzt worden ist (vgl. OLG Celle, OLGR 2003, 359, 361; OLG Frankfurt/Main, Beschluss vom 25. November 2013 - 18 U 1/13, juris Rn. 23; OLG München, Beschluss vom 22. Oktober 2008 - 7 U 3004/08, juris Rn. 9; OLG Oldenburg, NJW 2002, 3556 f.; MünchKommZPO/Rimmelspacher, 5. Aufl., § 522 Rn. 22 und 30; Ball in Musielak/Voit, ZPO, 14. Aufl., § 522 Rn. 27 a.E.; Stein/Jonas/Althammer, ZPO, 22. Aufl., § 522 Rn. 61; Wulf in Vorwerk/Wolf, ZPO, 26. Edition [Stand: 15. September 2017], § 522 Rn. 21 a.E.; Wieczorek/Schütze/Gerken, ZPO, 4. Aufl., § 522 Rn. 80; Zöller/Heßler, ZPO, 31. Aufl., § 522 Rn. 31; a.A. OLG Koblenz, NJW 2003, 2100, 2102; E. Schneider, NJW 2003, 1434 f.;Saenger/Wöstmann, ZPO, 7. Aufl., § 522 Rn. 14). Aus der Gesetzgebungsgeschichte ergibt sich nichts anderes (vgl. BT-Drucks. 14/4722, S. 97).

13

3. Mit ihrer Behauptung, das Berufungsgericht habe durch einen unklaren Verweis in der Hinweisverfügung des Vorsitzenden auf andere obergerichtliche Entscheidungen gegen § 547 Nr. 6 ZPO verstoßen, legt die Revision den absoluten Revisionsgrund einer unzureichenden Begründung des Zurückweisungsbeschlusses nicht in einer § 557 Abs. 3 Satz 2, § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO genügenden Weise dar (vgl. Senatsurteil vom 22. Februar 2005 - XI ZR 359/03, WM 2005, 782, 785 f.).

14

4. Der Zurückweisungsbeschluss hält aber einer inhaltlichen Überprüfung nicht stand (Senatsurteil vom 21. Februar 2017 - XI ZR 381/16, WM 2017, 806 Rn. 13 ff.). Wie der Senat nach seinem Erlass entschieden hat (Senatsurteil vom 21. Februar 2017, aaO, Rn. 17), kann der Inhalt einer Widerrufsbelehrung - hier nach § 495 BGB und § 355 Abs. 2 BGB in der nach Art. 229 § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 22 Abs. 2, § 32 Abs. 1, § 38 Abs. 1 EGBGB maßgeblichen, bis zum 10. Juni 2010 geltenden Fassung - nicht anhand des nicht in der Widerrufsbelehrung selbst in Textform dokumentierten gemeinsamen Verständnisses der Parteien nach Maßgabe der besonderen Umstände ihrer Erteilung präzisiert werden. Da die Beklagte, die das Muster für die Widerrufsbelehrung gemäß Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 und 3 BGB-InfoV in der vom 1. April 2008 bis zum 3. August 2009 geltenden Fassung nicht verwandt hat (vgl. Senatsurteil vom 12. Juli 2016 - XI ZR 564/15, BGHZ 211, 123 Rn. 20 ff.) und sich mithin nicht auf die Gesetzlichkeitsfiktion dieses Musters berufen kann, die Kläger nicht in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Vorgaben belehrt hat, war die Widerrufsfrist bei Erklärung des Widerrufs im Januar 2015 noch nicht abgelaufen.

III.

15

Der Zurückweisungsbeschluss unterliegt insoweit der Aufhebung, als das Berufungsgericht die klageabweisende Entscheidung des Landgerichts zur "Vorfälligkeitsentschädigung" bestätigt hat (§ 562 ZPO). Insoweit stellt er sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO).

16

Anderes gilt allerdings, soweit die Kläger von der Beklagten Erstattung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten verlangen. Insoweit steht ihnen, wie der Senat mit Urteil vom 21. Februar 2017 (XI ZR 467/15, WM 2017, 906 Rn. 23 ff., 34 f.) näher ausgeführt hat, unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch gegen die Beklagte zu.

IV.

17

Soweit das Berufungsgericht die klageabweisende Entscheidung des Landgerichts zur "Vorfälligkeitsentschädigung" bestätigt hat, ist die Sache nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Insbesondere kann der Senat einer Würdigung der konkreten Umstände nach Maßgabe des § 242 BGB, zu der zuvörderst der Tatrichter berufen ist, nicht vorgreifen.

18

Das Berufungsgericht wird sich folglich mit dem Einwand der Beklagten zu befassen haben, der Ausübung des Widerrufsrechts der Kläger habe § 242 BGB entgegen gestanden (vgl. Senatsurteile vom 12. Juli 2016 - XI ZR 501/15, BGHZ 211, 105 Rn. 40 f. und - XI ZR 564/15, BGHZ 211, 123 Rn. 37, vom 11. Oktober 2016 - XI ZR 482/15, BGHZ 212, 207 Rn. 30 f. und vom 14. März 2017 - XI ZR 442/16, WM 2017, 849 Rn. 27 f.; Senatsbeschluss vom 12. September 2017 - XI ZR 365/16, juris Rn. 8).

19

Außerdem wird das Berufungsgericht bei der Entscheidung über den geltend gemachten Zinsanspruch das Senatsurteil vom 21. Februar 2017 (XI ZR 467/15, WM 2017, 906 Rn. 23 ff.) zu den Voraussetzungen des Verzugs des Rückgewährschuldners zu beachten haben.

Ellenberger     

      

Grüneberg     

      

Maihold

      

Menges     

      

Derstadt     

      

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