Beschluss vom Bundesgerichtshof (3. Strafsenat) - AK 3/18

Tenor

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.

Eine etwaige weiter erforderliche Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht Celle übertragen.

Gründe

I.

1

Der Angeschuldigte wurde am 18. Juli 2017 aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters beim Oberlandesgericht Celle vom 20. April 2017 (OGs 9/17), neu gefasst mit Beschluss vom 21. Juli 2017, festgenommen und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft.

2

Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeschuldigte habe zwischen dem 12. März 2014 und dem 30. Juni 2015 unter dem Decknamen "F.   " oder "der blonde F.    " in S.       und anderen Orten in Kenntnis der Ziele, Programmatik und Methoden der Gesamtorganisation eine Führungsfunktion in der "Partiya Karkerên Kurdistan" ("Arbeiterpartei Kurdistans", im Folgenden: PKK) und ihrer Teilstrukturen in Europa ausgeübt, indem er als hauptamtlicher Kader das PKK-Gebiet S.       geleitet habe. Dadurch habe er sich an einer Vereinigung im Ausland beteiligt, deren Zwecke oder Tätigkeit darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen, strafbar gemäß § 129b Abs. 1 i.V.m. § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB.

3

Unter dem 14. Dezember 2017 hat die Generalstaatsanwaltschaft Celle wegen des im Haftbefehl aufgeführten Tatvorwurfs Anklage gegen den Angeschuldigten vor dem Oberlandesgericht Celle erhoben.

II.

4

Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.

5

1. Der Angeschuldigte ist der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland dringend verdächtig.

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a) Nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts im Wesentlichen von folgendem Sachverhalt auszugehen:

7

aa) Die PKK wurde 1978 u.a. von Abdullah Öcalan in der Türkei als Kaderorganisation mit dem Ziel gegründet, einen kurdischen Nationalstaat unter ihrer Führung zu schaffen. Zur Verwirklichung dieses Plans initiierte die PKK verschiedene Organisationen, die mehrfach ihre Bezeichnung wechselten. So besteht seit 2007 - unter dieser Bezeichnung - die "Koma Civakên Kurdistan" ("Vereinigte Gemeinschaften Kurdistan", im Folgenden: KCK), die auf einen staatsähnlichen "konföderalen" Verbund der kurdischen Siedlungsgebiete in der Türkei, Syrien, Iran und Irak abzielt und dabei umfangreiche staatliche Attribute beansprucht wie Parlament, Gerichtsbarkeit, Armee und Staatsbürgerschaft.

8

Die KCK ist, ebenso wie die PKK, auf die Person von Abdullah Öcalan ausgerichtet. Daneben vollzieht sich die Willensbildung innerhalb der Organisation etwa über den "Kongra Gele Kurdistan" (KONGRA GEL, "Volkskongress Kurdistans") und den KCK-Exekutivrat. Die Führungskader folgen grundsätzlich dieser Willensbildung und setzen die getroffenen Entscheidungen um. Zur Überprüfung haben sie den Kadern der übergeordneten Ebene regelmäßig Bericht über ihre Tätigkeit zu erstatten.

9

Fester Bestandteil der Strukturen der PKK/KCK sind auch die "Hêzên Parastina Gel" ("Volksverteidigungskräfte", im Folgenden: HPG), die nach dem Willen der Führung handeln. Sie betrachten im Rahmen der von ihnen vorgenommenen "Selbstverteidigung" einen Guerillakrieg als legitimes Mittel. Die HPG verübten vor allem im Südosten der Türkei mittels Sprengstoff und Waffen Anschläge gegen türkische Soldaten sowie Polizisten und verletzten oder töteten dabei eine Vielzahl von diesen. Sie bekannten sich seit der Aufkündigung eines "Waffenstillstands" zum 1. Juni 2004 zu über 100 Anschlägen.

10

Das Präsidium des Exekutivrats der KCK erklärte, nachdem Abdullah Öcalan aus der Haft heraus eine Friedensbotschaft verlesen und zu einer gewaltfreien politischen Lösung des Konflikts aufgerufen hatte, ab dem 23. März 2013 eine Feuerpause. In der Folge verübten die HPG zwar deutlich weniger Anschläge, ohne dass damit aber eine Abkehr von der Ausrichtung der Organisation auf die Begehung von Tötungsdelikten verbunden gewesen wäre; vielmehr war mit der Erklärung bereits der Vorbehalt verbunden, dass man im Fall von Angriffen von dem "Recht auf Selbstverteidigung" Gebrauch machen und Vergeltung üben werde.

11

Der Schwerpunkt der Strukturen und das eigentliche Aktionsfeld der PKK liegen in den von Kurden bevölkerten Gebieten in der Türkei, in Syrien, im Irak und im Iran. Zahlreiche - auf die Unterstützung der politischen und militärischen Auseinandersetzung mit dem türkischen Staat ausgerichtete - Aktivitäten betreibt die PKK jedoch auch in Deutschland und anderen Gebieten Westeuropas. Dazu bediente sie sich bis Juli 2013 der "Civata Demokratîk a Kurdistan" ("Kurdische Demokratische Gesellschaft", im Folgenden: CDK), die die Direktiven der KCK-Führung umzusetzen hatte und namentlich dazu diente, die in Europa lebenden Kurden zu organisieren. Entsprechend den Vorgaben des 10. CDK-Kongresses vom Mai 2013 zur Neustrukturierung der PKK in Europa benannte sich der europäische Dachverband PKK-naher Vereine "Konföderation der kurdischen Vereine in Europa" (KON-KURD) im Juli 2013 in "Kongress der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in Europa" (KCD-E) um. Unter der Bezeichnung KCD-E werden nicht nur die Strukturen des KON-KURD, sondern auch diejenigen der CDK fortgeführt.

12

Unterhalb der Führungsebene war und ist Europa in Sektoren, Gebiete, Räume und Stadtteile eingeteilt. In Deutschland gab es seit 2002 drei Sektoren ("Süd", "Mitte" und "Nord"), seit 2012 ist der Sektor "Süd" in die Sektoren "Süd 1" und "Süd 2" aufgeteilt. Für jede Organisationseinheit wird von der Führung mindestens ein Verantwortlicher eingesetzt; Sektoren und Gebiete werden in der Regel von einem durch die Partei alimentierten, professionellen Führungskader geleitet. Die Organisationseinheiten stellen der PKK Finanzmittel bereit, rekrutieren Nachwuchs für den Guerillakampf und betreiben Propaganda. Dabei haben sie die Vorgaben der Europaführung umzusetzen und dieser über die Erfüllung ihrer Aufgaben regelmäßig Bericht zu erstatten.

13

bb) Der Angeschuldigte war in der Zeit vom 12. März 2014 bis zum 30. Juni 2015 als Leiter des PKK-Gebiets S.       mit den typischen Führungsaufgaben eines PKK-Gebietsleiters befasst und koordinierte die organisatorischen, finanziellen, personellen und propagandistischen Angelegenheiten seines Zuständigkeitsbereichs. Dabei agierte er unter dem parteiinternen Decknamen "F.   " oder "der blonde F.   ". Er hielt einerseits Kontakt zu dem ihm hierarchisch direkt übergeordneten Leiter des PKK-Sektors "Nord", der ihm Anweisungen erteilte und dem er regelmäßig über die Parteiarbeit in dem von ihm geleiteten Gebiet berichtete. Andererseits nahm er bestimmenden Einfluss auf die Arbeit der ihm in der Parteihierarchie unterstellten PKK-Kader, indem er ihre Arbeit koordinierte, ihnen Anweisungen gab und sich über die Entwicklungen in den von ihnen geleiteten Räumen unterrichten ließ.

14

b) Der dringende Tatverdacht hinsichtlich des vorstehenden Sachverhalts ergibt sich aus öffentlichen Verlautbarungen der Organisationen, einer Vielzahl von sichergestellten Unterlagen, der Auswertung zahlreicher Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen und Zeugenaussagen. Wegen der Einzelheiten wird auf die ausführlichen Darlegungen im Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Oberlandesgerichts Celle und in der Anklageschrift der Generalstaatsanwaltschaft Celle Bezug genommen.

15

c) Der Angeschuldigte hat sich daher mit hoher Wahrscheinlichkeit wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland strafbar gemacht (§ 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2, § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB).

16

Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand stellt die von der PKK initiierte Verbandsstruktur eine Vereinigung dar, bei der sich der Einzelne entsprechend den intern bestehenden Regeln unter den Gruppenwillen unterordnet. Sie ist angesichts des von ihr in Anspruch genommenen - indes nicht gegebenen - "Selbstverteidigungsrechts" und der durch ihre Unterorganisation HPG verübten Anschläge darauf ausgerichtet, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen. Für die Anschläge besteht auch kein Rechtfertigungsgrund nach Völkervertrags- oder Völkergewohnheitsrecht (BGH, Beschluss vom 6. Mai 2014 - 3 StR 265/13, NStZ-RR 2014, 274).

17

Das Bundesministerium der Justiz hat am 6. September 2011 die Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung der jeweiligen Verantwortlichen für die in Deutschland bestehenden Sektoren und Gebiete der PKK erteilt (§ 129b Abs. 1 Satz 3 StGB).

18

2. Es ist jedenfalls der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) gegeben. Der Angeschuldigte hat im Falle seiner Verurteilung mit einer erheblichen Freiheitsstrafe zu rechnen. Dem davon ausgehenden Fluchtanreiz stehen keine hinreichenden fluchthindernden Umstände entgegen. Er lebt von seiner Familie getrennt und bezieht Sozialhilfe. Nach den vorliegenden Erkenntnissen war er auch in Aktionen im europäischen Ausland eingebunden. Er kann zudem aufgrund seiner Kadertätigkeit bei der Beschaffung und Verwendung von Falschpapieren oder der Bereitstellung konspirativer Aufenthaltsorte mit der Hilfe der Organisation rechnen. Vor diesem Hintergrund ist entgegen der Ansicht der Verteidigung zu erwarten, dass er sich, sollte er in Freiheit gelangen, dem weiteren Strafverfahren durch Flucht entziehen wird.

19

Zumindest begründen die genannten Umstände die Gefahr, dass die Ahndung der Tat ohne die weitere Inhaftierung des Angeschuldigten vereitelt werden könnte, so dass die Fortdauer der Untersuchungshaft auch bei der gebotenen restriktiven Auslegung der Vorschrift (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 112 Rn. 37 mwN) daneben auf den Haftgrund der Schwerkriminalität gemäß § 112 Abs. 3 StPO zu stützen ist.

20

Angesichts dieser Sachlage kann dahinstehen, ob darüber hinaus der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO) besteht.

21

Der Zweck der Untersuchungshaft kann nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als deren Vollzug erreicht werden (§ 116 StPO).

22

3. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor.

23

Der besondere Umfang und die besondere Schwierigkeit der Ermittlungen haben ein Urteil innerhalb von sechs Monaten seit der Inhaftierung des Angeschuldigten noch nicht zugelassen. Insbesondere war eine umfangreiche Auswertung der bei der Festnahme des Angeschuldigten sichergestellten Mobiltelefone erforderlich, deren Ergebnisse der Generalstaatsanwaltschaft schließlich Ende November 2017 vorlagen. Daraufhin ist unter dem 14. Dezember 2017 Anklage erhoben worden. Die Anklageschrift ist am selben Tag beim Oberlandesgericht Celle eingegangen. Bereits am 15. Dezember 2017 hat der Vorsitzende des beim Oberlandesgericht mit der Sache befassten 4. Strafsenats die Zustellung der Anklage verfügt und gemäß § 201 Abs. 1 Satz 1 StPO eine dem Umfang der Sache angemessene Frist zur Stellungnahme von vier Wochen bestimmt. Zugleich hat er darauf hingewiesen, dass für den Fall der Eröffnung des Hauptverfahrens beabsichtigt ist, mit der Hauptverhandlung am 9. März 2018 zu beginnen.

24

In Anbetracht dessen ist das Verfahren bislang mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden.

25

4. Schließlich steht der weitere Vollzug der Untersuchungshaft auch nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der im Falle einer Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Becker               Tiemann              Hoch

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