Ablehnung einstweilige Anordnung vom Bundesverfassungsgericht (2. Senat 1. Kammer) - 2 BvR 941/18

Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Gründe

I.

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Der Antragsteller begehrt im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung die Untersagung seiner für den 22. Mai 2018 geplanten Abschiebung.

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Der am 5. Mai 2000 geborene Antragsteller ist afghanischer Staatsangehöriger. Nach erfolgloser Durchführung eines Asylverfahrens wurde er am 17. Mai 2018 in Abschiebungshaft genommen. Einen weiteren Asylantrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 18. Mai 2018 ab. Am 22. Mai 2018 beantragte der Antragsteller bei der Ausländerbehörde die Erteilung einer Duldung wegen aufenthaltsrechtlicher Vorwirkungen von Art. 6 Abs. 1 GG. Er sei seit neun Monaten mit einer minderjährigen deutschen Staatsangehörigen liiert, die jetzt von ihm schwanger sei (voraussichtlicher Entbindungstermin: 20. Dezember 2018). Sie beabsichtigten die Aufnahme einer familiären Lebensgemeinschaft und die gemeinsame Erziehung des ungeborenen Kindes. Einen am selben Tag gestellten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes lehnte das Verwaltungsgericht Bayreuth mit Beschluss vom 22. Mai 2018 ab. Die hiergegen erhobene Beschwerde wies der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom selben Tag zurück.

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1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei der Prüfung dieser Voraussetzungen ist ein strenger Maßstab anzulegen. Dabei haben die Gründe, welche der Beschwerdeführer für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Hoheitsakte anführt, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erweist sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen abwägen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 76, 253 <255>).

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2. Nach diesen Maßstäben ist die Verfassungsbeschwerde auf der Grundlage des bisherigen Vortrags des Antragstellers - auch unter Berücksichtigung reduzierter Anforderungen in extremen Eilfällen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 2. März 2017 - 2 BvQ 7/17 -, juris, Rn. 3) - mangels ausreichender Begründung unzulässig. Für eine Folgenabwägung ist daher kein Raum.

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a) Der Antragsteller hat die Möglichkeit einer Verletzung in seinem Recht aus Art. 6 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 8 EMRK durch die angegriffenen Beschlüsse nicht substantiiert aufgezeigt.

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Das Verwaltungsgericht hat den geltend gemachten Anspruch auf Erteilung einer Duldung aus rechtlichen Gründen wegen Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK mit der Begründung verneint, der Antragsteller habe nicht glaubhaft gemacht, dass tatsächlich eine Vaterschaft hinsichtlich des noch ungeborenen Kindes bestehe. Daneben hat es - selbstständig tragend - aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen von Art. 6 Abs. 1 GG, die in Betracht kämen, wenn neben einer - hier nicht ärztlich nachgewiesenen - Risikoschwangerschaft oder sonstigen besonderen Hilfsbedürftigkeit die Vaterschaft anerkannt worden sei oder die Betroffenen in Verhältnissen lebten, die die Übernahme der elterlichen Verantwortung und eine gemeinsame Erziehung des Kindes sicher erwarten ließen, mit der Erwägung abgelehnt, dass eine in ausreichendem Verantwortungsbewusstsein gelebte familiäre Beziehung unter den gegebenen Umständen nicht erkennbar sei, namentlich angesichts des zeitlichen Zusammenhangs zwischen dem Zeitpunkt der Empfängnis und des negativen Abschlusses des Asylverfahrens des Antragstellers, des erheblichen Altersunterschieds zwischen diesem und der Kindesmutter, der eingeschränkten Schutzwürdigkeit der familiären Beziehung wegen ihrer strafrechtsrelevanten Begründung (§ 176 StGB) und der Minderjährigkeit der Kindesmutter, die Zweifel an der angestrebten familiären Lebensgemeinschaft begründe (§§ 1791c, 1673 und 1675 BGB). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat sich dieser Einschätzung angeschlossen und näher ausgeführt, dass alles darauf hindeute, dass der Antragsteller nicht am Wohl der Kindesmutter und/oder des ungeborenen Kindes, sondern allein an seinem Verbleib im Bundesgebiet interessiert sei.

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aa) Es kann offen bleiben, ob die fachgerichtliche Bewertung, die Aufnahme einer tatsächlich gelebten, von Verantwortung getragenen und damit verfassungsrechtlich schutzwürdigen familiären Lebensgemeinschaft zwischen behauptetem Vater und ungeborenem Kind sei nicht zu erwarten, der Bedeutung und Tragweite dieses Grundrechts in jeder Hinsicht gerecht wird. Allerdings steht weder der Umstand, dass das Kind unter Verletzung von Strafvorschriften (§ 176 StGB) gezeugt worden ist, noch der Umstand, dass die minderjährige Kindesmutter in der Ausübung der elterlichen Sorge eingeschränkt ist (§§ 1673 Abs. 2, 1675 BGB), der Annahme einer im Grundsatz schutzwürdigen Vater-Kind-Beziehung entgegen, auf die es für die aufenthaltsrechtlichen Vorwirkungen des Art. 6 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 8 EMRK allein ankommt. Denn die Vorschriften über die elterliche Sorge nach §§ 1626 ff. BGB, die ihrerseits verfassungsrechtlich geprägt sind, stellen seit ihrer Neufassung durch das Kindschaftsrechtsreformgesetz das Kindeswohl in den Mittelpunkt und erkennen die Beziehung jedes Elternteils zu seinem Kind als grundsätzlich schutz- und förderungswürdig an (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 8. Dezember 2005 - 2 BvR 1001/04 -, juris, Rn. 24). Dementsprechend ist bei der Würdigung der Eltern-Kind-Beziehung im Zusammenhang mit aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen auch grundsätzlich davon auszugehen, dass der Aufbau und die Kontinuität emotionaler Bindungen zu Vater und Mutter in aller Regel der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes dienen und das Kind beide Eltern braucht (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 8. Dezember 2005 - 2 BvR 1001/04 -, juris, Rn. 26). Ist ein Elternteil minderjährig, kann der Elternverantwortung des anderen bereits volljährigen Elternteils gegenüber dem Kind im Hinblick auf das Kindeswohl sogar ein besonderes Gewicht zukommen (§ 1678 Abs. 1 BGB).

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bb) Der Antragsteller ist jedenfalls der - selbstständig tragenden - fachgerichtlichen Begründung, seine Vaterschaft sei nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden, nicht durchgreifend entgegengetreten. Das Verwaltungsgericht ist in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass es für die Annahme aufenthaltsrechtlicher Vorwirkungen von Art. 6 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 8 EMRK grundsätzlich der auch schon vor der Geburt des Kindes zulässigen Anerkennung der Vaterschaft (§§ 1592 Nr. 2, 1594 Abs. 4 BGB) bedarf (vgl. ebenso: Funke-Kaiser, in GK-AufenthG, Bd. 3, Stand: April 2018, § 60a, Rn. 174; Hailbronner, Ausländerrecht, Bd. 2, Stand: Januar 2018, § 60a, Rn. 50). Denn bei der Vaterschaftsanerkennung handelt es sich um einen rechtlichen Statusakt, der - anders als eine bloße eidesstattliche Versicherung - mit Wirkung für und gegen alle Klarheit über die Abstammung des Kindes schafft. Der Antragsteller hat auch keine besonderen Umstände aufgezeigt, die ausnahmsweise die Annahme aufenthaltsrechtlicher Schutzwirkungen auch ohne eine Vaterschaftsanerkennung gebieten würden. Insbesondere hat er nicht substantiiert dargelegt, weshalb ihm die Anerkennung der Vaterschaft vor Anordnung der Abschiebungshaft nicht möglich oder zumutbar gewesen sein soll. Nach seinen eigenen Angaben hat die Kindesmutter bereits seit knapp vier Wochen Kenntnis von der Schwangerschaft, so dass die Einleitung des Verfahrens zur Vaterschaftsanerkennung ab diesem Zeitpunkt und jedenfalls seit dem Eintritt seiner Volljährigkeit am 5. Mai 2018 möglich und zumutbar war. Dass der Versuch, die Vaterschaftsanerkennung während der Abschiebungshaft beurkunden zu lassen, gescheitert ist, ist seiner Verantwortungssphäre zuzurechnen. Denn nach Eintritt der vollziehbaren Ausreisepflicht mit Ablehnung des Asylfolgeantrags am 18. Februar 2018 stand einer sofortigen Beurkundung (zunächst) § 1597a Abs. 2 Satz 1 BGB entgegen, wonach die Urkundsperson bei Bestehen konkreter Anhaltspunkte für eine missbräuchliche Anerkennung der Vaterschaft, namentlich bei Bestehen einer vollziehbaren Ausreisepflicht des Anerkennenden (§ 1597a Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BGB), dies der Ausländerbehörde mitzuteilen und die Beurkundung auszusetzen hat, bis das Prüfungsverfahren nach § 85a Abs. 1 AufenthG abgeschlossen ist.

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cc) Darüber hinaus hat sich der Antragsteller auch nicht mit der vom Verwaltungsgericht für die Annahme aufenthaltsrechtlicher Vorwirkungen von Art. 6 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 8 EMRK geforderten weiteren Voraussetzung auseinandergesetzt, dass zusätzlich eine Risikoschwangerschaft oder eine sonstige besondere Hilfsbedürftigkeit vorliegen müsse, die hier ärztlich nicht attestiert worden sei. Allein der Hinweis darauf, dass nach den "Mutterschafts-Richtlinien" des Gemeinsamen Bundesausschusses bei Erstgebärenden unter 18 Jahren ein Risikofaktor für die Annahme einer Risikoschwangerschaft vorliege, genügt insoweit nicht. Vielmehr hätte es näherer Darlegungen bedurft, dass und in welcher Weise die minderjährige Kindesmutter, die selbst noch im Haushalt der eigenen Mutter lebt, gerade auch auf die Hilfe und den Beistand des Antragstellers angewiesen ist. Die im Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 1 GG geltende Erwägung, dass Unterstützungs- und Betreuungsleistungen eines nahen Familienangehörigen grundsätzlich nicht durch dritte Personen ersetzt werden können, greift vorliegend nicht, da der Antragsteller und die Kindesmutter nicht verheiratet sind.

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b) Im Hinblick auf die vom Antragsteller ferner gerügte Verletzung seiner Rechte aus Art. 19 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 20 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 6 EMRK durch die Entscheidung des Verwaltungsgerichts fehlt es an jeder substantiierten Darlegung eines Rechtsverstoßes.

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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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