Beschluss vom Finanzgericht Baden-Württemberg - 1 V 30/04

Tatbestand

 
(Überlassen von Datev)
I.
Streitig ist die Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids vom 30. März 2003 für Lohn- und Kirchenlohnsteuer sowie Solidaritätszuschlag der ... R. B. GmbH & Co. KG (im Folgenden KG), nachdem der Insolvenzverwalter die beigetriebene Zahlung der Steuerschuld erfolgreich gegenüber der KG angefochten hat.
Der Antragsteller war Kommanditist der KG und Gesellschafter-Geschäftsführer der an dieser Gesellschaft als Komplementärin beteiligten ... R. B. Beteiligungs GmbH (im Folgenden Komplementär-GmbH). Weitere Kommanditistin der KG war die ... A. M. GmbH (im Folgenden M-GmbH). Geschäftsführer der M-GmbH, die auch an der Komplementär-GmbH beteiligt war und ebenfalls als deren Geschäftsführerin fungierte, war M. R. der darüber hinaus zweiter Geschäftsführer der Komplementär-GmbH war. Ausweislich der Bilanz zum 31. Dezember 1999 betrug der laufende Verlust des Jahres 858.632,05 DM. Der Jahresfehlbetrag belief sich auf 860.757 DM. Laufender Verlust und Jahresfehlbetrag erhöhten sich im Jahr 2000. Mit Urkunde vom 11. Juli 2000 veräußerte die M-GmbH sowohl ihren Geschäftsanteil an der Komplementär-GmbH als auch ihren Kommanditanteil an der KG an den Antragsteller.
Am 8. Mai 2000 trieb der Antragsgegner die vorangemeldeten Umsatzsteuerbeträge November 1999 und die Umsatzsteuersondervorauszahlung 2000 in Höhe von 41.986,40 DM sowie die Lohnsteuer Februar 2000 und Säumniszuschläge auf diverse Altschulden aus dem Jahr 1999 in Höhe von 38.503,46 DM zwangsweise bei, da vorausgegangene Mahnungen und Vollstreckungsankündigungen ohne Erfolg geblieben sind. Weitere fällige Verbindlichkeiten bestanden zu diesem Zeitpunkt unter anderem gegenüber der Firma B. und M., Fe., der Firma G. H. GmbH, So., der Firma H. O. GmbH, S., der Spedition P., H., der Firma Ra. GmbH, N. und der Süddeutschen Metall Berufsgenossenschaft. Am 30. Mai 2000 und 3. Juli 2000 beglich die KG ohne Zwangsvollstreckungsmaßnahmen an den Antragsgegner die Zahllast aus den Umsatzsteuervoranmeldungen Januar 2000 bis März 2000 nebst steuerlicher Nebenleistungen in Höhe von rund 100.000 DM. Auch diese Zahlungen sind vom Insolvenzverwalter angefochten worden.
Unter dem Datum 9. Mai 2000 und 12. Juli 2000 hat die KG die streitgegenständlichen Lohnsteueranmeldungen für Mai 2000 und Juni 2000 beim Antragsgegner eingereicht, die angemeldeten Beträge jedoch nicht abgeführt. Vielmehr sind die rückständigen Lohnsteuerbeträge durch den Vollziehungsbeamten des Antragsgegners am 2. August 2000 und 10. August 2000 beigetrieben worden. Am 23. August 2000 stellte die KG, vertreten durch den Antragsteller als nunmehr alleinigen Geschäftsführer der Komplementär-GmbH, Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung. Mit Beschluss des Amtsgerichts vom 23. August 2000 wurde ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt und mit Beschluss vom 1. September 2000 das Insolvenzverfahren eröffnet.
Mit Schreiben vom 3. April 2002 erklärte der Insolvenzverwalter nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 Insolvenzordnung (InsO) und § 143 InsO die Anfechtung der im Zeitraum vom 30. Mai 2000 bis 10. Mai 2000 erfolgten Zahlungen und bat um deren Rückerstattung. Daraufhin zahlte der Antragsgegner die beigetriebenen Beträge an den Insolvenzverwalter aus. Am 10. März 2003 fand vor dem Insolvenzgericht ein Schlusstermin statt. Unter Berücksichtigung einer Quote von 11, 87 % wurde vom Insolvenzberater am 16. Oktober ein Betrag von 24.276,75 Euro - ohne Bestimmung, welche Schulden damit getilgt werden sollten - an den Antragsgegner überwiesen, der den Betrag zur Tilgung rückständiger Umsatzsteuerschulden verwendet hat.
Mit Bescheid vom 30. Dezember 2003 nahm der Antragsgegner den Antragsteller nach § 69 AO in Verbindung mit § 34 AO für noch offene Lohnsteuer-, Kirchenlohnsteuer- und Solidaritätszuschlagsbeträge sowie steuerliche Nebenleistungen in Anspruch. Die Haftungssumme belief sich dabei - ohne Anrechnung der Insolvenzquote - auf einen Gesamtbetrag in Höhe von 43.230,51 Euro, wobei wegen der Einzelheiten auf die dem Haftungsbescheid beigefügte Anlage (Blatt 15 der Akte) verwiesen wird.
Gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller mit Schreiben vom 22. Januar 2004 Einspruch ein. Die Anträge auf Aussetzung der Vollziehung vom 13. Februar 2004 und 15. März 2004 lehnte der Antragsgegner mit Bescheiden vom 19. März 2004 und 26. März 2004 ab. Über den Einspruch ist noch nicht entschieden.
Der Haftungsbescheid sei rechtswidrig. Der Antragsteller habe die Lohnsteuern für Mai 2000 und Juni 2000 ordnungsgemäß angemeldet und im August 2000 über den Vollstreckungsbeamten des Antragsgegners entrichtet. Damit habe er seine steuerlichen Pflichten erfüllt. Auf die insolvenzrechtliche Anfechtung habe er keinen Einfluss gehabt. Durch Drittvorgänge, wie die Anfechtung durch den Insolvenzverwalter, könne ein "nicht vorhandenes" Verschulden nicht wieder "aufleben". Zumindest müsse die Insolvenzquote auf die Haftungsschuld angerechnet werden.
10 
Der Antragsteller beantragt,
11 
die Vollziehung des Haftungsbescheids wegen Lohnsteuer, Kirchenlohnsteuer und Solidaritätszuschlägen vom 30. Dezember 2003 bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den gegen den vorgenannten Bescheid erhobenen Einspruch ohne Sicherheitsleitung auszusetzen.
12 
Der Antragsgegner beantragt,
13 
den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung abzulehnen.
14 
Der Antragsteller werde zu Recht in Anspruch genommen. Er habe schuldhaft einen steuerlichen Haftungstatbestand verwirklicht, da er die angemeldete Lohnsteuer nicht rechtzeitig entrichtet habe. Diese Pflichtverletzung sei für den Haftungsschaden des Antragsgegners ursächlich. Im Zeitpunkt der Fälligkeit der Lohnsteuer sei die KG entweder noch zahlungsfähig gewesen oder die Lohnzahlung hätte um die abzuführende Lohnsteuer gekürzt werden müssen. Der entstandene Haftungsschaden des Antragsgegner bestehe darin, dass aufgrund der Anfechtung die durch Beitreibung erlangten Steuern zurückerstattet werden mussten. Hätte der Antragsteller die Lohnsteuer termingerecht gezahlt, wären die durch Beitreibung erfolgten Zahlungen nicht Gegenstand der Insolvenzanfechtung geworden. Die Inanspruchnahme des Antragstellers sei auch ermessensgerecht. Die früheren Arbeitnehmer der KG hätten nicht in Anspruch genommen werden können. Die Frage, ob der ehemals zweite Geschäftsführer der Komplementär-GmbH in Haftung genommen werden könne, werde derzeit noch geprüft. Dies gelte auch für die Frage der Anrechnung der Insolvenzquote.
15 
Der vorstehende Streitstand ist den Gerichtsakten und den vom Beklagten vorgelegten Akten (§ 71 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung - FGO -) entnommen.

Entscheidungsgründe

 
II.
16 
Der Antrag ist begründet.
17 
1. Gemäß § 69 Abs. 3 Sätze 1 und 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen dann, wenn gewichtige Umstände Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH vom 5. November 1998 - VIII B 74/98, BFH/NV 1999, 468). Die summarische Prüfung der Frage, ob ernstliche Zweifel in diesem Sinne gegeben sind, erfolgt grundsätzlich nach Lage der Akten (BFH vom 12. November 1992 - XI B 69/92, BStBl II 1993, 263 m.w.Nachw.).
18 
Bei Anwendung dieser Grundsätze hat der Senat ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Haftungsbescheids, weil es an der für den Tatbestand des § 69 AO erforderlichen Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Steuerausfall fehlt.
19 
Gemäß § 191 AO kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet. Nach § 69 AO in Verbindung mit § 34 Abs. 1 AO haftet der Geschäftsführer einer GmbH und Co. KG, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grobfahrlässiger Verletzung der ihm obliegenden Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt worden sind.
20 
a) Der Antragsteller handelte zwar als Geschäftsführer der Komplementär-GmbH nach §§ 34 Abs. 1 AO, 35 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbHG) objektiv pflichtwidrig, indem er die der geschäftsführenden GmbH nach §§ 38 Abs. 3, 41 a Abs. 1 EStG obliegende Verpflichtung, bei der Lohnzahlung die Lohnsteuern der Arbeitnehmer für die Monate Mai und Juni 2000 einzubehalten und an den Beklagten jeweils zum 10. des Folgemonats an den Antragsgegner abzuführen, nicht erfüllte.
21 
b) Diese Pflichtverletzung war für den Steuerausfall jedoch nicht kausal. Die Kausalität richtet sich wie bei den zivilrechtlichen Ansprüchen nach der sog. Adäquanztheorie. Danach sind solche Pflichtverletzungen für den Erfolg ursächlich, die allgemein oder erfahrungsgemäß geeignet sind, diesen Erfolg zu verursachen. Die Möglichkeit, dass infolge der Pflichtverletzung Steueransprüche nicht erfüllt werden, darf nicht so fern liegen, dass sie nach der allgemeinen Lebenserfahrung vernünftigerweise nicht in Betracht gezogen werden kann. Bei einem Unterlassen muss die unterbliebene Handlung hinzugedacht werden können mit dem Ergebnis, dass der Schaden ohne das Unterlassen nicht eingetreten wäre, wobei die bloße Möglichkeit oder eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Nichteintritts nicht genügt (BFH vom 17. November 1992 - VII R 13/92, BStBl II 1993, 471). Entsprechend diesen Kausalitätserwägungen war die Pflichtverletzung des Klägers nicht adäquat kausal für den Steuerausfall. Die auf Grund der Beitreibungsmaßnahmen ausgesprochene Anfechtung des Insolvenzverwalters liegt zwar nach der allgemeinen Lebenserfahrung nicht außerhalb der Wahrscheinlichkeit. Gleichwohl fehlt es an der erforderlichen Kausalität, weil auch die fristgerechte und freiwillige Zahlung der - unstreitig ordnungsgemäß - angemeldeten Lohnsteuer anfechtbar gewesen und damit der Steuerausfall auch bei pflichtgemäßem Verhalten des Haftungsschuldners eingetreten wäre.
22 
c) Auch die fristgerechte freiwillige Leistung der Lohnsteuer Mai 2000 zum 10. Juni 2000 und Juni 2000 zum 10. Juli 2000 hätte der Insolvenzverwalter gegenüber der KG nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO als unwirksam anfechten können.
23 
Danach ist eine Rechtshandlung, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, wenn sie in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden ist, wenn zur Zelt der Handlung der Schuldner zahlungsunfähig war und wenn der Gläubiger zu dieser Zeit die Zahlungsunfähigkeit kannte, anfechtbar.
24 
aa) Die Zahlungsunfähigkeit KG war jedenfalls bereits zum 8. Mai 2000 gegeben.
25 
Nach der Legaldefinition des § 17 Abs. 2 InsO ist ein Schuldner zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Zu diesem Zeitpunkt bestanden gegenüber einer Reihe von weiteren Gläubigern - teilweise ab Februar 2000 - fällige Verbindlichkeiten, die von der KG nicht mehr bedient wurden (Blatt 55 der Akte Haftung). Auch der Antragsgegner musste bereits zu diesem Zeitpunkt zum Beitreibungszwang greifen. Die Zahlungsunfähigkeit im Sinne der insolvenzrechtlichen Anfechtungstatbestände ist durch die freiwilligen Zahlungen vom 30. Mai 2000 und 3. Juli 2000 nicht behoben worden. Sie hätte nur aufgehoben werden können, wenn die Zahlungen an die Gesamtheit der Gläubiger wiederaufgenommen worden wären (BGH vom 10. Juli 2003 - IX ZR 89/02, DB 2003, 2383; BGH vom 20. November 2001 - IX ZR 48/01, BGHZ 149, 178; BGH vom 25. Oktober 2001- IX ZR 17/01, BGHZ 149,100). Dies ist vorliegend jedoch nicht geschehen.
26 
bb) Die angemeldete Lohnsteuer Mai 2000 und Juni 2000 zum Fälligkeitszeitpunkt war zum 10. Juni 2000 bzw. 10. Juli 2000 fällig. Auch die freiwillige Zahlung der Steuerschuld - eine anfechtbare Rechtshandlung, die den Antragsgegner befriedigt hätte - wäre damit innerhalb der anfechtungsrechtlich erheblichen Dreimonatfrist des § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO erfolgt.
27 
cc) Die freiwillige Zahlung der angemeldeten Lohnsteuer hätte auch eine mittelbare Benachteiligung der übrigen Insolvenzgläubiger bewirkt.
28 
Eine Gläubigerbenachteiligung liegt vor, wenn sich die Befriedigungsmöglichkeit der Insolvenzgläubiger aus der Insolvenzmasse ohne das anfechtbare Verhalten günstiger gestaltet hätte (Nerlich, in: Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung, § 130 Rdnr. 61). Damit wirkt die Abführung von Lohnsteuer an die Finanzbehörde in der Insolvenz des Arbeitgebers regelmäßig gläubigerbenachteiligend (BGH vom 22. Januar 2004 - IX ZR 39/03, juris web Nr. KORE307952004 ).
29 
Der Arbeitgeber hat die angemeldete Lohnsteuer für Rechnung der Arbeitnehmer bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn einzubehalten (§ 38 Abs. 3 Satz 1 EStG) und sie spätestens am zehnten Tag nach Ablauf eines jeden Lohnsteueranmeldungszeitraums - in der Regel der Kalendermonat - an das Finanzamt weiterzuleiten (§ 41 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). Diese Beträge sind nach bürgerlichem Recht (§ 611 BGB) Teil des dem Arbeitnehmer zustehenden Lohns, auf den er einen arbeitsvertraglichen Anspruch hat (vgl. auch BFH vom 21. Dezember 1998 - VI B 175/98, BFH/NV 1999, 745). Die Leistung der Lohnanteile an das Finanzamt erfolgt jedoch ebenso wie die Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge aus dem Vermögen des Arbeitgebers. Der Arbeitnehmer hat lediglich einen schuldrechtlichen Anspruch auf Leistung des ihm rechtlich zustehenden Arbeitslohns sowie auf Abführung des gesetzlich vorgeschriebenen Anteils an das Finanzamt. Vor der vom Arbeitgeber an das Finanzamt zu erbringenden Zahlung ist keine treuhänderische Berechtigung des Arbeitnehmers, die in der Insolvenz ein Aussonderungsrecht gewährt, an diesen Lohnanteilen begründet worden. Die steuerrechtliche Verpflichtung zur Führung von Lohnkonten (§ 41 Abs. 1 EStG, § 4 LStDV) dient allein dem Zweck, die Erfüllung der Einbehaltungs- und Abführungspflicht zu belegen und dadurch die Nachprüfung zu erleichtern. Sie bewirkt zugunsten der Arbeitnehmer kein in der Insolvenz zu beachtendes Aussonderungsrecht. Sonstige Tatsachen, die nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung geeignet wären, eine Treuhandstellung der Arbeitnehmer zu begründen (vgl. dazu BGH vom 22. Januar 2004 - IX ZR 39/03, juris web Nr. KORE307952004 m.w.Nachw.), hat der Antragsgegner nicht vorgetragen.
30 
Außerdem hat der Schuldner die angefochtene Zahlung zur Erfüllung einer eigenen Haftungsschuld erbracht.
31 
Hat der Arbeitgeber die Lohnsteuer einbehalten, so kann der Arbeitnehmer vom Finanzamt nicht mehr in Anspruch genommen werden, sofern die in § 42 d Abs. 3 Satz 4 EStG normierten Ausnahmetatbestände nicht erfüllt sind. Jedoch hat der Arbeitgeber für die einzubehaltende und abzuführende Lohnsteuer einzustehen. Dieser Haftungsanspruch des Beklagten ist vor Insolvenzeröffnung entstanden, als der Schuldner die Lohnsteuer nicht binnen der gesetzlich vorgeschriebenen Frist abgeführt hat (§ 41 a Abs. 1 und 2, § 42 d Abs. 1 Nr. 1 EStG). Ohne die erhaltene Befriedigung hätte der Beklagte die Haftungsschuld nur als Insolvenzgläubiger gemäß § 38 InsO geltend machen können. Die Vorschrift des § 41 Abs. 1 EStG ist auch nicht geeignet, für ihn ein Vorzugsrecht in der Insolvenz des Schuldners zu begründen. Die angefochtene Zahlung hat daher in jedem Falle die der Gläubigergesamtheit zur Verfügung stehende Masse gemindert. Dies entspricht der schon bisher geltenden Rechtsprechung des Senats (BGH vom 22. Januar 2004 - IX ZR 39/03, juris web Nr. KORE307952004 m.w.Nachw.).
32 
Der vom Bundesfinanzhof (BFH vom 21. Dezember 1998 - VII B 175/98, BFH/NV 1999, 745, 746 f) vertretenen gegenteiligen Auffassung vermag der Senat daher nicht zuzustimmen. Der Bundesfinanzhof hatte dort eine Gläubigerbenachteiligung auch mit der Erwägung verneint, die Abführung der Lohnanteile sei Teil eines Bargeschäfts zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Dabei ist nicht beachtet worden, dass nur Leistungen des Schuldners, für die dieser aufgrund einer Parteivereinbarung mit dem anderen Teil, also dem Anfechtungsgegner, eine gleichwertige Gegenleistung in sein Vermögen erhalten hat, als Bargeschäfte gelten. Der Schuldner hat mit dem Beklagten weder eine Vereinbarung getroffen noch von ihm eine Gegenleistung erhalten. Im übrigen würde es selbst in der - hier nicht maßgeblichen - Rechtsbeziehung zum Arbeitnehmer an dem erforderlichen engen zeitlichen Zusammenhang fehlen, wenn eine Arbeitsleistung erst Monate später vergütet wird (BGH vom 22. Januar 2004 - IX ZR 39/03, juris web Nr. KORE307952004 m.w.Nachw.).
33 
d) Da auch die gekürzte Auszahlung der Löhne Anfechtbarkeit der geschuldeten Lohnsteuer nicht beseitigt hätte, fehlt es insoweit ebenfalls an der erforderlichen Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Steuerausfall.
34 
2. Die Beschwerde ist gemäß §§ 128, 115 FGO zuzulassen. Sie ist für die Fortbildung und einheitliche Anwendung des Rechts wesentlich.
35 
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Gründe

 
II.
16 
Der Antrag ist begründet.
17 
1. Gemäß § 69 Abs. 3 Sätze 1 und 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen dann, wenn gewichtige Umstände Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH vom 5. November 1998 - VIII B 74/98, BFH/NV 1999, 468). Die summarische Prüfung der Frage, ob ernstliche Zweifel in diesem Sinne gegeben sind, erfolgt grundsätzlich nach Lage der Akten (BFH vom 12. November 1992 - XI B 69/92, BStBl II 1993, 263 m.w.Nachw.).
18 
Bei Anwendung dieser Grundsätze hat der Senat ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Haftungsbescheids, weil es an der für den Tatbestand des § 69 AO erforderlichen Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Steuerausfall fehlt.
19 
Gemäß § 191 AO kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet. Nach § 69 AO in Verbindung mit § 34 Abs. 1 AO haftet der Geschäftsführer einer GmbH und Co. KG, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grobfahrlässiger Verletzung der ihm obliegenden Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt worden sind.
20 
a) Der Antragsteller handelte zwar als Geschäftsführer der Komplementär-GmbH nach §§ 34 Abs. 1 AO, 35 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbHG) objektiv pflichtwidrig, indem er die der geschäftsführenden GmbH nach §§ 38 Abs. 3, 41 a Abs. 1 EStG obliegende Verpflichtung, bei der Lohnzahlung die Lohnsteuern der Arbeitnehmer für die Monate Mai und Juni 2000 einzubehalten und an den Beklagten jeweils zum 10. des Folgemonats an den Antragsgegner abzuführen, nicht erfüllte.
21 
b) Diese Pflichtverletzung war für den Steuerausfall jedoch nicht kausal. Die Kausalität richtet sich wie bei den zivilrechtlichen Ansprüchen nach der sog. Adäquanztheorie. Danach sind solche Pflichtverletzungen für den Erfolg ursächlich, die allgemein oder erfahrungsgemäß geeignet sind, diesen Erfolg zu verursachen. Die Möglichkeit, dass infolge der Pflichtverletzung Steueransprüche nicht erfüllt werden, darf nicht so fern liegen, dass sie nach der allgemeinen Lebenserfahrung vernünftigerweise nicht in Betracht gezogen werden kann. Bei einem Unterlassen muss die unterbliebene Handlung hinzugedacht werden können mit dem Ergebnis, dass der Schaden ohne das Unterlassen nicht eingetreten wäre, wobei die bloße Möglichkeit oder eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Nichteintritts nicht genügt (BFH vom 17. November 1992 - VII R 13/92, BStBl II 1993, 471). Entsprechend diesen Kausalitätserwägungen war die Pflichtverletzung des Klägers nicht adäquat kausal für den Steuerausfall. Die auf Grund der Beitreibungsmaßnahmen ausgesprochene Anfechtung des Insolvenzverwalters liegt zwar nach der allgemeinen Lebenserfahrung nicht außerhalb der Wahrscheinlichkeit. Gleichwohl fehlt es an der erforderlichen Kausalität, weil auch die fristgerechte und freiwillige Zahlung der - unstreitig ordnungsgemäß - angemeldeten Lohnsteuer anfechtbar gewesen und damit der Steuerausfall auch bei pflichtgemäßem Verhalten des Haftungsschuldners eingetreten wäre.
22 
c) Auch die fristgerechte freiwillige Leistung der Lohnsteuer Mai 2000 zum 10. Juni 2000 und Juni 2000 zum 10. Juli 2000 hätte der Insolvenzverwalter gegenüber der KG nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO als unwirksam anfechten können.
23 
Danach ist eine Rechtshandlung, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, wenn sie in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden ist, wenn zur Zelt der Handlung der Schuldner zahlungsunfähig war und wenn der Gläubiger zu dieser Zeit die Zahlungsunfähigkeit kannte, anfechtbar.
24 
aa) Die Zahlungsunfähigkeit KG war jedenfalls bereits zum 8. Mai 2000 gegeben.
25 
Nach der Legaldefinition des § 17 Abs. 2 InsO ist ein Schuldner zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Zu diesem Zeitpunkt bestanden gegenüber einer Reihe von weiteren Gläubigern - teilweise ab Februar 2000 - fällige Verbindlichkeiten, die von der KG nicht mehr bedient wurden (Blatt 55 der Akte Haftung). Auch der Antragsgegner musste bereits zu diesem Zeitpunkt zum Beitreibungszwang greifen. Die Zahlungsunfähigkeit im Sinne der insolvenzrechtlichen Anfechtungstatbestände ist durch die freiwilligen Zahlungen vom 30. Mai 2000 und 3. Juli 2000 nicht behoben worden. Sie hätte nur aufgehoben werden können, wenn die Zahlungen an die Gesamtheit der Gläubiger wiederaufgenommen worden wären (BGH vom 10. Juli 2003 - IX ZR 89/02, DB 2003, 2383; BGH vom 20. November 2001 - IX ZR 48/01, BGHZ 149, 178; BGH vom 25. Oktober 2001- IX ZR 17/01, BGHZ 149,100). Dies ist vorliegend jedoch nicht geschehen.
26 
bb) Die angemeldete Lohnsteuer Mai 2000 und Juni 2000 zum Fälligkeitszeitpunkt war zum 10. Juni 2000 bzw. 10. Juli 2000 fällig. Auch die freiwillige Zahlung der Steuerschuld - eine anfechtbare Rechtshandlung, die den Antragsgegner befriedigt hätte - wäre damit innerhalb der anfechtungsrechtlich erheblichen Dreimonatfrist des § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO erfolgt.
27 
cc) Die freiwillige Zahlung der angemeldeten Lohnsteuer hätte auch eine mittelbare Benachteiligung der übrigen Insolvenzgläubiger bewirkt.
28 
Eine Gläubigerbenachteiligung liegt vor, wenn sich die Befriedigungsmöglichkeit der Insolvenzgläubiger aus der Insolvenzmasse ohne das anfechtbare Verhalten günstiger gestaltet hätte (Nerlich, in: Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung, § 130 Rdnr. 61). Damit wirkt die Abführung von Lohnsteuer an die Finanzbehörde in der Insolvenz des Arbeitgebers regelmäßig gläubigerbenachteiligend (BGH vom 22. Januar 2004 - IX ZR 39/03, juris web Nr. KORE307952004 ).
29 
Der Arbeitgeber hat die angemeldete Lohnsteuer für Rechnung der Arbeitnehmer bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn einzubehalten (§ 38 Abs. 3 Satz 1 EStG) und sie spätestens am zehnten Tag nach Ablauf eines jeden Lohnsteueranmeldungszeitraums - in der Regel der Kalendermonat - an das Finanzamt weiterzuleiten (§ 41 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). Diese Beträge sind nach bürgerlichem Recht (§ 611 BGB) Teil des dem Arbeitnehmer zustehenden Lohns, auf den er einen arbeitsvertraglichen Anspruch hat (vgl. auch BFH vom 21. Dezember 1998 - VI B 175/98, BFH/NV 1999, 745). Die Leistung der Lohnanteile an das Finanzamt erfolgt jedoch ebenso wie die Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge aus dem Vermögen des Arbeitgebers. Der Arbeitnehmer hat lediglich einen schuldrechtlichen Anspruch auf Leistung des ihm rechtlich zustehenden Arbeitslohns sowie auf Abführung des gesetzlich vorgeschriebenen Anteils an das Finanzamt. Vor der vom Arbeitgeber an das Finanzamt zu erbringenden Zahlung ist keine treuhänderische Berechtigung des Arbeitnehmers, die in der Insolvenz ein Aussonderungsrecht gewährt, an diesen Lohnanteilen begründet worden. Die steuerrechtliche Verpflichtung zur Führung von Lohnkonten (§ 41 Abs. 1 EStG, § 4 LStDV) dient allein dem Zweck, die Erfüllung der Einbehaltungs- und Abführungspflicht zu belegen und dadurch die Nachprüfung zu erleichtern. Sie bewirkt zugunsten der Arbeitnehmer kein in der Insolvenz zu beachtendes Aussonderungsrecht. Sonstige Tatsachen, die nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung geeignet wären, eine Treuhandstellung der Arbeitnehmer zu begründen (vgl. dazu BGH vom 22. Januar 2004 - IX ZR 39/03, juris web Nr. KORE307952004 m.w.Nachw.), hat der Antragsgegner nicht vorgetragen.
30 
Außerdem hat der Schuldner die angefochtene Zahlung zur Erfüllung einer eigenen Haftungsschuld erbracht.
31 
Hat der Arbeitgeber die Lohnsteuer einbehalten, so kann der Arbeitnehmer vom Finanzamt nicht mehr in Anspruch genommen werden, sofern die in § 42 d Abs. 3 Satz 4 EStG normierten Ausnahmetatbestände nicht erfüllt sind. Jedoch hat der Arbeitgeber für die einzubehaltende und abzuführende Lohnsteuer einzustehen. Dieser Haftungsanspruch des Beklagten ist vor Insolvenzeröffnung entstanden, als der Schuldner die Lohnsteuer nicht binnen der gesetzlich vorgeschriebenen Frist abgeführt hat (§ 41 a Abs. 1 und 2, § 42 d Abs. 1 Nr. 1 EStG). Ohne die erhaltene Befriedigung hätte der Beklagte die Haftungsschuld nur als Insolvenzgläubiger gemäß § 38 InsO geltend machen können. Die Vorschrift des § 41 Abs. 1 EStG ist auch nicht geeignet, für ihn ein Vorzugsrecht in der Insolvenz des Schuldners zu begründen. Die angefochtene Zahlung hat daher in jedem Falle die der Gläubigergesamtheit zur Verfügung stehende Masse gemindert. Dies entspricht der schon bisher geltenden Rechtsprechung des Senats (BGH vom 22. Januar 2004 - IX ZR 39/03, juris web Nr. KORE307952004 m.w.Nachw.).
32 
Der vom Bundesfinanzhof (BFH vom 21. Dezember 1998 - VII B 175/98, BFH/NV 1999, 745, 746 f) vertretenen gegenteiligen Auffassung vermag der Senat daher nicht zuzustimmen. Der Bundesfinanzhof hatte dort eine Gläubigerbenachteiligung auch mit der Erwägung verneint, die Abführung der Lohnanteile sei Teil eines Bargeschäfts zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Dabei ist nicht beachtet worden, dass nur Leistungen des Schuldners, für die dieser aufgrund einer Parteivereinbarung mit dem anderen Teil, also dem Anfechtungsgegner, eine gleichwertige Gegenleistung in sein Vermögen erhalten hat, als Bargeschäfte gelten. Der Schuldner hat mit dem Beklagten weder eine Vereinbarung getroffen noch von ihm eine Gegenleistung erhalten. Im übrigen würde es selbst in der - hier nicht maßgeblichen - Rechtsbeziehung zum Arbeitnehmer an dem erforderlichen engen zeitlichen Zusammenhang fehlen, wenn eine Arbeitsleistung erst Monate später vergütet wird (BGH vom 22. Januar 2004 - IX ZR 39/03, juris web Nr. KORE307952004 m.w.Nachw.).
33 
d) Da auch die gekürzte Auszahlung der Löhne Anfechtbarkeit der geschuldeten Lohnsteuer nicht beseitigt hätte, fehlt es insoweit ebenfalls an der erforderlichen Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Steuerausfall.
34 
2. Die Beschwerde ist gemäß §§ 128, 115 FGO zuzulassen. Sie ist für die Fortbildung und einheitliche Anwendung des Rechts wesentlich.
35 
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

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