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Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Haftungsbescheids ist lediglich in Höhe von 20.827,42 Euro begründet.
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Gemäß § 69 Abs. 3 Sätze 1 und 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen dann, wenn gewichtige Umstände Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH vom 5. November 1998 - VIII B 74/98, BFH/NV 1999, 468). Die summarische Prüfung der Frage, ob ernstliche Zweifel in diesem Sinne gegeben sind, erfolgt grundsätzlich nach Lage der Akten (BFH vom 12. November 1992 - XI B 69/92, BStBl II 1993, 263 mit weiteren Nachweisen). Nicht präsente Beweismittel sind nach § 155 FGO in Verbindung mit § 294 Zivilprozessordnung - ZPO - ausgeschlossen (BFH vom 30. Januar 1991 - IX B 208/89, BFH/NV 1992, 464 mit weitern Nachweisen). Das Gericht ist zu weiteren Sachverhaltsermittlungen nicht verpflichtet (BFH vom 6. Oktober 1993 - VIII B 121/92, BFH/NV 1994, 311). Außerdem muss, wer sich im Aussetzungsverfahren auf Tatsachen beruft, für die er die objektive Beweislast (Feststellungslast) trägt, diese Tatsachen, deren Nichterweislichkeit zu einer Klageabweisung in der Hauptsache führen würde, im Aussetzungsverfahren glaubhaft machen (BFH vom 2. April 1997 - V B 156/96, BFH/NV 1997, 629 (631)).
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1. Bei Anwendung dieser Grundsätze hat der Senat insoweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Haftungsbescheids, als der Antragsteller danach (Anlage zum Haftungsbescheid, Blatt 21 der Haftungsakte) für Lohnsteuer Januar 2000 (fällig am 16. Februar 2000) in Höhe von 35.979, 42 DM nebst Säumniszuschläge in Höhe von 359 DM, Säumniszuschläge für den Solidaritätszuschlag zur Lohnsteuer Dezember 1999 (fällig am 13. Januar 2000) in Höhe von 16 DM, Kirchenlohnsteuer Januar 2000 (fällig am 16. Februar 2000) in Höhe von 2.312,56 DM, Solidaritätszuschlag zur Lohnsteuer Januar 2000 (fällig am 16. Februar 2000) in Höhe von 1.714,91 DM nebst Säumniszuschläge in Höhe von 17 DM und Säumniszuschläge für Lohnsteuer Dezember 1999 (fällig am 13. Januar 2000) in Höhe von 336 DM haftet, weil die Fälligkeit dieser Steuerbeträge (insgesamt in Höhe von 40.734,89 DM (20.827,42 Euro)) innerhalb der letzten drei Monate vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens und damit nach dem 25. November 1999 eingetreten ist.
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a) Der Antragsteller handelte zwar als Geschäftsführer der Komplementär-GmbH nach §§ 34 Abs. 1 AO, 35 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbHG) objektiv pflichtwidrig. Er hat, entgegen der Verpflichtung in §§ 38 Abs. 3, 41 a Abs. 1 EStG, die angemeldete Lohn- und Kirchenlohnsteuer Januar 2000 sowie den Solidaritätszuschlag hierzu und die nach dem 25. November fällig gestellten Säumniszuschläge nicht an den Antragsgegner zum Fälligkeitszeitpunkt abgeführt.
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b) Diese Pflichtverletzung war für den Steuerausfall jedoch nicht kausal. Die Kausalität richtet sich wie bei den zivilrechtlichen Ansprüchen nach der sog. Adäquanztheorie. Danach sind solche Pflichtverletzungen für den Erfolg ursächlich, die allgemein oder erfahrungsgemäß geeignet sind, diesen Erfolg zu verursachen. Die Möglichkeit, dass infolge der Pflichtverletzung Steueransprüche nicht erfüllt werden, darf nicht so fern liegen, dass sie nach der allgemeinen Lebenserfahrung vernünftigerweise nicht in Betracht gezogen werden kann. Bei einem Unterlassen muss die unterbliebene Handlung hinzugedacht werden können mit dem Ergebnis, dass der Schaden ohne das Unterlassen nicht eingetreten wäre, wobei die bloße Möglichkeit oder eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Nichteintritts nicht genügt (BFH vom 17. November 1992 - VII R 13/92, BStBl II 1993, 471). Entsprechend diesen Kausalitätserwägungen war die Pflichtverletzung des Klägers nicht adäquat kausal für den Steuerausfall, weil auch die fristgerechte Zahlung der angemeldeten Lohn- und Kirchenlohnsteuer Januar 2000 sowie des Solidaritätszuschlags hierzu und die nach dem 25. November fällig gestellten Säumniszuschläge in diesem Zeitraum durch den Insolvenzverwalter anfechtbar gewesen und damit der Steuerausfall auch bei pflichtgemäßem Verhalten des Haftungsschuldners eingetreten wäre.
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c) Nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist eine Rechtshandlung, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, wenn sie in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden ist, wenn zur Zeit der Handlung der Schuldner zahlungsunfähig war und wenn der Gläubiger zu dieser Zeit die Zahlungsunfähigkeit kannte, anfechtbar.
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aa) Die Zahlungsunfähigkeit der M-KG war jedenfalls Ende Dezember 1999 gegeben.
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Nach der Legaldefinition des § 17 Abs. 2 InsO ist ein Schuldner zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Die bisherigen Merkmale "ernsthaftes Einfordern der Verbindlichkeiten", "Dauer" und "Wesentlichkeit" sind für den Tatbestand der Zahlungsunfähigkeit nicht mehr bestimmend. Nach der neuen Insolvenzordnung ist lediglich auf die fälligen Zahlungsverpflichtungen abzustellen. Damit wird der Tendenz begegnet, den Begriff der Zahlungsunfähigkeit einzuengen und eine - wie im Streitfall - über Wochen und Monate bestehende Illiquidität als rechtlich unerhebliche Zahlungsstockung zu qualifizieren (vgl. Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, amtliche Begründung zu § 17, Seite 90).
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Zumindest Ende Dezember 1999 bestanden gegenüber einer Reihe von weiteren Gläubigern (Lieferanten, Sozialversicherungsträgern) fällige Verbindlichkeiten, die von der M-KG nicht mehr bedient wurden (Blatt 45, 67, 83 der Vollstreckungsakte). Auch der Antragsgegner wurde nur in unregelmäßigen Raten bedient. Die Zahlungsunfähigkeit im Sinne der insolvenzrechtlichen Anfechtungstatbestände ist durch die freiwilligen Zahlungen der laufenden Steuerverbindlichkeiten ab September 1999 und weiterer Zahlungen im Januar und Februar 2000 nicht behoben worden. Sie hätte nur aufgehoben werden können, wenn die Zahlungen an die Gesamtheit der Gläubiger wiederaufgenommen worden wären (BGH vom 10. Juli 2003 - IX ZR 89/02, DB 2003, 2383; BGH vom 20. November 2001 - IX ZR 48/01, BGHZ 149, 178; BGH vom 25. Oktober 2001 - IX ZR 17/01, BGHZ 149,100). Dies ist vorliegend jedoch nicht geschehen.
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bb) Die freiwillige Zahlung der angemeldeten Lohnsteuer Januar 2000 sowie der Annexsteuern und der seit dem 25. November 1999 fälligen steuerlichen Nebenleistungen - eine anfechtbare Rechtshandlung, die den Antragsgegner befriedigt hätte - wäre innerhalb der anfechtungsrechtlich erheblichen Dreimonatfrist des § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO erfolgt und hätte eine mittelbare Benachteiligung der übrigen Insolvenzgläubiger bewirkt.
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Eine Gläubigerbenachteiligung liegt vor, wenn sich die Befriedigungsmöglichkeit der Insolvenzgläubiger aus der Insolvenzmasse ohne das anfechtbare Verhalten günstiger gestaltet hätte (Nerlich, in: Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung, § 130 Rdnr. 61). Damit wirkt die Abführung von Lohnsteuer an die Finanzbehörde in der Insolvenz des Arbeitgebers regelmäßig gläubigerbenachteiligend (BGH vom 22. Januar 2004 - IX ZR 39/03, juris Nr.
KORE307952004
).
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Der Arbeitgeber hat die angemeldete Lohnsteuer für Rechnung der Arbeitnehmer bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn einzubehalten (§ 38 Abs. 3 Satz 1 EStG) und sie spätestens am zehnten Tag nach Ablauf eines jeden Lohnsteueranmeldungszeitraums - in der Regel der Kalendermonat - an das Finanzamt weiterzuleiten (§ 41 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). Diese Beträge sind nach bürgerlichem Recht (§ 611 BGB) Teil des dem Arbeitnehmer zustehenden Lohns, auf den er einen arbeitsvertraglichen Anspruch hat (vgl. auch BFH vom 21. Dezember 1998 - VI B 175/98, BFH/NV 1999, 745). Die Leistung der Lohnanteile an das Finanzamt erfolgt jedoch ebenso wie die Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge aus dem Vermögen des Arbeitgebers. Der Arbeitnehmer hat lediglich einen schuldrechtlichen Anspruch auf Leistung des ihm rechtlich zustehenden Arbeitslohns sowie auf Abführung des gesetzlich vorgeschriebenen Anteils an das Finanzamt. Vor der vom Arbeitgeber an das Finanzamt zu erbringenden Zahlung ist keine treuhänderische Berechtigung des Arbeitnehmers, die in der Insolvenz ein Aussonderungsrecht gewährt, an diesen Lohnanteilen begründet worden. Die steuerrechtliche Verpflichtung zur Führung von Lohnkonten (§ 41 Abs. 1 EStG, § 4 LStDV) dient allein dem Zweck, die Erfüllung der Einbehaltungs- und Abführungspflicht zu belegen und dadurch die Nachprüfung zu erleichtern. Sie bewirkt zugunsten der Arbeitnehmer kein in der Insolvenz zu beachtendes Aussonderungsrecht. Sonstige Tatsachen, die nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung geeignet wären, eine Treuhandstellung der Arbeitnehmer zu begründen (vgl. dazu BGH vom 22. Januar 2004 - IX ZR 39/03, juris Nr.
KORE307952004
m.w.Nachw.), hat der Antragsgegner nicht vorgetragen.
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Die angefochtene Zahlung hat daher in jedem Falle die der Gläubigergesamtheit zur Verfügung stehende Masse gemindert (vgl. BGH vom 22. Januar 2004 - IX ZR 39/03, juris Nr.
KORE307952004
m.w.Nachw.).
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Der vom Bundesfinanzhof (BFH vom 21. Dezember 1998 - VII B 175/98, BFH/NV 1999, 745 (746f.)) vertretenen gegenteiligen Auffassung vermag der Senat daher nicht zuzustimmen. Der Bundesfinanzhof hatte dort eine Gläubigerbenachteiligung auch mit der Erwägung verneint, die Abführung der Lohnanteile sei Teil eines Bargeschäfts zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Dabei ist nicht beachtet worden, dass nur Leistungen des Schuldners, für die dieser aufgrund einer Parteivereinbarung mit dem anderen Teil, also dem Anfechtungsgegner, eine gleichwertige Gegenleistung in sein Vermögen erhalten hat, als Bargeschäfte gelten. Der Schuldner hat mit dem Beklagten weder eine Vereinbarung getroffen noch von ihm eine Gegenleistung erhalten. Im übrigen würde es selbst in der - hier nicht maßgeblichen - Rechtsbeziehung zum Arbeitnehmer an dem erforderlichen engen zeitlichen Zusammenhang fehlen, wenn eine Arbeitsleistung erst Monate später vergütet wird (BGH vom 22. Januar 2004 - IX ZR 39/03, juris Nr.
KORE307952004
m.w.Nachw.).
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d) Im Übrigen ist der Antrag nicht begründet.
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Der Inanspruchnahme des Antragstellers steht nach Aktenlage ein etwaiges Mitverschulden des Finanzamtes nicht entgegen. Mitwirkendes Verschulden des Finanzamtes am Entstehen eines Steuerausfalls kann die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners ermessensfehlerhaft machen, sofern dessen eigenes Verschulden gering ist (u.a. BFH vom 11. Mai 2000-VII B 217/99, BFH/NV 2000, 1442). Der BFH hat allerdings ein Mitverschulden des Finanzamts in ständiger Rechtsprechung dann verneint, wenn das Finanzamt, wie hier nach den Angaben des Antragstellers geschehen, lediglich über einen längeren Zeitraum hin von seinen Befugnissen zur Beitreibung ausstehender Steuern keinen Gebrauch macht (BFH vom 28. August 1990 - VII S 9/90, BFH/NV 1991, 290; FG Brandenburg vom 20. Februar 2002 - 6 K 1177/00, EFG 2002, 656). Im Übrigen scheidet ein Mitverschulden des Antragsgegners schon deshalb aus, weil das Stillhalteabkommen, also die mehr oder minder deutlich ausgesprochene Zurückstellung einer Zwangsvollstreckung im Hinblick auf die Chance, über das Sanierungskonzept der M-KG die Mittel zu erlangen, die zur Bezahlung der Steuern erforderlich waren, auf Drängen des Antragstellers zustande gekommen ist. Die Behauptung, die Kreissparkasse C. habe den in Aussicht gestellten Kredit nicht angewiesen, vermag den Antragsteller ebenfalls nicht zu entschuldigen und lässt seine Inanspruchnahme Haftungsschuldner nicht als ermessensfehlerhaft erscheinen. Eine feste Zusage, die von dem Kreditinstitut nicht eingehalten worden ist, hat der Antragsteller damit nicht behauptet. Die Vergabe des Kredits war vielmehr von einer (positiven) Fortführungsprognose abhängig. Hierfür war der M-KG von der Sparkasse bis zum 31. März 2000 Zeit gegeben worden. Erst danach sollte über die Kreditvergabe verbindlich entschieden werden.
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e) Von einer Heranziehung der Arbeitnehmer hat der Antragsgegner mangels Pflichtverletzung zu Recht abgesehen.
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2. Die Beschwerde ist gemäß §§ 128, 115 FGO zuzulassen. Sie ist für die Fortbildung und einheitliche Anwendung des Rechts wesentlich.
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