Beschluss vom Finanzgericht Hamburg (4. Senat) - 4 V 80/15

Tatbestand

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I. Der Antragsteller begehrt die Aussetzung der Vollziehung eines Haftungsbescheids für Einfuhrumsatzsteuerschulden der Steuerschuldnerin.

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Der Antragsteller war im hier relevanten Zeitraum - neben den gesondert in Haftung genommenen A und B - Geschäftsführer der C Verwaltungs-GmbH. Hierbei handelt es sich um die persönlich haftendende Gesellschafterin (Komplementär-GmbH) der zuletzt unter D GmbH und Co. KG (bis ... 2013: C-1 GmbH & Co. KG) firmierenden Gesellschaft (im Folgenden: Steuerschuldnerin), die im ...handel und -vertrieb tätig war.

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Der Steuerschuldnerin wurde mit Bescheid vom 24.01.2000 bis zum Widerruf am 01.08.2013 die Bewilligung eines laufenden Zahlungsaufschubs für die Einfuhrumsatzsteuer in unbegrenzter Höhe ohne Sicherheitsleistung erteilt (BewilligungZA). Danach waren die während eines Kalendermonats von der Zollstelle buchmäßig erfassten und auf dem Aufschubkonto Nr. -1 aufgeschobenen Abgabenbeträge spätestens am 16. Tag des Folgemonats zu entrichten. Die BewilligungZA enthält die folgenden als "Auflagen" bezeichneten Zusätze:
"14. Sie haben unverzüglich jede Änderung der in Ihrem Antrag angegebenen oder sonst für die Bewilligung maßgebenden Verhältnisse schriftlich anzuzeigen.
15. Es bleibt vorbehalten, Auflagen nachträglich aufzunehmen, zu ändern oder zu ergänzen."
Unter "Hinweise" heißt es:
"18. Bei Nichteinhaltung von Bedingungen und Auflagen sowie bei Wegfall der allgemein für die Bewilligung des Zahlungsaufschubs erforderlichen Voraussetzungen, kann diese Bewilligung widerrufen werden.
19. Sonstiges:
Hinweis: Die Bewilligung wurde vorbehaltlich der Ergebnisse der Prüfung der Vertrauenswürdigkeit und steuerlichen Zuverlässigkeit erteilt. Evtl. negative Erkenntnisse können zum Widerruf der Bewilligung führen."

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Zum Ausgleich des eingerichteten Aufschubkontos erteilte die Steuerschuldnerin einen Abbuchungsauftrag für Lastschriften für ihr Konto Nr. -2 bei der Bank X, den sie zuletzt durch ein SEPA-Firmenlastschriftmandat vom 13.06.2013 ersetzte.

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Seit dem 21.08.2009 finanzierte sich die Steuerschuldnerin auch über das Factoring ihrer Kundenforderungen. Nachdem die Steuerschuldnerin ab 2010 erhebliche Verluste erwirtschaftet hatte, wurde das Verhältnis zwischen ihr und dem Bankenpool, über den sie sich finanzierte, mit dem Sicherheiten-Poolvertrag vom ... 2012 neu geregelt. Hierin trat sie ihre Forderungen aus Lieferungen und Leistungen - soweit sie nicht an den Factor verkauft werden - zur Sicherheit an den Bankenpool ab. Außerdem übereignete sie zur Sicherheit ihr Warenlager mit wechselndem Bestand und verpfändete - neben Geschäftsanteilen und Markenrechten - mehrere Konten, darunter das bei der Bank X geführte Konto, über das das Aufschubkonto Nr. -1 ausgeglichen wurde. Den seit Januar 2013 bestehenden Liquiditätsbedarf konnte die Steuerschuldnerin nicht mehr decken. Nachdem die im Januar 2013 bestehende bzw. zu erwartende Liquiditätslücke nur i. H. v. € 1,5 Mio. aus Mitteln der Gesellschafterin und der Gesellschafter gedeckt werden konnte, begab sie sich auf die Suche nach einem Investor, an den bis zu 75,1 % der Kommanditanteile veräußert werden sollten. Mit Lieferanten führte die Geschäftsleitung der Steuerschuldnerin im Wesentlichen erfolgreiche Stundungsverhandlungen (Insolvenzgutachten vom 03.12.2013, S. ...).

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Ein potentieller Unternehmenskäufer unterzeichnete am ... 2013 einen "Letter of Intent" (...), in dem er seine Absicht bekundete, bis spätestens zum 26.07.2013 € 4 Mio. in die Steuerschuldnerin zu investieren. Das mit den Banken ausverhandelte Erwerberkonzept sah außerdem einen Verzicht auf ca. 75 % der Kreditverbindlichkeiten, die sich auf ca. € 18 Mio. beliefen, vor (Insolvenzgutachten vom 03.12.2013, S. ...).

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In der Zeit vom 19.-26.07.2013 ließ die Steuerschuldnerin zehn Warensendungen über die Zollämter E und F unter Inanspruchnahme ihrer BewilligungZA zum zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr abfertigen. Hierzu ergingen die folgenden Einfuhrabgabenbescheide über Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von insgesamt € 235.465,99:

...

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Am Abend des 21.07.2013 sagte der Investor die für den Folgetag geplante Unterzeichnung des mit den finanzierenden Banken und der Steuerschuldnerin ausverhandelten Unternehmenskaufvertrags ab. Nachverhandlungen scheiterten am Abend des 22.07.2013 endgültig, worüber die Geschäftsführer der Steuerschuldnerin gegen 23:00 Uhr dieses Tages informiert wurden. Nachdem auch die finanzierenden Banken am 23.07.2013 vom Scheitern der Verhandlungen Kenntnis erhalten hatten, kündigten sie sämtliche laufenden Kredite der Steuerschuldnerin im Umfang von rund € 18 Mio.; hiervon erhielt der Antragsteller am 25.07.2013 Kenntnis. Da die Steuerschuldnerin damit nicht mehr in der Lage war, fällige Verbindlichkeiten zu erfüllen, stellte sie noch am selben Tag einen Insolvenzantrag. Am 26.07.2013 ordnete das Amtsgericht G insbesondere die vorläufige Insolvenzverwaltung der Steuerschuldnerin (...) und der Komplementär-GmbH (...) an, bestellte einen vorläufigen Insolvenzverwalter und ordnete an, dass Verfügungen nur noch mit dessen Zustimmung erfolgen dürften. Vor diesem Hintergrund wurde das mit der Einfuhrumsatzsteuer aus den oben genannten Einfuhren belastete Aufschubkonto bei Fälligkeit am 16.08.2013 nicht ausgeglichen. Der Antragsgegner konnte sich lediglich durch Inanspruchnahme einer Bürgschaft i. H. v. € 11.155,79 befriedigen.

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Zu dem mit Schreiben vom 17.09.2014 angekündigten Erlass eines Haftungsbescheides nahm der Antragsteller mit Schreiben vom 12.11.2014 Stellung. Er wies darauf hin, dass die Kaufverträge bezüglich der hier in Rede stehenden Einfuhren bereits im April und Mai 2013 geschlossen worden seien.

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Mit Haftungsbescheid vom 13.02.2015 nahm der Antragsgegner den Antragsteller gemäß § 191 Abs. 1 i. V. m. § 69 AO gesamtschuldnerisch mit den beiden anderen Geschäftsführern auf Zahlung der nach Abzug der Bürgschaft verbleibenden Einfuhrumsatzsteuerschuld der Steuerschuldnerin in Höhe von € 224.310,20 in Anspruch. Die Voraussetzungen für seine Inhaftungnahme nach §§ 69, 34 AO lägen vor, weil der Antragsteller zumindest grob fahrlässig steuerliche Pflichten verletzt habe und deshalb Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nicht erfüllt worden seien. Er habe als Geschäftsführer der Komplementär-GmbH dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den verwalteten Mitteln entrichtet würden (Zahlungspflichten, § 224 AO), sowie steuerliche Anzeige-, Erklärungs-, Anmeldungs-, Auskunfts-, Mitwirkungs-, Nachweis-, Berichtigungs-, Buchführungs- und Auszeichnungspflichten einzuhalten. Hierzu gehöre die Pflicht, dafür Sorge zu tragen, dass die zum Ausgleich der Steuerschulden erforderlichen Handlungen vorgenommen würden und die Steuerschulden schließlich tatsächlich getilgt werden könnten. Ein Geschäftsführer könne diese Pflichten bereits verletzen, wenn er zulasse, dass sich die vertretene Gesellschaft durch Vorwegbefriedigung anderer Gläubiger oder in sonstiger Weise vorsätzlich oder fahrlässig außerstande setze, eine bereits entstandene, aber erst künftig fällig werdende Steuerforderung im Zeitpunkt der Fälligkeit zu tilgen (Verletzung der Mittelvorsorgepflicht). Das Verhältnis zwischen dem Bewilligungsinhaber und der Zollbehörde sei dadurch gekennzeichnet, dass ihm Waren - hier entsprechend der Bewilligung unbesichert - anvertraut würden und er als Gegenleistung die Verantwortung für die ordnungsgemäße Durchführung der gewährten Vergünstigung übernehme.

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Im Falle der Uneinbringbarkeit der Steuerschuld müsse der Haftungsschuldner herangezogen werden. Die Forderung sei zwar zur Insolvenztabelle angemeldet. Es sei jedoch amtsbekannt, dass sie nicht vollständig aus der Insolvenzmasse befriedigt werden könne. Eine unverzügliche Mitteilung über Änderungen der für die BewilligungZA maßgebenden Verhältnisse gem. Nr. 14 der BewilligungZA hätte erfolgen müssen, sobald der Antragsgegner unter den objektiv gegebenen Verhältnissen den Verwaltungsakt nicht oder nicht so hätte erlassen dürfen. Im Zivilrecht werde eine Informationspflicht bejaht, wenn eine Krisensituation bestehe und die Durchführbarkeit eines Vertrages, bei dem die andere Vertragspartei vorleisten müsse, gefährdet sei. So sei auch der Fiskus auf die Mitwirkung der Steuerpflichtigen angewiesen.

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Der wirtschaftliche Niedergang der Steuerschuldnerin habe sich abgezeichnet. Nach dem Insolvenzgutachten habe sie in den Geschäftsjahren 2010 bis 2012 Verluste von insgesamt € 17,65 Mio. erwirtschaftet. Ab Januar 2013 sei die finanzielle Situation äußerst prekär gewesen, so dass ein Investor gesucht worden sei. Seit Juni 2013 habe die Steuerschuldnerin die Nettokaltmiete in Höhe von rund € 172.000,- für ihren Geschäftssitz nicht mehr bezahlt. Spätestens mit Fälligkeit dieser Forderung seien Anzeichen für ein massives Zahlungsproblem und eine Gefährdung des Steueranspruchs vorhanden gewesen und hätten eine Anzeigepflicht gegenüber dem Antragsgegner ausgelöst. Durch dessen Missachtung habe der Antragsgegner vor dem Insolvenzantrag keine Maßnahmen zur Sicherung der fällig werdenden Forderungen treffen können. Dass dies grob fahrlässig geschehen sei, bedürfe angesichts der Einbindung und Unterrichtung der Kreditgeber keiner weiteren Erörterungen. Es sei nicht einzusehen, warum der Fiskus bewusst schlechter gestellt werde als private Gläubiger. Durch das Unterlassen der Mitteilung über die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Steuerschuldnerin habe der Antragsteller es vereitelt, dass der Antragsgegner sich durch Zugriff auf die Ware befriedigen könne. Daher komme auch eine Haftungsbeschränkung nach den Grundsätzen der anteiligen Befriedigung aller Gläubiger nicht in Betracht. Da ein Steuerausfall bei entsprechender Mitteilung der Steuerschuldnerin nicht eingetreten wäre, bestehe auch ein adäquat kausaler Zusammenhang. Ob der Antragsteller die Anzeigepflicht gekannt habe, könne dahinstehen. Im Übrigen indiziere die Pflichtwidrigkeit im Allgemeinen grobe Fahrlässigkeit. Darüber hinaus bestehe eine Pflichtwidrigkeit darin, dass sich die Steuerschuldnerin schon vor den hier in Rede stehenden Einfuhren schuldhaft außerstande gesetzt habe, die vorhersehbare Steuerschuld zu tilgen. Dies sei durch die Globalzession aller Forderungen an den Bankenpool geschehen, weil der Zessionar bei Einziehung der abgetretenen Forderungen nicht verpflichtet sei, die Einfuhrabgaben abzuführen. Die Globalzession stelle dann eine Pflichtverletzung dar, wenn der Antragsteller damit hätte rechnen müssen, dass durch die Zession die liquiden Mittel zur Begleichung anderer Schulden geschmälert würden. Die Sicherungsübereignung des Warenlagers stelle zudem eine Gläubigerbenachteiligung dar, weil die Schuldenmasse vermehrt und dadurch der Zugriff auf das Vermögen der Steuerschuldnerin vereitelt werde. Die zwangsweise Befriedigung der Steuerschulden hätte sich ohne die Sicherungsübereignung günstiger gestaltet. Zwar seien Sicherungsübereignungen und Globalzessionen im Geschäftsverkehr üblich. Dadurch, dass der Hauptschuldner dies dem Antragsgegner nicht offengelegt habe, sei er über eine maßgebliche Verschlechterung seiner Rechtsposition getäuscht worden, weil er im Insolvenzfall kein Absonderungsrecht habe. Unerheblich sei, ob der Antragsgegner im Falle einer Begleichung der Einfuhrabgaben insolvenzrechtlich verpflichtet wäre, diese zurückzuzahlen. Die Inanspruchnahme sei auch nicht ermessensfehlerhaft, weil die Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer hätte abgezogen werden können. Die Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer auf jeder Wirtschaftsstufe sichere den tatsächlichen Eingang der Steuern und ein gleichmäßiges Steueraufkommen. Ihre Erhebung sei daher vom Gesetz gewollt. Es sei auch erforderlich, alle Haftungsschuldner gesamtschuldnerisch in Anspruch zu nehmen, um die Chancen zu erhöhen, den Steueranspruch auch realisieren zu können. Ein Haftungsausgleich habe im Innenverhältnis zu erfolgen. Der Antragsgegner habe nicht übersehen, dass A-1 Einzelprokura für die Steuerschuldnerin erteilt worden sei. Ob auch er in Haftung genommen werden könne, müsse noch abschließend geklärt werden.

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Mit Schreiben vom 17.03.2015 legte der Antragsteller Einspruch gegen den Haftungsbescheid ein, den er wie folgt begründete: Er habe keine Pflicht verletzt, insbesondere nicht gegen die in der BewilligungZA enthaltenen Nebenbestimmungen verstoßen. Die für die Erteilung der Bewilligung maßgebenden Verhältnisse hätten sich nämlich bis zum überraschenden Rückzug des Investors am 23.07.2013 nicht geändert. Der Bewilligung sei nicht zu entnehmen, welche Verhältnisse genau gemeint seien. Aus der Liquiditätsplanung der Steuerschuldnerin für Juni 2013 werde ersichtlich, dass der Antragsteller alle Steuerverbindlichkeiten tagesaktuell berücksichtigt habe. Wäre der Investor nicht unvorhergesehen abgesprungen, hätten die Steuerforderungen erfüllt werden können. Die in den Jahren 2010 bis 2012 erzielten Verluste hätten nicht zu Zahlungsschwierigkeiten, Zahlungsstockungen, einer Tendenz zum Vermögensverfall, einer Überschuldung oder drohender Zahlungsunfähigkeit geführt. Der Insolvenzantrag sei erst erforderlich geworden, nachdem die Banken am 25.06.2013 die Darlehen gekündigt hätten. Zahlungsschwierigkeiten habe es nie gegeben, weil die Gesellschafter der Steuerschuldnerin diese durch weitere Einlagen vermieden hätten. Einer Tendenz zum Vermögensverfall habe es schon deshalb nicht gegeben, weil nicht klar sei, was damit gemeint sein könne. Insolvenzgründe, namentlich eine Überschuldung (§ 19 InsO) oder Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO), deren Vorliegen sicher zu einer Meldepflicht geführt hätte, hätten vor der Kündigung der Darlehen nicht vorgelegen. Das Insolvenzgutachten habe keine Verletzung der Insolvenzantragspflicht festgestellt. Wenn eine solche Pflichtverletzung ein Indiz für eine Inanspruchnahme nach § 69 AO sei, liege im Umkehrschluss eine Haftung fern, wenn die Geschäftsführer die Insolvenzantragspflicht nicht verletzt hätten. Der vom Antragsgegner genannte zukünftig entstehende Liquiditätsbedarf in Höhe von € 3-5 Mio. habe zwar nur zum Teil (in Höhe von € 1,5 Mio.) aus Mitteln des Hauptgesellschafters der Steuerschuldnerin gedeckt werden können. Allerdings sei der Investor bereit gewesen, eine Einlage von € 4 Mio. zu leisten und weitere Liquidität zur Verfügung zu stellen. Der Hauptgesellschafter habe außerdem die monatlichen Mietzinsen für das Mietobjekt der Steuerschuldnerin in Höhe von rund € 172.000,- nicht ernsthaft eingefordert. Selbst wenn er - der Antragsteller - gegen die Auflagen zur BewilligungZA verstoßen hätte, würde es sich dabei nicht um einen Pflichtverstoß im Sinne von § 69 AO, sondern lediglich um eine Nebenpflichtverletzung handeln. Die vom Antragsgegner herangeführten zivilrechtlichen Grundsätze, aus denen sich die Informationspflichten hätten ableiten sollen, seien nicht auf das Verhältnis zwischen Steuerbürger und Staat anwendbar. Selbst wenn sie anwendbar wären, läge kein Verstoß gegen eine Informationspflicht vor. Diese solle nach dem Bundesgerichtshof (BGH) nur dann bestehen, wenn bei Inanspruchnahme eines Kredits zur erwarten sei, dass die Gesellschaft den Kredit nicht würde zurückzahlen können. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Bei Einfuhr der ... sei nicht erkennbar gewesen, dass die Steuerschuldnerin bei Fälligkeit nicht in der Lage sein würde, diese zu erfüllen. Er - der Antragsteller - habe auch nicht grob fahrlässig im Sinne von § 69 AO gehandelt. Im Übrigen könne der Antragsgegner nur den Quotenschaden geltend machen. Dies folge aus dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller Gläubiger. Es gebe keine Norm, die vorschreibe, dass der Fiskus bei Insolvenz des Steuerschuldners vorab zu befriedigen sei.

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Mit Bescheid vom 30.04.2015 lehnte der Antragsgegner die mit Schreiben vom 20.04.2015 beantragte Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheids ab. Es bestünden keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides. Die Pflicht, dafür zu sorgen, dass Steuern aus den verwalteten Mitteln entrichtet würden, bestehe bereits vor Fälligkeit der Steuern. Eine grob fahrlässige Pflichtverletzung liege vor. Der Zahlungsaufschub sei eine steuerliche Vergünstigung in Form einer zinslosen "fiskalischen Kreditgewährung", die für den Steuergläubiger mit einer abstrakten Erhöhung der Steuergefährdung einhergehe. Bei der Inanspruchnahme des Zahlungsaufschubs sei erforderlich, dass entsprechende Mittel zur Tilgung der künftigen Steuerschuld sicher zurückgelegt würden (sog. Mittelvorsorgepflicht). Insoweit gebe es keinen sachlichen Grund, die Steuerschulden der Steuerschuldnerin anders zu behandeln als die von Zollanmeldern, die die Einfuhrabgaben anlässlich der Überlassung sofort entrichten müssten. Der Antragsteller hätte den Antragsgegner über die Verluste, den Abschluss des Sicherheiten-Poolvertrags sowie die im Januar 2013 offenbar gewordene Liquiditätslücke informieren müssen. Selbst einem steuerlichen Laien hätte einleuchten müssen, dass im Falle der Risikoverwirklichung der Einfuhrumsatzsteueranspruch in besonderer Weise beeinträchtigt worden wäre. Bei Abschluss des Sicherheiten-Poolvertrags habe die Steuerschuldnerin zweifelsohne in ernsten wirtschaftlichen Schwierigkeiten gesteckt und es habe mit einer Kündigung der Kredite und der Insolvenzreife gerechnet werden müssen. Vor diesem Hintergrund habe der Antragsteller die Mittelvorsorgepflicht zumindest grob fahrlässig verletzt, indem er den für die Begleichung der später entstehenden Einfuhrumsatzsteuer erforderlichen Betrag dem Zugriff der Poolbanken ausgesetzt habe. Der Bundesfinanzhof (BFH) habe wiederholt betont, dass ein Geschäftsführer sich durch eine Globalzession an ein Kreditinstitut nicht mit haftungsausschließender Wirkung der zu Befriedigung des Finanzamts benötigten Mittel begeben dürfe. Übertrage man diese Erwägung auf den Streitfall, zeige sich, dass durch Abschluss des Sicherheiten-Poolvertrags Umstände begründet worden seien, die das Steueraufkommen gefährdet hätten. Anders als die Poolbanken sei der Antragsgegner nicht informiert worden, sodass ihm angemessene Maßnahmen, z. B. die Änderung der BewilligungZA unter Anordnung einer Sicherheitsleistung oder ein dinglicher Arrest, genommen worden sei. Damit habe der Antragsteller eine reale Ursache für den Eintritt des Steuerausfalls gesetzt. Dieser Pflichtwidrigkeit stehe nicht entgegen, dass die Steuerschuldnerin aussichtsreiche Sanierungs- und Übernahmeverhandlungen geführt habe. Eine unbillige Härte bestehe nicht. Dass der Antragsteller über eine Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von Unternehmensleitern und Leitenden Angestellten verfüge, die für den möglicherweise entstandenen Schaden aufkomme, sei dem Antragsgegner bisher unbekannt gewesen.

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Am 20.05.2015 hat der Antragsteller um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Er beruft sich auf seinen vorgerichtlichen Vortrag und führt ergänzend aus: Die Geschäftsführer der Steuerschuldnerin seien in die Suche nach einem Unternehmenskäufer nicht eingebunden gewesen. Bis zu der überraschenden Absage des Investors hätten sie die Information erhalten, dass die in dem LOI zugesagte Zahlung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erfolgen würde. Die avisierte Zahlung habe daher bei der Liquiditätsplanung (...) berücksichtigt werden dürfen. Nach der Liquiditätsplanung hätten die Einfuhrabgaben beglichen werden können. Auch wenn die Absage des Investors völlig überraschend gekommen sei, hätten die Geschäftsführer im Vorfeld vorsorglich eine alternative Liquiditätsplanung aufstellen lassen (...), bei der die Zahlung der Einfuhrabgaben ebenfalls berücksichtigt worden sei. Erst mit Kündigung aller Darlehen, die der Steuerschuldnerin am 25.07.2013 zugegangen sei, sei die Fortführung des Unternehmens - und damit auch die Begleichung der Einfuhrumsatzsteuer - nicht mehr möglich gewesen. Die im Haftungsbescheid genannten Mietverbindlichkeiten habe der Vermieter, der gleichzeitig Hauptgesellschafter der Steuerschuldnerin gewesen sei, nie ernsthaft eingefordert.

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Er - der Antragsteller - habe nicht gegen Mitteilungspflichten, die sich aus den Nebenbestimmungen zur BewilligungZA ergäben, verstoßen. Diese Mitteilungspflichten ließen sich nicht aus den im Zivilrecht entwickelten Grundsätzen einer "Informationspflicht der Vertragspartner" ins Steuerrecht übertragen. Selbst wenn es eine Informationspflicht geben würde, wären die Voraussetzungen nicht erfüllt. Nach dem BGH liege ein Verstoß gegen die Informationspflicht nur vor, wenn bei Inanspruchnahme einer Leistung unter Berücksichtigung einer bestehenden Überschuldung zur erwarten sei, dass die Gesellschaft bei Fälligkeit der Forderung zahlungsunfähig sei. Die für die BewilligungZA maßgeblichen Umstände hätten sich bis zur Absage des Investors nicht geändert. Die Vollstreckung würde auch zu einer unbilligen Härte führen, da laufende Finanzierungen, grundbuchrechtlich gesicherte Darlehen und damit seine wirtschaftliche Existenz ernsthaft gefährdet seien. Außerdem sei seine Inanspruchnahme nicht erforderlich, weil eine Geschäftsführer-Versicherung bestehe, die für das Einspruchsverfahren bereits die volle Kostendeckung zugesagt habe.

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Der Antragsteller beantragt,
die Vollziehung des Haftungsbescheids des Antragsgegners vom 13.02.2015 (Geschäftszeichen: .../.../...) ohne Sicherheitsleistung, hilfsweise gegen Sicherheitsleistung auszusetzen.

18

Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.

19

Er verweist auf den Haftungsbescheid und trägt ergänzend vor: Spätestens am 21.07.2013 hätte dem Antragsteller klar sein müssen, dass keine Zahlungsmittel mehr zur Verfügung stehen würden, um Einfuhrabgaben zu begleichen, die danach entstehen würden. Darüber hinaus sei die Abwicklung des Zahlungsaufschubs über ein an eine kreditgebende Bank verpfändetes Geschäftskonto neben der Globalzession und der Raumsicherungsübereignung erkennbar geeignet, die liquiden Mittel zur Tilgung nicht gesicherter Verbindlichkeiten zu reduzieren. Der Prokurist der Steuerschuldnerin A-1 habe nicht in Anspruch genommen werden können, weil eine Prüfung ergeben habe, dass die Wahrnehmung der steuerlichen Pflichten nicht zu seinen Aufgaben gehört habe.

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Bei der Entscheidung haben vorgelegen ein Einspruchsordner (...) sowie Nebenakten (3 Ordner).

Entscheidungsgründe

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II. Der gemäß § 69 Abs. 3 FGO zulässige Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheids vom 13.02.2015 bleibt in der Sache ohne Erfolg.

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Nach § 69 Abs. 3 FGO kann das Gericht der Hauptsache einem Antrag auf Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung eines Verwaltungsaktes unter den Voraussetzungen des § 69 Abs. 2 bis 6 FGO entsprechen (zum heranzuziehenden Entscheidungsmaßstab des § 69 Abs. 2 FGO in Abgrenzung zu Art. 244 Abs. 2 ZK, § 21 Abs. 2 UStG bei - wie hier - streitiger Haftung nach § 191 AO für Einfuhrumsatzsteuer siehe FG Düsseldorf, Beschl. v. 05.07.2002, 4 V 7185/01 A (H), juris, Rn. 54). Danach soll die Vollziehung ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel im Sinne des § 69 Abs. 2 FGO sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung der angefochtenen Bescheide neben für ihre Rechtmäßigkeit sprechende Umstände gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (st. Rspr. des BFH, siehe nur Beschl. v. 26.08.2004, V B 243/03, juris, Rn. 14 unter Bezugnahme auf Beschl. v. 10.02.1967, III B 9/66, BFHE 87, 447). Die Aussetzung der Vollziehung setzt dabei nicht voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte sprechenden Gründe überwiegen (vgl. BFH, Beschl. v. 26.04.2004, VI B 43/04, juris, Rn. 11; Beschl. v. 20.05.1997, VIII B 108/96, juris, Rn. 41). Sie kann auch dann zu gewähren sein, wenn die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide später im Hauptverfahren bestätigt werden sollte (vgl. BFH, Beschl. v. 23.08.2004, IV S 7/04, juris, Rn. 21). Gemäß § 69 Abs. 2 S. 3 FGO kann die Aussetzung von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Die Umstände, die die Aussetzung der Vollziehung rechtfertigen, hat der Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 155 S. 1 FGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO; siehe Seer, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 123. EL, Mai 2010, § 69 FGO Rn. 94, 123).

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1. Nach diesem Prüfungsmaßstab ergeben sich auf der Grundlage der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung keine ernstlichen Zweifel im Sinne des § 69 Abs. 2 S. 2, Alt. 1 FGO an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids vom 13.02.2015. Die Ermächtigungsgrundlage für den Erlass von Haftungsbescheiden ist § 191 Abs. 1 S. 1 AO. Danach kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner). Nach § 69 S. 1 AO haften u. a. die in § 34 AO bezeichneten Personen, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 Abs. 1 AO) in Folge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden. Nach § 34 Abs. 1 S. 1 AO haben u. a. die Geschäftsführer von nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Nach § 34 Abs. 1 S. 2 AO haben sie insbesondere dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den verwalteten Mitteln entrichtet werden.

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Die Voraussetzungen der §§ 191 Abs. 1 S. 1, 69 S. 1, 34 Abs. 1 S. 1 AO liegen mit hoher Wahrscheinlichkeit vor. Die Steuerverbindlichkeit, für die der Antragsteller in Anspruch genommen wird, besteht (dazu 1.1). Der Antragsteller war im maßgeblichen Zeitraum eine in § 34 Abs. 1 S. 1 AO genannte Person (dazu 1.2). Er hat Pflichten im Sinne des § 69 AO schuldhaft verletzt und diese Pflichtverletzungen waren kausal für die Nichterfüllung der Steuerschuld der Steuerschuldnerin (dazu 1.3). Die Höhe der Inhaftungnahme ist nicht zu beanstanden (dazu 1.4). Ermessensfehler sind nicht ersichtlich (dazu 1.5). Im Einzelnen:

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1.1 Ernstliche Zweifel an der Existenz der gemäß Art. 201 Abs. 1 Buchst. a), Abs. 2, Abs. 3 UAbs. 1 S. 1 ZK, § 21 Abs. 2 UStG entstandenen Einfuhrumsatzsteuerschuld der Steuerschuldnerin i. H. v. € 224.310,20 aus den oben erwähnten zehn Einfuhrabgabenbescheiden - einem Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 Abs. 1 AO) - bestehen nicht, und auch der Antragsteller bestreitet diese als solche weder dem Grunde noch der Höhe nach.

26

1.2 Der Antragsteller war im maßgeblichen Zeitraum Geschäftsführer einer nicht rechtsfähigen Personenvereinigung im Sinne von § 34 Abs. 1 S. 1 AO. Als Kommanditgesellschaft ist die Steuerschuldnerin eine nicht rechtsfähige Personenvereinigung im Sinne dieser Vorschrift (Loose, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 122. EL, Januar 2010, § 34 AO, Rn. 10). Zwar war unmittelbarer Geschäftsführer der Steuerschuldnerin die Komplementär-GmbH (§§ 114, 161 Abs. 2 HGB). Als (Mit-)Geschäftsführer der Komplementär-GmbH war der Antragsteller ihr gesetzlicher Vertreter (§§ 6, 35 Abs. 1 S. 1 GmbHG) und damit mittelbarer Geschäftsführer der Steuerschuldnerin (siehe auch FG Hamburg, Urt. v. 25.10.1993, I 8/89, juris, Rn. 14 m. w. N.).

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1.3 Der Antragsteller hat steuerliche Pflichten der Steuerschuldnerin im Sinne von § 69 S. 1 AO, die er als ihr Vertreter zu erfüllen hatte (Boeker in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 232. EL, April 2015, § 69 AO Rn. 13, § 34 Rn. 45; Loose, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 138. EL, Nov. 2014, § 34 AO Rn. 19 und § 69 AO Rn. 12), im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme des der Steuerschuldnerin bewilligten laufenden sicherheitslosen Zahlungsaufschubs (Art. 224 ff. ZK, § 21 Abs. 3 UStG) im maßgeblichen Zeitraum zumindest grob fahrlässig nicht erfüllt. Hierdurch konnte die entstandene Einfuhrumsatzsteuer nicht geltend gemacht werden. Im Einzelnen hat der Antragsteller gegen die Mitteilungspflicht aus der Auflage Nr. 14 zur BewilligungZA (dazu 1.3.1) und gegen die Mittelvorsorgepflicht (dazu 1.3.2) verstoßen.

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1.3.1 Der Antragsteller hat die sich aus der Auflage Nr. 14 der BewilligungZA ergebende steuerliche Pflicht (dazu 1.3.1.1) der Steuerschuldnerin verletzt, unverzüglich jede Änderung der im Antrag angegebenen oder sonst für die Bewilligung maßgebenden Verhältnisse schriftlich anzuzeigen (dazu 1.3.1.2). Die Pflichtverletzung war schuldhaft (dazu 1.3.1.3) und kausal für den Steuerausfall (dazu 1.3.1.4).

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1.3.1.1 Die in der Auflage Nr. 14 der BewilligungZA niedergelegte Informationspflicht ist eine verbindliche steuerliche Pflicht im Sinne von § 69 AO.

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Die BewilligungZA ist ein Verwaltungsakt im Sinne von § 118 S. 1 AO. Sie stellt eine einfuhrumsatzsteuerliche Vergünstigung in Form der "fiskalischen Kreditgewährung" (FG Bremen, Urt. v. 17.03.1992, II 135/86 K, juris Rn. 42 m. w. N.) dar. Grundsätzlich darf nämlich gemäß Art. 74 Abs. 1 S. 1 ZK i. V. m. § 21 Abs. 2 Halbs. 1 UStG beim Entstehen einer Abgabenschuld die Ware, die Gegenstand der Anmeldung ist, dem Anmelder erst übergeben werden, wenn die Abgabe in der festgesetzten Frist entrichtet (Art. 222 Abs. 1 Buchst. a) UAbs. 1 ZK, § 21 Abs. 2 Halbs. 1 UStG) oder eine Sicherheit geleistet wurde. Diese Bedingungen werden bei der Bewilligung eines Zahlungsaufschubs dahin gehend modifiziert, dass die Ware sofort übergeben wird und die während eines Kalendermonats von der Zollstelle buchmäßig erfassten und aufgeschobenen Abgabenbeträge erst spätestens am 16. Tag des Folgemonats zu entrichten sind (Nr. 5 der BewilligungZA i. V. m. Art. 227 Abs. 1 Buchst. b), Art. 226 Buchst. b) ZK). Ob und unter welchen Bedingungen eine solche Vergünstigung gewährt wird, steht gemäß 224 ff. ZK im Ermessen der Zollbehörden. Durch die BewilligungZA haben sie im Einzelfall verbindlich geregelt, unter welchen Bedingungen die Steuerschuldnerin vom Zahlungsaufschub Gebrauch machen darf.

31

Die Auflage Nr. 14 ist ein ebenfalls für die Steuerschuldnerin rechtsverbindlicher Teil der BewilligungZA. Es handelt sich um eine Auflage im Sinne von § 120 Abs. 2 Nr. 4 AO. Danach darf ein Verwaltungsakt nach pflichtgemäßem Ermessen verbunden werden mit einer Bestimmung, durch die dem Begünstigten ein Tun, Dulden oder Unterlassen vorgeschrieben wird (Auflage). Eine solche Auflage ist nur bei einem begünstigenden Verwaltungsakt zulässig (Seer, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 124. EL, Oktober 2010, § 120 AO Rn. 18). Die BewilligungZA ist - wie oben dargelegt - ein solcher Verwaltungsakt. Mit der Auflage soll die Steuerschuldnerin dazu angehalten werden, die Änderung von Umständen, die für die Erteilung der Begünstigung wichtig sind, mitzuteilen. Dass es sich hierbei nicht nur um eine unverbindliche Anregung der Zollbehörden handelt, ergibt sich aus ihrem Regelungskontext. Durch die Gewährung des Zahlungsaufschubs wird das Insolvenzrisiko des Zollanmelders für den Aufschubzeitraum auf die Zollbehörde übertragen. Die Vertrauenswürdigkeit und steuerliche Zuverlässigkeit stellt eine Erteilungsvoraussetzung dar (siehe Nr. 19 der BewilligungZA). Es ist für den Fortbestand der Bewilligung daher von entscheidender Bedeutung, dass sich die tatsächlichen Umstände, die zur Bewilligung des Zahlungsaufschubs geführt haben, im Wesentlichen unverändert bleiben. Daher wurde in die BewilligungZA (Nr. 18) insbesondere für den Wegfall der allgemein für die Bewilligung erforderlichen Voraussetzungen ein ausdrücklicher Widerrufsvorbehalt aufgenommen.

32

Die Auflage Nr. 14 wurde durch Bekanntgabe der BewilligungZA, die am 25.01.2000 abgesandt wurde, gegenüber der Steuerschuldnerin gemäß § 124 Abs. 1 S. 1 AO wirksam. Der Widerruf der Bewilligung gemäß § 131 Abs. 2 AO erfolgte erst am 01.08.2013, also nach dem hier maßgeblichen Zeitraum. Die Auflage Nr. 14 ist insbesondere nicht wegen fehlender hinreichender Bestimmtheit nichtig (§ 125 Abs. 1 AO). Zwar heißt es in der Auflage, dass jede Änderung der "sonst für die Bewilligung maßgebenden Verhältnisse schriftlich anzuzeigen" sei. Diese Formulierung lässt die Auflage Nr. 14 indes nicht als im Sinne des § 119 Abs. 1 AO inhaltlich nicht hinreichend bestimmt erscheinen. Denn allen Beteiligten, insbesondere der seit über hundert Jahren im Außenhandel tätigen Steuerschuldnerin, war aufgrund der Kreditfunktion des Zahlungsaufschubs klar, dass dieser von der wirtschaftlichen Stabilität des Unternehmens abhängt, zumal die Steuerforderungen nach Überlassung der Waren nicht gesichert waren. Eine Informationspflicht bestand somit jedenfalls dann, wenn nicht mehr sicher prognostiziert werden konnte, dass Einfuhrabgaben bei Fälligkeit gezahlt werden könnten. Da der Rechtsgrund der Pflichtverletzung ein bestandskräftiger Verwaltungsakt ist, bedarf es nicht der vom Antragsgegner herangezogenen zivilrechtlichen Erwägungen zur Grundlage der Informationspflicht. Entsprechend geht der Hinweis des Antragstellers auf das steuerliche Analogieverbot zulasten des Steuerbürgers und die vom BGH entwickelten Grundsätze zum Bestehen einer zivilrechtlichen Informationspflicht ins Leere.

33

Unbeachtlich ist, dass sich die Informationspflicht nicht unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Der Wortlaut von § 69 S. 1 AO verlangt lediglich eine "Verletzung der ihnen [d.h., den in den §§ 34 f. AO genannten Personen] auferlegten Pflichten". Aus welcher Rechtsquelle diese Verpflichtung fließt, ist danach nicht relevant, solange es sich um eine steuerrechtliche - und nicht etwa um eine handelsrechtliche - Pflicht (zu dieser Abgrenzung BFH, Urt. vom 25.04.1995, VII R 99-100/94, BFH/NV 1996, 97 [100] = juris, Rn. 44; Urt. v. 07.10.1977, III R 131/73, BFHE 123, 398 [402] = juris, Rn. 32) handelt, die auf ein steuerrechtliches Gesetz im materiellen Sinne (Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 11. Auflage 2011, § 4 Rn. 17, 20) rückführbar ist. Einen solchen steuerrechtlichen Bezugspunkt hat die Auflage Nr. 14. Sie ist eine Nebenbestimmung zu der nach Art. 227 Abs. 1 Buchst. b) ZK i. V. m. § 21 Abs. 2 Halbs. 1 UStG gewährten einfuhrumsatzsteuerlichen Zahlungserleichterung. Würde man dagegen den Verstoß gegen eine sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz ergebende steuerrechtliche Pflicht von vornherein von der Haftung ausschließen, hätte dies die für den Senat nicht hinnehmbare Folge, dass ein Geschäftsführer bewusst gegen eine Nebenbestimmung einer durch Verwaltungsakt erteilten steuerlichen Vergünstigung verstoßen könnte, ohne deshalb in Haftung genommen zu werden. Dies widerspräche auch der Konzeption der Abgabenordnung, die Verstöße gegen Auflagen im Zoll- und Verbrauchsteuerbereich sogar als Ordnungswidrigkeit behandelt (§ 379 Abs. 3 AO; hierzu Seer, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 124. EL, Okt. 2010, § 120 AO, Rn. 25).

34

1.3.1.2 Die in der Auflage Nr. 14 zur BewilligungZA niedergelegte Informationspflicht hat der Antragsteller verletzt. Danach hat die Steuerschuldnerin unverzüglich jede Änderung der im Antrag angegebenen oder sonst für die Bewilligung maßgebenden Verhältnisse anzuzeigen. Im Lichte der Funktion des Zahlungsaufschubs als fiskalische Kreditgewährung, bei der sich der kreditgewährende Bund jeder Sicherheit begibt, sind alle Umstände mitzuteilen, aus denen sich Veränderungen der Bonität des Antragstellers ergeben könnten. Anders als Antragsteller meint, kann eine Meldepflicht nicht erst dann bestehen, wenn Insolvenzgründe (Überschuldung, Zahlungsunfähigkeit oder drohender Zahlungsunfähigkeit, §§ 17-19 InsO) vorliegen. Da in einem solchen Fall - ordnungsgemäßes Handeln der Geschäftsführung vorausgesetzt - sogleich Insolvenzantrag gestellt werden müsste, könnte der Ausfall von vorher entstandenen, aber nach Insolvenzantragstellung fällig werdenden Forderungen nicht mehr verhindert werden. Da die Informationspflicht bereits im Vorfeld des Vorliegens von Insolvenzgründen angesiedelt ist, ist nicht von Belang, ob der im Haftungsbescheid angeführte Zahlungsausfall hinsichtlich der Miete für die Hauptniederlassung der Steuerschuldnerin, den der Antragsteller bestreitet, vorgelegen hat. Der jeweils maßgebliche Zeitpunkt für das Vorliegen einer Pflichtverletzung ist das jeweilige Datum der Annahme der Zollanmeldungen (vgl. Art. 67 ZK), hier der 19., 22., 24. bzw. 26.07.2013. Bis zu diesen Zeitpunkten wäre es möglich gewesen, die - vor der Gestellung abgegebenen Zollanmeldungen - zu ändern (siehe Art. 65 S. 1 ZK; Henke, in: Witte/Wolffgang, Lehrbuch des Europäischen Zollrechts, 7. Aufl. 2012, Rn. 333) und von dem bewilligten Zahlungsaufschub keinen Gebrauch zu machen. Daher ist es - anders als der Antragsteller meint - nicht relevant, wann die Waren, deren Einfuhr zum Entstehen der hier in Rede stehenden Einfuhrumsatzsteuer geführt hat, bestellt wurden. Danach bestand eine Informationspflicht hinsichtlich des Abschlusses des Sicherheiten-Poolvertrags (dazu 1.3.1.2.1) sowie hinsichtlich des ab Januar 2013 bestehenden bzw. absehbaren Liquiditätsbedarfs (dazu 1.3.1.2.2). Diesen Informationspflichten ist der Antragsteller bis zuletzt nicht nachgekommen.

35

1.3.1.2.1 Ungeachtet der Frage, ob eine Informationspflicht bereits durch Abschluss des Factoring-Vertrages vom ... 2009 entstanden war, bestand eine aus der Auflage Nr. 14 zur BewilligungZA folgende Informationspflicht hinsichtlich des Abschlusses des Sicherheiten-Poolvertrags vom ... 2012. Durch die umfassende Gewährung von Sicherungsrechten zu Gunsten der finanzierenden Banken wurde deutlich, dass sie - die Banken - die Zahlungsunfähigkeit der Steuerschuldnerin ernsthaft befürchteten. Dies ist vor dem Hintergrund, dass die Steuerschuldnerin in den Jahren 2010 und 2011 einen Verlust von rund € 14 Mio. erwirtschaftet und einen Teil ihrer Kundenforderungen verkauft hatte, auch nachvollziehbar.

36

Neben der umfassenden Sicherheitengewährung für die Banken im Allgemeinen stellte es einen eigenständigen mitteilungspflichtigen Umstand dar, dass die Steuerschuldnerin auch das Konto bei der Bank X verpfändete, über das das Aufschubkonto Nr. -1 ausgeglichen wurde. Dies sind tatsächliche Änderungen der für die Bewilligung maßgebenden Verhältnisse. Da es sich bei dem Zahlungsaufschub um eine "fiskalische Kreditgewährung" (siehe oben 1.3.1.1) handelt, bei der das Insolvenzrisiko zwischen Überlassung der Ware und Fälligkeit beim Bund liegt, ist der Abschluss eines umfassenden Sicherheiten-Poolvertrages, durch den sich die finanzierenden Banken gegen etwaige Zahlungsausfälle absichern, auch für den in gleicher Weise kreditgewährenden Bund ein wichtiger Umstand, der bei seiner Risikoanalyse, ob der Zahlungsaufschub weitergewährt wird, zwingend berücksichtigt werden müsste. Darüber hinaus stellt allein der Umstand, dass das Konto, über das das Aufschubkonto ausgeglichen wurde, verpfändet wurde, einen offenbarungspflichtigen Umstand dar. Dies bedeutet nämlich, dass im Falle der Krise ein Ausgleich des Aufschubkontos nicht möglich sein würde, weil die finanzierenden Banken mit hoher Wahrscheinlichkeit sofort von ihrem Pfandrecht Gebrauch machen würden. Der von der Steuerschuldnerin erteilte Abbuchungsauftrag wäre damit im Krisenfalle voraussichtlich wertlos. Diese Informationspflicht bestand mit Abschluss des Sicherheiten-Poolvertrages durchgängig bis zu den maßgeblichen Einfuhrvorgängen.

37

1.3.1.2.2 Zusätzlich bestand eine Informationspflicht hinsichtlich des ab Januar 2013 offenbar gewordenen Liquiditätsbedarfs, der zu Stundungsverhandlungen mit Lieferanten und der Suche nach einem Unternehmenskäufer führte. Auch wenn es bis zur Insolvenzantragstellung nicht zu Zahlungsausfällen kam, war nach dem eigenen Vortrag des Antragstellers klar, dass bis Sommer 2013 weitere Liquidität nötig sein würde, die nicht allein aus Mitteln der Steuerschuldnerin oder ihrer Gesellschafter gedeckt werden könnte. Die Steuerschuldnerin musste daher Stundungsverhandlungen mit Lieferanten führen. Es handelte sich hierbei um eine prekäre wirtschaftliche Lage. Die Zahlungsunfähigkeit konnte nur dadurch abgewendet werden, dass sich die Lieferanten zu einer Stundung der Kaufpreisforderungen bereit erklären würden und ab Sommer 2013 ein Investor gefunden werden würde. Die Abwendung der Zahlungsunfähigkeit war somit von zwei Bedingungen - Stundungsvereinbarung mit einer kritischen Masse von Lieferanten und Einstieg eines Investors - abhängig, deren Eintritt von der Steuerschuldnerin allein nicht garantiert werden konnte. Dies sind tatsächliche Änderungen der für die Bewilligung maßgebenden Verhältnisse, da sich die Gefahr der Zahlungsunfähigkeit der Steuerschuldnerin durch diese Umstände nochmals erhöhte und somit die reale Gefahr bestand, dass Einfuhrabgaben bei Fälligkeit nicht entrichtet werden würden.

38

1.3.1.3 Der Antragsteller hat diese Informationspflichten schuldhaft verletzt. Die Pflichtwidrigkeit des aufgezeigten Verhaltens des Antragstellers indiziert im Allgemeinen wie auch im Streitfall zumindest die grobe Fahrlässigkeit (vgl. hierzu nur BFH, Urt. v. 13.03.2003, VII R 46/02, juris, Rn. 33). Grob fahrlässig im Sinne des § 69 AO handelt, wer die Sorgfalt, zu der er nach den Umständen und seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und imstande ist, in ungewöhnlich hohem Maße außer Acht lässt (BFH, Beschl. v. 07.03.1995, VII B 172/94, juris, Rn. 13 m. w. N.; Beschl. v. 04.05.1998, I B 116/96, juris, Rn. 17).

39

Es sind keine Gründe ersichtlich, die den Antragsteller exkulpieren könnten. Die grobe Fahrlässigkeit hinsichtlich des Unterlassens, den Antragsgegner nach dem Abschluss des Sicherheiten-Poolvertrages vom ... 2012 über die geänderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu informieren, ist insbesondere nicht dadurch weggefallen, dass die Steuerschuldnerin einen Investor gesucht und dieser in einem LOI die Absicht erklärt hat, bis zum 26.07.2013 € 4 Mio. neues Kapital zu investieren (siehe § 1 Abs. 5 des LOI). Der LOI war nämlich im Hinblick auf diese Verpflichtungen ausdrücklich nicht verbindlich (§ 8 Abs. 1 des LOI). Bis zum Abschluss eines rechtsverbindlichen Vertrages - zu dem es nicht kam - konnte sich somit niemand darauf verlassen, dass der Geldgeber tatsächlich die in Aussicht gestellte Einlage leisten würde. Dies musste auch dem Antragsteller als einem erfahrenen Geschäftsmann bewusst gewesen sein. Nach Kenntnis des Senats ist es bei Unternehmenskäufen im Übrigen keinesfalls fern des Alltäglichen, dass potenzielle Käufer am Tag der geplanten Vertragsunterzeichnung die Verhandlungen noch einmal eröffnen. Eine solche Verhandlungsstrategie liegt insbesondere dann nahe, wenn - wie hier - eine Vertragspartei dringend auf die Zuführung neuen Kapitals angewiesen ist. Solange die wirtschaftliche Schieflage der Steuerschuldnerin durch rechtsverbindlichen Abschluss des Übernahmevertrags nicht behoben war, hätte es dem Antragsteller ohne weiteres einleuchten müssen, dass die wirtschaftliche Situation, insbesondere die umfassend gewährten Sicherheiten zu Gunsten der finanzierenden Banken, wesentliche, für den Fortbestand der BewilligungZA maßgebliche Umstände darstellen. Aus dem Umstand, dass der Insolvenzverwalter einen Verstoß gegen die Insolvenzantragspflicht nicht festgestellt hat, kann - anders als Antragsteller meint - im Umkehrschluss nicht auf eine fehlende Verletzung der Informationspflicht geschlossen werden. Da Letztere bereits im Vorfeld des Vorliegens von Insolvenzgründen greift (siehe oben 1.3.1.2), trifft das Insolvenzgutachten keine Aussagen über die Erfüllung einer zollrechtlichen Informationspflicht. Überdies sind die Informationspflichten nach der Auflage Nr. 14 und die Insolvenzantragspflichten weder inhaltlich noch zeitlich deckungsgleich. Erstere greifen - wie bereits ausgeführt - nicht nur zu einem deutlich früheren Zeitpunkt, sondern auch auf einer niedrigeren Stufe als die Insolvenzantragspflichten, sollen sie doch gerade auch sicherstellen, dass Einfuhrabgaben bei Fälligkeit tatsächlich gezahlt werden können.

40

1.3.1.4 Die Pflichtverletzung war kausal dafür, dass ein Steueranspruch (§ 37 Abs. 1 AO) in Form eines Anspruches auf Einfuhrumsatzsteuer i. H. v. € 224.310,20 nicht erfüllt wurde. Aus dem Schadensersatzcharakter der Haftung nach den §§ 34, 69 AO ergibt sich, dass zwischen der Pflichtverletzung und dem mit dem Haftungsanspruch geltend gemachten Steuerausfall ein adäquater Kausalzusammenhang bestehen muss (BFH, Urt. v. 25.04.1995, VII R 99-100/94, juris, Rn. 27; Urt. v. 26.08.1992, VII R 50/91, juris, Rn. 15). Die Kausalität richtet sich wie bei zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen nach der sog. Adäquanztheorie. Danach sind solche Pflichtverletzungen für den Erfolg ursächlich, die allgemein oder erfahrungsgemäß geeignet sind, diesen Erfolg zu verursachen. Geht es - wie bei der Verletzung der Mitteilungspflicht - um ein Unterlassen, muss ein Hinzudenken der unterbliebenen Handlung zu dem Ergebnis führen, dass der Schaden ohne das Unterlassen nicht eingetreten wäre; die bloße Möglichkeit oder eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Nichteintritts des Erfolgs genügen dagegen nicht (BFH, Urt. v. 25.04.1995, VII R 99-100/94, juris, Rn. 29 m. w. N.).

41

Nach diesen Grundsätzen ist hier der Kausalzusammenhang zu bejahen. Der Antragsgegner hätte nämlich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bei Kenntnis der schwierigen wirtschaftlichen Lage der Steuerschuldnerin entweder die BewilligungZA widerrufen oder ihre Nutzung auch im Hinblick auf die Einfuhrumsatzsteuer von einer Sicherheit abhängig gemacht.

42

1.3.2 Der Antragsteller hat außerdem die Mittelvorsorgepflicht verletzt.

43

1.3.2.1 Die Mittelvorsorgepflicht ist verletzt, wenn der gesetzliche Vertreter ungeachtet der erkennbar entstehenden Steueransprüche für deren spätere Tilgung im Zeitpunkt der Fälligkeit keine Vorsorge trifft. Dabei kann je nach den Umständen des Einzelfalls ein bestimmtes pflichtgemäßes Verhalten auch schon vor der Entstehung der Steuerforderung geboten sein, wenn die Entstehung der Steuer absehbar war (st. Rspr.; siehe nur BFH, Beschl. v. 25.04.2013, VII B 245/12, juris Rn. 17; Urt. v. 11.03.2004, VII R 19/02, juris, Rn. 14 m. w. N.; Urt. v. 09.01.1997, VII R 51/96, juris, Rn. 18; siehe auch FG Düsseldorf, Beschl. v. 05.07.2002, 4 V 7185/01 A, juris, Rn. 61). Dies gilt insbesondere für die Bewilligung eines fortlaufenden Zahlungsaufschubs. Dabei haben alle Steuerpflichtigen, ohne dass es einer besonderen Auflage bedarf, insbesondere darauf zu achten, dass die aufgeschobenen Zahlungsbeträge bei Fälligkeit entrichtet werden können (BFH, Urt. v. 12.03.1974, VII R 136/71, juris, Rn. 20; FG Bremen, Urt. v. 17.03.1992, II 135/86 K, juris Rn. 44; siehe auch BFH, Urt. v. 04.03.1986, VII R 38/81, juris, Rn. 15).

44

1.3.2.2 Nach diesen Maßstäben hat der Antragsteller gegen die Mittelvorsorgepflicht verstoßen. Für die sechs Einfuhren, die am 24. und 26.07.2013 abgefertigt wurden, liegt ein Verstoß gegen die Mittelvorsorgepflicht auf der Hand. Sie erfolgten nämlich, nachdem der Antragsteller am 22.07.2013 Kenntnis davon erlangt hatte, dass die Verhandlungen mit dem potenziellen Investor endgültig gescheitert waren. Da die mit den Lieferanten vereinbarten Stundungen nur bis zum Sommer 2013 reichten und sich die finanzierenden Banken mit dem potenziellen Investor auf einen Forderungsverzicht i. H. v. 75 % geeinigt hatten (§ 1 Abs. 4 des LOI), musste dem Antragsteller klar gewesen sein, dass mit dem Scheitern des Unternehmensverkaufs die Kündigung der Bankkredite wahrscheinlich sein würde und damit die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens bevorstand. Gleichwohl hat er nichts unternommen, um die Entstehung der Einfuhrumsatzsteuer zu verhindern. Hieran ändert nichts, dass die Zollanmeldungen bereits am 23. und 24.07.2013 abgegeben wurden. Bis zur Annahme der Zollanmeldung (siehe oben 1.3.1.2) hätte der Antragsteller seine Zollabteilung bzw. den Logistikdienstleister anweisen können, die Zollanmeldungen hinsichtlich des gewählten Zollverfahrens oder der Inanspruchnahme des Aufschubkontos zu ändern.

45

Auch hinsichtlich der vier Abfertigungen zum freien Verkehr vom 19. und 22.07.2013 liegt eine Pflichtverletzung vor. Aus dem Gesagten wird deutlich, dass die Fähigkeit der Steuerschuldnerin, die Einfuhrumsatzsteuer zu begleichen, davon abhing, dass der Unternehmenskaufvertrag zu Stande kommen würde. Da der Antragsteller an den Vertragsverhandlungen nicht beteiligt war, hat er die Erfüllung der Steuerschuld von einem Umstand abhängig gemacht, den er selbst nicht kontrollieren konnte. Damit verletzt er die Pflichten der ordnungsgemäßen Geschäftsführung, weil er ein Risiko eingegangen ist, dessen Größe er nicht abschätzen und auf dessen Realisierung er keinen Einfluss nehmen konnte. Es wäre auch möglich und zumutbar gewesen, die Abfertigungen zum freien Verkehr um wenige Tage bis zum erfolgreichen Abschluss des Unternehmenskaufvertrages zu verschieben, etwa durch Eröffnung eines Versandverfahrens oder durch Überführung der Waren in das Zolllager der Steuerschuldnerin.

46

1.3.2.3 Der Antragsteller hat die Mittelvorsorgepflicht schuldhaft verletzt. Die Indizwirkung der Pflichtverletzung für dessen schuldhafte Begehung (siehe oben 1.3.1.3) greift auch hier. Für die insgesamt sechs Abfertigungen vom 24. und 26.07.2013 sind entlastende Umstände nicht ersichtlich. Auf die Übernahme des Unternehmens und die damit verbundene Zuführung neuer Liquidität konnte der Antragsteller schon deshalb nicht mehr bauen, weil er bereits vorher erfahren hatte, dass es hierzu nicht kommen würde. Auch in Bezug auf die vier Abfertigungen zum freien Verkehr vom 19. und 22.07.2013 lässt die Erwartung der für den 22.07.2013 vorbereiteten Vertragsunterzeichnung die grobe Fahrlässigkeit hinsichtlich der fehlenden Vorsorge für die Begleichung der durch diese Einfuhren entstandenen Steuerschulden nicht entfallen. Zwar erhielt der Antragsteller erst am 22.07.2013 gegen 23:00 Uhr Kenntnis davon, dass die für den Vortag geplante Vertragsunterzeichnung endgültig nicht zu Stande kommen würde. Zu diesem Zeitpunkt waren die eingeführten Waren bereits überlassen worden (Die letzte Überlassung erfolgte am 22.07.2013, 14:49 Uhr). Wie soeben dargelegt, konnte der Antragsteller jedoch vor der Unterzeichnung des Übernahmevertrages nicht darauf vertrauen, dass die dringend benötigte neue Liquidität der Steuerschuldnerin tatsächlich zugeführt werden würde. Vorsorge für die Begleichung der Steuerschulden für den Fall, dass der Übernahmevertrag nicht zu Stande kommen würde, hat er nicht getroffen. Die alternative Liquiditätsplanung (...) sah zwar geringere Liquiditätsabflüsse insbesondere durch einen geringeren Wareneinkauf vor, ging jedoch gleichfalls von einer Fortführung der Stundungen aus. Angesichts der extrem angespannten Finanzlage musste der Antragsteller damit rechnen, dass die finanzierenden Banken nach Scheitern einer Übernahme die bestehenden Kreditlinien kündigen und die Steuerschuldnerin damit zahlungsunfähig werden würde.

47

1.3.2.4 Die fehlende Mittelvorsorge war adäquat kausal für das Entstehen der Einfuhrumsatzsteuerschuld. Zwar wurde die Unmöglichkeit der Begleichung der Steuerschulden durch das Scheitern der Unternehmensübernahme mitverursacht. Die Abfertigung der Waren zum freien Verkehr, ohne dass der Antragsteller sicher sein konnte, dass es zur Unternehmensübernahme kommen würde, war gleichwohl adäquat kausal. Da ein Scheitern von Unternehmensübernahmen im letzten Moment nicht unüblich ist, war die Abfertigung vor Vertragsunterzeichnung geeignet, den späteren Zahlungsausfall herbeizuführen. Erst recht gilt dies für die Abfertigung der Waren nach Kenntnis des Antragstellers vom Scheitern der Vertragsverhandlungen.

48

1.4 Die Haftung des Antragstellers ist der Höhe nach nicht auf einen bestimmten Anteil an der für die Befriedigung aller Gläubiger bei der Steuerschuldnerin vorhandenen Summe begrenzt. Bei der Haftung für Umsatzsteuerrückstände hat der BFH zwar den Ansatz der anteiligen Tilgung der Umsatzsteuer entwickelt, wonach die Berechnung der Haftungssumme im Fall der Geschäftsführerhaftung jedenfalls für Umsatzsteuerrückstände bei Nichtvorhandensein ausreichender Zahlungsmittel zur Tilgung sämtlicher Verbindlichkeiten zeitraumbezogen und überschlägig vorzunehmen ist (siehe nur BFH, Beschl. v. 31.03.2000, VII B 187/99, juris, Rn. 17, 20; Loose, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 140. EL, Mai 2015, § 69 AO Rn. 34, jeweils m. w. N. aus der Rspr.). Diese Grundsätze sind jedoch bei Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme des Zahlungsaufschubs für Einfuhrabgaben, namentlich für die im vorliegenden Fall maßgebliche Nichteinhaltung des Fälligkeitstermins bei aufgeschobenen Einfuhrabgaben, nicht anwendbar. Der Grundsatz der anteiligen Tilgung gilt nicht, weil der Abgabenschuldner durch die Freigabe der Ware vor Begleichung der Abgabenschuld ungesicherten Kredit erhält. Gleichsam als Gegenleistung erwirbt die Zollverwaltung auf der Haftungsebene ein Recht auf vorrangige Befriedigung (grundlegend FG Bremen, Urt. v. 17.03.1992, II 135/86 K, juris, Rn. 48; hieran anschließend schon FG Hamburg, Beschl. v. 27.03.2015, 4 V 210/14, S. 19 BA; Urt. v. 22.05.2015, 4 K 208/14, S. 19; so i. E. auch FG Düsseldorf, Beschl. v. 05.07.2002, 4 V 7185/01 A, juris, Rn. 69).

49

Für die Ermittlung der Haftungshöhe ist ebenfalls nicht von Belang, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Steuerschuldnerin die hier geltend gemachte Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer geltend gemacht hat oder gelten machen könnte. Zwar wäre dies gemäß § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UStG in der ab dem 30.06.2013 geltenden Fassung (Gesetz vom 26.06.2013, BGBl. I 1809) bereits mit der Entstehung der (Einfuhr-)Umsatzsteuer (Stadie, UStG-Kommentar, 3. Aufl. 2015, § 15 UStG Rn. 313) möglich. Es ist jedoch keine Gesamtbetrachtung aller steuerlichen Verhältnisse anzustellen; vielmehr kommt es nur auf den Ausfall der konkreten Steuer an (FG Hamburg, Urt. v. 22.05.2015, 4 K 208/14, S. 25 f.; BFH, Urt. v. 26.09.2012, VII R 3/11, juris, Rn. 25 f. zu § 71 AO; FG Düsseldorf, Beschl. v. 05.07.2002, 4 V 7185/01 A (H), juris, Rn. 77; siehe auch die Nachweise bei Boeker, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 232. EL, April 2015, § 69 AO, Rn. 32b). Es besteht kein Grund für die Annahme, der Gesetzgeber habe der Steuerverwaltung in Bezug auf die Inhaftungnahme die Pflicht auferlegen wollen, zu berechnen, was der Fiskus hinsichtlich der die Einfuhrumsatzsteuer auslösenden Einfuhren insgesamt an (Einfuhr-) Umsatzsteuer eingenommen hat und, falls dieser Betrag die Summe übersteigt, die dem Fiskus nach dem finanzwirtschaftlichen Ziel der Umsatzsteuer an sich hätte zufließen sollen, diesen Mehrbetrag dem Haftenden gutzuschreiben (BFH, Urt. v. 21.02.1989, VII R 165/85, juris, Rn. 27; siehe auch Urt. v. 05.06.1982, VII R 57/82, juris, Rn. 14 f.) Anderenfalls hinge die Inanspruchnahme des Haftungsschuldners davon ab, ob die Steuerschuldnerin die entstandene Einfuhrumsatzsteuer beim Vorsteuerabzug geltend macht oder - bei Nichtzahlung der Steuer - die Umsatzsteuervoranmeldung gemäß § 17 Abs. 3 UStG analog (Stadie, UStG-Kommentar, 3. Aufl. 2015, § 15 UStG Rn. 313; ders., in: Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, 161. EL, März 2015, § 15 Rn. 790) berichtigt.

50

1.5 Es bestehen schließlich auch keine ernstlichen Zweifel an der rechtmäßigen Ausübung des Entschließungs- und Auswahlermessens. Der Antragsgegner hat das ihm gemäß § 191 Abs. 1 S. 1 AO eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Der beschließende Senat hat insoweit nach § 102 S. 1 FGO nur zu prüfen, ob die in § 5 AO festgelegten Grenzen des Ermessens über- oder unterschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist.

51

1.5.1 Der Antragsgegner hat das Entschließungsermessen ermessensfehlerfrei ausgeübt. Wegen der dem Steuergläubiger im öffentlichen Interesse obliegenden Aufgabe, die geschuldeten Abgaben nach Möglichkeit zu erheben, kann der Erlass eines Haftungsbescheids bei Uneinbringbarkeit der Steuerschuld nur unter ganz außergewöhnlichen Umständen ermessensfehlerhaft sein. Deshalb ist das Entschließungsermessen - wie auch im Streitfall - mit dem Hinweis auf die Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen die Steuerschuldnerin und die damit verbundene Unmöglichkeit einer Einziehung der rückständigen Steuer durch Vollstreckungsmaßnahmen gegen die Steuerschuldnerin jedenfalls bei Nichtvorliegen außergewöhnlicher Umstände - die hier nicht ersichtlich sind - regelmäßig ausreichend begründet (vgl. BFH, Urt. v. 13.06.1997, VII R 96/96, juris, Rn. 15; Urt. v. 29.09.1987, VII R 54/84, juris, Rn. 14).

52

1.5.2 Ebenso wenig bestehen ernstliche Zweifel an der ordnungsgemäßen Ausübung des Auswahlermessens, d. h. der Entscheidung, warum der Haftungsschuldner anstatt des Steuerschuldners oder anstelle anderer ebenfalls für die Haftung in Betracht kommender Personen in Anspruch genommen wird (BFH, Urt. v. 11.03.2004, VII R 52/02, juris, Rn. 16), durch den Antragsgegner. Hinsichtlich der Inanspruchnahme der Steuerschuldnerin kann auf die obigen (1.5.1) Ausführungen verwiesen werden, nach denen die geringen Aussichten, die Steuerschulden gegenüber der Steuerschuldnerin zu realisieren, es rechtfertigen, vorrangig den (oder die) Haftungsschuldner in Anspruch zu nehmen. Bezüglich der Auswahl der Haftungsschuldner sind keine Ermessenfehler ersichtlich. Der Antragsgegner hat alle drei Geschäftsführer der Komplementär-GmbH gleichermaßen als Gesamtschuldner in Anspruch genommen. Dass der Prokurist der Steuerschuldnerin, Herr A-1, nicht in Anspruch genommen wurde, erklärt sich rechtsfehlerfrei daraus, dass er ausweislich seines Anstellungsvertrags keine steuerlichen Pflichten für die Steuerschuldnerin wahrgenommen hat (...).

53

Inwieweit Aussichten bestehen, dass der Antragsgegner im Rahmen des Insolvenzverfahrens wenigstens eine quotenmäßige Befriedigung der Einfuhrumsatzsteuerschulden erlangen wird, kann dahinstehen. Diese Möglichkeit hindert nicht den Erlass eines Haftungsbescheids, sondern verpflichtet das Finanzamt lediglich dazu, im Zeitpunkt des Eingangs der Quote den Haftungsanspruch entsprechend zu ermäßigen (vgl. FG Hamburg, Urt. v. 25.10.1993, I 8/89, juris, Rn. 18).

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2. Auch eine Aussetzung der Vollziehung nach § 69 Abs. 2 S. 2 Alt. 2 FGO kommt nicht in Betracht. Dass Vorliegen einer unbilligen Härte hat der Antragsteller nämlich nicht ansatzweise substantiiert dargelegt. Es ist nicht ersichtlich, welche laufenden Finanzierungen und "grundbuchrechtlich gesicherte Darlehen" durch die Inanspruchnahme gefährdet sein sollen. Ob der Antragsteller gegen die Inhaftungnahme versichert ist, ist allein seine Angelegenheit. Dem Antragsgegner kann das Risiko, dass der Versicherer seine Einstandspflicht bestreiten sollte, jedenfalls nicht übertragen werden.

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3. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 135 Abs. 1, 128 Abs. 3 i. V. m. 115 Abs. 2 FGO.

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