Urteil vom Finanzgericht Hamburg (3. Senat) - 3 K 58/18

Tatbestand

1

Streitig ist, ob Kinder- und Betreuungsfreibeträge von der Lebensgefährtin des Klägers auf ihn zu übertragen sind.

2

Der Kläger lebt mit Frau A (im Folgenden: A) in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft. Sie haben zwei gemeinsame Kinder, geboren am ... und am ..., die im Haushalt der Eltern gemeldet sind. A erhielt im Streitjahr 2016 als teilzeitbeschäftigte ... einen Bruttoarbeitslohn in Höhe von 19.677 €.

3

In seiner am 30.05.2017 beim Beklagten eingereichten Einkommensteuererklärung für 2016 erklärte der Kläger einen Gewinn aus selbständiger Arbeit als ... in Höhe von 72.510 € und beantragte unter Hinweis auf die von A erteilte Zustimmung und darauf, dass A ihrer Unterhaltsverpflichtung nicht zu mindestens 75 % nachkomme, die Übertragung der Kinder- und Betreuungsfreibeträge auf sich.

4

Im Einkommensteuerbescheid vom 22.08.2017 berücksichtigte der Beklagte Freibeträge für zwei Kinder lediglich in Höhe von 7.356 € und setzte die Einkommen-steuer auf 13.679 € fest.

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Hiergegen legte der Kläger am 29.08.2017 Einspruch ein und trug vor, die Kinderfreibeträge seien in voller Höhe bei ihm, dem Kläger, zu berücksichtigen. A komme ihrer Unterhaltspflicht aufgrund ihrer Tätigkeit als ... nicht zu 75 % nach. Allein er, der Kläger, sei aufgrund seiner persönlichen Umstände in der Lage, diese Unterhaltsleistungen zu erbringen, da er ganztägig häuslich anwesend sei.

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Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 20.02.2018 als unbegründet zurück. Der für die volle Übertragung der Kinderfreibeträge auf den Kläger erforderliche Nachweis, dass A ihren Unterhaltsverpflichtungen nicht zu 75 % nachkomme, sei nicht erbracht. Da sich die Kinder in der Obhut beider Eltern befänden, kämen beide Elternteile ihrer Unterhaltsverpflichtung durch die Pflege und Erziehung der Kinder nach.

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Der Kläger hat am 20.03.2018 Klage erhoben. Er trägt vor, dass bei ihm die vollen Kinderfreibeträge zu berücksichtigen seien, da A ihren Unterhaltspflichten zu weniger als 25 % nachgekommen sei und habe nachkommen können, während er diese zu 75 % erfüllt habe. Er habe die Kinderbetreuung im Hause bestritten und die gesamten Kosten für die Kinder getragen. A habe lediglich über ein Einkommen von weniger als 1.000 € monatlich verfügt.

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Der Kläger beantragt,
den Einkommensteuerbescheid für 2016 vom 22.08.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.02.2018 dahingehend zu ändern, dass weitere Kinderfreibeträge in Höhe von 4.716 € sowie weitere Betreuungsfreibeträge in Höhe von 2.640 € berücksichtigt werden.

9

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

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Der Beklagte nimmt zur Begründung auf die Einspruchsentscheidung Bezug.

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Der Senat hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 17.07.2018 der Einzelrichterin übertragen.

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Auf die Sitzungsniederschrift der mündlichen Verhandlung vom 16.10.2018 wird Bezug genommen (Finanzgerichtsakten -FGA- Bl. 62 ff.).

...

Entscheidungsgründe

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Die Entscheidung ergeht gemäß § 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) durch die Einzelrichterin.

14

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

I.

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Die auf die Berücksichtigung weiterer Kinderfreibeträge gerichtete Klage ist als Anfechtungsklage gegen den Einkommensteuerbescheid für 2016 statthaft (§ 40 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. FGO).

16

Entgegen einer in der Literatur vertretenen Auffassung (vgl. Loschelder in Schmidt, EStG, 37. Aufl. 2018, § 32 Rz. 91; Grönke-Reimann in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 32 EStG Rz. 189) handelt es sich bei der in § 32 Abs. 6 Sätze 6 und 8 des Einkommensteuergesetzes (EStG) vorgesehenen Übertragung von Kinder- und Betreuungsfreibeträgen nicht um einen eigenständigen Verwaltungsakt, dessen Erlass im Rahmen einer Verpflichtungsklage nach § 40 Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. FGO zu beantragen wäre, sondern lediglich um eine nach § 157 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) nicht selbständig anfechtbare Besteuerungsgrundlage bei der Steuerfestsetzung (so auch Selder in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 32 EStG Rz. 142), deren Änderung im Wege der Anfechtung des Steuerbescheides zu verfolgen ist (vgl. BFH im Urteil vom 15.06.2016 III R 18/15, BStBl II 2016, 893, ohne Begründung).

II.

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Der angefochtene Einkommensteuerbescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Beklagte hat die steuermindernde Berücksichtigung weiterer Kinder- und Betreuungsfreibeträge zu Recht abgelehnt.

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1. Die Berücksichtigung der A zustehenden Kinderfreibeträge für die beiden Kinder bei dem Kläger kommt nicht in Betracht.

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a) aa) Nach § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG i. d. F. vom 16.07.2015 (BGBl I 2015, 1202) wird bei der Veranlagung zur Einkommensteuer für jedes zu berücksichtigende Kind des Steuerpflichtigen ein Freibetrag von 2.358 € für das sächliche Existenzminimum des Kindes (Kinderfreibetrag) vom Einkommen abgezogen. Abweichend hiervon wird nach Satz 6 der Vorschrift bei einem unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Elternpaar, bei dem die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht vorliegen, auf Antrag eines Elternteils der dem anderen Elternteil zustehende Kinderfreibetrag auf ihn übertragen, wenn er, nicht jedoch der andere Elternteil, seiner Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind für das Kalenderjahr im Wesentlichen nachkommt oder der andere Elternteil mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist.

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bb) Die Übertragung des Kinderfreibetrags von dem einen Elternteil auf den anderen Teil setzt demnach voraus, dass der Elternteil, dessen Kinderfreibetrag auf den anderen übertragen werden soll, konkret unterhaltspflichtig ist und dieser Unterhaltspflicht nur ungenügend nachkommt. Maßgebend für die Frage, in welchem Maß die Unterhaltspflicht erfüllt wird, ist nicht der (abstrakte) Unterhaltsbedarf des Kindes, sondern die konkrete Höhe der Unterhaltsverpflichtung der Eltern, die sich in erster Linie aus gerichtlichen Titeln oder sonstigen Vereinbarungen ergibt und im Übrigen nach § 1603 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zu ermitteln ist (BFH-Beschluss vom 08.12.2009 III B 227/08, BFH/NV 2010, 639).

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cc) Für den Unterhalt, der den gesamten Lebensbedarf umfasst (§ 1610 Abs. 2 BGB), haften Eltern als gleich nahe Verwandte ihren Kindern anteilig nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen (§ 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB). Nach § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB erfüllt der Elternteil, der ein minderjähriges unverheiratetes Kind betreut, seine Verpflichtung, zum Unterhalt des Kindes beizutragen, in der Regel durch dessen Pflege und Erziehung (vgl. BGH-Urteil vom 28.02.2007 XII ZR 161/04, NJW 2007, 1882; BFH-Urteil vom 15.06.2016 III R 18/15, BStBl II 2016, 893). Der andere, nicht betreuende Elternteil hat den Unterhalt durch Entrichtung einer Geldrente zu gewähren (§ 1612 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die gesetzliche Regelung geht mithin davon aus, dass ein Elternteil das minderjährige Kind betreut und versorgt und der andere Elternteil die hierfür erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen hat (BGH-Urteil vom 12.03.2014 XII ZB 234/13, NJW 2014, 1958).

22

dd) Ehegatten, die beide berufstätig sind, haben sich gemeinsam um die Kinder zu kümmern und sich am Barunterhalt der Familie im Verhältnis der beiderseitigen Einkünfte zu beteiligen (Brudermüller in Palandt, BGB, 77. Aufl. 2018, § 1360 Rz. 10 f.). Ebenso haben getrennt lebende Eltern, die sich in der Betreuung des Kindes abwechseln, für den Barunterhalt anteilig aufzukommen (BGH-Urteil vom 12.03.2014 XII ZB 234/13, NJW 2014, 1958).

23

ee) Der Betreuungsunterhalt ist auch dann gleichwertig zum Barunterhalt, wenn der Sorgeberechtigte erwerbstätig ist und sich deshalb bei der Versorgung des Kindes der Hilfe Dritter bedient. § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB ist wegen Geringfügigkeit der Betreuungsleistungen erst dann nicht mehr anwendbar, wenn die Pflege und Erziehung vollständig einem Dritten überlassen wird (Brudermüller in Palandt, BGB, 77. Aufl. 2018, § 1606 Rz. 8).

24

ff) Seiner Barunterhaltspflicht kommt ein Elternteil im Sinne des § 32 Abs. 6 Satz 6 EStG "im Wesentlichen" nach, wenn er sie mindestens zu 75 % erfüllt (BFH-Urteil vom 12.04.2000 VI R 148/97, BFH/NV 2000, 1194).

25

gg) Eine Übertragung des Kinderfreibetrags ist ausgeschlossen, wenn der andere Elternteil seiner Unterhaltspflicht nach Maßgabe seiner Leistungsfähigkeit nachkommt, selbst wenn sein Beitrag zum Unterhaltsbedarf verhältnismäßig geringfügig ist (BFH-Urteil vom 12.04.2000 VI R 148/97, BFH/NV 2000, 1194; Seiler in Kirchhof, EStG, 17. Aufl. 2018, § 32 Rz. 28).

26

b) Nach diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen für eine Übertragung der Kinderfreibeträge von A auf den Kläger nicht vor, weil der Kläger nicht nachgewiesen hat, dass A ihrer Unterhaltsverpflichtung gegenüber den beiden Kindern im Streitjahr im Wesentlichen nicht nachgekommen wäre.

27

aa) Dabei ist für die Beurteilung der Wesentlichkeit nicht darauf abzustellen, zu welchem Anteil A den gesamten Unterhaltsbedarf der Kinder befriedigt hat, sondern darauf, ob sie die sie selbst treffende Unterhaltspflicht im Wesentlichen erfüllt hat (s. oben a. bb und gg.). Auf die der zivilrechtlichen Regelung zugrunde liegende Vorstellung, dass ein Elternteil das minderjährige Kind betreut und versorgt und der andere Elternteil die hierfür erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen hat, kann nicht zurückgegriffen werden, weil der Kläger und A im Streitfall mit den Kindern in einem gemeinsamen Haushalt leben und sie, wenn auch möglicherweise mit unterschiedlichen Zeitanteilen, gemeinsam betreuen. Vielmehr sind, auch wenn der Kläger und A nicht verheiratet sind und zusammen leben, vergleichbare Maßstäbe wie bei einer Ehe bzw. wie bei getrennt lebenden Eltern, die das Kind abwechselnd betreuen, anzuwenden (s. hierzu oben a. dd.).

28

bb) Danach war A wegen ihres im Vergleich zum Einkommen des Klägers deutlich geringeren Verdienstes im Streitjahr auch nur entsprechend anteilig verpflichtet, zum Barunterhalt der Kinder beizutragen. Dass sie dieser Verpflichtung nicht mindestens zu 75 % nachgekommen wäre, hat der Kläger nicht vorgetragen und unter Beweis gestellt.

29

cc) In Bezug auf die Pflicht zur Pflege und Erziehung der Kinder, die nicht in derselben Weise quantifiziert werden kann wie die Barunterhaltspflicht, ist davon auszugehen, dass A diese Pflicht erfüllt hat. Es ist kaum denkbar und wird vom Kläger auch nicht behauptet, dass A sich in der Zeit, in der sie sich nicht wegen ihrer Berufstätigkeit außer Haus aufgehalten hat, also nicht nur in den Ferien und an den Wochenenden und Feiertagen, sondern auch während des überwiegenden Teil jedes Werktages, in keiner Weise um die Kinder gekümmert hätte. Die bloße Tatsache einer Erwerbstätigkeit hindert, wie ausgeführt (s. oben a. ee.), für sich genommen die Annahme einer ausreichenden Betreuungsleistung nicht. Ebenso wenig wird die durch A erbrachte Betreuungsleistung durch den zeitlichen Umfang beeinflusst bzw. gemindert, in dem der Kläger sich um die Kinder gekümmert hat. Entscheidend ist, dass der Kläger und A die Kinder gemeinsam, je nach der ihnen zur Verfügung stehenden Zeit, betreut haben und A die sie treffende Unterhaltspflicht daher im Wesentlichen erfüllt hat.

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2. Auch weitere Freibeträge für die Betreuung, Erziehung und Ausbildung der beiden Kinder sind nicht auf den Kläger zu übertragen.

31

a) Nach § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG i. d. F. vom 16.07.2015 wird bei der Veranlagung zur Einkommensteuer für jedes zu berücksichtigende Kind des Steuerpflichtigen ein Freibetrag von 1.320 € für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf des Kindes (BEA-Freibetrag) vom Einkommen abgezogen. Gemäß Satz 8 der Vorschrift wird bei minderjährigen Kindern der dem Elternteil, in dessen Wohnung das Kind nicht gemeldet ist, zustehende BEA-Freibetrag auf Antrag des anderen Elternteils auf diesen übertragen, wenn bei dem Elternpaar - wie im Streitfall - die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht vorliegen. Die Übertragung ist danach ausgeschlossen, wenn das Kind bei beiden Elternteilen gemeldet ist (Seiler in Kirchhof, EStG, 17. Aufl. 2018, § 32 Rz. 29; Debus in Frotscher, EStG, § 32 Rz. 133).

32

b) Zum Teil wird vertreten, dass die Übertragung des Kinderfreibetrages nach § 32 Abs. 6 Satz 6 EStG a. F. die Übertragung des BEA-Freibetrages nach Satz 8 in der Regel (so Seiler in Kirchhof, EStG, 17. Aufl. 2018, § 32 Rz. 29) oder stets (so BMF-Schreiben vom 28.06.2013, Tz. 5, BStBl I 2013, 845) nach sich ziehe. Nach anderer Auffassung kann der BEA-Freibetrag wegen der unterschiedlichen gesetzlichen Voraussetzungen unabhängig und abweichend vom Kinderfreibetrag übertragen werden (vgl. BT-Drs. 14/6160, 12; Selder in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 32 EStG 134; Loschelder in Schmidt, EStG, 37. Aufl. 2018, § 32 Rz. 83).

33

c) Diese Frage bedarf im Streitfall keiner Entscheidung, da weder die Voraussetzungen für die Übertragung der Kinderfreibeträge vorliegen (s. oben zu 1.) noch diejenigen für die Übertragung der BEA-Freibeträge, weil die Kinder des Klägers in der gemeinsamen Wohnung beider Eltern gemeldet sind.

III.

34

1. A war zu dem hiesigen Verfahren nicht beizuladen. Ein Fall der notwendigen Beiladung nach § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO liegt nicht vor, wenn der klagende Elternteil die Berücksichtigung des eigentlich dem anderen Elternteil zustehenden Kinderfreibetrags bei seiner eigenen Veranlagung verlangt (BFH-Beschluss vom 04.07.2001 VI B 301/98, BStBl II 2001, 729). Für die Übertragung des BEA-Freibetrags gilt nichts anderes (BFH-Urteil vom 08.11.2017 III R 2/16, BStBl II 2018, 266).

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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

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3. Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor.

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