Urteil vom Finanzgericht Hamburg (3. Senat) - 3 K 140/19

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Festsetzung des besonderen Kirchgeldes.

2

Die Kläger sind verheiratet und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger zu 1. (im Folgenden: Kläger) erzielte in den Streitjahren 2015 und 2016 Einkünfte aus selbständiger Arbeit als ... Die Klägerin zu 2. (im Folgenden: Klägerin) erzielte in den Streitjahren keine Einkünfte. Das zu versteuernde Einkommen der Kläger nach Abzug des Kinderfreibetrages für das gemeinsame Kind belief sich in 2015 auf ... € und in 2016 auf ... €.

3

Der Kläger trat am ... Oktober 2015 aus der evangelisch-lutherischen Kirche aus. Die Klägerin war in den Streitjahren durchgehend Mitglied der evangelisch-lutherischen Kirche.

4

Nachdem der Beklagte die Kirchensteuer für 2015 mit Bescheid vom 4. Mai 2017 zunächst für das ganze Jahr berechnet und auf ... € festgesetzt hatte, setzte er die Kirchensteuer mit geändertem Bescheid vom 17. August 2017 auf ... € herab. Dieser Betrag setzte sich aus der Kirchensteuer für die Dauer von zehn Monaten in Höhe von ... € (3 % von ... € zzgl. 9 % von ... € Kapitalertragsteuer) und einem besonderem Kirchgeld gemäß Kirchgeldtabelle für die Zeit von zwei Monaten nach dem Kirchenaustritt des Klägers in Höhe von ... € zusammen.

5

Mit Bescheid vom 4. Mai 2018 setzte der Beklagte die Kirchensteuer für 2016 - ohne Berücksichtigung eines besonderen Kirchgelds - auf ... € fest.

6

Mit Schreiben vom 30. August 2017 legten die Kläger Einspruch gegen die Festsetzung der Kirchensteuer im Hinblick auf die Berücksichtigung des besonderen Kirchgelds für 2015 ein und mit Schreiben vom 22. Mai 2018 gegen die Festsetzung der Kirchensteuer für 2016. Zur Begründung trugen die Kläger vor, dass nach der Rechtsprechung des BVerfG die Toleranz, die Ehegatten in glaubensverschiedener Ehe einander schuldeten, nicht dazu führen dürfe, rechtliche Bindungen eines Ehegatten gegenüber Dritten, insbesondere den Kirchen und sonstigen Religionsgemeinschaften, zu schaffen. Ein Anspruch einer Religionsgemeinschaft auf Zahlung eines besonderen Kirchgeldes lasse sich auch nicht aus der ehelichen Unterhaltsverpflichtung gemäß § 1360a des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) herleiten; diese Bestimmung stelle keine Eingriffs- oder Anspruchsnorm für Dritte dar. Dass ein nicht mehr der Glaubensgemeinschaft angehörender Ehepartner gezwungen werde, Zahlungen aus seinem Vermögen für die Glaubensgemeinschaft zu leisten, beinhalte einen unzulässigen Grundrechtseingriff. Schließlich stelle die Gewährung von Kirchenasyl durch die evangelisch-lutherische Kirche einen nachhaltigen Verstoß gegen die Pflicht zur Rechtstreue dar mit der Folge, dass die Kirche ihr Recht zum Kirchensteuereinzug verwirkt habe. Im Ergebnis sei die Kirchensteuer der Klägerin nach ihrem Einkommen zu bemessen und damit auf 0 € festzusetzen. Hinsichtlich der Kirchensteuerfestsetzung für 2016 wiesen die Kläger auf den Kirchenaustritt des Klägers hin.

7

Mit Einspruchsentscheidung vom 27. März 2019 verband der Beklagte die Einsprüche zur gemeinsamen Entscheidung und wies sie als unbegründet zurück. Die evangelisch-lutherische Kirche dürfe Kirchensteuer in der Form des besonderen Kirchgeldes erheben. Dieses werde nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in Anknüpfung an den Lebensführungsaufwand bemessen, und zwar nach Tabellenstufen des gemeinsam zu versteuernden Einkommens der Eheleute. Die Verfassungsmäßigkeit des besonderen, gestaffelten Kirchgelds für zusammenveranlagte Kirchenangehörige in glaubensverschiedener Ehe werde in ständiger Rechtsprechung des BVerfG und des BFH bejaht. Unabhängig davon sei die Finanzverwaltung an das geltende Recht gebunden.

8

Die Kläger haben am 29. April 2019 Klage erhoben.

9

Mit Bescheid vom 12. Juni 2019 hat der Beklagte die Kirchensteuerfestsetzung für 2016 vom 4. Mai 2018 dahingehend geändert, dass nur noch Kirchensteuer gegenüber der Klägerin in der Form des besonderen Kirchgelds in Höhe von 3.600 € festgesetzt wurde.

10

Die Kläger tragen vor, die kirchenrechtlichen Vorschriften über das besondere Kirchgeld verstießen gegen das im Grundgesetz (GG) angeordnete Verhältnis von Staat und Kirche und Staat und Einzelnem sowie gegen grundgesetzliche Schutzrechte.

11

Aus der in Art. 4 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3, Art. 33 Abs. 3 GG und Art. 136, 137 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) i.V.m. Art. 140 GG festgelegten Pflicht des Staates zur religiösen und konfessionellen Neutralität folge, dass der Staat einer Religionsgesellschaft keine Hoheitsbefugnisse gegenüber Personen verleihen dürfe, die ihr nicht angehörten. Eine derartige unzulässige Verleihung von Hoheitsbefugnissen liege aber vor, wenn der Staat den Religionsgemeinschaften das Recht verleihe, ihnen nicht angehörende Personen zur Kirchensteuer heranzuziehen. Ebenso sei es mit dem GG unvereinbar, einen Steuerpflichtigen, der einer steuerberechtigten Kirche oder Religionsgemeinschaft nicht angehöre, gesetzlich zu verpflichten, an diese Kirche oder Religionsgemeinschaft Kirchensteuern nur deshalb zu zahlen, weil sein Ehegatte ihr angehöre. Hierdurch werde der Kläger in seinen Grundrechten aus Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3, Art. 4 Abs. 1, Abs. 2, Art. 6 Abs. 1 GG verletzt. Eine Rechtfertigung aus dem Wesen der Ehe als dauernder Vereinigung der Ehegatten zu vollständiger Gemeinschaft aller Lebensverhältnisse sei nicht gegeben.

12

Darüber hinaus hätten sie, die Kläger, durch ihre Spenden an die selbstständige Kirchengemeinde A ihrer wechselseitigen Unterstützungspflicht genügt; diese Spenden müssten in jedem Fall auf das Kirchgeld angerechnet werden.

13

Ebenso wenig könnten sie, die Kläger, auf die Möglichkeit einer getrennten Veranlagung verwiesen werden. Art. 6 Abs. 1 GG beinhalte höherrangiges Recht und verpflichte den Staat dazu, die Bürger vor Eingriffen auch durch Religionsgemeinschaften zu schützen.

14

Ferner habe die Bemessungsgrundlage der Steuer an die steuerliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen anzuknüpfen. Da die Klägerin keine eigenen Einkünfte erzielt habe, sei es unverhältnismäßig und nicht gerechtfertigt, die Höhe des zu zahlenden Kirchgeldes an den Einkünften des Klägers zu orientieren. Eine Verpflichtung zur Zahlung des Kirchgeldes könne auch nicht aus einer bestehenden Unterhaltspflicht der Eheleute abgeleitet werden.

15

Nach der Rechtsprechung des BVerfG dürften staatliche Behörden kirchliche Steuergesetze, die die Erhebung der Kirchensteuer bei glaubensverschiedenen Ehen nach dem Halbteilungsgrundsatz regelten, nicht anwenden. Das Kirchgeld sei aber eine besondere Form der Kirchensteuer. Schließlich verstoße die Kappungsgrenze gegen das Willkürverbot und begründe ein Übermaß. Es sei nicht erkennbar, warum der nicht einer Religionsgesellschaft angehörende Ehegatte mit einem über dem durchschnittlichen Kirchensteuerentgelt liegenden Aufwand belastet werden sollte.

16

Wegen der Bindung aller öffentlichen Gewalt an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) müsse eine Religionsgesellschaft mit dem Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechtes die Gewähr dafür bieten, dass die übertragene Hoheitsgewalt im Einklang mit Gesetz und Verfassung ausgeübt werde und insbesondere die fundamentalen Grundsätze der Verfassung beachtet würden. Diese Gewähr biete die evangelisch-lutherische Landeskirche jedoch nicht mehr. So ergebe sich aus dem E-Mail-Schriftverkehr mit der Landeskirche (Anlagenkonvolut K2), dass die Kirche im Streitjahr 2015 in 58 Fällen Kirchenasyl gewährt habe und im Vorjahr in 69 Fällen. Damit habe die evangelische Kirche ihr vermeintlich historisch abgeleitetes bzw. begründetes Vorrecht auf privilegierten Kirchensteuereinzug verwirkt. Es sei nicht hinnehmbar, dass einzelne Gruppierungen unter Hinweis auf ihr angebliches Recht außerhalb des gesetzlichen Rahmens Recht sprächen und/oder staatliche Organisationen von der Durchsetzung des Rechts nachhaltig abhielten. Das gelte unabhängig davon, ob es sich um "Kirchenrecht" oder die "Scharia" handele.

17

Auch die Klage des Klägers gegen die Festsetzung des besonderen Kirchgeldes gegenüber der Klägerin sei zulässig. Nach § 44 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) sei bei einer Zusammenveranlagung jeder Ehegatte Gesamtschuldner der Einkommensteuer. Das Ehegattensplitting berücksichtige die Erwerbs- und Verbrauchsgemeinschaft der intakten Durchschnittsehe und stelle weder eine Steuervergünstigung dar, noch gebe sie Dritten, hier der Kirche, ein Steuerfindungsrecht. Auch soweit das Kirchgeld nur gegenüber der - einkommenslosen - Klägerin festgesetzt worden sei, müsse der Kläger es wegen der Bedarfsgemeinschaft und der bestehenden Gesamtschuld entrichten. Insoweit sei es besonders perfide, wenn die evangelische Kirche über das Kirchgeld in den gemeinsamen Freiheitsraum der Ehe eindringe und sich ungerechtfertigte Vorteile verschaffen wolle.

18

Hilfsweise sei die Revision zuzulassen. Die Frage der Kirchgeldfestsetzung sei bisher noch nicht Gegenstand einer höchstrichterlichen Entscheidung gewesen. Die Ehe und Familie dürften gemäß Art. 6 GG nicht benachteiligt werden. Eine derartige Benachteiligung liege bei der Kirchgeldfestsetzung jedoch vor, weil von alleinstehenden Kirchenangehörigen ohne steuerbares Einkommen weder Kirchensteuer noch Kirchgeld verlangt werde. Im Übrigen könne eine Kirche, die in immer stärkerem Maße allgemeinpolitisch tätig werde (...), nicht verlangen, dass Nichtmitglieder sie finanzierten; dies verstoße gegen Art. 9 Abs. 1 Satz 1 GG.

19

Die Kläger beantragen,
1. den Kirchensteuerbescheid für 2015 vom 17. August 2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27. März 2019 und in Gestalt der Änderungszusage vom 22. August 2019 dahingehend zu ändern, dass die Kirchensteuer bzw. das besondere Kirchgeld um ... € auf ... € herabgesetzt wird;
2. den Kirchensteuerbescheid für 2016 vom 4. Mai 2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27. März 2019 und des Änderungsbescheides vom 12. Juni 2019 aufzuheben.

20

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

21

Der Beklagte nimmt auf die Einspruchsentscheidung Bezug und trägt ergänzend vor, dass nach der Rechtsprechung des BVerfG und des BFH Kirchgeld in glaubensverschiedener Ehe festgesetzt werden könne, wenn der andere Ehegatte einer nicht steuerberechtigten oder nicht steuererhebenden Religionsgemeinschaft angehöre. Zudem dürfe das Kirchgeld unter Berücksichtigung des zusammenveranlagten gemeinsamen Einkommens bemessen werden.

22

Die von den Klägern geltend gemachten Spenden an die selbstständige Kirchengemeinde A seien in beiden Streitjahren als Sonderausgaben berücksichtigt worden.

23

Der Senat hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 24. Juni 2019 der Einzelrichterin übertragen.

24

Auf die Sitzungsniederschrift der mündlichen Verhandlung vom 22. August 2019 wird Bezug genommen (...).

25

Dem Gericht hat Band VII der Einkommensteuerakten und ein Band Rechtsbehelfsakten zur St.-Nr. ... vorgelegen.

Entscheidungsgründe

26

Die Entscheidung ergeht gemäß § 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) durch die Einzelrichterin.

27

Die Klage des Klägers ist unzulässig und die Klage der Klägerin unbegründet.

I.

28

Die Klage ist zum Teil unzulässig.

29

1. Der Klage des Klägers gegen beide Kirchensteuerbescheide fehlt die für die Zulässigkeit einer Klage erforderliche Klagebefugnis. Klagebefugt ist bei einer Anfechtungsklage gemäß § 40 Abs. 2 FGO, wer geltend macht, durch den angefochtenen Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein. Bei einer Anfechtungsklage kann sich der Adressat eines belastenden Verwaltungsaktes auf die Verletzung eigener Rechte berufen (von Beckerath in Gosch, AO/FGO, § 40 FGO Rz. 158), nicht hingegen jemand, der von der festgesetzten Steuer nur wirtschaftlich betroffen ist (FG Hamburg, Urteil vom 22. Februar 1980, IV 29/79 S-H, EFG 1980, 406). Dementsprechend kann ein Ehegatte keine Rechtsverletzung durch einen Kirchensteuerbescheid geltend machen, der nur an den anderen Ehegatten gerichtet ist (BFH, Urteil vom 1. Juli 2009, I R 81/08, BStBl II 2011, 379), auch wenn die Bemessungsgrundlage das gemeinsame Einkommen der Eheleute ist und der Nichtadressat die Kirchensteuer wirtschaftlich trägt (Thüringer FG, Urteil vom 23. Februar 2016, 2 K 39/15, juris; Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 40 FGO Rz. 82).

30

2. In dem Kirchensteuerbescheid für 2016 vom 12. Juni 2019 hat der Beklagte die Kirchensteuer in Form des besonderen Kirchgeldes ausdrücklich nur gegenüber der Klägerin festgesetzt. Die vorherige Steuerfestsetzung (auch) gegenüber dem Kläger mit Bescheid vom 4. Mai 2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27. März 2019 ist hierdurch jedenfalls konkludent aufgehoben worden und die Klagebefugnis des Klägers damit entfallen.

31

Im Hinblick auf die Kirchensteuerfestsetzung für 2015 ist die Klagebefugnis des Klägers durch die in der mündlichen Verhandlung erteilte Änderungszusage des Beklagten entfallen, wonach die Kirchensteuer in Form des besonderen Kirchgeldes in Höhe von ... € nur noch gegenüber der Klägerin festgesetzt wird.

II.

32

Die Klage der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg.

33

Die angefochtenen Festsetzungen des besonderen Kirchgeldes für die Streitjahre sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Beklagte hat gegenüber der Klägerin zu Recht Kirchensteuer in Form des besonderen Kirchgeldes festgesetzt. Dies entspricht dem Grunde und der Höhe nach den einfachgesetzlichen Vorschriften (1.) und verstößt weder gegen das GG (2.) noch gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (-EMRK-; 3.).

34

1. Die Festsetzung des besonderen Kirchgeldes entspricht den einfachgesetzlichen Vorgaben des Kirchensteuerrechts.

35

a) aa) Die kirchensteuerberechtigte evangelisch-lutherische Kirche (§ 1 des Hamburgischen Kirchensteuergesetzes vom 15. Oktober 1973, HmbGVBl. 1973, 431, in der in den Streitjahren gültigen Fassung; -HmbKiStG-) kann nach ihren kirchlichen und staatlich genehmigten Steuervorschriften (§ 4 HmbKiStG) von den ihr angehörenden Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in der Freien und Hansestadt Hamburg haben (§ 2 HmbKiStG), Kirchensteuern erheben. Kirchensteuern können u.a. als Kirchensteuer vom Einkommen in Höhe eines Vomhundertsatzes der Einkommen-, Lohn- und Kapitalertragsteuer erhoben werden (§ 3 Abs. 1 Buchst. a, Abs. 2 ff. HmbKiStG) oder als besonderes Kirchgeld in glaubensverschiedener Ehe oder glaubensverschiedener Lebenspartnerschaft (§ 3 Abs. 1 Buchst. c HmbKiStG). Eine Ehe ist glaubensverschieden, wenn nur ein Ehegatte einer steuererhebenden Körperschaft angehört (§ 5 Abs. 1 HmbKiStG).

36

bb) Art und Höhe der Kirchensteuern werden von den steuerberechtigten Körperschaften durch Steuervorschriften bestimmt, die der staatlichen Genehmigung bedürfen. Nach § 3 Abs. 1 der staatlich genehmigten Kirchensteuerordnung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland (Nordkirche) vom 25. September 2013 (KiStO) sind alle Kirchenmitglieder der Nordkirche kirchensteuerpflichtig. Die Kirchensteuer wird nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b, § 10 Abs. 1 KiStO in glaubensverschiedener Ehe als besonderes Kirchgeld erhoben, das nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Kirchenmitgliedes in Anknüpfung an den Lebensführungsaufwand bemessen wird; Bemessungsgrundlage ist das zu versteuernde Einkommen beider Ehegatten nach den Bestimmungen des Einkommensteuergesetzes (-EStG-; § 9 Abs. 2 Sätze 1 und 2 KiStO). Das besondere Kirchgeld in glaubensverschiedener Ehe wird nach gestaffelten Sätzen erhoben (§ 9 Abs. 3 KiStO). Nach § 3 des Kirchengesetzes über Art und Höhe der Kirchensteuer vom 25. September 2013 (Kirchensteuerbeschluss -KiStB-) beträgt das besondere Kirchgeld in glaubensverschiedener Ehe bei einem von den Ehegatten gemeinsam zu versteuernden Einkommen von 300.000 € und mehr 3.600 € jährlich (Obergrenze).

37

b) Danach hat der Beklagte das Kirchgeld für die mit dem im Oktober 2015 aus der evangelisch-lutherischen Kirche ausgetretenen Kläger zusammenveranlagte Klägerin wegen des gemeinsam zu versteuernden Einkommens der Kläger von jeweils mehr als 300.000 € für 2016 zutreffend auf den Höchstbetrag von 3.600 € festgesetzt und für 2015 anteilig für die Dauer von zwei Monaten auf ... €.

38

c) Die von den Klägern an die Kirchengemeinde A geleisteten Spenden wirken sich nur mittelbar über die Höhe des zu versteuernden Einkommens (Sonderausgabenabzug nach § 10b EStG) auf die Höhe der Kirchensteuerfestsetzung aus und bewirken keine unmittelbare Reduzierung der Kirchensteuer.

39

d) Die kirchensteuerberechtigte Gemeinde hat den Kirchensteueranspruch auch nicht verwirkt. Die von den Klägern als rechtswidrig beurteilte Gewährung von Kirchenasyl sowie politische Äußerungen und Aktivitäten der Kirche haben auf die Rechtmäßigkeit der Kirchensteuerfestsetzung keinen Einfluss.

40

2. Die den Kirchengeldfestsetzungen zugrunde liegenden einfachgesetzlichen Vorschriften sind verfassungsgemäß. Die Kirchengeldfestsetzungen verletzen die Klägerin nicht in ihren Grundrechten aus Art. 4 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 140 GG und Art. 137 Abs. 6 WRV, Art. 3 Abs. 1, Art. 6 und Art. 2 Abs. 1 GG.

41

a) aa) Nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 6 WRV sind die korporierten Religionsgemeinschaften berechtigt, von ihren Mitgliedern Steuern zu erheben. Das Besteuerungsrecht als mit der Verleihung des Körperschaftsstatus verbundene Befugnis sichert den Religionsgemeinschaften finanzielle Unabhängigkeit und Eigenständigkeit und leistet damit einen Beitrag zur Sicherung ihrer durch Art. 140 i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV garantierten Freiheit. Die Religionsgemeinschaften sind bei Inanspruchnahme des Besteuerungsrechts an die grundgesetzliche Ordnung, vor allem an die Grundrechte, gebunden. Der den Religionsgemeinschaften eröffnete Gestaltungsraum ist aber weit. Es steht ihnen frei, ein eigenes Besteuerungssystem zu entwickeln oder die Kirchensteuer als Zuschlagsteuer zu bestimmten staatlichen Maßstabsteuern, etwa als Zuschlag zur Einkommensteuer, auszugestalten (BVerfG, Beschluss vom 19. August 2002, 2 BvR 443/01, HFR 2002, 1129, m.w.N.).

42

bb) Nach der Rechtsprechung des BVerfG, auf die die Kläger sich berufen, ist es mit Art. 2 Abs. 1 GG unvereinbar, wenn im Falle einer glaubensverschiedenen Ehe die Kirchensteuer des kirchenangehörigen Ehegatten nach der Hälfte der zusammengerechneten Einkommensteuer beider Ehegatten erhoben wird. Die Kirchensteuer dürfe nur an Merkmale anknüpfen, die in der Person des kirchenangehörigen Ehegatten gegeben sind (BVerfG, Urteil vom 14. Dezember 1965, 1 BvR 606/60, BVerfGE 19, 268, BStBl I 1966, 196).

43

cc) Die Ausführungen des BVerfG beziehen sich allerdings auf Kirchensteuern, die als Zuschlagsteuer zur Einkommensteuer erhoben werden (Kircheneinkommensteuer). Das besondere Kirchgeld ist jedoch keine solche Annexsteuer, sondern eine eigenständige Steuer, die auf einem kircheneigenen Steuertarif beruht (BFH, Beschluss vom 8. Oktober 2013, I B 109/12, BFH/NV 2014, 182). Die Schaffung solcher Steuern ist grundsätzlich zulässig; denn es ist den Religionsgemeinschaften im Rahmen ihres Besteuerungsrechts (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 6 WRV) nicht verwehrt, für die Erhebung der Kirchensteuer neben dem Einkommen andere, nach eigenen Kriterien gestaltete Besteuerungsmaßstäbe heranzuziehen (BFH, Urteil vom 19. Oktober 2005, I R 76/04, BStBl II 2006, 274), wie bei dem besonderen Kirchgeld die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des steuerpflichtigen Kirchenmitglieds unabhängig von seinem Einkommen (FG Düsseldorf, Urteil vom 21. März 2017, 1 K 1970/16 Ki, juris).

44

dd) Das BVerfG hat in dem oben (unter bb.) genannten Urteil selbst ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es unbillig erscheinen könne, wenn Kirchenangehörige, deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit sich durch eine Eheschließung im Hinblick auf das Einkommen des - konfessionslosen - Ehegatten erhöht habe, mangels eigenen Einkommens im Sinne des Einkommensteuergesetzes kirchensteuerfrei blieben. Die Kirchensteuer könne sich, um dies zu vermeiden, der Höhe nach an dem tatsächlichen Lebenszuschnitt des kirchensteuerpflichtigen Ehegatten orientieren. Ein im Hinblick auf Art. 2 Abs. 1 GG unbedenkliches Besteuerungsmerkmal sei insoweit der "Lebensführungsaufwand" des kirchenangehörigen Ehegatten (BVerfG vom 14. Dezember 1965, 1 BvR 606/60, BVerfGE 19, 268, BStBl I 1966, 199; ebenso: BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1977, VII C 48.73, BVerwGE 52, 104).

45

ee) Angesichts der Schwierigkeiten, den tatsächlichen "Lebensführungsaufwand" des kirchenangehörigen Ehegatten zu ermitteln, ist es nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung im Sinne einer Typisierung verfassungsrechtlich zulässig, die diesem Begriff zugrunde liegende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit am Einkommen beider Ehegatten zu messen (vgl. zuletzt BVerfG, Beschluss vom 28. Oktober 2010, 2 BvR 591/06 u.a., HFR 2011, 98; BFH, Beschluss vom 8. Oktober 2013, I B 109/12, BFH/NV 2014, 182, m.w.N.). Dass auf diese Weise mittelbar auch das Einkommen des konfessionslosen Ehegatten in die Kirchenbesteuerung mit einbezogen wird, ist der Anknüpfung an den Lebensführungsaufwand als eigenständigem Besteuerungsmaßstab immanent (BFH, Urteil vom 19. Oktober 2005, I R 76/04, BStBl II 2006, 274; Sächsisches FG, Beschluss vom 25. März 2019, 5 K 1549/18, juris; FG Düsseldorf, Urteil vom 21. März 2017, 1 K 1970/16 Ki, juris). Gerechtfertigt ist dies nicht zuletzt dadurch, dass der zivilrechtliche Unterhaltsanspruch des Ehegatten auf einen angemessenen Teil des gemeinsamen Einkommens gemäß § 1360a BGB (sog. Taschengeldanspruch) den Gesetzesmaterialien zufolge ausdrücklich auch der Deckung von kirchlichen Mitgliedsbeiträgen dienen soll (vgl. Schriftlicher Bericht zu BTDrucks 2/3409, S. 37; BFH, Urteil vom 19. Oktober 2005, I R 76/04, BStBl II 2006, 274; FG Münster, Urteil vom 8. Februar 2019, 4 K 3907/16 Ki, juris).

46

ff) Allerdings ist auch bei einer typisierenden Bemessung des normalen Lebensführungsaufwands des kirchenangehörigen Ehegatten zu beachten, dass dieser nicht grenzenlos durch das Einkommen des nicht kirchenangehörigen Ehegatten beeinflusst wird, da der normale Lebensaufwand bestimmte Grenzen nicht überschreitet (BVerfG, Urteil vom 14. Dezember 1965, 1 BvR 606/60, BVerfGE 19, 268; Thüringer FG, Urteil vom 23. Februar 2016, 2 K 39/15, juris). Eine Kirchgeldregelung, die vorsieht, dass das besondere Kirchgeld ab einem zu versteuernden Einkommen von 300.000 € nicht mehr steigt, entspricht dieser Vorgabe und ist verfassungsrechtlich unbedenklich (Thüringer FG, Urteil vom 23. Februar 2016, 2 K 39/15, juris).

47

b) Danach ist die in den Streitjahren geltende Kirchgeldregelung in Hamburg, nach der das besondere Kirchgeld ab einem gemeinsamen Einkommen von 300.000 € und mehr auf 3.600 € begrenzt ist, verfassungsgemäß (FG Hamburg, Urteil vom 7. Februar 1996, II 44/93, EFG 1996, 492, nachgehend BFH, Beschluss vom 16. Dezember 1996, I B 43/96, BFH/NV 1997, 529; FG Hamburg, Urteile vom 8. März 1991, IV 160/88 H, EFG 1992, 30; vom 7. Juni 1990, IV 11/88 H, KirchE 28, 133).

48

c) Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 GG sind nicht verletzt, weil die Klägerin im Vergleich zu alleinstehenden Steuerpflichtigen ohne eigenes Einkommen benachteiligt wäre. Denn die Kläger hätten die Möglichkeit gehabt, die Einzelveranlagung (§ 26a EStG) zu wählen; dann wären keine Kirchensteuer und kein besonderes Kirchgeld festgesetzt worden (§§ 6, 9 Abs. 1 Nr. 2 KiStO, § 3 Abs. 1 KiStB). Der Gesetzgeber ist verfassungsrechtlich nicht dazu verpflichtet, den Klägern einerseits die Vorteile aus der Zusammenveranlagung der Einkommensteuer zu gewähren und andererseits hinsichtlich der Kirchensteuer die Vorteile, die sich für sie bei einer Einzelveranlagung ergeben würden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. April 1966, 1 BvR 16/66, BVerfGE 20, 40).

49

3. Wird von jenen Kirchenmitgliedern, die sich zur Erlangung des Ehegattensplittings gem. §§ 26, 26b EStG zusammen mit ihrem Ehegatten zur Einkommensteuer veranlagen lassen und selbst über kein oder ein geringeres Einkommen als der Ehegatte verfügen, der als allein- oder besserverdienender Ehepartner keiner steuerberechtigten bzw. steuererhebenden Kirche, Religionsgemeinschaft oder weltanschaulichen Gemeinschaft angehört, das sog. besondere Kirchgeld erhoben, führt dies nicht zu einer Verletzung der Religionsfreiheit nach Art. 9 EMRK oder des Diskriminierungsverbotes nach Art. 14 EMRK (EGMR, Urteil vom 6. April 2017, 10138/11 u.a., NJW 2018, 3295).

III.

50

1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Soweit sich das ursprüngliche Klagebegehren durch den Erlass des Änderungsbescheides vom 12. Juni 2019 (bekannt gegeben am 17. Juni 2019) für das Streitjahr 2016 erledigt hat, hat der Beklagte die Kosten zu tragen (§ 138 Abs. 2 Satz 1 FGO), im Übrigen sind die Kläger unterlegen. Die Änderungszusage vom 22. August 2019 für das Streitjahr 2015 bzgl. des Klägers fällt kostenmäßig nicht ins Gewicht.

51

2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 1 und 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

52

3. Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor. Die entscheidungserheblichen Fragen sind höchstrichterlich geklärt.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen