Urteil vom Finanzgericht Hamburg (5. Senat) - 5 K 95/17

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um den Eintritt der Festsetzungsverjährung für die Besteuerung von Kapitaleinkünften im Rahmen der Einkommensteuer 2003 sowie um Hinterziehungszinsen und die Rechtmäßigkeit einer Aufforderung zur Nacherklärung von Kapitalerträgen.

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Kläger sind A, Ehefrau des am ... 2009 verstorbenen B, sowie C, D und E als Erben zu je 1/3 nach B.

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Aufgrund unter Mitwirkung der Steuerberatungsgesellschaft F gefertigter Erbschaftsteuererklärung vom November 2010 erließ das Finanzamt für Verkehrsteuern und Grundbesitz in Hamburg (im Folgenden: Finanzamt für Verkehrsteuern und Grundbesitz) am 15.12.2010 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung Erbschaftsteuerbescheide gegenüber den Erben und am 13.07.2011 gegenüber A. Am 07.06.2012 ergingen Änderungsbescheide gegenüber den Erben, im Zuge derer der Vorbehalt der Nachprüfung gegenüber D und E aufgehoben wurde. Am 16.01.2013 ergingen erneut Änderungsbescheide, gegenüber D und E gem. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO), hingegen gegenüber A und gegenüber C gem. § 164 Abs. 2 AO und unter Beifügung eines Vorläufigkeitsvermerks wegen anhängiger Verfahren zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des Erbschaft- und Schenkungssteuergesetzes. Hiergegen legte die Steuerberatungsgesellschaft F für D und E jeweils Einspruch mit dem Begehren ein, auch für diese Erben die Bescheide mit einem entsprechenden Vorläufigkeitsvermerk zu versehen. Die Einsprüche wurden mit Einspruchsentscheidungen vom 24.11.2014 zurückgewiesen.

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A und B besaßen Vermögensanlagen u.a. bei der Bank G in der Schweiz und erzielten hieraus folgende Kapitalerträge, die im Rahmen der regulären Einkommensteuerklärungen ab 2003 (Steuererklärung vom Juni 2005) bis 2013 nicht erklärt und auch von den Erben im Rahmen der Erbschaftsteuererklärungen nicht angegeben und in den Erbschaftsteuerbescheiden nicht berücksichtigt worden waren.

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Der erste ohne Berücksichtigung der entsprechenden Kapitalerträge ergangene Bescheid über Einkommensteuer für 2003 erging am 22.07.2005.

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Mit am 10.12.2015 beim Beklagten eingegangenen Schreiben vom 09.12.2015 wandten sich die im vorliegenden Verfahren auftretenden Prozessbevollmächtigten in Vertretung für A an den Beklagten wegen "Korrektur steuerlicher Erklärungen 2004-2013". Sie wiesen auf "bei erneuter Überprüfung" festgestellte Kapitaleinkünfte der Jahre ab 2004 hin und fügten Übersichten für die entsprechenden Jahre als Anlage bei (abgelegt in den Akten des Beklagten im Leitzordner "A", Anlagen 1 - 9), und zwar für B aus Vermögensanlagen bei der G Bank (Schweiz) für die Jahre 2004 bis 2011 (u.a. Anlagen 1 und 2), für A für 2006 bis 2014 (u.a. Anlage 5 und 6). Zudem stelle die Korrekturerklärung betreffend die Einkünfte aus Kapitalvermögen von B zur Vermeidung einer Diskussion um die Korrekturpflicht der Erben gem. § 153 AO gleichzeitig eine Korrekturerklärung für die drei Erben D, E und C dar. Aufgrund der Zusammenveranlagung der Eheleute verzichteten die Bevollmächtigten auf eine steuerliche Aufteilung des im Depots des verstorbenen B befindlichen Vermögens und der hieraus erzielten Kapitalerträge auf B einerseits und A andererseits und ordneten diese vollständig B zu, verbunden mit dem Hinweis, dass im Falle einer Trennung wohl ein Anteil von ca. 1/7 A zugerechnet werden müsste. Die Bevollmächtigten erläuterten weiter, dass für A 1993/1994 ein kleineres Depot in der Schweiz eingerichtet worden sei. Dieses habe Frau A wenige Jahre später wieder aufgelöst und das Vermögen auf das Konto/Depot ihres Ehemannes transferiert. Sie habe sich bei der Vorstellung der Verkürzung von Einkommensteuern nicht wohl gefühlt.

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Mit weiterem Schreiben vom 09.12.2015 wandten sich die Prozessbevollmächtigten wegen der Erbschaftsteuer in Vertretung für die drei Erben an das Finanzamt für Verkehrsteuern und Grundbesitz, bei dem das Schreiben ebenfalls am 10.12.2015 einging. Sie wiesen darauf hin, dass bei der erneuten Überprüfung der Erbschaftsteuerfestsetzungen bislang in Bezug auf die Kapitalerträge des Erblassers aus dem G-Wertpapierdepot unvollständige Angaben festgestellt worden seien, teilten die sich für die Jahre 2003 bis 2009 hieraus ergebende Einkommensteuerschuld mit (beigefügte Anlage 2: für 2003 - einschließlich 2009 Kapitalerträge von insgesamt 173.591 € und "verbleibende" ESt-Beträge von insgesamt 61.120 €), für 2003 aufgrund von Kapitalerträgen von 26.958 € eine Einkommensteuerschuld von 12.974 €, und baten um Korrektur der Erbschaftsteuerbescheide. Gleichzeitig wiesen sie darauf hin, dass für die Erben gegenüber dem Wohnsitzfinanzamt die aus dem G-Wertpapierdepot "bis 2009" unvollständigen Angaben nacherklärt worden seien. Weiter heißt es in dem Schreiben: "Wir überlassen es Ihrer Entscheidung, ob Sie diese Nachlassschuld zunächst völlig unberücksichtigt lassen...oder ob Sie einen vorläufig konservativ geschätzten Betrag ...in Abzug bringen wollen. In jedem Fall werden wir Ihnen die tatsächliche Steuerschuld ergänzend mitteilen, sobald die geänderten Einkommensteuerbescheide vorliegen." Dem Schreiben waren u.a. Vermögensübersichten der G Bank per 29.12.2009 vom 08.10.2015 beigefügt, die einen Endwert des Vermögens per 31.12.2009 in Höhe von 1.225.442 € ausweisen.

8

Mit Schreiben vom 29.04.2016 (Eingang beim Beklagten am 03.05.2016) berichtete das Finanzamt für Verkehrsteuern und Grundbesitz dem Beklagten von der Selbstanzeige der Erben D, E und C und den aufgrund dessen berücksichtigten Einkommensteuerschulden für 2003 bis 2009. Mit beim Beklagten am 11.11.2016 eingegangener Kurzmitteilung vom 10.11.2016 übermittelte das Finanzamt für Verkehrsteuern und Grundbesitz dem Beklagten zudem "nach Absprache" eine Aufstellung der Kapitalerträge und der Steuerberechnung für 2003 bis 2005. Dabei handelte es sich um eine Teilkopie für 2003 - 2005 der als Anlage 2 dem Finanzamt für Verkehrsteuern und Grundbesitz von den Prozessbevollmächtigten seinerzeit übermittelten Übersicht.

9

Mit am selben Tag zur Post aufgegebenen Schreiben vom 10.11.2016 hatte der Beklagte an die H GmbH Steuerberatungsgesellschaft als seinerzeitige Empfangsbevollmächtigte für die Familie ... "für Herrn und Frau B (verstorben) und A"... "nach Rücksprache" mit dem Finanzamt für Verkehrsteuern und Grundbesitz unter Bezugnahme auf die Nacherklärung vom 10.12.2015 im Hinblick auf den Ablauf der Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer 2003 am 31.12.2016 eine Aufforderung gerichtet, die Nacherklärung für 2003 einzureichen.

10

Mit Bescheid vom 09.12.2016 für "A und die Erben nach B C, E und D" (Anlage K3) änderte der Beklagte den bisherigen Einkommensteuerbescheid für 2003 vom 11.03.2009 gem. § 173 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO), indem er die nacherklärten Einkünfte aus Kapitalvermögen für 2003 in Höhe von 26.958 € erfasste und den Einkünften B zuordnete. Es ergaben sich Mehrsteuern für Einkommensteuer in Höhe von 12.986 €.

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Unter dem 18.01.2017 erließ der Beklagte einen Bescheid über Hinterziehungszinsen für "A und die Erben nach B: E, D und C".

12

Auch diese Bescheide wurden der Steuerberatungsgesellschaft H GmbH übersandt.

13

Am 23.11.2016 legten die Prozessbevollmächtigten mit dem Betreff "A/Eheleute A und B (verstorben...)" unter Hinweis auf die Vertretung von A "für unsere Mandantin" unter Berufung auf die ihrer Ansicht nach eingetretene Festsetzungsverjährung Einspruch gegen die Aufforderung zur Nacherklärung für 2003 ein.

14

Am 10.01.2017 legten sie für A sowie C, D und (nach Korrektur mit weiterem Schriftsatz vom selben Tage) E Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid vom 09.12.2016 ein. Sie beriefen sich wiederum auf die Festsetzungsverjährung und zudem auf Bekanntgabemängel des Bescheides, da zu Unrecht keine Übermittlung einer Ausfertigung an jeden Beteiligten erfolgt sei. Es greife die auf 10 Jahre verlängerte Festsetzungsfrist, da "zumindest" der Erblasser B die in Rede stehenden Kapitalerträge hinterzogen habe.

15

Am 17.02.2017 legten sie sodann ebenfalls unter Berufung auf den Ablauf der Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer 2003 für A und die Erben E, C und D Einspruch gegen den Bescheid über die Hinterziehungszinsen ein.

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Nach Mitteilung des Finanzamts für Prüfungsdienste und Strafsachen vom 07.03.2017 gegenüber dem Beklagten wurde von der Einleitung eines Strafverfahrens gegen C, D und E abgesehen, weil es sich bei dem Schreiben vom 09.12.2015 für die Erben nach B um eine Nacherklärung gem. § 153 AO handele. Ein Strafverfahren wegen Hinterziehung von Erbschaftsteuer wurde gegen die Erben am 14.03.2017 zunächst eingeleitet, aber am 25.09.2017 gem. §§ 170 Abs. 2 Strafprozessordnung i.V.m. § 371 AO eingestellt.

17

Mit am selben Tag zur Post gegebener Einspruchsentscheidung vom 20.06.2017, jeweils gesondert für A, C, D und E, wies der Beklagte die Einsprüche zu allen drei genannten Bescheiden als unbegründet zurück. In Bezug auf die Einkommensteuerfestsetzung 2003 sei aufgrund der Nacherklärung eine Ablaufhemmung gem. § 171 Abs. 9 AO eingetreten. Im Übrigen sei die Berücksichtigung der gegenüber dem Finanzamt für Verkehrsteuern und Grundbesitz angeführten Einkommensteuerschulden als Nachlassverbindlichkeiten ohne Festsetzung nicht möglich.

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Am 21.07.2018 haben die Kläger Klage erhoben.

19

Unter dem 05.12.2019 hat der Beklagte einen Änderungsbescheid über die Hinterziehungszinsen erlassen, indem er einen Vorläufigkeitsvermerk gem. § 165 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AO im Hinblick auf anhängige Verfassungsbeschwerden zur Höhe des Zinssatzes aufgenommen hat.

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Die Kläger tragen vor:
Die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer 2003 sei am 31.12.2015 abgelaufen. Die Ablaufhemmung gem. § 171 Abs. 9 AO greife nicht, da eine Nacherklärung für die Einkommensteuer 2003 weder gegenüber dem Finanzamt für Verkehrsteuern und Grundbesitz noch gegenüber dem Beklagten erfolgt sei. Die Nacherklärung gegenüber dem Beklagten sei ausdrücklich auf die Jahre ab 2004 beschränkt worden. Der für die Anwendung des § 171 Abs. 9 AO erforderliche deutlich erkennbare Wille des Nacherklärenden, eine Berichtigung der Einkommensteuererklärung zu veranlassen, fehle. Die Nacherklärung gegenüber dem Finanzamt für Verkehrsteuern und Grundbesitz habe sich allein auf die Erbschaftsteuer bezogen; soweit in den Auflistungen auch die Einkommensteuerschuld für 2003 angegeben sei, habe dies allein der vorläufigen und näherungsweisen Bezifferung der abzugsfähigen Nachlassverbindlichkeit gedient. § 171 Abs. 7 AO greife im Streitfall nicht. Diese Vorschrift solle eine Besteuerung nur in denjenigen Fällen sicherstellen, in denen noch eine Bestrafung möglich sei. Anderes gelte, wenn wie hier der Erblasser verstorben und daher strafrechtlich nicht mehr belangt werden könne (BFH Urteil vom 02.12.1977 III R 117/75). Ungeachtet dessen wäre zum Zeitpunkt des Erlasses des Einkommensteuerbescheids für 2003 Festsetzungsverjährung auch auf der Grundlage des § 171 Abs. 7 AO eingetreten. Maßgeblich sei im Streitfall die 5-jährige strafrechtliche Verjährungsfrist gem. § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB. Für den Beginn der Verfolgungsverjährung sei auf den Zeitpunkt abzustellen, an dem der Beklagte im Falle der Berichtigung die Korrekturveranlagung vorgenommen hätte. Die Korrekturpflicht der Erben habe bereits mit dem Erbfall im Jahr 2009 bestanden. Die Kläger hätten bereits vor dem Tod des Vaters bzw. Ehemannes Kenntnis von den Vermögensanlagen im Ausland gehabt, die grobe Größenordnung des Auslandsvermögens gekannt und "so ein Gefühl" für die Höhe der Kapitalerträge gehabt. Die Erben hätten schon vor dem Tod des Erblassers über vergleichbare Vermögensanlagen in der Schweiz, u.a. bei der Bank G verfügt, wechselseitige Kenntnis von ihren Anlagen gehabt und ebenfalls im Dezember 2015 abgestimmte Korrekturerklärungen gegenüber den jeweiligen Wohnsitzfinanzämtern abgegeben. Hierfür verweisen die Kläger auf die jeweils eingereichte S. 1 der entsprechenden Schriftsätze nebst Eingangsstempel des betreffenden Finanzamts. Die genaue Kenntnis der zutreffenden Steuerdaten hätten sie erst erlangt, nachdem sie die Bankunterlagen der G Bank im 2. Halbjahr 2015 beschafft und der Prozessbevollmächtigte die exakten Steuerdaten Ende 2015 ermittelt habe. Ihnen sei klargewesen, dass die in der Schweiz erwirtschafteten Kapitalerträge in den deutschen Einkommensteuererklärungen nicht erfasst seien. Dies genüge für die Korrekturpflicht gem. § 153 AO, ggf. i.V.m. einer Beschaffungspflicht für die Bankunterlagen. Inklusive der professionellen Aufbereitung wäre eine Erklärung binnen 3 Monaten spätestens möglich gewesen. Unter Berücksichtigung der tatsächlichen - nach der Erfahrung atypisch langen - Bearbeitungszeit des Beklagten wäre für den Beginn der Verfolgungsverjährung mithin spätestens zum Ende des 1. Quartals 2011 abzustellen, so dass die strafrechtliche Verfolgungsverjährung Ende des 1. Quartals 2016 geendet hätte.

21

Die Rechtsauffassung des Beklagten, wonach eine weitere 10-jährige Festsetzungsfrist durch die Verletzung der Berichtigungspflicht der Erben in Gang gesetzt würde, finde im Gesetz keine Stütze.

22

Für den Bescheid über die Hinterziehungszinsen gelte infolge der Akzessorietät zum Einkommensteuerbescheid Entsprechendes, auch wenn diese in den §§ 233 ff AO z.T. modifiziert sei. Aus dem Wortlaut des § 235 Abs. 3 S. 3 AO ("die bis dahin entstandenen Zinsen") ergebe sich zunächst, dass eine rechtswidrige Einkommensteuerfestsetzung die notwendige Feststellung der Steuerhinterziehung nicht präjudiziere. Die Regelung zur Festsetzungsverjährung in § 239 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AO ebenso wie eine teleologische Auslegung der §§ 233 ff AO, insbesondere auch der Wortlaut des § 233 AO und die dortige Verknüpfung mit dem Steueranspruch, sprächen dafür, dass Hinterziehungszinsen nicht mehr festgesetzt werden könnten, wenn die hinterzogene Einkommensteuer wegen Festsetzungsverjährung nicht mehr festgesetzt werden dürfe. Die Entscheidung des BFH vom 28.03.2012 (II R 39/10) spreche nicht gegen diese Auslegung. Anderenfalls würden Hinterziehungszinsen niemals verjähren, da es wegen Fehlens einer Steuerfestsetzung niemals zu einer Unanfechtbarkeit i.S.v. § 239 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AO kommen könnte.

23

Die Aufforderung zur Nacherklärung sei schon mangels Erkennbarkeit des Inhaltsadressaten rechtswidrig oder nichtig. Im Übrigen bestehe keine Verpflichtung zur Nacherklärung; die in §§ 25 Einkommensteuergesetz (EStG), 56 Einkommensteuerdurchführungsverordnung (EStDV) enthaltene Aufzählung sei abschließend.

24

Die Kläger beantragen,
den Bescheid über Einkommensteuer 2003 vom 09.12.2016, den Bescheid über Hinterziehungszinsen vom 18.01.2017 sowie die Aufforderung zur Nacherklärung für 2003 vom 10.11.2016, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.06.2017, den Hinterziehungszinsbescheid zusätzlich in Gestalt des Änderungsbescheids vom 05.12.2019, aufzuheben,

25

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

26

Er trägt vor:
Schon die Einreichung des Schriftsatzes vom 09.12.2015 beim Finanzamt für Verkehrsteuern und Grundbesitz genüge auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), um die Hemmung gem. § 171 Abs. 9 AO zu bewirken, auch wenn es sich bei dem Amt um ein für die Einkommensteuern unzuständiges Amt handele. Die Jahresfrist gem. § 171 Abs. 9 AO beginne erst mit dem Eingang der Nacherklärung bei dem zuständigen Amt. An die Nacherklärung selbst seien geringe Anforderungen zu stellen. Die Auffassung der Kläger, dass der Wille des Steuerpflichtigen darüber entscheiden könne, welche Steuern nacherklärt würden, sei zweifelhaft. Die Entscheidung des BFH vom 19.05.1992 (VII S 12/92) habe für das vorliegende Verfahren keine Bedeutung, der BFH habe hier nur klargestellt, dass die Abgabe einer dort in Rede stehenden Bestandsmeldung keine Ablaufhemmung auslöse. Läge keine Erklärung gem. § 153 AO vor, hätten die Erben eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen mit der Folge begangen, dass die Festsetzungsfrist gem. §§ 171 Abs. 7, 169 Abs. 2 S. 2 AO gehemmt wäre. Zwar seien die Voraussetzungen für eine Steuerhinterziehung in besonders schwerem Fall nicht erfüllt. Jedoch sei ungeachtet des § 171 Abs. 7 AO infolge der eigenen Steuerhinterziehung durch Unterlassen der Nacherklärung trotz Kenntnis von dem unversteuerten Auslandsvermögen seitens der Erben eine weitere 10-jährige Festsetzungsfrist zu berücksichtigen, die im Jahre 2016 noch nicht abgelaufen gewesen sei. Aus der Rechtmäßigkeit des Änderungsbescheids zur Einkommensteuer ergebe sich auch die Rechtmäßigkeit des Bescheids über die Hinterziehungszinsen. Die Aufforderung zur Nacherklärung sei vor der von dem Finanzamt für Verkehrsteuern und Grundbesitz übermittelten Aufstellung ergangen. Letztere genüge zwar den Anforderungen des § 171 Abs. 9 AO, nicht indes der von einem verbindlichen Willen der Kläger getragenen finalen Berichtigung der Einkommensteuererklärung. Die Frage der Bekanntgabe der Aufforderung zur Nacherklärung könne dahinstehen, da spätestens die Zustellung der Einspruchsentscheidung einen etwaigen Bekanntgabefehler geheilt habe.

27

Dem Senat haben Band I der Einkommensteuerakten A und B, Band 12 der Einkommensteuerakten B, 1 Leitzordner "A", Band 1 der Rechtsbehelfsakten - jeweils des Beklagten - sowie Bände I und II der Erbschaftsteuerakten des Finanzamts für Verkehrsteuern und Grundbesitz betreffend B als Erblasser vorgelegen.

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Auf die Niederschriften über die Erörterungstermine vom 07.06.2019 und vom 14.11.2019 wird Bezug genommen.

29

Beide Beteiligten haben auf eine mündliche Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe

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Der Senat entscheidet gem. § 90a Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung.

31

I. Die Klage von E, C und D in Bezug auf die Aufforderung zur Nacherklärung ist unzulässig, soweit eine Sachentscheidung über die bloße Aufhebung der Einspruchsentscheidung begehrt wird, allerdings in Bezug auf die isolierte Aufhebung der Einspruchsentscheidung zulässig (II.).

32

Im Übrigen ist die Klage für alle Kläger zulässig.

33

In Bezug auf den Einkommensteuerbescheid 2003 ist die Klage für alle Kläger begründet (III.).

34

Für die Kläger E, C und D ist die Klage betreffend die Aufforderung zur Nacherklärung insoweit begründet, als sie sich auf die (isolierte) Aufhebung der Einspruchsentscheidung bezieht (IV.1.).

35

Die Klage ist für A in Bezug auf die Aufforderung zur Nacherklärung vollen Umfangs begründet (IV. 2.).

36

Hinsichtlich des Bescheids über die Hinterziehungszinsen ist die Klage für alle Kläger unbegründet (V).

37

II. 1. Die Aufforderung zur Nacherklärung ist angesichts der grundsätzlichen - vorbehaltlich des § 393 AO - Erzwingbarkeit der Maßnahme (§§ 328ff AO) ein anfechtbarer Verwaltungsakt (vgl. BFH Urteil vom 16.11.2011 X R 18/09, BStBl II 2012, 129 Tz. 18 zur Aufforderung zur Einreichung einer Einnahmeüberschussermittlung). Zudem hat der Beklagte die Aufforderung in der Einspruchsentscheidung als Verwaltungsakt behandelt.

38

2. Die auf diesen Bescheid bezogene Klage der Kläger E, C und D als Erben nach B ist indes als Anfechtungsklage unzulässig, weil die Erben keinen Einspruch gegen die Aufforderung eingelegt haben.

39

Der Einspruch vom 23.11.2016 wurde allein im Namen von A erhoben. Mangels abgeschlossenen Vorverfahrens gem. § 44 FGO als Sachurteilsvoraussetzung kann eine Sachentscheidung insoweit nicht ergehen.

40

Auf Antrag der Kläger E, C und D wäre indes die Einspruchsentscheidung insoweit diesen gegenüber aufzuheben (vgl. zur selbständigen Beschwer durch die Einspruchsentscheidung Seer in: Tipke/Kruse § 40 FGO Lfg. Okt. 2014 Rn. 70).

41

In dem Antrag auf Aufhebung der Aufforderung zur Nacherklärung in Gestalt der Einspruchsentscheidung liegt als "weniger" auch der Antrag auf isolierte Aufhebung der Einspruchsentscheidung (vgl. BFH Urteil vom 26.08.2004 IV R 68/02, BFH/NV 2005, 665 Tz. 30). Insoweit ist die Klage daher zulässig - und begründet (s.u. IV).

42

3. Die von A gegen die Aufforderung erhobene Anfechtungsklage ist zulässig, soweit sie selbst als Adressatin genannt ist. Dies gilt auch, soweit sie die Person des Adressaten der Aufforderung als klärungsbedürftig ansieht.

43

III. Die Klage ist für alle Kläger in Bezug auf den Einkommensteuerbescheid für 2003 vom 09.12.2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.06.2017 begründet. Der Bescheid ist wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist rechtswidrig.

44

1. Der Bescheid ebenso wie die Einspruchsentscheidung ist - in der bekannt gegebenen Form im Gegensatz zu dem Aktenexemplar - zutreffend an A und die im Einzelnen benannten Erben von B als Inhaltsadressaten gerichtet. Angesichts der bestehenden Gesamtschuld durften gem. § 155 Abs. 3 AO zusammengefasste Bescheide ergehen und durch Übersendung an die empfangsbevollmächtigte Steuerberatungsgesellschaft bekanntgegeben werden. Unentschieden bleiben kann, ob die Übersendung einer Ausfertigung für jeden der bezeichneten Inhaltsadressaten erforderlich war, denn angesichts der Übersendung einer Ausfertigung der Einspruchsentscheidung für jeden der Inhaltsadressaten wäre eine Heilung des etwaigen Bekanntgabefehlers eingetreten (BFH Urteil vom 16.05.1990 X R 147/87, BStBl II 1990, 942).

45

2. Die Festsetzungsfrist war zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids am 09.12.2016 indes abgelaufen.

46

a) Gemäß § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO beginnt die Festsetzungsfrist, wenn eine Steuererklärung einzureichen ist, mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung eingereicht wird; die Festsetzungsfrist beträgt nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO im Fall der Steuerhinterziehung zehn Jahre.

47

Danach begann im Streitfall die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Jahres der Erklärungsabgabe für 2003, mithin mit Ablauf des 31.12.2005; ohne Ablaufhemmung endete sie am 31.12.2015.

48

Dass eine vorsätzliche Steuerhinterziehung vorlag und deshalb die verlängerte Festsetzungsfrist von zehn Jahren zur Anwendung kommt, ist angesichts der fehlenden Angabe der in seinem Depot befindlichen Kapitalanlagen und der hieraus resultierenden Kapitaleinkünfte in der Steuererklärung nicht zweifelhaft und wird seitens der Kläger zumindest für die Person des Erblassers B nicht in Abrede gestellt. Dies gilt für den gesamten Umfang der für 2003 angefallenen Kapitalerträge ungeachtet der von den Prozessbevollmächtigten außergerichtlich angesprochenen und offen gelassenen Frage der ggf. nur anteiligen steuerlichen Zurechnung der Kapitaleinkünfte zu den Einkünften B bzw. A. Insbesondere gilt dies auch unter Berücksichtigung des Vortrags zu dem Verlauf der Kapitalerträge A auf S. 3 des Schreibens vom 09.12.2015 an den Beklagten. Nach der insoweit glaubhaften Schilderung wurde das nach Einrichtung eines "kleineren" Depots für A 1993/1994 hierin befindliche Vermögen nach Auflösung des Depots wenige Jahre später auf das Konto bzw. Depot B transferiert. Die hieraus resultierenden Kapitalerträge sind nunmehr auch steuerlich B als über die Einkunftsquelle Verfügungsbefugtem zuzurechnen. Anhaltspunkte dafür, dass B teilweise ggf. nur als Treuhänder für A eingesetzt worden war und daher die entsprechenden Erträge A gem. § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO zuzurechnen wären, liegen nicht vor.

49

Die Erben, auf die die Steueransprüche gem. § 45 Abs. 1 S. 1 AO übergehen, müssen die hierdurch bewirkte Verlängerung der Festsetzungsfrist gegen sich gelten lassen, diese endet mithin nicht mit dem Tod des Erblassers (vgl. Drüen in: Tipke/Kruse AO § 45 Lfg. Okt. 2013 Rn. 9).

50

Ob daneben auch A eine Steuerhinterziehung begangen hat, ist an dieser Stelle ohne Bedeutung. Zwar ist auch im Falle der Zusammenveranlagung grundsätzlich die Frage der Festsetzungsverjährung für jeden Ehegatten gesondert zu prüfen (BFH Urteil vom 17.11.2015 VIII R 68/13, BStBl II 2016, 571 Tz. 26). Gem. § 169 Abs. 2 S. 3 AO greift die infolge Steuerhinterziehung verlängerte Festsetzungsfrist indes auch, wenn die Steuerhinterziehung nicht durch den (jeweiligen) Steuerschuldner begangen wurde, es sei denn, der Steuerschuldner weist nach, dass er durch die Tat keinen Vermögensvorteil erlangt hat und dass sie auch nicht darauf beruht, dass er die im Verkehr erforderlichen Vorkehrungen zur Verhinderung von Steuerverkürzungen unterlassen hat. Im Falle der Gesamtschuldnerschaft (wie hier im Falle der Zusammenveranlagung) verlängert sich die Festsetzungsverjährung entsprechend für alle Gesamtschuldner (Paetsch in: Gosch AO § 169 Lfg. 1.1.2017 Rn. 59). Hat sich ein Ehegatte darauf beschränkt, die gemeinsame Steuererklärung nur zu unterschreiben, ohne zugleich selbst eine Steuerhinterziehung zu begehen, so ändert dies nichts an der Hinterziehung des Steueranspruchs als solchem (BFH Beschluss vom 20.08.2010 IX B 41/10, BFH/NV 2010, 2239). Den Entlastungsnachweis hat die Klägerin A nicht geführt. Ein Steuervorteil bestand im Übrigen für sie schon aufgrund der erfolgten zu niedrigen Steuerfestsetzung (vgl. BFH Urteil vom 29.08.2017 VIII R 32/15, BStBl II 2018, 223 Tz. 36) und weil die (zutreffende) Steuer, für die sie gesamtschuldnerisch haftete, nicht fällig geworden war. Auf die Höhe des erlangten Vermögensvorteils kommt es nicht an (vgl. Banniza in: Hübschmann/Hepp/Spitaler AO § 169 Lfg. Feb. 2018 Rn. 61).

51

Eine etwaige Anzeige gem. § 153 AO führte zu keiner weitergehenden Anlaufhemmung i.S.v. § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO (im Unterschied zu der möglichen Ablaufhemmung gem. § 171 Abs. 9 AO). Der Eintritt der Anzeigepflicht nach § 153 Abs. 1 AO setzt notwendigerweise die Abgabe einer - zu berichtigenden - Steuererklärung voraus. Hat aber einmal die Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO, nämlich nach Abgabe der Steuererklärung, begonnen, kann der Eintritt der Pflicht zur Anzeige nach § 153 Abs. 1 AO nicht noch einmal gemäß § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO zum (erneuten) Beginn der Festsetzungsfrist in ihrer ganzen Länge und damit im Ergebnis zur Unterbrechung der früher bereits in Gang gesetzten Frist führen (BFH Beschluss vom 22.01.1997 II B 40/96, BStBl II 1997, 266 Tz. 24 f; BFH Urteil vom 28.02.2008 VI R 62/06, BStBl II 2008, 595 Tz. 17; Drüen in: Tipke/Kruse AO § 170 Rn. 8, 14).

52

b) Eine Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist gem. § 171 Abs. 9 AO ist im Streitfall nicht eingetreten.

53

(aa) Erstattet der Steuerpflichtige vor Ablauf der Festsetzungsfrist eine Anzeige nach den §§ 153, 371 und 378 Abs. 3 AO, so endet die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf eines Jahres nach Eingang der Anzeige (§ 171 Abs. 9 AO). Die Anzeige i.S. von § 171 Abs. 9 AO bewirkt mithin eine Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist.

54

§ 171 Abs. 9 AO räumt der Finanzbehörde die Möglichkeit ein, innerhalb eines Jahres die zutreffenden Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln, wenn der Steuerpflichtige selbst erklärt, unzutreffende Angaben gemacht und so Steuern hinterzogen zu haben. Die Regelung soll verhindern, dass es bei einer kurz vor Ablauf der Festsetzungsfrist erstatteten Anzeige des Steuerpflichtigen zur Festsetzungsverjährung kommt, weil der Finanzbehörde nicht mehr genügend Zeit zur Auswertung der berichtigten Angaben bleibt, die ihr aufgrund von in der Sphäre des Steuerpflichtigen liegenden Umständen bisher nicht bekannt waren (BFH Urteil vom 08.07.2009 VIII R 5/07, BStBl II 2010, 583 Tz. 31f; Banniza in: Hübschmann/Hepp/Spitaler AO § 171 Lfg. April 2018 Rn. 184). Maßgeblich für den Beginn der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 9 AO kann daher nur sein, dass der Steuerpflichtige den entsprechenden Lebenssachverhalt so aufdeckt, dass die Finanzbehörde in die Lage versetzt wird, insoweit ihrer Ermittlungspflicht nachzukommen. Erfüllt der Steuerpflichtige dann seine weiterhin bestehenden Mitwirkungspflichten nicht, kann die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen, auf die sich die "Selbstanzeige" des Steuerpflichtigen bezieht, notfalls auch schätzen. Für den Eintritt der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 9 AO genügt es, dass die angezeigte Steuerverkürzung dem Grunde nach individualisiert werden kann. Dies setzt voraus, dass der Steuerpflichtige Steuerart und Veranlagungszeitraum benennt und den Sachverhalt in den Grundzügen so schildert, dass der Gegenstand der Selbstanzeige erkennbar wird und das Finanzamt ohne langwierige eigene Ermittlungen die zutreffende Steuer festsetzen bzw. schätzen kann (BFH Urteil vom 21.04.2010 X R 1/08, BStBl II 2010, 771 Tz. 26ff; BFH Urteil vom 17.11.2015 VIII R 68/13, BStBl II 2016, 571 Tz. 22). Die Ablaufhemmung kann folglich auch aufgrund einer "Selbstanzeige" eintreten, welche die Voraussetzungen des § 371 Abs. 1 AO für die strafbefreiende Wirkung einer Selbstanzeige (noch) nicht erfüllt (BFH Urteil vom 21.04.2010 X R 1/08 a.a.O.)

55

Der Kläger in dem Verfahren X R 1/08 hatte zwar - allerdings erst im Einspruchsverfahren - die Beschränkung der dortigen Selbstanzeige auf die strafrechtlich relevanten Jahre geltend gemacht. Der BFH hat jedoch schon die erste (nach Ablauf des Zeitpunkts der regulären Festsetzungsverjährung, aber innerhalb der Jahresfrist gem. § 171 Abs. 9 AO ergänzte) Anzeige als Selbstanzeige für das betreffende Jahr dem Grunde nach und als ausreichend für § 171 Abs. 9 AO gewertet.

56

Der BFH hat auf den Wertungswiderspruch hingewiesen, sofern man den vollen Umfangs ehrlich gewordenen Steuerpflichtigen anders behandeln wollte als denjenigen, der nur teilweise nacherklärt; der Steuerpflichtige könne nicht die dem Finanzamt zur Verfügung stehende Zeit für Erlass eines Änderungsbescheids (in der Zeit bis zum Ablauf der regulären Festsetzungsfrist oder innerhalb der gem. § 171 Abs. 9 AO verlängerten Frist) einseitig verkürzen.

57

Die Berichtigungsanzeige i.S. des § 153 Abs. 1 AO ist an das örtlich und sachlich zuständige FA zu richten. Damit übereinstimmend wird zu § 171 Abs. 9 AO einhellig und zutreffend die Auffassung vertreten, dass die Festsetzungsfrist, die der Finanzbehörde zur Auswertung der Anzeige nach § 153 Abs. 1 AO zur Verfügung steht, nicht vor Ablauf eines Jahres nach Eingang beim zuständigen FA endet (BFH Urteil vom 28.02.2008 VI R 62/06, BStBl II 2008, 595 m.w.N.). Nach Sinn und Zweck der in Rede stehenden Regelungen und aufgrund der Verknüpfung von Berichtigungspflicht, Steuerverkürzung und Ablauf der Festsetzungsfrist ist allerdings davon auszugehen, dass bei Übermittlung der Anzeige an ein unzuständiges Finanzamt die Berichtigungsanzeige zwar als erstattet anzusehen, d.h. die Ablaufhemmung gem. § 171 Abs. 9 AO ausgelöst ist, die Jahresfrist jedoch (erst) mit dem Tag beginnt, an dem die weitergeleitete Anzeige beim zuständigen Finanzamt eingeht (BFH Urteil vom 28.02.2008 VI R 62/06, BStBl II 2008, 595). Mithin ist zwischen dem Eintritt der Ablaufhemmung und dem Beginn der Jahresfrist zu unterscheiden (vgl. Banniza in: Hübschmann/Hepp/Spitaler AO § 171 Lfg. April 2018 Rn. 186). Versäumnisse wie die fehlerhafte Übermittlung der Berichtigungsanzeige gehen daher zu Lasten des Steuerpflichtigen (BFH Urteil vom 28.02.2008 a.a.O. Tz. 24).

58

Die Anzeige muss von dem Steuerpflichtigen selbst oder von dessen Gesamtrechtsnachfolger (Erben) erstattet werden; die Anzeige eines Dritten löst die Ablaufhemmung nicht aus (Paetsch in: Gosch AO § 171 Stand 1.3.2017 Rn. 152; Kruse in: Tipke/Kruse AO § 171 Lfg. Jan 2012 Rn. 18 m.w.N.: folglich auch keine Ablaufhemmung gegenüber dem Gesamtschuldner, der keinen Antrag gestellt hat). Insoweit gilt im Rahmen des § 171 Abs. 9 AO etwas Anderes als für die Sonderregelung zum Strafverfolgungshindernis in § 371 Abs. 4 AO (in Abgrenzung zu dem persönlichen Strafaufhebungsgrund gem. § 371 Abs. 1 AO), die zur Vermeidung eines Denunziationsvorwurfs (hierzu und zur Abgrenzung von § 371 Abs. 1 und Abs. 4 AO s. Seer in: Tipke/Kruse AO § 371 Lfg. Okt. 2016 Rn. 123) auch im Falle einer Anzeige durch einen Dritten greift. Die Aufzählung der Anzeigen in § 171 Abs. 9 AO ist abschließend. Anzeigen nach anderen Vorschriften bzw. solche, die von Dritten zu erstatten sind (z.B. gem. §§ 33, 34 ErbstG oder §§ 18, 19 GrEStG), begründen keine Ablaufhemmung (BFH Beschluss vom 19.05.1992 VII S 12/92, BFH/NV 1993, 144 zur Bestandmeldung gem. § § 21 Abs. 7 MinöStDV; Paetsch in: Gosch AO § 171 Stand 1.3.2017 Rn. 150; Banniza in: Hübschmann/Hepp/Spitaler § 171 AO Lfg. April 2018 Rn. 185).

59

In diesem Zusammenhang hat der BFH in der genannten Entscheidung vom 19.05.1992 darauf hingewiesen (Tz. 19), dass für § 171 Abs. 9 AO die Erkennbarkeit des Willens des Steuerpflichtigen erforderlich sei, die Richtigstellung einer Steuererklärung vorzunehmen, für die bislang fehlerhaften Angaben einstehen und der Behörde mitteilen zu wollen, sie möge den Steuerbescheid korrigieren.

60

(bb) Nach diesen Rechtsgrundsätzen ist, soweit der Einkommensteueränderungsbescheid für 2003 gegenüber den Erben nach B ergangen ist, mangels Nacherklärungswillens keine Ablaufhemmung gem. § 171 Abs. 9 AO eingetreten.

61

Die Erklärung gegenüber dem Beklagten vom 09.12.2015 enthielt keinerlei Hinweis auf nachzuerklärende Kapitaleinkünfte für 2003. Der für die Auslösung der Ablaufhemmung in Bezug auf die Einkommensteuerschuld 2003 der Erben nach B in Betracht kommenden Erklärung vom 09.12.2015 gegenüber dem Finanzamt für Verkehrsteuern und Grundbesitz fehlt - ungeachtet dessen, dass die den Aussteller ausweisende Erklärung selbst dem Beklagten nicht übermittelt wurde - auch unter Einbeziehung der gegenüber dem Beklagten eingereichten Erklärung vom 09.12.2015 der erkennbare Wille der Erben, eine Korrektur betreffend die Einkommensteuer 2003 zu veranlassen.

62

Soweit sich Hinweise auf die Einkommensteuer für 2003 aus den Anlagen zu dem Schreiben an das Finanzamt für Verkehrsteuern und Grundbesitz ergeben, dienten sie allein der Berechnung der Geltendmachung der für die Erbschaftsteuer zu berücksichtigenden Nachlassverbindlichkeiten.

63

Die Auffassung des Beklagten, dass die Berücksichtigung als Nachlassverbindlichkeit eine Festsetzung der Einkommensteuer voraussetze, entspricht nicht der Rechtsprechung des BFH und rechtfertigt schon deshalb nicht die Auslegung des Schriftsatzes gegenüber dem Finanzamt für Verkehrsteuern und Grundbesitz als Nacherklärung auch für die Einkommensteuer 2003.

64

Nach der Rechtsprechung des BFH muss die als Nachlassverbindlichkeit zu berücksichtigende Steuerschuld zum maßgeblichen Stichtag, d.h. zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers, bereits entstanden sein und zudem im Todeszeitpunkt eine wirtschaftliche Belastung dargestellt haben. Letztere sei grundsätzlich anzunehmen, da davon auszugehen sei, dass die Finanzbehörden entstandene Steuern in der materiell-rechtlich zutreffenden Höhe festsetzen werden. Treffe dies zu, sei die als Nachlassverbindlichkeit abziehbare Steuerschuld für die Festsetzung der Erbschaftsteuer eigenständig zu ermitteln. Es spiele keine Rolle, ob und ggf. in welcher Höhe die danach abziehbare Steuer tatsächlich festgesetzt wird (BFH Urteil vom 28.10.2015 II R 46/12, BStBl II 2016, 477 Tz. 12, 14). Allerdings fehle es an der wirtschaftlichen Belastung, wenn bei objektiver Würdigung der Verhältnisse in diesem Zeitpunkt angenommen werden konnte, dass der Steuergläubiger seine Forderung nicht geltend machen werde. Dies sei insbesondere der Fall, wenn der Erblasser die aus seinem im Ausland angelegten Vermögen erzielten Einkünfte gegenüber dem für die Festsetzung der Einkommensteuer zuständigen Finanzamt verschwiegen hatte und diesem deshalb auch die nur theoretische Möglichkeit genommen war, von den darauf beruhenden Steueransprüchen zu erfahren (BFH a.a.O. Tz. 16; krit. zu dieser Rechtsprechung Geck in: Kapp/Ebeling Erbschaft- und Schenkungssteuergesetz § 10 ErbStG Lfg. März 2019 Rn. 69).

65

Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob er der vorerwähnten Rechtsprechung des BFH folgt, da hier allein die Auslegung der Erklärungen der Kläger in Rede steht und auch im Rahmen einer Gesamtwürdigung die Schlussfolgerung auf einen Korrekturwillen auch für die Einkommensteuer 2003 nicht gerechtfertigt ist.

66

Zwar konnte beim Finanzamt für Verkehrsteuern und Grundbesitz aufgrund des Hinweises auf die zeitgleiche Nacherklärung gegenüber dem Beklagten und die Ankündigung der Mitteilung der tatsächlichen Steuerschuld nach Erlass der geänderten Einkommensteuerbescheide der Eindruck entstehen, die Nacherklärung gegenüber dem Beklagten betreffe auch das Jahr 2003, obgleich in dem Schreiben an das Finanzamt für Verkehrsteuern und Grundbesitz wörtlich nur die Kapitalerträge "bis 2009" ohne Bezeichnung des Anfangsjahres genannt sind. Auch konnte das Finanzamt für Verkehrsteuern und Grundbesitz den Eindruck gewinnen, die Erben beabsichtigten auch eine Berichtigung des Einkommensteuerbescheides für 2003 zu erreichen und wollten mithin auch für die Einkommensteuerschuld 2003 einstehen.

67

Dass dieser Eindruck entstehen würde, war im Zweifel auch den Prozessbevollmächtigten der Erben klar, zumal wenn auch sie zum Zeitpunkt der Schreiben vom 09.12.2015 davon ausgingen, dass eine Festsetzung der Einkommensteuer für die Berücksichtigung der Steuerschuld im Rahmen der Erbschaftsteuerfestsetzung erforderlich ist (s.a. S. 5 der Klagschrift, worin der Prozessbevollmächtigte der Rechtsauffassung des Beklagten insoweit zustimmt).

68

Allerdings zeigt gerade der Hinweis der Erben auf die eigenständige Nacherklärung gegenüber dem Beklagten, dass das Schreiben gegenüber dem Finanzamt für Verkehrsteuern und Grundbesitz keine Nacherklärung sein sollte. In der Zusammenschau mit dem Inhalt des Schreibens der Erben an den Beklagten und der dort mehrfach erwähnten Korrekturzeiträume (erst) ab 2004 konnte bei verständiger Würdigung auch nicht davon ausgegangen [werden], dass das Jahr 2003 gegenüber dem Beklagten nur versehentlich unerwähnt geblieben war und die Erben tatsächlich auch insoweit eine Korrektur veranlassen und für die Einkommensteuer 2003 einstehen wollten. Im Gegenteil drängt sich der Eindruck auf, dass bewusst auf den Eintritt der Festsetzungsverjährung für die Einkommensteuer 2003 "spekuliert" wurde. Im Übrigen geht auch der Beklagte davon aus, dass es an einer entsprechenden "verbindlichen" Berichtigungserklärung der Erben fehlte. Hiermit begründet der Beklagte gerade die erfolgte Aufforderung zur Nacherklärung.

69

Der bei dem Finanzamt für Verkehrsteuern und Grundbesitz ggf. entstandene andere Eindruck ist für die Auslegung im Ergebnis nicht entscheidend. Auch wenn eine Nacherklärung gegenüber einem unzuständigen Amt geeignet ist, schon den Eintritt der Ablaufhemmung auszulösen, kann es für die Auslegung dann nicht allein auf den Empfängerhorizont des für die Einkommensteuer unzuständigen Amtes ankommen, wenn eine eigenständige Nacherklärung gegenüber dem zuständigen Amt erfolgt ist.

70

Der Senat ist mit der Entscheidung des BFH vom 19.05.1992 (a.a.O.) der Auffassung, dass eine Nacherklärung i.S.v. § 171 Abs. 9 AO die Erkennbarkeit des Willens des Steuerpflichtigen zur Veranlassung einer Korrektur des betreffenden Bescheides erfordert.

71

Diese Rechtsprechung stimmt damit überein, dass § 171 Abs. 9 AO - wie dargelegt und nach dem Wortlaut eindeutig ist - eine eigene Erklärung des Steuerpflichtigen voraussetzt. Auslöser für die mit der Ablaufhemmung bewirkte Verlängerung der Festsetzungsmöglichkeit ist gerade die jenseits der regulären Steuererklärung aus eigenem Antrieb des Steuerpflichtigen erfolgte Nacherklärung. Der Steuerpflichtige hat es grundsätzlich in der Hand zu entscheiden, ob und in welchem Umfang er nacherklärt - mit der o.g. Einschränkung, dass im Rahmen des § 171 Abs. 9 AO im Vergleich zu den Anforderungen des § 371 AO in Bezug auf das Maß der Konkretisierung geringere Anforderungen an die zur Ablaufhemmung führende Selbstanzeige gestellt werden. Eine eigene Erklärung setzt notwendig auch einen Erklärungswillen voraus, der die Folgen der Nacherklärung, eben das Einstehen für die Steuerschuld, umfasst. Hätte der Gesetzgeber mit der Regelung in § 171 Abs. 9 AO auf die Notwendigkeit des Willens des Steuerpflichtigen zur Nacherklärung verzichten wollen, hätte er in § 153 AO bzw. § 371 Abs. 1 AO entsprechend der Regelung in der Änderungsvorschrift in § 173 AO nur auf das Bekanntwerden neuer Tatsachen abgestellt. Die von einem Korrekturwillen getragene eigene Erklärung des Steuerpflichtigen ist gerade der Grund für die Ablaufhemmung zur Gewährleistung einer ausreichenden Überprüfungsmöglichkeit, die § 171 Abs. 9 AO in Abgrenzung zu den Fallgestaltungen der nur allgemein "irgendwie" bekannt gewordenen Tatsachen vorsieht, die zwar auch die Änderungsmöglichkeit gem. § 173 AO eröffnen, ohne dass dies indes mit einer Ablaufhemmung verbunden ist.

72

Zwar bleibt bei der hier vorgenommenen Auslegung der von dem BFH in der Entscheidung vom 21.04.2010 (X R 1/08, BStBl II 2010, 771 Tz. 29) aufgezeigte Wertungswiderspruch, wonach ein in vollem Umfang ehrlich gewordener Steuerpflichtiger die Festsetzung der nacherklärten Steuer innerhalb der Jahresfrist des § 171 Abs. 9 AO hinnehmen muss, nicht aber ein Steuerpflichtiger, der die seinerzeit unvollständigen Angaben nur teilweise berichtigt. Der Steuerpflichtige hat indes das Risiko zu tragen, wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen zur Verantwortung gezogen zu werden, sofern die Voraussetzungen des § 371 Abs. 1 S. 2 AO (Angabe zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart, mindestens aber zu allen Taten der letzten 10 Jahre) nicht erfüllt sind.

73

Soweit der BFH in der Entscheidung vom 21.04.2010 (X R 1/08, BStBl II 2010, 771) unentschieden gelassen hat, ob eine sich auf einen einheitlichen Lebenssachverhalt beziehende Selbstanzeige überhaupt auf bestimmte Jahre beschränkt werden kann (Tz. 31), sieht der Senat für den Streitfall jedenfalls im Anwendungsbereich des § 171 AO keine Bedenken, zumal auch die auf bestimmte Jahre beschränkte Erklärung von Kapitalanlagen und Kapitaleinkünften als einheitlicher Sachverhalt gewürdigt werden kann, eine Berichtigung i.S.v. § 153 AO sich auf eine bestimmte Erklärung zu beziehen hat und eine Einkommensteuererklärung stets ein bestimmtes Veranlagungsjahr betrifft.

74

Ein Verzicht auf das Merkmal des Willens wäre eine systemwidrige Abkehr von dem Prinzip der Freiwilligkeit der Selbstanzeige gem. § 371 Abs. 1 AO bzw. der zumindest weitgehend auf eigenem Antrieb des Steuerpflichtigen beruhenden Anzeige gem. § 153 AO (vgl. BFH Beschluss vom 19.05.1992 VII S 12/92, BFH/NV 1993, 144 Tz. 17) - auch wenn das Gesetz in § 153 AO von einer Verpflichtung zur Nacherklärung bei nachträglich erkannter Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit ausgeht.

75

Ein Widerspruch zu der Entscheidung des BFH vom 21.04.2010 liegt in der Sache nicht vor, da der BFH in der dortigen Entscheidung nicht auf den Willen des Steuerpflichtigen zur Nacherklärung verzichtet, sondern nach Würdigung des Sachverhalts die Erklärung des dortigen Steuerpflichtigen im Sinne einer auch das dort in Rede stehende Streitjahr umfassende Nacherklärung ausgelegt und den entsprechenden Erklärungswillen nicht in Frage gestellt hat.

76

Ebenso wenig steht die Entscheidung im Sinne der Notwendigkeit eines Willens zur Korrektur der Erklärung im Widerstreit zu der Regelung in § 171 Abs. 3 AO. Insbesondere ist eine mit Korrekturwillen abgegebene Anzeige i.S.v. § 153 AO (ebenso wie eine Selbstanzeige i.S.v. § 371 AO) nicht schon von der Regelung zur Ablaufhemmung gem. § 171 Abs. 3 AO erfasst. Die Erklärung gem. § 153 AO bzw. § 371 AO stellt keinen Antrag auf Änderung einer Steuerfestsetzung gem. § 171 Abs. 3 AO dar. Als "Antrag" in diesem Sinne sind nur Willenserklärungen zu verstehen, die ein Tätigwerden der Finanzbehörde außerhalb des infolge der Amtsmaxime ohnehin gebotenen Verwaltungshandelns auslösen sollen. Kein solcher Antrag ist deshalb die Abgabe einer gesetzlich vorgeschriebenen Steuererklärung, da sie nur der Durchführung der regulären Steuerfestsetzungstätigkeit der Finanzbehörden dient (vgl. Beschluss des BFH vom 08.09.2003 VI B 87/03 BFH/NV 2004, 9). Entsprechendes gilt für eine auf die Berichtigung einer Steuererklärung gerichtete Erklärung (BFH Urteil vom 08.07.2009 VIII R 5/07, BStBl II 2010, 583 Tz. 28; FG Bremen Urteil vom 7. September 2006 1 K 69/06, EFG 2006, 1883 Tz. 46 ff).

77

(cc) Auch in Bezug auf den Einkommensteueränderungsbescheid für 2003 gegenüber A ist mangels eigener Erklärung keine Ablaufhemmung gem. § 171 Abs. 9 AO eingetreten.

78

Die Erklärung gegenüber dem Beklagten vom 09.12.2015 enthielt keinerlei Hinweis auf nachzuerklärende Kapitaleinkünfte für 2003. Die mit Schreiben vom 09.12.2015 gegenüber dem Finanzamt für Verkehrsteuern und Grundbesitz abgegebene Erklärung und die von diesem in Bezug auf die Kapitaleinkünfte für 2003 an den Beklagten weitergeleitete Aufstellung kommt als Anknüpfungspunkt für die Auslösung des Hemmungstatbestands gem. § 171 Abs. 9 AO gegenüber A schon deshalb nicht in Betracht, weil es ausdrücklich nur für die drei Erben nach B eingereicht wurde. Es enthält keinen Anhaltspunkt, der eine Auslegung als Erklärung auch für A rechtfertigte.

79

Mithin fehlt es an einer eigenen Erklärung A als Steuerpflichtiger i.S.v. § 171 Abs. 9 AO und damit an einer notwendigen Voraussetzung für den Eintritt der Ablaufhemmung nach dieser Vorschrift.

80

c) Der Ablauf der (verlängerten) Festsetzungsfrist war zwar zunächst gem. § 171 Abs. 7 AO gehemmt. Indes war die Hemmungswirkung zum Zeitpunkt des Erlasses des Einkommensteueränderungsbescheids am 09.12.2016 schon beendet und damit Festsetzungsverjährung eingetreten.

81

Gem. § 171 Abs. 7 AO endet die Festsetzungsfrist in den Fällen des § 169 Abs. 2 S. 2 AO nicht, bevor die Verfolgung der Steuerstraftat verjährt ist.

82

(aa) Bezogen auf die Erststraftat des Erblassers aufgrund unrichtiger Steuererklärung ist die 5- jährige Strafverfolgungsverjährung gem. § 78 Abs. 3 Nr. 4 i.V.m. § 78a Strafgesetzbuch (StGB) angesichts der Vollendung und Beendigung der Tat mit dem unrichtigen Erstbescheid vom 22.07.2005 am 22.07.2010 eingetreten, mithin vor Ablauf der infolge Steuerhinterziehung gem. § 169 Abs. 2 S. 2 AO auf 10 Jahre verlängerten Festsetzungsfrist. Eine Ablaufhemmung gem. § 171 Abs. 7 AO kommt daher bezogen auf die Erststraftat nicht in Betracht.

83

(bb) Hinreichende Anhaltspunkte für eine (zumal noch nicht verjährte) Steuerhinterziehung A, sei es infolge unterlassener Erklärung eigener Einkünfte (dazu s.o. III 2 a), sei es durch Mitwirkung an einer Steuerhinterziehung ihres Ehemannes (jenseits der strafrechtlich für sich betrachtet unbeachtlichen Unterschrift unter der gemeinsamen Steuererklärung mit den unvollständigen Angaben zu den Kapitaleinkünften des Erblassers, vgl. BFH Urteil vom 16.04.2002 IX R 40/00, BStBl II 2002, 501 Tz. 14), liegen nicht vor und sind auch seitens des Beklagten nicht vorgebracht worden.

84

(cc) Zwar hat zunächst eine verfolgbare Steuerhinterziehung durch Unterlassen seitens der Erben gem. § 171 Abs. 7 AO zur Ablaufhemmung geführt (s. dazu unter (1) - (3)). Dies muss A gem. § 169 Abs. 2 S. 3 AO gegen sich gelten lassen (vgl. Kruse in: Tipke/Kruse § 171 AO Lfg. Jan. 2012 Rn. 76 m.w.N.). Jedoch war die Hemmungswirkung angesichts der Beendigung der Steuerhinterziehung seitens der Erben spätestens Ende Juni 2011 und dem Ablauf der Verfolgungsverjährung spätestens Ende Juni 2016 zum Zeitpunkt des Erlasses des Einkommensteueränderungsbescheids 2003 vom 09.12.2016 schon beendet und damit Festsetzungsverjährung eingetreten (s.u. (5) - (7)).

85

(1) § 171 Abs. 7 AO ist grundsätzlich im Hinblick auf noch nicht verfolgungsverjährte Steuerhinterziehungen der Erben anwendbar.

86

Zwar wird zum Teil vertreten, § 171 Abs. 7 AO stelle allein auf die Verfolgungsverjährung derjenigen Hinterziehungstat ab, die sich als "Erststraftat" durch Verletzung der regulären Steuererklärungspflicht unmittelbar auf die entstandene Steuer bezieht und die verlängerte Festsetzungsfrist gem. § 169 Abs. 2 S. 2 AO auslöst, so dass sich aus der Regelung eine Ablaufhemmung gegenüber den Erben nicht ergebe (so Paetsch in: Gosch AO § 171 Lfg. März 2017 Rn. 137; Fromm DStR 2014, 1747, 1750, der generell §§ 169 ff AO auf die Berichtigungserklärung gem. § 153 AO nicht anwenden will; s.a. Sommer/Kauffmann NZWiSt 2015, 63; Radermacher StBW 2014, 956). Eine Stütze scheint diese Auffassung zunächst darin zu finden, dass - wie dargelegt (s.o. III 2 a) - die Berichtigungserklärung gem. § 153 AO nicht als den Beginn der Festsetzungsfrist markierende Anzeige i.S.v. § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO zu werten ist. Auf der anderen Seite kann auch die Steuerhinterziehung durch Unterlassen der Berichtigung gem. § 153 AO seitens des Gesamtrechtsnachfolgers zu einer Verlängerung der Festsetzungsfrist gem. § 169 Abs. 2 S. 2 AO führen (s. BFH Urteil vom 29.08.2017 VIII R 32/15, BStBl II 2018, 223: die Verlängerung aufgrund aktiver Steuerhinterziehung des Erblassers scheiterte wegen krankheitsbedingter Unwirksamkeit dessen Steuererklärung, die reguläre Festsetzungsfrist war zum Zeitpunkt des Eintritts der Gesamtrechtsnachfolge und damit des frühesten Entstehens der Berichtigungspflicht noch nicht abgelaufen; vgl. zur Verlängerung der Festsetzungsfrist infolge unterlassener Anzeige gem. § 153 AO auch Schindler in: Gosch AO § 153 Lfg. 1.1.2016 Rn. 5 und 35, allerdings ohne Erwähnung der Behandlung der Erben). Dies entspricht nach Ansicht des Senats konsequenter Berücksichtigung der eigenständigen Steuerhinterziehung der Erben aufgrund unterlassener Berichtigungserklärung. Im Streitfall bedarf es für die Anwendung des § 169 Abs. 2 S. 2 AO allerdings nicht des Rückgriffs auf die "eigene" Steuerhinterziehung der Erben, weil die Festsetzungsverjährung - anders als in dem Fall des BFH - schon aufgrund der Steuerhinterziehung seitens des Erblassers verlängert war und im Übrigen auch nicht mit dem Tod des Erblassers endete (s.o. III 2a - anders als die Strafverfolgung dessen Tat, dazu sogleich).

87

§ 171 Abs. 7 AO bietet keinen Anhaltspunkt dafür, diese Norm auf die "Erststraftat" zu beschränken.

88

Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. VI/1982 S. 152 zu dem seinerzeitigen § 152 Abs. 4 des Entwurfs einer Abgabenordnung 1974) soll durch die Regelung verhindert werden, dass bei noch verfolgbarer Steuerhinterziehung (oder leichtfertiger Steuerverkürzung) eine Steuerfestsetzung nicht mehr vorgenommen werden kann. Mit Hinweis auf diese Gesetzesbegründung und mit Blick auf das durch den Tod eingetretene Strafverfolgungshindernis hat sich der BFH in der Entscheidung vom 02.12.1977 (III R 117/75, BStBl II 1978, 359 zu der dem § 171 Abs. 7 AO entsprechenden Regelung in § 146a Abs. 4 RAO) für eine Verjährung der Steueransprüche mit dem Tod des Erblassers und gegen die Hemmung (mit Wirkung zu Lasten des Erben) bis zum theoretischen Ablauf der Strafverfolgungsverjährung ausgesprochen (s.a. Banniza in: Hübschmann/Hepp/Spitaler § 171 AO Lfg. April 2018 Rn. 163 mit Hinweis auf die Entscheidung des BFH vom 02.12.1977). Anders als im Streitfall hatte in dem vom BFH entschiedenen Fall eine Betriebsprüfung nach dem Tod des Erblassers die Unrichtigkeit der Steuererklärung ergeben und findet sich in dem in der Entscheidung des BFH wiedergegebenen Sachverhalt kein Hinweis für eine seitens des Erben erkannte Unrichtigkeit und damit für eine eigene selbständig verfolgbare Steuerhinterziehung des Erben.

89

Nach Auffassung des Senats entspricht es dem Zweck der Norm, auch die spätere, auf die nämliche Steuerschuld des Erblassers bezogene, eigene Steuerhinterziehung des Erben als Grund für eine Ablaufhemmung heranzuziehen (s.a. FG München Gerichtsbescheid vom 26.07.2019 6 K 3189/17, EFG 2019, 1731). Soweit Fromm (a.a.O.) zur Begründung gegen die Anwendung des § 171 Abs. 7 AO anführt, § 153 AO führe nicht zur Entstehung einer Steuer, sondern deklariere nur bereits entstandene, aber nicht ordnungsgemäß veranlagte Steuern, überzeugt dies schon deshalb nicht, weil die Steuern stets ohne Rücksicht auf eine Erklärung kraft Gesetzes entstehen.

90

Der Anwendung des § 171 Abs. 7 AO auch bezogen auf die Verletzung der Berichtigungspflicht der Erben steht nach Auffassung des Senats nicht entgegen, dass das Entstehen der Berichtigungspflicht für die Erben damit ggf. mit dem Wegfall der Verfolgungsverjährung gegenüber dem Erblasser zusammenfiele bzw. ggf. erst nach dem Wegfall der Verfolgungsverjährung gegenüber dem Erblasser einsetzte. Entscheidend ist, dass die eigene Steuerhinterziehung seitens der Erben noch während des Laufs der aufgrund der Steuerhinterziehung seitens des Erblassers verlängerten Festsetzungsfrist gem. § 169 Abs. 2 S. 2 AO (hier: Ablauf zum 31.12.2015) verwirklicht wurde, d.h. hier die Handlungspflicht bis zu diesem Zeitpunkt eingetreten und vorsätzlich verletzt worden war. Allein an die Festsetzungsfrist knüpft § 153 AO für den Zeitpunkt des Erkennens der Unrichtigkeit der Erklärung ("vor Ablauf der Festsetzungsfrist") an.

91

Die Geltung des § 171 Abs. 7 AO auch für die Steuerhinterziehung durch die Erben hätte zwar eine Ausweitung der nachzuerklärenden Zeiträume für eine wirksame Selbstanzeige gem. § 371 AO zur Folge (vgl. dazu Fromm DStR 2014, 1747). Dass hierdurch entsprechend der Kritik an der zwischenzeitlich für die Steuerhinterziehung auch mit Rücksicht auf die Zielsetzungen des § 371 AO aufgegebenen Figur des Fortsetzungszusammenhangs (vgl. BGH Beschluss vom 05.04.2000 5 StR 226/99, wistra 2000, 219 Tz. 78; BGH Beschluss vom 20.06.1994 5 StR 595/93, BGHSt 40, 195 - Tz. 13 auch zu § 171 Abs. 7 AO; BGH Großer Senat für Strafsachen Beschluss vom 03.05.1994 GSSt 2 und 3/93, BGHSt 40,138) die gesetzlichen Regelungen über Verjährungsfristen faktisch außer Kraft gesetzt würden (vgl. dazu BGH GSSt Tz. 41), sieht der Senat nicht. Dies gilt jedenfalls, wenn man - wie es der Senat im Ergebnis für zutreffend hält (dazu s.u. (4)) für die Beendigung der Tat und den Beginn der Frist für die Verfolgungsverjährung auf den hypothetisch frühest möglichen Zeitpunkt für die Erfüllung der Berichtigungspflicht anknüpft.

92

(2) Ein Erbe, der trotz erkannter Unrichtigkeit der seinerzeit abgegebenen Steuererklärung des Erblassers die Unrichtigkeit nicht anzeigt und berichtigt und damit bewirkt, dass eine Berichtigung einer erfolgten unrichtigen Festsetzung unterbleibt, begeht eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen einer Berichtigungspflicht gem. § 153 AO (vgl. BFH Urteil vom 29.08.2017 VIII R 32/15, BStBl II 2018, 223; BGH Urteil vom 11.09.2007 5 StR 213/07, NStZ 2008, 411 Tz. 14, 35ff; zu Bedenken gegen eine Steuerhinterziehung durch Bestehenlassen eines schon erfolgten unrichtigen Bescheids s. Joecks/Jäger/Randt Steuerstrafrecht 8. Aufl. 2015 § 370 Rn. 267; krit. auch Sommer/Kauffmann NZWiSt 2015, 63; s. demgegenüber Ransiek in: Kohlmann § 370 AO Lfg. 5/2019 Rn. 350: Aufrechterhaltung der unrichtigen Steuerfestsetzung als Steuervorteil). Wie im Falle des pflichtwidrigen Verhaltens im Zusammenhang mit dem Erhebungs- oder Vollstreckungsverfahren ist es nach Auffassung des Senats jedenfalls zutreffend, eine Steuerverkürzung bei Nichtaufklärung und dadurch bewirkter Verhinderung der Änderung eines unrichtigen Bescheids in dem Belassen des Vorteils der zu niedrigen Festsetzung und fehlenden Nacherhebung zu sehen (vgl. zum Steuervorteil Krumm in: Tipke/Kruse AO § 370 Lfg. April 2019 Rn 100ff).

93

Erkennt ein Steuerpflichtiger nachträglich, aber vor Ablauf der Festsetzungsfrist, dass die von ihm oder für ihn abgegebene Steuererklärung unrichtig oder unvollständig ist und es hierdurch zu einer Verkürzung von Steuern kommen kann oder bereits gekommen ist, so hat er dies gem. § 153 Abs. 1 AO unverzüglich anzuzeigen und die erforderliche Richtigstellung vorzunehmen. Maßgeblich ist die positive Kenntnis. Die Anzeige der Unrichtigkeit hat gem. § 153 Abs. 1 AO unverzüglich zu erfolgen, wofür allgemein eine Frist von 14 Tagen angenommen wird; demgegenüber kann die auf der zweiten Stufe vorzunehmende Berichtigung der Anzeige zeitlich nachfolgen, insbesondere wenn die notwendige Aufbereitung von Unterlagen weitere Zeit in Anspruch nimmt (vgl. s. Seer in: Tipke/Kruse § 153 AO Lfg. Okt. 2016 Rn. 23f m.w.N.; Schindler in: Gosch AO § 153 Lfg. 1.6.2016 Rn. 27f). Zu berücksichtigen sein wird auch schon bei der Bemessung der einzuräumenden Zeit für die Anzeige, wenn infolge zuvor leichtfertig oder bedingt vorsätzlich abgegebener Steuererklärung eine strafbefreiende Selbstanzeige vorzubereiten ist (s.a. Schindler a.a.O.).

94

Die Verpflichtung zur Berichtigung trifft gem. § 153 Abs. 1 S. 2 AO ausdrücklich auch die Gesamtrechtsnachfolger.

95

Auf die Frage, ob ein Erbe ggf. schon vor dem Tod des Erblassers von den seinerzeit unrichtigen Erklärungen Kenntnis hatte, kommt es zunächst nicht an; insbesondere schlösse eine etwaige frühere Kenntnis nicht das ´nachträgliche´ Erkennen i.S.v. § 153 AO aus. Zwar liegt nachträgliches Erkennen der Unrichtigkeit nicht vor, wenn der Verpflichtete die Unrichtigkeit bereits bei Abgabe der Erklärung erkannt hatte (vgl. Seer in: Tipke/Kruse AO § 153 Lfg. Okt. 2016 Rn. 15). Indes ist im Erbfall für die nachträgliche Kenntnis auf den Zeitpunkt des Eintritts der Gesamtrechtnachfolge im Zeitpunkt des Todes des Erblassers abzustellen, da der Erbe die Kenntnis erst ab diesem Zeitpunkt in seiner Eigenschaft als Gesamtrechtsnachfolger und damit aus der Perspektive des § 153 AO ´nachträglich´ erworben hat (BFH Urteil vom 29.08.2017 VIII R 32/15, BStBl II 2018, 223 Tz. 30; Seer a.a.O. Rn. 17).

96

(3) Die Kläger E, D und C haben als Gesamtrechtsnachfolger nach dem verstorbenen B eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen begangen, indem sie es unterließen, den Beklagten nach erkannter Unrichtigkeit der seinerzeit von dem Erblasser abgegebenen Einkommensteuererklärung für 2003 auf die Unrichtigkeit hinzuweisen und die Angaben zu berichtigen.

97

Daran, dass die Erben spätestens zum Zeitpunkt der Einreichung der Nacherklärung beim Beklagten mit Schriftsatz vom 09.12.2015 (und damit vor Ablauf der regulären verlängerten Festsetzungsfrist zum 31.12.2015) auch bezogen auf die Einkommensteuer 2003 von einer Steuerhinterziehung des Erblassers infolge seinerzeit unrichtiger Steuererklärung für 2003 ausgingen, bestehen keine Zweifel. Sie selbst stellen in dem Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid eine Steuerhinterziehung des Erblassers als unstreitig dar. Darüber hinaus zeigt schon eine Gesamtwürdigung auch auf Grundlage der erfolgten Nacherklärung gegenüber dem Beklagten ab 2004 und gegenüber dem Finanzamt für Verkehrsteuern und Grundbesitz einschließlich der Zahlen für die Einkommensteuerschuld 2003, dass jedenfalls den Erben spätestens am 09.12.2015 bewusst war bzw. sie wenigstens für möglich hielten, dass sie als Rechtsnachfolger eine Berichtigung vorzunehmen haben. Zwar erklären die Berater in dem Schreiben vom 09.12.2015, diese Korrekturerklärung werde zugleich für die drei Erben abgegeben "mit dem Ziel, eine Diskussion über die Frage der Korrekturpflicht dieser Erben gem. § 153 AO zu vermeiden". Indes zeigt selbst dieser Vorbehalt, dass die Erben eine Nacherklärungspflicht wenigstens für möglich hielten. Anhaltspunkte dafür, dass sie glaubten, die Berichtigungspflicht erstrecke sich nicht auch auf die - schon nach allgemeinen Regelungen des § 169 AO jedenfalls nicht vor Ablauf des Jahres 2015 festsetzungsverjährte - Einkommensteuer 2003, liegen nicht vor. Im Übrigen hat der Prozessbevollmächtigte den Vorbehalt im Erörterungstermin vom 14.11.2019 im Ergebnis mit der Verwendung eines für die Erben nicht zutreffenden Textbausteins erläutert und ausgeräumt.

98

Im Ergebnis ist der Senat davon überzeugt, dass die Kläger D, C und E auch schon vor dem Erbfall die maßgebliche Kenntnis von der Unrichtigkeit der Einkommensteuererklärung für 2003 und der eingetretenen Steuerverkürzung erlangt hatten und damit nach Ablauf der erwähnten Vorbereitungszeit nach dem Erbfall zur Anzeige und anschließenden Berichtigung verpflichtet waren.

99

Zwar deutet die Formulierung der Schreiben des Prozessbevollmächtigten vom 09.12.2015 sowohl gegenüber dem Finanzamt für Verkehrsteuern und Grundbesitz als auch gegenüber dem Beklagten ("bei einer erneuten Überprüfung...") zunächst darauf hin, dass den Erben erst in zeitlicher Nähe zu den Schriftsätzen, ggf. im Zusammenhang mit einer Überprüfung der letzten Erbschaftsteuerfestsetzungen vom 16.01.2013 (s. Schreiben an das Finanzamt für Verkehrsteuern und Grundbesitz: "bei einer erneuten Überprüfung der Erbschaftsteuerfestsetzungen), die Unrichtigkeit der Erklärungen des Erblassers bekannt geworden ist. Indes ergibt sich anderes unter Berücksichtigung dessen, dass die Erben selbst schon vor dem Tod des Erblassers eigene Anlagen vergleichbarer Art in der Schweiz, z.T. auch oder zunächst bei der Bank G (E und D), z.T. allein bei der Bank J (C) besaßen. Vor diesem Hintergrund ist der Vortrag der Kläger zu würdigen, sie hätten bereits vor dem Tod des Erblassers Kenntnis von den Vermögensanlagen des Erblassers und seiner Ehefrau und der fehlenden Versteuerung der hieraus resultierenden Kapitalerträge erlangt.

100

Die Erben haben im Rahmen ihrer Anhörung dargestellt, dass im Zusammenhang mit ihrem Berufseinstieg in den Familienbetrieb und spätestens im Zusammenhang mit den erheblichen gesundheitlichen Problemen des Vaters schon lange vor dessen Tod über dessen Anlagen in der Schweiz gesprochen wurde, auch um sicherzustellen, dass sich jemand hierum kümmert und diese kontrolliert. Die ungefähre Höhe der Anlagen von 1,2 Mio € sei ihnen bekannt gewesen. Sie seien abwechselnd im Laufe der Jahre in die Schweiz gereist und hätten sich nach dem Stand der Anlagen erkundigt und Unterlagen vor Ort eingesehen. Dabei sei ihnen bewusst gewesen, dass es sich um sichere Anlagen gehandelt habe, wenngleich mit eher relativ niedrigen Erträgen (so der Kläger C), wobei der Kläger D seine Einschätzung einer Rendite von 2- 3 % und der Kläger E Erträge von 4 - 5 % nannte. Auch sei ihnen bewusst gewesen, dass die Erträge zu versteuern gewesen seien, dass der Erblasser und seine Ehefrau im Rahmen ihrer Besteuerung durchaus einer Besteuerung nach dem Spitzensteuersatz (so ausdrücklich die Erben D und E) unterliegen konnten. Letztere Vorstellung für alle Erben ist schon aufgrund dessen einleuchtend, dass sie alle vormals (die Erben D und C) bzw. noch heute (der Erbe E) im Rahmen des Familienunternehmens tätig waren/sind. Insgesamt ist die Darstellung der Erben plausibel und schlüssig. Die Erben haben ihr entsprechendes Vorbringen ungeachtet des Vorhalts der Formulierung aus den Schriftsätzen des Prozessbevollmächtigten vom 09.12.2015 aufrechterhalten. Der Prozessbevollmächtigte der Kläger hat zu der Formulierung in den Schreiben vom 09.12.2015 erläutert, dass es sich hierbei um einen in unzähligen Verfahren der Nacherklärung verwendeten Textbaustein handele, der als seiner Ansicht nach "elegante" Formulierung angesichts des Sachverhalts einer Steuerhinterziehung gewählt wurde, nicht aber eine Aussage über den Zeitpunkt der Kenntniserlangung habe darstellen sollen. Der Senat hat im Ergebnis keinen Anlass, hieran zu zweifeln. Danach geht der Senat davon aus, dass die Erben schon vor dem Erbfall von der Unrichtigkeit der Einkommensteuererklärung für 2003 Kenntnis hatten und den Umfang der Steuerverkürzung in Höhe der letztlich ermittelten Mehrsteuern wenigstens für möglich hielten. Mögen die Kläger auch keine Kenntnis von der genauen Höhe der Erträge gehabt haben, ggf. auch zum Zeitpunkt des Erbfalls unsicher gewesen sein, ob das Vermögen noch vollen Umfangs vorhanden oder zwischenzeitlich ausgegeben war (so D), so ergibt eine Gesamtwürdigung, dass alle Erben für sich die Höhe der Kapitalerträge (angesichts der Kapitalerträge für 2003 von 26.985 € und der Relation bezogen auf ein Vermögen von 1,2 Mio € von ca. 2,25 %) ebenso wie die Höhe der hieraus resultierenden Mehrsteuer des Erblassers und der Klägerin A von 12.986 € jedenfalls für möglich gehalten hatten.

101

Der Beklagte ist dem Vorbringen der Kläger nicht entgegengetreten.

102

Die Feststellungen tragen nicht nur die notwendige Feststellung des Vorsatzes einer Steuerhinterziehung gem. § 370 AO. Sie tragen zudem die Feststellung einer Berichtigungspflicht im Sinne von § 153 AO. Unentschieden bleiben kann, ob es für die Pflicht gem. § 153 AO genügt, wenn der Steuerpflichtige nur für möglich hält, dass eine entsprechend der unrichtigen Erklärung erfolgte Festsetzung auch zu einer zu niedrigen Steuer und damit zu einer Verkürzung führte (in diesem Sinne möglicherweise FG Berlin Urteil vom 27.01.1999 2 K 2138/97, EFG 1999, 680; FG München Urteil vom 06.09.2006 1 K 55/06, EFG 2007, 161; Seer in: Tipke/Kruse AO § 153 Lfg. Okt. 2016 Rn. 16; ausdr. Rätke in: Klein AO 14. Aufl. 2018 § 153 Rn. 9). Die Formulierung "...zu einer Verkürzung kommen kann" dürfte dem Umstand geschuldet sein, dass es im Falle einer unrichtigen Erklärung zu einer Verkürzung gem. § 370 Abs. 4 AO regelmäßig erst mit der unrichtigen Festsetzung kommt; damit wäre es hinreichend, wenn der Steuerpflichtige die Möglichkeit einer solchen unrichtigen Festsetzung - sofern sie anders als im Streitfall noch nicht erfolgt ist - in Betracht gezogen hat. Im vorliegenden Fall sind die Vorträge der Erben/Kläger darüber hinaus dahingehend zu verstehen und insoweit auch nachvollziehbar und glaubhaft, dass sie sicher von einer zu niedrigen Besteuerung in der Folge der unrichtigen Steuererklärungen ausgingen. In Bezug auf die Höhe der Verkürzung im Einzelnen genügt es für § 370 AO allgemein und nach Auffassung des Senats auch für § 153 AO, dass sie - wie dargelegt - den groben Rahmen kannten und die letztlich eingetretene tatsächliche Höhe der Verkürzung für möglich hielten (vgl. zu dem Vorsatz i.S.v. § 370 AO BGH Urteil vom 17.02.1998 5 StR 624/97, wistra 1998, 225; vgl. Ransiek in: Kohlmann § 370 AO Lfg. 8/2019 Rn. 619, 660f). Eine genaue Bezifferung des Steuerschadens ist nicht erforderlich (Ransiek a.a.O. Rn 661).

103

Nach der Anhörung der Erben ist der Senat weiter davon überzeugt, dass die Erben auch schon spätestens mit dem Erbfall glaubten oder wenigstens für möglich hielten, als Erben für die Richtigstellung auch der unrichtigen seinerzeitigen Angaben des Erblassers und seiner Ehefrau verpflichtet zu sein (so dass etwaige rechtliche Streitfragen zur Bedeutung des Verkennens der Handlungspflicht - vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum oder Verbotsirrtum, vgl. Ransiek in: Kohlmann AO § 370 Lfg 7/2019 Rn. 665ff - unentschieden bleiben können). Die Erben haben ihre laienmäßige Sicht der Verantwortlichkeit für die Legalisierung nachvollziehbar zum Ausdruck gebracht. Sie haben damit alle Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen der Nacherklärung bezogen auf die Einkommensteuer 2003 erfüllt.

104

Anhaltspunkte dafür, dass die Erben Mittäter oder Teilnehmer der von dem Erblasser begangenen Steuerhinterziehung waren (was ggf. die Berichtigungspflicht ausschlösse, s. Seer in: Tipke/Kruse § 153 AO Lfg. Okt. 2013 Rn. 17), liegen nicht vor.

105

(4) Für den Zeitpunkt der maßgeblichen strafrechtlichen Beendigung (§ 78a StGB) einer Steuerhinterziehung von Veranlagungssteuern durch Unterlassen und den daran anknüpfenden Beginn der Verfolgungsverjährung ist wie für die Vollendung nach der Rechtsprechung des BGH grundsätzlich auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem die Veranlagung stattgefunden hätte, wenn die (reguläre) Steuererklärung pflichtgemäß eingereicht worden wäre, spätestens, zu dem die Veranlagungsarbeiten in dem betreffenden Bezirk für den maßgeblichen Zeitraum abgeschlossen sind (BGH Beschluss vom 14.03.2016 1 StR 337/15, BGHSt 61, 180), ggf. sogar auf das Ablaufen eines Jahres nach dem Verstreichen der Einreichungsfrist für die (reguläre) Steuererklärung (vgl. zur Vollendung BGH Beschluss vom 19.01.2011 1 StR 640/10, wistra 2012, 484). Ist bereits vorher ein (eine zu niedrige Festsetzung enthaltender) Bescheid ergangen - so im Streitfall der Erstbescheid vom 22.07.2005 -, so bestimmt dieser den Vollendungs- und Beendigungszeitpunkt (vgl. BGH Beschluss vom 19.01.2011 1 StR 640/10, wistra 2012, 484 Tz. 8: grundsätzlich hypothetischer Veranlagungszeitpunkt "...sofern nicht vorher ein Schätzungsbescheid ergangen ist"; Rüsken in: Klein AO 14. Aufl. 2018 § 370 Rn. 201, § 376 Rn. 28; Krumm in: Tipke/Kruse AO § 370 Lfg. April 2019 Rn. 99). Den Zeitpunkt des Erlasses des Erstbescheids vom 22.07.2005 zugrunde zu legen, würde indes der - bezogen auf die Erben - frühestens mit dem Erbfall einsetzenden Pflicht zur Berichtigungserklärung gem. § 153 AO nicht gerecht. Typischerweise erfolgt die Pflichtverletzung im Falle des § 153 erst nach Erlass eines Bescheids mit zu niedriger Festsetzung, so dass auch für den Beginn der Verfolgungsverjährung bezogen auf diese Straftat auf einen späteren Zeitpunkt abzustellen ist.

106

In Anlehnung an die dargelegten allgemeinen Grundsätze ist es sachgerecht, auf denjenigen Zeitpunkt abzustellen, zu dem der unrichtige Steuerbescheid geändert worden wäre, wenn die Berichtigung pflichtgemäß, d.h. auch rechtzeitig erfolgt wäre (vgl. Jäger in: Klein AO 14. Aufl. 2018 § 376 Rn. 29; Meyer in: Gosch AO § 376 Lfg. Sept. 2017 Rn. 38: frühester Zeitpunkt, bezogen auf die Bekanntgabe des Berichtigungsbescheids; Joecks in: Joecks/Jäger/Randt Steuerstrafrecht 8. Aufl. 2015 § 376 Rn. 51; alle ausdrücklich zu der Verletzung der Berichtigungspflicht gem. § 153 AO). Dabei ist es nach Auffassung des Senats angemessen, eine Bearbeitungszeit beim Finanzamt von einem Monat zugrunde zu legen (Meyer a.a.O. unter Hinweis auf BGH Beschluss vom 25.07.2011 1 StR 631/10, BGHSt 56, 298 Tz. 41 für den Fall einer Schenkungssteuerhinterziehung angesichts des dort fehlenden allgemeinen Veranlagungsschlusses mit Bezugnahme auf die Möglichkeit der Anforderung einer Steuererklärung mit Selbstberechnung binnen eines Monats).

107

Diesen Zeitpunkt der hypothetisch rechtzeitigen Pflichterfüllung als Anknüpfungspunkt für die Beendigung und den Beginn der Verfolgungsverjährung zugrunde zu legen, hält der Senat ungeachtet dessen für sachgerecht, ob man die Steuerhinterziehung durch Unterlassen als echtes Unterlassungsdelikt wertet (so BGH Entscheidungen vom 22.05.2003 5 StR 520/02, wistra 2003, 344 Tz. 9; vom 01.02.2007 5 StR 372/06, NJW 2007, 1294 Tz. 27; Krumm in: Tipke/Kruse AO § 370 Lfg. April 2019 Rn. 63; hier tritt Beendigung grundsätzlich ein, wenn die Handlungspflicht entfällt, s. Fischer StGB 66. Aufl. 2019 § 78a Rn. 13; vgl. dazu BGH Urteil vom 04.04.1979 3 StR 488/78, BGHSt 28, 371) oder als unechtes Unterlassungsdelikt (so Heerspink in: Kohlmann Steuerstrafrecht § 376 AO Lfg. August 2017 Rn. 88 mit Hinweis auf die "ganz überwiegende Ansicht" und Hinweis darauf, dass das unechte Unterlassungsdelikt mit dem Eintritt des Taterfolges beendet sei). Dies entspricht der Rechtsprechung des BGH zu Unterlassungstaten im Rahmen der Steuerhinterziehung bezogen auf Veranlagungssteuern (s.o.) und berücksichtigt in angemessener Weise das Fehlen genereller Veranlagungsarbeiten und -zeiträume bezogen auf Berichtigungserklärungen.

108

Zwar besteht eine Pflicht zur Berichtigung über den so ermittelten Zeitpunkt für die gebotene Pflichterfüllung hinaus bis zur tatsächlichen Pflichterfüllung fort - wie im Übrigen die allgemeine Steuererklärungspflicht auch nach dem festgestellten Abschluss der allgemeinen Veranlagungsarbeiten fortbestünde - und wäre damit auf der Grundlage der Einordnung als echtes Unterlassungsdelikt denkbar, die Beendigung bis zum Ende der Handlungspflicht - im Zweifel bis zum Tod des Erben - hinauszuschieben. Indes widerspräche dies der von der Rechtsprechung des BGH mit der Aufgabe der Rechtsfigur des Fortsetzungszusammenhangs (vgl. BGH Beschluss vom 05.04.2000 5 StR 226/99, wistra 2000, 219 Tz. 78; BGH Beschluss vom 20.06.1994 5 StR 595/93, BGHSt 40, 195 - Tz. 13 auch zu § 171 Abs. 7 AO; BGH Großer Senat für Strafsachen Beschluss vom 03.05.1994 GSSt 2 und 3/93, BGHSt 40,138) verfolgten Intention zu vermeiden, dass die gesetzlichen Regelungen der strafrechtlichen Verjährungsfristen faktisch außer Kraft gesetzt würden (vgl. dazu BGH GSSt Tz. 41).

109

Zeitlicher Anknüpfungspunkt ist damit der Zeitpunkt, zu dem von einer positiven Kenntnis der Unrichtigkeit als Gesamtrechtsnachfolger auszugehen ist. Das wäre (auf der Grundlage der genannten Rechtsprechung des BFH vom 29.08.2017 VIII R 32/15, BStBl II 2018, 223 Tz. 30) frühestens der Zeitpunkt des Eintritts des Erbfalls, d.h. der Gesamtrechtsnachfolge, sofern die Erben schon vor dem Erbfall bzw. zur Zeit des Erbfalls positive Kenntnis gehabt haben sollten, oder der Zeitpunkt einer etwaigen späteren Kenntnis.

110

(5) Im Streitfall legt der Senat unter Berücksichtigung der im Zweifel angespannten Umstände nach einem Erbfall, in Anbetracht dessen, dass gleichzeitig auch für weitere Jahre und auch für die Erbschaftsteuer Selbstanzeigen zu fertigen waren und auch unter Berücksichtigung der in Anspruch genommenen Zeit seit dem Ausstellungsdatum der Vermögensübersichten der Bank G (08.10.2015) einen Zeitraum für die Anzeigepflicht einschließlich der nachfolgenden Berichtigungspflicht von 6 Monaten zugrunde. Ausgehend von einer damit pflichtgemäßen Berichtigung spätestens Ende Juni 2010 und weiter auf der Grundlage einer hypothetischen Bearbeitungszeit beim Finanzamt von einem Monat wäre die Steuerhinterziehung spätestens Ende Juli 2010 beendet und damit spätestens Ende Juli 2015 die 5- jährige Verfolgungsverjährung gem. § 370 Abs. 1 AO i.V.m. § 78 Abs. 3 Nr. 4 und § 78a StGB (angesichts fehlender Unterbrechungstatbestände gem. § 78c StGB) eingetreten. Damit wäre die Ablaufhemmung gem. § 171 Abs. 7 AO beendet und Festsetzungsverjährung vor Erlass des streitgegenständlichen Änderungsbescheids für 2003 vom 09.12.2016 eingetreten. Etwas Anderes ergäbe sich im Ergebnis auch nicht, wollte man für die Bearbeitungszeit beim Finanzamt die tatsächliche Bearbeitungszeit des Beklagten im Streitfall von einem Jahr zugrunde legen. Die Verfolgungs- und Festsetzungsverjährung wäre danach spätestens Ende Juni 2016, also ebenfalls vor Erlass des Änderungsbescheids, eingetreten.

111

(6) Die strafrechtliche Verfolgungsverjährung ist im vorliegenden Fall nicht gem. § 370 Abs. 3 S. 1 (Freiheitsstrafe bis zu 10 Jahren) bzw. § 376 AO i.V.m. § 78 Abs. 3 Nr. 3 StGB auf der Grundlage des § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO auf 10 Jahre verlängert.

112

Es fehlt schon an dem Vorliegen des Regelbeispiels gem. § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO.

113

Da eine Steuerhinterziehung der Erben durch Unterlassen einer Berichtigungspflicht frühestens mit dem Tod des Erblassers im Jahr 2009 begann, ist § 370 Abs. 3 Nr. 1 AO in der seit 01.01.2008 geltenden Fassung maßgeblich (d.h. ohne das früher zusätzlich maßgebliche Merkmal des groben Eigennutzes; zum zeitlichen Geltungsbereich s. Schauf in: Kohlmann § 370 AO Rn. 1099.4 S. 414/1 und 2 Lfg. Okt 2019) bzw. § 376 AO (Anwendung schon im Falle eines Regelbeispiels ohne Rücksicht auf die im Rahmen des § 370 Abs. 3 AO erforderliche Einzelfallprüfung zur möglichen Entkräftung der Indizwirkung des Regelbeispiels, s. BGH Beschluss vom 05.03.2013 1 StR 73/13 wistra 2013, 280, s. dazu Schauf in: Kohlmann § 370 Rn. 1099.1 und 1099.4 Lfg. Okt. 2019) in der Fassung des Gesetzes vom 19.12.2008 (gem. Art. 97 § 23 EGAO für alle bei Inkrafttreten des Gesetzes noch nicht abgelaufene Verjährungsfristen).

114

Für die Steuerhinterziehung in großem Ausmaß i.S.v. § 370 Abs. 3 Nr. 1 AO legt der BGH seit der Entscheidung vom 27.10.2015 (1 StR 373/15 wistra 2016, 157 Tz. 29ff; bestätigt mit Entscheidung vom 09.05.2017 1 StR 265/16 wistra 2017, 390 Tz. 55) eine einheitliche Wertgrenze von 50.000 € sowohl für Fallgestaltungen des Unterlassens als auch des aktiven Tuns zugrunde: überschreitet der Hinterziehungsbetrag diese Grenze, ist das Regelbeispiel erfüllt, bei Unterschreiten nicht (BGH Beschluss vom 29.11.2011 1 StR 459/11 wistra 2012, 151 Tz 7). Bei mehrfacher tateinheitlicher Tatbestandsverwirklichung ist das Ausmaß des jeweiligen Taterfolgs zu addieren (a.a.O. Tz. 25). Im Falle der Tatmehrheit ist die Wertgrenze demgegenüber für jede Tat isoliert zu prüfen (BGH Beschluss vom 15.12.2011 1 StR 579/11 wistra 2012, 191 unter 2e; s.a. Schauf in: Kohlmann StGB § 370 Rn. 1099.3 Lfg. Okt. 2019). Von Tatmehrheit ist im Falle der Steuerhinterziehung durch Handeln auszugehen, wenn die abgegebenen Steuererklärungen verschiedene Steuerarten, verschiedene Besteuerungszeiträume oder verschiedene Steuerpflichtige betreffen. Der BGH ging früher von Tateinheit auch dann aus, wenn die Hinterziehungen durch dieselbe Erklärung bewirkt werden oder wenn mehrere Steuererklärungen durch eine körperliche Handlung gleichzeitig abgegeben werden, sofern die Abgabe der Steuererklärungen mithin im äußeren Vorgang zusammenfällt und zudem in den Erklärungen übereinstimmende unrichtige Angaben über die Besteuerungsgrundlagen enthalten sind (s. z.B. BGH a.a.O. 1 StR 373/15 Tz. 21 und BGH Beschluss vom 28.10.2004 5 StR 276/04 wistra 2005, 30 Tz. 16). In seiner neuen Rechtsprechung hat der BGH die Rechtsprechung zu § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO insoweit aufgegeben, als bislang bei Abgabe mehrerer Steuererklärungen über verschiedene Steuerarten und unterschiedliche Veranlagungszeiträume (und verschiedene Steuerpflichtige) Tateinheit angenommen wurde, wenn die Abgabe der Erklärungen in einem Vorgang zusammenfällt (seit BGH Beschluss vom 22.01.2018 1 StR 535/17 wistra 2019, 103 Tz. 24; vgl. Krumm in: TK § 370 AO Lfg. April 2019 Rn. 184). Nicht aufgegeben wurde, soweit ersichtlich die Rechtsprechung, wonach ausnahmsweise Tateinheit vorliegen soll, wenn die Hinterziehungen durch dieselbe Handlung bewirkt werden (BGH 1 StR 373/15 Tz. 21; 5 StR 276/04 Tz. 16, jeweils a.a.O.). Auch bei der Steuerhinterziehung durch Unterlassen ist grundsätzlich im Hinblick auf jede Steuerart, jeden Besteuerungszeitraum und jeden Steuerpflichtigen von selbständigen Taten im Sinne des § 53 StGB auszugehen. Allein ein einheitlicher Tatentschluss, seinen steuerlichen Pflichten für mehrere Steuerarten und mehrere Besteuerungszeiträume künftig nicht nachzukommen, begründet noch keine Tateinheit zwischen den einzelnen Steuerhinterziehungen durch Unterlassen (BGH 5 StR 276/04 Tz. 17; 1 StR 535/17 Tz. 19, jeweils a.a.O.). Tateinheit ist ausnahmsweise anzunehmen, wenn die erforderlichen Angaben, die der Täter pflichtwidrig unterlassen hat, durch ein und dieselbe Handlung zu erbringen gewesen wären (BGH a.a.O. 5 StR 276/04 Tz. 17; BGH Urteil vom 28.11.1984 2 StR 309/84 wistra 1985, 66 Tz. 4; BGH Urteil vom 01.08.1979 3 StR 239/79 HFR 1980, 154 Tz. 5). Im Rahmen der individuellen Strafzumessung ist nach der Rechtsprechung des BGH der Gesamtschaden zu berücksichtigen, sofern dieser durch eine Serie gleichgelagerter Taten hervorgerufen wurde (BGH Urteil vom 17.02.2009 1 StR 627/08 BGHSt 53, 221 Tz. 45ff; 1 StR 459/11 Tz. 9, a.a.O.; BGH Urteil vom 22.05.2012 1 StR 103/12 wistra 2012, 350 Tz. 37ff; BGH Urteil vom 25.04.2017 1 StR 606/16 wistra 2017, 400 Tz. 19, 25ff - gegenüber Tz. 23 zum Strafrahmen gem. § 370 Abs. 3 Nr. 1 AO wegen Überschreitens der Schwelle von 50.000 €). Eine Addition der Verkürzungsbeträge mit Blick auf den Gesamtschaden einer Serie von Straftaten für die Begründung des "großen Ausmaßes einer Steuerhinterziehung gem. § 370 Abs. 3 Nr. 1 AO hat der BGH im Urteil vom 12.01.2005 (5 StR 301/04 wistra 2005, 144 Tz. 16) jedoch ausdrücklich abgelehnt. In der Entscheidung 1 StR 373/15 (a.a.O. Tz. 48) billigt der BGH die Berücksichtigung des Seriencharakters für die im Rahmen des § 370 Abs. 3 AO erforderliche Würdigung der Entkräftung oder Bestätigung der Indizwirkung des (schon ungeachtet des Aspekts der Serie erfüllten) Regelbeispiels (im Ergebnis Bestätigung der Indizwirkung). Zudem weist der BGH in Tz. 45 für die dem Tatrichter überlassene Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls auf den Aufsatz vom Rolletschke/Roth in wistra 2012, 216, 218 hin, die wiederum auf den Spielraum im Rahmen der Strafzumessung verweisen. In der Entscheidung vom 25.09.2012 (1 StR 407/12 wistra 2013, 67) hat der BGH in einem aus anderen Gründen unter § 370 Abs. 3 Nr. 1 AO subsumierten Fall im Gegenteil die Strafmilderung wegen des Seriencharakters und der räumlich, zeitlich und sonst besonders eng verschränkten Taten geprüft (Tz. 51). In der zum Tatbestand des Schmuggels i.S.v. § 373 AO ergangenen Entscheidung vom 22.05.2012 (1 StR 103/12 a.a.O.) hat der BGH im Rahmen der Ausführungen zur Strafzumessung Argumente aus dem Bereich des § 370 Abs. 3 Nr. 1 AO herangezogen. Er hat auf die dortige Relevanz einer Serie gleichgelagerter Taten für die Strafzumessung hingewiesen (Tz. 37; missverständlich demgegenüber die Formulierung in Tz. 39). Insgesamt deutet die aufgezeigte Rechtsprechung des BGH nicht auf eine Zusammenfassung der Hinterziehungsbeträge einer Serie gleichgelagerter Taten für die Anwendung des besonders schweren Falles - jenseits der Berücksichtigung im Rahmen der individuellen Strafzumessung - hin (s.a. Ransiek in: Kohlmann AO § 370 Rn. 866.1 Lfg. Juli 2012; Schauf in: Kohlmann AO § 370 Rn. 1029.6 und 7, Rn. 1099.3 Lfg. Okt. 2019; auch Schauf a.a.O. Rn. 1029.15; and. wohl, d.h. für Bedeutung der Serie für das Regelbeispiel Krumm in: Tipke/Kruse § 370 Rn. 203 Lfg. April 2019, allerdings mit Hinweis auf Schauf und ohne eine Abgrenzung zu den Strafzumessungsgründen zu erwägen). Ungeachtet des Widerspruchs zu der Aufgabe des Fortsetzungszusammenhangs für die Frage der Tateinheit spräche hiergegen nach Auffassung des Senats zudem die anderenfalls infolge der Unwägbarkeiten der Rechtsanwendung aufgegebene Rechtssicherheit, mit der die Rechtsprechung zur einheitlichen Wertgrenze gerade begründet wird (BGH 1 StR 373/15 a.a.O. Tz. 41).

115

Im Streitfall liegt auf Seiten der Erben jeweils eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen der Berichtigung für die Einkommensteuer des jeweiligen Veranlagungsjahres, hier 2003, vor, die nach Maßgabe der genannten Rechtsprechung eine eigenständige Tat im Sinne der Konkurrenzvorschriften (§§ 52, 53 StGB) gegenüber dem Unterlassen der Berichtigung in Bezug auf die übrigen Veranlagungszeiträume einerseits und ebenfalls gegenüber den bzw. etwaigen Steuerhinterziehungen durch aktive unrichtige Erklärung in eigener Einkommensteuerangelegenheit bzw. in den als Rechtsnachfolger abgegebenen Erklärungen darstellt. Durch die auf die Einkommensteuerschuld des Erblassers und der Erben als Rechtsnachfolger für 2003 bezogene Steuerhinterziehung durch Unterlassen ist aufgrund der hierfür nachzuerklärenden Mehrsteuern die Schwelle von 50.000 € nicht überschritten. Eine Zusammenfassung mit den pflichtwidrig nicht nacherklärten Mehrbeträgen für die Folgejahre hat auch nicht unter Berücksichtigung des von der Rechtsprechung anerkannten Ausnahmefalls (für den Fall, dass die erforderlichen Angaben, die der Täter pflichtwidrig unterlassen hat, durch ein und dieselbe Handlung zu erbringen gewesen wären) zu erfolgen. Denn die Kläger waren keineswegs verpflichtet, mit dem Erbfall die Berichtigung für alle unrichtig erklärten Jahre in einer Erklärung zu erklären. Die Nacherklärungspflicht gem. § 153 AO bezieht sich stets auf die jeweilige unrichtige Erklärung, sie begründet keine eigenständige kumulierte (Nach-)Erklärungspflicht bezogen auf alle bislang unrichtigen Erklärungen (vgl. dazu Fromm DStR 2014, 1747, 1751). Eine Zusammenfassung mit der Folge des Vorliegens des Regelbeispiels i.S.v. § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO bzw. § 376 AO hat - wie dargelegt - auch nicht mit Blick auf den angesprochenen Aspekt der "Serie" zu erfolgen.

116

Anhaltspunkte für die Annahme der übrigen Alternativen eines besonders schweren Falles bzw. für die Befürwortung eines unbenannten schweren Falles ohne Vorlage eines Regelbeispiels (dazu s. Jäger in: Klein AP 14. Aufl. 2018 § 370 Rn. 291; Schauf in: Kohlmann AO § 379 Lfg. Okt. 2019 Rn. 1090 und 1099.4) sind nicht ersichtlich.

117

d) Der Auffassung des Beklagten, eine im Falle unterbliebener Nacherklärung erfolgte Steuerhinterziehung durch Unterlassen seitens der Erben führe neben der 10-jährigen Festsetzungsfrist infolge der Steuerhinterziehung seitens des Erblassers erneut (?) zu einer 10-jährigen Festsetzungsfrist bzw. zu einer um weitere 10 Jahre verlängerten (?) Festsetzungsfrist, die selbst auf der Grundlage einer Pflicht zur Berichtigung spätestens mit dem Erbfall zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses im Jahr 2016 noch nicht abgelaufen wäre, trägt nach Ansicht des Senats nicht.

118

Dem steht entgegen, dass - wie dargelegt (s.o. III 2 a) - die Berichtigungserklärung gem. § 153 AO nicht zu einer erneuten Anlaufhemmung i.S.v. § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO führt. Entsprechend ist auch nicht etwa entsprechend § 170 Abs. 2 Nr. 1 2. Alt AO ("spätestens...") von einem erneuten Beginn einer - ggf. auf 10 Jahre verlängerbaren - Festsetzungsfrist nach Ablauf eines Zeitraums von drei Jahren nach Entstehen der Berichtigungspflicht auszugehen. Für eine Vervielfältigung der verlängerten Festsetzungsfrist nach der Anzahl der in Bezug auf die nämlichen Steuern begangenen Hinterziehungstaten findet sich in § 169 Abs. 2 S. 2 AO keine Rechtsgrundlage. Die Auffassung des Beklagten wird nicht von der schon erwähnten Entscheidung des BFH vom 29.08.2017 (VIII R 32/15, BStBl II 2018, 223, s.o. II 2 c (cc) (1)) zur möglichen Verlängerung der Festsetzungsfrist gem. § 169 Abs. 2 S. 2 AO infolge der dort festgestellten Steuerhinterziehung eines Gesamtrechtsnachfolgers durch Unterlassen der Berichtigungserklärung gem. § 153 AO gestützt. In dem entschiedenen Fall war die - einmalige - Verlängerung der Festsetzungsfrist auf 10 Jahre mit der Steuerhinterziehung der Erben begründet worden, weil es an einer Steuerhinterziehung des Erblassers fehlte. Hat hingegen wie im Streitfall schon eine Steuerhinterziehung des Erblassers zu einer 10-jährigen Festsetzungsfrist geführt, so ist der Ansatz einer nochmaligen, weiteren 10-jährigen Festsetzungsfrist infolge einer weiteren Steuerhinterziehung seitens der Erben nicht gerechtfertigt, da es stets um die nämlichen Steuern geht, die nur durch eine Festsetzung zu erfassen sind. Anders ist dies bezogen auf die - wie dargelegt von § 171 Abs. 7 AO mit erfasste - strafrechtliche Verfolgungsverjährung der eigenständigen, wenn auch auf die nämliche Steuerschuld des Erblassers bezogene Steuerhinterziehung durch Unterlassen seitens der Erben. Die strafrechtliche Verfolgung des Erblassers auf der einen und der Erben auf der anderen Seite sind trotz des Bezugs auf dieselben Steuern gesondert vorzunehmen.

119

IV. 1. Die Klage gegen die Aufforderung zur Nacherklärung in Gestalt der Einspruchsentscheidung ist für die Erben in Bezug auf die isolierte Aufhebung der Einspruchsentscheidung begründet (s. schon unter II. 2.). Der Beklagte hat zu Unrecht über einen nicht eingelegten Einspruch entschieden.

120

2. Die von A gegen die Aufforderung erhobene Anfechtungsklage ist insoweit wie dargelegt (s. II. 3.) zulässig, da sie selbst als Adressatin bezeichnet ist. Insoweit hat ihre Klage auch in der Sache Erfolg.

121

a) Die Aufforderung ist insoweit hinreichend bestimmt, als sie sich an A richtet. Sie kann insoweit nur dahingehend verstanden werden, dass A als Steuerschuldnerin (nicht als Erbin) gemeint und damit grundsätzlich als zutreffende Inhaltsadressatin bezeichnet ist.

122

Sie ist in Bezug auf A wirksam, obgleich sie, soweit sie an den verstorbenen B als Inhaltsadressaten gerichtet ist, wegen Bezeichnung einer nicht mehr existenten Person rechtswidrig und (anders als die bloße Bezeichnung eines falschen Inhaltsadressaten, s. dazu BFH Urteil vom 16.05.1990 X R 147/87, BStBl II 1990, 942 Tz. 13) unheilbar unwirksam ist (BFH Urteil vom 17.06.1992 X R 47/88, BStBl II 1993, 174; vgl. Seer in: Tipke/Kruse § 122 AO Lfg. April 2017 Rn. 25); es handelt es sich insoweit nicht um einen (bloßen) durch die Einspruchsentscheidung heilbaren Bekanntgabefehler. Jedoch ist insoweit von der Teilbarkeit der Aufforderung auszugehen, gegenüber dem Verstorbenen einerseits und gegenüber A andererseits, und von bloßer Teilnichtigkeit i.S.v. § 125 Abs. 4 AO, soweit die Aufforderung an den Verstorbenen betroffen ist.

123

b) Die Aufforderung ist gegenüber A schon wegen Fehlens einer Belehrung gem. § 393 Abs. 1 S. 4 AO rechtswidrig.

124

Zwar besteht schon nach dem Wortlaut des § 153 AO materiell eine Verpflichtung zur Nacherklärung, sofern die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der bisherigen Erklärung nachträglich (positiv) erkannt wird, und zwar selbst dann, wenn die ursprüngliche Erklärung mit bedingtem Hinterziehungsvorsatz abgegeben wurde (BGH Beschluss vom 17.03.2009 1 StR 479/08, BGHSt 53, 210; zust. FG Münster Urteil vom 28.04.2016 9 K 203/15 E; EFG 2016, 1136 Tz. 40, Heuermann in: Hübschmann/Hepp/Spitaler AO § 153 Lfg. April 2014 Rn. 13, Schindler in: Gosch AO § 153 Lfg. 1.6.2016 Rn. 23 ff; a.A: Dißars in: Schwarz/Pahlke AO § 153 Lfg. 5/2019 Rn. 10, 28; krit. insoweit auch Seer in: Tipke/Kruse AO § 153 Lfg. Okt. 2016 Rn. 15 ff, 21 f). Entsprechend darf das Finanzamt jedenfalls dann, wenn Anhaltspunkte für eine bislang unrichtige oder unvollständige Erklärung vorliegen, zur Nacherklärung auffordern (vgl. a. Seer in: Tipke/Kruse AO § 149 Lfg. April 2017 Rn. 15), auch wenn die Regelung im Übrigen "weitgehend" auf Freiwilligkeit und eigenem Antrieb des Steuerpflichtigen beruht (vgl. BFH Urteil vom 19.05.1992 VII S 12/92, BFH/NV 1993, 144 Tz. 17). Im Übrigen folgt das Recht der Finanzbehörde auch aus den Regelungen zur Sachverhaltsermittlung gem. § 92 AO. Die Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung ist auch in den Fällen einer Erklärungspflicht bzw. vorliegender Anhaltspunkte hierfür eine Ermessensentscheidung (vgl. BFH Urteil vom 02.07.1997 I R 45/96, BFH/NV 1998, 14; BFH Beschluss vom 16.02.2012 II B 99/11, BFH/NV 2012, 982); Entsprechendes gilt für die Aufforderung zur Nacherklärung.

125

Entsprechend der Rechtsprechung des BFH - der der Senat folgt -, wonach sich der Erklärungsgehalt der Unterschrift unter der gemeinsamen Einkommensteuererklärung eines Ehepaars regelmäßig nur auf die eigenen Einkünfte bezieht und keine Rechtspflicht zur Erklärung zu den Einkünften des Ehepartners besteht (vgl. BFH Urteil vom 16.04.2002 IX R 40/00, BStBl II 2002, 501), durfte sich auch die Aufforderung des Beklagten allenfalls auf die eigenen Einkünfte der Klägerin beziehen.

126

Insoweit ist die Aufforderung gegenüber A nicht schon deshalb zu Unrecht erfolgt, weil (auch) ihr gegenüber wegen Ablaufs der Ablaufhemmung gem. § 171 Abs. 7 AO spätestens zum Ende Juli 2016 und damit vor der Aufforderung vom 10.11.2016 Festsetzungsverjährung betreffend die Einkommensteuer 2003 eingetreten war, eine Bescheidänderung durch Berücksichtigung etwaiger nacherklärter Einkünfte ihr gegenüber folglich nicht mehr ergehen konnte, die Aufforderung also allenfalls noch für die Hinterziehungszinsen relevant sein konnte, die trotz der Festsetzungsverjährung in Bezug auf die Einkommensteuer festgesetzt werden können (dazu s.u. V). Zwar erlischt die Nacherklärungspflicht, sobald für die betreffenden von der Erklärungspflicht umfassten Steuern Festsetzungsverjährung eingetreten ist (vgl. Seer in: Tipke/Kruse § 153 AO Rn. 19: aus Gründen des Übermaßverbots). Aber in diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass es sich bei der Aufforderung um eine Ermessensentscheidung handelt, für deren Rechtmäßigkeitsprüfung auf den Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (mithin der Einspruchsentscheidung) abzustellen ist, zu dem die Ergebnisse der Sachverhaltsaufklärung des Gerichts als Grundlage für die Prüfung der Festsetzungsverjährung noch nicht vorlagen.

127

Unentschieden bleiben kann, ob sich das Aufklärungsbedürfnis infolge der Weiterleitung der Aufstellung durch das Finanzamt für Verkehrsteuern und Grundbesitz ggf. erledigt hatte (vgl. Seer in: Tipke/Kruse AO § 153 Lfg. Okt. 2016 Rn. 25). Denn auch wenn der Beklagte zur Zeit der Aufforderung bzw. der Einspruchsentscheidung noch hinreichend Anlass für die Annahme (weitergehender) eigener Einkünfte A im Jahr 2003 gehabt haben sollte, wäre die ausgesprochene Aufforderung rechtswidrig gewesen.

128

Sollten aus der damaligen Sicht des Beklagten Anhaltspunkte für tatsächlich bislang nicht erklärte eigene Einkünfte der Klägerin bestanden haben, hätte die Möglichkeit einer Steuerhinterziehung auch seitens der Klägerin A und damit die Gefahr der Selbstbezichtigung nahegelegen. Die Aufforderung hätte daher mit einer Belehrung gem. § 393 Abs. 1 S. 4 AO u.a. über die fehlende Möglichkeit von Zwangsmitteln versehen werden müssen.

129

Zwar wäre eine etwaige Steuerhinterziehung durch unrichtige seinerzeitige Steuererklärung ausgehend von dem ersten unrichtigen Bescheid im Juli 2005 z.Zt. der Aufforderung seitens des Beklagten verfolgungsverjährt und löste aufgrund dessen eine Belehrungspflicht nicht mehr aus. Jedoch hätte im Falle der Unrichtigkeit und nachträglich erstmals positiver Kenntnis durch A hiervon die weitere Möglichkeit der Steuerhinterziehung durch bisheriges Unterlassen einer Nacherklärung bestanden (dazu und zu dem Verhältnis zu einer ggf. vorangegangenen Straftat durch aktives Tun s. BGH Beschluss vom 17.03.2009 1 StR 479/08, BGHSt 53, 210 Tz. 30: offengelassen, ob straflose Nachtat oder Straftat mit eigenständigem Schuldgehalt; zudem: nur solange mitbestrafte Nachtat, wie die Vortat verfolgt werden kann, d.h. nicht verjährt ist: BGH Beschluss vom 10.02.2015 1 StR 405/14, BGHSt 60, 188 Tz. 28; BGH Beschluss vom 17.10.1992 5 StR 517/92, BGHSt 38, 366 Tz. 6). Ausgehend von einer erstmaligen positiven Kenntnis von der Unrichtigkeit im Zuge einer steuerlichen Überprüfung nach dem Tod des Erblassers in zeitlicher Nähe zu der Erklärung vom 09.12.2015 - was aufgrund der Formulierung in dem Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten vom 09.12.2015 von dem seinerzeitigen Empfänger in Betracht zu ziehen war - hätte eine noch nicht verfolgungs- und festsetzungsverjährte Steuerhinterziehung nahegelegen.

130

Soweit der BFH zu § 393 Abs. 1 S. 2 AO die Ansicht vertritt, ein Zwangsmittelverbot bestehe mangels Selbstbelastungsgefahr durch die geforderte Mitwirkung nicht, sofern der Steuerpflichtige noch den Weg der strafbefreienden Selbstanzeige wählen könne (BFH Beschluss vom 01.02.2012 VII B 234/11, BFH/NV 2012, 913), steht dies der Belehrungspflicht im Streitfall nicht entgegen. Aufgrund der schon vor der Aufforderung vom 10.11.2016 erfolgten Mitteilung des Finanzamtes für Verkehrsteuern und Grundbesitz vom 29.04.2016 ebenso wie schon aufgrund der diesem Amt vorliegenden Nacherklärung einschließlich der Einkommensteuerschuld für 2003 liegt eine die Selbstanzeige ausschließende Tatentdeckung i.S.v. § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO vor. Hierfür genügt es, wenn konkrete Anhaltspunkte für die Tat bekannt sind; ein hinreichender Tatverdacht ist nicht erforderlich (vgl. BGH Beschluss vom 20.05.2010 1 StR 577/09, BGHSt 55, 180). Aufgrund des Hinweises des Beklagten auf die "Rücksprache" mit dem Finanzamt für Verkehrsteuern und Grundbesitz in dem Aufforderungsschreiben musste die Klägerin auch mit der erfolgten Entdeckung rechnen.

131

Mit der Belehrung "hierüber" i.S.v. § 393 Abs. 1 S. 4 AO ist nach Sinn und Zweck der Norm die Belehrung über die Rechte nach S. 1 bis 3 gemeint; sie hat spätestens mit Einleitung eines Strafverfahrens, aber ungeachtet einer Einleitung eines Strafverfahrens bei erkennbaren Anhaltspunkten für eine mögliche Selbstbelastung zu erfolgen (Seipl in: Gosch AO § 393 Lfg. 1.8.2008 Rn. 88, 90; Klaproth in: Schwarz/Pahlke AO § 393 Lfg. 3/2016 Rn. 30, 31; Kohlmann Steuerstrafrecht § 393 AO Lfg. 11/2018 Rn. 131ff; missverständlich demgegenüber die Formulierung bei Seer a.a.O. Rn. 49 und in der Überschrift zu III. "Belehrungspflicht über die Einleitung eines Strafverfahrens ", s. indes ders. Rn. 55 und 58). Die Belehrung ist von dem Amtsträger vorzunehmen, der im Besteuerungsverfahren die Mitwirkung verlangt (Klaproth in: Schwarz/Pahlke AO § 393 Lfg. 3/2016 Rn. 33; Seipl in: Gosch AO § 393 Lfg. 1.8.2018 Rn. 94), also mit der Aufforderung zur Mitwirkung zu verbinden. Die fehlende Belehrung führte zwar grundsätzlich nicht zu einem Verwertungsverbot etwaiger durch eine aufforderungsgemäß eingereichte Nacherklärung erlangten Erkenntnisse im Besteuerungsverfahren (vgl. im Einzelnen Seer in: Tipke/Kruse AO § 393 Lfg. April 2018 Rn. 59ff). Jedoch ist nicht erst die ohne Belehrung erfolgenden Zwangsmaßnahme, sondern gerade wegen des fehlenden steuerlichen Verwertungsverbots schon die Aufforderung selbst zur Abgabe der Erklärung mangels Belehrung rechtswidrig.

132

Unentschieden bleiben kann, ob es sich bei dem Verstoß gegen die Belehrungspflicht um einen Verfahrensfehler i.S.v. § 127 AO handelt. Denn angesichts der notwendigen Ermessensentscheidung bei der Entscheidung über die Aufforderung ist der Fehler nicht gem. § 127 AO folgenlos.

133

Da die Aufforderung jenseits der Frage der fehlerfreien Ermessensausübung objektiv rechtswidrig ist und die Klägerin A in ihren Rechten verletzt, ist sie gem. § 100 Abs. 1 S. 1 FGO aufzuheben.

134

V. Der Bescheid über die Hinterziehungszinsen in Gestalt der Einspruchsentscheidung ist rechtmäßig.

135

1. Die Adressierung ist korrekt erfolgt. Für die Formalien der Adressierung und Bekanntgabe gelten die Ausführungen zu dem Einkommensteuerbescheid entsprechend.

136

2. Der Bescheid ist auch in materieller Hinsicht rechtmäßig.

137

Gem. § 235 Abs. 1 AO sind hinterzogene Steuern zu verzinsen. Zinsschuldner ist derjenige, zu dessen Vorteil die Steuern hinterzogen worden sind.

138

Die Festsetzung ist sowohl gegenüber A als auch gegenüber den Erben nach B zu Recht erfolgt.

139

Die im Streitfall tenorierte Aufhebung des die zu verzinsende Steuer festsetzenden Einkommensteuerbescheids für 2003 ändert hieran gem. § 235 Abs. 3 S. 3 AO nichts, da sie nach dem Ende des in der Zinsberechnung zum Einkommensteuerbescheid erfassten Zinslaufs erfolgte.

140

Die Festsetzung der Hinterziehungszinsen richtet sich nicht akzessorisch nach dem festgesetzten, sondern nach dem tatsächlich hinterzogenen Steuerbetrag (BFH Urteil vom 28.03.2012 II R 39/10, BStBl II 2012, 712). Akzessorietät besteht mithin nicht zu der Festsetzung, sondern nur insoweit, als die Steuer entstanden und tatsächlich hinterzogen sein muss (BFH Urteil vom 20.03.2012 VII R 12/11, BStBl II 2012, 491; Heuermann in: Hübschmann/Hepp/Spitaler AO § 235 Lfg. Aug. 2015 Rn. 38, 40; Hess. FG Urteil vom 07.05.2018 10 K 477/17, EFG 2018, 1253). Die Hinterziehung zeichnet sich gerade durch die fehlende Festsetzung der hinterzogenen Steuer aus (vgl. § 370 Abs. 4 AO). Dies zeigt sich gerade an der Regelung zur Unmaßgeblichkeit etwaiger nach dem Ende des Zinslaufs erfolgter Änderungen oder auch der - hier tenorierten - Aufhebung des Bescheids betreffend die hinterzogenen Steuern in § 235 Abs. 3 S. 3 AO, die von der gesetzlichen Regelung der Erstattungszinsen in § 233a Abs. 5 AO abweicht. In diesen Fallgestaltungen bleibt der Hinterziehungszinsbescheid rechtmäßig, obgleich der Steueranspruch nicht mehr bzw. nur in geringerem Umfang fortbesteht. Dies ist gerechtfertigt, da der Steuerschuldner auf der Grundlage der ursprünglichen - wirksamen - Steuerfestsetzung einen Zinsvorteil gehabt hat, der ihm materiell nicht zustand (vgl. Kögel in: Gosch AO § 235 Lfg. 1.5.2003 Rn. 41).

141

Ob die uneingeschränkte Anwendung dieser Regelung selbst in den Fällen gerechtfertigt ist, in denen die Änderung des Steuerbescheids materiell-rechtlich mit der begangenen Hinterziehung zusammenhängt (für uneingeschränkte Anwendung auch im Falle des nachträglichen materiell-rechtlichen Wegfalls der Steuerschuld z.B. gem. § 29 ErbstG Hess. FG a.a.O.; vgl. Heuermann a.a.O. Rn. 40 zur Frage der Bedeutung einer nicht nur formalen Änderung des Steuerbescheids - z.B. wegen Verlustrücktrags -, sondern der Änderung aus Gründen, die mit der Steuerhinterziehung zusammenhängen), bedarf im Streitfall keiner Entscheidung, da an dem Ob und dem Umfang der Steuerhinterziehung im Streitfall keine Zweifel bestehen und die Festsetzung allein aus verfahrensrechtlichen Gründen der Festsetzungsverjährung rechtswidrig ist.

142

Der Festsetzung der Hinterziehungszinsen gegen den Schuldner der hinterzogenen Steuer (wozu gem. § 45 AO auch die Erben als Gesamtrechtsnachfolger gehören) steht es nicht entgegen, wenn er an der Steuerhinterziehung nicht mitgewirkt hat (BFH Urteil vom 28.03.2012 II R 39/10, BStBl II 2012, 712 Tz. 22). Vielmehr soll gerade beim Nutznießer einer Steuerhinterziehung dessen Zinsvorteil abgeschöpft werden (BFH Urteil vom 27.08.1991 VIII R 84/89, BStBl II 1992, 9). Der Vorteil liegt in der verspäteten Zahlung der geschuldeten Steuern (BFH a.a.O.). Dies gilt auch für den Gesamtschuldner, der an der Steuerhinterziehung des anderen Gesamtschuldners nicht mitgewirkt hat (Loose in: Tipke/Kruse AO § 235 Rn. 13; Heuermann in: Hübschmann/Hepp/Spitaler AO § 235 Lfg. Aug. 2015 Rn. 29; FG Hamburg Beschluss vom 14.07.2004 I 184/04, Tz. 44 juris zu einem Hinterziehungszinsbescheid gegenüber der mit dem Hinterzieher der Steuern gemeinsam veranlagten Ehefrau). Denn die Gesamtschuld bezieht sich auch auf die Zinsen (vgl. BFH Urteil vom 30.11.1994 XI R 19/94, BStBl II 1995, 487 zur möglichen Steueraufteilung).

143

Ebenso wenig ist die Festsetzung der Hinterziehungszinsen von der Bestrafung wegen Steuerhinterziehung abhängig. Im Gegenteil setzt die Straffreiheit nach einer Selbstanzeige gem. § 371 Abs. 3 AO (in der seit 01.01.2015 geltenden Fassung) gerade voraus, dass die Hinterziehungszinsen gezahlt werden (Seer in: Tipke Kruse AO § 371 lfg. Okt. 2016 Rn. 51).

144

Sofern eine Steuerfestsetzung wegen zwischenzeitlichen Ablaufs selbst der verlängerten Festsetzungsfrist nicht erfolgt ist bzw. nicht mehr in Betracht kommt, bedeutete dies wegen der Regelung zur Anlaufhemmung in § 239 Abs. 1 Nr. 3 AO (s. Heuermann a.a.O. Rn. 50) in der Tat, dass mangels denkbarer Unanfechtbarkeit des Steuerbescheids Festsetzungsverjährung für die Hinterziehungszinsen nicht eintreten kann (vgl. Loose in: Tipke/Kruse AO § 239 Lfg. Jan. 2017 Rn. 7; vgl. a. Schwarz in: Schwarz/Pahlke AO § 239 Lfg. 3/2002 Rn. 6). Diese ungewöhnliche Folge spricht indes nach Auffassung des Senats nicht gegen die Festsetzung von Hinterziehungszinsen trotz Ablaufs der Festsetzungsfrist für die zugrunde liegende Steuer. Da die Hinterziehung gerade die Festsetzung vor Ablauf der (regulären) Festsetzungsfrist verhindert hat, ist es sachgerecht, wenn es für die Festsetzung der Hinterziehungszinsen nicht darauf ankommt, ob zwischenzeitlich die - selbst gem. § 169 Abs. 2 S. 2 AO verlängerte - Festsetzungsverjährung für die hinterzogene Steuer abgelaufen ist.

145

Einwendungen gegen die der Berechnung zugrunde gelegte Ermittlung der hinterzogenen Beträge sind nicht vorgebracht und nicht ersichtlich.

146

Soweit die Höhe des Hinterziehungszinssatzes betroffen ist, hat der Beklagte den Bescheid für vorläufig erklärt.

147

Eine Erhöhung der Hinterziehungszinsen durch Rückgängigmachung der in dem Bescheid auf der Grundlage von gem. § 235 Abs. 4 AO erfolgten Anrechnung der Erstattungszinsen aus dem aufzuhebenden Einkommensteuerbescheid 2003 kommt wegen des Verböserungsverbots und der insoweit getrennt zu behandelnden Streitgegenstände nicht in Betracht.

148

VI. Die Kostenentscheidung beruht wegen des nur geringfügigen Unterliegens der Kläger auf §§ 136 Abs. 1 S. 3 FGO.

149

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 155, 151 Abs. 3 FGO, 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

150

Der Senat hat die Revision gem. § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO im Hinblick auf die Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Festsetzungsverjährung und der Beendigung der Steuerhinterziehung durch Unterlassen einer Berichtigungspflicht gem. § 153 AO zugelassen.

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