Urteil vom Finanzgericht Rheinland-Pfalz (5. Senat) - 5 K 1193/17
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens haben der Kläger zu 1. zu ¾ und der Kläger zu 2. zu ¼ zu tragen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Kläger zu 1. und 2., die diese selbst zu tragen haben.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
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Streitig ist (im Wesentlichen), in welcher Höhe die Einkommensteuerschuld 2013 Masseverbindlichkeit ist.
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Mit Beschluss des Amtsgerichts - Insolvenzgericht - (11 IN .../12) vom 1. November 2012 wurde über das Vermögen des Klägers zu 2. (Inhaber der Firma S) das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zu 1. zum Insolvenzverwalter bestellt.
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Mit Schreiben vom 9. März 2015 bat der Kläger zu 1. den Beklagten, die Besteuerungsgrundlagen nach § 162 AO im Wege der Schätzung zu ermitteln, weil Masseunzulänglichkeit drohe. Auf Rückfrage des Beklagten teilte eine Mitarbeiterin des Klägers zu 1. (Frau S) am 18. März 2015 telefonisch mit, dass der für 2013 erklärte Umsatz in Höhe von 85.150 € aus dem Verkauf von Betriebsvermögen resultiere, und übersandte eine entsprechende Liste des verkauften (beweglichen) Anlagevermögens (Drehmaschinen usw.), auf die wegen der weiteren Einzelheiten verwiesen wird.
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Der Beklagte wandte sich sodann mit Schreiben vom 30. März 2015 an den Kläger zu 1. und wies darauf hin, dass sich laut der von ihm eingereichten Aufstellung für das aus dem Massevermögen veräußerte betriebliche Anlagevermögen ein Verkaufserlös (netto) in Höhe von 85.150 € ergeben habe. Dem habe zum Zeitpunkt des Verkaufs ein Buchwert in Höhe von 36.369,50 € gegenübergestanden. Der sich daraus ergebende Gewinn in Höhe von 48.780,50 € sei der Einkommensteuer zu unterwerfen. Die darauf entfallende Einkommensteuer sei dem Massevermögen zuzurechnen.
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Der Kläger zu 1. erwiderte, die Verwertung sei durch die Kreissparkasse A durchgeführt worden und in die Masse sei nur der Massekostenanteil von 4 % auf den Verkaufspreis (4.053,14 €) geflossen.
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Der Beklagte verwies auf die Entscheidung des BFH vom 16. Mai 2013 (IV R 23/11), wonach die Einkommensteuerschuld auch dann in voller Höhe Masseverbindlichkeit sei, wenn das verwertete Wirtschaftsgut mit Absonderungsrechten belastet gewesen sei und der tatsächlich zur Masse gelangte Erlös nicht ausreiche, um die aus der Verwertungshandlung resultierende Einkommensteuerforderung zu befriedigen, und erließ mit Datum vom 8. Juli 2015 sodann folgende drei Bescheide:
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- Einen an den Kläger zu 1. als Insolvenzverwalter adressierten und die Einkommensteuer als Masseforderung betreffenden Einkommensteuerbescheid 2013, mit dem die Einkommensteuer – im Wege der Zusammenveranlagung des Klägers zu 2. und seiner Ehefrau - auf 15.452 € festgesetzt und im Verhältnis der Teileinkünfte (d.h. soweit die Einkünfte die Masse oder das insolvenzfreie Vermögen betreffen) in Masseforderung (8.922,74 €) und insolvenzfreie Forderung (6.529,26 €) aufgeteilt wurde. Das Leistungsgebot betraf ausschließlich die Masseforderung.
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- Einen an den Kläger zu 2. adressierten, „für Herrn und Frau ...“ ergangenen und die insolvenzfreie Forderung betreffenden Einkommensteuerbescheid 2013. Das Leistungsgebot bezog sich dementsprechend (nur) auf die Einkommensteuer als insolvenzfreie Forderung.
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- Einen an die Ehefrau des Klägers zu 2. adressierten und ebenfalls „für Herrn und Frau ...“ ergangenen Einkommensteuerbescheid 2013. In diesem Bescheid erfolgte kein Hinweis, dass er nur die insolvenzfreien Forderungen betreffe und auch die Steuerschuld wurde nicht aufgeteilt. Die Ehefrau des Klägers zu 2. wurde vielmehr aufgefordert, die festgesetzte Einkommensteuer i.H.v. 15.452 € abzüglich Lohnsteuer (2.558 €) zu zahlen.
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Die gegen diesen Bescheid gerichtete Klage der Ehefrau des Klägers zu 2. war ursprünglich ebenfalls Gegenstand der vorliegenden Klage, wurde aber in der mündlichen Verhandlung vom 3. März 2020 abgetrennt, nachdem die Vertreterin des Beklagten erklärt hatte, dass der Bescheid aufgehoben werde.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die (unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen) vorgenannten Bescheide sowie die Niederschrift vom 3. März 2020 verwiesen.
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Mit E-Mail vom 22. Juli 2015 nahm Frau S Bezug auf ein Telefonat mit dem Beklagten und übersandte als Anlage ein Schreiben der Sparkasse C vom 17. Juli 2015, in dem die (zum 1. Juni 2015 durch Fusion der Kreissparkasse A mit der Kreissparkasse B entstandene) Bank mitteilt, dass die Verwertung der Maschinen und des Inventars abgeschlossen sei und sie den Massekostenanteil und die Mehrwertsteuer gemäß beigefügter Aufstellungen der B GmbH auf das Insolvenzanderkonto überweisen werde.
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Am 28. Juli 2015 ging beim Beklagten die Einkommensteuererklärung des Klägers zu 2. und seiner Ehefrau für 2013 ein, mit der sie die Einzelveranlagung beantragten.
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Der Beklagte änderte zwar mit Datum vom 31. August 2015 die Einkommensteuerbescheide 2013 vom 8. Juli 2015, führte allerdings keine Einzelveranlagung durch. Er erhöhte die Einkünfte des Klägers zu 2. aus Gewerbebetrieb um 14.877 € (zur Berechnung siehe Blatt 73 der EStA I) und änderte die entsprechende Aufteilung der Steuerschuld und die Leistungsgebote in den an die Kläger zu 1. und zu 2. adressierten Bescheiden. Der Vorbehalt der Nachprüfung blieb jeweils bestehen. Wegen der Einzelheiten wird auf die vorgenannten Bescheide verwiesen.
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Bereits am 29. Juli 2015 hatte der Kläger zu 1. Einspruch eingelegt. Er machte geltend, die auf den Gewinn aus der Veräußerung des Anlagevermögens entfallende Einkommensteuer stelle keine Masseverbindlichkeit im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 Insolvenzordnung (InsO) dar. Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO seien Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet würden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören. In der vom Beklagten zitierten Entscheidung des BFH vom 16. Mai 2013 (IV R 23/11) habe der Insolvenzverwalter die Insolvenzmasse selbst aufgrund seiner Verfügungsbefugnis gemäß § 80 InsO verwertet und später mit dem Sicherungsnehmer abgerechnet. Er - der Kläger zu 1. - habe selbst keine Verwertungshandlungen vorgenommen, sondern der Sicherungsnehmerin die Verwertung des Sicherungsguts überlassen. Es fehle damit an einer Realisationshandlung im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Diese Rechtsauffassung teile übrigens auch der BFH in dem vom Beklagten zitierten Urteil vom 16. Mai 2013 (VI R 23/11).
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Der Beklagte erwiderte, der Kläger zu 1. habe verkannt, dass die von ihm zitierte Textpassage aus dem BFH-Urteil vom 16. Mai 2013 (IV R 23/11, Rz. 11) nicht die Rechtsauffassung des BFH, sondern lediglich den im Tatbestand des Urteils enthaltenen Parteivortrag enthalte. Bei dem Steueranspruch handle es sich nicht um eine insolvenzfreie Forderung, weil der Kläger zu 1. keine Freigabe der veräußerten Wirtschaftsgüter erklärt habe und sie deshalb noch zur Insolvenzmasse gehört hätten. Dass die Veräußerung durch den absonderungsberechtigten Gläubiger erfolgt sei, sei unerheblich.
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Bei Sicherungseigentum - so der Kläger zu 1. - verbleibe die dingliche Berechtigung beim Sicherungsnehmer, das Recht zur Verfügung an dem Sicherungsgut gehe allerdings auf den Insolvenzverwalter über (§ 166 Abs. 1 und Abs. 2 InsO). Diese Verfügungsbefugnis könne der Insolvenzverwalter nach einhelliger Meinung durch Freigabe an den Sicherungsgläubiger zurückgeben. Dieser Fall sei zwar nicht unmittelbar geregelt, folge jedoch direkt aus § 170 Abs. 2 InsO, der genau diese Konstellation voraussetze. Wie bei einer Freigabe an den Schuldner handle es sich nicht um die Verwaltung oder Verwertung von Sicherungsgut, da der Insolvenzverwalter in diesen Fällen gerade eine Verwaltung oder Verwertung unterlasse.
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Mit Einspruchsentscheidung vom 13. Januar 2017 wurde der Einspruch des Klägers zu 1. als unbegründet zurückgewiesen. Der Vorbehalt der Nachprüfung blieb bestehen.
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Mit einer weiteren Einspruchsentscheidung vom 13. Januar 2017 wurde auch der (nicht näher begründete) Einspruch des Klägers zu 2., den sein Prozessbevollmächtigter am 10. August 2015 eingelegt hatte, zurückgewiesen. Auch hier blieb der Vorbehalt der Nachprüfung bestehen.
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Am 25. Januar 2017 hat der Kläger zu 1. unter dem Aktenzeichen 5 K 1097/17 Klage erhoben.
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Er trägt ergänzend vor, er habe nicht nur die Betriebsimmobilie aus dem Insolvenzbeschlag freigegeben, auch die Verwertung des Inventars habe er mit Schreiben vom 29. November 2012 der Bank überlassen. Die auf der Realisation stiller Reserven beruhende Steuer sei daher nicht auf sein Handeln als Insolvenzverwalter zurückzuführen. Er habe es der absonderungsberechtigten Sparkasse überlassen, die in ihrem Eigentum befindlichen Gegenstände zu verwerten (Überlassung der Verwertungsbefugnis). An dieser Verwertungshandlung der Sparkasse sei er folglich selbst nicht beteiligt gewesen. Ihm sei daher weder ein positives Tun noch ein pflichtwidriges Unterlassen im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 InsO zuzurechnen. Auch § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 InsO sei im vorliegenden Fall nicht einschlägig. In den Fällen der Freigabe eines Vermögensgegenstandes aus dem Insolvenzbeschlag und anschließender Verwertung sei die mit der Verwertungshandlung begründete Steuerverbindlichkeit nicht dem Insolvenzverwalter zuzurechnen und damit keine Masseverbindlichkeit. Bezogen auf den sicherungsübereigneten Gegenstand sei eine Freigabe aus dem Insolvenzbeschlag schon rechtlich nicht möglich gewesen, weil das Sicherungsgut nicht Teil der Insolvenzmasse gewesen sei, sondern Eigentum und Verfügungsbefugnis bei der Sparkasse gelegen hätten. Er – der Kläger zu 1. - hätte entweder gemäß § 166 Abs. 1 InsO selbst verwerten oder - wie geschehen - die Verwertungsbefugnis auf den Absonderungsberechtigten übertragen und diesen verwerten lassen können. Im letzteren Fall gehe die mit der Verwertung entstehende Steuerverbindlichkeit nicht auf die Verwaltung der Insolvenzmasse zurück, sondern auf eine Verwertungshandlung des Absonderungsberechtigten. Das Entstehen einer Masseverbindlichkeit setze aber eine Verwaltungstätigkeit des Insolvenzverwalters voraus. Im Übrigen teile auch die Finanzverwaltung diese Einschätzung, wie zum Beispiel dem vom Beklagten zitierten Urteil des BFH vom 16. Mai 2013 (VI R 23/11) zu entnehmen sei. Dass durch die Überlassung der Verwertungsbefugnis keine Masseverbindlichkeit begründet werde, sei auch § 170 Abs. 2 InsO zu entnehmen. Denn der Gesetzgeber habe erkannt, dass die Verwertung des Sicherungsgutes durch den Sicherungsnehmer zu einer Umsatzsteuerbelastung der Insolvenzmasse führe. Infolgedessen habe er tatbestandlich vorgesehen, dass der Sicherungsnehmer der Masse diese Umsatzsteuer zu erstatten habe, damit letztere wirtschaftlich nicht belastet sei. Mit anderen Worten: Auch der Gesetzgeber sei bei Abfassung des § 170 Abs. 2 InsO davon ausgegangen, dass jedenfalls Ertragsteuern im Falle der Verwertung durch den Absonderungsberechtigten nicht zu Masseverbindlichkeiten führten. Anderenfalls hätte er den Absonderungsberechtigten auch zur Kompensation jener - die Masse belastende - Steuer verpflichtet.
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Der Klagebegründung war das vorgenannte Schreiben des Klägers zu 1. an die Kreissparkasse A vom 29. November 2012 als Anlage beigefügt, in dem er Folgendes ausführt:
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“bezugnehmend auf die bisherige Korrespondenz sowie das geführte Telefonat überlasse ich Ihnen die Verwertung des Ihnen sicherungsübereigneten beweglichen Betriebsvermögens des Schuldners. Ich bitte höflich, den Verwertungserlös mir gegenüber abzurechnen sowie den Umsatzsteueranteil und Feststellungs-kostenbeitrag auszukehren."
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Am 16. Februar 2017 haben auch der Kläger zu 2. und seine Ehefrau unter dem Aktenzeichen 5 K 1103/17 Klage erhoben.
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Sie tragen vor, die vom Kläger zu 2. im Jahr 2013 erzielten Einkünfte in Höhe von insgesamt 36.665 € (33.080 € Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit und 3.615 € Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung) führten unter Berücksichtigung der abziehbaren Sonderausgaben und Vorsorgeaufwendungen nach der Splittingtabelle 2013 zu einer Einkommensteuer in Höhe von lediglich 2.844 €. Für die vom Beklagten vorgenommene Zusammenrechnung von Einkünften der Insolvenzmasse aus der Verwertung und von insolvenzfreien Einkünften des Klägers zu 2. aus der nach Insolvenzeröffnung aufgenommenen nichtselbständigen Tätigkeit gebe es keine rechtliche Grundlage. Vielmehr führe die Insolvenzeröffnung dazu, dass es zu zwei auch steuerlich getrennten Vermögensmassen komme. Eine Gesamtveranlagung von Einnahmen der Insolvenzmasse und Einnahmen des Insolvenzschuldners mit der Folge, dass es zu höheren Steuersätzen und damit zu einer Steuermehrbelastung komme, habe zu unterbleiben. Die Steuermehrbelastung sei auch völlig unbillig. Der Kläger zu 2. habe als angestellter Industriemeister im Jahre 2013 mit den Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung und unter Abzug von Sonderausgaben und Vorsorgeaufwendungen lediglich ein zu versteuerndes Einkommen von 30.142 € erwirtschaftet. Weitere Einnahmen seien ihm nicht zugeflossen. An den vom Insolvenzverwalter erzielten Verwertungserlösen habe er in keiner Weise partizipiert. Bei einem zu versteuernden Einkommen von 30.142 € halte der Gesetzgeber jedoch ausweislich der von ihm erstellten Splittingtabelle für eine Familie mit zwei minderjährigen Kindern eine Einkommensteuerbelastung von lediglich 2.844 € als angemessen. Mit der vom Beklagten festgesetzten Einkommensteuer werde dieser Betrag aber um 130 % überschritten, ohne dass dem Kläger zu 2. und seiner Ehefrau selbst irgendein finanzieller Vorteil zugeflossen wäre.
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Mit Schreiben vom 15. Juli 2019 teilte die Berichterstatterin den Beteiligten mit, dass und aus welchen Gründen die Klage des Klägers zu 1. mit der Klage der Kläger zu 2. und seiner Ehefrau zu verbinden sei, und wies außerdem auf Folgendes hin:
1.
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Die vom Kläger zu 1. aufgeworfene Frage, ob die aus der Verwertung des beweglichen Anlagevermögens durch die Kreissparkasse (KSK) A resultierende Einkommensteuer eine Masseverbindlichkeit darstelle oder nicht, hänge davon ab, wie bzw. auf welche Art und Weise die (vom Insolvenzverwalter behauptete) „Freigabe“ konkret tatsächlich erfolgt sei. Es gebe die "echte Freigabe", mit der die Herauslösung des Vermögenswertes aus dem Insolvenzbeschlag bezeichnet werde und die konstitutive Wirkung habe. Der Schuldner bekomme nach der Entlassung des betreffenden Wertes aus der Insolvenzmasse die volle Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über diesen zurück. Unter einer "unechten Freigabe" verstehe man demgegenüber die Herausgabe eines massefremden Gegenstandes an eine aussonderungsberechtigte Person. Nachdem keine direkte Betroffenheit der Masse gegeben sei, handle es sich insoweit nicht um eine Freigabe im "eigentlichen" Sinne. Der Insolvenzverwalter erkenne durch die unechte Freigabe vielmehr nur die materielle Rechtslage an, sein Tun habe also lediglich deklaratorischen Charakter. Daneben gebe es noch die modifizierte Freigabe (der Insolvenzverwalter ermächtige den Schuldner, ein zur Insolvenzmasse gehörendes Recht in eigenem Namen geltend zu machen), die erkaufte Freigabe (der Insolvenzverwalter gebe den Vermögenswert nur gegen Entgelt aus der Insolvenzmasse frei) und die Freigabe von Sicherungsgut, d.h. die Herausgabe von Vermögenswerten an absonderungsberechtigte Gläubiger. Das diesbezügliche Überlassen von Gegenständen zur Verwertung durch den Insolvenzverwalter habe in § 170 Abs. 2 InsO eine ausdrückliche Regelung erfahren.
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Im vorliegenden Fall stelle sich daher die Frage, welche Form der „Freigabe“ hier erfolgt sei. Vor dem Hintergrund, dass der Kläger zu 1. in seinem Zwischenbericht vom 7. Mai 2014 ausgeführt habe, er habe das Sicherungsgut der Bank „zur Verwertung überlassen“, liege ohne Frage keine „echte“ Freigabe an den Insolvenzschuldner, sondern (nur) eine Freigabe von Sicherungsgut an den Sicherungsnehmer vor. In einem solchen Fall bleibe der wirtschaftliche Wert der Sache der Insolvenzmasse erhalten, denn der Verwertungserlös sei der Insolvenzmasse zu Gute gekommen, weil sich die Insolvenzforderung der Bank entsprechend vermindert habe (Verweis auf das BFH-Urteil vom 12. Mai 1993 XI R 49/90, BFH/NV 1994, 274). Der Wille des Klägers zu 1. sei auf diesen Geschehensablauf und nicht darauf gerichtet gewesen, dem Insolvenzschuldner das Sicherungsgut zur freien Verfügung zu überlassen. Hierzu sei er wegen des bestehenden Verwertungsrechts der Bank auch nicht berechtigt gewesen (ebenda).
2.
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Da die aus der Verwertung des beweglichen Anlagevermögens durch die Kreissparkasse (KSK) A resultierende Einkommensteuer eine Masseverbindlichkeit darstelle (s.o.), stehe fest, dass eine Aufteilung der Einkommensteuerschuld zu erfolgen habe.
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Seien in einem Veranlagungszeitraum mehrere insolvenzrechtliche Forderungskategorien betroffen, so sei die einheitlich ermittelte Einkommensteuerschuld aufzuteilen. Nach der Rechtsprechung des BFH erfolge die Aufteilung der Jahressteuerschuld – wie vom Beklagten vorgenommen - nach dem Verhältnis der Teileinkünfte zueinander. Zur Begründung führe der BFH aus, diese Aufteilungsmethode sei auch in Ansehung der progressiven Steuerbelastung sachgerecht, weil zur Jahressteuerschuld ununterscheidbar alle Einkommensteile beigetragen hätten (BFH-Urteil vom 29. März 1984 IV R 271/83, BFHE 141, 2, BStBl II 1984, 602; vom 11. November 1993 XI R 73/92, BFH/NV 1994, 477). Sie habe zur Konsequenz, dass eine Zuordnung der Pausch- und Freibeträge nicht erfolgen müsse.
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Diese Rechtsprechung werde – wie vom Kläger zu 2. - im Hinblick auf den Gesichtspunkt der Progression kritisiert. Daher befürworte eine weit verbreitete Literaturmeinung (Nachweise und Quellenangaben im Gerichtsbescheid des FG Düsseldorf vom 19. August 2011 - 11 K 4201/10 E, EFG 2012, 544) - jedenfalls für die Aufteilung der einheitlichen Steuerschuld im Veranlagungszeitraum der Insolvenzeröffnung – die Durchführung von Teil- bzw. Schattenveranlagungen entsprechend §§ 268 ff. AO. Dabei sollten die Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen nach Anlass zugerechnet und die Pauschbeträge zeitanteilig berücksichtigt werden. Die einheitliche Steuerschuld werde sodann nach dem Verhältnis der sich auf der Grundlage der Schattenveranlagungen ergebenden Steuerbeträge aufgeteilt.
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Nach anderer Auffassung (Nachweise und Quellenangaben im o.g. Gerichtsbescheid des FG Düsseldorf vom 19. August 2011 - 11 K 4201/10 E) sei die Jahreseinkommensteuerschuld im Veranlagungszeitraum der Insolvenzeröffnung aufzuteilen, indem der Gesamtbetrag der nach Insolvenzeröffnung zur Insolvenzmasse geflossenen Einkünfte zu ermitteln und um zuzuordnende Sonderausgaben, außergewöhnliche Belastungen, anteilige Pauschbeträge u.ä. zu bereinigen sei. Dieser bereinigte Gesamtbetrag der Einkünfte der Insolvenzmasse sei auf ein volles Kalenderjahr hochzurechnen; auf der Basis dieser fiktiven Einkünfte sei eine fiktive Veranlagung durchzuführen und der Durchschnittssteuersatz festzustellen. Dieser sei mit dem von der Insolvenzmasse erzielten bereinigten Gesamtbetrag der Einkünfte zu multiplizieren. Das Ergebnis sei die Höhe der Masseverbindlichkeiten, wobei die Aufteilung des Jahressteuerbetrages in Verhältnis der angefallenen Teileinkünfte eine Kappungsgrenze bilde. Dagegen könne die Aufteilung der Jahressteuerschuld während des Insolvenzverfahrens nach dem Verhältnis der Teileinkünfte erfolgen. Da die Aufteilung der Vermögensmassen in zur Befriedigung der Gläubiger heranzuziehendes Vermögen und dem Schuldner haftungsfrei zur Verfügung stehendes Vermögen allein durch das Insolvenzrecht determiniert werde, sei es nicht geboten, in beiden Bereichen Progressionselemente unterzubringen. Es könne schlicht dabei bleiben, dass alle Einkünfte mit dem nach dem Steuerrecht bemessenen gleichen Steuersatz belastet seien und der sich daraus ergebende Steuerbetrag jeweils aus der Vermögensmasse gezahlt werde, der die Einkünfte insolvenzrechtlich zugeordnet seien. Insoweit - so das FG Düsseldorf - sei dem BFH zu folgen.
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Der Rechtsprechung des BFH - so Berichterstatterin - wolle sich auch der erkennende Senat anschließen, zumal im vorliegenden Fall nicht das Jahr der Insolvenzeröffnung, sondern ein Folgejahr im Streit sei. Die Aufteilung der Jahressteuerschuld nach dem Verhältnis der Teileinkünfte dürfe dem Prinzip der einheitlichen Steuerschuld am ehesten entsprechen. Zudem sprächen Praktikabilitätsgründe für diese Aufteilungsmethode. Ob eine andere Aufteilung erforderlich bzw. vorzugswürdig wäre, wenn der Ehegatte des Insolvenzschuldners eigene Einkünfte habe, könne offenbleiben, weil dies hier nicht der Fall sei.
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Der Kläger zu 1. bzw. sein Prozessbevollmächtigter legte eine E-Mail des Fachanwalts für Insolvenzrecht ... vom 18. Juli 2019 vor - auf die wegen der weiteren Einzelheiten verwiesen wird - und erwiderte, die Regelung in § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO trage dem allgemeinen Gedanken Rechnung, dass die mit der Verwertung zusammenhängenden - stets unvermeidlichen - Verwertungskosten von Wirtschaftsgütern (Veräußerungsnebenkosten) als Masseverbindlichkeiten zu berücksichtigen seien. Würden darüber hinaus Steuerverbindlichkeiten zu Masseverbindlichkeiten führen, die auf der Aufdeckung stiller Reserven beruhten, welche der Sicherungsnehmer durch seine Verwertung auslöse, wäre dieser Rechtsgedanke konterkariert. Denn der Sicherungsnehmer verwerte das der Masse wirtschaftlich nicht zuzurechnende Sicherungsgut. Die Verwertung erfolge zum einen im Interesse des Sicherungsnehmers, zum anderen aber auch im Interesse des Insolvenzschuldners, der insoweit von der (gesicherten) Verbindlichkeit befreit werde. Es handle sich also nicht um eine Verwertungsmaßnahme, die der Masse nütze, sondern um eine solche, die dem Schuldner nütze. § 39 AO sehe regelmäßig vor, dass das Ertragsteuerrecht der wirtschaftlichen Betrachtungsweise zu folgen habe. Vor diesem Hintergrund gebiete es die Einheitlichkeit der Rechtsordnung, § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO in seinem Anwendungsbereich teleologisch für Fälle der Verwertung von Sicherungsgut zu reduzieren. Denn die Aufdeckung der in den verwerteten Wirtschaftsgütern enthaltenen stillen Reserven führe nur deshalb zu einer derart späten Steuerentstehung, weil das Realisationsprinzip einer früheren Entstehung (z.B. Zeitpunkt der Antragstellung, Insolvenzeröffnung) entgegenstehe.
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In der vorgenannten E-Mail führt der Fachanwalt für Insolvenzrecht aus, dem Gericht sei bei seinem Hinweis ein Denkfehler unterlaufen. Durch eine Freigabe verzichte der Insolvenzverwalter auf das ihm durch Gesetz eingeräumte Verfügungsrecht über die Gegenstände der Insolvenzmasse (§ 80 InsO) bzw. über Sicherungsgut (§ 166 InsO) und das Verfügungsrecht falle wieder an den dinglich Berechtigten zurück, was in der Regel der Schuldner sei, im Falle von Sicherungsgut jedoch der Sicherungsnehmer. Den vorliegenden Fall sortiere das Gericht in die Rubrik „Freigabe von Sicherungsgut" und weise darauf hin, dass in einem solchen Fall der wirtschaftliche Wert der Sache der Insolvenzmasse erhalten bleibe, weil der Verwertungserlös der Insolvenzmasse zu Gute gekommen sei, weil sich die Insolvenzforderung der Bank entsprechend vermindert habe. Ohne nähere Begründung folgere das Gericht daraus, dass es sich beim Verwertungserlös deshalb um eine Masseverbindlichkeit handle. Das Gericht übersehe allerdings, dass der wirtschaftliche Wert der Sache auch bei der „echten“ Freigabe (wenn diese vorliegend überhaupt möglich wäre) der Insolvenzmasse erhalten bleibe: Die Freigabe an den Schuldner berühre nicht das Sicherungs- und Verwertungsrecht der Bank und der Verwertungserlös vermindere auch in diesem Fall entsprechend die Insolvenzforderung. In rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht bestehe zwischen „echter“ Freigabe und der Freigabe von Sicherungsgut nicht der geringste Unterschied, sodass nicht nachvollziehbar sei, weshalb im Fall 1 keine Masseverbindlichkeit entstehen solle, im Fall 2 aber schon. Des Weiteren erkenne das Gericht selbst, dass eine „echte" Freigabe im vorliegenden Fall überhaupt nicht möglich gewesen sei. Dem Schuldner habe das Sicherungsgut nämlich nicht zur freien Verfügung überlassen werden können, weil er – so das Gericht - „wegen des bestehenden Sicherungsrechts der Bank auch nicht berechtigt“ gewesen sei. An dieser Stelle schimmere die Erkenntnis des Gerichts durch, was Freigabe eigentlich bedeute, ohne allerdings die richtigen Schlüsse zu ziehen.
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Das Gericht erwiderte (Schreiben vom 24. Juli 2019, Blatt 86 f. der Gerichtsakte 5 K 1097/17), die für entscheidungserheblich erachtete Frage, wer die in Wirtschaftsgütern enthaltenen stillen Reserven zu versteuern habe, wenn diese Absonderungsrechten unterlägen, sei durch das Urteil des BFH vom 16. Mai 2013 (IV R 23/11) höchstrichterlich bereits geklärt. Im Übrigen übersehe der Fachanwalt für Insolvenzrecht bei seinem Vergleich von echter Freigabe und Freigabe von Sicherungsgut, dass nur die echte Freigabe zu einer Entlassung des Wirtschaftsguts aus dem Insolvenzbeschlag und zu einem Ausscheiden aus der Masse führe und dass es nur aus diesem Grund gerechtfertigt sei, auch die durch einen nachfolgenden Verkauf verursachte Einkommensteuer nicht als Masseverbindlichkeit zu qualifizieren. Seine Argumentation, dass die Verwertung bei beiden Formen der Freigabe der Insolvenzmasse zugutekomme, greife deshalb nicht durch. Diese Behauptung sei überdies unzutreffend, denn würde das Sicherungsgut dem Insolvenzschuldner zur freien Verfügung überlassen und von ihm verkauft, der Verkaufserlös aber für eigene Zwecke verbraucht (also nicht an den Sicherungsnehmer gezahlt), würde sich die Insolvenzforderung des Sicherungsnehmers nicht mindern.
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Der Kläger zu 1. bzw. sein Prozessbevollmächtigter erwiderte, dem vom Gericht zitierten BFH-Urteil habe ein anderer Sachverhalt zu Grunde gelegen. Nur für die dortige Konstellation (Insolvenzverwalter verwertet selbst), sei bislang entschieden, dass der Verwalter die Besteuerungsfolgen hinzunehmen habe, wenn er selbst verwerte. Anerkanntermaßen könne er das durch die Freigabe von Wirtschaftsgütern aus dem Insolvenzbeschlag gemäß § 35 Abs. 2 InsO verhindern. In Bezug auf bestehende Absonderungsrechte sei eine Freigabe gemäß § 35 Abs. 2 InsO nicht möglich. Denn die Verfügungsbefugnis liege bei sicherungsübereigneten Gegenständen ohnehin und ausschließlich beim Sicherungsgläubiger. Die Insolvenzordnung räume dem Insolvenzverwalter die Befugnis (“darf“) ein, die Verwertung selbst vorzunehmen (Verwertungsbefugnis), § 166 Abs. 1 InsO. Das werde er regelmäßig dann tun, wenn er eine bessere Verwertungsmöglichkeit erblicke, als sie ihm vom Sicherungsgläubiger in Aussicht gestellt werde. So habe der Fall beim BFH gelegen. Im vorliegenden Fall hingegen habe der Kläger zu 1. die ihm gesetzlich über § 166 Abs. 1 InsO zunächst eingeräumte Verwertungskompetenz an den Sicherungsgläubiger zurückgereicht. Mehr habe er nicht tun können, um die Wirtschaftsgüter „loszuwerden“. Der Verzicht auf die ihm eingeräumte Möglichkeit zur eigenen Verwertung sei keine Handlung, die eine Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO begründe. Gegenteiliges habe auch der BFH bislang nicht entschieden.
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Der Kläger zu 2. und seine Ehefrau äußerten sich zu dem gerichtlichen Hinweis vom 15. Juli 2019 nicht, teilten auf Rückfrage des Gerichts jedoch mit (Blatt 127 der Gerichtsakte 5 K 1193/17), dass sie an dem Antrag auf Einzelveranlagung für das Veranlagungsjahr 2013 nicht festhalten würden und die Gesamtveranlagung wünschten. Nach Rechtskraft der Einkommensteuerveranlagung solle lediglich eine Aufteilung der Steuerschuld nach § 268 AO erfolgen. (Der Beklagte hat inzwischen - mit Bescheiden vom 26. Februar 2020 – entsprechende Aufteilungsbescheide erlassen).
- 39
Mit Beschluss vom 12. September 2019 hat das Gericht die Klageverfahren 5 K 1097/17 und 5 K 1193/17 unter dem fortan führenden Aktenzeichen 5 K 1193/17 gemäß § 73 Abs. 2 FGO zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
- 40
Der Kläger zu 1. beantragt,
- 41
den (die Einkommensteuer als Masseverbindlichkeit betreffenden) Einkommensteuerbescheid für 2013 vom 8. Juli 2015 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 31. August 2015 und die Einspruchsentscheidung vom 13. Januar 2017 aufzuheben.
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Der Kläger zu 2. beantragt,
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den (die Einkommensteuer als insolvenzfreie Forderung betreffenden) Einkommensteuerbescheid des Beklagten vom 8. Juli 2015 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 31. August 2015 und die Einspruchsentscheidung vom 13. Januar 2017 zu ändern und die Einkommensteuer auf 2.844 € festzusetzen.
- 44
Der Beklagte beantragt,
- 45
die Klagen abzuweisen.
- 46
Er weist ergänzend darauf hin, dass die Vermietungseinkünfte nicht dem Kläger zu 1. zuzuordnen seien, weil er die Immobilie aus dem Insolvenzbeschlag freigegeben habe.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das im Insolvenzverfahren erstellte Gutachten des Klägers zu 1. vom 22. Oktober 2012, das „Verzeichnis der Massegegenstände nach § 151“ vom 19. November 2012, den Zwischenbericht vom 7. Mai 2014, den Zugangsnachweis in Bezug auf die Freigabe des Vermietungsobjektes sowie die Niederschrift vom 3. März 2020 (Blatt 162-164 der Gerichtsakte 5 K 1193/17) verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die Klagen sind unbegründet.
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Der Einkommensteuerbescheid 2013 über die Festsetzung der Einkommensteuer als Masseverbindlichkeit und der Einkommensteuerbescheid 2013 über die Festsetzung der Einkommensteuer als insolvenzfreie Forderung – beide Bescheide vom 8. Juli 2015 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 31. August 2015 – und die dazu jeweils ergangene Einspruchsentscheidung vom 13. Januar 2017 sind – soweit angefochten – nicht zu beanstanden.
1.
- 50
Die Einkommensteuerschuld, die aus der Verwertung des zur Insolvenzmasse und zum Betriebsvermögen gehörenden beweglichen Anlagevermögens resultiert, ist als sonstige Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu qualifizieren, die durch Einkommensteuerbescheid gegenüber dem Kläger zu 1. als Bekanntgabeadressat geltend zu machen ist. Die Steuer, die in dem an ihn adressierten Einkommensteuerbescheid ihm gegenüber festgesetzt wurde, ist Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO.
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a) Sonstige Masseverbindlichkeiten i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO sind u.a. Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören. Insbesondere wegen der Art und Weise ihrer Geltendmachung und ihrer Anspruchsbefriedigung sind diese von den Insolvenzforderungen (§§ 35 Abs. 1, 38, 87, 174 ff., 187 ff. InsO) abzugrenzen. Insolvenzforderungen sind nach § 38 InsO solche Forderungen, die zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet waren. Die Abgrenzung zwischen Insolvenzforderungen und (sonstigen) Masseverbindlichkeiten richtet sich ausschließlich nach dem Zeitpunkt der insolvenzrechtlichen Begründung. Entscheidend ist dabei, ob und wann ein Besteuerungstatbestand nach seiner Art und Höhe tatbestandlich verwirklicht und damit die Steuerforderung insolvenzrechtlich begründet worden ist. Dies richtet sich allein nach steuerrechtlichen Grundsätzen (ständige Rechtsprechung, so bereits BFH-Urteile vom 16. November 2004 VII R 75/03, BFHE 208, 296, BStBl II 2006, 193; vom 29. August 2007 IX R 4/07, BFHE 218, 435, BStBl II 2010, 145, m.w.N.; sowie vom 16. Mai 2013 IV R 23/11, BFHE 241, 233, BStBl II 2013, 759; zuletzt BFH-Urteil vom 10. Juli 2019 X R 31/16, BFHE 265, 300). Für die insolvenzrechtliche Begründung des Einkommensteueranspruchs kommt es deshalb darauf an, ob der einzelne (unselbständige) Besteuerungstatbestand - insbesondere die Erzielung von Einkünften nach § 2 Abs. 1 EStG - vor oder nach Insolvenzeröffnung verwirklicht wurde. Entscheidend ist, wann der Tatbestand, an den die Besteuerung knüpft, vollständig verwirklicht ist (so bereits BFH-Urteil vom 16. Mai 2013 IV R 23/11, a.a.O.; zuletzt BFH-Urteil vom 10. Juli 2019 X R 31/16, a.a.O.). Auf die steuerrechtliche Entstehung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (z.B. § 38 AO i.V.m. § 36 Abs. 1 EStG) und deren Fälligkeit kommt es dagegen nicht an (ständige Rechtsprechung, zuletzt BFH-Urteil vom 10. Juli 2019 X R 31/16, a.a.O.).
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b) Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist die aus der Veräußerung der beweglichen Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens resultierende Einkommensteuer vom Beklagten zu Recht als Masseverbindlichkeit qualifiziert worden.
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aa) Die aus der Veräußerung der (zur Sicherheit an die Kreissparkasse Altenkirchen übereigneten) beweglichen Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens resultierende Einkommensteuer beruht auf einer Verwaltungs- bzw. Verwertungshandlung des Klägers zu 1.
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Der Kläger zu 1. hat zwar geltend gemacht, dass er – anders als in dem vom BFH mit Urteil vom 16. Mai 2013 (IV R 23/11, BFHE 241, 233, BStBl II 2013, 759) entschiedenen Fall, in dem der Insolvenzverwalter selbst von seiner Verwertungsbefugnis im Hinblick auf das Sicherungsgut Gebrauch gemacht habe - nichts getan und das Sicherungsgut der Bank nur „zur Verwertung überlassen“ habe. Im vorliegenden Fall stellt allerdings auch dies eine Maßnahme i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO dar.
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Wie seinem Schreiben an die Kreissparkasse A vom 29. November 2012 (Blatt 25 f. der Gerichtsakte 5 K 1097/17) zu entnehmen ist, hat er die Verwertung dem absonderungsberechtigten Gläubiger überlassen mit der Maßgabe, den Verwertungserlös ihm gegenüber abzurechnen und den Umsatzsteueranteil und Feststellungskostenbeitrag auszukehren. Dieser Fall ist in § 170 Abs. 2 InsO geregelt. § 170 InsO hat folgenden Wortlaut:
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§ 170 Verteilung des Erlöses
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(1) Nach der Verwertung einer beweglichen Sache oder einer Forderung durch den Insolvenzverwalter sind aus dem Verwertungserlös die Kosten der Feststellung und der Verwertung des Gegenstands vorweg für die Insolvenzmasse zu entnehmen. Aus dem verbleibenden Betrag ist unverzüglich der absonderungsberechtigte Gläubiger zu befriedigen.
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(2) Überlässt der Insolvenzverwalter einen Gegenstand, zu dessen Verwertung er nach § 166 berechtigt ist, dem Gläubiger zur Verwertung, so hat dieser aus dem von ihm erzielten Verwertungserlös einen Betrag in Höhe der Kosten der Feststellung sowie des Umsatzsteuerbetrages (§ 171 Abs. 2 Satz 3) vorweg an die Masse abzuführen.
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Durch die in Absatz 2 der Vorschrift genannte Art der Überlassung (nur) zur Verwertung erfolgt keine echte Freigabe und damit auch keine Entlassung des Gegenstandes aus dem Insolvenzbeschlag (Karsten Schmidt/Sinz, 18. Auflage 2013, § 170 InsO Rn. 134, m.w.N.). Der Insolvenzverwalter verzichtet lediglich auf sein Verwertungsrecht (ebenda). Der Gegenstand bleibt Bestandteil der „Soll-Masse“ (ebenda, Rn. 27). Allein darin, dass der Insolvenzverwalter ein Absonderungsrecht anerkennt und dem Berechtigten die Verwertung überlässt, liegt keine Freigabe des belasteten Gegenstandes und kein Verzicht der Masse auf einen etwaigen Übererlös (Windel in: Jaeger, Insolvenzordnung, 1. Aufl. 2007, § 80 Übergang des Verwaltungs- und Verfügungsrechts, Rn. 39). Eine Freigabe wäre vielmehr nur dann erfolgt, wenn der Kläger zu 1. die Wirtschaftsgüter durch einseitige Erklärung gegenüber dem Kläger zu 2. (= Schuldner) freigegeben hätte. Dadurch wären die Sicherungsgüter aus der Insolvenzmasse in das freie Vermögen des Klägers zu 2. überführt worden und der gesicherte Gläubiger (= Bank) hätte ungehindert auf die Sicherheit zugreifen und sie verwerten können, ohne Kostenbeiträge an die Insolvenzmasse abführen zu müssen (Landfermann in: Kayser/Thole, Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, 9. Aufl. 2018, § 170 Verteilung des Erlöses, Rn. 18).
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Durch den streitbefangenen Verkauf des beweglichen Anlagevermögens wurde somit der Besteuerungstatbestand nach Insolvenzeröffnung vollständig verwirklicht und damit insolvenzrechtlich begründet, weshalb die aus der Gewinnrealisierung resultierende Einkommensteuer als sonstige Masseverbindlichkeit i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu qualifizieren ist.
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Dabei kann offenbleiben, ob die Einkommensteuer aufgrund einer "Handlung" des Insolvenzverwalters (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 1 InsO) oder aber "in anderer Weise" (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 2 InsO) begründet wurde. Es ist jedenfalls eine der beiden Alternativen erfüllt, wenn man mit der vorgenannten Rechtsprechung für das insolvenzrechtliche "Begründetsein" darauf abstellt, wann und durch wen der steuerauslösende (unselbständige) Besteuerungstatbestand i.S. des § 2 Abs. 1 EStG (vollständig) verwirklicht wurde. Dies ist der maßgebliche Zeitpunkt für die Abgrenzung. Die Anknüpfung der Besteuerung an die "Realisationshandlung" gilt uneingeschränkt nicht nur dann, wenn sie der Insolvenzverwalter im Rahmen seiner Verwaltungsbefugnis nach § 80 Abs. 1 InsO oder im Rahmen seiner Verwertungsbefugnis nach § 166 Abs. 1 InsO selbst vornimmt, sondern auch dann, wenn er die Verwertung an einen Dritten delegiert oder sie – wie im Falle des § 170 Abs. 2 InsO - einem absonderungsberechtigten Gläubiger überträgt (so i.E. auch Finanzgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 14. März 2019 4 K 1005/18, juris).
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bb) Die vorgenannten Grundsätze sind auch dann anzuwenden, wenn durch die Veräußerung nach Insolvenzeröffnung stille Reserven aufgedeckt werden, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind.
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Dies hat der BFH mit dem – den Verfahrensbeteiligten bereits bekannten - Urteil vom 16. Mai 2013 (IV R 23/11, a.a.O.) entschieden, dem sich das Gericht anschließt und auf das zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird.
2.
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Da die aus der Verwertung des beweglichen Anlagevermögens durch die Kreissparkasse A resultierende Einkommensteuer eine Masseverbindlichkeit darstellt (s.o.), steht fest, dass eine Aufteilung der Einkommensteuerschuld zu erfolgen hat, die der Beklagte in nicht zu beanstandender Weise vorgenommen hat.
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Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf den gerichtlichen Hinweis mit Schreiben vom 15. Juli 2019 (Blatt 73-78 der Gerichtsakte 5 K 1097/17 und Blatt 100-105 der Gerichtsakte 5 K 1193/17) verwiesen, zumal der BFH auch in einem aktuellen Urteil vom 10. Juli 2019 (X R 31/16, BFHE 265, 300) an seiner bisherigen Rechtsprechung festgehalten und erneut entschieden hat, dass in Fällen der vorliegenden Art - wenn also in einem Veranlagungszeitraum mehrere insolvenzrechtliche Forderungskategorien betroffen sind - die einheitlich ermittelte Einkommensteuerschuld nach dem Verhältnis der auf die jeweiligen Vermögensbereiche entfallenden Einkünfte zueinander aufzuteilen ist.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO.
4.
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Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alt. FGO zur Fortbildung des Rechts zugelassen. Insbesondere ist klärungsbedürftig, ob die Einkommensteuerschuld auch dann Masseverbindlichkeit ist, wenn das mit Absonderungsrechten belastete Wirtschaftsgut nicht vom Insolvenzverwalter, sondern vom absonderungsberechtigten Gläubiger verwertet wird.
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Referenzen
- InsO § 80 Übergang des Verwaltungs- und Verfügungsrechts 3x
- InsO § 55 Sonstige Masseverbindlichkeiten 14x
- FGO § 73 1x
- 1984 IV R 271/83 1x (nicht zugeordnet)
- InsO § 38 Begriff der Insolvenzgläubiger 2x
- 11 K 4201/10 2x (nicht zugeordnet)
- § 268 AO 1x (nicht zugeordnet)
- 2007 IX R 4/07 1x (nicht zugeordnet)
- § 38 AO 1x (nicht zugeordnet)
- 2013 IV R 23/11 2x (nicht zugeordnet)
- 1993 XI R 73/92 1x (nicht zugeordnet)
- 2019 X R 31/16 3x (nicht zugeordnet)
- § 162 AO 1x (nicht zugeordnet)
- 5 K 1193/17 5x (nicht zugeordnet)
- 4 K 1005/18 1x (nicht zugeordnet)
- 2004 VII R 75/03 1x (nicht zugeordnet)
- 5 K 1103/17 1x (nicht zugeordnet)
- EStG § 36 Entstehung und Tilgung der Einkommensteuer 1x
- §§ 35 Abs. 1, 38, 87, 174 ff., 187 ff. InsO 2x (nicht zugeordnet)
- §§ 268 ff. AO 1x (nicht zugeordnet)
- InsO § 170 Verteilung des Erlöses 8x
- FGO § 115 1x
- FGO § 136 1x
- InsO § 166 Verwertung beweglicher Gegenstände 6x
- InsO § 35 Begriff der Insolvenzmasse 3x
- VI R 23/11 2x (nicht zugeordnet)
- 1993 XI R 49/90 1x (nicht zugeordnet)
- § 39 AO 1x (nicht zugeordnet)
- X R 31/16 1x (nicht zugeordnet)
- IV R 23/11 6x (nicht zugeordnet)
- 5 K 1097/17 5x (nicht zugeordnet)
- InsO § 87 Forderungen der Insolvenzgläubiger 1x
- EStG § 2 Umfang der Besteuerung, Begriffsbestimmungen 2x