Urteil vom Landesarbeitsgericht Hamm - 3 Sa 1331/15
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 31.08.2015 – 4 Ca 1950/14 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand
2Die Parteien streiten um einen Anspruch des Klägers auf Vergütung für Umkleide und innerbetriebliche Wegezeiten.
3Der Kläger ist seit dem 06.11.2002 bei der Beklagten beschäftigt. Er ist in der Abteilung Wartung Konfitüre eingesetzt.
4Grundlage der Beschäftigung ist ein schriftlicher Arbeitsvertrag vom 06.11.2002. Dieser sieht in § 1 Abs. 5 und 6 folgende Regelung vor:
5„Aufgrund der bei der Produktion von Lebensmitteln geltenden Hygieneverordnung ist jeder Arbeitnehmer verpflichtet, den Dienst täglich mit sauberer und vollständiger Dienstkleidung anzutreten und zu erfüllen. Die Bedienung der Zeiterfassungsanlage, d.h. das An-und Abstempeln hat ausschließlich persönlich und zwar immer in einwandfreier Dienstkleidung zu erfolgen.
6Die Wegezeiten zu bzw. von den Stempeluhren oder Pausenräumen sind leistungsentgeltfrei.“
7Die Beklagte hat in einer Arbeitsanweisung zum Hygienestandard, gültig ab 01.02.2011, unter anderem festgelegt, dass die Arbeitnehmer bereitgestellte Kleidung tragen oder bereitzustellende Arbeitskleidung an die Erfordernisse anpassen müssen, ferner ihre Arbeitskleidung erst in den im Firmengelände bereitgestellten Sozialräumen anziehen dürfen und ein Tragen der Arbeitskleidung für private Zwecke nicht erlaubt ist. Ferner ist festgelegt, dass die geforderten Standards der Arbeitskleidung aus Sicherheitsschuhen, T-Shirts oder Pullover, Latzhosen mit Firmen- Emblem und ohne Außentaschen, Jacken und Kittel mit Emblem und ohne Außentaschen sowie einer Kopfbedeckung bestehen. Auch in dieser Arbeitsanweisung befindet sich erneut die Vorgabe, dass jeder Arbeitnehmer verpflichtet ist, den Dienst täglich mit sauberer und vollständiger Dienstkleidung anzutreten und das Bedienen der Zeiterfassungsanlage immer in einwandfreier Kleidung zu erfolgen hat. Ebenso ist geregelt, dass die Kleidung nicht mit nach Hause genommen werden darf, in den dafür vorgesehenen Sozialräumen vor Arbeitsbeginn anzuziehen und nach Arbeitsende dort wieder auszuziehen und abzulegen ist. Im einzelnen wird auf die entsprechende Arbeitsanweisung (Bl. 29-31 GA) Bezug genommen.
8In der Zeit von Januar 2011 bis einschließlich Dezember 2014 war der Kläger an insgesamt 737 Arbeitstagen tätig.
9In der Zeit vom 01.01.2011 bis zum 30.09.2012 betrug der Stundenlohn des Klägers 13,07 € brutto, danach 14,07 € brutto.
10Mit der vorliegenden, unter dem 19.12.2014 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage begehrt der Kläger Vergütung für das Umkleiden und den Weg zum Arbeitsplatz.
11Er hat die Auffassung vertreten, der in Rede stehenden Zeiten seien aufgrund der Arbeitsanweisung mit Hygienestandards zu vergüten.
12Ein Anspruch sei auch nicht nach § 1 Abs. 6 des Arbeitsvertrages ausgeschlossen, da von der dortigen Klausel Umkleidezeiten schon gar nicht erfasst würden. Zudem sei die Regelung intransparent und unklar, wenn die Rede davon sei, dass bestimmte Zeiten leistungsentgeltfrei seien, er jedoch gar nicht im Leistungslohn arbeite
13Hinsichtlich der geltend gemachten Zeiten schildert der Kläger den Ablauf wie folgt:
14Er habe das Betriebsgelände am so genannten Tor 3 zu betreten, wo er zunächst ein Gebäude aufzusuchen habe, um sich dort saubere Hygieneschutzkleidung zu holen. Sodann habe er einen Weg von etwa 30 m zu den Umkleideräumen zurückzulegen, hier die Hygieneschutzkleidung anzulegen und jeglichen Schmuck abzulegen. Sodann müsse er zum Pförtner gehen. Hier bilde sich regelmäßig eine Schlange, weil sich eine Vielzahl von Arbeitnehmern zeitgleich zum Betreten des Betriebsgeländes anmelde. Hier werde vom Pförtner registriert, wer das Betriebsgelände betrete. Anschließend müsse er 38 Treppenstufen hinaufsteigen, um eine Gangway zu betreten. Diese verlasse er nach einer Wegstrecke von 600-700 m und müsse eine Treppe hinunter gehen, um noch 40-50 m in ein Betriebsgebäude zurückzulegen, um hier die Stempeluhr zu betätigen, die den Beginn der Arbeitszeit erfasse. Bei Schichtende erfolge der umgekehrte Weg.
15Die täglich anfallenden Zeiten bemisst der Kläger mit 36 Minuten.
16Der Kläger hat beantragt,
17die Beklagte zu verurteilen, an ihn 6.219,57 € brutto nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB ab Klageerhebung zu zahlen.
18Die Beklagte hat beantragt,
19die Klage abzuweisen.
20Sie hat einen Anspruch für nicht gegeben erachtet.
21Zum einen lege der Kläger nicht schlüssig dar, warum es sich bei den geltend gemachten Zeiten um vergütungspflichtige Arbeitszeit handeln solle.
22Umkleide- und Wegezeiten fielen auch nicht im Umfang von 36 Minuten, sondern lediglich im Umfang von 24 Minuten täglich an.
23Jedenfalls aber sei ihrer Meinung nach ein Anspruch ohnehin aufgrund der Regelung in § 1 Abs. 6 des Arbeitsvertrages ausgeschlossen. Eine solche Vereinbarung sei wirksam, da die Parteien Leistung und Gegenleistung grundsätzlich frei bestimmen dürften. Bedenken gegen die Wirksamkeit der Klausel ergäben sich auch nicht daraus, dass bei Bestimmungen zu Überstunden eine bestimmte Höchstgrenze zu vereinbaren sei; denn vorliegend gebe es eine Begrenzung anfallender Zeiten, die allein durch die örtlichen Gegebenheiten resultierten.
24Das Arbeitsgericht hat eine Inaugenscheinnahme darüber durchgeführt, wie viele Minuten der Kläger benötigt, um von der Ausgabestelle der Hygieneschutzkleidung zu seinem Arbeitsplatz zu gelangen, einschließlich der Zeit, die für das Umkleiden mit der Hygieneschutzkleidung benötigt wird. Hinsichtlich des Ergebnisses wird auf die Niederschrift vom 31.08.2015 (Bl. 44, 45 GA) Bezug genommen.
25Mit Urteil vom 31.08.2015 hat das Arbeitsgericht die Beklagte zur Zahlung von 4.665,42 € brutto nebst Zinsen verurteilt und im übrigen die Klage abgewiesen.
26Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe einen Anspruch auf Vergütung für die aufgewendeten Umkleide-und innerbetrieblichen Wegezeiten aus § 612 Abs. 1 BGB. Bei diesem handele es sich um Zeiten, die der Kläger über seine Sollarbeitszeit hinaus geleistet habe. Da eine vertragliche Vereinbarung nicht ersichtlich sei, komme als Anspruchsgrundlage nur § 612 Abs. 1 BGB in Betracht. Bei den Umkleide-und innerbetrieblichen Wegezeiten handele es sich um vergütungspflichtige Arbeitszeit. Arbeit sei jede Tätigkeit, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses diene. Dazu gehöre auch das Umkleiden für die Arbeit, da der Arbeitgeber das Tragen einer bestimmten Kleidung vorschreibe und das Umkleiden im Betrieb erfolgen müsse. Aus der Weisung, die ein Anliegen der Arbeitskleidung zu Hause und ein Tragen auf dem Weg zur Arbeit ausschließe, ergebe sich, dass es sich um eine fremdnützige Handlung handele. Vor allem aber diene das Tragen der Berufskleidung primär hygienischen Zwecken und damit insbesondere betrieblichen Belangen. In diesem Fall beginne die Arbeit mit dem Umkleiden.
27Der Kläger habe jedoch nur einen Anspruch auf Vergütung von 27 Minuten je Arbeitstag. In welchem zeitlichen Umfang Umkleide-und innerbetrieblichen Wegezeiten zur Arbeit zählten, bestimme sich nach allgemeinen Grundsätzen. Nur die Zeit, die für den einzelnen Arbeitnehmer unter Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit erforderlich sei, sei als Arbeitszeit zu werten. Hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast seien die allgemeinen Grundsätze anzuwenden. Stehe fest, dass Überstunden auf Veranlassung des Arbeitgebers geleistet worden sein, könne das Gericht den Mindestumfang geleisteter Überstunden auch schätzen. Vor diesem Hintergrund habe die Kammer die aufzuwendende Zeiten auf 27 Minuten geschätzt. 5 Minuten seien dabei für den Vorgang von der Ausgabestelle der Kleidung über das Umziehen bis zum Gang zum Pförtner angesetzt worden. Für den Weg vom Pförtner zu der für den Kläger maßgeblichen Stempeluhr sei dann ein Zeitaufwand von 8 Minuten und 30 Sekunden maßgeblich, die Kammer habe den Weg mit den Parteien gemeinsam abgelaufen. Soweit der Kläger weitere Zeiten geltend mache, sei er auf die Voraussetzung für die Darlegung von Überstunden außerhalb einer Schätzung zu verweisen.
28Dem Anspruch stehe auch nicht die Regelung in § 1 des Arbeitsvertrages entgegen, bei der es sich um eine Allgemeine Geschäftsbedingung handele. Schon die Formulierung, dass die genannten Wegezeiten „leistungsentgeltfrei“ seien, sei nicht klar verständlich. Die Regelung könne auch dahingehend verstanden werden, dass für diese Zeiten bestimmte leistungsabhängige Vergütungsbestandteile nicht hätten geleistet werden sollen. Selbst wenn man die Regelung nicht für unklar halte, ergebe sich die Unwirksamkeit der Regelung aus § 307 Abs. 1 BGB, weil die Bestimmung nicht klar und verständlich sei. Eine pauschale Vergütung von Mehrarbeit regelnde Klausel sei nur dann klar und verständlich, wenn sich aus dem Arbeitsvertrage selbst ergebe, welche Arbeitsleistungen von ihr erfasst werden sollten. Bei der Pauschalabgeltung innerbetrieblicher Wegezeiten seien dieselben Grundsätze anzuwenden. Eine konkrete Festlegung sei auch nicht deshalb entbehrlich, weil sämtliche Wegezeiten durch die örtlichen Gegebenheiten begrenzt seien. Denn der Arbeitnehmer kenne bei Unterzeichnung des Arbeitsvertrages wieder die konkrete Größe des Betriebsgeländes, noch wisse er, welche Wegstrecken er zurückzulegen habe.
29Gegen das unter dem 07.09.2015 zugestellte Urteil, auf dessen Entscheidungsgründe im übrigen Bezug genommen wird, hat die Beklagte unter dem 14.09.2015 Berufung zum Landesarbeitsgericht eingelegt und diese unter dem 05.11.2015 begründet.
30Ihrer Meinung nach sei die Klage insgesamt abzuweisen. Dem Anspruch stehe schon die Regelung in § 1 letzter Absatz des Arbeitsvertrages entgegen.
31Richtig sei, dass der Wortlaut dieser Vereinbarung Umkleidezeiten nicht erfasse, Willenserklärungen seien jedoch entsprechend ihrem Sinn und Zweck und der Verkehrsanschauung auszulegen. Es widerspreche jeglichem vernünftigen Sinn und Zweck, eine Regelung zu treffen, wonach die Wegezeiten leistungsentgeltfrei sein sollten, Umkleidezeiten jedoch nicht. Ab Bedienen der Stempeluhr habe der Kläger eine Vergütung erhalten sollen, nach Bedienen der Stempeluhr beim Arbeitsende nicht mehr. Damit ergebe sich automatisch, dass nicht nur Wegezeiten, sondern auch Umkleidezeiten nicht hätten vergütungspflichtig sein sollen. Für eine Unklarheitenregelung bleibe daher kein Raum.
32Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts sei die Formulierung „leistungsentgelt frei“ nicht als unklar anzusehen. Dies gelte insbesondere unter dem Aspekt, dass der Arbeitsvertrag der Parteien neben dem klaren Zeitlohn nochmals ausdrücklich regele, dass zusätzlich keine weiteren Sonderleistungen erfolgten. Mit der Formulierung könne daher nur die im Arbeitsvertrag geschuldete Vergütung gemeint sein.
33Die Wirksamkeit der Klausel scheitere auch nicht daran, dass dem Kläger bei Unterzeichnung des Arbeitsvertrages nicht klar gewesen sei, in welchem zeitlichen Umfang er Wege-oder Umkleidezeiten ohne Entgelt zu erbringen gehabt habe. Das Betriebsgelände sei räumlich begrenzt. Die Größe des Betriebsgeländes sei dem Kläger bei Abschluss des Arbeitsvertrages bekannt gewesen.
34Ein Anspruch scheitere ihrer Meinung nach zudem schon daran, dass ein solcher verwirkt sei. Das Zeitmoment folge daraus, dass der Kläger während des bestehenden Arbeitsverhältnisses zu keinem Zeitpunkt irgendwelche Vergütungsansprüche geltend gemacht habe. Das Umstands- und Zumutbarkeitsmoment liege darin, dass der Kläger über einen längeren Zeitraum die monatlich abgerechnete Vergütung entgegengenommen habe, ohne deutlich zu machen, dass er davon ausgehe, ihm sei eine Vergütung für Umkleide-und Wegezeiten zu zahlen.
35Hinsichtlich des Umfangs seien ihrer Meinung nach statt der vom Arbeitsgericht zugrunde gelegten 27 Minuten nur 25 Minuten und 40 Sekunden anzusetzen. Hierbei handele sich um den Mittelwert der jeweils im Rahmen der Inaugenscheinnahme durch unterschiedliche Personen aufgewendeten Zeiten. Insoweit stellt die Beklagte grundsätzlich nicht in Abrede, dass es im alltäglichen Betrieb im Bereich der Umkleiden sowie der Werkstore zu geringfügigen Verzögerungen kommen mag, diese hätten jedoch nicht ins Blaue hinein geschätzt werden dürfen.
36Die Beklagte beantragt,
37unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Paderborn vom 31.08.2015 die Klage insgesamt abzuweisen.
38Der Kläger beantragt,
39die Berufung zurückzuweisen.
40Er verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil dahingehend, das Arbeitsgericht habe zutreffend angenommen, ein Anspruch sei nicht durch W§ 1 des Arbeitsvertrags ausgeschlossen. Zutreffend sei das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass die Vertragsklausel intransparent sei. Hierzu nehme das Arbeitsgericht zutreffend an, dass der Regelung nicht mit der notwendigen Klarheit entnommen werden könne, ob für Zeiten eine arbeitsvertragliche Vergütung zu leisten sei oder nicht. Unter „Leistungsentgelt“ würden üblicherweise Leistungsprämien für erreichte Stückzahlen oder Ähnliches verstanden.
41Des Weiteren sei die Regelung unklar, als das bei der Beklagten zwei Stempeluhren vorhanden sein, Arbeitnehmer zunächst bei Betreten des Betriebsgeländes an der Pförtnerloge und sodann nach dem Umziehen und zum Zurücklegen des Weges zur Arbeitsstätte dort noch einmal zu stempeln hätten. Es erschließe sich nicht, welche Stempeluhr gemeint sein solle.
42Ohnehin verbleibe es dabei, dass Umkleidezeiten in dem Arbeitsvertrag ausdrücklich nicht erwähnt seien.
43Auch sei die Klausel jedenfalls im Hinblick darauf unwirksam, dass gegebenenfalls mit dem Entgelt abgegoltenen Überstunden nicht konkret benannt worden seien. Es sei nicht ersichtlich, woraus sich ergeben solle, dass ihm bei Unterzeichnung des Arbeitsvertrages bekannt gewesen sei, in welchem Umfang Zeiten abgegolten sein sollten.
44Eine Verwirkung von Ansprüchen sei nicht anzunehmen. Es fehle jedenfalls am Umstandsmoment, da die Beklagte ihr selbst davon ausgegangen sei, Ansprüchen nicht ausgesetzt zu sein.
45Schließlich habe das Arbeitsgericht auch den Anspruch der Höhe nach zutreffend ermittelt.
46Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
47Entscheidungsgründe
48Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet.
49A.
50Durchgreifende Bedenken gegen die Zulässigkeit der Berufung sind nicht gegeben.
51Die Berufung ist statthaft gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, 2 b) ArbGG.
52Die Berufung ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, §§ 517 ff. ZPO.
53B.
54Die Berufung der Beklagten ist jedoch nicht begründet.
55Der Kläger hat einen Zahlungsanspruch gegen die Beklagte in der vom Arbeitsgericht ausgeurteilten Höhe.
56Das Anlegen von Dienstkleidung stellt sich als vergütungspflichtige Arbeitszeit dar (I.), ein Vergütungsanspruch ist nicht durch arbeitsvertragliche Regelung ausgeschlossen (II.). Eine Verwirkung des Zahlungsanspruchs ist nicht gegeben (III.). Ein Anspruch besteht dabei in der vom Arbeitsgericht angenommene Höhe (IV.).
57I.
58Der Vergütungsanspruch des Klägers ergibt sich jedenfalls bereits aus § 611 Abs. 1 BGB, da die Verpflichtung, in bestimmter Kleidung die eigentliche Tätigkeit aufzunehmen, zum Inhalt und Umfang der vereinbarten Arbeitszeit zählt. Ob es sich bei den geltend gemachten Stunden daneben um Mehrarbeit über die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit hinaus handelt, die ggfs. mit Zuschlägen zu vergüten ist, kann dahinstehen, da der Kläger nur die Grundvergütung in Höhe des vereinbarten Stundenlohns geltend macht.
591.
60Die gesetzliche Vergütungspflicht des Arbeitgebers knüpft nach § 611 Abs. 1 BGB allein an die Leistung der versprochenen Dienste an und ist unabhängig von der arbeitszeitrechtlichen Einordnung der Zeitspanne, während derer der Arbeitnehmer die geschuldete Arbeitsleistung erbringt. Zu den „versprochenen Diensten“ iSv. § 611 BGB zählt nicht nur die eigentliche Tätigkeit, sondern jede vom Arbeitgeber im Synallagma verlangte sonstige Tätigkeit oder Maßnahme, die mit der eigentlichen Tätigkeit oder der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhängt. Der Arbeitgeber verspricht regelmäßig die Vergütung für alle Dienste, die er dem Arbeitnehmer aufgrund seines arbeitsvertraglich vermittelten Direktionsrechts abverlangt. „Arbeit“ als Leistung der versprochenen Dienste iSd. § 611 Abs. 1 BGB ist jede Tätigkeit, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient (so zuletzt BAG 19.03.2014, 5 AZR 954/123 unter Hinweis auf BAG 19.09.2012, 5 AZR 678/11 und BAG 12.12.2012, 5 AZR 355/12).
61Umkleidezeiten gehören danach zur vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung, wenn das Umkleiden einem fremden Bedürfnis dient und nicht zugleich ein eigenes Bedürfnis erfüllt ( BAG 17.11.2015, 1 ABR 76/13).
622.
63Unter Berücksichtigung dieser Kriterien gehört das An-und Ablegen der Kleidung, das die Beklagte dem Kläger aufgrund von Hygieneregelungen als Vorgaben gemacht hat, zur vergütungspflichtigen Arbeitszeit.
64a)
65Das Anlegen einer bestimmten Kleidung hängt mit der eigentlichen Tätigkeit des Klägers innerhalb der Produktion unmittelbar zusammen.
66Die Beklagte hat dem Kläger im Arbeitsvertrag ausdrücklich vorgegeben, den täglichen Dienst mit sauberer und vollständiger Dienstkleidung anzutreten und zu erfüllen. Bereits bei Beginn der Tätigkeit ist dem Kläger vorgegeben, das Anstempeln in einwandfreier Dienstkleidung vorzunehmen. Diese arbeitsvertragliche Verpflichtung steht in Einklang mit der Verpflichtung der Arbeitnehmer aus der vorgegebenen Arbeitsanweisung zum Hygienestandard, die hinsichtlich der geforderten Standards für Arbeitskleidung nach Ziffer 3.2 Mitarbeiter der Produktion und die, welche die Produktion regelmäßig aufsuchen, erfasst. Welche Kleidung anzulegen ist, regelt ebenfalls die Arbeitsanweisung in vorgenannter Ziffer. Arbeitskleidung darf dabei nach Ziffer 3.1. erst in den im Firmengelände bereitgestellten Sozialräumen angezogen werden und muss nach Ende der Arbeitszeit abgelegt werden. Ein Mitnehmen nach Hause ist untersagt. Tätig werden darf der Kläger danach nur in der vorgesehenen Kleidung.
67b)
68Damit werden die Arbeitnehmer auch angewiesen, in bestimmten Räumlichkeiten die Dienstkleidung an- und abzulegen. Dies gehört somit zur vertraglichen Verpflichtung des Klägers.
69c)
70Das An- und Ablagen der Dienstkleidung dient auch ausschließlich den Interessen der Beklagten. Hat die Beklagte dem Kläger vorgegeben, die Arbeitskleidung an einem bestimmten Ort im Betrieb erst anzulegen und dort wieder abzulegen, handelt sich somit um einen Vorgang, der der Befriedigung eines Bedürfnisses der Beklagten, insbesondere zur Einhaltung von Hygienevorgaben, dient.
71II.
72Ein Anspruch des Klägers auf Vergütung von Umkleidezeiten einschließlich hierzu erforderlicher innerbetrieblicher Wegezeiten ist nicht durch die Regelung der Parteien im letzten Absatz des § 1 des maßgeblichen Arbeitsvertrages ausgeschlossen. Die dortige Regelung erfasst Umkleidezeiten einschließlich hierzu erforderlicher Wegezeiten nicht. Dies ergibt die Auslegung dieser Klausel.
731.
74Unter den Parteien besteht kein Streit darüber, dass es sich bei der vertraglichen Regelung um allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne der §§ 305 ff BGB handelt. Wortgleiche Verträge liegen bei einer Vielzahl von Arbeitnehmern vor.
75Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zulegen sind.
76Soweit auch der mit dem Vertrag verbundene Zweck einzubeziehen ist, kann das nur in Bezug auf typische und von redlichen Geschäftspartnern verfolgte Ziele gelten: Bleiben nach Erwägung dieser Umstände Zweifel, geht dies nach § 305c Abs. 2 BGB zu Lasten des Verwenders ( BAG 31.08.2005, EzA ArbZG § 6 Nr. 6;. BAG 09.11.2005, EzA BGB 2002 § 305c Nr. 3; BAG 19.07.2007, EzA BGB 2002 § 623 Nr. 7 ).
772.
78Unter Berücksichtigung dieser Kriterien liegt keine Vereinbarung der Parteien dahingehend vor, dass erforderliche Umkleidezeiten einschließlich hierzu anfallender Wegezeiten nicht vergütet werden sollen.
792.1.
80Ein fehlender Ausschluss einer Vergütungspflicht folgt allerdings nach Auffassung der Kammer nicht bereits daraus, dass für solche Zeiten lediglich ein Leistungsentgelt unberücksichtigt bleiben soll.
81Die Beklagte hat im letzten Absatz des § 1 zwar eine Bezeichnung gewählt, die vom reinen Wortlaut auf den ersten Blick ein Verständnis nahe legen könnte, nur solche Vergütungsbestandteile sollten nicht gewährt werden, die an eine bestimmte Leistung des Arbeitnehmers anknüpfen und damit leistungsabhängig sind, womit ein Zeitlohn nicht erfasst wäre.
82Die maßgebliche Passage spricht aber schon nicht von einem „Leistungslohn“ als einer Vergütungsart, wie er im gewerblichen Bereich oft für eine an eine bestimmte Leistung des Arbeitnehmers anknüpfende Vergütung gebräuchlich ist, sondern von einem „Leistungsentgelt“ und knüpft daher eher an den Begriff der Leistung aus § 611 Abs. 1 BGB an, für die die vereinbarte Vergütung gezahlt werden soll.
83Der erkennbare Zweck dieser Regelung liegt zudem darin, dort genannte Zeiten insgesamt von einer Vergütung frei zu halten. Dies macht der Zusammenhang deutlich, dass nach dem vorhergehenden Absatz das Anstempeln hinsichtlich der berücksichtigungsfähigen Arbeitszeit persönlich und bereits in Dienstkleidung erfolgen soll. Wenn im Zusammenhang damit geregelt wird, Wegezeiten zu den Stempeluhren seien „leistungsentgeltfrei“, wird damit ausreichend deutlich, dass die Beklagte damit jegliche Vergütung hierfür ausschließen wollte.
84Dies ergibt sich auch daraus, dass der Kläger zudem im Zeitlohn beschäftigt wurde, ein Leistungsentgelt im eigentlichen Sinn nicht Gegenstand des Vergütungssystems ist. Ein redlicher Geschäftspartner musste daher davon ausgehen, der Vergütungsausschluss beziehe sich auf das für ihn maßgebliche Entgelt.
852.2.
86Ein fehlender Ausschluss einer Vergütung ergibt sich des Weiteren nicht daraus, dass die Bestimmung eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers im Sinne des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB beinhaltet.
87Nach § 307 Abs.1 Satz 2 BGB kann sich eine zur Unwirksamkeit der Klausel führende unangemessene Benachteiligung auch daraus ergeben, dass die Klausel nicht klar und verständlich ist. Das Transparenzgebot schließt dabei das Bestimmtheitsgebot ein ( BAG 31.08.2005, DB 2006 1273 ). Die tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen müssen so genau beschrieben werden, dass für den Verwender keine ungerechtfertigten Beurteilungsspielräume entstehen. Eine Klausel muss daher, um dem Bestimmtheitsgebot zu genügen, im Rahmen des rechtlich und tatsächlich Zumutbaren die Rechte und Pflichten des Vertragspartners der Verwenders so klar und präzise wie möglich umschreiben. Sie darf keine vermeidbaren Unklarheiten und Spielräume enthalten, allerdings den Verwender auch nicht überfordern, so dass die Verpflichtung, den Inhalt der Klausel klar und verständlich zu formulieren, nur im Rahmen des Möglichen besteht ( BAG 31.08.2005, DB 2006, 1273; BAG 08.08.2007, DB 2008, 133; BAG 14.08.2007, DB 2008, 66 ).
88Dem Arbeitsgericht ist einzuräumen, dass die Bestimmung keine Angaben zu einem bestimmten Zeitumfang enthält, für den eine Vergütung nicht geleistet werden soll; die Auslegung der Bestimmung unter den vorgenannten Gesichtspunkten ergibt jedoch, dass ein Leistungsausschluss für die Zeiten erfolgen sollte, die als erforderlich anfielen. Für einen redlichen Geschäftspartner auf Seiten der Klauselgegner ist damit erkennbar, dass die gesamte Zeit von einem Bezug ausgeschlossen sein sollte, die als Wegezeit vom Betreten des Betriebes zum Erreichen der Stempeluhr erforderlich ist. Hierbei handelt sich um eine Zeit, die aufgrund der Kenntnisse der Örtlichkeiten, des Umfangs der Wege und der Position der Stempeluhr erkennbar und damit ausreichend bestimmbar ist, selbst wenn der Kläger bei Unterzeichnung des Arbeitsvertrages weder die erforderliche Zeit, noch die notwendige Wegstrecke, die mit den Umziehvorgängen verbunden ist, kannte. Eine Vergütungspflicht sollte im Hinblick auf die erforderlichen Wege nicht schon mit dem Betreten des Betriebsgeländes einsetzen, sondern erst mit dem Anstempeln in der Nähe des eigentlichen Arbeitsplatzes.
89Eine nicht ausreichende Klarheit ergibt sich auch nicht daraus, dass nicht gesondert geregelt wird, welches Anstempeln gemeint ist.
90Aus dem dargestellten Gesamtzusammenhang ergibt sich in ausreichender Deutlichkeit, dass es sich um die Zeiterfassung handelt, die zu betätigen ist, nachdem die Arbeitnehmer den Ankleidevorgang abgeschlossen haben.
912.3.
92Ein Anspruchsausschluss ist aber deswegen nicht gegeben, da die Klausel Zeiten für das Anlegen von Dienstkleidung einschließlich der hierfür erforderlichen Wegezeiten nicht erfasst.
93Die Klausel erfasst schon von ihrem Wortlaut her lediglich Wegezeiten. Damit sind regelmäßig die Zeiten gemeint, die anfallen, weil der Arbeitnehmer vom Betreten des Betriebes bis zur Zeiterfassungsanlage noch einen bestimmten Weg zurückzulegen hat. Die Bestimmung soll sicherstellen, dass die für den Arbeitgeber maßgebliche Arbeitszeit unter Berücksichtigung, dass eine bestimmte Strecke vom Betreten des Betriebsgeländes bis zum Arbeitsplatz erforderlich ist, erst in Nähe zum konkreten Arbeitsplatz beginnen soll.
94Wenngleich die Beklagte das Erfordernis des An- und Abstempeln in einwandfreier Dienstkleidung in der vertraglichen Regelung aufgemacht hat, werden lediglich reine Wegezeiten einer Vergütung entzogen. Dies macht auch der Zusammenhang damit deutlich, dass Wege zu oder von den Pausenräumen von einer Vergütung nicht erfasst sein sollen. Auch dies spricht dafür, dass lediglich reine Wegezeiten zum Erreichen des Arbeitsplatzes von einer Vergütung ausgenommen sein sollten.
95Hätten die Parteien auch Zeiten für das Umziehen einer Vergütungspflicht entziehen wollen, hätte es nahe gelegen, eine entsprechende Regelung auf Umkleidezeiten zu erstrecken, zumal die Verpflichtung zum Umkleiden gesondert in der vertraglichen Regelung vorgesehen ist. Wenn dann aber lediglich die Wegezeiten als entgeltfrei bezeichnet werden, führt dies zu einem Verständnis, dass Umkleidezeiten jedenfalls von der Klausel nicht erfasst sind.
96III.
97Eine Verwirkung von Ansprüchen kann nicht angenommen werden.
981.
99Die Verwirkung ist ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung. Es ist nicht Zweck der Verwirkung, Schuldner, denen gegenüber Gläubiger ihre Rechte längere Zeit nicht geltend gemacht haben, von ihrer Pflicht zur Leistung vorzeitig zu befreien.
100Einmal muss der Gläubiger mit der Geltendmachung des Anspruchs gezögert haben. Allein der Zeitablauf kann aber die Verwirkung eines Rechts nicht rechtfertigen. Für die Annahme einer Verwirkung müssen mehrere Voraussetzungen erfüllt sein:
101Es müssen zu dem Zeitmoment besondere Umstände sowohl im Verhalten des Berechtigten als auch des Verpflichteten hinzutreten (Umstandsmoment), die es rechtfertigen, die späte Geltendmachung des Rechts als mit Treu und Glauben unvereinbar und für den Verpflichteten als unzumutbar anzusehen. Dabei muss der Berechtigte unter Umständen untätig geblieben sein, die den Eindruck erwecken konnten, dass er sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, so dass der Verpflichtete sich darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden.
102Schließlich muss dem Schuldner jetzt die Erfüllung des Anspruchs unter Berücksichtigung aller Umstände nach Treu und Glauben nicht mehr zuzumuten sein.
103Dabei geht es bei der Verwirkung nicht darum, ob einem Schuldner die Erfüllung einer Verbindlichkeit überhaupt zuzumuten ist, sondern ob ihm die verspätet geforderte Erfüllung, auf deren Leistung er sich nicht mehr eingestellt hatte, noch zuzumuten ist (BAG 13.08.2008, EzAÜG AÜG § 10 Fiktion Nr. 121; 23. 07.2009,EzA BGB 2002 § 613a Nr. 113, BAG 20.04.2010, DB 2010,).
104Zwischen den Umständen und dem erforderlichen Zeitablauf besteht dabei eine Wechselwirkung. Der erforderliche Zeitablauf kann um so kürzer sein, je gravierender die Umstände sind; umgekehrt sind an die Umstände desto geringere Anforderungen zu stellen, je länger der abgelaufene Zeitraum ist ( BAG 12.12.2006, EzA GG Art. 3 Nr. 105 )
1052.
106Nach diesen Kriterien war von einer Verwirkung des Anspruchs nicht auszugehen.
107Zwar hat der Kläger mit der Geltendmachung eines Anspruchs auf Bezahlung von Umkleidezeiten längere Zeit zugewartet und während des bestehenden Arbeitsverhältnisses solche Ansprüche nicht erhoben.
108Allein dadurch hat er bei der Beklagten jedoch nicht den berechtigten Eindruck erweckt, diese werde künftig nicht mehr auf Vergütung entsprechender Zeiten in Anspruch genommen.
109Allein die Nichtgeltendmachung ist dabei nicht geeignet, das erforderliche Umstandsmoment zu begründen.
110Der Kläger ist lediglich schlicht untätig geblieben in Bezug auf die die Bezahlung
111von Umkleidezeiten einschließlich der hierfür anfallenden Wegezeiten.
112Ein Erfordernis, der Nichtzahlung im Zusammenhang mit Abrechnungen zu widersprechen, würde das Aufstellen von Handlungspflichten begründen, die eine Verwirkung von Ansprüchen nicht begründen kann ( BAG 14.02.2007, EzA BGB 2002 § 242 Verwirkung Nr.2).
113Soweit daher schon keine Gesichtspunkte gegeben sind, aufgrund derer die Beklagte darauf vertrauen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden, kam es für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht darauf an, ob der Beklagten die Erfüllung der Forderungen zumutbar ist.
114IV.
115Die Vergütungspflicht erstreckt sich zum Einen auf die gesamte Zeitspanne, die benötigt wird, um die Dienstkleidung abzuholen ( BAG 19.03.2014, aaO).
116Durch die Verpflichtung, die Dienstkleidung erst im Betrieb an bestimmten Örtlichkeiten an- und abzulegen, wird auch das Zurücklegen des Weges zu und von dieser Örtlichkeit zur arbeitsvertraglichen Verpflichtung und gehört daher zur vergütungspflichtigen Arbeitszeit ( für das Abholen von Dienstkleidung an einer Ausgabestelle insoweit BAG 19.03.2014, aaO). Beginnt die Arbeit mit dem Umkleiden, zählen auch die innerbetrieblichen Wegezeiten zur Arbeitszeit, weil die Beklagte ein Umkleiden an bestimmten Stellen vorgibt
117Vergütungspflichtig ist nicht nur die erforderliche Zeit zum Anlegen und Ablegen, sondern auch die erforderliche Wegezeit, die hiermit im Zusammenhang steht. Nicht zur Arbeitszeit zählt hingegen der Weg von der Wohnung des Arbeitnehmers bis zu dem Ort, an dem die Arbeit beginnt, somit der Weg vom Betreten des Betriebsgeländes bis zur Umkleidestelle ( BAG 19.09.2012, aaO).
1181.
119Bei der Feststellung der Höhe der dem Kläger zustehenden Vergütung ist zu berücksichtigen, dass nur die Zeit zu vergüten ist, die insoweit erforderlich war.
120Zur Ermittlung dieser Zeitspanne ist ein modifizierter subjektiver Maßstab anzulegen, denn der Arbeitnehmer darf seine Leistungspflicht nicht frei selbst bestimmen, sondern muss unter angemessener Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit arbeiten ( BAG vom 19.03.2014, aaO unter Bezugnahme auf BAG vom 19.09.2012, 5 AZR 678/11 ). „Erforderlich“ ist nur die Zeit, die der einzelne Arbeitnehmer im Rahmen der objektiven Gegebenheiten unter Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit benötigt.
1212.
122Unter Berücksichtigung dieser Kriterien waren jedenfalls die Zeiten zugrunde zu legen, die die Beklagte selbst dem Kläger zugesteht und hiermit zum Ausdruck bringt, damit handele es sich um die erforderlichen Zeiten.
123Über die eingeräumten Zeiten je Arbeitstag waren jedoch weitere Zeiten aufgrund einer Schätzung anzusetzen.
124a)
125Die Kammer verfügt über ausreichende Grundlagen, die es ihr ermöglichen, eine Schätzung nach § 287 ZPO insoweit vornehmen zu können.
126Die Zulässigkeit einer Schätzung setzt dabei voraus, dass der Anspruchsteller ausreichend greifbare Anhaltspunkte für eine Schätzung vorträgt (BGH 26.11.1986, NJW 1987, 909). Eine Schätzung darf nur unterbleiben, wenn sie mangels konkreter Anhaltspunkte „in der Luft“ hinge und willkürlich wäre (BGH 05.03.1998, DB 1998,1324). Es steht dem Gericht nicht frei, das Vorliegen und die die Schätzung nach bloßer Billigkeit vorzunehmen (BAG 26.09. 2012, DB 2013, 122).
127Die für eine Schätzung unabdingbaren Anknüpfungstatsachen muss der Geschädigte im Regelfall darlegen und beweisen.
128Die Vorschriften des § 287 Abs. 1 S. 1 und S. 2 ZPO gelten nach § 287 Abs. 2 ZPO bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten entsprechend, so dass danach auch die Schätzung des Umfangs von Erfüllungsansprüchen möglich ist.
129b)
130Der Kläger hat die Wege angegeben, die jeweils erforderlich sind, um in der vorgeschriebenen Dienstkleidung die Stempeluhr zu bedienen, die sich am Ende der Wegstrecken befindet. Dazu hat er unwidersprochen angegeben, nach Betreten des Betriebes ein Gebäude aufsuchen zu müssen, um sich die Dienstkleidung zu holen, ca. 30 m zu den Umkleidekabinen zurücklegen und nach dem Umziehen seine Privatsachen in dort vorhandene Spinde deponieren und dann von dort zurück zum Pförtner gehen zu müssen. Unwidersprochen kann es dort wegen der Zahl der Arbeitnehmer zu zeitlichen Verzögerungen kommen, die der Dauer nach nicht bekannt sind. Sodann hat der Kläger über eine Treppe mit 38 Stufen und über eine 600-700m lange Gangway mit einer erneuten Treppe am Ende weitere 40-50m zur maßgeblichen Stempeluhr zurückzulegen.
131c)
132Hinsichtlich der reinen Wegezeit vom Pförtner bis zur Stempeluhr ist die vom Arbeitsgericht angesetzte Zeit von 8 Minuten und 30 Sekunden für den einfachen Weg nicht zu beanstanden.
133Das Zurücklegen des Weges durch unterschiedliche Personen hat nach der vom Arbeitsgericht durchgeführten Beweisaufnahme einen Mittelwert von 496 Sekunden ergeben. Die Kammer des Arbeitsgerichts hat dabei zurecht angenommen, dass die Interessenlage bei zwei Personen unterschiedlich ist. Legt man des Weiteren für die Schätzung zu Grunde, dass ein normal konstituierter Mensch mittleren Alters unter gehöriger Anspannung körperlicher Kräfte eine Gehgeschwindigkeit von 1,4m/s zurücklegt, ohne dass es sich dabei um ein strammes Gehen einerseits, ein Schlendern andererseits handelt, ergibt sich ein nahezu identischer Wert. Bei Hinzurechnung eines Mindestwertes für das weitere Zurücklegen der Strecke auf den Treppen kann daher ein Wert von 510 Sekunden und damit 8 Minuten 30 Sekunden für den einfachen Weg angenommen werden.
134d)
135Für die Zeit von der Abholung der Dienstkleidung bis zum Verlassen der Örtlichkeit beim Pförtner waren für den einfachen Weg die weiteren vom Arbeitsgericht angenommenen 5 Minuten anzusetzen.
136Eine geeignete Schätzgrundlage bietet dabei zum Einen der Mittelwert der Zeit, die die Kammervorsitzende des Arbeitsgerichts selbst benötigt hat, da bei ihr davon auszugehen ist, dass sie in Kenntnis der unterschiedlichen Interessenlage ein Tempo an den Tag gelegt hat, das einer gehörigen Anspannung körperlicher Kräfte entspricht.
137Hieraus ergab sich ein Mittelwert von 150 Sekunden für den reinen durchgeführten Umziehvorgang, der zunächst als Mittelwert auch unter Berücksichtigung des Umstandes angesetzt werden kann, dass Zeiten des Umkleidens je nach Jahreszeit wegen des unterschiedlichen Umfangs der getragenen Privatkleidung auch unterschiedliche Zeiten in Anspruch nehmen können, sich warme und weniger warme Zeiten im Jahresschnitt im hälftigen Umfang darstellen. Weitergehende Zeiten, die im Rahmen der Inaugenscheinnahme bei der stellvertretend für den Kläger handelnden Person durch das Aufsuchen des Waschraums und Zusammenbinden der Haare anfielen, waren mangels entsprechender Gegebenheiten beim Kläger nicht zu berücksichtigen.
138Hinzuzurechnen sind jedoch Wartezeiten beim Pförtner, die die Beklagte selbst grundsätzlich einräumt. Mangels weitergehender Angaben durch den Kläger war jedoch lediglich ein Mindestumfang anzusetzen, den die Kammer angesichts der Zahl der Beschäftigen mit gleichen Schichtzeiten auf 30 Sekunden bemisst.
139Des Weiteren waren den sich aus der Beweisaufnahme ergebenden Zeiten solche für das An- und Ablegen der Sicherheitsschuhe hinzuzurechnen, da auch diese getragen werden müssen. Die Kammer kann auch hier wegen fehlender konkreter Angaben des Klägers lediglich eine Mindestzeit zu Grunde legen, die mit weiteren 30 Sekunden angenommen wird.
140Ferner sind die Zeiten anzusetzen, die für das Verschließen der Privatkleidung im Spind anfallen, die mit 30 Sekunden angesetzt wird.
141Schließlich sind noch die Zeiten hinzuzurechnen, die für das Zurücklegen der Wege ab Abholung der Dienstkleidung bis zu den Umkleidekabinen, beim Kläger im ersten Stock und wieder zurück zum Pförtner anfallen. Diese sind unter Berücksichtigung der oben dargelegten Gehgeschwindigkeit wiederum mit 60 Sekunden zu bemessen.
142e)
143Hieraus ergibt sich eine einfache Zeit je Arbeitstag im Umfang von 13 Minuten und 30 Sekunden und insgesamt von 27 Minuten.
144Die Berechnung des Arbeitsgerichts bei 233 Arbeitstagen in der Zeit vom 01.01.2011 bis zum 30.09.2012 bei einem Stundenentgelt von 13,07 € brutto und bei 514 Arbeitstagen in der Zeit vom 01.10.2012 bis Dezember 2014 bei einem Stundenentgelt in Höhe von 14,07 € brutto hat die Beklagte nicht in Abrede gestellt.
145C.
146Die Kosten des erfolglos gebliebenen Rechtsmittels hat die Beklagte nach § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen
147Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfrage im Hinblick auf die Auslegung der Klausel zur Entgeltfreiheit im Arbeitsvertrag zum einen, zur Schätzung der erforderlichen Zeiten zum anderen, war die Revision zuzulassen.
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