Beschluss vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (10. Kammer) - 10 Sa 422/12

Tenor

Auf Antrag der Beklagten wird die Zwangsvollstreckung aus dem im Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 17.08.2012, Az.: 8 Ca 718/12, titulierten Weiterbeschäftigungsanspruch einstweilen eingestellt.

Gründe

I.

1

Die Beklagte begehrt die vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus einem erstinstanzlichen Weiterbeschäftigungstitel.

2

Das Arbeitsgericht Mainz hat mit Urteil vom 17.08.2012 festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 27.03.2012 mit sofortiger Wirkung noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung zum 31.05.2012 beendet worden ist. Gleichzeitig hat das Arbeitsgericht die Beklagte verurteilt, den Kläger auf der Grundlage des Arbeitsvertrags vom 09.06.2009 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits zu unveränderten Bedingungen weiter zu beschäftigen.

3

Gegen dieses Urteil, das ihr am 10.09.2012 zugestellt worden ist, hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 11.09.2012 Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründungsfrist wurde antragsgemäß bis zum 19.11.2012 verlängert.

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Der Kläger betreibt die Zwangsvollstreckung aus dem Weiterbeschäftigungstitel. Auf Antrag vom 12.09.2012 wurde ihm am 26.09.2012 eine vollstreckbare Ausfertigung erteilt. Mit Schriftsatz vom 01.10.2012 beantragte er beim Arbeitsgericht Mainz die Festsetzung von Zwangsmitteln nach § 888 ZPO, falls ihn die Beklagte nicht unverzüglich weiterbeschäftigen sollte.

5

Daraufhin bot ihm die Beklagte - zur Meidung der Zwangsvollstreckung - an, ihn ab 29.10.2012 als Leiter seiner bisherigen Filiale (Taunusstein-Hahn) weiter zu beschäftigen. Der Kläger arbeitete lediglich am 29.10.2012.

6

In der Berufungsbegründungsschrift vom 19.11.2012 beantragt die Beklagte die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung.

7

Sie führt zur Begründung aus, dass sich am 29.10.2012 fünf Arbeitnehmerinnen der Filiale (M., S., Sch., V., Sm.) arbeitsunfähig krank gemeldet haben. Auf Nachfrage hätten sie dem Regionalverkaufsleiter erklärt, ihre Erkrankung sei durch die hohe psychische Belastung aufgrund der Rückkehr des Klägers als Filialleiter ausgelöst worden. Durch die zahlreichen Krankmeldungen sei es unweigerlich zu erheblichen Störungen im Betriebsablauf gekommen. Von der Frühschicht seien nur der neue Auszubildende und ein neuer Mitarbeiter anwesend gewesen. Die Spätschicht sei krankheitsbedingt komplett ausgefallen. Auch die vom Regionalverkaufsleiter angeforderten Vertretungskräfte aus anderen Filialen hätten eine Zusammenarbeit mit dem Kläger verweigert. Alle Arbeitnehmer hätten in einem Gespräch am 30.10.2012 erklärt, dass sie nicht mehr mit dem Kläger zusammenarbeiten können. Die Mitarbeiterinnen V., Sm. und S. hätten glaubhaft eine Kündigung in Aussicht gestellt, wenn der Kläger Filialleiter bleiben sollte. Daraufhin habe sie das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 30.10.2012 erneut gekündigt.

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Die Kündigung vom 30.10.2012 ist Gegenstand eines weiteren Kündigungsschutzverfahrens, Az.: 8 Ca 2124/12, vor dem Arbeitsgericht Mainz.

9

Der Kläger meint, der Beklagten sei nicht unmöglich, ihn vertragsgemäß als Filialleiter weiter zu beschäftigen. Die erneute Kündigung vom 30.10.2012 stehe der Vollstreckbarkeit des Weiterbeschäftigungsanspruchs nicht entgegen. Ein nicht zu ersetzender Nachteil für die Beklagte sei nicht erkennbar.

II.

10

Der Antrag der Beklagten auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung ist zulässig und in der Sache begründet.

11

Die Einstellung der Zwangsvollstreckung aus den vorläufig vollstreckbaren arbeitsgerichtlichen Urteilen ist gemäß § 62 Abs. 1 S. 3 ArbGG iVm. §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO grundsätzlich nur zulässig, wenn der Schuldner glaubhaft macht, dass ihm die Vollstreckung einen unersetzlichen Nachteil bringen werde. Ob die Beklagte hinreichende Tatsachen dafür vorgetragen hat, dass die vorläufige Weiterbeschäftigung des Klägers für sie zu einem nicht zu ersetzenden Nachteil führt, kann offen bleiben. Ausnahmsweise bedarf es eines nicht zu ersetzenden Nachteils iSv. § 62 Abs. 1 S. 3 ArbGG im vorliegenden Fall nicht.

12

Erhebt der Schuldner gegen den im Urteil festgestellten Anspruch nachträgliche Einwendungen, die nicht gemäß § 767 Abs. 2 ZPO präkludiert sind und daher grundsätzlich im Wege der Vollstreckungsabwehrklage gemäß § 767 Abs. 1 ZPO geltend gemacht werden könnten, müssen für die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung die Voraussetzungen für die entsprechende einstweilige Anordnung gemäß § 769 ZPO genügen. Das gilt auch, wenn die Einwendungen mit der Berufung und nicht mit der Vollstreckungsabwehrklage geltend gemacht werden. Denn dem Schuldner stehen grundsätzlich beide Wege offen; nach Einlegung der Berufung fehlt ihm indessen das Rechtsschutzbedürfnis für die Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO (BAG 28.03.1985 - 2 AZR 548/83 - NZA 1985, 709). Das darf sich nicht zu seinem Nachteil auswirken.

13

Macht ein Schuldner geltend, dass der erstinstanzlich ausgeurteilte Weiterbeschäftigungsanspruch durch eine nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz ausgesprochene weitere Kündigung materiell-rechtlich entfallen ist, ist dies im Verfahren auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung gemäß § 62 Abs. 1 ArbGG iVm. §§ 717 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO in entsprechender Anwendung von § 769 ZPO auch vom Berufungsgericht zu berücksichtigen (ebenso LAG Hamm 21.12.2010 - 18 Sa 1827/10; LAG Baden-Württemberg 30.06.2010 - 19 Sa 22/10; LAG Sachsen-Anhalt 25.09.2002 - 8 Sa 344/02; jeweils Juris, mwN.).

14

Die Voraussetzungen für die vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung liegen hier vor, denn die Beklagte macht durchgreifende materiell-rechtliche Einwendungen gegen den Weiterbeschäftigungsanspruch geltend, den der Kläger vollstrecken will.

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Die Beklagte hat das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit Schreiben vom 30.10.2012 erneut gekündigt. Die Folgekündigung vom 30.10.2012 ist erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung im erstinstanzlichen Verfahren ausgesprochen worden, die am 17.08.2012 stattgefunden hat. Ein einmal entstandener Weiterbeschäftigungsanspruch kann aufgrund einer Folgekündigung durch den Arbeitgeber entfallen. Das ist der Fall, wenn die Folgekündigung zu einer neuen, zusätzlichen Ungewissheit über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses führt. Voraussetzung dafür ist, dass sie auf einen neuen Lebenssachverhalt gestützt wird und dass sie nicht offensichtlich unwirksam ist (BAG 19.12.1985 - 2 AZR 190/85 - NZA 1986, 566).

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Mit dem Ausspruch der Folgekündigung vom 30.10.2012 hat die Beklagte eine abermalige Ungewissheit über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses herbeigeführt. Anhaltspunkte dafür, dass die Kündigung vom 30.10.2012 offensichtlich unwirksam ist, bestehen nicht. Offensichtlich unwirksam wäre die Kündigung nur dann, wenn sich aufgrund des unstreitigen Sachverhalts, der sich aus dem Parteivortrag ergibt, die Unwirksamkeit der Kündigung geradezu aufdrängen muss (BAG GS 27.02.1985 - GS 1/84 - NZA 1985, 702). Eine innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB ausgesprochene außerordentliche Kündigung ist, sofern sie nicht mit der gegebenen Begründung gegen ein Gesetz verstößt, regelmäßig nicht offensichtlich unwirksam (BAG 19.12.1985, aaO.). Damit ist der materiell- rechtliche Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers am 30.10.2012 entfallen. Dem Antrag der Beklagten auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung war deshalb stattzugeben.

III.

17

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 62 Abs. 1 S. 5 ArbGG.

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