Urteil vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (5. Kammer) - 5 Sa 406/14

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 9. Mai 2014, Az. 4 Ca 2242/13, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Entfernung einer Abmahnung.

2

Die 1978 geborene Klägerin ist seit 16.06.2010 bei der Beklagten als Verwaltungsfachangestellte zu einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt € 2.114,58 beschäftigt. Zuvor war sie seit Oktober 2007 als Aushilfe in der Verwaltung und seit 2008 als Auszubildende zur Kauffrau im Gesundheitswesen angestellt. Die Beklagte beschäftigt in der Klinik in A-Stadt ca. 1.200 Arbeitnehmer; es besteht ein Betriebsrat.

3

Die Klägerin ist seit 20.08.2012 - mit Ausnahme von Genesungsphasen, in denen sie bezahlten Erholungsurlaub nahm - bis heute arbeitsunfähig krankgeschrieben. In der Zeit vom 23.09.2013 bis 11.10.2013 nahm sie Erholungsurlaub. Ab 14.10.2013 (Mo) war sie wieder arbeitsunfähig krankgeschrieben. Die Erstbescheinigung wurde bis voraussichtlich 20.10.2013, die Folgebescheinigung bis voraussichtlich 25.10.2013 und die zweite Folgebescheinigung bis voraussichtlich 03.11.2013 ausgestellt. Am 03.11.2013 (So) verletzte sich die Klägerin nach ihren Angaben bei einem Sturz. Ein Orthopäde stellte ihr für die Zeit vom 04.11. bis einschließlich 11.11.2013 (Mo) eine Erstbescheinigung aus. Am 12.11.2013 (Di) erschien die Klägerin nicht zum Dienst und meldete sich auch nicht bei der Beklagten. Sie war ab 12.11.2013 weiterhin arbeitsunfähig krankgeschrieben worden.

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Am 13.11.2013 ging der Klägerin ein Schreiben der Beklagten vom 12.11.2013 zu, das - auszugsweise - folgenden Wortlaut hat:

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"… wir fordern Sie hiermit auf, künftig bei jeder Arbeitsunfähigkeit jeweils am ersten Tag die ärztliche Bescheinigung vorzulegen. …
Gleichzeitig fordern wir Sie auf, im Falle einer Arbeitsunfähigkeit unverzüglich telefonisch Ihre Vorgesetzte zu informieren. Sollte diese nicht erreichbar sein, so informieren Sie bitte die Personalabteilung. Wenn auch diese nicht telefonisch erreichbar sein sollte, so informieren Sie bitte das Sekretariat des Kaufmännischen Direktors."

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Mit Schreiben vom 13.11.2013, der Klägerin am selben Tag zugegangen, erteilte ihr die Beklagte folgende Abmahnung:

7

"Ihr Verhalten gibt uns Anlass zu Beanstandungen.

8

Die zuletzt vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung beinhaltet eine Arbeitsunfähigkeit bis einschließlich 11.11.2013. Am 12.11.2013 sind Sie wider Erwarten nicht zum Dienst erschienen. Eine Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit haben Sie nicht angezeigt.

9

Sie haben damit gegen die sich aus dem Entgeltfortzahlungsgesetz ergebende Anzeigepflicht verstoßen.

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Wir fordern Sie hiermit auf, sich in Zukunft den gesetzlichen Bestimmungen entsprechend unverzüglich zu melden und uns zu informieren, sollten Sie arbeitsunfähig sein.

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Sollten Sie erneut gegen Ihre Anzeigepflicht verstoßen, müssen Sie mit weiteren arbeitsrechtlichen Konsequenzen, die bis zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses führen können, rechnen."

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Gegen diese Abmahnung wendet sich die Klägerin mit ihrer am 27.11.2013 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage. Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestands und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 09.05.2014 (dort Seite 2 bis 4) Bezug genommen.

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Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

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die Beklagte zu verurteilen, die unter dem 13.11.2013 erteilte Abmahnung zurückzunehmen und aus ihrer Personalakte zu entfernen.

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Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

17

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Wegen der Einzelheiten der Entscheidungsgründe wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG auf Seite 5 bis 7 des erstinstanzlichen Urteils vom 09.05.2014 Bezug genommen. Gegen das am 06.06.2014 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit am 07.07.2014 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit am 29.07.2014 eingegangenem Schriftsatz begründet.

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Die Klägerin macht zur Begründung der Berufung geltend, die Abmahnung vom 13.11.2013 sei bereits deshalb unwirksam, weil ihr die Beklagte vor ihrem Ausspruch keine Gelegenheit gegeben habe, sich zu dem Sachverhalt zu äußern. Die Abmahnung sei außerdem unwirksam, weil sie nicht gegen ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen habe. § 5 EFZG komme nicht zur Anwendung. Mit ihrer Anweisung vom 12.11.2013 habe die Beklagte die betriebliche Praxis verdeutlicht, dass es genügte, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ohne weitere Mitteilung zu übersenden. Sie sollte sich erst wieder melden, wenn ihre Genesung abzusehen sei. Eine Arbeitsfähigkeit sei jedoch am 12.11.2013 nicht absehbar gewesen. Dies habe sie auch durch eine E-Mail an die Beklagten vom 10.10.2013 verdeutlicht. Die Beklagte habe diese Vorgehensweise nicht moniert. In der Folge habe sie sich dann am 03.11.2013 die Verletzung zugezogen, weshalb sie erneut arbeitsunfähig erkrankt sei. Auch hier habe sie lediglich die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung übersandt. Bei dieser Erkrankung habe es sich nicht um eine Fortdauer der ab 14.10.2013 gemeldeten Krankheit gehandelt. Eine Monierung sei auch hier nicht erfolgt. Mit diesem Vortrag habe sie konkret dargelegt, dass die Beklagte in der Vergangenheit die fehlende Anzeige hingenommen habe. Die Beklagte habe nicht mit einem Dienstantritt am 12.11.2013 rechnen dürfen. Hilfsweise berufe sie sich auf die Unverhältnismäßigkeit der Abmahnung. Dies folge daraus, dass die Beklagte zeitgleich die Anweisung erteilt habe, dass in Zukunft eine sofortige telefonische Information zu erfolgen habe. Höchst hilfsweise sei vorzutragen, dass sie nicht gegen § 5 EFZG verstoßen habe. Sie habe der Beklagten mit E-Mail vom 10.10.2013 ihre Arbeitsunfähigkeit angezeigt und mitgeteilt, dass im Moment nicht abzusehen sei, wann eine Besserung eintrete. Folglich liege eine unverzügliche Mitteilung vor. Wegen weiterer Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Schriftsatz der Klägerin vom 29.07.2014 Bezug genommen.

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Die Klägerin beantragt zweitinstanzlich,

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das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 9. Mai 2014, Az. 4 Ca 2242/13, abzuändern und die Beklagte zu verurteilen die unter dem 13.11.2013 erteilte Abmahnung zurückzunehmen und aus ihrer Personalakte zu entfernen

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Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

23

Sie verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung vom 29.08.2014, auf die Bezug genommen wird, als zutreffend.

Entscheidungsgründe

I.

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Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung der Klägerin ist gem. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und inhaltlich ausreichend begründet worden.

II.

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Die Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die gegen die Abmahnung vom 13.11.2013 gerichtete Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen. Die Klägerin kann die Entfernung der Abmahnung aus ihrer Personalakte nicht verlangen. Sie ist nicht zu Unrecht abgemahnt worden.

26

1. Der Antrag ist zulässig. Er bedarf allerdings der Auslegung. Nach dem Wortlaut des Antrags verlangt die Klägerin neben der Entfernung der Abmahnung vom 13.11.2013 aus der Personalakte auch deren „Rücknahme“. Das soll aber ersichtlich lediglich das Entfernungsverlangen unterstreichen und kein eigenständiges Begehren darstellen. Bei einem individualrechtlich erstrebten Abmahnungsentfernungsanspruch wird die mit dem Klageantrag verlangte „Rücknahme und Entfernung“ der Abmahnung regelmäßig als einheitlicher Anspruch auf Beseitigung der durch die Abmahnung erfolgten Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts verstanden (st. Rspr., vgl. zB BAG 19.07.2012 - 2 AZR 782/11 - Rn. 15 mwN, NZA 2013, 91).

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2. Der Antrag ist unbegründet. Arbeitnehmer können in entsprechender Anwendung von §§ 242, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB die Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus ihrer Personalakte verlangen. Der Anspruch besteht, wenn die Abmahnung entweder inhaltlich unbestimmt ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt, und auch dann, wenn selbst bei einer zu Recht erteilten Abmahnung kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers mehr an deren Verbleib in der Personalakte besteht (st. Rspr., vgl. zB BAG 19.07.2012 - 2 AZR 782/11 - Rn. 13 mwN, aaO).

28

3. Keine dieser Voraussetzungen ist im Streitfall erfüllt. Dies hat das Arbeitsgericht im Ergebnis und in der Begründung der angefochtenen Entscheidung zutreffend erkannt. Die Berufungskammer schließt sich dem an.

29

Die Abmahnung vom 13.11.2013 enthält keine unrichtigen Tatsachen. Die Beklagte wirft der Klägerin vor, ihre weitere Arbeitsunfähigkeit ab 12.11.2013 nicht unverzüglich angezeigt zu haben. Dieser Vorwurf ist richtig. Die Klägerin stellt nicht in Abrede, dass sie sich am 12.11.2013 nicht bei der Beklagten gemeldet hat, um die Fortdauer ihrer Arbeitsunfähigkeit anzuzeigen.

30

Die Beklagte war auch befugt, dieses Verhalten der Klägerin als eine Verletzung ihrer Verpflichtungen aus dem Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) abzumahnen. § 5 EFZG regelt Anzeige- und Nachweispflichten der Arbeitnehmer anlässlich der Arbeitsunfähigkeit. Die Anzeige- und Nachweispflichten gelten für alle Fälle krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit des vom Gesetz erfassten Personenkreises. Dazu gehört auch die Klägerin. Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG ist der Arbeitnehmer verpflichtet, dem Arbeitgeber unverzüglich sowohl den Eintritt der Erkrankung als auch deren voraussichtliche Dauer mitzuteilen. Die Anzeigepflicht besteht auch bei Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit über den mitgeteilten Zeitpunkt hinaus (vgl. BAG 03.11.2011 - 2 AZR 748/10 - Rn. 30 mwN, NZA 2012, 607).

31

Das Argument der Berufung, die Klägerin sei nicht verpflichtet gewesen, am 12.11.2013 ihre Anzeigepflicht zu erfüllen, weil § 5 EFZG "gar nicht zur Anwendung" komme, ist nicht nachvollziehbar. Die gesetzlichen Pflichten gem. § 5 Abs. 1 EFZG obliegen allen Arbeitnehmern.

32

Entgegen der Ansicht der Berufung ist eine von § 5 Abs. 1 EFZG abweichende Vertragspraxis nicht erkennbar. Aus dem Anschreiben der Beklagten vom 12.11.2013 kann nicht hergeleitet werden, die Beklagte sei damit einverstanden gewesen, dass sich die Klägerin erst wieder melde, wenn sich ihre Arbeitsunfähigkeit dem Ende nähere. Dies hat das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt. Die Klägerin konnte nicht ernsthaft annehmen, es reiche aus, dass sie sich bei der Beklagten erst wieder melden soll, wenn ein Ende der Krankheit absehbar sei. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte die fehlende Anzeige des Eintritts oder der Fortdauer einer Erkrankung in der Vergangenheit hingenommen hat. Die Klägerin hat der Beklagten unstreitig für die Zeit ab 03.11.2013 die Erstbescheinigung eines Orthopäden bis voraussichtlich 11.11.2013 vorgelegt, weil sie sich nach ihren Angaben am 03.11.2013 bei einem Sturz verletzt habe. Mit der früheren Erkrankung (grippaler Infekt), die die Klägerin der Beklagten in ihrem Erholungsurlaub am 10.10.2013 per E-Mail bekanntgegeben und die vom 14.10. bis 03.11.2013 angedauert hat, kann sie die fehlende Mitteilung der Fortdauer ihrer Neuerkrankung (Sturzverletzung) ab 12.11.2013 nicht entschuldigen.

33

Entgegen der Ansicht der Berufung hat die Beklagte mit der Erteilung der Abmahnung wegen Verletzung der Anzeigepflicht auch nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen. Anhaltspunkte dafür, die Abmahnung sei unverhältnismäßig im Vergleich zum beanstandeten Verhalten der Klägerin sind nicht gegeben. Die Klägerin hat am 12.11.2013 ihre Anzeigepflicht verletzt. Diesen Verstoß gegen ihre arbeitsvertraglichen Pflichten konnte die Beklagte in Form einer schriftlichen Abmahnung rügen und diese zur Personalakte der Klägerin nehmen. Es ist der Beklagten zuzubilligen, der Klägerin ihren Pflichtverstoß in der Vergangenheit durch die Abmahnung deutlich zu machen und sie für die Zukunft auf die Einhaltung der entsprechenden Vorschriften hinzuweisen. Unverhältnismäßige Nachteile entstehen der Klägerin dadurch nicht.

34

Entgegen der Ansicht der Berufung ist Abmahnung vom 13.11.2013 nicht formell unwirksam, weil die Klägerin vor ihrer Aufnahme in die Personalakte nicht angehört worden ist. Zwar besteht im Bereich des öffentlichen Dienstes (vgl. § 3 Abs. 6 Satz 4 TV-L; früher § 13 Abs. 2 Satz 1 BAT) eine tarifvertraglich geregelte Pflicht, den Arbeitnehmer vor Aufnahme einer Abmahnung in die Personalakte anzuhören. Nimmt der Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes eine Abmahnung ohne vorherige Anhörung des Beschäftigten zu den Personalakten, so hat der Angestellte einen Anspruch auf Entfernung der Abmahnung aus den Personalakten (vgl. BAG 16.11.1989 - 6 AZR 64/88 - NZA 1990, 477). Die Klägerin hat nicht vorgetragen, dass auf das Arbeitsverhältnis der Parteien ein Tarifvertrag Anwendung findet, der eine entsprechende Anhörungspflicht regelt.

III.

35

Die Kosten der erfolglos gebliebenen Berufung fallen der Klägerin nach § 97 Abs. 1 ZPO zur Last.

36

Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.

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