Beschluss vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (5. Kammer) - 5 TaBV 5/15
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 9. Dezember 2014, Az. 8 BV 20/14, abgeändert und festgestellt, dass der Betriebsrat ohne konkrete Darlegung der Erforderlichkeit keinen Anspruch auf eine pauschale, vollständige Freistellung eines Betriebsratsmitglieds hat, solange die gesetzliche Mindeststaffel des § 38 Abs. 1 BetrVG nicht überschritten wird.
2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
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A. Die Beteiligten streiten über die Freistellung eines Betriebsratsmitglieds.
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Die Arbeitgeberin (Beteiligte zu 1) betreibt ein Unternehmen, dass Dienstleistungen zur Instandsetzung und -haltung von Schienenfahrzeugen des Güter- und Personenverkehrs anbietet. Sie beschäftigt an fünf Standorten im Bundesgebiet über 800 Arbeitnehmer. Beteiligter zu 2) ist der im Werk K. gebildete Betriebsrat. In diesem Betrieb sind regelmäßig weniger als 200 Arbeitnehmer beschäftigt. Im Mai 2014 fanden Betriebsratsneuwahlen statt; wahlberechtigt waren 162 Arbeitnehmer.
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Die Arbeitgeberin hatte den Betriebsratsvorsitzenden in der vorherigen Wahlperiode - freiwillig - vollständig von seiner beruflichen Tätigkeit freigestellt, obwohl die gesetzliche Mindeststaffel des § 38 Abs. 1 BetrVG auch in der Vergangenheit nicht erreicht war. Seit der Neuwahl 2014 ist die Arbeitgeberin hierzu nicht mehr bereit. Der Betriebsrat ist der Ansicht, es sei weiterhin notwendig, seinen Vorsitzenden vollständig von der beruflichen Tätigkeit freizustellen, weil er auch Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats (GBR), stellvertretener Vorsitzender des Europäischen Betriebsrats (EBR) und Mitglied des Arbeitsausschusses des EBR sei. Seine Tätigkeit sei so umfangreich, dass eine vollständige Freistellung erforderlich sei.
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Außergerichtlich teilte der Betriebsratsvorsitzende auf Briefpapier des GBR der Geschäftsleitung mit Schreiben vom 08.07.2014 auszugsweise mit:
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"… Ihr Schreiben vom 30.06.2014 hat mich schon verwundert. Weder nach den BR-Wahlen noch im Vorfeld der konst. GBR-Sitzung haben Sie in irgendeiner Weise angedeutet, dass Sie eine Freistellung nach § 38 BetrVG nicht mehr dulden bzw. als notwendig erachten. Gerade im Nachgang der BR-Wahlen war für mich als Vorsitzender des Wahlausschuss, als Vorsitzender und Schriftführer des BR und als Vorsitzender des GBR entsprechend viel organisatorische Arbeit zu erledigen, so dass rückwirkend eine detaillierte Auflistung kaum möglich ist. Dennoch will ich versuchen, die weitere Erforderlichkeit der Freistellung nach § 38 BetrVG (bzw. § 37.2 BetrVG) aufzuzeigen.
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…."
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Mit Schreiben an die Werkleitung führte der Betriebsrat am 24.07.2014 folgendes aus:
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"Freistellung des BR-Vorsitzenden gem. § 38 BetrVG
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…die zeitliche Notwendigkeit hinsichtlich einer Freistellung des Betriebsratsvorsitzenden …. hat der Betriebsrat in seiner Sitzung am 23.07.2014 festgestellt.
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Begründung:
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Bei der BR-Wahl am 14. + 15. Mai 2014 waren im Werk K. 162 Mitarbeiter wahlberechtigt, insgesamt waren es 170 beschäftigte Mitarbeiter.
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Da der BR-Vorsitzende … auch gleichzeitig Vorsitzender des GBR der … mit bundesweit insgesamt rund 900 regelmäßig Beschäftigten in 5 Werken in Sachsen (2), Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Bayern ist, sehen wir die weitere Freistellung des Kollegen …. als gerechtfertigt an."
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Ein weiteres Schreiben des Betriebsrats an die Werkleitung vom 08.08.2014 lautet wie folgt:
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"Freistellung des BR-Vorsitzenden gem. § 38 BetrVG
Unser Schreiben vom 24.07.2014
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… Der Betriebsrat hat in seiner Sitzung am 23.07.2014 die zeitliche Notwendigkeit hinsichtlich einer Freistellung des Betriebsratsvorsitzenden … festgestellt und Ihnen mit Schreiben vom 24.07.2014 mitgeteilt.
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Da Sie gem. § 38 Abs. 2 BetrVG nicht innerhalb der zweiwöchigen Frist die Einigungsstelle angerufen haben, gehen wir davon aus, dass Sie der Freistellung gem. § 38 BetrVG zugestimmt haben.
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Wir würden Sie bitten uns dies bis Dienstag, den 12.08.2014 zu bestätigen.
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Sollte Ihre Bestätigung nicht oder verzögert dem Betriebsrat vorgelegt werden sind wir leider gezwungen ein entsprechendes Feststellungsverfahren beim Arbeitsgericht zu beantragen."
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Mit Schriftsatz vom 22.08.2014 leitete die Arbeitgeberin das vorliegende Beschlussverfahren ein.
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Die Arbeitgeberin hat erstinstanzlich beantragt,
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festzustellen, dass sie nicht verpflichtet ist, ein Betriebsratsmitglied vollständig von der beruflichen Tätigkeit freizustellen.
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Der Betriebsrat hat beantragt,
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den Antrag zurückzuweisen.
- 24
Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 09.12.2014 den Antrag der Arbeitgeberin zurückgewiesen. Der negative Feststellungsantrag sei zulässig, aber unbegründet. Es lasse sich nicht feststellen, dass die Arbeitgeberin nicht verpflichtet sei, den Betriebsratsvorsitzenden bei der "momentanen" Arbeitsbelastung vollständig freizustellen. Der Betriebsratsvorsitzende sei gleichzeitig GBR-Vorsitzender, woraus sich eine Mehrbelastung ergebe. Schließlich habe er einen Tätigkeitsbericht erstellt, wonach er komplett mit seiner Arbeitszeit für GBR- und Betriebsratstätigkeit ausgelastet sei. Betrachte man die rund 150 Arbeitnehmer im Werk K. und die gesetzliche Mindeststaffel von 200 Arbeitnehmern, dann müsse die "Mehrarbeit" als GBR-Vorsitzender für fünf Betriebe mit über 800 Arbeitnehmern dem "Gegenwert" von 50 Beschäftigten im Einzelbetrieb entsprechen.
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Gegen diesen Beschluss, der ihr am 29.12.2014 zugestellt worden ist, hat die Arbeitgeberin mit am 19.01.2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Beschwerde eingelegt und diese innerhalb der bis zum 01.04.2015 verlängerten Begründungsfrist am 31.03.2015 begründet.
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Die Arbeitgeberin macht geltend, nach der Rechtsprechung des BAG bestehe zwar die Möglichkeit, Betriebsratsmitglieder in Betrieben mit weniger als 200 Arbeitnehmern völlig von der Arbeit freistellen zu lassen. Das Arbeitsgericht habe die rechtlichen Voraussetzungen unter denen eine völlige Freistellung in Betracht komme, jedoch verkannt. Es habe ausschließlich auf die "momentane" Arbeitsbelastung des Betriebsratsvorsitzenden abgestellt. Für die pauschale Freistellung komme es jedoch auf die Arbeitsbelastung für die gesamte Dauer der Wahlperiode an. Im Übrigen sei auf die zeitliche Belastung des gesamten Betriebsrats und nicht nur auf die des Vorsitzenden abzustellen. Die "Rechenformel" des Arbeitsgerichts, dass die zahlenmäßige Differenz zwischen der Anzahl der im Betrieb in Kaiserslautern beschäftigten Arbeitnehmern zu der für die pauschale Freistellung nach § 38 BetrVG erforderlichen Anzahl von Arbeitnehmern dadurch beseitigt werden könne, dass der Betriebsratsvorsitzende zugleich Aufgaben als GBR-Vorsitzenden wahrnehme, sei fehlerhaft. Wegen weiterer Einzelheiten des Beschwerdevorbringens wird auf den Inhalt des Schriftsatzes vom 31.03.2015 Bezug genommen.
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Die Arbeitgeberin beantragt zweitinstanzlich,
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den Beschluss des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 09.12.2014, Az. 8 BV 20/14, abzuändern und festzustellen, dass der Betriebsrat ohne konkrete Darlegung der Erforderlichkeit keinen Anspruch auf eine pauschale, vollständige Freistellung eines Betriebsratsmitglieds hat, solange die gesetzliche Mindeststaffel des § 38 Abs. 1 BetrVG nicht überschritten wird.
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Der Betriebsrat beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Er verteidigt den Beschluss des Arbeitsgerichts nach Maßgabe seines Schriftsatzes vom 20.05.2015, auf den Bezug genommen wird, als zutreffend. Auch bei einem Unterschreiten der Mindeststaffel des § 38 BetrVG sei die vollständige Freistellung eines Betriebsratsmitglieds nicht generell ausgeschlossen. Das Arbeitsgericht habe zutreffend auf die vom Betriebsratsvorsitzenden vorgelegten Tätigkeitsprotokolle verwiesen. Ungeachtet dessen würde eine Begründetheit des negativen Feststellungsantrags voraussetzen, dass die Arbeitgeberin entweder sämtliche - auch zukünftig in der Amtszeit möglichen - Voraussetzungen ausschließe und unter Beweis stelle, die die vollständige Freistellung eines Betriebsratsmitglieds rechtfertigen könnten, oder aber ihren Antrag entsprechend einschränke.
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B. Die Beschwerde der Arbeitgeberin ist zulässig. Dass weder die Beschwerdeschrift noch die Beschwerdebegründung einen ausdrücklich formulierten Antrag enthalten haben, steht - entgegen der in der mündlichen Anhörung geäußerten Rechtsansicht des Betriebsrats - der Zulässigkeit der Beschwerde nicht entgegen.
- 33
Zwar gilt über §§ 87 Abs. 2 Satz 1, 64 Abs. 6 ArbGG auch für das arbeitsgerichtliche Beschlussverfahren die Bestimmung des § 520 Abs. 3 Nr. 1 ZPO, wonach grundsätzlich die Stellung von Berufungsanträgen erforderlich ist. Ihr Fehlen ist jedoch dann unschädlich, wenn im Einzelfall klar ersichtlich ist, ob nach dem Begehren des Rechtsmittelklägers das gesamte vorinstanzliche Urteil oder nur Teile davon aufgehoben werden sollen. Dieselben Grundsätze müssen aufgrund der Verweisung auf das Berufungsrecht in § 87 Abs. 2 ArbGG auch im Beschwerdeverfahren des arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens gelten (so schon BAG 03.12.1985 - 4 ABR 60/85 - Juris). Aus der Beschwerdebegründung der Arbeitgeberin geht unmissverständlich hervor, dass sie vom Beschwerdegericht die volle Aufhebung des erstinstanzlichen Beschlusses und eine Entscheidung nach ihrem vor dem Arbeitsgericht gestellten Antrag begehrte.
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C. Die Beschwerde der Arbeitgeberin ist begründet.
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I. Der von der Arbeitgeberin in der Beschwerdeinstanz gestellte Feststellungsantrag ist zulässig.
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Der Antrag ist nach der gebotenen Auslegung hinreichend bestimmt. Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, der im Beschlussverfahren entsprechende Anwendung findet, muss ein Antrag auch im Beschlussverfahren so bestimmt sein, dass die eigentliche Streitfrage mit Rechtskraftwirkung zwischen den Beteiligten entschieden werden kann. Dazu ist es ausreichend, wenn der Antrag in einer dem Bestimmtheitserfordernis genügenden Weise ausgelegt werden kann. Das Gericht ist daher gehalten, eine entsprechende Auslegung des Antrags vorzunehmen, wenn hierdurch eine vom Antragsteller erkennbar erstrebte Sachentscheidung ermöglicht wird (BAG 11.02.2015 - 7 ABR 98/12 - Rn. 14 mwN, Juris).
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Wie die Antragsbegründung der Arbeitgeberin ergibt und ihr Verfahrensbevollmächtigter in der mündlichen Anhörung vor der Beschwerdekammer ausdrücklich klargestellt hat, ist ihr Antrag darauf gerichtet, festzustellen, dass der Betriebsrat ohne konkrete Darlegung der Erforderlichkeit keinen Anspruch auf eine pauschale, vollständige Freistellung eines Betriebsratsmitglieds hat, solange die gesetzliche Mindeststaffel des § 38 Abs. 1 BetrVG nicht überschritten wird. In der Abänderung gegenüber dem in erster Instanz formulierten Antrag liegt keine sachliche Antragsänderung, denn der Gegenstand des Feststellungsantrags ist derselbe geblieben. Der beantragte Schriftsatznachlass war dem Betriebsrat deshalb nicht zu gewähren.
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Die Arbeitgeberin hat an der begehrten negativen Feststellung ein berechtigtes Interesse iSv. § 256 Abs. 1 ZPO, weil sich der Betriebsrat in Person seines Vorsitzenden ausweislich des klaren Wortlauts seiner außergerichtlichen Schreiben vom 08.07., 24.07. und 08.08.2014 eines vollständigen und generellen Freistellungsanspruchs, den er ausdrücklich auch auf § 38 BetrVG stützt, berühmt. Der negative Feststellungsantrag der Arbeitgeberin führt den zugrunde liegenden Streit der Beteiligten einer umfassenden Klärung zu.
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II. Der negative Feststellungsantrag der Arbeitgeberin ist begründet. Der Betriebsrat hat ohne konkrete Darlegung der Erforderlichkeit weder aus § 38 Abs. 1 BetrVG noch aus § 37 Abs. 2 BetrVG einen Anspruch auf eine pauschale, vollständige Freistellung eines seiner Mitglieder.
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1. Der Anspruch des Betriebsrats folgt nicht aus § 38 Abs. 1 BetrVG. Nach dieser Vorschrift ist in Betrieben mit in der Regel 200 bis 500 Arbeitnehmern ein Betriebsratsmitglied von seiner beruflichen Tätigkeit freizustellen. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Die Arbeitgeberin beschäftigt in ihrem Betrieb in Kaiserslautern unstreitig weniger als 200 Arbeitnehmer. Freistellungen stehen dem Betriebsrat daher nur unter den Voraussetzungen des § 37 Abs. 2 BetrVG zu.
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2. Ein Anspruch des Betriebsrats auf generelle und völlige Freistellung eines seiner Mitglieder ergibt sich auch nicht aus § 37 Abs. 2 BetrVG. Der Betriebsrat hat nicht dargelegt, dass seine konkrete Arbeitsbelastung gegenüber dem in § 38 Abs. 1 BetrVG gesetzlich unterstellten Normalfall derart erhöht ist, dass die generelle und völlige Freistellung eines Betriebsratsmitglieds erforderlich ist.
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a) Nach der Rechtsprechung des BAG, der sich die Beschwerdekammer anschließt, muss der Betriebsrat Abweichungen von dem in § 38 Abs. 1 BetrVG gesetzlich unterstellten Normalfall dartun, aufgrund derer die Arbeitsbelastung des gesamten Betriebsrats in zeitlicher Hinsicht derart erhöht ist, dass eine generelle Freistellung eines Betriebsratsmitglieds für die gesamte Amtszeit erforderlich sei, obwohl in einem Betrieb regelmäßig weniger als 200 Arbeitnehmer beschäftigt werden. Aus dem Tatsachenvortrag des Betriebsrats muss insbesondere ersichtlich werden, dass die Möglichkeit konkreter Arbeitsbefreiungen nach § 37 Abs. 2 BetrVG nicht ausreicht, um sämtliche erforderlichen Betriebsratsaufgaben ordnungsgemäß zu erfüllen. Dazu ist erforderlich, dass der Betriebsrat die besonderen Umstände so detailliert beschreibt, dass die sich hieraus voraussichtlich ergebenden organisatorischen und zeitlichen Belastungen zumindest bestimmbar werden. Zudem muss erkennbar werden, dass die Notwendigkeit der Freistellung für die gesamte (Rest-)Dauer der Wahlperiode besteht, denn es muss gerade die pauschale Freistellung nach Art und Umfang des Betriebs zur ordnungsgemäßen Durchführung der dem Betriebsrat obliegenden Aufgaben erforderlich sein. Dabei ist hinsichtlich des Umfangs der Darlegungslast zu berücksichtigen, dass der Normalfall für den Bedarf an Freistellungen vom Gesetzgeber in § 38 BetrVG geregelt worden ist (vgl. BAG 13.11.1991 - 7 ABR 5/91 - NZA 1992, 414, vor der BetrVG-Reform erst ab 300 Arbeitnehmer).
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b) Im vorliegenden Fall hat der Betriebsrat keine hinreichenden Tatsachen dafür vorgetragen, dass zur ordnungsgemäßen Erledigung der im Betrieb der beteiligten Arbeitgeberin in Kaiserslautern anfallenden Betriebsratsaufgaben die pauschale Freistellung eines seiner Mitglieder erforderlich ist.
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Die vom Betriebsratsratsvorsitzenden lediglich stichwortartig aufgeführten Tätigkeiten, die er in der Zeit vom 14.05.2014 (Neuwahl) bis zum 17.10.2014 ganztags ausgeübt haben will, genügen nicht ansatzweise, um die Erforderlichkeit seiner vollständigen und pauschalen Freistellung für die gesamte Dauer der Wahlperiode konkret darzulegen. Hinzu kommt, dass bei einer Abweichung von dem in § 38 Abs. 1 BetrVG geregelten Normalfall die Arbeitsbelastung des gesamten Betriebsrats beschrieben werden muss. Aus dem Vorbringen des Betriebsrats muss ersichtlich werden, dass die Möglichkeit einer Arbeitsbefreiung weiterer Betriebsratsmitglieder aus konkretem Anlass nicht ausreicht, die anfallenden Betriebsratsaufgaben ordnungsgemäß bewältigen zu können, obwohl ständig weniger als 200 Arbeitnehmer beschäftigt sind. Hieran fehlt es völlig. Der Betriebsrat hat sich vorliegend darauf beschränkt, die zeitliche Belastung des Betriebsratsvorsitzenden, auch in seiner Funktion als Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats, stichwortartig aufzulisten. Angaben über das Ausschöpfen von Optimierungsmöglichkeiten in der Betriebsratsarbeit fehlen. Der Betriebsrat ist zwar in der Organisation seiner Betriebsratsarbeit frei und keinen Weisungen unterworfen. Doch kann er nicht durch das Unterlassen zumutbarer organisatorischer Maßnahmen die Notwendigkeit einer ständigen Freistellung seines Vorsitzenden begründen, obwohl der Schwellenwert des § 38 Abs. 1 BetrVG nicht erreicht wird (vgl. BAG 12.02.1997 - 7 ABR 40/96 - Juris).
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c) Zur Begründung seines Freistellungsbedarfs kann sich der Betriebsrat nicht darauf berufen, dass der Betrieb in K. zwar nicht die erforderliche Mindeststaffel gem. § 38 Abs. 1 BetrVG erreiche, jedoch für die GBR-Arbeit des Betriebsratsvorsitzenden noch Freistellungsbedarf bestehe, der - rechnerisch - die Lücke zur regelmäßigen Arbeitnehmerzahl von 200 schließe.
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Der Betriebsrat oder der Gesamtbetriebsrat (GBR) können ein Recht auf Freistellung eines oder mehrerer seiner Mitglieder von beruflicher Tätigkeit nicht aus § 38 Abs. 1 BetrVG zur Wahrnehmung von GBR-Aufgaben ableiten. In § 38 Abs. 1 BetrVG ist die Mindestzahl freizustellender Betriebsratsmitglieder geregelt, um Streitigkeiten zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber darüber zu vermeiden, ob die Freistellungen im Einzelfall erforderlich sind. Die Erforderlichkeit wird deshalb - gestaffelt nach der regelmäßigen Arbeitnehmerzahl - unwiderleglich vermutet. Diese pauschalierende Anknüpfung an Arbeitnehmerzahlen für die Bemessung des durchschnittlichen Zeitaufwands der Betriebsratsarbeit durch den Gesetzgeber ist auf den GBR nicht übertragbar, denn es entfallen grundsätzlich die Mitbestimmungsrechte nach §§ 99 und 102 BetrVG oder das Beschwerderecht nach § 81 BetrVG und auch die Aufgaben nach § 87 BetrVG werden nur dann wahrgenommen, wenn sie das Unternehmen oder mehrere Betriebe betreffen. Die Zahlen der betreuten Arbeitnehmer, wie sie der Gesetzgeber für die Einzelbetriebe aufgeführt hat, bilden deshalb keinen vergleichbaren Anknüpfungspunkt; es gelten andere Größenverhältnisse. Es wird deshalb für die Freistellung von Mitgliedern des GBR von beruflicher Tätigkeit ganz einhellig angenommen, dass § 38 Abs. 1 BetrVG nicht gilt und dass es für den Gesamtbetriebsrat keine Mindestfreistellung gibt (vgl. LAG München 19.07.1990 - 6 TaBV 62/89 - NZA 1991, 905 mwN; Fitting 27. Aufl. § 38 Rn. 3).
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d) Die Erforderlichkeit der pauschalen Freistellung eines Betriebsratsmitglieds ergibt sich schließlich auch nicht aus der Mitgliedschaft des Betriebsratsvorsitzenden im Europäischen Betriebsrat (EBR). Nach § 40 Abs. 1 EBRG gilt für die Mitglieder eines Europäischen Betriebsrats, die im Inland beschäftigt sind, § 37 Abs. 2 BetrVG entsprechend. Einen pauschalen Anspruch auf Freistellung, ohne konkrete Darlegung der Erforderlichkeit, regelt die Vorschrift nicht.
- 48
D. Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien der §§ 92 Abs. 1, 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Rechtsbeschwerde rechtfertigen könnte, besteht nicht.
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Referenzen
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