Urteil vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (1. Kammer) - 1 Sa 361/17

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen am Rhein - Auswärtige Kammern Landau in der Pfalz - vom 08.06.2017 teilweise abgeändert:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.270,94 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 03.11.2017 zu zahlen.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die erstinstanzlichen Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 62 % und die Beklagte zu 38 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten im Berufungsverfahren noch darüber, ob dem Kläger für den Zeitraum März 2015 bis einschließlich September 2016 ein Nachvergütungsanspruch in Höhe von arbeitstäglich 6,38 EUR brutto nebst Zinsen zusteht.

2

Der Kläger war bei der Fa. T. H. GmbH als Taxifahrer beschäftigt. Die Beklagte erwarb den Betrieb der genannten Firma mit Wirkung ab dem 1. Juli 2014 im Rahmen des Insolvenzverfahrens der Fa. T. H. GmbH. Seitdem ist der Kläger bei der Beklagten als Taxifahrer beschäftigt. Unter dem 18.9.2014 schlossen die Parteien einen schriftlichen Arbeitsvertrag (Bl. 64 ff. d.A.). Dieser enthält u.a. folgende Regelungen:

3

"5. Arbeitszeit

4

Es gilt eine regelmäßige Wochen-/Monatsarbeitszeit von 40 Stunden als vereinbart.

5

Der konkrete Arbeitseinsatz richtet sich nach der individuellen Einteilung des Arbeitgebers, nach der jeweiligen Auftragslage sowie nach der jeweiligen Schichteinteilung.

6

Der Mitarbeiter verpflichtet sich im Rahmen der regelmäßigen Monatsarbeitszeit zur Leistung von Schichtarbeit, Nachtarbeit, Samstags-, Sonn- und Feiertagsarbeit sowie bei entsprechender Anordnung des Arbeitgebers/des Vorgesetzten oder dringenden betrieblichen Gründen auch zur Mehrarbeit. Hierbei darf allerdings die wöchentliche Arbeitszeit von 60 Stunden nicht überschritten werden.

7

7. Arbeitsentgelt

8

Der pauschale Stundenlohn beträgt 8,50 EUR brutto.

9

Bei Zahlung eines pauschalen Stundenlohns werden abweichend hiervon Stand- und Wartezeiten (am Halteplatz etc.) mit einem Stundenlohn von 0,00 EUR brutto vergütet.

10

Durch Zahlung des vereinbarten pauschalen Monatslohns ist die geleistete Arbeitszeit bis zu ___ Arbeitsstunden monatlich einschließlich eines Zuschlags für nachts geleistete Arbeit abgegolten.

11

Soweit darüber hinaus Arbeitszeit geleistet wird, wird diese gesondert mit einem Stundenlohn von 8,50 EUR vergütet.
...

12

22. Ausschlussfristen

13

Alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis müssen sowohl vom Arbeitgeber als auch von dem Mitarbeiter innerhalb einer Frist von drei Monaten nach Fälligkeit des Anspruchs schriftlich geltend gemacht werden. Unterbleibt diese Anmeldung, verfallen derartige Ansprüche.

14

Dies gilt nicht für Ansprüche, die aus der Verletzung des Lebens, Körpers oder der Gesundheit aus vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Pflichtverletzung des Arbeitgebers oder seines gesetzlichen Vertreters oder Erfüllungsgehilfen resultieren."

15

Ab einschließlich März 2015 bis einschließlich September 2016 nahm die Beklagte im Rahmen der Lohnabrechnungen arbeitstäglich pauschal einen Abzug von 45 Minuten von der Zeit gemäß Schichtplaneinteilung vor.

16

Mit seiner am 2. November 2016 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage (-erweiterung) begehrte der Kläger die Nachvergütung von arbeitstäglich 45 Minuten im Zeitraum März 2015 bis September 2016. Wegen der Berechnung der Forderung im Einzelnen wird auf den Schriftsatz des Klägers vom 2.11.2016 (Bl. 4, 5 d.A.) Bezug genommen.

17

Wegen der weiteren Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalts und des wechselseitigen Vorbringens der Parteien erster Instanz wird Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Ludwigshafen am Rhein –Auswärtige Kammern Landau- vom 8. Juni 2017, Az. 5 Ca 981/16 (Bl. 116 ff. d.A.) sowie auf die erstinstanzlich gewechselten Schriftsätze der Parteien.

18

Mit dem genannten Urteil hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und -soweit für das Berufungsverfahren von Interesse- zur Begründung ausgeführt:

19

Die Beklagte habe zu Recht nach § 4 ArbZG von der schichtplanmäßigen Arbeitszeit die Ruhepause von 45 Minuten in Abzug gebracht. Diese Pause sei nach den Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes zwingend einzuhalten und von dem Arbeitgeber nicht zu vergüten. Die Beklagte habe auch dargelegt, dass bei den vom Kläger im wesentlichen durchgeführten Krankenfahrten diese Ruhepausen während der Wartezeiten auf die Patienten jeweils planbar gewesen sei, was den gesetzlichen Anforderungen genüge.

20

Das genannte Urteil ist dem Kläger am 4. Juli 2017 zugestellt worden. Er hat hiergegen mit einem am 4. August 2018 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit am gleichen Tag beim Landesarbeitsgericht eingegangen Schriftsatz vom 4. September 2017 begründet. Zur Begründung seines Rechtsmittels macht der Kläger nach Maßgabe des genannten Schriftsatzes und mit weiterem Schriftsatz vom 12. Oktober 2017, auf die ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 149 ff., 167 ff. d.A.) - zusammengefasst- geltend:

21

Die Berufung der Beklagten auf § 4 ArbZG gehe fehl. Die Bestimmung setze voraus, dass Pausen für den Arbeitnehmer planbar seien und der Arbeitnehmer im Vorhinein wisse, wann Pausenzeit sei. Dies habe er nicht gewusst. Insbesondere habe er nicht gewusst, dass er Wartezeiten bei Krankentransporten habe anderweitig nutzen dürfen. Eine bloße Fahrtunterbrechung stelle keine Pause dar. Er sei regelmäßig auch bei Krankentransporten in Rufbereitschaft gewesen und sei auch während solcher Wartezeiten bei Bedarf und bei Anforderung der Beklagten Taxi gefahren. Auch der Arbeitsvertrag der Parteien biete für das von der Beklagten vertretene Verständnis keine Anhaltspunkte. Die arbeitsvertragliche Ausschlussklausel greife nicht, da der gesetzliche Mindestlohn nicht disponibel sei. Ebenso bestehe ein Anspruch aus betrieblicher Übung, nachdem die Beklagte die Praxis der Rechtsvorgängerin fortgeführt habe, sämtliche Zeiten zu vergüten.

22

Der Kläger beantragt,

23

das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen am Rhein - Auswärtige Kammern Landau in der Pfalz - vom 08.06.2017, Az.: 5 Ca 981/16, abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.270,94 EUR brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

24

Die Beklagte beantragt,

25

die Berufung zurückzuweisen.

26

Sie verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung im Schriftsatz vom 29. September 2017 und des weiteren Schriftsatzes vom 22. November 2017, auf die ergänzend Bezug genommen wird (Bl.161 ff., 178 ff. d.A.), als zutreffend und macht im Wesentlichen geltend:

27

Auf eine betriebliche Übung könne der Kläger seinen Anspruch im Berufungsverfahren unter dem Gesichtspunkt verspäteten Sachvortrags nicht mehr stützen, wobei auch zu bestreiten sei, dass die Rechtsvorgängerin der Beklagten Pausenzeiten vergütet habe.

28

Das Arbeitsgericht habe die vorgenommene Kürzung der Schichtzeiten um jeweils 45 Minuten zu Recht unter dem Gesichtspunkt des § 4 ArbZG für zulässig erachtet. Bei einer Arbeitszeit von 6 bis zu 9 Stunden sei diese durch eine Ruhepause von mindestens 45 Minuten zu unterbrechen. Erforderlich sei nur, dass zu Beginn der Arbeitszeit ein bestimmter zeitlicher Rahmen feststehe, innerhalb dessen der Arbeitnehmer seine Ruhepausen in Anspruch nehmen könne. Die Beklagte verweist auf ihren erstinstanzlichen Sachvortrag (Schriftsatz vom 31. März 2017, Bl. 53 ff. d.A.), nach dem sie durch Vorlage exemplarischer Fahrtenlisten für den Monat August 2016 dargelegt habe, dass der Kläger nahezu ausschließlich sog. Krankenfahrten und vorbestellte Fahrten durchgeführt habe und im Rahmen dieser Fahrten jeweils im Vorfeld Kenntnis darüber gehabt habe, in welchen zeitlichen Blöcken er keine Arbeitsleistung zu erbringen gehabt habe und sich auch nicht zur Arbeit habe bereit halten müssen und auch tatsächlich nicht bereit gehalten habe. Wenn der Kläger z.B. Fahrten zum Universitätsklinikum H. habe durchführen müssen, habe er von dort aus keine weiteren Fahrten durchführen können. Er habe auf die Patienten dort warten müssen. Die hierfür erforderliche Zeit habe im Voraus festgestanden und sei deshalb planbar gewesen. Während derartiger Zeiten habe der Kläger der Disposition der Beklagten nicht zur Verfügung gestanden. Er habe auch nicht damit rechnen müssen, dass er von der Zentrale zu einem anderen Fahrziel beordert werde. Der Kläger habe sogar deutlich mehr als 45 Minuten arbeitstäglich Ruhepause gehabt, wobei nur die Mindestruhepause in Abzug gebracht worden sei. Die Fahrten des Klägers seien nahezu allesamt im Vorfeld bekannt gewesen. Aufgrund ihrer unternehmerischen Ausrichtung auf schwerpunktmäßig Krankenfahrten und sog. Rechnungsfahrten hätten die Fahrer im Vorfeld genau gewusst, welche Fahrten über den Tag hinweg durchzuführen waren und dass sie bei Freizeiten von den jeweiligen Disponenten in der Regel nicht in Anspruch genommen würden. Den Kläger habe aufgrund der Vorhersehbarkeit arbeitsfreier Zeiten für die Einhaltung von Pausen eine Eigenverantwortung getroffen. Es habe die Anweisung bestanden, nach Beendigung einer Fahrt an den Betriebssitz zurückzukehren, um dort im Pausenraum auf die nächste Fahrt zu warten.

29

Im Übrigen wird ergänzend auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien und die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

30

Die Berufung nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist gem. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und ordnungsgemäß begründet worden.

II.

31

Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.

32

Dem Kläger steht ein Anspruch in geltend gemachter Höhe zu.

1.

33

Ein Anspruch des Klägers ergibt sich jedenfalls aus § 1 Abs.1, Abs. 2 Satz 1 MiLOG. Offenbleiben kann daher, ob dem Kläger auch ein arbeitsvertraglicher Anspruch zusteht und ob die nach In-Kraft-Treten des MiLOG vereinbarte formularmäßige Ausschlussklausel in Ziff. 22 wegen eines Verstoßes gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB möglicherweise unwirksam ist, weil sie auch unabdingbare Ansprüche, wie etwa nach dem MiLOG ihrem Wortlaut nach erfasst (vgl. BAG 24.08.2016 -5 AZR 703/15-, juris; ErfK/Franzen, 18. Aufl., § 3 MiLOG, Rn. 3a mwN zum Meinungsstand).

34

Der Kläger hat dadurch, dass er auf den Einwand der Beklagten, ein eventueller Vergütungsanspruch sei jedenfalls in Anwendung der arbeitsvertraglichen Ausschlussfrist verfallen, erwidert hat, Ansprüche auf den Mindestlohn seien nicht dispositiv, verdeutlicht, dass er seine Ansprüche jedenfalls auch auf das MiLOG stützt.

a)

35

Der Mindestlohnanspruch aus § 1 Abs. 1 MiLoG ist ein gesetzlicher Anspruch, der eigenständig neben den arbeits- oder tarifvertraglichen Entgeltanspruch tritt. Der Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn entsteht mit jeder geleisteten Arbeitsstunde (§ 1 Abs. 2 iVm. §§ 20, 1 Abs. 1 MiLoG). Für Zeiten ohne Arbeitsleistung begründet das Mindestlohngesetz keine Ansprüche. In die Entgeltvereinbarungen der Arbeitsvertragsparteien und anwendbare Entgelttarifverträge greift das Mindestlohngesetz nur insoweit ein, als sie den Anspruch auf Mindestlohn unterschreiten. § 3 MiLoG führt bei Unterschreiten des gesetzlichen Mindestlohns zu einem Differenzanspruch. Erreicht die vom Arbeitgeber tatsächlich gezahlte Vergütung den gesetzlichen Mindestlohn nicht, begründet dies von Gesetzes wegen einen Anspruch auf Differenzvergütung, wenn der Arbeitnehmer in der Abrechnungsperiode für die geleisteten Arbeitsstunden im Ergebnis nicht mindestens den in § 1 Abs. 2 Satz 1 MiLoG vorgesehenen Bruttolohn erhält. Dabei sind alle im Synallagma stehenden Entgeltleistungen des Arbeitgebers geeignet, den Mindestlohnanspruch des Arbeitnehmers zu erfüllen (vgl. nur BAG 20.09.2017 -10 AZR 171/16-, juris, Rn. 13).

b)

36

Vergütungspflichtige Arbeit -hiervon geht auch die Beklagte aus- ist dabei nicht nur die Vollarbeit, sondern auch Arbeitsbereitschaft. Der Arbeitnehmer kann während des Bereitschaftsdienstes nicht frei über die Nutzung dieses Zeitraumes bestimmen, sondern muss sich an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort bereithalten, um im Bedarfsfalle die Arbeit aufzunehmen (BAG 11.10.2017 -5 AZR 591/16-, juris, Rn. 13). Mangels Arbeitsleistung besteht keine Vergütungspflicht für Pausen, also Zeiten, in denen der Arbeitnehmer weder Arbeit zu leisten noch sich dafür bereitzuhalten braucht, sondern freie Verfügung darüber hat, wo und wie er diese Ruhezeit verbringen will. Eine Vergütungspflicht entsteht für Zeiten rechtmäßig angeordneter Pausen auch nicht dadurch, dass der Arbeitnehmer während der Pausen arbeitet. Ist der Arbeitnehmer verpflichtet, Ruhepausen zu nehmen, kann er solche Zeiten dem Arbeitgeber nicht als Arbeitszeit „aufdrängen“ (vgl. ArbG Berlin10.08.2017 -41 Ca 12115/16-, juris, Rn.82). Im Umfang rechtlich wirksam angeordneter gesetzlicher Mindestpausen ist der Arbeitnehmer in diesen Zeiträumen schon aus Rechtsgründen nicht leistungsfähig, § 297 BGB. Denn § 4 Satz 1 ArbZG verpflichtet den Arbeitgeber, die Arbeit mindestens in dem vorgeschriebenen Umfang zu unterbrechen. Damit entbindet die Norm gleichzeitig den Arbeitgeber von der Verpflichtung, Arbeitsleistung anzunehmen und setzt den Arbeitnehmer außerstande, seine Arbeitsleistung zu bewirken (BAG 25.02.2015 -5 AZR 886/12-, juris, Rn. 39).

c)

37

Der Kläger ist seiner ihm obliegenden Darlegungslast gerecht geworden. Die Schlüssigkeit einer Klagebegründung zur Geltendmachung eines Differenzvergütungsanspruchs nach dem MiLOG setzt grundsätzlich die schlüssige Darlegung der tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden voraus (BAG 21.12.2016 -5 AZR 374/16- , juris, Rn. 13). Die Beklagte hat bis auf die von ihr pauschal arbeitstäglich in Abzug gebrachten 45 Minuten die nach der Schichtplaneinteilung angefallenen Arbeitsstunden vergütet und in diesem Rahmen das monatliche Entgelt des Klägers durch Multiplikation des arbeitsvertraglich vereinbarten Stundenlohnes mit der Stundenanzahl errechnet. Damit hat sie aber anerkannt, dass der Kläger in diesen Zeiten die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung entweder durch das Führen des Taxis oder im Sinne von Arbeitsbereitschaft erbracht hat.

38

Vorliegend ist aber auch davon auszugehen, dass der Kläger im fraglichen Zeitraum arbeitstäglich weitere 45 Minuten Arbeitsleistung zumindest im Sinne der Arbeitsbereitschaft erbracht hat. Ziff. 5 des Arbeitsvertrages regelt, dass sich der konkrete Arbeitseinsatz u.a. nach der jeweiligen Schichteinteilung richtet. Ausgehend von dieser vertraglichen Regelung und der Tatsache, dass bei Taxifahrern in nicht unerheblichem Umfang Stillstandszeiten anfallen können, während derer sie auf Fahrgäste oder eine Disposition zu warten haben, konnte der Kläger davon ausgehen, dass er auch in Stillstandszeiten Arbeitsbereitschaft zu leisten hatte. Dem entspricht es, dass die Beklagte bei ihren Lohnabrechnungen von den Zeiten gemäß Schichtplaneinteilung ausgegangen ist und lediglich pauschal 45 Minuten für Pausenzeiten rechnerisch in Abzug gebracht hat. Es wäre daher nunmehr Sache der Beklagten gewesen, konkret darzulegen, dass ungeachtet der Schichtplaneinteilung arbeitstäglich 45 Minuten keine vergütungspflichtige Arbeitszeit angefallen ist. Eine Vergütungspflicht entfällt aber nur dann, wenn der Kläger in diesen arbeitstäglichen 45 Minuten entweder keine Arbeitsleistung zumindest als Arbeitsbereitschaft erbracht hat oder diese Arbeitsbereitschaft erbracht hat, obwohl er hierzu aufgrund einer wirksamen Pausenregelung nicht verpflichtet gewesen wäre.

d)

39

Dass der Kläger tatsächlich im streitgegenständlichen Zeitraum arbeitstäglich im Zeitraum von 45 Minuten keine Arbeitsleistung in diesem Sinne erbracht hat, hat die Beklagte nicht konkret vorgetragen, sondern lediglich darauf verwiesen, dass der Kläger insbesondere bei den Krankenfahrten während der Wartezeit auf den jeweiligen Patienten habe tun und lassen können, was er wolle und oft einkaufen gegangen sei, ohne aber diese Behauptung in irgendeiner Weise näher zu präzisieren.

e)

40

Auch unter dem Gesichtspunkt, dass eine Arbeitspflicht während zu wahrender Pausenzeiten nicht besteht und auch eine Arbeitsleistung während einer zu wahrenden Pause nicht zu einer Vergütungspflicht führt, ergibt sich keine andere rechtliche Beurteilung.

aa)

41

§ 4 ArbZG begründet die Verpflichtung des Arbeitgebers, die erforderlichen Ruhepausen zu gewähren. Es ist seine Aufgabe, durch entsprechende Regelungen oder Anordnungen die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Arbeitnehmer die ihnen nach dem ArbZG zustehenden Ruhepausen auch tatsächlich nehmen können. Erforderlich ist also grundsätzlich ein Organisationsakt des Arbeitgebers. Der Arbeitgeber erfüllt seine Verpflichtung, eine Ruhepause zu gewähren, wenn er eine Pausenregelung schafft, die es den Arbeitnehmern ermöglicht, die ihnen zustehenden Ruhepausen zu nehmen. Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, für jeden einzelnen Arbeitnehmer im Voraus die Ruhepausen festzulegen. Er kann die ihm obliegende Verpflichtung auch dadurch erfüllen, dass er sein Bestimmungsrecht auf die Arbeitnehmer delegiert (vgl. Baeck/Deutsch, ArbZG, 3. Aufl., § 4 Rn. 30-32, zur Delegation auf den Arbeitnehmer auch ArbG Berlin 10.08.2017, aaO., Rn. 78). Bei Delegation auf den oder die Arbeitnehmer muss sichergestellt sein, dass die Ruhepausen auch tatsächlich genommen werden können. Es ist zudem zumindest erforderlich, dass dem Arbeitnehmer spätestens bei Beginn der Ruhepause deren Dauer bekannt sein muss (vgl. BAG 29.10.2002 -1 AZR 603/01-, juris, Rn. 26). Ferner müssen Pausenzeiten nach § 4 Satz 1 ArbZG im Voraus feststehen. Dieser Anforderung kann aber auch dadurch Genüge getan werden, dass für die Gewährung der Ruhepause ein bestimmter zeitlicher Rahmen vorgegeben wird, innerhalb dessen der Arbeitnehmer seine Ruhepause nach seiner eigenen Entscheidung nehmen kann (vgl. Baeck/Deutsch, aaO., Rn. 24 mwN.; vgl. auch BAG 27.2.1992 -6 AZR 478/90, juris). Ebenfalls ausreichend ist es, wenn dem Arbeitnehmer Beginn und Dauer der Ruhepause zu Beginn der täglichen Arbeitszeit mitgeteilt werden (BAG 25.02.2015 -5 AZR 886/12-, juris, Rn. 28).

bb)

42

Vorliegend ist eine von der Beklagten getroffene und dem Kläger bekannt gemachte Pausenregelung nicht ersichtlich. Die Beklagte zeigt lediglich auf, dass es von der Gestaltung der vom Kläger zu absolvierenden Fahrten möglich gewesen wäre, Ruhepausenzeiten tatsächlich zu nehmen und dass es aufgrund der im Vorhinein bekannten Leerlaufzeiten auch möglich war, die gesetzlich vorgesehene Mindestdauer der Pausen zu wahren. Dass die äußeren Umstände der jeweiligen Arbeit eine Regelung ermöglichen, die eine flexible Festlegung der arbeitstäglichen Ruhezeiten durch den Arbeitnehmer selbst zulassen, ersetzt nicht die aufgrund des Direktionsrechts zu treffende Regelung selbst. Die Beklagte hat lediglich dargelegt und für den Monat August 2016 exemplarisch ausgeführt, dass der Kläger vor Beginn einer Fahrt bekannt war, dass eine längere Wartezeit bei einer Fahrt vor der Rückfahrt anstand, er sich während dieser Wartezeit nicht bereithalten musste und nicht damit rechnen musste, von der Zentrale der Beklagten zu einem neuen Fahrziel beordert zu werden. Nicht dargelegt hat die Beklagte, dass sie dem Kläger gegenüber erklärt hat, sie werde während solcher längerer Wartezeiten keine Arbeitsleistung abrufen. Im Rahmen des Berufungsverfahrens hat die Beklagte insoweit sogar ausgeführt, dass die Fahrer gewusst hätten, dass sie während längerer „Freizeiten“ von den jeweiligen Disponenten regelmäßig nicht in Anspruch genommen werden. Dies impliziert, dass es hiervon Ausnahmen gab.

43

In dem seit März 2015 praktizierten Zeit- und damit Lohnabzug im Umfang von 45 Minuten liegt auch keine konkludente Regelung der Ruhepausenzeiten. Nach dem Sachvortrag der Beklagten wollte sie durch diese Praxis ihrer Verpflichtung nach dem Arbeitszeitgesetz nachkommen. Dieses sieht allerdings Ruhepausen im Umfang von 45 Minuten nicht -wie dies die Beklagte zugrunde gelegt hat- bereits bei einer Arbeitszeit von 6 Stunden, sondern erst bei einer Arbeitszeit von mehr als 9 Stunden vor, § 4 Satz 1 ArbzG. Aus der vollzogenen Praxis ließ sich für den Kläger auch nicht erkennen, dass er berechtigt ist, ohne weitere Mitteilung an die Disposition der Beklagten frei entscheiden zu können, für diese für einen bestimmten Zeitraum nicht zur Verfügung zu stehen oder dass die Beklagte generell in längeren Stillstandzeiten bei Krankenfahrten auf ihr Dispositionsrecht verzichtet.

2.

44

Dem Anspruch steht die arbeitsvertragliche Ausschlussfrist in Ziff 22 des Arbeitsvertrages nicht entgegen. Dies ergibt sich aus der Unabdingbarkeit des Anspruchs auf Mindestlohn. Im fraglichen Zeitraum belief sich der Mindestlohn auf 8,50 EUR, so dass der Anspruch des Klägers auch der Höhe nach gerechtfertigt ist. Der geltend gemachte Zinsanspruch folgt aus § 286 Abs. 1 Satz 2, § 288 Abs. 1 BGB.

III.

45

Auf die Berufung des Klägers war daher das angefochtene Urteil teilweise abzuändern. Ein Revisionszulassungsgrund nach § 72 Abs. 2 ArbGG besteht nicht. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92 ZPO.

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