Urteil vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (5. Kammer) - 5 Sa 446/17


Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - vom 20. September 2017, Az. 6 Ca 447/16, teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin über den vom Arbeitsgericht zuerkannten Betrag hinaus weitere € 3.270,12 brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.05.2016 zu zahlen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen. Von den Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens hat die Beklagte 17 % und die Klägerin 83 % zu zahlen.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten - zweitinstanzlich noch - über die Höhe von Nachtarbeitszuschlägen bei Dauernachtarbeit sowie eine Bonuszahlung für die Akquise einer Pflegekraft.

2

Die 1976 geborene Klägerin war seit dem 12.11.2010 im Alten- und Pflegeheim der Beklagten als examinierte Altenpflegerin in Dauernachtwache beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand kein Tarifvertrag Anwendung. Im schriftlichen Arbeitsvertrag haben die Parteien eine regelmäßige Arbeitszeit von 169 Monatsstunden und ein Monatsgehalt von € 1.900,00 brutto vereinbart, das ab 01.06.2013 auf € 2.197,00 brutto erhöht wurde. Die Arbeitszeit der Klägerin war einvernehmlich so verteilt worden, dass sie im Monat 17 Nachtwachen leisten sollte, die von 20:00 bis 6:45 Uhr, mit einer 45-minütigen Pause, dauerten. Pro Nachtwache zahlte die Beklagte eine Nachtarbeitspauschale iHv. € 20,45. Das Arbeitsverhältnis endete durch eine (nach Verkündung des angefochtenen Urteils erklärte) Eigenkündigung der Klägerin zum 30.11.2017. Bereits seit dem 23.11.2015 arbeitete die Klägerin wegen Krankheit oder Urlaubs nicht mehr für die Beklagte.

3

Erstinstanzlich stritten die Parteien auf die Klage vom 27.05.2016 zunächst über die Wirksamkeit einer ordentlichen Änderungskündigung der Beklagten vom 12.05.2016 und die Weiterbeschäftigung der Klägerin als Dauernachtwache. Im Verlauf des Rechtsstreits verlangte die Klägerin mit einer Klagerweiterung vom 09.09.2016 die Zahlung von insgesamt € 31.314,07 brutto. Nach Klagereduzierung beantragte sie erstinstanzlich zuletzt noch die Zahlung von € 8.743,27 brutto und € 8.109,97 netto. Ein Streitpunkt war die Zahlung von weiteren Nachtarbeitszuschlägen für die Jahre 2013 bis 2015 mit einem Zuschlagssatz von 30 %. Außerdem begehrte die Klägerin einen Bonus iHv. € 400,00 brutto für die Vermittlung der Pflegekraft W. (geb. R.). Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils vom 20.09.2017 Bezug genommen.

4

Die Klägerin hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,

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1. festzustellen, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen durch die Änderungskündigung vom 12.05.2016 sozial ungerechtfertigt ist und das Arbeitsverhältnis über den Kündigungstermin 31.07.2016 hinaus zu unveränderten Bedingungen fortbesteht,

6

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen über den Beendigungszeitpunkt hinaus fortbesteht,

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3. die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits,

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4. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin für den Fall des Obsiegens mit dem Feststellungsantrag zu 1) zu den im Arbeitsvertrag vom 11.11.2010 geregelten Arbeitsbedingungen als Altenpflegerin in Dauernachtwache zu einem Bruttogehalt iHv. € 2.197,00 bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag weiter zu beschäftigen,

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5. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin € 8.743,27 brutto sowie € 8.109,97 netto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit 28.05.2016 zu zahlen.

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Die Beklagte hat beantragt,

11

die Klage abzuweisen.

12

Das Arbeitsgericht hat die Beklagte verurteilt, an die Klägerin weitere Nachtarbeitszuschläge für die Zeit von Januar 2013 bis Dezember 2015 in einer Gesamthöhe von € 3.026,60 brutto sowie Überstundenvergütung für 25 Überstunden, insgesamt € 3.392,50 brutto zu zahlen, und die weitergehende Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht - soweit noch von Interesse - ausgeführt, die Klägerin könne für die in § 2 Abs. 3 ArbZG definierte Nachtzeit von 23:00 bis 06:00 Uhr einen angemessenen Zuschlag gem. § 6 Abs. 5 ArbZG beanspruchen. Die Beklagte habe ihr pro Nacht pauschal einen Zuschlag von € 20,45 gezahlt, diese Pauschale entspreche für 6,5 Stunden (von 23:00 bis 6:00 Uhr abzgl. Pause) einem Zuschlag von € 3,15 pro Stunde. Bei einem Stundenlohn von € 11,24 (1.900 : 169) habe sich der Zuschlagssatz bis zum 31.05.2013 auf 28 % belaufen. Ab der Gehaltserhöhung am 01.06.2013 habe der Zuschlagssatz bei einem Stundenlohn von € 13,00 (2.197 : 169) noch 24 % betragen. Diese Zuschläge seien nach den Umständen des vorliegenden Falls angemessen. Da im Urlaub und während der Krankheitszeiten mit Entgeltfortzahlungsanspruch die reguläre Vergütung weiter zu zahlen sei, sei die Beklagte nach Auswertung der vorgelegten Gehaltsabrechnungen für das Jahr 2013 zur Zahlung von weiteren 26 Nachtarbeitspauschalen, für das Jahr 2014 von weiteren 40 Pauschalen und für das Jahr 2015 zur Zahlung von weiteren 82 Pauschalen verpflichtet. Dies ergebe eine Summe von € 3.026,60 brutto (148 Nächte x € 20,45). Soweit die Klägerin mit der Behauptung, sie habe der Beklagten die Altenpflegerin W. im Jahr 2014 vermittelt, die Zahlung eines Bonus iHv. € 400,00 begehre, sei ihr Vortrag unsubstantiiert. Wegen der weiteren Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils vom 20.09.2017 Bezug genommen.

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Gegen das am 13.10.2017 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit einem am 16.10.2017 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz teilweise Berufung eingelegt und diese innerhalb der bis zum 13.02.2018 verlängerten Begründungsfrist mit einem am 31.01.2018 eingegangenen Schriftsatz begründet.

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Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte schulde ihr für die Nachtarbeit in den Jahren von 2013 bis 2015 in der Zeit von 23:00 bis 6:00 Uhr (abzgl. 30 Minuten Pause) einen Zuschlagssatz von 30 %. Für die Nachtarbeit im Jahr 2013 seien demnach weitere € 765,98, für das Jahr 2014 weitere € 1.025,40 und für das Jahr 2015 weitere € 1.078,74 zu zahlen. Das Arbeitsgericht habe zu Unrecht angenommen, dass ein Zuschlag von unter 30 % iSv. § 6 Abs. 5 ArbZG angemessen sei. Die Tätigkeit als Nachtwache sei nicht weniger arbeitsintensiv als der Tagdienst. Im Alten- und Pflegeheim der Beklagten seien durchschnittlich 50 bis 55 pflegebedürftige Personen in einem Haus mit fünf Stockwerken untergebracht. Viele Bewohner seien an Demenz erkrankt. Diese Menschen litten oftmals an Schlafstörungen, könnten nicht mehr zwischen Tag und Nacht unterscheiden, schliefen auch viel tagsüber und seien in der Nacht entsprechend öfters wach. Sie müssten deshalb in der Nacht ähnlich versorgt werden wie andere Personen tagsüber. Das gelte für die Begleitung zur Toilette, das Waschen bei einem Einnässen und ähnlichen Vorkommnissen. Viele Bewohner verliefen sich in der Nacht, sie müssten gesucht und wieder ins Zimmer bzw. Bett gebracht werden. Viele Bewohner seien auch psychisch erkrankt und benötigten in der Nacht eine erhöhte Betreuung. Das Arbeitsgericht habe zudem die abgestufte Darlegungs- und Beweislast verkannt. Der Arbeitgeber habe in einem ersten Schritt darzulegen, aufgrund welcher Faktoren ein geringerer Zuschlag für Dauernachtarbeit angemessen sein soll. Die Beklagte habe hierzu nur ganz pauschal vorgetragen.

15

Die Beklagte sei zur Zahlung eines Bonus iHv. € 400,00 für die Akquise einer neuen Pflegekraft verpflichtet. Die Beklagte habe mit Schreiben vom 23.10.2013 für die Akquise neuer Pflegekräfte einen Bonus von € 200,00 bei Einstellung und von weiteren € 200,00 versprochen, wenn die neue Pflegekraft nach der Probezeit im Beschäftigungsverhältnis verbleibe. Sie habe der Beklagten Frau W. vermittelt. Frau W. habe Ende 2013 von ihr erfahren, dass die Beklagte Pflegepersonal suche. Sie habe Frau W. erklärt, dass sie im Falle des Interesses an einer Einstellung vorsprechen und sich um eine Anstellung bewerben möge. Frau W. habe sich danach im Altenheim beworben, sie habe die Anstellung (ab 01.01.2014) erhalten und sei länger als die Probezeit (bis März/April 2015) geblieben.

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Die Klägerin beantragt zweitinstanzlich zuletzt,

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das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz -Auswärtige Kammern Bad Kreuznach- vom 20.09.2017, Az. 6 Ca 447/16, teilweise abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie über den vom Arbeitsgericht zuerkannten Betrag (von € 3.392,50 brutto nebst Zinsen) hinaus weitere € 2.870,12 brutto und € 400,00 brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.05.2016 zu zahlen.

18

Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen,

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Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und macht geltend, die der Klägerin gezahlten Nachtarbeitszuschläge seien angemessen. Sie sei als Betreiberin eines Pflegeheims gesetzlich verpflichtet, die erforderliche pflegerische Versorgung der Bewohner in ihrer Einrichtung rund um die Uhr zu gewährleisten. Das beinhalte eine notwendige Besetzung der Nachtdienste mit einer ausreichenden Anzahl an Fachkräften und sonstigen Kräften. Da die Nachtarbeit zwingend durchgeführt werden müsse, sei ein geringerer Zuschlagssatz als 25 % bzw. 30 % durchaus angemessen. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass während der Nachtwache in erheblichem Umfang Bereitschaftszeiten oder Phasen der Entspannung anfielen. Sie habe bereits im erstinstanzlichen Schriftsatz vom 28.07.2016 konkret dargelegt und unter Beweis gestellt, dass der Nachtdienst durch erhebliche Ruhezeiten geprägt sei, weil ein Großteil der Bewohner nachts schlafe. Bei diesen Bewohnern sei es lediglich erforderlich, zu bestimmten Zeiten einen Rundgang durch die Zimmer durchzuführen, um zu kontrollieren, ob sie schlafen. Zudem habe die Nachtwache die Aufgabe bei einigen Bewohnern, die zur Vermeidung von Dekubitalgeschwüren in regelmäßigen Abständen umgelagert werden müssen, im Regelfall alle zwei Stunden, eine Umlagerung vorzunehmen. Dreimal in der Nacht seien bei bestimmten Bewohnern regelmäßig die Inkontinenzmaterialien zu kontrollieren. Zwischen den Rundgängen habe die Nachtwache reine Ruhepausen, in denen sie lediglich auf besondere Vorkommnisse oder Zimmerrufe zu reagieren habe. Vor diesem Hintergrund zeichne sich der Dienst als Nachtwache als Tätigkeit mit deutlich geringerer Arbeitsbelastung als die Tätigkeit im Tagdienst aus. Der konkrete Arbeitsablauf in der Nacht gestalte sich wie folgt:

21

von     

bis
Uhr

Tätigkeit

20:45 

21:00 

Übergabe

21:00 

22:00 

Nachtmedikamente verteilen, Spätinsulin spritzen, Spätmahlzeiten, Medikamente kontrollieren für etwaige Neubestellungen

22:00 

24:00 

Erster Rundgang: Lagern, Inkontinenzmittel wechseln, Toilettengänge, Getränke anreichen (effektive Dauer in der Regel 1 Stunde)

24:00 

01:00 

Akten schreiben (Dauer in der Regel 20-25 Minuten)

01:00 

02:00 

Zweiter Rundgang: siehe 22:00 bis 24:00 Uhr (effektive Dauer in der Regel 1 Stunde)

02:00 

02:45 

Pause - Klingel übernimmt Kollege

03:00 

06:00 

Dritter Rundgang: evtl. auch einen Bewohner, der wach ist, waschen, Sondenkontrolle, Sondennahrung anhängen, Fragmin spritzen, Frühmedikamente austeilen (effektive Dauer in der Regel 1 Stunde)

06:00 

06:30 

Übergabe an den Frühdienst

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Es seien jeweils breite Korridore für die Tätigkeiten vorgesehen, die bei weitem nicht ausgefüllt werden müssten. Es stünde regelmäßig eine freie Zeit von ca. 3,5 Arbeitsstunden zur Verfügung, in der nur auf Notfälle zu reagieren sei. Die Klägerin habe die von ihr dargestellten Abläufe inklusive der Zeiten mit reduzierter Arbeitsbelastung lediglich als "praxisfremd" zurückgewiesen und sie zur Vorlage der Pflegedokumentation aufgefordert. Dies sei kein substantiiertes Bestreiten.

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Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Zahlung einer Provision für die Vermittlung der Pflegekraft W.. Die Klägerin habe erst mit der Berufungsbegründung eine eidesstattliche Versicherung dieser Pflegekraft als Beweismittel vorgelegt, die auf den 15.01.2018 datiere. Somit habe die Klägerin die Pflegekraft erst um diese Erklärung gebeten, nachdem das Arbeitsgericht in den Urteilsgründen ausgeführt habe, dass eine solche Erklärung ausgereicht hätte, um den bis dahin unschlüssigen Anspruch nachvollziehbar zu machen. Die Zurückweisung des unsubstantiierten Vortrags der Klägerin sei in erster Instanz rechtsfehlerfrei erfolgt. Ergänzender Vortrag in der Berufungsbegründung sei gem. § 67 Abs. 1 und Abs. 3 ArbGG ausgeschlossen. Im Ergebnis verbleibe es auch im Berufungsverfahren bei der Unschlüssigkeit des geltend gemachten Anspruchs.

24

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

25

Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung der Klägerin ist gem. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO zulässig. Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und auch ordnungsgemäß begründet worden.

II.

26

In der Sache hat die Berufung der Klägerin in vollem Umfang Erfolg. Die Beklagte ist verpflichtet, an die Klägerin restliche Nachtarbeitszuschläge für die Jahre 2013 bis 2015 in rechnerisch unstreitiger Höhe von € 2.870,12 brutto sowie einen Bonus für die Vermittlung der Pflegekraft W. in Höhe von € 400,00 brutto zahlen. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts war deshalb im Umfang der Anfechtung abzuändern.

27

1. Die Klägerin kann von der Beklagten gem. § 6 Abs. 5 ArbZG für die tatsächlich geleistete Dauernachtarbeit sowie für die Dauernachtarbeit, die wegen Krankheit (mit Entgeltfortzahlungsanspruch) oder Urlaubs ausgefallen ist, in der Zeit von Januar 2013 bis Dezember 2015 Zuschläge iHv. 30 % auf den umgerechneten Bruttostundenlohn beanspruchen. Nachtarbeitszuschläge iSv. § 6 Abs. 5 ArbZG sind als Geldfaktor sowohl in die Berechnung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gem. § 4 Abs. 1 EFZG als auch des Urlaubsentgelts gem. § 11 Abs. 1 BUrlG einzustellen.

28

Da die Beklagte an die Klägerin für diese 36 Monate bereits Nachtarbeitszuschläge iHv. insgesamt € 9.527,30 (netto) gezahlt hat, und sie vom Arbeitsgericht - insoweit rechtskräftig - verurteilt worden ist, weitere Nachtarbeitszuschläge iHv. € 3.026,60 brutto für 148 weitere Nachtdienste zu zahlen, verbleibt ein Differenzbetrag zwischen den gezahlten Zuschlagssätzen (28 % bis 31.05.2013; 24,23 % ab 01.06.2013) und dem Satz von 30 % iHv. € 2.870,12 brutto. Die Beklagte hat die von der Klägerin in der Berufungsbegründung vorgenommene prozentuale Berechnung - der Höhe nach - unstreitig gestellt.

29

a) Grundsätzlich schuldet der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Bruttobeträge (vgl. BAG 27.07.2010 - 3 AZR 615/08 - Rn. 26). Die Gerichte für Arbeitssachen können nicht mit Bindungswirkung für die zuständigen Steuerbehörden und Sozialversicherungsträger festlegen, ob eine geschuldete Geldleistung steuer- oder beitragspflichtig ist oder nicht. Die Klägerin hat deshalb ihren zunächst angekündigten Antrag auf Verurteilung zu einer Nettozahlung zu Recht in der Berufungsverhandlung auf einen Bruttobetrag umgestellt. Sie hat bei ihrer ursprünglichen Antragstellung auf Zahlung eines Nettobetrags verkannt, dass Zuschläge für Nachtarbeit in bestimmten Grenzen nur dann lohnsteuer- und sozialversicherungsbeitragsfrei sind, wenn die Nachtarbeit auch tatsächlich geleistet wird (§ 3b Abs. 1 Nr. 1 EStG, § 1 Abs. 1 Nr. 1 SvEV), also nicht im Urlaub oder bei Krankheit.

30

b) Die Beklagte ist gem. § 6 Abs. 5 ArbGG verpflichtet, der Klägerin wegen ihrer Dauernachtarbeit für die in der Zeit von 23:00 bis 6:00 Uhr geleisteten Arbeitsstunden einen Nachtarbeitszuschlag iHv. 30% des ihr zustehenden Bruttoarbeitsentgelts zu zahlen.

31

aa) Nach § 6 Abs. 5 ArbZG ist der Arbeitgeber, soweit - wie hier - eine tarifvertragliche Ausgleichsregelung nicht besteht, verpflichtet, dem Nachtarbeitnehmer (§ 2 Abs. 5 ArbZG) für die während der gesetzlichen Nachtzeit (§ 2 Abs. 3 ArbZG) geleisteten Arbeitsstunden eine angemessene Zahl bezahlter freier Tage oder einen angemessenen Zuschlag auf das ihm hierfür zustehende Bruttoarbeitsentgelt zu gewähren. Der Arbeitgeber kann wählen, ob er den Anspruch durch Zahlung von Geld, durch bezahlte Freistellung oder auch durch eine Kombination von beidem erfüllt (vgl. BAG 09.12.2015 - 10 AZR 423/14 - Rn. 15 mwN). Die Beklagte hat ihr Wahlrecht dadurch ausgeübt, dass sie als Ausgleich für geleistete Nachtarbeit ausschließlich eine Nachtarbeitspauschale von € 20,45 pro Nachtwache geleistet hat. Weder hat sie Freizeitausgleich gewährt noch sich für eine Kombination aus Geldleistungen und Freizeitausgleich entschieden. An diese Wahl über die Art des Ausgleichs ist sie gebunden, auch wenn der Zuschlag in zu geringer Höhe gezahlt wurde.

32

bb) Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der die Berufungskammer folgt, stellt ein Nachtarbeitszuschlag iHv. 25 % auf den jeweiligen Bruttostundenlohn bzw. die Gewährung einer entsprechenden Anzahl von bezahlten freien Tagen regelmäßig einen angemessenen Ausgleich für geleistete Nachtarbeit iSv. § 6 Abs. 5 ArbZG dar (vgl. BAG 09.12.2015 - 10 AZR 423/14 - Rn. 21 ff. mwN). Die Höhe des Zuschlags auf den Bruttolohn für geleistete Nachtarbeit oder die Anzahl bezahlter freier Tage kann sich erhöhen, wenn die Belastung durch die Nachtarbeit unter qualitativen (Art der Tätigkeit) oder quantitativen (Umfang der Nachtarbeit) Aspekten die normalerweise mit der Nachtarbeit verbundene Belastung übersteigt. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn ein Arbeitnehmer nach seinem Arbeitsvertrag bzw. nach entsprechender Ausübung des Direktionsrechts durch den Arbeitgeber dauerhaft in Nachtarbeit tätig wird („Dauernachtarbeit“). Bei der Erbringung der regulären Arbeitsleistung in Dauernachtarbeit ist deshalb regelmäßig ein Nachtarbeitszuschlag iHv. 30 % auf den Bruttostundenlohn bzw. die Gewährung einer entsprechenden Anzahl freier Tage als angemessen anzusehen (vgl. BAG 09.12.2015 - 10 AZR 423/14 - Rn. 28 mwN; 25.04.2018 - 5 AZR 25/17 - Pressemitteilung Nr. 20/18).

33

cc) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Klägerin nach den Umständen des vorliegenden Einzelfalls wegen ihrer Dauernachtarbeit Anspruch auf einen Zuschlag von 30 %.

34

(1) Die Klägerin war Nachtarbeitnehmerin iSv. § 2 Abs. 5 Nr. 2 iVm. § 2 Abs. 3 und Abs. 4 ArbZG. Sie leistete an mindestens 48 Tagen im Kalenderjahr Arbeit, die mehr als zwei Stunden der Nachtzeit von 23:00 Uhr bis 06:00 Uhr umfasste (§ 2 Abs. 4 ArbZG). Im Arbeitsverhältnis der Parteien galten weder kraft Tarifbindung (§ 3 Abs. 1 TVG) noch aufgrund arbeitsvertraglicher Inbezugnahme tarifvertragliche Ausgleichsregelungen für die von der Klägerin geleistete Nachtarbeit. Die Klägerin leistete Dauernachtarbeit Dies steht zwischen den Parteien nicht im Streit. Die Klägerin hat deshalb grundsätzlich einen Anspruch auf einen Ausgleich nach § 6 Abs. 5 ArbZG durch Gewährung eines Zuschlags iHv. 30 % auf ihren Bruttostundenlohn.

35

(2) Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts und der Beklagten bestehen keine Gründe für eine Verminderung der Höhe des Anspruchs auf einen Zuschlagssatz unter 30 %.

36

Zwar handelt es sich bei der Tätigkeit der Klägerin als Nachtwache im Alten- und Pflegeheim der Beklagten um eine Arbeitsleistung, die zwingend in der Nacht erfolgen muss und bei der der mit dem Zuschlag nach § 6 Abs. 5 ArbZG ua. verfolgte Zweck, die Nachtarbeit im Interesse der Gesundheit des Arbeitnehmers zu verteuern, deshalb nicht zum Tragen kommt. Nachtarbeit ist in einem Alten- und Pflegeheim ebenso wie im Rettungsdienst (vgl. dazu BAG 31.08.2005 - 5 AZR 545/04 - zu I 4 b der Gründe) unvermeidbar. Diesem Gesichtspunkt kommt im Streitfall aber keine so große Bedeutung zu, dass eine Verringerung des regelmäßigen Zuschlagssatzes von 30 % gerechtfertigt wäre. Denn die Klägerin leistete Dauernachtarbeit. Diese ist - anders als die Nachtarbeit - nicht unvermeidbar. Der Umstand, dass sich die Klägerin gegen die Änderungskündigung der Beklagten vom 12.05.2016 mit dem Ziel, sie ab dem 01.08.2016 nicht mehr als Dauernachtwache, sondern in einem Dreischichtsystem (Früh-, Spät- und Nachtdienst) einzusetzen, gewehrt hat, kann ihr nicht anspruchsmindernd entgegengehalten werden. Der Einsatz der Klägerin als Dauernachtwache hatte seine Grundlage in einer arbeitsvertraglichen Vereinbarung der Parteien, die bis zum 31.07.2016 unverändert bestand.

37

Aus der Art der Tätigkeit der Klägerin als Nachtwache im Alten- und Pflegeheim der Beklagten ergeben sich keine Anhaltspunkte für die Annahme, ihre Belastung sei geringer als diejenige eines anderen Arbeitnehmers, der Dauernachtarbeit (bspw. in den vom BAG entschiedenen Fällen als Lkw-Fahrer BAG 09.12.2015 - 10 AZR 423/14 oder als Zeitungszusteller BAG 25.04.2018 - 5 AZR 25/17) leistet. Die Umstände im konkreten Einzelfall rechtfertigen - entgegen der Ansicht der Beklagten - insbesondere nicht die Annahme, in die gesetzliche Nachtzeit von 23:00 bis 6:00 Uhr sei in nicht unerheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft gefallen. Zeiten einer spürbar geringeren Arbeitsbelastung der Klägerin hat die Beklagte nicht hinreichend vorgetragen. Die Berufung bemängelt zu Recht, dass die Beklagte insoweit ihrer abgestuften Darlegungslast nicht nachgekommen ist. Bleibt der geleistete Ausgleich für Dauernachtarbeit - wie hier - hinter dem Zuschlagssatz von 30 % zurück, ist es bereits im ersten Schritt Sache des Arbeitgebers darzulegen, aufgrund welcher Faktoren ein geringerer Zuschlagsanspruch angemessen sein soll (vgl. BAG 09.12.2015 - 10 AZR 423/14 - Rn. 34 mwN).

38

Nach der Darstellung der Beklagten setzte sie im Nachdienst neben einer Pflegefachkraft eine Hilfskraft ein. Die Klägerin war als Fachkraft in den 6,5 Nachtstunden von 23:00 bis 6:00 Uhr (ausschließlich Pause) unstreitig für 50 bis 55 Bewohner zuständig, die ua. an Demenz erkrankt waren. Die Klägerin war nicht (nur) zu drei Rundgängen, die "in der Regel" jeweils lediglich eine Stunde gedauert haben sollen, verpflichtet, sie war vielmehr auch verpflichtet, auf besondere Vorkommnisse oder Zimmerrufe zu reagieren. Wie häufig und welche "besonderen Vorkommnisse" oder Zimmerrufe sich in den hier streitgegenständlichen 36 Monaten von 2013 bis 2015 ereignet haben, hat die Beklagte nicht ansatzweise vorgetragen. Nach allgemeiner Lebenserfahrung kann davon ausgegangen werden, dass auch außerhalb der drei regelmäßigen Rundgänge Bewohner zur Toilette begleitet werden oder nach einem Einnässen und anderen Ereignissen gewaschen und versorgt werden müssen. Die Beklagte hat auch nicht aufgezeigt, wie häufig es vorkommt, dass die an Demenz erkrankten Bewohner nachts nicht schlafen, sondern betreut werden müssen. Es fehlen auch Angaben dazu, wie oft diese Bewohner nachts desorientiert im Haus umherlaufen, so dass sie gesucht, betreut und wieder ins Zimmer bzw. zu Bett gebracht werden müssen. Die Beklagte hat auch keinen Sachvortrag dazu geleistet, wie oft Bewohner in der Nacht - mit welchen Anliegen - nach einer Pflegekraft rufen und versorgt oder beruhigt werden müssen. Schließlich finden sich im Vortrag der Beklagten keine konkreten Ausführungen dazu, wie oft in der Nacht auf akute Notfälle zu reagieren ist, die pflegerische Maßnahmen und ggf. die Herbeirufung eines Arztes erfordern. Soweit die Beklagte auf ihren in erster Instanz in tabellarischer Form dargestellten "konkreten Arbeitsablauf in der Nacht" verweist, reicht diese schlagwortartige Beschreibung der Tätigkeiten einer Nachtwache nicht aus, um darzulegen, dass in den Dauernachtschichten der Klägerin zu einem erheblichen Teil Zeiten der Entspannung angefallen sind.

39

Im Übrigen berücksichtigt die Kammer bei der Bemessung des Zuschlags iHv. 30 % pro geleisteter Nachtarbeitsstunde, allerdings mit geringerem Gewicht, auch, dass die Klägerin Nachtwachen von 20:00 bis 6:45 Uhr zu leisten hatte, so dass ihre Arbeitszeit abzüglich der Pause zehn Stunden betrug. Die Verlängerung der werktäglichen Arbeitszeit in § 3 Satz 2 ArbZG auf zehn Stunden mit entsprechendem Ausgleich innerhalb der folgenden sechs Kalendermonate wurde zwar aus Gründen des Gesundheitsschutzes auf höchstens zehn Stunden beschränkt, es handelt sich aber dennoch um eine Ausnahme von der regelmäßigen achtstündigen werktäglichen Arbeitszeit (BT-Drucks. 12/5888 S 20). Außerdem fließt in die Gesamtabwägung ein, dass - unabhängig von den anderen Zwecken - der steuerrechtlichen Regelung in § 3b Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 Nr. 1 EStG entnommen werden kann, dass der Gesetzgeber für die Nachtarbeit grundsätzlich einen Satz von 25 % und für Nachtarbeit von 0:00 bis 04:00 Uhr einen Satz von 40 % als angemessen akzeptiert hat (vgl. zu diesem Gedanken BAG 09.12.2015 - 10 AZR 423/14 - Rn. 29 mwN).

40

2.  Die Beklagte ist verpflichtet, an die Klägerin für die Vermittlung der Pflegekraft W. einen Bonus iHv. € 400,00 brutto zu zahlen.

41

Die Beklagte bat die Klägerin unstreitig mit einem Schreiben vom 23.12.2013 darum, sie bei der Suche nach examiniertem Pflegepersonal zu unterstützen und versprach ihr einen Bonus von € 200,00 bei der Einstellung und einen weiteren Bonus von € 200,00, wenn die neue Pflegekraft nach der Probezeit im Arbeitsverhältnis bleibt. Ausweislich der vorgelegten eidesstattlichen Versicherung vom 15.01.2018 sprach die Klägerin die Pflegekraft W. gegen Ende des Jahres 2013 an und machte sie auf die Personalsuche der Beklagten aufmerksam. Frau W. versichert, dass sie sich danach bei der Beklagten beworben und eine Anstellung erhalten habe, das Arbeitsverhältnis habe vom 01.01.2014 bis März/April 2015 gedauert.

42

Dieser Sachvortrag der Klägerin in der Berufungsbegründungsschrift ist - entgegen der Ansicht der Beklagten - gem. § 67 ArbGG nicht als verspätet zu behandeln. Das Arbeitsgericht hat den in erster Instanz gehaltenen Vortrag der Klägerin nicht als verspätet zurückgewiesen, sondern in den Entscheidungsgründen ausgeführt, dass ihr Vorbringen unsubstantiiert sei. Folglich ist das Vorbringen der Klägerin im zweiten Rechtszug nicht gem. § 67 Abs. 1 ArbGG ausgeschlossen. Auch die Voraussetzungen einer Zurückweisung des Vorbringens nach §§ 67 Abs. 2 und Abs. 3 ArbGG sind nicht gegeben. Das zweitinstanzliche Vorbringen der Klägerin ist unstreitig. Die Beklagte hat nicht bestritten, mit Schreiben vom 23.12.2013 einen Bonus ausgelobt zu haben. Sie hat auch die inhaltliche Richtigkeit der eidesstattlichen Versicherung der Pflegekraft W. vom 15.01.2018 nicht in Zweifel gezogen. Die Beklagte hat den zweitinstanzlich substantiierten neuen Vortrag der Klägerin nicht bestritten, sondern lediglich die Ansicht vertreten, dass dieser verspätet bzw. wegen Verstoßes gegen die Prozessförderungspflicht in der Berufungsinstanz ausgeschlossen sei. Diese Rechtsauffassung der Beklagten ist unzutreffend, denn Präklusionsvorschriften dienen der Beschleunigung, nicht der Sanktion. Unstreitiger Tatsachenvortrag ist stets zu berücksichtigen (vgl. LAG Rheinland-Pfalz 20.02.2014 - 2 AZR 123/13 - Rn. 86; Schwab/Weth/Schwab 5. Aufl. ArbGG § 67 Rn. 9 mwN).

43

3. Der Zinsanspruch der Klägerin besteht gem. §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 1 BGB. Die Beklagte befand sich aufgrund der Zahlungsaufforderung der Klägerin mit anwaltlichem Schreiben vom 23.05.2016 verbunden mit einer Leistungsfrist bis zum 27.05.2016 ab dem 28.05.2016 im Verzug.

III.

44

Die Parteien haben die Kosten des Rechtsstreits im Umfang ihres jeweiligen Obsiegens und Unterliegens in den Instanzen zu tragen (§§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO). Dementsprechend hat die Beklagte bei einem Streitwert von € 3.270,12 die Kosten der Berufung zu tragen. Was die erste Instanz anbelangt, trifft die Klägerin mangels Kostenprivilegierung der Teilrücknahme der Klage (vgl. GMP/ Germelmann ArbGG 9. Aufl. § 12 Rn. 18b) eine Kostenlast insoweit, als sie anhängig gemachte Zahlungsanträge teilweise nicht mehr weiterverfolgt hat. Danach entfallen auf die Klägerin, ausgehend von einem erstinstanzlichen Gerichtsgebührenwert von € 40.102,07 83% und auf die Beklagte 17% der Kosten erster Instanz.

45

Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, weil hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 72 Abs. 2 ArbGG) nicht vorliegen.

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