Urteil vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (5. Kammer) - 5 Sa 26/19

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 12. Dezember 2018, Az. 4 Ca 716/18, teilweise abgeändert und die Feststellungsanträge als unzulässig abgewiesen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

2. Von den Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens hat der Kläger 80 % und die Beklagte 20 % zu tragen. Von den Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger 30 % und die Beklagte 70 % zu tragen.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über den Ersatz eines behaupteten Steuerschadens und Urlaubsabgeltung.

2

Der 1966 geborene Kläger war seit 01.08.2015 bei der Beklagten, die gewerblich Arbeitnehmerüberlassung betreibt, als kaufmännischer Mitarbeiter mit einer Arbeitszeit von 40 Wochenstunden zu einem Bruttomonatsgehalt von € 3.100,00 angestellt. Der vereinbarte Jahresurlaub betrug 25 Arbeitstage, davon nahm der Kläger 16 Tage im Jahr 2016. § 16 des schriftlichen Formulararbeitsvertrags vom 01.08.2015 enthält eine zweistufige Ausschlussfristenregelung. In der ersten Stufe sind alle finanziellen Ansprüche, die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergeben, binnen einer Ausschlussfrist von drei Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend zu machen. Ansprüche, die aus einer vorsätzlichen Schädigung resultieren, wurden vom Geltungsbereich ausgenommen.

3

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 30.05. zum 30.07.2016 ordentlich. Gegen diese Kündigung hat der Kläger mit am 25.07.2016 beim Arbeitsgericht Trier eingegangenen Schriftsatz Klage (4 Ca 933/16) erhoben. Im Vorprozess war streitig, ob dem Kläger das Kündigungsschreiben am 30.05.2016 oder erst am 06.07.2016 zugegangen ist. Das Arbeitsgericht hat nach Durchführung einer Beweisaufnahme durch Vernehmung von zwei Zeugen mit Urteil vom 29.03.2017 der Kündigungsschutzklage stattgegeben und zur Begründung ua. ausgeführt, die Beklagte habe den Zugang der Kündigung am 30.05.2016 nicht zu beweisen vermocht. Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz hat die Berufung der Beklagten mit Urteil vom 29.03.2018 (4 Sa 243/17) zurückgewiesen. Das Urteil wurde der Beklagten am 18.06.2018 zugestellt.

4

Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete zum 31.12.2016. Am 01.01.2017 begründete der Kläger ein neues Arbeitsverhältnis mit einem anderen Arbeitgeber. In der Zeit vom 01.08. bis 31.12.2016 gewährte ihm die Bundesagentur für Arbeit Arbeitslosengeld iHv. insgesamt € 6.802,50 (netto). Nach Zustellung des Berufungsurteils im Vorprozess rechnete die Beklagte im Juli 2018 die Vergütung wegen Annahmeverzugs für die Zeit vom 01.08. bis 31.12.2016 ab und zahlte den Nettobetrag an den Kläger aus.

5

Mit seiner am 26.07.2018 erweiterten Klage machte der Kläger erstinstanzlich geltend, wegen verspäteter Lohnzahlung sei ihm ein Steuerschaden von ungefähr € 2.400,00 entstanden. Im Jahr 2018 werde er nach Steuerklasse 1 versteuert, außerdem stehe ihm kein Kinderfreibetrag mehr zu. Er könne den Schaden noch nicht beziffern, weil ihm die Steuerbescheide für die drei Jahre von 2016 bis 2018 noch nicht vorlägen. Deshalb seien die Feststellungsanträge zulässig. Außerdem verlangte er für 10,4 Tage (hiervon 1,4 Tage aus 2015) Urlaubsabgeltung.

6

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

7

1. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm den Schaden zu ersetzen, der ihm dadurch entstanden ist, dass die Vergütung für die Monate August bis Dezember 2016 nicht in dem Jahr 2016, sondern in einer Summe in 2018 zugeflossen ist,

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2. die Beklagte zu verurteilen, ihm Urlaubsabgeltung für 10,4 Tage iHv. € 1.488,00 brutto zu zahlen,

9

3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Steuerberatungskosten zur Ermittlung des Steuerschadens gem. Ziff. 1) zu tragen.

10

Die Beklagte hat beantragt,

11

die Klage abzuweisen.

12

Die Beklagte hat geltend gemacht, die Feststellungsanträge seien bereits unzulässig, jedenfalls aber unbegründet. Nach Auskunft ihres Steuerberaters sei dem Kläger kein Steuerschaden entstanden. Der Urlaubsabgeltungsanspruch sei aufgrund der arbeitsvertraglich vereinbarten Ausschlussfrist verfallen.

13

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Trier vom 12.12.2018 Bezug genommen.

14

Das Arbeitsgericht hat den Feststellungsanträgen stattgegeben und die Beklagte verurteilt, an den Kläger Urlaubsabgeltung für neun Tage iHv. € 1.287,69 brutto zu zahlen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Wegen der Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe des Urteils vom 12.12.2018 Bezug genommen.

15

Das genannte Urteil ist der Beklagten am 21.12.2018 zugestellt worden. Sie hat hiergegen mit einem am 21.01.2019 beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb der bis zum 21.03.2019 verlängerten Begründungsfrist mit einem am 21.03.2019 eingegangen Schriftsatz begründet.

16

Die Beklagte vertritt die Auffassung, die Feststellungsanträge seien entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts unzulässig. Das Feststellungsurteil führe zu keiner abschließenden Klärung des Streits, denn sie stelle einen Steuerschaden des Klägers bereits dem Grunde nach in Abrede. Sie bestreite mit Nichtwissen, dass der Kläger im Jahr 2018 erstmals keinen Kinderfreibetrag geltend machen könne und ihn eine höhere Steuerlast treffe, weil sie ihm die Vergütung für fünf Monate aus 2016 erst im Jahr 2018 gezahlt habe. Die Feststellungsanträge seien aber auch unbegründet, weil sie die Kündigung, die Gegenstand des Vorprozesses gewesen sei, aus vertretbaren Rechtsstandpunkten erklärt habe. Sie habe auf die Wirksamkeit der von ihr ausgesprochenen Kündigung vertraut. Frühestens mit der am 18.06.2018 erfolgten Zustellung des Berufungsurteils vom 29.03.2018 im Vorprozess (4 Sa 243/17) habe dieses Vertrauen seine Berechtigung verloren. Vor Zustellung dieses Urteils sei sie nicht in Verzug geraten. Der Anspruch des Klägers auf Urlaubsabgeltung sei verfallen. Die Verfallklausel in § 16 des Arbeitsvertrags sei entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts nicht unwirksam, denn der Kläger sei während seiner damaligen Beschäftigung nicht nach Mindestlohngesichtspunkten entlohnt worden.

17

Die Beklagte beantragt zweitinstanzlich,

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das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 12.12.2018, Az. 4 Ca 716/18, abzuändern und die Klage abzuweisen.

19

Der Kläger beantragt,

20

die Berufung zurückzuweisen.

21

Er verteidigt das angefochtene Urteil.

22

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf den Inhalt der Sitzungsniederschriften Bezug genommen. Außerdem wird Bezug genommen auf den Inhalt der zur Information des Gerichts beigezogenen Akte 4 Sa 243/17 (ArbG Trier 4 Ca 933/16).

Entscheidungsgründe

I.

23

Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist gem. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und ausreichend begründet worden.

II.

24

In der Sache hat die Berufung teilweise Erfolg. Die auf Ersatz eines behaupteten Steuerschadens und auf Ersatz von künftigen Steuerberaterkosten gerichteten Feststellungsanträge waren als unzulässig abzuweisen. Das erstinstanzliche Urteil ist deshalb zum Teil abzuändern. Die weitergehende Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend entschieden, dass die Beklagte dem Kläger für neun nicht genommene Urlaubstage aus 2016 Urlaubsabgeltung iHv. € 1.287,69 brutto zahlen muss.

25

1. Den Feststellungsanträgen fehlt das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse.

26

Nach § 256 Abs. 1 ZPO kann Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt wird. Das besondere Feststellungsinteresse ist nur dann gegeben, wenn durch die Entscheidung über den Feststellungsantrag der Streit insgesamt beseitigt wird und das Rechtsverhältnis der Parteien abschließend geklärt werden kann. Die Rechtskraft der Entscheidung muss weitere gerichtliche Auseinandersetzungen über die zwischen den Parteien strittigen Fragen um denselben Fragenkomplex ausschließen (vgl. BAG 07.02.2019 - 6 AZR 84/18 - Rn. 15 mwN). Ein Feststellungsinteresse liegt nicht vor, wenn nur einzelne Elemente eines Rechtsverhältnisses, abstrakte Rechtsfragen oder rechtliche Vorfragen zur Entscheidung des Gerichts gestellt werden. Durch eine Entscheidung hierüber wird kein Rechtsfrieden geschaffen. In einem solchen Fall dient die Feststellungsklage lediglich dazu, durch das Gericht abstrakte Rechtsfragen klären zu lassen. Das ist unzulässig (vgl. BAG 17.06.2014 - 3 AZR 412/13 - Rn. 18 mwN).

27

Danach ist im Streitfall ein Feststellungsinteresse nicht gegeben. Gemessen an der Begründung der Feststellungsanträge streiten die Parteien hier nur um Vorfragen. Die vom Kläger erstrebte Feststellung ist nicht geeignet, Rechtsfrieden zu schaffen. Sie beschränkt sich darauf, gerichtlich den Streit entscheiden zu lassen, bis zu welchem Zeitpunkt die Beklagte im Vorprozess auf die Wirksamkeit ihrer Kündigung vom 30.05.2016 vertrauen durfte. Durch die vom Kläger erstrebte Feststellung wird nicht geklärt, ob und ggf. in welcher Höhe ihm ein Steuerschaden entstanden ist. Dem Kläger lag ausweislich seiner Klagebegründung bei Klageerhebung am 26.07.2018 noch nicht einmal der Steuerbescheid für das Jahr 2016 vor. Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer war der Steuerbescheid für das Jahr 2018 noch nicht erlassen.

28

Die Parteien streiten nicht nur darüber, ab welchem Zeitpunkt die Beklagte bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt im Laufe des Vorprozesses hätte erkennen können, dass ihre ordentliche Kündigung vom 30.05.2016 unwirksam ist (vgl. zum Ganzen BAG 20.06.2002 - 8 AZR 488/01; 13.06.2002 - 2 AZR 391/01), sie streiten ebenso darüber, ob dem Kläger durch die - ggf. rechtswidrig verzögerte - Zahlung des Arbeitsentgelts für August bis Dezember 2016 überhaupt ein Steuerschaden entstanden sein kann. Das hängt von steuerrechtlichen Parametern ab, die vollkommen unklar sind. Während der Kläger einen Steuerschaden von ungefähr € 2.400,00 pauschal behauptet, steht die Beklagte auf dem Standpunkt, dass ihm kein Schaden entstanden sei. Sie bestreitet die vom Kläger genannten Steuermerkmale mit Nichtwissen. Damit wäre eine positive Entscheidung über den Feststellungsantrag des Klägers nicht geeignet, den Streit unter den Parteien abschließend zu klären. Vielmehr stünde zu erwarten, dass es zwischen den Parteien zu weiteren gerichtlichen Auseinandersetzungen über die Höhe des behaupteten Steuerschadens käme. Bei dieser Sachlage ist der Kläger auf die vorrangig zu erhebende Leistungsklage zu verweisen. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts ist dem Kläger die Erhebung einer Leistungsklage auch zumutbar. Sobald die Steuerbescheide für die Jahre 2016, 2017 und 2018 erlassen sind, lässt sich ein eventueller Schaden ohne Durchführung einer aufwändigen Begutachtung beziffern. Es ist lediglich eine Vergleichsberechnung erforderlich.

29

2. Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die Beklagte gem. § 7 Abs. 4 BUrlG verpflichtet ist, an den Kläger für neun Urlaubstage aus dem Jahr 2016, die ihm wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr gewährt werden können, Urlaubsabgeltung iHv. € 1.287,69 brutto zu zahlen. Einwendungen gegen Grund und Höhe des Anspruchs macht die Berufung nicht geltend.

30

Entgegen der Ansicht der Berufung ist der Abgeltungsanspruch des Klägers nicht nach § 16 des Formulararbeitsvertrags der Parteien vom 01.08.2015 verfallen. Das Arbeitsgericht hat unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Rechtsprechung des für das Urlaubsrecht zuständigen Neunten Senats des Bundesarbeitsgerichts, der sich auch die Berufungskammer anschließt, ausgeführt, dass eine vom Arbeitgeber vorformulierte arbeitsvertragliche Verfallklausel, die entgegen § 3 Satz 1 MiLoG auch den gesetzlichen Mindestlohn erfasst, gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB verstößt und insgesamt unwirksam ist, wenn der Arbeitsvertrag - wie hier - nach dem 31.12.2014 geschlossen wurde (vgl. ausführlich BAG 18.09.2018 - 9 AZR 162/18 - Rn. 34 ff; zweifelnd BAG 30.01.2019 - 5 AZR 43/18 - Rn. 30 mwN).

31

Im Streitfall erfasst die von der Beklagten vorformulierte Verfallklausel inhaltlich und sprachlich "alle finanziellen Ansprüche", die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergeben, ohne zwischen dem Mindestlohnanspruch und sonstigen Ansprüchen zu differenzieren. Lediglich Ansprüche, die aus einer "vorsätzlichen Schädigung" resultieren, wurden vom Geltungsbereich ausgenommen. Die Klausel nimmt entgegen § 3 Satz 1 MiLoG den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn (§ 1 Abs. 1 und Abs. 2 MiLoG) aus ihrem Anwendungsbereich nicht aus, so dass die Rechtslage unzutreffend und deshalb irreführend darstellt wird. Entgegen der Ansicht der Berufung kommt es nicht darauf an, dass der Arbeitsverdienst des Klägers (€ 3.100,00 brutto bei 173,33 Stunden im Monat) den gesetzlichen Mindestlohn überstieg. Das Fehlen der Ausnahme des gesetzlichen Mindestlohns führt zur Intransparenz der Ausschlussklausel. Die Intransparenz hat die Gesamtunwirksamkeit von § 16 des Arbeitsvertrags zur Folge und führt zu deren ersatzlosem Wegfall unter Aufrechterhaltung des Arbeitsvertrags im Übrigen (§ 306 Abs. 1 und Abs. 2 BGB). Die Berufung verkennt, dass es für die Beurteilung der Wirksamkeit der Ausschlussfristenregelung unerheblich ist, ob sich das Risiko, der gesetzliche Mindestlohn werde in der Annahme, er sei nach § 16 des Arbeitsvertrags verfallen, nicht geltend gemacht, im Entscheidungsfall realisiert hat. Die gesetzlichen Vorschriften der §§ 305 ff. BGB missbilligen bereits das Stellen inhaltlich unangemessener Formularklauseln (§ 305 Abs. 1 Satz 1, § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB), nicht erst deren unangemessenen Gebrauch im konkreten Einzelfall. Der Rechtsfolge der Unwirksamkeit sind auch solche Klauseln unterworfen, die in ihrem Übermaßteil in zu beanstandender Weise ein Risiko regeln, das sich im Entscheidungsfall nicht realisiert hat (st. Rspr., vgl. BAG 18.09.2018 - 9 AZR 162/18 - Rn. 59 mwN).

III.

32

Die Kosten des Rechtstreits haben die Parteien je nach ihrem Unterliegen und ihrem Obsiegen in den jeweiligen Instanzen zu tragen, wobei die jeweils unterschiedlichen Streitwerte zu berücksichtigen sind, §§ 92 Abs. 1 Satz ZPO, 97 Abs. 1 ZPO.

33

Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, weil hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 72 Abs. 2 ArbGG) nicht vorliegen.

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