Urteil vom Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt (4. Kammer) - 4 Sa 520/12

Tenor

1. Die Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Halle vom 13.07.2012 – 5 Ca 3436/11 – wird als unbegründet zurückgewiesen.

2. Das beklagte Land trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten im Rahmen des vorliegenden Verfahrens sowohl in erster als auch in zweiter Instanz über die Anerkennung von Vordienstzeiten der Klägerin und sich daraus ergebenden Ansprüchen der Klägerin auf Zahlung eines Jubiläumsgeldes nach § 23 TV-L und auf einen Tag Freistellung nach § 29 TV-L.

2

Die am xx. xx. 1949 geborene Klägerin war ab dem 01. August 1971 als Lehrerin beim damaligen Rat des Kreises N (Abt. Volksbildung) tätig (vgl. Bl. 28 d. A.). Mit Schreiben vom 23. November 1977 beantragte die Klägerin beim damaligen Rat des Kreises N (Abt. Volksbildung) ihre Freistellung bis zur Vollendung des 3. Lebensjahres ihres Kindes und erklärte, ab dem 01. September 1980 werde sie ihre Tätigkeit als Lehrerin wieder aufnehmen (vgl. Bl. 42 d. A.). Das Antwortschreiben des Rates des Kreises N (Abt. Volksbildung) vom 14. Dezember 1977 lautet (vgl. Bl. 43 d. A.):

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„Werte Kollegin        !

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Auf Ihr Schreiben vom 23.11.1977 teilen wir Ihnen mit, dass wir dem Antrag auf Freistellung bis zur Vollendung des 1. Lebensjahres des Kindes zugestimmt haben. Demnach wird Ihre Betriebszugehörigkeit laut § 247 des neuen Arbeitsgesetzbuches bis zum 4.8.1978 nicht unterbrochen.

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Einer Freistellung bis zur Vollendung des 3. Lebensjahres des Kindes ist nach § 246 nur möglich, wenn ein Krippenplatz nicht bereitgestellt werden kann.

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Sollten Sie dennoch Ihr Kind bis zur Vollendung des 3. Lebensjahres selbst betreuen wollen, dann bitten wir recht bald um entsprechende Mitteilung.

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Wir bitten Sie außerdem, Ihre Urkunde für die zusätzliche Altersversorgung unverzüglich bei uns abzugeben, damit wir bis 31.12.1977 den Nachtrag noch erteilen können.“

8

Am 17. Juli 1978 schloss die Klägerin mit dem damaligen Rat des Kreises N  (Abt. Volksbildung) einen Aufhebungsvertrag mit Wirkung vom 04. August 1978 zur Betreuung ihres Kindes (vgl. Bl. 27 d. A.). Am 28. Juni 1993 schloss die Klägerin mit dem damaligen Rat des Kreises N  (Abt. Volksbildung) einen Arbeitsvertrag betreffend ihre Wiedereinstellung ab dem 13. August 1983 (vgl. Bl. 28 d. A.). Unter dem 10. März 1992 schlossen die Parteien einen Arbeitsvertrag, wonach die Klägerin ab 01. Juli 1991 als vollzeitbeschäftigte Lehrkraft im Angestelltenverhältnis auf unbestimmte Zeit weiterbeschäftigt wird (vgl. Bl. 21 – 22 d. A.). Das Schreiben der Bezirksregierung Halle an die Beschäftigten der Schulen im Regierungsbezirk Halle vom 14. Oktober 1992 (Bl. 44 d. A.) lautet u. a.:

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„Müttern, die Babyjahre in Anspruch genommen haben, werden diese bis maximal 3 Jahre pro Kind angerechnet (Hinweis: Geburtsdaten der Kinder im Antrag angeben).“

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Mit Schreiben vom 05. November 1992 (Bl. 45 – 45 R. d. A.) legte die Bezirksregierung Halle die Beschäftigungs- und Jubiläumszeit betreffend die Klägerin fest. Das Schreiben der Klägerin an die Bezirksregierung Halle vom 05.01.1993 (Bl. 46 d. A.) lautet:

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„Antrag auf „unbillige Härte“

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Zwecks Betreuung beider Kinder (C : 4.8.77; K : 15.4.80) bis zum vollendeten 3. Lebensjahr nahm ich den Erziehungsurlaub in Anspruch (4.8.77 – 14.4.83). Eine erneute Einstellung in den Schuldienst war jedoch erst ab 13.8.83 möglich. Die Zeit vom 15.4.83 – 12.8.83 stellt eine unbillige Härte dar.

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Ich bitte Sie deshalb, meine Anerkennung der Vordienstzeiten noch einmal zu überarbeiten.“

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Daraufhin legte die Bezirksregierung Halle mit Schreiben vom 07.01.1993 auf den vorgenannten Antrag der Klägerin vom 5. Januar 1993 die Beschäftigungs- und Jubiläumszeit mit der Überschrift „Korrektur: 2. Festsetzung“ (vgl. Bl. 5 d. A.) die Beschäftigungs- und Jubiläumszeit der Klägerin nach den Vorschriften des BAT-O fest. Dem vorgenannten Schreiben der Bezirksregierung Halle vom 07.01.1993 war beigefügt eine ebenfalls unterzeichnete Auflistung vom 07. Januar 1993, wegen deren Inhalts auf Bl. 5 d. A. Bezug genommen wird. Danach wurde die Zeit vom 01. August 1971 bis zum 14.04.1983  und die Zeit vom 13.08.1983 bis zum 30. Juni 1991 jeweils als Jubiläumsdienstzeit und als Beschäftigungsdienstzeit anerkannt.

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Mit Schreiben vom 29. Mai 2007 erfolgte die Überleitung der Klägerin in den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) (vgl.  Bl. 23 d. A.). Mit Schreiben vom 28. September 2011 (überschrieben mit: Entwurf) erfolgte eine Korrektur der Festsetzung der Jubiläumsdienstzeit und Beschäftigungszeit der Klägerin (vgl. Bl. 24 – 25 d. A.). In diesem Schreiben war eine Festsetzung der Jubiläumsdienstzeit und der Beschäftigungsdienstzeit ebenfalls mit Datum vom 28. September 2011 beigefügt (vgl. Bl. 7 und Bl. 26 d. A.)

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Mit ihrer Klage vom 29. November 2011, eingegangen beim Arbeitsgericht Halle am 01. Dezember 2011, begehrt die Klägerin die Zahlung eines Jubiläumsgeldes nach § 23 TV-L und einen Tag Freistellung nach § 29 TV-L.

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Die Klägerin hat in erster Instanz die Auffassung vertreten, dass der erneute Bescheid des Landesverwaltungsamtes Sachsen-Anhalt vom 28. September 2011 fehlerhaft ist und dass ihr aufgrund des Bescheids der damaligen Bezirksregierung Halle vom 07.01.1993 die Beschäftigungszeiten seit dem 29. November 1971 anzurechnen sind. Sie habe somit am 29. November 2011 ihr 40-jähriges Dienstjubiläum gehabt. Der erneute Bescheid des beklagten Landes vom 28. September 2011 werde vom beklagten Land nur damit begründet, dass das damalige Arbeitsverhältnis mit dem Rat des Kreises N (Abt. Volksbildung) ab dem 04. August 1978 auf Wunsch der Klägerin aufgelöst worden sei. Ihre erneute Einstellung sei erst ab dem 13. August 1983 möglich gewesen. Der Aufhebungsvertrag vom 17. Juli 1978 sei abgeschlossen worden zum Zwecke der Betreuung ihrer Kinder C (geboren am 04. August 1977) und K (geboren am 15. April 1980). Jeweils bis zur Vollendung des 3. Lebensjahres ihrer beiden Kinder habe sie    Erziehungsurlaub in Anspruch genommen. Dies sei der Zeitraum vom 04. August 1977 bis zum 04. April 1983 gewesen.

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Dazu hat die Klägerin ausgeführt, dass sie nach § 246 Abs. 2 AGB der DDR eine Freistellung in Anspruch genommen habe und dass nach § 247 Abs. 1 AGB der DDR die Betriebszugehörigkeit durch die Freistellung wegen Erziehung der Kinder nicht habe unterbrochen werden können. § 247 Abs. 2 AGB der DDR habe den damaligen Rat des Kreises N (Abt. Volksbildung) verpflichtet, sie, die Klägerin weiterzubeschäftigen. Mit Bescheid der damaligen Bezirksregierung Halle vom 07. Januar 1993 seien ihre Beschäftigungszeiten gemäß § 19 BAT-O festgesetzt und anerkannt worden. Durch den TVÜ-L sei das Arbeitsverhältnis übergeleitet worden vom BAT-O zum TV-L. Nach § 14 Abs. 2 TVÜ-L würden Beschäftigungszeiten, die vor Inkrafttreten dieses Tarifvertrages anerkannt worden seien, weiter berücksichtigt, und zwar die Zeiten, die bis zum 31. Oktober 2006 anerkannt bzw. zurückgelegt worden seien. Die anerkannten Zeiten im Bescheid vom 07. Januar 1993 würden den gültigen tarifrechtlichen Vorschriften entsprechen.

19

Somit begehe sie am 29. November 2011 ihr 40jähriges Dienstjubiläum und habe einen Anspruch auf Zahlung von 500,00 Euro Jubiläumsgeld und einen Tag Freistellung. Richtig sei, dass sie am 17.07.1978 einen Aufhebungsvertrag geschlossen habe. Vorher habe sie aber Freistellungsbetreuung ihrer Kinder beantragt. Diese sei aber nur bis zum 04. August 1978 gewährt worden. Erst danach sei ein Aufhebungsvertrag abgeschlossen worden. Die Nichtanerkennung dieser Zeiten stelle nach § 19 BAT-O eine „unbillige Härte“ dar. Außerdem verstoße es gegen Treu und Glauben, zunächst die Beschäftigungszeiten durch Bescheid vom 05. November 1992 erst seit dem 13. August 1983 anzuerkennen und auf ihr Schreiben vom 05. Januar 1993 wegen „unbilliger Härte“ diese Zeiten ihr dann zuzugestehen sowie mit Bescheid vom 07.01.1993 die Beschäftigungszeiten seit dem   29. November 1971 anzuerkennen. Wenn davon durch Bescheid vom 28. September 2011 wieder abgegangen werde, sei dieses gemäß § 242 BGB unzulässig.

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Die Klägerin hat in erster Instanz beantragt:

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1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin das Jubiläumsgeld wegen 40-jähriger Beschäftigung in Höhe von 500,00 Euro nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

22

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin wegen des 40-jährigen Arbeitsjubiläums einen Arbeitstag zur Freistellung zu gewähren.

23

Das beklagte Land hat in erster Instanz beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Dazu trägt das beklagte Land vor, es sei richtig, dass durch Bescheid vom 07. Januar 1993 das 40-jährige Dienstjubiläum auf den 29. November 2011 festgesetzt worden sei. Bei einer erneuten Überprüfung sei jedoch festgestellt worden, dass diese Festsetzung nicht den Vorschriften der §§ 19, 39 BAT-O i. V. m. § 14 TVÜ-L und § 34 Abs. 3 TV-L entspreche. Somit sei eine Neufestsetzung der Beschäftigungszeiten der Klägerin erfolgt. Grund sei, dass am 17.07.1978 zwischen der Klägerin und dem damaligen Rat des Kreises N (Abteilung Volksbildung) im gegenseitigen Einvernehmen zum 04.08.1978 ein Aufhebungsvertrag geschlossen worden sei. Das Ausscheiden sei auf eigenen Wunsch der Klägerin erfolgt. Die Wiedereinstellung der Klägerin sei erst ab dem 13.08.1983 erfolgt. Somit sei die Klägerin nicht freigestellt gewesen, sondern das Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und dem damaligen Rat des Kreises N (Abteilung Volksbildung) sei aufgelöst bzw. unterbrochen gewesen. Nach einem Urteil des BAG vom 15.08.1979 – Az.: 4 AZR 913/77 – habe der Bescheid der Bezirksregierung Halle vom 07.01.1993 nur deklaratorische Bedeutung und sei jederzeit überprüfbar.

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Der Tenor des Urteils des Arbeitsgerichts Halle vom 13. Juli 2012 – 5 Ca 3436/11 – lautet:

27

„1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein Jubiläumsgeld in Höhe von 500,00 Euro (in Worten: fünfhundert Euro brutto) nebst 5 Prozent Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 09.12.2011 zu zahlen.

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2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin wegen des 40-jährigen Arbeitsjubiläums einen Tag Freistellung zu gewähren.

29

3. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

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4. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 732,67 Euro festgesetzt.“

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Zur Begründung hat das Arbeitsgericht Halle in seinem Urteil vom 13. Juli 2012 – kurz zusammengefasst – folgendes ausgeführt: Die Klage sei begründet. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien seien ab dem 01. November 2011 die Vorschriften des TV-L bzw. des TVÜ-L anzuwenden. Unter Berücksichtigung der tarifvertraglichen Vorschriften verbleibe es bei der bisherigen Festsetzung der Beschäftigungszeit. Im Übrigen wäre die Neuberechnung der Beschäftigungszeiten auch eine unbillige Härte i. S. v. § 19 Abs. 1 BAT-O. Die Anrechnung der Beschäftigungszeiten der Klägerin seit dem 29. November 1971 scheitere auch nicht an § 19 Abs. 1 Unterabs. 3 BAT-O. Diese Regelung enthalte keine tarifliche Bestimmungsklausel i. S. v. § 315 Abs. 1 BGB. Allerdings sei zur Bestimmung des Inhaltes des Rechtsbegriffs der Billigkeit die rechtliche Bedeutung heranzuziehen, die diesem Begriff im Rahmen des § 314 BGB beigemessen werde. Die seinerzeitige freie Entscheidung der Klägerin, das Arbeitsverhältnis aufzulösen, dürfe bei der Prüfung, ob die Nichtanrechnung eine unbillige Härte darstelle, nicht zu Lasten der Klägerin gerechnet werden. Denn das Ausscheiden der Klägerin aus dem damaligen Arbeitsverhältnis mit dem seinerzeitigen Rat des Kreises (Abt. Volksbildung) am 04.08.1978 sei zur Betreuung ihres ersten Kindes C erfolgt. Dieses Arbeitsverhältnis sei im Jahre 1980 nicht wieder aufgenommen worden, weil am 15. April 1980 das zweite Kind der Klägerin (K) geboren wurde. Nach Artikel 6 Abs. 2 des Grundgesetzes sei die Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und die zuforderst ihnen obliegende Pflicht.

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Diese Bewertung sei auch geteilt worden im Besprechungsergebnis, dass der Arbeitgeberkreis der BAT-Kommission am 29. Mai 1989 erzielt habe. Zudem sei eine unbillige Härte auch dann zu sehen, wenn das Arbeitsverhältnis zur Betreuung und Erziehung eines Kindes unter 18 Jahren aufgelöst worden sei und die Unterbrechung den Zeitraum einer Beurteilung nach § 48 a Abs. 2 BRRG Beamtenrechtsrahmengesetz nicht überschritten habe. Das Arbeitsgericht Halle hat insoweit das Urteil des BAG vom 21. September 1995 – 6 AZR 18/95 – in Bezug genommen. Schließlich verstoße das Verhalten des beklagten Landes gegen Treu und Glauben gemäß § 242 BGB. Die Bezirksregierung Halle habe mit Bescheid vom 05. November 1992 zunächst die Beschäftigungszeiten der Klägerin auf den 13. August 1983 festgesetzt. Mit Antrag vom 05. Januar 1993 habe die Klägerin dann bei der Bezirksregierung beantragt, ihr „unbillige Härte“ zuzubilligen. Auf diesen Antrag sei durch die Bezirksregierung Halle der Bescheid vom 05.11.1992 geändert und mit Bescheid vom 07.01.1993 die Beschäftigungszeit der Klägerin auf den 29. November 1971 festgesetzt worden. Mit dieser Entscheidung sei der Klägerin die „unbillige Härte“ i. S. v. § 19 Abs. 1 BAT-O zugesichert worden. Es sei nicht nachzuvollziehen, dass das beklagte Land mit Bescheid vom 28. September 2011 von ihrer Rechtsauffassung im Bescheid vom 07. Januar 1993 wieder abrücke und nunmehr die Beschäftigungszeit der Klägerin auf den 10. August 1976 festsetze. Insbesondere komme auch unter dem Gesichtspunkt, dass nach Einführung des TV-L ab dem 01. November 2011 in § 14 Abs. 1 TV-L geregelt worden sei, dass eine Neuberechnung der Beschäftigungszeiten vor dem 31.10.2006 nicht mehr stattfinde und dies auch vom zuständigen Arbeitgeberverband vertreten werde. Somit habe die Klägerin eine Beschäftigungszeit seit dem 29.11.1971. Das führe zu einem 40-jährigen Dienstjubiläum der Klägerin am 29. November 2011. Zum 40-jährigen Dienstjubiläum stehe der Klägerin ein Jubiläumsgeld in Höhe von 500,00 Euro brutto zu. Darüber hinaus habe sie nach § 29 Abs. 1 Buchstabe d TV-L Anspruch auf Freistellung für einen Arbeitstag aufgrund des 40-jährigen Arbeitsjubiläums.

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Das vorgenannte Urteil vom 13. Juli 2012 wurde dem beklagten Land am 28. November 2012 zugestellt. Dessen Berufungsschrift ist am 19.12.2012 und dessen Berufungsbegründung am 28. Januar 2013 beim Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt eingegangen.

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Zur Begründung seiner Berufung hat das beklagte Land insbesondere ausgeführt: Das Arbeitsgericht habe zutreffend festgestellt, dass sich das Arbeitsverhältnis zunächst nach den BAT-O und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen bestimme. Zutreffend sei ebenfalls, dass gemäß der §§ 2 und 3 des TVÜ-L das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ab dem 01. November 2011 in den TV-L übergeleitet worden sei. Nach den tariflichen Vorschriften des TV-L seien die anerkannten Beschäftigungszeiten (§ 19 BAT-O) weiter zu berücksichtigen. Unter Bezugnahme auf § 14 TVÜ-L vertritt das Arbeitsgericht den Standpunkt, dem beklagten Land sei es grundsätzlich verwehrt, die Festsetzung der Beschäftigungszeit i. S. v. § 19 BAT-O erneut zu überprüfen. Damit sei es dem beklagten Land auch verwehrt, die im Jahre 2011 vorgenommene Korrektur hinsichtlich der Beschäftigungszeit wirksam vorzunehmen. Diese Auffassung verdiene keine Zustimmung. Das beklagte Land habe bereits erstinstanzlich darauf hingewiesen, dass die Festsetzung der Beschäftigungszeit und die darauf basierende Information an den Arbeitnehmer nur deklaratorischen Charakter besitze. Das verkenne das Arbeitsgericht. Generell sei es die ständige Rechtsprechung des BAG, dass die Festsetzung der Beschäftigungszeit i. S. v. § 19 BAT-O durch den Arbeitgeber regelmäßig nur deklaratorische Wirkung besitze. Einer fehlerhaft festgesetzte Beschäftigungszeit könne da jederzeit zugunsten wie auch zuungunsten des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers korrigiert werden. Das beklagte Land sei gerade nicht gehindert, die Richtigkeit der festgesetzten zu überprüfen und gegebenenfalls eine nach deren Ansicht fehlerhaft festgesetzte Beschäftigungszeit entsprechend zu korrigieren. Der Arbeitnehmer habe das Recht, sich dagegen rechtlich zur Wehr zu setzen, so dass er durch diese Möglichkeit nicht unbillig benachteiligt werde. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts sei auch aus dem längeren Zeitablauf seit Berechnung der Beschäftigungszeit im Jahr 1993 keine Bindungswirkung des beklagten Landes erzeugt worden.

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Für die Klägerin sei kein besonders schutzwürdiger Vertrauenstatbestand entstanden, der die Aufrechterhaltung des tarifwidrigen Zustandes rechtfertigen könnte. Das beklagte Land verkenne zwar nicht, dass in besonders gelagerten Ausnahmefällen die Änderung der Beschäftigungszeitberechnung zu Ungunsten des Arbeitnehmers im Hinblick auf den Vertrauensschutz nach § 242 BGB unzulässig sein kann. Diese Voraussetzungen seien hier jedoch nicht gegeben. Der Zeitablauf seit 1993 begründe einen solchen Vertrauenstatbestand für sich alleine nicht. Soweit sich das Arbeitsgericht auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgericht vom 21. September 1995 – 6 AZR 18/95 – beziehe, werde verkannt, dass der dort zugrunde liegende Streitstoff mit dem hier maßgeblichen Lebenssachverhalt nicht identisch sei. Die Lebensumstände in beiden Fällen würden sich signifikant unterscheiden. Der Auffangtatbestand solle nur in besonderen, untypischen Fällen Einzelfallgerechtigkeit herstellen. Das beklagte Land bezieht sich insoweit auf das BAG-Urteil vom 14. Oktober 2004 – 6 AZR 501/03. Die Regelung des § 19 BAT-O verdiene demzufolge eine restriktive Auslegung. Jede Nichtanerkennung einer Beschäftigungszeit stelle für den betreffenden Arbeitnehmer eine Härte dar. Hier habe die Klägerin auf eigenen Wunsch um Auflösung des Arbeitsverhältnisses gebeten. Dazu sei ein Aufhebungsvertrag abgeschlossen worden, der das Arbeitsverhältnis rechtswirksam beendet habe. Dieser Aufhebungsvertrag könne auch nicht in eine Freistellung i. S. v. § 246 Arbeitsgesetzbuch der DDR umgedeutet werden. Die Entscheidung der Klägerin betreffe typische familiäre Belange.

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Die Wertentscheidungen in Artikel 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz würden entgegen der Annahme des Arbeitsgerichts nicht dazu zwingen, bei der Billigkeitskontrolle typischen familiären Belangen den Vorrang vor dem Interesse des Arbeitgebers einzuräumen. Auch sei davon auszugehen, dass den Tarifvertragsparteien Fallgestaltungen der hier zu entscheidenden Art bewusst gewesen seien. Außerdem habe das beklagte Land in gewisser Weise anerkannt, dass die Klägerin aufgrund von Umständen, die sie nicht habe beeinflussen können, nicht zu einem früheren Zeitpunkt die Arbeit wieder habe aufnehmen können und hat die hier anzurechnende Beschäftigungszeit auf den 10. August 1976 wirksam ermittelt. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Auslegung der tariflichen Norm werde angeregt, im Unterliegensfalle die Revision zuzulassen.

37

Hinsichtlich der von den Parteien in der Berufungsverhandlung zuletzt gestellten Anträge wird auf Seite 2 des diesbezüglichen Protokolls vom 13. Januar 2014 (Bl. 119 d. A.) Bezug genommen.

38

In ihrer Berufungserwiderung vom 25. März 2013 hat sich die Klägerin auf den Standpunkt gestellt, das Urteil des Arbeitsgerichts Halle vom 10. Juli 2012 sei nicht zu beanstanden. Bei dem Bescheid vom 07. Januar 1993 handele es sich um eine „Korrektur:     2. Festsetzung“. Dort heißt es, dass der Antrag der Klägerin auf unbillige Härte geprüft worden sei. Die Gründe der Klägerin seien auf der Grundlage eines Schnellbriefes des Ministeriums der Finanzen des Landes Sachsen-Anhalt vom 09. November 1992 anerkannt worden; die Klägerin erhalte somit anbei eine Korrektur der Festsetzung ihrer Vordienstzeiten im öffentlichen Dienst. Damit sei für den Zeitraum der Freistellung eine Anerkennung der Beschäftigungszeiten erfolgt. Diese Entscheidung habe der Regelung in § 19 Abs. 1 BAT-O entsprochen.  Das beklagte Land meine dem gegenüber, eine fehlerhaft festgesetzte Beschäftigungszeit könne jederzeit zu Gunsten oder zu Ungunsten des Arbeitgebers oder Arbeitnehmers korrigiert werden. Dem könne nicht gefolgt werden. Nach Auffassung der Klägerin sei die Interpretation des beklagten Landes fehlerhaft. Bezüglich der Klägerin sei kein Fehler bei der Anrechnung der Beschäftigungszeit zu verzeichnen. Die Bezirksregierung sei in zutreffender Weise davon ausgegangen, dass die Beschäftigungszeit durch den Aufhebungsvertrag unterbrochen war. Es sei davon ausgegangen worden, dass diese Unterbrechung der Beschäftigungszeiten nicht zu Lasten der Klägerin gehen könne, da gemäß § 19 Abs. 1 BAT-O die Nichtanrechnung der Beschäftigungszeit eine unbillige Härte darstellen würde. Die Bezirksregierung habe seinerzeit eine Korrektur der Festsetzung der Vordienstzeiten vorgenommen. Diese Korrektur sei aus Billigkeitsgründen und nicht wegen eines Fehlers bei der Bestimmung der Beschäftigungszeiten erfolgt. Damit sei i. S. v. § 19 Abs. 1 BAT-O anerkannt worden, dass die Nichtanrechnung der Beschäftigungszeit eine unbillige Härte darstelle. Hieraus ergebe sich ein Vertrauenstatbestand, so dass die Korrektur dieser Entscheidung bereits aus diesem Grunde wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben unzulässig sei. Zusätzlich sei auch der Zeitablauf seit 1993 zu berücksichtigen. Das erstinstanzliche Gericht habe den Sachverhalt daher zutreffend gewürdigt und sich auch auf das Urteil des BAG vom 21. September 1995 – 6 AZR 18/95 – gestützt. Diese Würdigung des Sachverhaltes sei nicht zu beanstanden. Unabhängig davon verkenne das beklagte Land die Regelung in § 14 TVÜ-L. Mit dieser Regelung hätten die Tarifvertragsparteien Bestandsschutz bezüglich der anerkannten Beschäftigungszeiten nach BAT-O gewährt. Aufgrund dessen sei auch aus diesem Grunde eine Korrektur der anerkannten Beschäftigungszeiten unzulässig. Diesbezügliche Rechtsprechung zum BAT-O sei hierauf nicht anwendbar.

39

Ergänzend wird Bezug genommen auf das Protokoll über die Berufungsverhandlung vom 13. Januar 2014 (Bl. 118 – 121 d. A.). Dort heißt es u. a. auf den Seiten 2 bis 3 (Bl. 119 – 120 d. A.):

40

„Auf Vorhalt des Gerichts erklärt die Klägerin:

41

Mein 25jähriges Dienstjubiläum ist ordnungsgemäß abgewickelt worden.

42

laut vorgelesen und genehmigt

43

Rechtsanwalt Dr. S erklärt:

44

Die damalige Entscheidung vom 07. Januar 1993 ist aus der Sicht der Klägerin eine Billigkeitsentscheidung gemäß § 19 BAT-O.

45

Fehlerhafte Angaben der Klägerin lagen dem nicht zugrunde.

46

laut vorgelesen und genehmigt

47

Die Sach- und Rechtslage wird erörtert.

48

Rechtsanwalt Dr. S  erklärt:

49

Die Klägerin beruft sich nochmals auf die Anerkennung vom 14. Oktober 1992.

50

laut vorgelesen und genehmigt

51

Die Vertreterin des beklagten Landes erklärt:

52

Das war nur deklaratorisch. Die nochmalige Prüfung hat zu einem anderen Ergebnis geführt.

53

laut vorgelesen und genehmigt

54

Die Prozessbevollmächtigten erklären übereinstimmend:

55

Es ist nicht beabsichtigt, im heutigen Termin noch weitere Erklärungen abzugeben.“

Entscheidungsgründe

I.

56

Die statthafte (§ 64 Abs. 1 ArbGG), nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes zulässige (§ 64 Abs. 2 ArbGG), form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung (§§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 ArbGG i. V. m. den §§ 517, 519 ZPO) des beklagten Landes gegen das vorgenannte Urteil des Arbeitsgerichts Halle vom 13. Juli 2012 ist ohne Weiteres zulässig.

II.

57

Die Berufung des beklagten Landes gegen das vorgenannte Urteil des Arbeitsgerichts Halle vom 13. Juli 2012 – 5 Ca 3436/11 – ist jedoch unbegründet und war demgemäß zurückzuweisen. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt das beklagte Land. Die Revision war zuzulassen. Die Berufungskammer folgt zunächst den Gründen der angefochtenen Entscheidung des Arbeitsgerichts Halle vom 13. Juli 2012 in vollem Umfang und nimmt auf sie auch zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Ergänzend gilt folgendes:

58

1. Die Festsetzung der Beschäftigungszeit i. S. v. § 19 BAT-O durch den Arbeitgeber hat regelmäßig nur deklaratorische Bedeutung. Eine fehlerhaft festgesetzte Beschäftigungszeit kann daher jederzeit zu Gunsten wie auch zu Ungunsten des Arbeitgebers korrigiert werden. Gemäß § 21 BAT-O ist der Arbeitnehmer lediglich gehindert, nach Ablauf der dort bestimmten Ausschlussfrist weitere Nachweise für anrechnungsfähige Beschäftigungszeiten zu erbringen. Diese Vorschrift begründet keine einseitige Bindung des Arbeitnehmers an die erfolgte Festsetzung (so LAG Sachsen-Anhalt vom 10. Dezember 1996 – 8 Sa 1032/95 = ZTR 1997, 365). Dieses Urteil steht im Einklang mit der Entscheidung des       4. Senats des Bundesarbeitsgerichts (fortan kurz: BAG) vom 15. August 1979 – 4 AZR 913/77 = AP-Nr. 3 zu § 20 BAT-O, wonach sowohl die Berechnung der Beschäftigungszeit als auch der Dienstzeit nur eine deklaratorische Bedeutung hat und deshalb vom Arbeitgeber jederzeit berichtigt werden kann, wenn sie sich als falsch herausstellt.

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2. Mit dem Tarifmerkmal der „unbilligen Härte“ in § 19 Abs. 1 Unterabsatz 2 BAT-O wollten die Tarifvertragsparteien Besonderheiten des Einzelfalles beim Ausscheiden des Angestellten auf eigenen Wunsch gerecht werden. Der Auffangtatbestand soll in besonderen, untypischen Fällen Einzelgerechtigkeit herstellen. Allerdings stellt ein Wechsel des Angestellten zu einem anderen Arbeitgeber außerhalb des bisherigen Dienstortes zur Herstellung oder Aufrechterhaltung eines gemeinsamen Familienwohnsitzes weder in der Bundesrepublik Deutschland noch in der ehemaligen DDR einen außergewöhnlichen, sondern einen typischen Grund für eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf eigenen Wunsch des Angestellten dar (so BAG vom 14. Oktober 2004 – 6 AZR 501/03 = AP-Nr. 24 zu § 19 BAT-O). Dieses Urteil des BAG vom 14. Oktober 2004 knüpft offensichtlich an die Entscheidung des BAG vom 21. September 1995 – 6 AZR 18/95 an. Auch nach dieser Entscheidung gilt die vor dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis liegende Zeit gemäß § 19 Abs. 1 Unterabsatz 3 BAT-O als Beschäftigungszeit, wenn die Nichtanrechnung eine „unbilligen Härte“ bedeuten würde. Einer „Anrechnung“ durch eine Handlung des Arbeitgebers bedarf es nicht. Die genannte Vorschrift ist keine tarifliche Bestimmungsnorm. Dafür, ob die „Härte“ für den Angestellten „unbillig“ wäre, kommt es auf die Abwägung der wechselseitigen Interessen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles an. Wertungsgesichtspunkte sind u. a. die heutigen verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen. Dies gilt auch für die Beurteilung einer Zeit, die in einem Arbeitsrechtsverhältnis in der ehemaligen DDR zurückgelegt wurde. Auf die gesellschaftspolitischen Vorstellungen, die dort herrschten, ist dabei grundsätzlich nicht abzustellen (so BAG vom 21. September 1995 – 6 AZR 18/95 – a. a. O.).

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3. Mithin kommt es hier nach Auffassung der Berufungskammer darauf an, ob es eine „unbillige Härte“ darstellen würde, wenn der Klägerin ihr 40jähriges Dienstjubiläum zugebilligt würde. Dies setzt voraus, dass die gesamten Vordienstzeiten der Klägerin angerechnet werden. Nur in diesem Falle steht der Klägerin ein Anspruch auf Zahlung eines Jubiläumsgeldes und ein Anspruch auf einen Tag Freistellung zu. Insoweit kommt es auf die Abwägung der wechselseitigen Interessen der Parteien unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalles an. Diese Abwägung hat das Arbeitsgericht Halle fehlerfrei vorgenommen. Es hat insbesondere angeknüpft an die „Korrektur: 2. Festsetzung der Bezirksregierung Halle vom 07. Januar 1993 (Bl. 5 d. A.). Mit diesem Bescheid vom      07. Januar 1993 erfolgte eine unverzügliche Reaktion auf den Antrag der Klägerin vom 05. Januar 1993 (Bl. 46 d. A.). In diesem Schreiben hat sich die Klägerin auf den Standpunkt gestellt, dass die Zeit vom 15. April 1983 bis 12. August 1983 eine „unbillige Härte“ darstellt. Deshalb hat die Klägerin gebeten, die Anerkennung der Vordienstzeiten noch einmal zu überarbeiten. In der Folgezeit ab Januar 1993 bis heute hat sich kein anderer Sachverhalt ergeben. Dies hat weder die Klägerin noch das beklagte Land vorgebracht. In diesem Zusammenhang hat das Arbeitsgericht Halle auf der Seite 11 seines Urteils vom 13. Juli 2012 – 5 Ca 3436/11 (Bl. 65 d. A.) folgendes zutreffend ausgeführt:

61

„Auf diesen Antrag wurde durch die Bezirksregierung Halle der Bescheid vom 05.11.1992 geändert und mit Bescheid vom 07.01.1993 die Beschäftigungszeit der Klägerin auf den 29.11.1971 festgesetzt. Mit dieser Entscheidung hat die Beklagte der Klägerin die „unbillige Härte“ im Sinne von § 19 Abs. 1 BAT-O zugesichert. Es ist nicht nachzuvollziehen, dass die Beklagte nunmehr mit Bescheid vom 28.09.2011 von ihrer Rechtsauffassung von dem Bescheid vom 07.01.1993 wieder abrückt und nunmehr die Beschäftigungszeit der Klägerin auf den 10.08.1976 festsetzt. Insbesondere, auch unter dem Gesichtspunkt, dass nach Einführung des TV-L ab dem 01.11.2006 in  § 14 Abs. 1 TVÜ-L geregelt war, dass eine Neuberechnung der Beschäftigungszeiten vor dem 31.10.2006 nicht mehr stattfindet und dies auch vom Arbeitgeberverband der Beklagten vertreten wird.“

62

Hinzu kommt, dass anschließend das 25jährige Dienstjubiläum seitens des beklagten Landes ordnungsgemäß abgewickelt worden ist (vgl. Seite 2 des Protokolls über die Berufungsverhandlung vom 13. Januar 2014 – Bl. 119 d. A.). Mithin kann davon ausgegangen werden, dass das beklagte Land im Rahmen eines ordnungsgemäßen Verwaltungshandelns seinerzeit geprüft hat, ob die Voraussetzungen für das 25jährige Dienstjubiläum der Klägerin vorlagen und dies bejaht hat. Mithin ist das beklagte Land noch nach dem        07. Januar 1993 – nämlich im Jahre 1996 – davon ausgegangen, dass gemäß dem vorgenannten Schreiben vom 07. Januar 1993 von einem 40jährigen Dienstjubiläum der Klägerin zum 29. November 2011 und von einem Beginn der Beschäftigungszeit ab 29. November 1971 auszugehen ist. Im Jahre 1996 hat sich das beklagte Land offenbar in keiner Weise veranlasst gesehen, vom Inhalt des Schreibens der Bezirksregierung Halle vom 07. Januar 1993 in irgendeiner Weise abzurücken. Es ist – wie dargelegt – auch nicht ersichtlich – dass sich nach dem 07. Januar 1993 ein irgendwie gearteter neuer Sachverhalt ergeben hat, der zu einer anderweitigen Entscheidung Veranlassung gegeben hätte. Insbesondere gibt es auch keine Veränderung des Sachverhaltes, den die Klägerin veranlasst hat.

63

4. Die Klägerin hat sich in der Berufungsverhandlung vom 13. Januar 2014 außerdem zu Recht auf den Standpunkt gestellt, dass die seinerzeitige Entscheidung der Bezirksregierung Halle vom 07. Januar 1993 als „Billigkeitsentscheidung“ zu qualifizieren ist. Solche Billigkeitsentscheidungen haben ihre Grundlage im weitesten Sinne in früheren Erwägungen dergestalt, dass „Gnade vor Recht“ ergeht. Derartige Gnadenentscheidungen sind auch dem heutigen Recht nicht fremd, z. B. im Zusammenhang mit der Entlassung von Straftätern aus langjähriger Haft. Dafür spricht auch, dass das vorgenannte Schreiben der Bezirksregierung Halle vom 07. Januar 1993 ausdrücklich handschriftlich überschrieben ist mit „Korrektur: 2. Festsetzung“. Aufgrund einer solchen „Korrektur-Entscheidung“ durfte sich die Klägerin darauf verlassen, dass nunmehr eine endgültige Anrechnungsentscheidung erfolgt ist. Spätestens aber aufgrund der ordnungsgemäßen Abwicklung des 25jährigen Dienstjubiläums durfte die Klägerin davon ausgehen, dass es sich um eine endgültige Anrechnung ihrer Vordienstzeiten mit der Folge handelt, dass diese vollständige Anrechnung nunmehr auch maßgeblich ist für ihr 40jähriges Dienstjubiläum. Wenn im Rahmen einer Korrektur eine erneute 2. Festsetzung der anzurechnenden Dienstzeiten erfolgt und diese Korrekturentscheidung mehrere Jahre später als Grundlage für die ordnungsgemäße Abwicklung eines 25jährigen Dienstjubiläums dient, so ist es dem beklagten Land verwehrt, sich 15 Jahre später im Rahmen des anstehenden 40jährigen Dienstjubiläums darauf zu berufen, dass die Korrektur durch 2. Festsetzung im Jahre 1993, die beinahe 20 Jahre lang zurückliegt und seit dem unbeanstandet blieb, nunmehr unwirksam sein soll. Ein solches Verhalten ist widersprüchlich. Nach Auffassung der Berufungskammer hätte spätestens vor dem anstehenden 25jährigen Dienstjubiläum eine solche Beanstandung erfolgen müssen. Nach alledem stellt sich die Berufungskammer mit dem Arbeitsgericht Halle auf den Standpunkt, dass das Verhalten des beklagten Landes widersprüchlich ist und gemäß § 242 BGB gegen Treu und Glauben verstößt. Dem beklagten Land ist es deshalb verwehrt, sich auf das vermeintliche Recht zu berufen, die Vordienstzeiten der Klägerin jedenfalls zum Teil nicht anzuerkennen.

64

5. Im Übrigen ist das Verhalten des beklagten Landes der Berufungskammer nicht ganz verständlich. Bekanntlich besteht der Lohn für die Arbeit nicht nur in der Bezahlung der Vergütung, sondern auch in der „Würdigung“ der geleisteten Dienste. Nach den Erörterungen in der Berufungsverhandlung vom 13. Januar 2014 ging es der Klägerin offenbar im Rahmen dieses Rechtsstreits auch insbesondere darum, dass ihr diese Würdigung durch ein 40jähriges Dienstjubiläum bislang versagt geblieben ist.

III.

65

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

IV.

66

Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.


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