Beschluss vom Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein (3. Kammer) - 3 Sa 192/19

Tenor

Der Antrag des Klägers vom 09.10.2019 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird zurückgewiesen.

Die Berufung des Klägers vom 09.09.2019 gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 31.07.2019 - Az. 1 Ca 148 e/19 - wird als unzulässig verworfen.

Die Kosten der Berufung hat der Kläger zu tragen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung, die auf einem Interessenausgleich mit Namensliste basiert. Es sind diverse Parallelrechtsstreitigkeiten beim Landesarbeitsgericht anhängig, in denen die Kläger/innen von der Kanzlei des hiesigen Prozessbevollmächtigten vertreten werden.

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Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Gegen das dem Kläger am 08.08.2019 zugestellte Urteil hat dieser am Montag, den 09.09.2019 Berufung eingelegt. Mit Verfügung vom 10.09.2019 wurde er darauf hingewiesen, dass die Berufungsbegründungsfrist zwei Monate nach Zustellung des erstinstanzlichen Urteils abläuft. Die Frist verstrich ungenutzt. Einen Tag später, mit einem beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom 09.10.2019 beantragte der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist. Die Berufung selbst wurde mit Schriftsatz vom 18.10.2019 begründet.

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Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags vom 09.10.2019 führt der Kläger an, die Mitarbeiterin des Prozessbevollmächtigten sei angewiesen worden, in allen gegen die Beklagte laufenden Verfahren Fristverlängerung für die Berufungsbegründungsfrist zu beantragen. Die Berufungsbegründungsfristen seien korrekt notiert gewesen. Während die Berufungsbegründungsfristen in allen anderen Verfahren bereits am 07.10.2019 abliefen, sei in dieser Sache korrekt der Fristablauf für den 08.10.2019 notiert worden. Es habe sich aber im vorliegenden Rechtsstreit bereits für den 09.10.2019 ein Diktat im Diktatpool befunden. Die Mitarbeiterin sei daher davon ausgegangen, in diesem Rechtsstreit sei kein Fristverlängerungsantrag erforderlich. Da die Mitarbeiterin bislang immer gewissenhaft, fehlerfrei und eigenverantwortlich gearbeitet habe, habe für eine erneute Kontrolle durch den Prozessbevollmächtigten des Klägers keine Veranlassung bestanden.

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Die zum Wiedereinsetzungsantrag des Klägers angehörte Beklagte hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Der Wiedereinsetzungsantrag sei unbegründet. Ein Wiedereinsetzungsgrund sei weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht worden und existiere auch nicht. Es sei nicht nachvollziehbar, welche Relevanz ein Diktat, das am 09.10.2019 abgearbeitet werden sollte, für eine am 08.10.2019 ablaufende Frist haben könne. Es fehle jegliches Vorbringen des Prozessbevollmächtigten des Klägers zum Streichen einer für den 08.10.2019 notierten Frist. Jedenfalls aber sei nichts zur Fristenüberwachung, Fristenerledigung und Fristenkontrolle im Büro des Prozessbevollmächtigten des Klägers vorgebracht, deren Organisation durch Erteilung entsprechender eindeutiger Anweisungen dem Anwalt obliege. Er habe für die Festlegung klarer Zuständigkeiten zu sorgen und mindestens stichprobenartige Kontrollen durchzuführen. Letztendlich sei auch die Berufungsbegründung nicht innerhalb der Frist des § 236 Abs. 2 ZPO nachgereicht worden.

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Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

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Die Berufung des Klägers ist unzulässig. Der Kläger hat die Berufungsbegründungsfrist versäumt. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist unbegründet.

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A. Sie ist nicht innerhalb der gesetzlichen Frist des § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG begründet worden. Folglich ist seine Berufung als unzulässig zu verwerfen, § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO.

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Der Kläger hat die Frist zur Begründung der Berufung (§ 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG) versäumt. Das stellt er nicht in Abrede. Die Frist zur Berufungseinlegung beginnt mit dem Tag der Zustellung des angegriffenen Urteils und beträgt einen Monat, § 66 Abs. 1 Sätze 1 und 2 ArbGG. Dem Kläger ist das Urteil des Arbeitsgerichts am 08.08.2019 zugestellt worden. Demnach lief die Berufungsbegründungsfrist am Dienstag, den 08.10.2019 ab. Die Berufungsbegründung ist jedoch erst erheblich später, am 18.10.2019 beim Landesarbeitsgericht eingegangen. Die Berufungsbegründungsfrist ist daher nicht gewahrt.

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B. Dem Kläger war auch nicht die am 09.10.2019 beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist unbegründet.

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1. Zwar kann gemäß § 233 ZPO einer Partei, die ohne ihr Verschulden gehindert war, die Frist zur Einlegung der Berufung zu wahren, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden. Dabei steht gem. § 85 Abs. 2 ZPO das Verschulden des Prozessbevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleich. Ist die Fristversäumnis allerdings infolge eines Fehlverhaltens von Büropersonal des Prozessbevollmächtigten eingetreten, liegt kein der Partei zuzurechnendes Verschulden vor, wenn der Prozessbevollmächtigte seine Kanzlei ordnungsgemäß organisiert, insbesondere zuverlässiges Personal ausgewählt und dieses ausreichend überwacht hat (BAG vom 25.05.2016 - 5 AZR 614/15 - Juris, Rz.18 m.w.N.).

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2. Danach hat der Kläger keinen Wiedereinsetzungsgrund dargetan. Der Kläger hat weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht, dass sein Prozessbevollmächtigter durch eine ordnungsgemäße Organisation in seiner Kanzlei dafür Sorge getragen hat, dass notierte Fristen vor ihrer Erledigung nicht irrtümlich gelöscht werden.

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a) Die Sorgfaltspflicht des Rechtsanwalts in Fristensachen verlangt zuverlässige Vorkehrungen, um den rechtzeitigen Ausgang fristwahrender Schriftsätze sicherzustellen. Zu den Aufgaben des Rechtsanwalts gehört es deshalb, durch entsprechende Organisation seines Büros dafür zu sorgen, dass die Fristen ordnungsgemäß eingetragen und beachtet werden. Der Anwalt hat sein Möglichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Eintragung und Behandlung von Fristen auszuschließen (BGH 13.07.2010 - VI ZB 1/10 - MDR 2010, 1142 m. w. N.; LAG S-H 25.10.2010 - 6 Sa 301/10 - zitiert nach JURIS).

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b) Prozessbevollmächtigte müssen zudem in ihrem Büro eine Ausgangskontrolle schaffen, durch die zuverlässig gewährleistet wird, dass die im Fristenkalender vermerkten Fristen erst dann gestrichen werden, wenn die Maßnahme tatsächlich durchgeführt ist (ständige Rspr., BGH vom 26.02.2015 - III ZB 55/14; BGH vom 06.04. 2016 - VII ZB 7/15). Es muss sichergestellt sein, dass keine versehentlichen Eintragungen oder Löschungen erfolgen (BAG vom 03.07.2019 - 8 AZN 233/19 - Rz. 9; BGH 14.03.1996 - III ZB 13/96 -; 10.07.1997 - IX ZB 57/97 -; 02.03.2000 - V ZB 1/00 - zitiert nach Juris).

14

Zu einer Ausgangskontrolle gehört auch eine Anordnung des Rechtsanwalts, durch die gewährleistet wird, dass die Erledigung der fristgebundenen Sache am Ende eines Arbeitstages an Hand des Fristenkalenders von einer damit beauftragten Bürokraft nochmals selbständig geprüft wird (BAG vom 03.07.2019 - 8 AZN 233/19 - Rz. 9; BAG vom 25.05.2016, 5 AZR 614/15 - Rz 22; BGH vom 09.12.2014 - VI ZB 42/13). Unverzichtbar sind eindeutige Anweisungen und die zumindest stichprobenartige Kontrolle des Personals (BGH NJW-RR 2001,1072).

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c) Der Kläger hat durch seinen Prozessbevollmächtigten zwar dargelegt und glaubhaft gemacht, dass in seinem Büro ein Fristenkalender geführt wird. Zu seinen Gunsten kann auch unterstellt werden, dass die handelnde Büroangestellte zuverlässig ist und dass der Ablauf der Berufungsbegründungsfrist (08.10.2019) zunächst zutreffend notiert worden ist. Nicht dargelegt und glaubhaft gemacht ist aber, wodurch sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers vor einer irrtümlichen Löschung der korrekt eingetragenen Berufungsbegründungsfrist geschützt hat. Dazu hätte es Vortrags bedurft.

16

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat nicht dargelegt, welche Sicherungen er im vorliegenden Fall gegen ein versehentliches Streichen von Fristen vor Erledigung der Fristsache getroffen hat. Entsprechender Vortrag zu den insoweit erteilten Anweisungen, getroffenen organisatorischen Vorkehrungen und ergriffenen Kontrollmaßnahmen, der zum Kern der Glaubhaftmachung des Wiedereinsetzungsgrundes gehört hätte, fehlt. Der Hinweis des Prozessbevollmächtigten auf übliches und von ihm gewolltes eigenverantwortliches Arbeiten seiner Bürokraft ist nicht geeignet, ihn von seiner Organisationsverantwortung zu entbinden.

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Der Umstand, dass es sich hier um eines von vielen Parallelverfahren handelt, ändert nichts an den den Prozessbevollmächtigten des Klägers treffenden Organisationspflichten. Denn gerade in Massensachen trifft den Bevollmächtigten - wegen der gefahrgeneigten routineartigen Tätigkeit vor allem für seine Beschäftigten - eine besondere Organisationspflicht, die das Kontrollieren von Fehlern ermöglicht (BAG vom 03.07.2019 - 8 AZN 233/19 - Rz. 10). Eine Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist kommt deshalb nicht in Betracht.

18

d) Es kommt daher nicht mehr darauf an, wann und warum sich die Akte im Diktatstapel befunden hat. Es kommt auch nicht mehr darauf an, dass keine eidesstattliche Versicherung der Bürokraft zum Ablauf des konkreten Arbeitstages vorgelegt wurde. Auch ist es unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen nicht - mehr - entscheidungserheblich, ob der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Berufungsbegründung fristgemäß oder verspätet nachgereicht hat. Es wurde keine organisatorische Vorsorge getroffen, um ein vorzeitiges irrtümliches Löschen einer Frist zu verhindern. Bereits die Möglichkeit eines Organisationsverschuldens schließt aber die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (BGH 06.11.2001, a. a. O.).

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3. Im Ergebnis ist daher die Berufung nach § 66 Abs. 1 ArbGG i. V. m. § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann nach § 522 Abs. 1 Satz 1 ZPO durch Beschluss ergehen. Nach § 66 Abs. 2 Satz 2 ArbGG erfolgt die Verwerfung der Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss des/der Vorsitzenden. Die Alleinentscheidungsbefugnis des/der Vorsitzenden zur Verwerfung der Berufung ohne mündliche Verhandlung nach § 66 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 ArbGG in der seit dem 01.04.2008 geltenden Fassung umfasst auch die Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Berufung (BAG vom 05.10.2010 - 5 AZB 10/10 - Rz. 4).

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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

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Gegen diesen Beschluss ist kein Rechtsmittel gegeben. Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde besteht kein gesetzlich begründeter Anlass, §§ 77 Satz 2, 72 Abs. 2 ArbGG.


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