Beschluss vom Landgericht Aachen - 33a StVK 480/21
Tenor
Der Bescheid der Antragsgegnerin vom 00.00.0000 aufgrund der Vollzugsplankonferenz vom 00.00.0000 wird betreffend die Ablehnung der Verlegung in den offenen Vollzug und vollzugsöffnender Maßnahmen aufgehoben und die Antragsgegnerin verpflichtet, den Antragsteller unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Dem Antragsteller wird unter Beiordnung von Rechtsanwalt M, M-straße 1, 00000 V, Prozesskostenhilfe gewährt.
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Antragstellers trägt die Staatskasse.
Der Streitwert wird auf bis zu 500 € festgesetzt.
1
Gründe:
2I.
31.
4Der Antragsteller verbüßt gegenwärtig in der JVA A eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten u. a. wegen in drei tateinheitlichen Fällen verwirklichten versuchten Mordes, versuchter Brandstiftung mit Todesfolge und gefährlicher Körperverletzung. Den Feststellungen der erkennenden Strafkammer des Landgerichts Aachen zufolge setzte der Antragsteller im August 0000 ein Mehrfamilienhaus, in welchem er eine Erdgeschosswohnung bewohnte und in dem sich zur Tatzeit die Opfer G, C und M befanden, in Brand. Die Beziehung zu seinen Vermietern, den Zeugen C, hatte sich ab Mitte 0000 zunehmend verschlechtert. Der Antragsteller war den Mietforderungen nicht mehr nachgekommen und hatte entliehene Gegenstände nicht zurückgebracht. Ferner verwahrloste seine Wohnung zunehmend, nachdem er im Mai 0000 erneut mit dem Konsum von Betäubungsmitteln begonnen hatte. Die Vermieter hatten ihn daraufhin im August 0000 zur Zahlung aufgefordert, gleichzeitig die Kündigung des Mietverhältnisses ausgesprochen und den Antragsteller zur Räumung der Wohnung aufgefordert. Aufgrund dieser Umstände sowie dem Verdacht des Antragstellers, dass Herr C ihm am Tattag den Strom in seiner Wohnung abgestellt hätte, setzte er das Mehrfamilienhaus in Brand.
5Zweidrittel der verhängten Strafe werden am 00.00.0000 verbüßt sein. Das Strafende datiert auf den 00.00.0000.
6Der Antragsteller ist Erstinhaftierter, aber bereits vor der Anlasstat wiederholt strafrechtlich in Erscheinung getreten (11 Eintragungen im BZR vom 00.00.0000); so wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln, Erschleichen von Leistungen, Unterschlagung, Betrug, Entziehung elektrischer Energie, vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubs und übler Nachrede in Bezug auf einen Jugendamtsmitarbeiter, welchem er mangelnde Anhörung und nicht gewissenhafte Arbeit vorgeworfen hatte.
7Nach der Einweisung in der JVA G – wobei eine Sozialtherapie auch in der Einweisungsentscheidung indiziert wurde - verbrachte der Antragsteller drei Wochen in der Sozialtherapie G brach diese auf eigenen Wunsch ab – auch weil er Kontakt mit Sexualtätern ablehnte. Ebenfalls stimmte er bei der Einweisung einer heimatfernen Anstalt wie auch einem Ausbildungsangebot in der JVA Gl zu. 0000 verzichtete der Antragsteller allerdings auf die Verlegung in die JVA Gl und hat die Ausbildung nicht angetreten. Er möchte nun heimatnah in die JVA E verlegt werden und dort eine Ausbildung im Bereich Elektroniker oder Programmierer absolvieren.
8In der Anstalt der Antragsgegnerin ist er seit dem 00.00.0000 und dort aktuell auf einer geschlossenen Abteilung im Haus 4 in einem Einzelhaftraum untergebracht. Er nutzt regelmäßig die Freistunde, kocht in der Abteilungsküche und macht Umschluss im Freizeitraum. Er nimmt an Freizeitgruppen teil, nimmt dort auch leitende Funktion ein und engagiert sich in der GMV. Er ist im Verhalten in der Anstalt ruhig, freundlich, höflich und nicht aggressiv. Seine ihm zugewiesene Arbeit in der Schreinerei führt er unbeanstandet und „zur vollsten Zufriedenheit“ aus. In der Zusammenarbeit mit der Antragsgegnerin bemängelt diese fehlende Absprachefähigkeit, Kooperationsbereitschaft und Planungsunsicherheit.
92.
10[………]
113.
12[………]
134.
14Während der Untersuchungshaft verweigerte der Antragsteller die Abgabe von Drogenscreenings im August und November 0000 – in beiden Fällen wegen vorherigen Konsums von Betäubungsmitteln. 0000 wurde bei dem Antragsteller ein Mobiltelefon aufgefunden.
15Im Mai 0000 soll in einem Schreiben, adressiert an den Antragsteller, 14,31g Haschisch und 0,36g Kokain gefunden worden sein, was der Antragsteller anzweifelt. Gegen den Antragsteller wurden in dem Zusammenhang keine Maßnahmen ergriffen, aber eine Strafanzeige durch die Antragsgegnerin gestellt, wobei unbekannt geblieben ist gegen wen sich die Anzeige richtete und was aus dem Verfahren geworden ist.
16Bis zum 00.00.0000 war der Antragsteller in der Schreinerei tätig und nach einer positiven Urinkontrolle erst wieder fortlaufend wieder ab dem 00.00.0000. Am 00.00.0000 wurde im Nachgang zu einem unter dem 00.00.0000 zum Nachweis der Drogenabstinenz bei dem Antragsteller durchgeführten Drogenscreening (Kapillartest) der Wirkstoff Buprenorphin mit einem KP-Wert von 0,7 ng/ml festgestellt, der sich nicht auf die Einnahme verordneter Medikamente zurückführen ließ. Gegen den Antragsteller wurden diesbezüglich von der Antragsgegnerin Disziplinarmaßnahmen - namentlich eine einwöchige Freizeit-/Sport- und Umschlusssperre deren Vollstreckung zur zweimonatigen Bewährung ausgesetzt wurde - sowie Sicherungsmaßnahmen - namentlich „häufigere Durchsuchung des Inhaftierten, seiner Sachen und seines Haftraums min. 2x wöchentlich", "Keine Teilnahme an Freizeitveranstaltungen aller Art, ausgenommen Sport", "Keine Teilnahme an Großveranstaltungen aller Art", "Umschluss nur mit Genehmigung des Bereichsleiters" sowie "Verbot der gemeinschaftlichen Nutzung von Küchen und Freizeiträumen“ - verhängt. Der Antragsteller bestritt den Konsum und trat für eine Woche in einen Hungerstreik. Hiergegen wurden die Verfahren 33a StVK 1380/20 (Hauptsacheverfahren) und 33a StVK 1197/20 (Eilverfahren) geführt. Das Hauptsacheverfahren 33a StVK 1380/20 wurde inzwischen von der Kammer mit Beschluss vom 21.07.2021 dahingehend entschieden, dass die in dem Zusammenhang verhängten Sicherungs- und Disziplinarmaßnahmen rechtmäßig waren. Es führte hierzu – soweit von Interesse – aus:
17„bb.
18Es steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass das beim Antragsteller positiv festgestellte Burprenorphin mit einem KP-Wert von 0,7 ng/ml vom Konsum durch den Antragsteller stammt und die Probe nicht verunreinigt war. Eine falsch positive Probe liegt nicht vor. […]“
19Im Zusammenhang hierzu steht auch die Verlegung des Antragstellers vom bisherigen Hafthaus 3 in Nummer 4 am 00.00.0000. Der Antrag auf einstweilige Verfügung durch den Antragsteller wurde mit Beschluss der Kammer vom 00.00.0000 im Verfahren 33a StVK 1241/20 zurückgewiesen. Nach dem positiven Drogenscreening verliefen 6 weitere erst einmal negativ.
20Am 00.00.0000 wurden im Haftraum des Antragstellers mehrere Tabletten seiner Abendmedikation und eine selbstgebaute Sprühflasche gefunden. Gegen ihn wurde ein Verweis ausgesprochen. Diesbezüglich läuft noch das Verfahren 33a StVK 434/21, welches noch nicht beendet wird, bei dem aber der Abschluss eines verfahrensendenden Vergleichs in Aussicht steht, nachdem die Antragsgegnerin bereits zugesichert hatte den Vorfall nicht gegen den Antragsteller weiter zu verwenden.
21Soweit hier von Interesse (ist nicht Teil der Begründung in der Konferenzniederschrift, aber die Antragsgegnerin hat sich nachträglich auch noch hierauf bezogen) wurde am 00.00.0000 wurde im Nachgang zu einem unter dem 00.00.0000 zum Nachweis der Drogenabstinenz bei dem Antragsteller durchgeführten Drogenscreening (Kapillartest) der Wirkstoff Cannabis mit einem KP-Wert von 8 ng/ml festgestellt, der sich nicht auf die Einnahme verordneter Medikamente zurückführen ließ. Gegen die von der Antragsgegnerin verhängten Sicherungsmaßnahmen - häufigere Durchsuchung des Inhaftierten, seiner Sachen und seines Haftraumes, mindestens 2 x wöchentlich, keine Teilnahme an Freizeitveranstaltungen aller Art, Sport ausgenommen, keine Teilnahme an Großveranstaltungen aller Art, Umschluss nur mit Zustimmung des Bereichsleiters und Verbot der gemeinschaftlichen Nutzung von Küchen- und Freizeiträumen – sowie Disziplinarmaßnahmen – namentlich zweiwöchige Freizeit-/ und Umschlusssperre - hat der Antragsteller das Eilverfahren 33a StVK 503/21 geführt, zu dem die Kammer mit Beschluss vom 00.00.0000 den Außervollzugssetzungsantrag zurückgewiesen hat. Im Hauptsacheverfahren 33a StVK 504/21 hat die Kammer mit Beschluss vom 00.00.0000 die verhängten Disziplinar- und Sicherungsmaßnahmen für rechtmäßig erachtet. Die Kammer hat in dem Beschluss – soweit von Interesse – wie folgt ausgeführt:
22„[…] Unter Berücksichtigung dessen steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass das positiv im Blut des Antragstellers aufgefundene Cannabis mit einem KP-Wert von 8 ng/ml aus einem vorsätzlichen Konsum stammt. Dass der Antragsteller zu einem unbekannt gebliebenen Zeitpunkt zuvor Cannabis konsumierte, folgt vorliegend in fundierter Weise aus dem fachärztlichen Befundbericht des Labors Dr. Wisplinghoff vom 00.00.0000 (Bl. 12 d.A.), welcher eine Kapillarkonzentration des Wirkstoffs "Cannabis" von 8 ng/ml feststellte. Nach den Angaben des Befundberichts ist hierzu das wissenschaftlich anerkannte und standardisierte LCMS-Verfahren zur Anwendung gelangt. Nach der von der Antragsgegnerin mit ihrer Stellungnahme vom 07.06.2021 eingeführten Erörterung der Wertgrenzen durch einen Mitarbeiter dieses Labors aus einem anderen Verfahren vor der hiesigen Strafvollstreckungskammer (Seite 6 der Stellungnahme, Bl. 10 d.A. – betreffend 33i StVK 1169/19 - Walim) liegt für Cannabis ein Nachweis für den aktiven Konsum von Cannabis bei diesem Verfahren anhand einer Kapillarprobe bei einem Wert zwischen 2,5 und 5,0 ng/ml vor, der vorliegend deutlich überschritten wurde. Nach der von der Antragsgegnerin eingeführten und unbestrittenen Stellungnahme des Labormitarbeiters (betreffend 33i StVK 1169/19 – Walim) handelt es sich bei den Werten aus dem LCMS-Verfahren bereits um das Ergebnis einer Metabolitenbetrachtung, weshalb davon auszugehen ist, dass der Konsum, der am 00.00.0000 eine Konzentration von 8 ng/ml bewirkt hat, bereits im weiteren Vorfeld des Drogenscreenings selbst gelegen hat. Dies umso mehr, als nach der Stellungnahme bei einer zeitnahen Kontrolle nach Konsum eines Joints in Abhängigkeit wenigstens eine Konzentration von 35 ng/ml zu erwarten sei. Handelt es sich danach bei dem am 00.00.0000 gemessenen Wert bereits um ein Stoffwechselabbauprodukt, ist dieses bei Eingang des Laborbefundes am 00.00.0000 bereits erkennbar weiter verstoffwechselt worden, was sich auch auf etwaige Metaboliten im Rahmen einer Urinkontrolle auswirken würde […].“
235.
24[……..]
256.
26Die Antragsgegnerin leitete nach Antrag des Antragstellers vom 00.00.0000 eine Prüfung der Verlegung in den offenen Vollzug als auch die Gewährung vollzugsöffnender Maßnahmen ein, die mit Bescheid vom 00.00.0000 zur Konferenz vom 00.00.0000, dem Antragsteller am 00.00.0000 zugegangen, abgelehnt wurden. In dem Bescheid wurde hinsichtlich der Begründung auf die Ergebnisniederschrift der Vollzugsplankonferenz vom 00.00.0000 Bezug genommen. In dieser hat die Antragsgegnerin eine Missbrauchsgefahr positiv bejaht und die Prognose bezüglich einer Fluchtgefahr offengelassen – entsprechend aber wegen der positiv festgestellten Missbrauchsgefahr die Verlegung in den offenen Vollzug und die Gewährung vollzugsöffnender Maßnahmen zurückgewiesen. Für den Inhalt der Konferenzniederschrift wird Bezug genommen.
277.
28Der Antragsteller meint, eine Bejahung von Flucht- oder Missbrauchsgefahr seien nicht gegeben und es sei nicht nachvollziehbar, wie die Antragsgegnerin hierauf komme.
29Es sei unzulässig mit Aspekten der Schuld bezüglich des Anlassdelikts zu argumentieren. Er bagatellisiere das Anlassdelikt auch nicht, was in seinem Schreiben an Frau Kü vom 00.00.0000 deutlich werde. Die Antragsgegnerin beziehe sich auch auf zum Teil streitige Regelverstöße.
30Woher die Annahme einer unbehandelten Persönlichkeitsstörung stamme, werde nicht genannt; auch nicht, weshalb eine Heilung der Persönlichkeitsmerkmale und der Suchtmittelproblematik nicht möglich seien. Er habe Bedenken hinsichtlich Persönlichkeitsauffälligkeiten ausgeräumt und es bestünden keine Hinweise auf eine dissoziale oder emotional-instabile Persönlichkeitsstörung. Das Prognoseverfahren der Psychologin sei ebenfalls nicht nachvollziehbar. Das VRAG-R Verfahren lasse dynamische Faktoren unberücksichtigt; außerdem entspreche die Annahme einer mittelgradigen Psychopathie nicht dem Ergebnis des PLC-R Tests; es würden außerdem nähere Angaben zum LSI-R Test fehlen.
31Der Vortrag der Antragsgegnerin sei widersprüchlich, in dem sie sein ruhiges, freundliches und unauffälliges Verhalten aufführe, aber ihm zum anderen mangelnde Absprachefähigkeit und Kooperationsbereitschaft unterstelle. Sein positives Arbeitszeugnis sei nicht ausreichend gewürdigt worden.
32Auch würde er die Therapie nicht für familienrechtliche Interessen instrumentalisieren, sondern nach dem Schreiben von Herrn Do sollte diese lediglich dazu dienen therapeutische Gespräche zur Kontaktanbahnung mit den Kindern zu führen. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb er unerlaubten Kontakt zu den Kindern aufnehmen könnte. Er möchte einen offenen Vollzug nutzen um einen Ausbildungsplatz zu finden und Sozialkontakte zu erhalten, die nicht nur aus Partnerin und einem Freund bestehen würden; hiervon habe er auch der Psychologin berichtet. Die Annahme einer Fluchtgefahr sei widersprüchlich, da Sozialkontakte durchaus bestehen würden.
33Auch sei der Vortrag der Antragsgegnerin widersprüchlich, soweit sie erst seine positive Entwicklung und Bereitschaft von Behandlungen herausarbeitet, aber zugleich annimmt, dass er in alte Verhaltensmuster falle. So habe er Gespräche mit der Seelsorge gehabt. Nach dem Vollzugsplan habe auch keine Sozialtherapie gemacht werden sollen.
34Einen von der Antragsgegnerin angeführten Vorfall mit der Medikation im Sommer 0000 habe es nicht gegeben und er zieht in Zweifel, dass es eine an ihn gerichtete Postsendung mit verbotenen Substanzen überhaupt gegeben habe.
35Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb eine Erprobung ausscheide, insbesondere die Antragsgegnerin durch Weisungen einer Gefahr entgegentreten könne. Ein begleiteter Ausgang oder Ausführungen seien möglich.
368.
37Der Antragsteller beantragt,
381. die Aufhebung der Ablehnung bezüglich Verlegung in den offenen Vollzug/vollzugsöffnende Maßnahmen vom 00.00.0000, schriftlich erhalten am 00.00.0000
392. die Antragsgegnerin zu verpflichten den Antragsteller hinsichtlich vollzugsöffnender Maßnahmen und Verlegung in den offenen Vollzug nach Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
403. die Gewährung von Prozesskostenhilfe, sowie die Beiordnung des Rechtsanwalts M, M-str. 1, 00000 V als Verteidiger.
41Die Antragsgegnerin beantragt,
42den Antrag zurückzuweisen.
439.
44Die Antragsgegnerin meint, ihre Prognose sei nach Abwägung aller für und wider den Antragsteller sprechenden Umstände zutreffend. So setze der Antragsteller die ihm vermittelten Inhalte auf der „Handlungsebene“ nur unzureichend um und habe noch Probleme bei der Problem- und Konfliktlösung (so z. B. seine feindliche Haltung gegen den Vollzug; Hungerstreik, brüstet sich mit seinen juristischen Auseinandersetzungen; Weitergabe falscher Informationen). Er falle auch im Zusammenhang mit Betäubungsmitteln und Regelverstößen weiterhin auf (so die Vorfälle vom Oktober 0000 bezüglich des positiven Drogenscreenings, verweigerte Drogenscreenings im Jahr 0000 mit eingeräumtem Drogenkonsum, diverse erfolglose Therapieversuche vor der Inhaftierung; Vorfall Ende Februar 0000 mit Fund der Sprühkopfflasche und Medikamenten). Entsprechend sei fraglich, wie er die Betäubungmittelabhängigkeit hinreichend bearbeitet habe. Bezüglich des Anlassdelikts meint die Antragsgegnerin, dass er dies noch „bagatellisiere“.
45Seine Absprachefähigkeit und Kooperationsbereitschaft seien ungenügend und führe zu Planungsunsicherheit (so der Abbruch und weitere fehlende Teilnahme an der Sozialtherapie, Absage der vermittelten Ausbildungsmaßnahme, Differenzen zwischen heimatnaher und heimatferner Anstalt; Verzicht auf Verlegung in JVA Gl).
46Es bestehe auch vielfältiges Konfliktpotential im Rahmen des offenen Vollzugs (so der Kontakt mit den Kindern und der Kindsmutter, sowie dem vorbelasteten Verhältnis zum Jugendamt), was wegen der unzureichenden Problem- und Konfliktlösungsmechanismen möglicherweise mit Straftaten einhergehe.
47Die vom Antragsteller angestrebte Ausbildung im Bereich Elektroniker und Programmierer könne missbräuchlich für Straftaten benutzt werden und wegen der bereits nicht angetretenen Ausbildungsmaßnahme in der JVA Gl zweifele sie auch an der Ernsthaftigkeit des Ausbildungswunsches.
4810.
49Für den weiteren Sach- und Streitstand wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen. Insbesondere wegen des übrigen Lebenslaufes und Vollzugsverlauf des Antragstellers wird auf den Sachbericht der Konferenzniederschrift vom 00.00.0000 Bezug genommen, soweit der Antragsteller diesen nicht im Einzelnen – wie oben dargestellt - bestritten hat.
50II.
51Die Verpflichtungsklage ist zulässig und begründet.
52Die Antragsgegnerin hat die Verlegung des Antragstellers in den offenen Vollzug nach § 12 Abs. 1 S. 2 StVollzG NRW und die Gewährung von vollzugsöffnenden Maßnahmen nach § 53 Abs. 1 S. 1 StVollzG nicht mit ermessensfehlerfreier Begründung abgelehnt. Denn ihre positive Feststellung, es liege Missbrauchsgefahr vor, ist im Rahmen der nur beschränkt zulässigen gerichtlichen Überprüfung der diesbezüglichen Ermessensentscheidung zu beanstanden.
531.
54Folgendes ist zu beachten:
55a.
56Nach § 12 Abs. 1 S. 2 StVollzG NRW sollen Gefangene mit ihrer Zustimmung in einer Anstalt oder einer Abteilung des offenen Vollzuges untergebracht werden, wenn dies verantwortet werden kann, sie namentlich den besonderen Anforderungen des offenen Vollzuges genügen und nicht zu befürchten ist, dass sie sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die besonderen Verhältnisse des offenen Vollzuges zur Begehung von Straftaten missbrauchen werden. Da das Leben im offenen Vollzug den allgemeinen Lebensverhältnissen in großem Umfang angeglichen werden kann, sind besondere Anforderungen an die Gefangenen zu stellen. Dabei war bereits im Geltungsbereich von § 10 Abs. 1 StVollzG Bund anerkannt, dass der Begriff der Eignung, der auch in der jetzigen Gesetzesfassung in NRW in der Voraussetzung enthalten ist, der jeweilige Gefangene müsse den besonderen Anforderungen des offenen Vollzuges genügen, über das bloße Fehlen einer Flucht- und Missbrauchsgefahr hinausgeht. Vielmehr geht es dabei auch um die besonderen persönlichen Eigenschaften und Fähigkeiten des Gefangenen. Durch Freigang, Ausgang und häufige Beurlaubungen verfügen Gefangene im offenen Vollzug oftmals über die Möglichkeit, sich tagsüber in Freiheit aufzuhalten, müssen aber immer wieder zurückkehren. Es ist deshalb notwendig, dass Gefangen die Bereitschaft und Fähigkeit zur freiwilligen Einordnung mitbringen und willens sind, sich in ein System einbeziehen zu lassen, das auf Selbstdisziplin und Verantwortungsbewusstsein des Gefangenen beruht (vgl. BT-Drucks. 7/918, 51). Da im offenen Vollzug weniger Aufsicht geübt wird und wegen der größeren Ausweichmöglichkeiten Hafträume oftmals mehrfach belegt werden, müssen die Gefangenen auch ein Mindestmaß an Gemeinschaftsfähigkeit und Verträglichkeit mitbringen. Sie müssen zu einer Lebensführung in sozialer Verantwortung auch unter der geringeren Aufsichtsintensität im offenen Vollzug gewillt und fähig sein, ebenso wie sich in die soziale Gemeinschaft des offenen Vollzuges einzugliedern (vgl. LT Drucksache 16/13470, S. 254). Dies ist bei den Gefangenen regelmäßig nicht der Fall, bei denen zu befürchten ist, dass sie einen negativen Einfluss ausüben, insbesondere die Erreichung des Vollzugszieles bei anderen Gefangenen gefährden würden. Als Kriterien, die bei der Frage, ob ein Gefangener den besonderen Anforderungen des offenen Vollzugs genügt, zu prüfen sind, werden folgende Punkte genannt (Lindner in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, Strafvollzugsgesetz, 7. Aufl. 2020, 10. Kapitel Vollzugsöffnende Maßnahmen, A. II. Rn. 10 m. w. N.; LT Drucksache 16/13470, S. 254):
57- 58
die charakterliche Bereitschaft und Fähigkeit zu korrekter Führung unter geringerer Beaufsichtigung als im geschlossenen Vollzug
- 60
die Aufgeschlossenheit gegenüber den Behandlungskonzepten und -angeboten des Vollzuges sowie die Mitwirkung hieran
- 62
die Bereitschaft zur uneingeschränkten und loyalen Mitarbeit wie auch Durchhaltevermögen bei einer zugewiesenen Arbeit oder einer Ausbildungsmaßnahme; dabei führt jedoch die fehlende Mitarbeitsbereitschaft für sich noch nicht zur Ungeeignetheit eines Gefangenen für den offenen Vollzug (vgl. Lindner, in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, a. a. O)
- 64
die Bereitschaft und Fähigkeit zur Einordnung in eine Gemeinschaft des offenen Vollzuges sowie die Rücksichtnahme auf Mitbewohner
- 66
die Bereitschaft und Fähigkeit zur Umsetzung des Erlernten
Zudem darf an die Fähigkeiten des Gefangenen kein allzu strenger Maßstab angelegt werden, da bei der Entscheidung über die Eignungsfrage auch zu prüfen ist, inwieweit die Unterbringung des Gefangenen im offenen Vollzug sein Verhalten positiv beeinflussen und damit bewirken kann, dass er den besonderen Anforderungen des offenen Vollzuges im vollen Umfang genügen wird. So können die oben genannten Fähigkeiten mitunter erst unter den Bedingungen des offenen Vollzuges vertieft und gefestigt werden können.
68Nach § 12 Abs. 2 StVollzG NRW soll insbesondere zur Entlassungsvorbereitung eine frühzeitige Verlegung in den offenen Strafvollzug erfolgen, wobei hier etwaige Missbrauchsgefahren mit den Risiken einer unerprobten Entlassung abzuwägen sind. Nach § 12 Abs. 3 StVollzG sind die tragenden Gründe, die gegen eine Verlegung in den offenen Vollzug streiten, zu dokumentieren, und den Gefangenen sind die noch zu erfüllenden Voraussetzungen in verständlicher Form zu vermitteln. Mit dieser Regelung verzichtet der Landesgesetzgeber auf die frühere Festlegung des offenen Vollzuges als Regelvollzugsform, will gleichwohl aber gewährleisten, dass die Möglichkeiten einer Unterbringung im offenen Vollzug in der Praxis auch tatsächlich wahrgenommen und ausgeschöpft werden, was namentlich durch die erhöhten Anforderungen an die Begründung und Dokumentation ablehnender Entscheidungen sichergestellt sein soll. Bei der Entscheidung über die Unterbringungsform soll etwa berücksichtigt werden, ob der jeweilige Gefangene zu korrekter Führung auch unter der geringeren Aufsichtsintensität im offenen Vollzug fähig ist, wobei den prognostischen Risiken mit einer besonders gründlichen und nachvollziehbar dokumentierten Prüfung Rechnung getragen werden muss. Wegen der besonderen Bedeutung des offenen Vollzuges für die Eingliederung des Gefangenen ist in allen Fällen die Entlassung über den offenen Vollzug anzustreben und die Entlassung aus dem geschlossenen Vollzug soll mit einer aussagekräftigen Begründung die Ausnahme bleiben (vgl. LT-Drucksache 16/5413, S. 94 f.).
69Nach der Vorschrift des § 53 Abs. 1 S. 1 StVollzG NRW können mit Zustimmung des Gefangenen vollzugsöffnende Maßnahmen gewährt werden, wenn verantwortet werden kann zu erproben, dass die Gefangenen sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe nicht entziehen oder die vollzugsöffnenden Maßnahmen nicht zur Begehung von Straftaten missbrauchen werden. Hierzu hat die Vollzugsbehörde ebenfalls eine Prognoseentscheidung zu treffen – wobei an die vollzugsöffnenden Maßnahmen ein noch geringerer Maßstab anzuwenden ist, als bei der Verlegung in den offenen Vollzug. Bei der Entscheidung über die Gewährung der vollzugsöffnenden Maßnahmen sind die Belange der Gefangenen mit den Schutzinteressen der Allgemeinheit abzuwägen, insbesondere sind die Persönlichkeit der Gefangenen, ihr Vollzugsverhalten, die Vollzugsdauer und die Art der Maßnahme zu berücksichtigen.
70b.
71Bei den anhand dieser Kriterien zu treffenden Entscheidungen, insbesondere bei der Ausfüllung der unbestimmten Rechtsbegriffe der „Flucht- und Missbrauchsgefahr“, steht der Vollzugsbehörde ein Beurteilungsspielraum zu, welcher nur eingeschränkt der gerichtlichen Nachprüfung zugänglich ist und in hohem Maße von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls geprägt wird (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 29.09.2015, III-1 Vollz 411/15, Rn. 18; Arloth/Krä, Strafvollzugsgesetze, 4. Auflage 2017, § 10 StVollzG Bund, Rn. 7). Eine Missbrauchs- bzw. Fluchtgefahr, die zur Ablehnung der Verlegung in den offenen Vollzug herangezogen wird, muss positiv festgestellt werden, wohingegen der Umstand, dass diese lediglich nicht ausgeschlossen werden kann, nicht ausreichend ist (vgl. OLG Hamm, a. a. O., Rn. 23; OLG Hamm, Beschluss vom 04.11.2014 – III-1 Vollz (Ws) 475/14 –, juris). Damit werden insgesamt die schon bisher bestehenden Grundsätze für die Ablehnung von Lockerungsentscheidungen bestätigt, wonach die Annahme einer Flucht- oder Missbrauchsgefahr einer hinreichend substantiierten Begründung bedarf. Die Vollzugsbehörde darf es in diesen Fällen nicht bei bloßen pauschalen Wertungen oder bei dem abstrakten Hinweis auf eine Flucht- und Missbrauchsgefahr im Sinne des hier maßgeblichen § 12 Abs. 1 StVollzG NRW bzw. § 53 Abs. 1 S. 1 StVollzG NRW bewenden lassen; sie hat vielmehr im Rahmen einer Gesamtwürdigung nähere Anhaltspunkte darzulegen, welche geeignet sind, die Prognose einer Flucht- oder Missbrauchsgefahr in der Person des Gefangenen zu konkretisieren (zum Ganzen BVerfG, Beschluss vom 05.08.2010 – 2 BvR 729/08; BVerfG, Beschluss vom 12.11.1997 – 2 BvR 615/97; KG, Beschluss vom 22.08.2011 – 2 Ws 258/11 Vollz; OLG Hamm, Beschluss vom 19.02.2008 – 1 Vollz (Ws) 904/07; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 02.10.2007 – 1 Ws 64/07; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 13.02.2004 – 1 Ws 165/03).
72c.
73Auch im Rahmen einer eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung unterliegt eine solche Entscheidung der Vollzugsbehörde wie bei einer Ermessensentscheidung nach § 115 Abs. 5 StVollzG der gerichtlichen Kontrolle daraufhin, ob diese bei ihrer Entscheidung von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, ob sie ihrer Entscheidung den richtigen Begriff des Versagungsgrundes zugrunde gelegt hat und ob sie dabei die Grenzen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums eingehalten hat (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 29.09.2015, III-1 Vollz 411/15, Rn. 18.). Deshalb sind auch solche Entscheidungen fehlerhaft, bei denen die Vollzugsbehörde nicht alle ihre bekannten Tatsachen berücksichtigt oder wesentliche Umstände nicht gewürdigt hat. Letzteres ist wiederum dann der Fall, wenn die angegriffene Entscheidung die gesetzlich gebotene Abwägung aller relevanten Umstände vermissen lässt und einseitig auf einige wenige Umstände gestützt wird. Dies gilt vor allem für den Umfang und den Inhalt der Begründungspflicht für die Ablehnung einer Verlegung in den offenen Strafvollzug. Im Hinblick auf das Vorliegen einer Missbrauchs- oder Fluchtgefahr müssen hier auf den Einzelfall bezogene konkrete und nachvollziehbare Anhaltspunkte dargetan und die Kriterien des Beurteilungsspielraums offengelegt werden (zum Ganzen Arloth, a. a. O., § 115 StVollzG Bund, Rn. 15 m. w. N., § 10 Rn. 7; OLG Nürnberg, Beschluss vom 29.08.1997 – Ws 792/97; OLG Hamm, Beschluss vom 22.08.1996 – 1 Vollz (Ws) 83/96).
742.
75Gemessen an diesen Grundsätzen hält der angefochtene Bescheid in seiner Begründung bezüglich der Verlegung in den offenen Vollzug gerichtlicher Überprüfung nicht stand.
76a.
77[…….]
78b.
79Weiter ist zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin hinsichtlich der Vorfälle mit Disziplinarcharakter – auch solche mit strafrechtlich relevantem Charakter - (Oktober 0000 – Buprenorphin; Februar 0000 – Sprühflasche & Medikamentenfund; Fund von Betäubungsmitteln in an den Antragsteller gerichteten Schreiben im Mai 0000 mit erfolgter Strafanzeige aber ohne disziplinarische Ahndung) die für den Antragsteller streitende Unschuldsvermutung nicht ausreichend gewürdigt hat, da zu dem Zeitpunkt der Behördenentscheidung die gerichtlichen Verfahren vor der Kammer diesbezüglich noch nicht abgeschlossen waren und eine Rechtskraft noch nicht eingetreten war. Im Einzelnen:
80aa.
81Bei disziplinarischen Vorfällen – wie auch im Strafprozess – gelten wegen der Ähnlichkeit der Sanktionen im Disziplinarverfahren im Strafvollzug zum einen der Grundsatz sich nicht selbst bezichtigen zu müssen (nemo tenetur, se ipsum accusare) und zum anderen die Unschuldsvermutung, soweit disziplinarrechtlich zu sanktionierendes Verhalten auch strafrechtlichen Charakter hat (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 02. März 2004 – 3 Vollz (Ws) 128/03 –, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 17.07.2012 - III-1 Vollz (Ws) 323/12 = NStZ 2013, 174). Bei der Unschuldsvermutung darf niemand einer Straftat schuldig bezichtigt oder behandelt werden, bevor seine Schuld gerichtlich festgestellt wird (vgl. BeckOK StPO/Valerius, 39. Ed. 1.1.2021, EMRK Art. 6 Rn. 32). Dies gilt nicht nur für Straftaten, sondern auch Ordnungswidrigkeiten. Die Rechtsprechung bezüglich des Strafvollzugs hatte sich bisher in Bezug hierauf mit der Frage von Verwertbarkeit positiver Urinkontrollen im Rahmen eines Disziplinarverfahrens wegen des Konsums unerlaubter Drogen beschäftigt. Hierbei hatte das OLG Hamburg herausgestellt, dass der Grundsatz sich nicht selbst bezichtigen zu müssen auch dort gelte, aber dies einer Verwertbarkeit positiver Proben nicht entgegenstehe. In einem anderen Fall hat das OLG Hamm (Beschluss vom 17.07.2012 - III-1 Vollz (Ws) 323/12 = NStZ 2013, 174) entschieden, dass die Unschuldsvermutung auch immer dann zu berücksichtigen sei, wenn das einer Disziplinarmaßnahme zugrundeliegende Verhalten des Gefangenen zugleich auch strafrechtlichen Charakter aufweise. Bei einer solchen Kollision mit Strafrecht dürfe die Disziplinarmaßnahme nicht wegen einer Straftat verhängt werden, soweit eine rechtskräftige Aburteilung noch nicht stattgefunden hat.
82Die Kammer schließt sich der Entscheidung des OLG Hamm an und nimmt deshalb an, dass die Unschuldsvermutung entsprechend auch dann im disziplinarrechtlichen Verfahren fortwirkt und hier Wirkung entfaltet, wenn ein Sachverhalt strafrechtlichen Bezug aufweist. Es besteht zum einen kein vernünftiger Grund bei Vorfällen, die sowohl disziplinarischen als auch strafrechtlichen Charakter haben, dem Disziplinarverfahren - auch isoliert nur für das Disziplinarverfahren betrachtet – eine Geltung der Unschuldsvermutung zu versagen. Denn eine logische Aufspaltung in Disziplinarverfahren (ohne Unschuldsvermutung) und Strafverfahren (mit Unschuldsvermutung) ist aufgrund desselben Sachverhalts untauglich – wenn und soweit dieser jedenfalls Strafbezug hat. So würde eine Negierung der Unschuldsvermutung im Disziplinarverfahren dazu führen, dass die Gefahr im Strafverfahren bestünde quasi über die „Hintertüre“ des Disziplinarverfahrens die Wirkung der Unschuldsvermutung „auszuhebeln“. Dass dies nicht richtig sein kann, ist offensichtlich und auch vom Sinn und Zweck der in Art. 6 Abs. 2 EMRK geregelten und in Art. 20 Abs. 3 GG wurzelnden Unschuldsvermutung nicht erfasst.
83Darüberhinausgehend nimmt die Kammer aber in verfassungskonformer Auslegung des § 81 Abs. 1 S. 1 StVollzG NRW auch an, dass die Unschuldsvermutung, welche ihre Wurzeln im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG hat und auch in Art. 6 Abs. 2 EMRK ausdrücklich genannt wird, nicht nur und abschließend erst dann für das Disziplinarverfahren gilt, soweit ein strafrechtlicher Bezug erkennbar ist, sondern auch bereits dann, wenn kein strafrechtlicher Bezug im konkreten Fall erkennbar ist (von der Intention her vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 17.07.2015 - 2 BvR 1245/15; BVerwG, Urteil vom 04.09.2009 - 2 WD 17/08, BeckRS 2010, 47405 und Urteil vom 24.11.1999 - 1 D 68/98 = NVwZ-RR 2000, 364, BVerwG, Beschluss vom 10.08.1966 – II DV 2. 65 jeweils zur Geltung der Unschuldsvermutung in beamtenrechtlichen Disziplinarverfahren). Damit geht die Kammer über dasjenige hinaus, was das OLG Hamm (Beschluss vom 17.07.2012 - III-1 Vollz (Ws) 323/12 = NStZ 2013, 174) angenommen hat – nämlich, dass „keine Bedenken unter dem Gesichtspunkt von Art. 6 Abs. 2 EMRK bestehen […] wenn das inkrimierte Verhalten nicht strafbar wäre“. Viele – auch disziplinarisch zu ahnende - Sachverhalte werden Strafbezug (z. B. solche mit Betäubungsmittelbezug, Verstößen gegen das WaffG, Körperverletzungen, Beleidigungen, Bedrohungen etc.) aufweisen. Andere dagegen haben erkennbar keinen Strafbezug, sondern lediglich disziplinarischen Bezug (z. B. Besitz von verbotenen Gegenständen ohne strafrechtlichen Bezug; respektloses – aber nicht beleidigendes – Verhalten etc.). Die disziplinarrechtliche Ahndung setzt nicht voraus, dass zugleich Straftaten begangen wurden. Beides kann sich wegen desselben Sachverhalts decken, ist aber nicht zwingend. Eine Unterscheidung in strafrechtlichen und nicht-strafrechtlichen Bezug ist aber bei der Frage der Geltung der Unschuldsvermutung nicht geboten, da die Unschuldsvermutung den Gefangenen allgemein vor Nachteilen, die Schuldspruch oder Strafe gleichkommen, schützen soll, denen aber kein rechtsstaatliches und prozessordnungsgemäßes Verfahren zur Schuldfeststellung und Strafbemessung vorausgegangen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 04.09.2009 - 2 WD 17/08, BeckRS 2010, 47405 Rn. 38) bzw. soweit keine formelle und materielle Bestandskraft der Disziplinarmaßnahme eingetreten ist. Für den Fall eines Schuldspruchs muss dem Gefangenen mit der erforderlichen hinreichenden Gewissheit nachgewiesen werden, dass er das ihm vorgeworfene Fehlverhalten tatsächlich begangen hat (vgl. BverfG, Beschluss vom 12.02.2004 - 2 BvR 1709/02).
84Beide Verfahren - das Disziplinar- wie auch das Strafverfahren – ähneln sich und es bestehen Ähnlichkeiten bei den Sanktionen als auch bei den Verfahrensrechten (Belehrungspflichten über Aussagefreiheit, vgl. § 81 Abs. 1 S. 3-5 StVollzG NRW). Außerdem gilt das Schuldprinzip. Es dürfen nur bewiesene Sachverhalte zur Grundlage einer Disziplinarmaßnahme gemacht werden, was in § 81 Abs. 1 S. 1 StVollzG zum Ausdruck kommt (vgl. LT Drucks 16/13470, S. 284). Dem lag die Entscheidung des BVerfG (Beschluss vom 12.02.2004 - 2 BvR 1709/02) zugrunde, wonach der Nachweis von Schuld – wie im Strafverfahren – erforderlich ist. Funktionell wird das Schuldprinzip auch durch die Unschuldsvermutung abgesichert. Beides ist derart miteinander verknüpft und verbunden, dass das eine Prinzip ohne dass andere nicht seine volle Wirkung entfalten kann (vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 26.03.1987 - 2 BvR 589/79 u. a. NJW 1987, 2427 in Bezug auf eine Wechselwirkung). So macht ohne das Schuldprinzip die Unschuldsvermutung keinen Sinn und andersherum auch nicht. Wenn man eine Erstreckung auf das Disziplinarverfahren im Strafvollzug – jedenfalls bei solchen Vorfällen ohne Strafbezug – ablehnt, ist diese funktionelle Wirkung, wie gerade beschrieben, beeinträchtigt. So stünde es den Vollzugsbehörden letztlich bei allen disziplinarisch zu ahndenden Vorfällen ohne Strafbezug offen diesen disziplinarisch geahndeten Vorfall bei späteren über den Gefangenen zu treffenden Entscheidungen (z. B. solchen über offenen Vollzug oder vollzugsöffnende Maßnahme; Sicherungsmaßnahmen; weitere Disziplinarmaßnahmen) nachteilig zu berücksichtigen – ohne dass formelle und materielle Bestandskraft über die Disziplinarmaßnahme eingetreten ist oder die zur Entscheidung berufene Strafvollstreckungskammer abschließend über den Streitgegenstand befunden hat und diesbezüglich Rechtskraft eintritt. Dass kann aber nicht gerechtfertigt sein, wenn dem kein rechtsstaatliches und prozessordnungsgemäßes Verfahren zur Schuldfeststellung und gerichtlichen Überprüfung der Beurteilungs- bzw. Ermessensentscheidungen vorausgegangen ist.
85Aus dem Prinzip, dass keine Disziplinarmaßnahme ohne Schuld verhängt werden darf und dem Gefangenen die Schuld nachzuweisen ist (vgl. BVerfG - Beschluss vom 12.02.2004 - 2 BvR 1709/02), folgt aufgrund des repressiven Charakters von Disziplinarmaßnahmen - welche aber auch im Kontext der Resozialisierung zu sehen ist (vgl. hierzu Verrel, in Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel, Strafvollzugsgesetze, 12. Aufl. 2015, M. Rn. 169, S. 984) - die Aufgabe, dem Gefangenen die Möglichkeit zu geben sich zu verteidigen und die behördliche Entscheidung in einem justizförmig geordneten Verfahren mit Rechtsschutzmöglichkeiten überprüfen zu lassen, so dass eine wirksame Sicherung der Grundrechte des Gefangenen gewährleistet ist. Entsprechend steht die Unschuldsvermutung in engem Zusammenhang mit dem Recht des Gefangenen, die Disziplinarmaßnahme in einem rechtsstaatlichen, fairen Verfahren abzuwehren und sich zu verteidigen. Die Unschuldsvermutung ermöglicht so ein prozessordnungsgemäßes Verfahren zum Beweis des Gegenteils, bevor wegen eines Vorwurfes Entscheidungen getroffen werden, die die Feststellung von Schuld erfordern. Das hat auch dann zu gelten, wenn wie hier eine gerichtliche Überprüfung - anders als im Strafprozess - erst aufgrund Antrags des Gefangenen als Ausdruck der Dispositionsmaxime erfolgt. Schließlich hat es der Gefangene mit seiner ihm zur Verfügung stehenden Rechtsschutzmöglichkeit selbst in der Hand die Disziplinarmaßnahme zu akzeptieren (und formelle und materielle Bestandskraft bezüglich der Maßnahme herbeizuführen) oder sich gerichtlich hiergegen zu verteidigen (und den Eintritt der formellen Bestandskraft hinauszuzögern).
86Außerdem leuchtet es der Kammer ebenfalls nicht ein, weshalb die Unschuldsvermutung generell und uneingeschränkt für das beamtenrechtliche Disziplinarverfahren gelten soll (vgl. BVerwG, Urteil vom 04.09.2009 - 2 WD 17/08, BeckRS 2010, 47405 Rn. 38; Urteil vom 24.11.1999 - 1 D 68/98 = NVwZ-RR 2000, 364, BVerwG, Beschluss vom 10.08.1966 – II DV 2. 65), aber nicht für das Disziplinarverfahren im Strafvollzug. Schließlich knüpft die Wirkung der Unschuldsvermutung im beamtenrechtlichen Disziplinarverfahren auch nicht daran an, ob Strafbezug bei dem Verhalten des Beamten im Einzelnen erkennbar ist oder nicht, sondern sie soll allgemein den Beamten vor Nachteilen schützen, die Schuldspruch oder Strafe gleichkommen, denen aber kein rechtsstaatliches und prozessordnungsgemäßes Verfahren zur Schuldfeststellung und Strafbemessung vorausgegangen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 04.09.2009 - 2 WD 17/08, BeckRS 2010, 47405 Rn. 38). Dies liegt aber auch im Disziplinarverfahren des Strafvollzugs vor. Da hier wesensgleiche Materien bezüglich des Ablaufes - auch wenn die Kammer nicht verkennt, dass bei Kollision mit Strafrecht nach §§ 14, 22, 23 Landesdisziplinargesetz NRW anderes als in § 79 Abs. 1 S. 2 StVollzG NRW geregelt ist – vorliegen, ist dies ähnlich zu behandeln. Beiden Materien liegt Verwaltungsrecht zugrunde (vgl. hierzu die Vorschriften des Landesdisziplinargesetz NRW mit denen der § 79 ff. StVollzG NRW und § 109 ff. StVollzG Bund) und kennen sowohl einen internen Ermittlungsablauf der Behörde, Verfahrensrechte der Beteiligten, Eingriffsrechte für Untersuchungsmaßnahmen, sowie die (Abschluss-) Entscheidungskompetenz durch die jeweilige Behörde und die Rechtsschutzmöglichkeit des Betroffenen gegen die Entscheidung. Sicherlich ist dies jeweils im Detail etwas anders ausgestaltet (bei Beamten ist ein Widerspruchsverfahren vor dem gerichtlichen Verfahren vorgeschaltet; bei Gefangenen gilt § 109 StVollzG Bund), aber die wesentlichen Verfahrensabläufe und Prinzipien sind hierbei gleich. So wird erst im Falle des vom Betroffenen wahrgenommenen Rechtsschutzes als Ausdruck der Dispositionsmaxime ein rechtsstaatliches und prozessordnungsgemäßes Verfahren durchgeführt, um die Rechtmäßigkeit der behördlichen Entscheidung zu überprüfen. Die Maßnahme i. S. d. § 109 StVollzG und der Verwaltungsakt i. S. d. § 35 VwVfG sind zwar von ihrem Wesen her ähnlich aber nicht vollständig deckungsgleich (vgl. zur Maßnahme Laubenthal in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, Strafvollzugsgesetz, 7. Aufl. 2020, 12. Kapitel Rechtsbehelfe, B. II. 3 Rn. 10-20). Zumindest aber tritt bei beiden ihre formelle Bestandkraft (Rechtskraft hat strikte Bindungswirkung inter partes, während der Verwaltungsakt noch die Aufhebungsmöglichkeit des §§ 48, 49 VwVfG kennt - vgl. HK-VerwR/Kyrill-Alexander Schwarz, 5. Aufl. 2021, VwVfG § 43 Rn. 22-24; die Maßnahme kennt auch die Aufhebungsmöglichkeit nach § 83 StVollzG NRW) auch erst dann ein, wenn sie unanfechtbar geworden sind, d. h. keine ordentlichen Rechtsbehelfe mehr gegeben sind. Beide entfalten auch nur „beschränkte“ materielle Bestandskraft (d. h. Bindung an den materiellen Regelungsgehalt und die Feststellungen der einzelnen Maßnahme/des einzelnen Verwaltungsaktes), da beide nachträgliche Aufhebungsmöglichkeiten kennen (vgl. §§ 48, 49 VwVfG für den Verwaltungsakt; § 83 StVollzG NRW für die Maßnahme). Entsprechend ist es wegen der wesensgleichen Abläufe auch gerechtfertigt, dass der Gefangene sich – wie beim beamtenrechtlichen Disziplinarverfahren – bis zur Rechtskraft uneingeschränkt (bei Vorfällen mit und ohne Strafbezug) auf eine Unschuldsvermutung stützen darf und erst nach einem Schuldspruch von der zur Entscheidung berufenen Strafvollstreckungskammer nicht mehr mit Erfolg auf die Unschuldsvermutung berufen kann. Das gilt auch, wenn die Disziplinarentscheidung formelle und materielle Bestandskraft erlangt hat.
87Die Kammer verkennt nicht, dass durchaus die Möglichkeit besteht, dass eine solche uneingeschränkte Geltung der Unschuldsvermutung umgangen werden könnte, indem lediglich präventiv wirkende Sicherungs- anstatt Disziplinarmaßnahmen (oder von solchen nach § 79 Abs. 2 StVollzG NRW mit Verwarnungen absehen) verhängen. Da Sicherungsmaßnahmen - anders als Disziplinarmaßnahmen - keinen repressiven Charakter entfalten, ist auch eine Geltung der Unschuldsvermutung diesbezüglich nicht angezeigt. Aber auch im Fall einer wegen eines Vorfalls verhängten Sicherungsmaßnahme hat die Vollzugsbehörde bei weiteren Entscheidungen zu berücksichtigen, ob die zugrundeliegenden Tatsachen (bezüglich der vorher verhängten Sicherungsmaßnahme) streitig und ausreichend aufgeklärt sind. Die Kammer bewertet das Missbrauchsrisiko als gering, da es ohnehin nur bei solchen - in der breiten Masse begrenzten - Vorfällen in Betracht kommt, in denen die Behörde von der Verhängung von Disziplinarmaßnahmen durch Verwarnung nach § 79 Abs. 2 StVollzG NRW absehen kann. Jedenfalls bei schweren oder wiederholten Verstößen wäre ein Absehen von Disziplinarmaßnahmen nach § 79 Abs. 2 StVollzG NRW ohnehin nicht mehr vertretbar - weshalb der Anwendungsbereich entsprechend schon eingeschränkt ist.
88bb.
89Unter Berücksichtigung dessen führt dies dazu, dass die von der Antragsgegnerin aufgeführten und bei ihrer Abwägungsentscheidung ausdrücklich berücksichtigten Vorfälle mit disziplinarischer Ahndung (positiver Drogentest am 00.00.0000 mit Buprenorphin – vgl. „Des Weiteren ist aufgrund der nicht nur unwesentlich zur Anlasstat beigetragenen Suchterkrankung fraglich, inwiefern er diese hinreichend bearbeitet hat. Zuletzt ist er im Oktober 0000 mit einem positiven Drogenscreening aufgefallen“ – S. 10 Konferenzniederschrift; Fund von Tabletten und Sprühflasche am 00.00.0000 – vgl. „Sein letzter Verstoß wurde nur vor wenigen Wochen begangen“ – S. 11 Konferenzniederschrift) nicht zur Begründung ihrer Prognoseentscheidung zur Missbrauchsgefahr taugen, soweit keine Rechtskraft des disziplinarischen Verfahrens eingetreten ist. Sie müssen außen vorgelassen werden. Die Kammer verkennt nicht, dass die Antragsgegnerin auch in der Begründung dargestellt hat, dass diesbezüglich noch Verfahren vor der Kammer laufen und nicht abgeschlossen sind. Mithin verdeutlicht dies aber gerade erst, dass die Vorfälle dann nicht zur Begründung der Prognoseentscheidung taugen, weil sie die Unschuldsvermutung berühren.
90Die von der Antragsgegnerin in ihrer Erwiderung vom 00.00.0000 nachgeschobene Begründung bezüglich des weiteren positiven Tests auf Cannabis vom 00.00.0000 hat bei der Entscheidung ebenfalls außen vor zu bleiben. Der Vorfall erfolgte erst nach der Konferenz vom 00.00.0000. So gilt auch im Rahmen der Überprüfung einer Vollzugsplanung, dass die ungenügende Begründung einer Ermessensentscheidung im gerichtlichen Verfahren nach §§ 109 ff. StVollzG nicht mehr substantiell ergänzt oder korrigiert werden kann (zum sog. Verbot des Nachschiebens von Gründen vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 22.11.2011 – 1 Vollz (Ws) 421/11; OLG Nürnberg, Beschluss vom 02.11.1998 – Ws 1251/98; Arloth/Krä, a.a.O. § 115 StVollzG Rn 4 m.w.N), da der Antragsteller Anspruch auf eine von Anfang an rechtmäßige Entscheidung hat, nicht nur auf eine solche, die unter dem Eindruck des gerichtlichen Verfahrens korrigiert wird.
91Soweit nunmehr das dem positiven Drogentest vom 00.00.0000 zugrundeliegende Verfahren vor der Kammer mit dem Aktenzeichen 33a StVK 1380/20 abgeschlossen ist – was auch beiden Parteien bekannt ist - liegt allerdings eine Überholung der Sachlage vor, die ebenfalls außen vorbleiben muss. So ist maßgeblicher Zeitpunkt der Überprüfung eines Beurteilungsspielraums und Ermessens der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung; was auch für Verpflichtungsklagen gilt (vgl. Arloth/Krä, a. a. O., § 115 StVollzG Bund Rn. 5). Auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ist nicht abzustellen, da hier ein Beurteilungs- und Ermessenspielraum bei der Behörde liegt.
92Für eine zukünftige Bescheidung wird die Antragsgegnerin den Vorfall vom 00.00.0000 berücksichtigen und in ihre Prognoseentscheidung einstellen dürfen, soweit Rechtskraft eingetreten ist. Gleiches gilt für den nachträglichen Vorfall vom 00.00.0000 (positiver Test auf Cannabis). Bezüglich des Vorfalls mit der Sprühkopflasche vom 00.00.0000 läuft das diesbezügliche Verfahren noch und ist noch nicht beendet (auch wenn sich ein Verfahrensabschluss durch Vergleich abzeichnet). Die Unschuldsvermutung steht einer weiteren Berücksichtigung dann (noch) entgegen; ohnehin auch der Umstand, dass die Antragsgegnerin in dem Verfahren 33a StVK 434/21 bereits zugesichert hat den Vorfall nicht mehr negativ gegenüber dem Antragsteller zu verwerten.
93Bei anderen Vorfällen (Handyfund, Verweigerung von Drogenscreenings in 0000) wird sie relativierend die lange Zeitdauer zu berücksichtigen wissen müssen. Entsprechend ist dies bereits ca. 4 Jahre her. Insofern ist auch aus dem Tatsachenbericht nicht erkennbar, ob diesbezüglich eine disziplinarische Ahndung erfolgte oder nicht.
94Soweit die Antragsgegnerin den Vorfall vom Mai 0000 mit dem Fund von Betäubungsmitteln in einem an den Antragsteller gerichteten Schreiben erwähnt, wird der Fund als solcher vom Antragsteller bestritten. Ein Disziplinarverfahren wurde nicht eingeleitet, allerdings Anzeige gestellt (wobei nicht klar ist, gegen wen dies letztlich erfolgte). Für das Gericht ist ohne weitere Feststellungen zum Tathergang und zum Gang des Ermittlungsverfahrens nicht ersichtlich, in welchem Umfang der Antragsteller hierin involviert ist. Insoweit hat die Antragsgegnerin auch selbst ausgeführt, dass der Fund ihm zweifelsfrei nicht zugewiesen werden konnte. Da der Vorfall ersichtlich ansonsten für den Antragsteller keine negativen Konsequenzen hatte, ist dies auch kein bei der Abwägungsentscheidung tragender Grund und nicht weiter zu berücksichtigen.
95c.
96[…]
97d.
98[…]
99e.
100[…]
101f.
102[…]
103g.
104[…]
1053.
106Gemessen an den oben genannten Grundsätzen hält der angefochtene Bescheid in seiner Begründung bezüglich der vollzugsöffnenden Maßnahmen gerichtlicher Überprüfung ebenfalls nicht stand.
107Zum einen dürfen wegen die Unschuldsvermutung die noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen Disziplinarverfahren nicht gegen ihn verwendet werden (so der Vorfall vom Oktober 0000 und vom Februar 0000). Es wird auf obige Ausführungen Bezug genommen. Sofern bei einer Neubescheidung nunmehr durch rechtskräftigen Abschluss die Unschuldsvermutung aufgrund entsprechender gerichtlicher Feststellungen widerlegt ist, können entsprechende Vorfälle auch in der Bewertung zukünftig berücksichtigt werden. Für den Vorfall vom Februar 0000 hat die Antragsgegnerin bereits zugesichert, dies nicht negativ weiter zu verwenden. Es gilt aber auch zu berücksichtigen, dass - wie bereits im Beschluss der Kammer 00.00.0000 (33a StVK 1474/19) ausgeführt, weder Regelverstöße noch die mangelnde Mitarbeit im Rahmen von Behandlungsmaßnahmen als solche geeignet sind, die Versagung von Vollzugslockerungen zu rechtfertigen, sofern diese Umstände nicht zugleich auf eine im konkreten Fall bestehende Flucht- oder Missbrauchsgefahr im Sinne des § 53 Abs. 1 StVollzG NRW schließen lassen, denn die Gewährung vollzugsöffnender Maßnahmen stellt keine „Belohnung“ für beanstandungsfreies Verhalten im Vollzug dar (so auch Arloth/Kräh, Strafvollzugsgesetz, 4. Auflage 2017, § 11 Rn. 1). Vielmehr soll sie den Gefangenen ermöglichen, den Bezug zu den Lebensbedingungen außerhalb des Vollzuges zu erhalten, ihre sozialen Kontakte zu pflegen und damit den Übergang in die Freiheit vorzubereiten (vgl. LT-Drucksache 16/5413, 128; Knauss, in: BeckOK Strafvollzug NRW, 12. Ed. 10.01.2020, StVollzG NRW § 53 Rn. 1; Arloth/Kräh, Strafvollzugsgesetz, 4. Auflage 2017, § 11 Rn. 1), mithin ihrer Resozialisierung dienen.
108[…]
109III.
110Prozesskostenhilfe war dem Antragsteller aufgrund der Erfolgsaussichten seiner Anträge zu gewähren.
111IV.
112Mangels Spruchreife hat ein Bescheidungsurteil zu ergehen. Es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass einer Ermessensreduzierung auf Null vorliegt.
113V.
114Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 2 S. 1 StVollzG Bund.
115Die Entscheidung betreffend den Streitwert beruht auf den §§ 65 S. 1, 60 Hs. 1, 52 Abs. 1 GKG. Die Kammer bestimmt ihn nach der Bedeutung der Sache, wie sie sich aus dem Antrag des Antragstellers ergibt.
116Gegen diese Entscheidung ist das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde nach Maßgabe des beigefügten Formblatts statthaft.
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