Beschluss vom Landgericht Dessau-Roßlau (5. Zivilkammer) - 5 S 84/12

Tenor

1.1 Der Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

1.2 Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Magdeburg vom 30.03.2012 wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.

2.1 Der Antrag der Nebenintervenientin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2.2 Die Berufung der Nebenintervenientin gegen das Urteil des Amtsgerichts Magdeburg vom 30.03.2012 wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert für die Berufungsverfahren wird auf 6.493,44 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Das Amtsgericht Magdeburg hat mit Teil-Urteil vom 30.03.2012 antragsgemäß die Beschlüsse der Eigentümerversammlung vom 16.06.2011 zu TOP 3 (Entlastung der Verwaltung), zu TOP 4 (Jahresabrechnung 2009/2010 bzgl. Positionen „Heizung, Warmwasser“, „Wasser/Kanal“) sowie zu TOP 5 (Wirtschaftsplan 2011/2012) für ungültig erklärt. Gegen dieses ihnen am 03.04.2012 zugestellte Urteil haben die Beklagten sowie die Nebenintervenientin mit am 25.04.2012 und am 27.04.2012 eingegangenen Schriftsätzen vom jeweils selben Tage per Fax Berufung beim Landgericht Magdeburg eingelegt. Das der per Fax übersandten Berufungsschrift der Nebenintervenientin beigefügte Urteil des Amtsgerichts ist lediglich in die Aktentasche, nicht aber zu den Akten genommen worden. Mit der Berufungsschrift der Beklagten ist ebenso verfahren worden. Nach Eingang der Akten am 07.05.2012 wies der Vorsitzende der zuständigen Berufungskammer unter dem 09.05.2012 den Prozessbevollmächtigten der Beklagten und der Nebenintervenientin auf die Zuständigkeit des Landgerichts Dessau-Roßlau gemäß § 72 Abs. 2 GVG sowie die beabsichtigte formlose Abgabe an dieses Gericht mit Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen hin und gewährte gleichzeitig Akteneinsicht, die am 11.05.2012 erfolgte. Auf den Hinweis des Gerichts beantragten die Beklagten und die Nebenintervenientin mit beim Landgericht Magdeburg am 14.05.2012 eingegangenem Schriftsatz die Verweisung an das Landgericht Dessau-Roßlau. Mit einem dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten und der Nebenintervenientin am 06.06.2012 zugestelltem Beschluss vom 29.05.2012 wies das Landgericht Magdeburg darauf hin, dass es die bei ihm eingelegte Berufung der Nebenintervenientin als unzulässig zu verwerfen gedenke, sofern sie das Rechtsmittel nicht zurücknehme.

2

Am 04.06.2012 ist beim Landgericht Dessau-Roßlau die Berufung der Beklagten und der Nebenintervenientin mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand eingegangen mit der Begründung, das Landgericht Magdeburg hätte die Berufungsschriften ohne weiteres an das zuständige Landgericht Dessau-Roßlau weiterleiten können und nach der Entscheidung des BGH vom 17.08.2011 (XII ZB 50/11) als Fürsorgegesichtspunkten auch weiterleiten müssen. Hingegen sei der Hinweis vom 09.05.2012 zu spät, mithin erst nach Ablauf der Berufungsfrist, erteilt worden.

3

Das Landgericht Magdeburg hat mit Beschluss vom 22.06.2012 die Sache an das hiesige Landgericht abgegeben.

4

Die angehörten Kläger sind zu den Anträgen auf Widereinsetzung in den vorigen Stand der Meinung, dies seien unzulässig, weil die versäumte Prozesshandlung nicht innerhalb der Frist aus § 234 Abs. 1 ZPO, die am 11.05.2012 begonnen habe, nachgeholt worden sei.

II.

5

1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 233 ZPO) gegen die Versäumung der Berufungsfrist ist unbegründet; denn dem Beklagten ist das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten bei Versäumung der Rechtsmittelfrist durch Einreichung der Rechtsmittelschrift bei dem unzuständigen Landgericht Magdeburg zuzurechnen.

6

Die Einlegung der Berufung beim hiesigen zuständigen Berufungsgericht am 04.06.2012 ist verspätet. Die verspätete Einlegung der Berufung beim hiesigen Gericht beruht auf einem Verschulden der Prozessbevollmächtigten der Beklagten und der Nebenintervenientin; denn an einen mit der Berufungseinlegung betrauten Rechtsanwalt sind hinsichtlich der Ermittlung des zuständigen Rechtsmittelgerichts hohe Sorgfaltsanforderungen zu stellen, weil die Klärung der Rechtsmittelzuständigkeit in seinen Verantwortungsbereich fällt. Er ist daher gehalten, die Rechtsmittelschrift und insbesondere die Rechtsmittelzuständigkeit des darin bezeichneten Gerichts selbst auf ihre Richtigkeit zu überprüfen (vgl. BGH, Beschluss vom 14.12.2010, VIII ZB 20/09, Beschuss vom 24.06.2010, V ZB 170/09; jeweils zitiert nach juris m.w.N.). Der mit der Einlegung der Rechtsmittel betraute Prozessbevollmächtigte der Beklagten und der Nebenintervenientin hätte unter diesen Voraussetzungen das zuständige Beru-fungsgericht nicht nur nach § 72 Abs. 2 S. 1 GVG ermitteln dürfen, sondern er hätte prüfen müssen, ob das Land Sachsen-Anhalt von der in § 72 Abs. 1 S. 2 GVG eingeräumten Verordnungskompetenz - die schon seit dem 01.07.2007 besteht - Gebrauch gemacht hat. Ungeachtet dessen wäre das Landgericht Magdeburg ohnehin nicht für das Berufungsverfahren zuständig gewesen. Denn § 72 Abs. 2 S. 1 GVG bestimmt, dass in Streitigkeiten nach § 43 Nr. 1 bis 4 und 6 des Wohneigentumsgesetzes grundsätzlich das Landgericht am Sitz des Oberlandesgerichts gemeinsames Berufungsgericht ist. Dies wäre hier demnach das Landgericht Halle gewesen.

7

Eine Prüfung der örtlichen Zuständigkeit wäre auch unschwer möglich gewesen. So hätte die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Dessau-Roßlau für Berufungs- und Beschwerdeverfahren ohne weiteres bei Eingabe der Suchwörter „Zuständigkeit“, „Sachsen-Anhalt“ und „Wohnungseigentum“ über die für jeden Internet-Nutzer zugängliche Suchmaschine „Google“ ermittelt werden können. Bereits über die erste Fundstelle, www.anwalt-mietrecht.de, ist die örtliche Zuständigkeit des hiesigen Gerichts auszumachen, und die vierte Fundstelle führt direkt zum Landgericht Dessau-Roßlau als zuständiges Berufungs- und Beschwerdegericht für Wohnungseigentumssachen. Selbige Fundstelle ergibt sich als dritte bei Eingabe der Suchwörter „Justiz Sachsen-Anhalt“ und „Wohnungseigentum“.

8

Dieses Verschulden seines Prozessbevollmächtigten, das sich die Beklagten und die Nebenintervenientin gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müssen, war ursächlich für die Versäumung der Berufungsfrist, und diese Ursächlichkeit ist auch nicht dadurch nachträglich entfallen, weil das Landgericht Magdeburg auf seine Unzuständigkeit erst nach Eingang der Akten mit Verfügung vom 09.05.2012 hingewiesen hat. Denn der BGH hat in seiner Entscheidung (a.a.O.), der sich die erkennende Kammer anschließt, ausgeführt, dass keine generelle Fürsorgepflicht des für das eingelegte Rechtsmittel unzuständigen und vorher mit der Sache nicht befassten Gerichts besteht, durch Hinweise oder durch andere geeignete Maßnahmen eine Fristversäumung des Rechtsmittelführers zu verhindern. Eine solch weit reichende Verpflichtung würde die Parteien und ihre Prozessbevollmächtigten ihrer eigenen Verantwortung für die Einhaltung der Rechtsmittelfristen entheben und die Anforderungen an die Grundsätze des fairen Verfahrens überspannen. Diese Konsequenz wäre nicht mit dem Grundsatz vereinbar, dass die Abgrenzung dessen, was im Rahmen einer fairen Verfahrensgestaltung an richterlicher Fürsorge von Verfassungs wegen geboten ist, sich nicht nur am Interesse der Rechtsuchenden an einer möglichst weitgehenden Verfahrenserleichterung orientieren, sondern auch berücksichtigen muss, dass die Justiz im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit vor zusätzlicher Belastung geschützt werden muss. In Anbetracht dieser gegenläufigen Interessen besteht keine Veranlassung, einer Partei und ihrem Prozessbevollmächtigten die Verantwortung für die Ermittlung des richtigen Adressaten fristgebundener Verfahrenserklärungen allgemein abzunehmen und auf unzuständige Gerichte zu verlagern. Damit lässt sich aus dem Grundrecht auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und der sich daraus ergebenden verfassungsrechtlichen Fürsorgepflicht der Gerichte keine generelle Verpflichtung zur sofortigen Prüfung der funktionellen Zuständigkeit bei Eingang einer Rechtsmittelschrift ableiten.

9

Daher ergibt sich auch kein anderes daraus, dass die Akten bereits dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle noch vor Ablauf der Berufungsfrist vorgelegen haben, der per Fax übersandten Berufungsschrift der Beklagten sowie der Nebenintervenientin das angefochtene Urteil beigefügt war, so dass diesen Schriftstücken ohne weiteres bzw. leicht und einwandfrei zu entnehmen war, dass es sich um eine in die Zuständigkeit des Landgerichts Dessau-Roßlau fallende Sache nach dem WEG handelt und er nach Eingang der Berufungsschriften im Original am 02.05.2012 die Übersendung der Rechtsmittelschriften veranlasst hat. Denn allein der Vorsitzende ist befugt zu veranlassen, einen fehlgeleiteten Schriftsatz im Rahmen des üblichen Geschäftsganges an das zuständige Gericht weiterzuleiten (BGH, Beschluss vom 14.12.2010, VIII ZB 20/09; Beschluss vom 20.04.2011, VII ZB 78/09; jeweils zitiert nach juris). Der Vorsitzende der 2. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg hat aber erst am 09.05.2012, als ihm die Akten nach deren Eingang bei diesem Gericht mit den Berufungsschriften vorgelegt worden waren, die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts feststellen können. Zu diesem Zeitpunkt war die Berufungsfrist aber bereits abgelaufen, so dass die nicht rechtzeitige Aufdeckung der fehlenden Zuständigkeit auf keinem offenkundig nachlässigen Fehlverhalten des angerufenen Gerichts – auch nicht durch die Vorlage der Berufungsschriften erst mit Akten beim Vorsitzenden der 2. Zivilkammer - beruht (vgl. BGH, a.a.O.) und die nachfolgende Fristversäumnis zu Lasten der Beklagten und der Nebenintervenientin mit der Kostenfolge aus § 238 Abs. 4 ZPO geht.

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2. Aus vorgenannten Gründen ist die Berufung der Beklagten und der Nebenintervenientin auf deren Kosten als unzulässig zu verwerfen; denn das Rechtsmittel ist verspätet und damit nicht in zulässiger Weise eingelegt worden, §§ 522 Abs. 1, 97 ZPO.

III.

11

Der Gegenstandwert richtet sich nach § 49a GKG und bemisst sich nach den einzelnen in TOP 4 benannten Rechnungsposten, ohne die Kosten der Müllabfuhr, betreffend den Berufungskläger zu 1), in Höhe von insgesamt 3.121,72 €, ebenso, ob der Fortschreibung des Wirtschaftsplans 2010/2011, für das Wirtschaftsjahr 2011/2012 zuzüglich des in freier Schätzung ermittelten Betrages für TOP 3 von 250,00 € (vgl. Jennißen/Suilmann, WEG, § 49a GKG, Rn. 18, 20).


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