Beschluss vom Landgericht Dessau-Roßlau (5. Zivilkammer) - 5 T 275/16

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Beklagten vom 30.08.2016 gegen den Beschluss des Amtsgericht B.-W. vom 09.08.2016 in der Fassung des Nichtabhilfebeschlusses vom 29.09.2016, Az. 7 C 899/15, wird zurückgewiesen.

Gründe

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Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Prozesskostenhilfeversagungsbeschluss des Amtsgerichts B.-W. vom 09.08.2016, Az. 7 C 899/15, in der Fassung des Nichtabhilfebeschlusses vom 29.09.2016 ist gemäß § 127 Abs. 2 ZPO zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

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Sie ist jedoch unbegründet. Die Rechtsverfolgung der Beklagten bietet - auch nach summarischer Prüfung - keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

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Die Kläger haben mit Schreiben vom 04.11.2015 wirksam das Mietverhältnis zwischen den Parteien zum 30.04.2016 gekündigt. Der Kündigungsgrund des Eigenbedarfs gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB ist gegeben.

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Die Kündigung ist insbesondere nicht rechtsmissbräuchlich. Mit zutreffender Begründung lehnt das Amtsgericht einen Rechtsmissbrauch ab. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (BGH, Urteil v. 04.02.2015 - VIII 154/14 - zitiert nach juris) liegt rechtsmissbräuchliches Verhalten nicht schon dann vor, wenn der Vermieter „einen künftigen Eigenbedarf bei Abschluss des Mietvertrags zwar nicht konkret erwägt, aber bei vorausschauender Planung aufgrund hinreichend konkreter Anhaltspunkte hätte in Erwägung ziehen müssen(...).“ Vorliegend sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, aus denen sich - wenn überhaupt - mehr als eine Erwägungsgrundlage ergeben hätte.

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Widersprüchliches Verhalten des Vermieters ist nicht bereits dann anzunehmen, wenn der Vermieter das Entstehen eines künftigen Eigenbedarfs (als bloße Möglichkeit oder aufgrund konkreter Anhaltspunkte) hätte vorhersehen können oder müssen, sondern verlangt hierfür das Vorliegen eines über die Fahrlässigkeit hinausgehenden subjektiven Elements, nämlich die „Absicht“ (das „Entschlossensein“), den Wohnraum einer baldigen Eigennutzung zuzuführen, oder zumindest das (ernsthafte) „Erwägen“ einer solchen Nutzung (BGH a.a.O. mwN).

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Ein Vermieter, der eine Eigenbedarfskündigung auf nach Abschluss des Mietvertrags entstandene Umstände stützt, deren Eintritt möglich oder sogar konkret vorhersehbar, von ihm aber bei Vertragsschluss nicht erwogen worden war, setzt sich hierdurch mit seinem früheren Verhalten regelmäßig schon nicht inhaltlich in Widerspruch.

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Im Übrigen ist der Entschluss des Vermieters, sein Eigentum selbst oder für seine Familien- oder Haushaltsangehörigen (§ 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB) zu nutzen, Teil der durch Art. 14 Abs. 1 GG garantierten Verfügungsbefugnis und infolgedessen nur eingeschränkt der gerichtlichen Überprüfung unterworfen (BVerfGE 79, 292, 305). Zu der sich aus dem Eigentumsgrundrecht ergebenden Befugnis des Vermieters gehört auch die Entscheidung darüber, von welchem Zeitpunkt an ein Wohnbedarf Anlass für eine Eigenbedarfskündigung sein soll (BVerfG, NZM 1999, 659, 660). Dabei ist zu beachten, dass der Wunsch, eine bestimmte Wohnung zu nutzen, sich nicht ausschließen oder in erster Linie an objektiven Kriterien messen lässt (BVerfGE 79, 292, 305; BVerfG, NJW 1994, 309, 310). Die Gerichte dürfen dem Vermieter daher keine mit rechtlichen Risiken behaftete Lebensplanung ansinnen, die er im Rahmen seines Rechts, sein Eigentum nach seinen Vorstellungen zu nutzen, nicht anzustellen brauchte (BVerfG, NJW-RR 1993, 1357, 1358; NJW 1993, 2166, 2167).

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Widersprüchliches Verhalten des Vermieters kommt dann in Betracht, wenn er anlässlich des Vertragsschlusses von sich aus oder auf konkrete Fragen des Mieters vorsätzlich unrichtige Angaben ("Wissenserklärung") über den derzeitigen Stand ihm bekannter, für die Beurteilung einer Eigenbedarfssituation maßgebender Tatsachen macht (BGH a.a.O.). Dabei kommt es entscheidend auf die Umstände des Einzelfalls, insbesondere den Inhalt der vom Mieter gestellten Fragen an. Fahrlässige Falschangaben zu solchen Tatsachen oder gar (schuldhafte oder schuldlose) Fehleinschätzungen über die Entwicklung der Eigenbedarfssituation können dagegen nicht die Grundlage für ein widersprüchliches Verhalten bilden (BGH a.a.O). Vorliegend sind Falschangaben jedoch weder behauptet noch ersichtlich.

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Es lässt sich auch allein aus dem Abschluss eines unbefristeten Mietvertrags kein Vertrauenstatbestand dahin ableiten, dass das Mietverhältnis von längerer Dauer sein werde (BGH a.a.O. m.V.a. Staudinger/Rolfs, § 573 Rn. 116 u.a.). Dagegen spricht schon die gesetzliche Kündigungsfrist des § 573c Abs. 1 S. 1 BGB, die - wenn das Mietverhältnis nicht länger als fünf Jahre gedauert hat - nur drei Monate beträgt. Der Mieter befindet sich damit in einer ähnlichen Situation wie der Vermieter, der bei Abschluss eines unbefristeten Mietvertrags ebenfalls damit rechnen muss, dass der Mieter gemäß § 573c Abs. 1 S. 1 BGB mit einer Kündigungsfrist von drei Monaten kündigt.

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Eine aus § 241 Abs. 2 BGB oder aus § 242 BGB ableitbare allgemeine Offenbarungspflicht ist schon deswegen auszuschließen, weil der Mieter im Hinblick auf die Veränderlichkeit der Lebensumstände und Lebensplanungen des Vermieters und seiner Familien- und Haushaltsangehörigen (beispielsweise Eheschließung, Geburt, Heranwachsen und Ausbildung von Kindern, Veränderungen im Berufsleben, insbesondere Wechsel oder Verlust des Arbeitsplatzes, Erkrankung, Trennung des Vermieters vom Ehe- oder Lebenspartner, Trennung der Kinder von deren Partnern, Pflegebedürftigkeit der Eltern, des Ehegatten oder der Kinder, Veränderungen in den Einkommens- und Vermögensverhältnissen etc.) nicht redlicherweise (§ 242 BGB) damit rechnen darf, dass solche durch vielfältige Faktoren beeinflussbaren Umstände für den Vermieter berechenbar sind (BGH a.a.O.). In Anbetracht der beschriebenen Unwägbarkeiten ist ein Vermieter daher nicht aus Gründen besonderer Rücksichtnahme gehalten, den Mieter allgemein über mögliche Entwicklungen aufzuklären (BGH a.a.O.; im Übrigen: Schutz erfährt der Mieter über die Möglichkeit der Vereinbarung eines Kündigungsausschlusses). Es kommt letztlich auf die Kenntnis des Vermieters von der Eigenbedarfssituation beziehungsweise der sie begründenden Umstände an. Für die Ermittlung solcher innerer Tatsachen kommt es auf eine Würdigung der Gesamtumstände an (BGH a.a.O.). Dabei kann auch auf objektive (äußerliche) Umstände zurückgegriffen werden, sofern diese tragfähige Anhaltspunkte für den Kenntnisstand des Vermieters bilden. Ergeben die Gesamtumstände, dass der Grund für den Eigenbedarf bei Mietvertragsabschluss schon nach Zeit und Umständen konkret vorgelegen hat (BGH a.a.O. m.w.N.), kann dies - sofern nicht die konkreten Umstände des Einzelfalls dagegen sprechen - den Schluss rechtfertigen, dass der Vermieter den Eigenbedarf schon bei Vertragsabschluss (zumindest) erwogen hat.

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Indizwirkung kann auch - gegebenenfalls mit weiteren Umständen - den zeitlichen Abläufen zukommen. So kann die Tatsache, dass der Vermieter das Mietverhältnis kurze Zeit nach Abschluss des unbefristeten Mietvertrags kündigt, nahe legen, dass er eine Eigennutzung schon bei Vertragsabschluss beabsichtigt oder zumindest erwogen hat (BGH, Beschluss v. 13.04.2010 - VIII ZR 180/09 -; BGH, Beschluss v. 06.07.2010 - VIII ZR 180/09 -). Umgekehrt kann das Verstreichen einer mehrjährigen Zeitspanne zwischen Vertragsabschluss und Eigenbedarfskündigung - je nach Fallgestaltung - den Schluss zulassen, dass der Eigenbedarf vom Vermieter bei Zustandekommen des Mietvertrags noch nicht erwogen worden ist. Dabei lassen sich aber keine festen Fristen festlegen. Der Tatrichter hat vielmehr unter Würdigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalles die Überzeugung zu gewinnen, ob der Ausspruch der Eigenbedarfskündigung rechtsmissbräuchlich ist oder nicht. Eine schematische Betrachtung verbietet sich daher. Bestehende eheliche Differenzen zwischen den Klägern mochten bereits bei Vertragsabschluss bestanden haben, waren aber den Beklagten nicht zu offenbaren und sind nicht geeignet, Rechtsmissbräuchlichkeit zu begründen. So darf in jeder ehelichen Gemeinschaft trotz bestehender Differenzen, die in jeder Art und Abstufung auftreten können, die Hoffnung und der Wunsch und auch der berechtigte Versuch, eine dauerhafte Versöhnung wieder zu erlangen und die Ehe fortzusetzen, unabhängig von Wahrscheinlichkeiten verfolgt werden, denn genau hierauf ist die Ehe ausgelegt. Die Kläger mussten bei Abschluss des Mietvertrags ihre Ehe noch nicht als gescheitert angesehen haben; hierfür spricht insbesondere, dass die Eheleute noch einige Monate zusammen gelebt haben und die Eigenbedarfskündigung erst knapp 1 1/2 Jahre nach Mietvertragsabschluss ausgesprochen wurde.

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Auch eine etwaige Genehmigung der Aufstellung eines Pavillons ist nicht als Verzicht auf eine Eigenbedarfskündigung zu verstehen. Selbst wenn eine solche Genehmigung in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Kündigung erteilt wurde, schafft sie gemessen an der von Art. 14 Abs. 1 GG geprägten Rechtsstellung des Vermieters bei der Festlegung des Eigenbedarfs keinen solchen Vertrauenstatbestand, der eine Kündigung ausschließt.

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Gemessen an den aufgezeigten rechtlichen Maßstäben ist die von den Klägern ausgesprochene Eigenbedarfskündigung aus den eingangs aufgezeigten Gründen und den Gründen der angefochtenen Entscheidung nicht wegen Rechtsmissbrauchs unwirksam.

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Zu Recht geht das Amtsgericht weiter davon aus, dass auch kein Rechtsmissbrauch aufgrund der Wahl der Wohnung vorliegt. Überzogener Wohnbedarf ist vorliegend nicht anzunehmen.

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Ein Fall unzumutbarer Härte i.S.d. § 574 BGB ist aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung abzulehnen. Ab der Kündigung ist der Mieter verpflichtet, sich um Ersatzwohnraum zu bemühen. Diese Bemühungen beschränken sich auf eine angemessene Ersatzwohnung, aber grundsätzlich nicht nur im bisherigen Wohngebiet (Palandt/Weidenkaff, BGB, 75. Aufl. 2016, § 574 Rn. 9). Auch stellt die derzeitige Miete keine absolute finanzielle Obergrenze da. Notfalls ist auch eine höhere Miete (bis etwa zur ortsüblichen, vgl. Palandt/Weidenkaff a.a.O. m.w.N.) zu akzeptieren und zumutbar. Solche Bemühungen der Antragsteller - auch über B. hinaus - entsprechenden Wohnraum zu finden, sind nicht erkennbar und nicht vorgetragen. Daher war auch nicht Beweis zu erheben. Auch die getätigten Investitionen mit einem wirtschaftlichen Wert von rund 500 Euro stehen einer wirksamen Kündigung nicht entgegen. Es handelt sich hierbei nicht um erhebliche Investitionen, die eine Kündigung nach über einem Jahr ausschließen. Auch stellt es - wie das Amtsgericht zu Recht ausführt - keine unzumutbare Härte dar, ein etwa einjähriges Kind aus dem gewohnten Umfeld zu entlassen. In diesem Alter hat das Kind, das zum Zeitpunkt der Kündigung auch noch nicht in den Kindergarten ging, regelmäßig noch keine derart feste Beziehung zu seiner Umgebung aufgebaut, die einen Umzug unzumutbar erscheinen ließe.

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Einer Kostengrundentscheidung bedurfte es nicht. Gemäß § 127 Abs. 4 ZPO werden die Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht erstattet (Zöller/Geimer, ZPO, 31. Aufl., § 127 Rn. 39).

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Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht gegeben sind (§ 574 Abs. 2 ZPO).


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