Urteil vom Landgericht Dortmund - 4 O 284/13
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Kläger.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des
jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar
1
T a t b e s t a n d
2Die Kläger nehmen die Beklagte als Erben der verstorbenen Frau T5 anlässlich einer ärztlichen stationären Behandlung im Zeitraum vom 28.08.2006 bis zum 25.01.2007 auf Zahlung von Schmerzensgeld, Schadenersatz sowie Feststellung der weiteren Ersatzpflicht in Anspruch.
3Bereits im Jahr 1996 erlitt Frau T5 einen Posterolateralinfarkt mit eingeschränkter linksventrikulärer Funktion bei koronarer 2-Gefäßerkrankung mit kollateralisiertem RCX-Verschluss. Im Rahmen dieses Ereignisses musste Frau T5 bei Kammerflimmern wiederbelebt werden. Zudem kam es durch eine kleine zentrale Hirnblutung zu einer Armparese rechts.
4Seit Anfang des Jahres 2006 litt Frau T5 unter stark ausgeprägter Dyspnoe bei körperlicher Anstrengung sowie zunehmenden Erschöpfungszuständen. Aufgrund dessen wurde sie am 28.08.2006 erstmalig im Haus der Beklagten vorstellig.
5Echokardiographisch zeigte sich am 29.08.2006 im Rahmen der Erstuntersuchung ein vergrößerter, nicht hypertrophierter linker Ventrikel mit segmentaler Kontraktionsstörung und mittelgradig eingeschränkter systolischer Funktion sowie eine Mitralklappeninsuffizienz II. bis III. Grades. Als koronarvaskulärer Risikofaktor bestand ein Nikotinabusus.
6Noch am selben Tag wurde zusätzlich eine Herzkatheteruntersuchung durchgeführt. In dieser bestätigte sich die koronare 2-Gefäßerkrankung mit kollateralisiertem RCX-Verschluss sowie eine höhergradige Mitralklappen-insuffizienz III. Grades mit pulmonal-arterieller Hypertonie bei erhöhtem PC-Druck und bereits zusätzlich erhöhtem pulmonal-arteriellem Widerstand.
7Aufgrund der Ergebnisse der Untersuchung rieten die behandelnden Ärzte an, die Mitralklappeninsuffizienz behandeln zu lassen. Frau T5 lehnte die Durchführung eines Langzeit-EKGs sowie die Vornahme eines operativen Eingriffs zunächst ab, sodass sie auf eigenen Wunsch nach Optimierung der medikamentösen Therapie durch den Einsatz von Ramipril am 31.08.2006 aus der stationären Behandlung entlassen wurde.
8Nach einer Rücksprache mit ihrem behandelnden Kardiologen sowie einigen Gesprächen mit ihrem Ehemann stellte sich Frau T5 am 12.10.2006 nunmehr zur operativen Behandlung der Mitralklappeninsuffizienz im Haus der Beklagten in der Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie vor.
9Unter dem 16.12.2006 erfolgte sodann ein Aufklärungsgespräch. In der Akte finden sich dazu zwei Aufklärungsbögen. Zum einen ein Aufklärungsbogen, der die Durchführung einer Herzklappenoperation betrifft sowie zum anderen ein Aufklärungsbogen, der die Durchführung eines Aortokoronaren Bypasses erläutert. Auf dem Aufklärungsbogen des Aortokoronaren Bypasses findet sich folgender handschriftlicher Eintrag:
10„Herz-OP…MKR, Ring-Implantation vorgesehen, falls MKE- die Pat. wünscht sich die Bioklappe…“
11Am Folgetag wurde Frau T5 operiert. Es wurde eine Mitralklappen-rekonstruktion mit Implantation eines Mitrofast-Ringes der Größe 34 mm durchgeführt.
12Im Anschluss verblieb Frau T5 zunächst bis zum 20.10.2006 in der Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie und befand sich sodann noch bis zum 09.11.2006 in stationärer Behandlung in der Medizinischen Klinik der Beklagten.
13Dort wurde am 24.10.2006 eine Echokardiographie durchgeführt. Diese zeigte eine verbleibende leichtgradige Mitralklappeninsuffizienz nach Rekonstruktion.
14Unter dem 25.10.2006 erfolgte bei höhergradig eingeschränkter linksventrikulärer Funktion und ventrikulären Salven die Implantation eines ICD. Zusätzlich musste Frau T5 aufgrund eines Vorhofflimmerns am 30.10.2006 cardiovertiert werden.
15Im Anschluss wurde Frau T5 nach Optimierung der Pharmakotherapie am 09.11.2006 entlassen.
16Unter dem 15.11.2006 wurde Frau T5 in der Reha-Klinik L2 in F vorstellig. Bereits nach fünf Tagen wurde sie aufgrund zunehmender Dyspnoe in das Marienhospital T verlegt. Im Rahmen der dort stattfindenden Behandlung wurde erneut festgestellt, dass die Herzklappe nicht richtig schloss. Es zeigte sich eine linkskardiale Dekompression mit Pleuralerguss rechts.
17Echokardiographisch zeigte sich diesbezüglich am 22.11.2006 ein kombiniertes Mitralvitium mit insgesamt 3 Reflux-Jets, einem Insuffizienzgrad II entsprechend sowie eine Metallklappenstenose mit einer errechneten Klappenöffnung um 1,2 cm bei einer THC von ca. 170 ms.
18Nach Rückverlegung ins Haus der Beklagten wurden am 01.12.2006 eine Kontrollechokardiographie sowie am 04.12.2006 eine transoesophageale Echokardiographie durchgeführt. Diese bestätigten den Befund des Marienhospitals Schwelm mit deutlich reduzierter Klappenöffnungsfläche bei leichtgradiger exzentrischer Insuffizienz.
19Aus diesem Grund wurde Frau T5 am 26.12.2006, nach einer kurzen Entlassung über die Feiertage, erneut im Haus der Beklagten in der Klinik für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie zur operativen Revision der Mitralklappe aufgenommen.
20Am 28.12.2006 erfolgte sodann eine Revisionsoperation in Form des Mitralklappenersatzes. Es wurde eine künstliche Herzklappe vom Typ Edward Mira 27 mm implantiert.
21Im Operationsbericht vom 28.12.2006 heißt es:
22„Der implantierte Mitro-Fast-Ring scheint unauffällig. Im Bereich der anterolateralen Kommissur bestehen jedoch ausgeprägte Adhäsionen zwischen dem Segment A1 und dem Segment P1 des belassenen posterioren Segels, welche in Zusammenhang mit dem starren posterioren Segels des Mitro-Fast-Ringes zur beschriebenen Stenose führen.“
23Unter dem 10.01.2007 wurde Frau T5 in die Medizinische Klinik E Mitte verlegt.
24Sodann wurde sie am 25.01.2007 in die Rehabilitationseinrichtung Klinik L2 überwiesen.
25Die Kläger behaupten, Frau T5 sei im Haus der Beklagten fehlerhaft behandelt worden.
26So sei der operative Eingriff vom 17.10.2006 nicht lege artis durchgeführt worden. Es sei intraoperativ unzureichend keine Kontrolle des Herzklappenschlusses erfolgt. Zudem habe es sich bei der gewählten Operationsmethode um eine Neulandmethode gehandelt. Die Operation sei bis zum Operationszeitpunkt erst drei bis viermal durchgeführt worden. Der Operateur sei seiner insoweit bestehenden Pflicht zur Überprüfung der Behandlungsmethode nicht nachgekommen. Zusätzlich sei das bei Frau T5 eingesetzte Mitro-Fast-Mitralklappen-Repairsystem des Herstellers Shellhigh kein Standardprodukt gewesen.
27Zudem sei Frau T5 unzureichend aufgeklärt worden. So sei sie nicht über die Durchführung und Risiken einer Herzklappenrekonstruktion informiert worden. Vielmehr sei mit ihr lediglich über die Operation in Form des Einsatzes einer künstlichen bzw. biologischen Herzklappe gesprochen worden. Auch sei sie nicht über die geplante Verwendung eines Mitro-Fast-Anuloplastieringes informiert worden. Ebenso seien ihr keine anderen Operationsmethoden dargestellt worden. Schließlich sei sie auch nicht über den Umstand aufgeklärt worden, dass es sich bei der geplanten Operationsweise um eine „Neulandmethode“ handele.
28Aufgrund der Fehlbehandlung im Haus der Beklagten habe Frau T5 mehrere langwierige stationäre Krankenhausaufenthalte über sich ergehen lassen müssen. Zudem sei sie körperlich stark eingeschränkt gewesen. So sei sie nur noch mit einem Rollator mobil gewesen und habe sich in erster Linie in ihrer Wohnung aufgehalten. Haushaltstätigkeiten habe sie nur noch äußerst eingeschränkt ausüben können.
29Die Kläger erachten ein Schmerzensgeld in Höhe von 80.000,00 € für angemessen. Ferner begehren sie für die Zeit vom 01.01.2007 bis zum 31.07.2013 den Ersatz eines Haushaltsführungsschadens in Höhe von insgesamt 102.600,00 € sowie ab dem 01.08.2013 bis zum Tod der Frau T5 am 25.10.2014 eine monatliche Rente zum Ausgleich des weiteren Haushaltsführungsschadens in Höhe von 1.299,00 €. Sie behaupten, bis zum Tod der Frau T5 am 25.10.2014 seien weitere materielle Schäden entstanden. Insoweit begehren sie die Feststellung der weiteren Ersatzpflicht.
30Soweit Frau T5 ursprünglich über den 25.04.2010 hinaus eine unbefristete monatliche Haushaltsführungsrente, eine unbefristete Feststellung der weiteren Schadensersatzpflicht für materielle Schäden sowie die Feststellung der Ersatzpflicht für nicht vorhersehbare immaterielle Schäden begehrt hat, haben die Parteien diese Anträge im Hinblick auf den Tod der Frau T5 übereinstimmend für erledigt erklärt.
31Die Kläger beantragen nunmehr,
32- 33
1. die Beklagte zu verurteilen, an die klagende Erbengemeinschaft ein angemessenes Schmerzensgeld, welches einen Betrag in Höhe von 80.000,00 € nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.09.2013 zu zahlen,
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2. die Beklagte zu verurteilen, an die klagende Erbengemeinschaft einen Haushaltsführungsschaden in Höhe von 102.600,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.09.2013 zu zahlen,
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3. die Beklagte ferner zu verurteilen, an die klagende Erbengemeinschaft eine monatliche Rente für fiktive Haushaltsführungskosten in Höhe von 1.299,00 €, beginnend mit dem Monat August 2013, zahlbar bis spätestens zum 5. Kalendertag des nachfolgenden Monats, endend zum 25.10.2014, zu zahlen,
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4. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der klagenden Erbengemeinschaft sämtliche materiellen Schäden, die bis zum 25.10.2014 entstanden sind, zu ersetzen, welche der Frau T5 aus der fehlerhaften Behandlung in der Zeit vom 28.08.2006 bis 25.01.2007 entstanden sind, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übertragen werden.
Die Beklagte beantragt,
38die Klage abzuweisen.
39Sie behauptet, die Behandlung der Frau T5 sei lege artis erfolgt. So sei regelrecht eine Mitralklappenrekonstruktion vorgenommen worden. Auch sei die Durchführung nicht zu beanstanden. Die ordnungsgemäße Funktion der Mitralklappe sei noch intraoperativ überprüft worden. Dass letztlich eine Revisionsoperation notwendig geworden sei, sei schicksalhaft bedingt.
40Die Mitralklappenrekonstruktion sei indiziert gewesen. Sie habe eine deutlich bessere Langzeitprognose gegenüber einem Klappenersatz geboten. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund, dass bei Frau T5 keine degenerative Erkrankung einzelner Segelanteile, sondern eine komplette Restriktion des hinteren Mitralsegels mit Schrumpfung der Segelfläche und einer Fehlfunktion der Sehnenfäden vorgelegen habe. Bei jeder Rekonstruktion einer Mitralklappe erfolge standardmäßig eine Stabilisierung mittels eines künstlichen Mitralringes. Die Entscheidung darüber, welcher Ring implantiert wird, würde während des Eingriffs getroffen und richte sich in erster Linie nach Art und Umfang der Klappenerkrankung.
41Auch habe es sich bei der durchgeführten Operation nicht um eine unzureichend erprobte Neulandmethode gehandelt. Die bei Frau T5 angewandte minimalinvasive Operationstechnik würde zum Zeitpunkt der Operation und bis heute im Haus der Beklagten drei bis fünfmal pro Woche angewandt. Die Rekonstruktion der Mitralklappe stelle die häufigste Operationsmethode dar.
42Auch sei die Aufklärung ordnungsgemäß erfolgt. So sei Frau T5 vor der Operation am 17.10.2006 im Rahmen eines Aufklärungsgesprächs am 16.10.2006 über die Operationsmethoden und die sich aus den unterschiedlichen Operationsmethoden ergebenden Risiken umfassend aufgeklärt worden. So sei sie darauf hingewiesen worden, dass zwei Operationsmöglichkeiten bestehen und die letztliche Entscheidung, welche Operationsmöglichkeit gewählt würde, erst während des Eingriffs getroffen werden könne. Es sei zudem erläutert worden, dass entweder die Möglichkeit einer Mitralklappenrekonstruktion oder die Möglichkeit eines Mitralklappenersatzes bestehen.
43Die Beklagte erhebt zudem den Einwand der hypothetischen Einwilligung.
44Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
45Die Kammer hat den Ehemann der Frau T5, Herrn T2, persönlich angehört. Es wurde zudem Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen N sowie durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Prof. Dr. B, das der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung vom 28.01.2016 näher erläutert hat. Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf das schriftliche Gutachten vom 16.03.2015 (Bl. 88 ff. d. A.) sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 28.01.2016 (Bl. 140 ff. d. A).
46E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
47Die zulässige Klage ist unbegründet.
48Die Kläger als Erben der Frau T5 haben gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld oder Schadensersatz sowie auf Feststellung der weiteren Ersatzpflicht, und zwar weder aufgrund des abgeschlossenen Heilbehandlungsvertrages nach den §§ 1922, 280, 611, 249 ff. BGB noch aufgrund einer unerlaubten Handlung nach den §§ 1922, 823, 831, 249 ff. BGB. Denn den Klägern ist es nicht gelungen zu beweisen, dass die Behandlung im Haus der Beklagten fehlerhaft erfolgt ist. Auch die von den Klägern geltend gemachte Rüge der fehlerhaften Aufklärung verfängt nicht. Die Kammer geht von einer ordnungsgemäßen Aufklärung aus.
49Die Kammer folgt bei ihrer Einschätzung hinsichtlich der Frage, ob die Behandlung im Haus der Beklagten fehlerhaft erfolgt ist, den überzeugenden und nachvollziehbaren Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. B, der als Klinikdirektor des Universitätsklinikum B über umfassende theoretische Kenntnisse wie auch praktische Erfahrung verfügt. Die Ausführungen des Sachverständigen beruhen auf einer gründlichen Aufarbeitung der Behandlungsunterlagen. Er hat sämtliche für die Entscheidung des Rechtsstreits maßgeblichen Fragen in seinem Gutachten und im Rahmen seiner Anhörung klar und eindeutig beantwortet.
50Zunächst geht die Kammer mit dem Sachverständigen davon aus, dass die Operation vom 17.10.2006 indiziert war und fachgerecht durchgeführt wurde.
51Nach den Ausführungen des Sachverständigen war die Durchführung einer Mitralklappenrekonstruktion mittels eines Mitrofast-Rings in der speziellen Form eines Mitrofast-Anuloplastieringes indiziert. Die bei der Verstorbenen vorgelegene Erkrankung stellt die klassische Indikation für eine Rekonstruktion unter Verwendung eines Mitrofast-Anuloplastieringes dar.
52Bei Frau T5 bestand bereits seit dem Jahr 1996 eine Einschränkung der Herzkammerbeweglichkeit. Die im Jahr 2006 festgestellte Mitralklappeninsuffizienz wurde nach den Ausführungen des Sachverständigen hervorgerufen durch eine zunehmende Dilatation der linken Herzkammer sowie eine Unbeweglichkeit der Hinterwand. Durch den dadurch entstehenden Blutstau in der Lunge erklärt sich auch die seinerzeit bestehende Dyspnoe bei Frau T5.
53Der Sachverständige führte zur Indikation der Mitralklappenrekonstruktion aus, dass bereits seit Mitte der 90-iger Jahre in 70 % – 80% der Fälle von Mitralklappenundichtigkeiten Rekonstruktionen der Mitralklappe vorgenommen werden. So war diese Behandlungsmethode auch bereits im Jahr 2006 ein anerkanntes Verfahren zur Behandlung höhergradiger Mitralklappeninsuffizienzen. Erst wenn eine solche Vorgehensweise in Form der Rekonstruktion nicht möglich erscheint, wird als letztes Mittel der Wahl ein Klappenersatz gewählt. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass im Rahmen einer Rekonstruktion die eigene Klappe erhalten bleibt und gute Langzeitergebnisse erzielt werden. Nach der Operation bedarf es zum Schutz vor Blutgerinnungen nur für einen kurzen Zeitraum von ca. 3 Monaten der Einnahme von Marcumar, während bei dem Einsatz einer künstlichen Herzklappe lebenslang Marcumar eingenommen werden muss. Bei dem Einsatz einer biologischen Herzklappe muss zwar auch nur für wenige Monate Marcumar eingenommen werden, dafür aber ist die Einsatzfähigkeit der biologischen Herzklappe auf mehrere Jahre beschränkt, sodass nach einigen Jahren eine Nachoperation erforderlich werden kann. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung haben die Erläuterungen des Sachverständigen noch einmal klar aufgezeigt, dass die Rekonstruktion der Mitralklappe klare Vorteile gegenüber dem Klappenersatz hat und als erste Wahl der Operationsmethode gilt.
54Auch geht die Kammer mit dem Sachverständigen davon aus, dass die Verwendung eines Mitrofast-Anuloplastieringes ordnungsgemäß erfolgt ist.
55Der Sachverständige stellte hierzu im Rahmen des Termins zur mündlichen Verhandlung dar, dass es bereits seinerzeit eine Vielzahl von unterschiedlichen Ringtypen gab. So existierten elastische Ringe, starre Ringe und auch geformte Ringe. Anhand einer Skizze hat der Sachverständige erläutert, dass im Fall einer Herzerweiterung der gesamte Klappenapparat weiter in das Herz hineingezogen ist. Das Aufsetzen eines gewöhnlichen Rings ist dann nicht möglich, es würde die Situation verschlimmern. Abgesehen davon, dass der Sachverständige eine Vielzahl von intraoperativen Möglichkeiten zur Rekonstruktion aufgezeigt hat, vom Kürzen von Sehnenfäden bis hin zur Einbringung von künstlichen Sehnenfäden, hat er dargelegt, dass gerade die Problematik der Mitralklappenrekonstruktion bei Herzerweiterungen zur Entwicklung des vorliegend verwandten Ringes, dem sogenannte Shellhigh-Mitrofast-Ring, geführt hat. Er hat ein starres Segel, gegen das das native vordere Mitralsegel schlagen kann, ohne einen wesentlichen Verlust an der Klappenöffnungsfläche zu realisieren (vgl. auch Skizze S. 12 des Gutachtens). Gerade für den hier vorliegenden Fall der Herzerweiterung war also der Ring entwickelt worden. Wie an späterer Stelle noch auszuführen sein wird, bestanden keine Risiken, die sich von der Wahl einer anderen Rekonstruktion wesentlich unterschieden. Der Einsatz des Ringes war indiziert.
56Ferner geht die Kammer davon aus, dass Frau T5 vor der Operation am 17.10.2006 ordnungsgemäß und ausreichend aufgeklärt wurde. Eine weitergehende Aufklärung war nach Auffassung der Kammer insoweit auch nicht erforderlich.
57Eine ordnungsgemäße Aufklärung ergibt sich aus der Dokumentation der Beklagten sowie den Angaben des Zeugen N. Ausweislich der Aufklärungsbögen der Beklagten wurde über die Rekonstruktion mittels Ringimplantation und insbesondere über die Möglichkeit der intraoperativen Entscheidung zum Mitralklappenersatz aufgeklärt. Der Zeuge N vermerkte als geplante Operation „MKR…ACB...MIC“ und umfasste somit sowohl die Mitralklappenrekonstruktion als auch den –Ersatz. Dokumentiert wurde die Aufklärung auf zwei unterschiedlichen Bögen. Zum einen auf dem Bogen für den Aortakoronaren Bypass und zusätzlich auf dem Bogen für die Herzklappenoperation. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass sich die handschriftlichen Ergänzungen die Mitralklappenoperation betreffend auf dem Bogen des Bypasses befinden. Denn es handelte sich um eine einheitliche Operation und ein zusammenhängenden Aufklärungsgespräch. Lediglich weil es keinen Aufklärungsbogen gibt, der beide Operationselemente darstellt, mussten nach den glaubhaften Angaben des Zeugen N zwei Bögen genutzt werden.
58Ferner hat der Zeuge N in glaubhafter Weise bekundet, dass er Frau T5 über die Durchführung einer Mitralklappenrekonstruktion aufgeklärt hat. Er konnte insoweit ausschließen, nur über die Möglichkeit eines Ersatzes gesprochen zu haben, ohne auf die Möglichkeit einer Rekonstruktion hinzuweisen. Vielmehr konnte er überzeugend schildern darüber aufgeklärt zu haben, dass regelmäßig zunächst eine Rekonstruktion der Herzklappe versucht und lediglich im Fall des Nichterfolgs auf einen Ersatz zurückgegriffen würde. Die Wahl der Durchführungsmethode würde dabei intraoperativ letztlich vom Operateur entschieden. Vor diesem Hintergrund, sei er verpflichtet, regelmäßig über die Rekonstruktion wie auch die Möglichkeit eines Ersatzes aufzuklären.
59Die Angaben des Zeugen sind glaubhaft, denn nach den Ausführungen des Sachverständigen kann kein Zweifel bestehen, dass im Regelfall eine Rekonstruktion stattfindet und gerade kein Klappenersatz. Ein nachvollziehbarer Grund, warum der Zeuge also die indizierte und regelmäßig durchgeführte Methode nicht erwähnt haben sollte, ist nicht ersichtlich. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass unstreitig eine ausführliche Besprechung stattgefunden hat.
60Die Angaben des Zeugen N werden auch nicht durch die Aussage des Ehemanns der Frau T5 entkräftet. Die Erinnerung des Zeugen erscheint der Kammer insoweit nicht überzeugend. Soweit sich der Zeuge zu erinnern meint, dass sich seine Ehefrau für eine mechanische Herzklappe entschieden hat, steht dies im Widerspruch zu dem Aufklärungsbogen, nach welchem sich Frau T5 eine biologische Klappe gewünscht hat. Es ist daher nicht auszuschließen, dass sich der Zeuge schlicht falsch erinnert, möglicherweise weil die Frage der Art des Klappenersatzes zwischen den Eheleuten am meisten diskutiert worden ist und die Klappenfrage (künstlich oder biologisch) für den Laien auch einsichtiger ist, als die Rekonstruktion selbst. Ihm mag daher nur dieser Aspekt in Erinnerung geblieben sein.
61Bezüglich der Wahl des Ringes bedurfte es keiner Aufklärung. Vielmehr geht die Kammer mit dem Sachverständigen davon aus, dass es sich in diesem Zusammenhang um eine individuell intraoperativ zu treffende Entscheidung des Operateurs handelt.
62So ist anerkannt, dass die Wahl der richtigen Behandlungsmethode grundsätzlich allein Sache des Arztes ist. Aufklärungen haben nur in Bezug auf mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden mit wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken und Heilungschancen zu erfolgen. Ebenso hat eine Aufklärung zu erfolgen, wenn der Arzt eine relativ neue und noch nicht allgemein eingeführte Methode mit neuen, noch nicht abschließend geklärten Risiken anwenden will (vgl. auch Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 6. Auflage, Kap. C. Rn. 21 ff).
63Nach den Ausführungen des Sachverständigen ist entgegen der Rüge der Kläger in der Verwendung des Shellhigh-Mitrofast-Ringes keine „Neulandmethode“ zu sehen. Die Ringimplantation war seit vielen Jahren erprobt und wurde in der überwiegenden Anzahl der Fälle bei Mitralklappeninsuffizienzen durchgeführt. Die Wahl des implantierten Ringes ist ohne wesentlichen Einfluss auf die Operationstechnik. Zudem hat der Sachverständige ausgeführt, dass dem Operateur ein gewisses Portfolio an Entscheidungsmöglichkeiten intraoperativ zur Verfügung stehen muss, um individuell intraoperativ ein gutes Ergebnis erzielen zu können. Als Ausschnitt aus zahlreichen Operationstechniken hat der Sachverständige erläutert, dass man auch Sehnenfäden kürzen oder künstliche einsetzen kann oder auch Teilbereiche zurückschneiden kann. Zu dem Portfolio gehört auch ein Angebot von verschiedenen Ringen, nicht nur von verschiedenen Herstellern, sondern auch in unterschiedlicher Form, z.B. elastisch, starr oder gebogen. Der entwickelte Shellhigh-Mitrofast-Ring ist nur ein neue Ausgestaltung des Ringes durch Anbringung eines starres Segels. Er wurde weltweit bereits seit dem Jahr 2004 verwendet und war im Jahr 2006 in Deutschland marktzugelassen. Der Zeitpunkt der CE-Zertifizierung lag im Jahr 2004 oder 2005. Eine Verpflichtung zur Überprüfung der Methode bestand somit nach CE-Zertifikat nicht. Auch ein Aufklärungsbedürfnis der Ringform bestand ebenso wie bei den anderen Ringformen für Frau T5 als Patientin nicht.
64Denn auch wenn sich die verwandte Ringkonstruktion letztlich nicht durchgesetzt hat und es in einigen Fällen zu einer Überkorrektur der Mitralklappe gekommen ist, barg die Ringwahl kein größeres Risiko als bei einer andern Operationsmethode. Jedem Rekonstruktionsverfahren ist immanent, dass die Rekonstruktion nicht ideal gelingt oder es zu Komplikationen kommen kann. Auch die Auswirkungen auf das Flussergebnis und somit die Hämodynamik sind bei allen Therapieformen gleich. Eine Risikoerhöhung bestand nicht. Im Gegenteil ging man davon aus, dass gerade diese Ringkonstruktion geeignet sein könnte, Patienten mit einer Herzerweiterung zu helfen.
65Schließlich kann die Kammer keine Säumnis im Rahmen der postoperativen Diagnostik feststellen. Es haben intra- und frühpostoperativ den klinischen Standard entsprechende Untersuchungen zum Herzklappenschluss stattgefunden. So erbrachte die Sealing-Probe laut dem Operationsbericht vom 17.10.2006 eine kompetente Mitralklappe und auch in der postoperativen TTE-Untersuchung zeigte sich eine vollständig kompetente Mitralklappenfunktion. Auch der im Rahmen der zweiten Operation vorgefundene Befund der Stenose durch Segelverklebung spricht für ein sekundäres Geschehen, dass sich erst voraussichtlich über Tage bis Wochen nach dem initialen Eingriff entwickelt hat. Zudem kann sich nachträglich die Ventrikelgeometrie geändert haben.
66Ein Behandlungsfehler oder ein Aufklärungsversäumnis sind daher nicht festzustellen.
67Im Übrigen weist die Kammer darauf hin, dass die gravierenden Einschränkungen der verstorbenen Frau T5 nicht auf der Behandlung im Haus der Beklagten beruhten. Sie wurde aus der Rehabilitationsbehandlung am 15.02.2007 mit folgender Einschätzung entlassen:
68Mit dem hier gezeigten Leistungsbild ist die Patientin in der Lage, ihre alltäglichen Verrichtungen selbständig und ohne fremde Hilfe auf leichtem Belastungsniveau durchzuführen.
69Tatsächlich erlitt die Verstorbene Ostern 2010 einen weiteren Schlaganfall mit Sturz. Dies ist von der Klägerseite im gesamten schriftsätzlichen Vortrag verschwiegen worden. Auch ist das behandelnde Krankenhaus nicht benannt worden. Allein durch Arztbriefe, die sich in den Krankenunterlagen des Hausarztes befanden, ist für den Sachverständigen ersichtlich geworden, dass eine entsprechende Behandlung bestand. Die Höhe der geltend gemachten Ansprüche war von Anfang an überzogen.
70Die Klage war damit abzuweisen.
71Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in § 709 Satz 2 ZPO.
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Referenzen
- ZPO § 709 Vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung 1x
- BGB § 823 Schadensersatzpflicht 1x
- ZPO § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht 1x
- §§ 1922, 823, 831, 249 ff. BGB 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 611 Vertragstypische Pflichten beim Dienstvertrag 1x
- BGB § 1922 Gesamtrechtsnachfolge 2x
- BGB § 280 Schadensersatz wegen Pflichtverletzung 1x
- §§ 1922, 280, 611, 249 ff. BGB 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 831 Haftung für den Verrichtungsgehilfen 1x