Urteil vom Landgericht Dortmund - 4 O 430/16
Tenor
Die Beklagten zu 1), 3), 4) und 5) werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 500.000,00 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.05.2016 zu zahlen, abzüglich am 04.04.2017 gezahlter 250.000,00 €.
Es wird festgestellt, dass sich der Rechtsstreit im Hinblick auf die Zahlung i.H.v. 250.000,00 € am 04.04.2017 gegenüber den Beklagten zu 1) und 3) erledigt hat.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 1) und 3) als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche künftigen unvorhersehbaren immateriellen sowie alle vergangenen und künftigen materiellen Schäden, die ihr infolge der Behandlung anlässlich ihrer Geburt am 00.00.0000 entstanden sind bzw. noch entstehen werden, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Gerichtskosten tragen die Klägerin 46 % und die Beklagten zu 1), 3), 4) und 5) als Gesamtschuldner 54 %.
Von den außergerichtlichen Kosten der Klägerin tragen die Beklagten zu 1), 3), 4) und 5) als Gesamtschuldner 54 %.
Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1), 3), 4) und 5) zu je 6,25 %.
Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2), 6) und 7).
Im Übrigen tragen die Parteien ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
1
Tatbestand
2Die Klägerin, geboren am 00.00.0000 im Hause der Beklagten zu 1), macht gegen die Beklagten Ansprüche auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes und Feststellung der weiteren Ersatzpflicht aus der Behandlung im Zusammenhang mit ihrer Geburt geltend.
3Die Beklagte zu 1) ist Trägerin des A1 in A2. Der Beklagte zu 2) ist Chefarzt der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe der Beklagten zu 1). Die Beklagte zu 3) war dort im M0000 Assistenzärztin, die Beklagte zu 6) Oberärztin. Der Beklagte zu 7) war Oberarzt in der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie der Beklagten zu 1). Die Beklagte zu 4) war als selbstständige Hebamme bzw. Beleghebamme in der Klinik der Beklagten zu 1) tätig. Die Beklagte zu 5) war in einer Ausbildung zur Hebamme im Hause der Beklagten zu 1) und hospitierte am 00.00.0000 bei der Beklagten zu 4).
4Zwischen der Beklagten zu 1) und der Beklagten zu 4) wurde am 29.07.2005 ein Beleghebammenvertrag (vgl. Bl. 310 ff. d.A.) geschlossen, in dem es unter „§ 2 Stellung der Beleghebamme“ heißt:
5„(1.) Die Beleghebamme ist als freiberufliche Hebamme für die nichtärztliche geburtshilfliche Betreuung von Schwangeren, Gebärenden, Wöchnerinnen und Neugeborenen im Krankenhaus im Rahmen des Hebammengesetzes und der Berufsordnung in der jeweils gültigen Fassung in eigener Verantwortung tätig.
6Die Schwangere tritt mit der Hebamme in eine eigene vertragliche Beziehung.
7Die Beleghebamme steht zum Krankenhausträger weder in einem Anstellungsverhältnis noch in einem arbeitnehmerähnlichen Verhältnis. Arbeitsrechtliche Vorschriften, wie z.B. das Kündigungsschutzgesetz finden keine Anwendung.
8(2) Solange eine Geburt nicht regelwidrig wird, ist die Hebamme allein verantwortlich. Die Hebamme verpflichtet sich den diensthabenden Assistenzarzt der Frauenklinik des A1 bei Aufnahme einer Schwangeren über die Befundsituation zu informieren und ihm die Gelegenheit zu geben mit der schwangeren Kontakt aufzunehmen. Ebenso verpflichtet sich die Hebamme, grundsätzlich zur Entbindung den diensthabenden Assistenzarzt hinzuzuziehen, bei der Entbindung von Privatversicherten ist der Chefarzt der Abteilung oder sein Vertreter/in beizuziehen.
9Die Hebamme hat auf Regelwidrigkeiten und Risikofaktoren zu achten. Zeichnen sich Komplikationen ab, so hat sie dafür zu sorgen, dass über den diensthabenden Assistenzarzt ein Facharzt oder eine Fachärztin hinzugezogen wird. In diesem Falle wird die Hebamme zur Gehilfin des Arztes; sie ist ihm gegenüber weisungsgebunden. Verlangt die Ärztin oder der Arzt von der Hebamme eine geburtshilfliche Handlung, die der Berufsordnung oder den anerkannten Regeln der Geburtshilfe widerspricht, hat die Hebamme die Ärztin oder den Arzt darauf hinzuweisen und dies zu dokumentieren. In diesem Fall kann die Hebamme die Ausführung verweigern.
10(3) Die geburtshilflichen Standards des A1 A2 und die Kreißsaal- Standards (siehe Anlage 1) sind verpflichtend anzuwenden. Das gleiche gilt für die Leitlinien der gynäkologisch/geburtshilflichen Fachgesellschaften. Die o. g. Standards und Leitlinien sind auf dem PC des Kreißsaals zur Einsicht abgelegt.“
11In den SOP (Standard Operating Procedures) (Bl. 317 ff. d.A.) der Beklagten zu 1) heißt es unter „A) Eröffnungsperiode“ auszugsweise:
12- „Bis zu einer Muttermundweite von 4 cm wird intermittierend ein CTG geschrieben von mindestens 30 min Dauer, mit einem Abstand von höchstens 2 Stunden.
- Ab einer Muttermundweite von 4-5 cm wird intermittierend ein CTG geschrieben von 30 min Dauer, mit einem Abstand von höchstens 1 Stunde.“
Unter „B) Austreibungsperiode“ heißt es auszugsweise:
14„CTG anschließen, ab vollständigem Muttermund erfolgt ein kontinuierliches CTG“
15In einer Informationsbroschüre der Beklagten zu 1) mit dem Titel „Elternschule A1 A2 Programm 1. Halbjahr 2015“ (Bl. 199 ff. d.A.) heißt es unter dem Abschnitt „Geburt mit einer Beleghebamme“:
16„Neben den fest angestellten Hebammen arbeiten sechs Beleghebammen in der Frauenklinik. Dieses System ermöglicht es Ihnen, von einer Hebamme Ihres Vertrauens vor, während und nach der Geburt betreut zu werden. Die Begleitung beginnt bereits in der Schwangerschaft. Durch den frühen persönlichen Kontakt entsteht eine besondere Vertrauensbeziehung, durch die sich Sicherheit, Beruhigung und Unterstützung während der Geburt entwickelt. In der ganzheitlichen Betreuung werden auch psychologische und soziale Aspekte Berücksichtigung finden. Dazu gehören z.B. Gespräche über Probleme, Sorgen und Fragen, die in der Schwangerschaft entstehen können. Das Betreuungsangebot der Hebammen umfasst:
17- 18
Frühzeitiger und persönlicher Kontakt zur Beleghebamme
- 19
Schwangerschaftsvorsorge und -beratung
- 20
Fachkundige und individuelle Geburtsbegleitung im A1
- 21
Erstuntersuchung des Kindes
- 22
Betreuung bei Risikoschwangerschaften
Eine Liste der Beleghebammen finden Sie am Ende der Broschüre.“
24Die schwangere Mutter der Klägerin wurde vom 00.00.0000 – 00.00.0000 durch ihre niedergelassene Frauenärztin B1- Ehefrau des Beklagten zu 2) – versorgt. Es handelte sich um ihre erste Schwangerschaft. Die klinischen und laborchemischen Untersuchungsergebnisse wiesen auf eine normale maternale und fetale Schwangerschaftsentwicklung hin und die sonografischen Screening-Untersuchungen in der Schwangerschaftswoche (SSW) 10+5, 20+5 und 30+5 bestätigten eine zeitentsprechende fetale Entwicklung ohne Hinweis auf kontrollbedürftige Befunde.
25Die Eltern der Klägerin informierten sich vorab über die Möglichkeiten der Betreuung durch eine Hebamme und entschieden sich schließlich für die Beklagte zu 4), da ihnen das Konzept gefiel, während der Geburt sowie bei der Vor- und Nachsorge von einer Person betreut zu werden. Dabei wollten sie die Geburt in der Klinik der Beklagten zu 1) und nicht zu Hause durchführen.
26Im Zeitraum Juli bis September 0000 führten sie mehrere Vorgespräche mit der Beklagten zu 4). Von Oktober bis Dezember 0000 war die Beklagte zu 4) im Urlaub.
27Am 10.08.0000 nahmen die Eltern an einer Kreißsaalführung durch den Beklagten zu 2) teil.
28Am 00.00.0000 fand ein Termin zur Geburtsplanung im Hause der Beklagten zu 1) statt, durchgeführt durch eine Assistenzärztin. Dabei wurde die Mutter auch über eine eventuell erforderliche, geburtshilfliche Regionalanästhesie (PDA) im Verlauf der Entbindung in der Klinik aufgeklärt.
29Dazu ist dokumentiert:
30„37. SSW: Vitale, zeitgerechte Gravidität mit unauffälligen fetalen und maternalen Doppelwerten. Das Geburtsvorbereitungsplanungsgespräch wurde durchgeführt. Spontanpartus angestrebt.“
31Die Mutter der Klägerin war gesetzlich krankenversichert bei der D1 und hatte eine private Zusatzversicherung für Krankenhausaufenthalte, die sie jedoch auf Anraten der Beklagten zu 4) gegenüber den Mitarbeitern der Beklagten zu 1) weder an diesem Tag noch bei der Aufnahme zur Geburt angab. Eine Wahlleistungsvereinbarung unterschrieb sie nicht.
32Die Eltern hatten mit der Beklagten zu 4) besprochen, dass sie diese telefonisch kontaktieren, wenn die Wehen regelmäßig auftreten. Die Wehen setzten in der Nacht vom 00. auf den 00.00.0000 ein. Am Tag der Geburt der Klägerin, dem 00.00.0000, riefen die Eltern um 7:30 Uhr bei der Beklagten zu 4) an und informierten sie, dass Wehen auftreten. Sie baten sie um einen Besuch zu Hause. Gegen 9:30 Uhr traf sie bei den Eltern zu Hause ein und blieb für ca. 1 Stunde.
33Um 13:21 Uhr erkundigte die Beklagte zu 4) sich telefonisch nach Zustand und Verlauf; auf dringende Bitte der Eltern suchte sie diese noch einmal zu Hause auf.
34Zu 14:10 Uhr dokumentierte die Beklagte zu 4) nach einer Untersuchung der Mutter zu Hause nachträglich in der Geburtsdokumentation:
35„Portio verstrichen MM 3cm, dünnsäumig, mittel- und mediosakral. Kopf schwer abschiebbar auf BE; FB intakt, etwas prall in der Wehe“
36Sie nahm eine Messung der Herztöne vor, nicht jedoch der Wehentätigkeit. Außerdem bot sie den Eltern erneut an, dass man die Geburt auch zu Hause durchführen könne. Die Eltern bestanden allerdings darauf, in die Klinik zu fahren.
37Beim Eintreffen im Hause der Beklagten zu 1) fand gerade der Schichtwechsel statt. Ab 15:30 Uhr war die Beklagte zu 3) zuständig.
38Die Beklagte zu 5) trat erst nach Eintreffen der Mutter und der Beklagten zu 4) in der Klinik hinzu, die Beklagte zu 3) sah die Mutter erstmals gegen 16:30 Uhr, um einen Zugang zu legen.
39Für den Zeitraum 15:25 Uhr bis zur Geburt um 20:55 Uhr zeigt der CTG-Streifen keine Wehenableitungen, sondern nur ein Kardiogramm. Durch Pfeile wurden alle Wehen bis zur Geburt handschriftlich vermerkt. Das Kardiogramm zeigt nur eine lückenhafte Registrierung für jeweils maximal 3-4 Minuten. Die aufgezeichnete Herzfrequenz des Kindes bewegte sich zwischen 90 und 170 Spm.
40In der Dokumentation der Beklagten zu 3), 4) und 5) heißt es:
4115:10 |
Ankunft regelm. kräftige WT ca alle 2‘ Wanne läuft ein 4-Füßler |
15:35 |
Wanne VagBefund (14:10 z.H.): Portio verstrichen MM 3cm, dünnsäumig, mittel- und mediosakral. Kopf schwer abschiebbar auf BE; FB intakt, etwas prall in der Wehe |
15:45 |
WT sehr schmerzhaft, mit beg. Druck VU: 4-5cm, dünnsäumig u. straff |
16:06 |
FHF Kontrolle 162 Spm |
16:30 |
Vigo + Blutentnahme F1 Toilette VU: 5cm, dünnsäumig, mittel; FB sehr prall |
16:40 |
Wanne |
17:30 |
Abgang d. Schleimpropfes; gibt wiederholt Druck an; VU: 7-8cm, pralle FB; MM weich |
17:45 |
Druck nimmt zu |
18:00 |
Breiter Saum, Kopf teif u. fest BE, FB BM + prall |
18:10 |
VU: MM bis auf schmalen Saum vollständig, FB kommt auf BB FHF: 155-162 spm |
18:30 |
B2 im 4-Füßlerstand in der Wanne |
18:35 |
VU: MM vollst, VT=BM, FB ø mehr tastbar, Wasser hat klare Farbe, ø Hinweis auf gr. FW. FHF 150 Spm, |
18:35 |
B2 schiebt nach Gefühl mit. FHF-Kontrolle: 152-160spm |
18:45 |
B2 steigt aus der Wanne Toilettengang, etwas Stuhlgang geht ab |
19:00 |
B2 in li. Seitenlage im Kreißbett FHF: 143 spm B2 schiebt mit, VU: MM-Lippe vorne u. re., weich, reponierbar, VT=BM |
19:05 |
FHF: 153 spm |
19:15 |
B2 am Hocker FHF 158-162 spm |
19:20 |
FHF: 162-168 spm |
19:25 |
1 Buscopan supp lokal an MM-Lippe |
19:29 |
FHF 168 spm |
19:35 |
4-Füßler |
19:45 |
re. SL, Start Oxy-Tropf (6 IE Oxy + 48ml NaCl) auf 4 ml/h da B2 sehr erschöpft ist. Grav. ist aufgeklärt u. einverstanden. FHF: 163-170 spm |
19:55 |
FHF: 120-135 spm |
20:00 |
Toilettengang ↑ Oxy-Tropf 8 ml/h |
20:26 |
Kreißbett Rückenlage FHF 140 spm nach der Wehe |
20:30 |
B2 schiebt spontan mit Kopf tritt tiefer 2QF↑BB |
20:44 |
Kopf auf BB, Scheide öffnet sich FHF 136 spm, schwierig abzuleiten; Frau toleriert Druck auf Bauch bzw. Symphyoe nicht; |
20:48 |
Kopf beginnt zu steigen nochmaliger Versuch der HT-Ableitung FHF 150 spm |
20:50 |
Info F1 anwesend |
20:51 |
Kopf krönt FHF 160 spm |
20:53 |
Tropf 12 ml/h ↑ |
20:54 |
Kopf geboren, es geht dickgrünes FW ab; Kd. angepustet grimmassiert |
20:55 |
Spontangeb. eines deprimierten ♀, aus II. HHL mit 1xNSU, ø Tonus, ø spontane Atmung; Nabelschnur pulsiert, HF bei ca. 110 Versuch Kd. abzusaugen, ø Reaktion |
20:56 |
Kd. Abgenabelt Rehaeinheit |
20:57 |
Info C1 / Info Anästhesie / Info Kinderklinik O2 vorgehalten, SpO2 44 %, HF ~ 140spm Geburts-pH 6,84, BE -20,9 mmol/l 7,01, BE -17,1 mmol/l APGAR: 4 |
20:58 |
C1 anwesend, D2 direkt anwesend HT ~ 110spM – 140spM spO2 46 % O2 Vorlage weiterhin Übernahme durch D2 |
20:59 |
Verschlechterung des Kindes Indikation zur CPAP |
21:10 |
Intubation bei Verschlechterung des AZ u. der Atmung des Kindes |
21:05 |
Plazenta gelöst u. Eihäuten gelöst lat. NS-Ansatz 3 Gefäße Anlage eines NS-Katheters + Versorgung des Kindes |
21:10 |
Eintreffen des Kinderklinik-Teams |
21:15 |
1. pH-Kontrolle: 6,58, BE -24,3 mmol/l s. Protokoll von D2 |
21:36 |
2. pH-Kontrolle: 6,79, BE -23 mmol/l BGA der Mutter: 7,33, BE -12,5 mmol/l |
~ 21:50 |
Transport des Kindes in die Kinderklinik |
22:00 |
Inspektion des Dammes und d. Genitale Versorgung DRII° in LA Voltaren® 100 Supp Rectal-dig U guter Sfinktertonus |
~ 23:45 |
Fax des Protokolls an die Kinderklinik |
Im Protokoll des Beklagten zu 7) „Dokumentation Notfallteam“ heißt es u.a.:
43Stationsteam |
Notfallteam |
|
Alarm |
20:56 |
20:57 |
Eintreffen Pat. |
20:57 |
20:58 |
Unter „Alarmierungsgrund“ ist angekreuzt:
45„Atmung
46AF <8/min“
47Unter „Notfallgeschehen/Anamnese/Erstbefund“ heißt es:
48„Nach Spontangeburt, Kind mit Apgar 4, Alarmierung C1 + Anästhesie, bei Eintreffen + *unleserlich* SpO2 46 x, HF 140, AF 5, sofortige CPAP-Therapie-Versuch, SpO2 ↑63%, Ø suffiziente Atmung weiterhin, IPV via Maske Fi O2 0,7, Besserung SpO2 91 %, 1. BGA 20:57 pH6, 84, BE -20“
49Unter „9. Erstbefund“, Unterpunkt „9.1 Neurostatus“ heißt es:
50„Keine Reaktion“
51Unter „9. Erstbefund“, Unterpunkt „9.2 Messwerte“ heißt es:
52„Puls 110 regelmäßig ja
53AF 35
54SpO2 50“
55Unter „9.4. Atmung“ ist angekreuzt:
56„Schnappatmung“
57Unter „10. Verlauf“ heißt es:
58„Nabelvenenkatheter, Bolusgabe 25 ml kristalloid, Intubation um 21:10 Uhr, Eintreffen des KiKlinik-Teams zeitgleich, endgültiger sicherer Atemweg 21:12 Uhr, Absaugen Mekonium, AG seitengleich, 2. BGA 21:15 Uhr, pH 6,59, BE 24,3, mehrfache Aspiration via Tubus, Venenzugang durch Kinderklinik-Team, Reduktion Fio2 möglich, IPV weiter, Stabilisierung des Kindes, HF allzeit > 100/min. Transport gegen 21:50 Uhr. Agpar 4/5/5.“
59Unter „12. Übergabe“, Unterpunkt „12.2. Messwerte“ ist eingetragen:
60„Puls 135 regelmäßig ja
61AF 40
62SpO2 94“
63Aus dem Einsatzbericht der Leitstelle ergeben sich ein Eingehen des Notrufs um 21:03 Uhr, eine Abfahrt des Kinder-Notarzteinsatzfahrzeuges um 21:05 Uhr und ein Eintreffen vor dem Klinikum um 21:14 Uhr. Zuständig war die Ärztin in Weiterbildung Pädiatrie G1.
64Im „Notarzteinsatzprotokoll Neugeborenenversorgung“ heißt es u.a.:
65„Alarm wegen Ateminsuffizienz, Bradykardie.“
66„Übernahme im Alter von 28 Minuten.“
67Erste Werte wurden ab 21:23 Uhr eingetragen.
68Unter „Primärversorgung/Übernahme“ heißt es:
69„Übernahme im Alter von 28 Min.
70HF 122/min, SpO2 92 %, 0,4 02-Vorlage
71Beim Eintreffen schlappes NG, Schaukelatmung, Hk rosig/blass, Akren noch kalt HF > 100/min. Der Kollege der Anästhesie hatte schon einen Nabelkatheter gelegt und 20 ml NaCl 0,9 % gegeben. Beim Eintreffen wurde eine Intubationsversuch gemacht, frustant. Nächste Versuch mit 3er Tubus, nasal erfolgreich. Danach anschließend an das CPAP Atemhilfe. Anschließend BGA (s.u.) und Tropfanlage. Jono *unleserlich* Bolus bei noch besteh. Azidose gegeben. Patient abgenabelt und erneute BGA Kontr. gemacht (s.u.). Wärmelampe + Matraze ausgemacht. Kind im Inkubator gelegt. SIMV-Beatmung angefangen.“
72Unter „4. Status“ heißt es:
73„Nach Intubation mehrmals Absaugen von zähes grünnes Sekret intratracheal. Oronasal ebenso grünes Sekret abzusaugen.
7421:15 1. BGA: pH 6,59 pCO2 113 mm Hg, BE-24,3 mmol/l
7521:35 2. BGA: pH 6,79 pCO2 57 mm Hg, BE bzw. -23,0 mmol/l“
76Die Klägerin wurde schließlich auf die Intensivstation der Kinderklinik verlegt und die Mutter wurde am Folgetag ebenfalls dorthin verlegt.
77Mit anwaltlichem Schreiben vom 29.04.2016 (Anlage K 16 Bl. 144 d.A.) forderte die Klägerin die Beklagten über deren Haftpflichtversicherungen zur Zahlung von 600.000,00 € bis zum 20.05.2016 auf. Die Haftpflichtversicherungen – G2 für die Beklagten zu 1) – 3) und 6) – 7) sowie K2 für die Beklagten zu 4) und 5) - lehnten eine Regulierung ab.
78Vorgerichtlich wurden im Auftrag der Klägerin bereits drei Gutachten eingeholt:
ss="absatzRechts">79- 80
H1, Arzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe (11.05.2016, K 1 Bl. 39 ff. d.A.)
- 81
H2, Direktor und Chefarzt des J2, Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe sowie Perinatalzentrum (28.06.2016, K 2 Bl. 57 ff. d.A.)
- 82
I1, ehem. Direktor der Kinderklinik des (…)krankenhauses E1 (01.11.2016, K 3 Bl. Ff. 88 d.A.)
Während des Rechtsstreits haben die Beklagten zu 1) – 3) und 6) – 7) ein neuropädiatrisches Gutachten eingeholt:
84- 85
E2, Kommissarischer Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin II, Neuropädiatrie und Sozialpädiatrie, K1 (26.02.2019, Bl. 757 ff. d.A.).
Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagten würden ihr als Gesamtschuldner haften. Dabei behauptet sie, den Beklagten zu 3) – 7) seien Behandlungsfehler unterlaufen.
87Eine Haftung des Beklagten zu 2) stützt sie zum einen auf einen behaupteten privatärztlichen Behandlungsvertrag mit ihm direkt als Chefarzt der Frauenklinik sowie auf Organisationsverschulden für die von ihm geleitete Frauenklinik der Beklagten zu 1). Sie behauptet, er hätte dafür Sorge tragen müssen, dass eine zielgerichtete und ärztlich geleitete Geburt auch bei Beleghebammen durchgeführt werde.
88Die Beklagte zu 3) sei unzureichend ausgebildet gewesen und von ihm unzureichend beaufsichtigt worden.
89Eine Haftung der Beklagten zu 1) stützt sie zum einen auf einen ärztlichen Behandlungsvertrag, aus dem diese gemäß § 278 BGB für Behandlungs- bzw. Organisationsfehler der Beklagten zu 2), 3), 6), 7) ebenso hafte wie für Fehler der Beklagten zu 4) und 5).
90Zum Geschehen vor der Geburt behauptet die Klägerin, der Grund für die Anregung der Beklagten zu 4), zunächst nicht anzugeben, dass die Mutter der Klägerin eine private Zusatzversicherung hat, sei gewesen, dass dann die Beklagte zu 6) als Oberärztin nicht involviert werde. Denn mit dieser sei die Beklagte zu 4) persönlich nicht zurechtgekommen. Die Eltern hätten vorgehabt, die private Zusatzversicherung erst später anzugeben, um ein komfortableres Familienzimmer zu erhalten.
91Ihre Eltern seien immer davon ausgegangen, dass unter der Geburt auch eine ärztliche Versorgung stattfinde, sodass das System einer Beleghebamme lediglich den zusätzlichen Vorteil einer Betreuung auch vor und nach der Geburt leisten sollte, aber sonst keinerlei Nachteile bzw. Unterschiede mit sich bringe. Sie hätten nicht auf eine ärztliche Betreuung verzichten wollen und dies sei für sie auch nicht erkennbar gewesen. Insbesondere sei das Gegenteil auch durch die Informationen in der ausgehändigten Informationsbroschüre, die Kreißsaalführung durch den Beklagten zu 2) und das Geburtsvorbereitungsgespräch im Hause der Beklagten zu 1) erkennbar gewesen. Die Info-Broschüre weise nicht darauf hin, dass die Geburt mit einer Beleghebamme andere Standards haben könnte als eine klassische Klinikgeburt.
92Die Beklagte zu 4) habe mitgeteilt, zu Beginn der Aufnahme im Hause der Beklagten zu 1) werde eine Ultraschalluntersuchung stattfinden und in den entscheidenden Phasen sei immer ein Arzt anwesend. Auch die Diskussion um die private Zusatzversicherung habe nur vor dem Hintergrund Sinn gemacht, dass entweder Assistenzärzte oder Oberärzte hinzugezogen würden, in jedem Fall sei man aber von der Hinzuziehung von Ärzten ausgegangen.
93Ihre Eltern hätten darüber aufgeklärt werden müssen, dass die Beklagten zu 4) und 5) auch in bedrohlichen Situationen nicht beabsichtigt hätten, Ärzte hinzuzuziehen. Weiter behauptet sie, der Beklagte zu 2) hätte ihre Eltern darüber aufklären müssen, dass er es dulde, dass eine solche Form der „Geburtshilfe“ in seiner Klinik durchgeführt werde, er hätte wissen müssen, dass insbesondere die Beklagte zu 4) dazu neige, Ärzte auszuklammern.
94Der Beklagte zu 2) habe außerdem darüber aufklären müssen, dass in seinem Hause Ärzte wenn überhaupt nur rudimentär zur Geburtshilfe gerufen würden, außerdem, dass Hebammen weitestgehend unkontrolliert und ohne ärztliche Überwachung Geburten durchführen würden.
95Zur Situation in der Klinik bis zur Geburt behauptet die Klägerin, die Beklagte zu 3) sei durchgehend in die Geburt einbezogen worden, da sie den venösen Zugang gelegt und Blut abgenommen habe. Da sie das CTG abgezeichnet hat, habe sie es auch zur Kenntnis genommen bzw. jedenfalls nehmen müssen. Bei dieser Gelegenheit habe sie sich über hohe Herztöne der Klägerin gewundert und geäußert, es sei nicht gut, wenn diese dauerhaft erhöht seien. Die Beklagte zu 4) habe geantwortet, dass dies bei dem Baby immer so und daher nicht auffällig sei. Zu diesem Zeitpunkt hätte ihres Erachtens der Beklagten zu 3) auffallen müssen, dass die CTG-Ableitungen nicht entsprechend der Richtlinien durchgeführt worden seien und sie hätte eingreifen müssen.
96Auch bezüglich der Gabe des Wehentropfes habe die Beklagte zu 3) sich nicht auf die Angaben der Beklagten zu 4) verlassen dürfen. Denn die Anlage eines solchen Tropfes, der nur von einem Arzt angeordnet werden dürfe, komme nur in Betracht im Zusammenhang mit beobachteten Auffälligkeiten und nur bei gleichzeitiger korrekter CTG-Ableitung.
97Zur Beklagten zu 3) behauptet die Klägerin außerdem, diese sei als Ärztin mit der Situation überfordert und nicht hinreichend ausgebildet gewesen.
98Zur Situation in der Klinik nach der Geburt behauptet die Klägerin, die Beklagten zu 6) und 7) hätten nicht die erforderlichen postnatalen Versorgungen vorgenommen. Die Zustandsbeschreibungen von ihr direkt nach der Geburt seien völlig unzureichend, es fehlten jegliche Angaben zur Hautfarbe und Puls. Es sei grob behandlungsfehlerhaft gewesen, dass sie 15 min lang mit einer Sauerstoffvorlage behandelt worden sei.
99Die Klägerin behauptet zum Vorwurf von Behandlungsfehlern, es hätten grobe Fehlleistungen vor, während und nach der Geburt vorgelegen. Schwerwiegende Befunderhebungs- und Befundsicherungspflichten seien verletzt und Diagnostik sei gänzlich verkannt worden, dies seien grobe Versäumnisse.
100Die Klägerin bezieht sich auf die drei von ihr vorgerichtlich eingeholten ärztlichen Privatgutachten und macht diese zum Gegenstand ihres Vortrags. Alle Gutachten bejahen grobe Fehlleistungen.
101Zu den eingetretenen Folgen behauptet die Klägerin, es sei keine psychoneurologische Weiterentwicklung möglich, es liege eine kombinierte körperliche und geistige Entwicklungsstörung vor, sie habe keine Willkürmotorik und sei blind.
102Sie habe eine Bilaterale Cerebralparese, eine spastische Tetraparese, keine Kopfkontrolle, keine altersgerechte Spontanmotorik, Hyperreflexie und Cloni, eine schwere Skelettmuskelhypertonie von Hals- und Rumpfmuskulatur mit überstreckter Rumpfhaltung und opistotoner Streckung der Halsmuskulatur, eine kontrakte Spitzfußstellung beidseits. Es würden vermehrt cerebrale Anfälle mit antiepileptischer Behandlung auftreten (häufig in Serie von 10-15 Anfällen pro Hirnseite, eine Serie dauere mindestens 5-10 Min., Frequenz: täglich ca. 6-8 mal). Sie könne kein eigenständiges Leben führen und sei rund um die Uhr pflege- und betreuungsbedürftig. Ihre Schädigung sei nicht mehr steigerungsfähig.
103Aufgrund der eingetretenen Folgen und eines vorprozessualen uneinsichtigen und abwehrenden Verhaltens der Beklagten bzw. deren Haftpflichtversicherer hält die Klägerin ein Schmerzensgeld i.H.v. mindestens 600.000,00 € für angemessen.
104Zum Feststellungsantrag behauptet die Klägerin, es bestehe ein schwerer pflegerischer Mehrbedarf von mindestens 12 Stunden täglich, bei 12,50 € pro Stunde werde dies monatlich neben dem Pflegedienst, der teilweise durch die Krankenkasse finanziert werde, 4.560,00 € kosten. Da eine Verschlechterung des Zustandes nicht ausgeschlossen sei, sei der immaterielle Vorbehalt erforderlich.
105Ursprünglich hat die Klägerin beantragt,
106- 107
1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie aus der fehlerhaften Behandlung vom M0000 ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch i.H.v. 600.000,00 € nebst Zinsen i.H.v. 5 % über dem Basiszins seit dem 21.05.2016;
- 109
2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr sämtliche künftigen unvorhersehbaren immateriellen sowie alle vergangenen und künftigen materiellen Schäden, die ihr infolge der Behandlung vom M0000 entstanden sind bzw. noch entstehen werden, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.
Mit Schreiben vom 29.03.2017 erkannten die Beklagten zu 4) und 5) außergerichtlich die Haftung dem Grunde nach mit Wirkung eines Feststellungstitels an und zahlten am 04.04.2017 auf die Klageforderung 250.00,00 €. Daraufhin erklärte die Klägerin den Feststellungsantrag hinsichtlich der Beklagten zu 4) und 5) und den Zahlungsantrag i.H.v. 250.000,00 € für erledigt. Die Beklagten zu 4) und 5) haben sich der Erledigungserklärung angeschlossen.
111<p class="absatzLinks">Die Klägerin beantragt nunmehr, 112- 113
1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie aus der fehlerhaften Behandlung vom M0000 ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch i.H.v. 600.000,00 € nebst Zinsen i.H.v. 5 % über dem Basiszins seit dem 21.05.2016, abzüglich am 04.04.2017 gezahlter 250.000,00 €, also restliche 350.000 €;
- 115
2. festzustellen, dass die Beklagten zu 1) - 3) sowie 6) und 7) als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr sämtliche künftigen unvorhersehbaren immateriellen sowie alle vergangenen und künftigen materiellen Schäden, die ihr infolge der Behandlung vom M0000 entstanden sind bzw. noch entstehen werden, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.
Die Beklagten beantragen,
117die Klage abzuweisen.
118Die Beklagten zu 1) – 3), 6) und 7) bestreiten eine Haftung. Sie behaupten, die Beklagten zu 3), 6) und 7) hätten jederzeit fehlerfrei behandelt.
119Sie meinen, eine Haftung der Beklagten zu 1) für Behandlungsfehler von ihnen komme daher nicht in Betracht, erst recht nicht eine Haftung für etwaige Behandlungsfehler der Beklagten zu 4) und 5), da diese eigenverantwortlich als Beleghebammen tätig geworden seien. Für Tätigkeiten der Beleghebammen werde keine Haftung übernommen, dazu beziehen sie sich auf die SOP und den Beleghebammenvertrag zwischen der Beklagten zu 1) und der Beklagten zu 4). Aus dem Beleghebammenvertrag ergebe sich nach § 3, dass das Krankenhaus die Standardausrüstung zur Verfügung stelle und nach § 5, dass Beleghebammen gegenüber der Schwangeren unmittelbar für die Schäden haften, die bei der geburtlichen Versorgung eintreten, wenn sie von ihr selbst verschuldet sind.
120Ein Vertrag der Mutter der Klägerin mit der Beklagten zu 1) sei nur hinsichtlich der ärztlichen Leistungen ab tatsächlicher Hinzuziehung geschlossen worden. Eine Hinzuziehung sei – wie bei komplikationslosem Verlauf geplant - erst unmittelbar vor der Geburt gegen 20:50 Uhr erfolgt.
121Die vorliegende Situation sei nicht vergleichbar mit dem Sachverhalt, der der Entscheidung des OLG Köln vom 31.01.2005, 5 U 130/01, zugrunde lag.
122Gemäß BGH, Urteil vom 16.05.2000 – VI ZR 321/98 –, BGHZ 144, 296-311 bestehe nur dann eine Verantwortung, wenn die Geburt vom Arzt übernommen wird. Seit dies passiert sei, seien keine Fehler geschehen.
123Sie behaupten, da die Eltern selbst angeben, dass es ihnen wichtig gewesen sei, während der Geburt sowie bei der Vor- und Nachsorge von einer Person betreut zu werden, die ihr Vertrauen genießt, sei es ihnen von Anfang an bewusst gewesen, dass bei komplikationsloser Geburt keine ärztliche Intervention erfolgen werde. Auch bei den Geburtsplanungsgesprächen und bei der Klinikbesichtigung werde dies den Eltern offen kommuniziert und die Unterschiede zwischen einer Klinikgeburt und einer hebammenangeleiteten Geburt dargestellt.
124Sie meinen, eine Haftung des Beklagten zu 2) scheide aus, da kein Vertrag der Mutter mit diesem mangels Vorlage der privatärztlichen Zusatzversicherung geschlossen worden sei, außerdem seien ihm keine Organisationsmängel anzulasten. Er habe die Zusammenarbeit mit Beleghebammen in den SOP und dem konkreten Vertrag mit der Beklagten zu 4) ausreichend geregelt.
125Sie behaupten, die Hebammen würden regelmäßig geschult. Die Beklagte zu 4) habe zuletzt am 17.04.2013 an einer Schulung teilgenommen. Sie beziehen sich dazu auf die vorgelegte Dokumentation. Es hätten keine Versäumnisse hinsichtlich der Zusammenarbeit mit der Beklagten zu 6) vorgelegen und es seien auch keine Regelverstöße der Beklagten zu 4) vorher bekannt gewesen. Schließlich sei die Beklagte zu 3) ausreichend ausgebildet gewesen.
126Die Beklagte zu 3) habe sich beim Eintreffen der Mutter und der Beklagten zu 4) zunächst in der Tumorkonferenz befunden, sodass sie das Eintreffen der Beklagten zu 4) und der Mutter im Krankenhaus gegen 15:10 Uhr nicht unmittelbar mitbekommen habe. Sie sei gegen 16:30 Uhr auf Wunsch der Beklagten zu 4) nur kurz in den Kreißsaal gekommen, um einen Zugang zu legen. Dabei habe sie keine Untersuchung durchgeführt und sich das CTG nicht genau angesehen. Ihr Kürzel auf dem CTG habe nur der Dokumentation ihrer Anwesenheit gedient. Es habe auch kein Gespräch über das CTG bzw. über die Herztöne stattgefunden. Die Beklagte zu 4) habe in diesem Zusammenhang mitgeteilt, dass bisher alles unproblematisch verlaufen sei, ferner, dass die ambulante Frauenärztin B1 noch vor 2 Tagen einen Ultraschall durchgeführt und dieser keine Auffälligkeiten ergeben habe.
127Die Beklagte zu 3) behauptet weiter, sie habe die Beklagte zu 4) ca. 2 Stunden später (also um ca. 18 Uhr) auf dem Flur vor dem Kreißsaal getroffen. Dabei habe die Beklagte zu 4) angegeben, dass das CTG unauffällig und der Muttermund 7-8 cm geöffnet sei, es sei alles in Ordnung.
128Gegen 19:30 Uhr habe eine erneute kurze Abstimmung stattgefunden, dabei habe die Beklagte zu 4) ihr mitgeteilt, dass es keinerlei Auffälligkeiten gebe und der Muttermund vollständig sei; ferner, dass sie angefangen habe, einen Wehentropf zu geben. Eine Hinzuziehung von ihr sei nach wie vor nicht gewünscht worden.
129Die Beklagte zu 3) sei dann erst „im letzten Moment der Geburt“ hinzugerufen worden, zwischen 16:30 und 20:50 Uhr sei sie nicht in den Geburtsvorgang involviert gewesen. Zu diesem Zeitpunkt habe sie erst erkannt, dass die CTG-Ableitungen unvollständig waren, allerdings habe sie nichts mehr tun können, ein Fehler sei ihr nicht unterlaufen.
130Die Klägerin sei sofort abgenabelt und grünes Fruchtwasser bei ihr abgesaugt worden, von der Beklagten zu 3) sei sie direkt auf die Reha-Einheit gebracht worden. Diese habe sofort die Oberärztin, die Beklagte zu 6), den diensthabenden Anästhesisten I2, die Kinderklinik und die Leitstelle informiert. Parallel zu den Anrufen habe sie Sauerstoff angedreht, die Sauerstoffmaske angehalten und 5 mal bebeutelt. Die Beklagte zu 6), der Beklagte zu 7) sowie Herr I2 seien in dieser Reihenfolge unmittelbar erschienen.
131Die Beklagte zu 6) behauptet, sie habe die Klägerin in der 3. Lebensminute auf der Reha-Einheit von der Beklagten zu 3) übernommen. Die Klägerin habe dauerhaft eine Herzfrequenz von über 100 gehabt, ihr Atem sei vorhanden, aber gestört gewesen. Sie habe das Kind mit dem Stethoskop abgehört und abgesaugt. Puls- und Sauerstoffsättigung seien mittels Clip dauerhaft überwacht worden.
132Der Beklagte zu 7) sei von Herrn I2 informiert worden. Unmittelbar nach der Beklagten zu 6) sei er eingetroffen und habe übernommen.
133Er behauptet, bei der Klägerin habe eine erschwerte Atmung und keine Schnappatmung vorgelegen. Er habe sie mit einer Sauerstoffsättigung von 46 %, einer Herzfrequenz von über 100 und einer Atemfrequenz von 5/min vorgefunden. Er habe sich für eine CPAP-Therapie entschlossen, um die vorhandene Atmung aufrechtzuerhalten. Bei einem Sauerstoff-Anteil von 30 % sei die Sauerstoffsättigung zunächst auf 63 % angestiegen. Daraufhin habe er den Sauerstoff-Anteil auf 70 % erhöht und den Modus des Gerätes auf Druckwechsel umgeschaltet. Herr I2 habe die Beatmung mittels Maske fortgesetzt und er habe einen Nabelvenenkatheter gelegt. Dadurch habe er eine Volumengabe durchgeführt und mangels Besserung einen weiteren Absaugungsversuch, der erfolglos blieb. Daraufhin habe er die endotracheale Intubation eingeleitet. Dies sei um 21:10 Uhr erfolgreich gewesen. Gegen 21:11 Uhr sei das Team der Klinik für Neonatologie eingetroffen, in dem Moment sei er gerade mit der Fixierung des Tubus beschäftigt gewesen.
134Die Beklagten zu 1) – 3), 6) und 7) bestreiten die von der Klägerin behaupteten Folgen mit Nichtwissen. Außerdem seien diese nicht nachweislich kausal auf etwaige Behandlungsfehler zurückzuführen, sondern würden möglicherweise auf angeborenen Prädispositionen wie einer Microzephalie beruhen.
135Die Beklagten zu 4) und 5) streiten entgegen dem außergerichtlich abgegebenen Anerkenntnis eine Kausalität ihrer eingestandenen Versäumnisse für die Folgen ab, vor allem aber sind sie der Ansicht, die übrigen Beklagten würden ebenfalls haften.
136Die Beklagte zu 4) behauptet, sie hätte die zu diesem Zeitpunkt diensthabende Ärztin L1 vor dem Eintreffen in die Klinik über die bevorstehende Geburt und Ankunft der Mutter der Klägerin informiert.
137Die Beklagten zu 4) und 5) behaupten weiter, es sei teilweise eine CTG-Schreibung erfolgt, die Mutter habe dies aber lediglich in den Wehenpausen toleriert. Auf der Basis der erfolgten Dokumentation ließen sich zwar Versäumnisse erkennen und deshalb sei die Haftung dem Grunde nach anerkannt worden. Allerdings seien keine groben Behandlungsfehler anerkannt worden und eine Kausalität ihrer eingestandenen Versäumnisse für die Folgen bestehe nicht. Tatsächlich sei die Überwachung unter der Geburt ausreichend gewesen.
138Es sei nicht obligat, dass bei einer Geburt wie dieser (ohne besondere Risikokonstellation) lückenlose CTG-Aufzeichnungen durchgeführt würden. Dass regelmäßige Kontrollen stattgefunden hätten, sei der Dokumentation aber eindeutig zu entnehmen, somit sei es jederzeit möglich gewesen, den jeweiligen Zustand der Klägerin in ausreichendem Maße zu beobachten.
139Auch sei der Dokumentation klar zu entnehmen, dass keine massiv pathologischen CTG-Werte vorgelegen hätten. Während der Geburt konnten Werte zwischen 140-160 spm festgestellt werden (auch wenn das Papier gerade nicht mitlief), so dass sie - die Beklagten zu 4) und 5) - sich zu keinem Zeitpunkt ernstliche Gedanken über das Wohl des Kindes hätten machen müssen.
140Die Beklagte zu 3) habe gegen 16:30 Uhr das CTG in Augenschein genommen und abgezeichnet. Da diese keine Auffälligkeiten festgestellt hätte, habe kein Anlass bestanden, von der Einschätzung einer komplikationslosen Geburt Abstand zu nehmen. Die Beklagte zu 3) habe sich nach der hohen Herzfrequenz erkundigt. Diese sei schon in der Schwangerschaft so hoch gewesen, was der Beklagten zu 3) mitgeteilt worden sei.
141Die Beklagte zu 3) sei seitdem in den Geburtsprozess involviert gewesen. Sie meinen daher, die Beklagten zu 1) – 3) würden ebenfalls für Versäumnisse haften. Es liege in der Natur der Sache, dass, wenn sich ein Behandler dazu entschließt, die Befunde anzusehen und eine Bewertung zu unterzeichnen, auch eine entsprechende Auswertung zu erfolgen habe, dies sei mithin auch geschehen.
echts">142Sie behaupten, die Beklagte zu 3) sei auch über den weiteren – schleppenden – Verlauf und die wiederkehrenden Probleme mit der Muttermund-Lippe bei laufendem Wehentropf in Kenntnis gesetzt worden. Sie habe entweder – bei Zweifeln an einem normalen Verlauf – hinzutreten müssen oder aber – wenn sie mit der laufenden Situation nicht zufrieden gewesen w228;re – der Beklagten zu 4) klare Anweisungen geben müssen. Da dies nicht geschehen ist, habe die Beklagte zu 4) sich darauf verlassen dürfen, dass zunächst auf der Basis der Befunde keine Änderung des Geburtsregimes erforderlich gewesen sei.
143Selbst wenn man von einer Fehleinschätzung der Beklagten zu 4) ausgehe, so treffe die Verantwortung gleichermaßen auch die Beklagte zu 3), die laufend über die Vorgänge informiert gewesen und in die therapeutische Entscheidung mit eingebunden worden sei.
144Vorwürfe gegen die Beklagte zu 5) seien völlig unersichtlich, da sie zum fraglichen Zeitpunkt von der Beklagten 4) eingearbeitet wurde, also als zweite Hebamme im Zuge einer Hospitation zugegen gewesen sei. Die betreuende Hebamme sei stets nur die Beklagte zu 4) gewesen. Auf deren therapeutische Entscheidungen habe sie keinerlei Einfluss gehabt.
145Die Beklagten zu 4) und 5) bestreiten eine Kausalität zwischen der vermeintlich unzureichenden Diagnostik und dem Geburtsverlauf bzw. eingetretenen Schäden.
146Es sei völlig unklar, wann es zur Asphyxie gekommen ist. Die vorgelegten Privatgutachten sprächen von einem Zeitpunkt „um die Geburt“, dabei bleibe unklar, welche Ursache sie gehabt haben soll. Aus dem Gutachten des I1 könne geschlossen werden, dass nach seiner eigenen Einschätzung die Klägerin schon bei Geburt unter einer Mikrozephalie gelitten habe, welche sicher nicht mit einer möglichen Asphyxie unter der Geburt in Zusammenhang zu bringen sei, damit wäre eine verzögerte geistige und motorische Entwicklung in jedem Falle zu beklagen gewesen, welche nicht definitiv auf ein Verhalten der Beklagten zu 4) oder 5) zurückgeführt werden könne.
147Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
148Die Kammer hat die Eltern der Klägerin sowie die Beklagten zu 2) – 7) in der mündlichen Verhandlung persönlich angehört. Es wurde zudem Beweis erhoben durch Einholung von zwei schriftlichen Sachverständigengutachten, die von den Sachverständigen C2 und F2 in der mündlichen Verhandlung vom 21.11.2019 erläutert wurden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Gutachten vom 17.09.2018 (Bl. 599 ff. d.A.) und vom 23.11.2018 (Bl. 655 ff. d.A.) sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 01.02.2018 (Bl. 514 ff d.A.) und vom 21.11.2019 (Bl. 883 ff. d.A.).
149---------------------------
class="absatzRechts">150Entscheidungsgründe
151Die zulässige Klage ist im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
152Die Klägerin hat gegen die Beklagten zu 1), 3), 4) und 5) als Gesamtschuldner einen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes i.H.v. insgesamt 500.000,00 € für anlässlich der Geburt der Klägerin am 00.00.0000 verursachte Behandlungsfehler, sowie gegen die Beklagten zu 1) und 3) einen Anspruch auf Feststellung der weiteren Schadensersatzpflicht. Die Ansprüche folgen hinsichtlich der Beklagten zu 1) aus der Verletzung von Pflichten aus dem Heilbehandlungsvertrag gemäß §§ 280 Abs. 1, 278, 630a BGB sowie aus unerlaubter Handlung gemäß § 831 BGB durch die Beklagte zu 3), hinsichtlich der Beklagten zu 3) aus unerlaubter Handlung gemäß §§ 823 ff. BGB. Hinsichtlich der Beklagten zu 4) folgt die Haftung aus der Verletzung von Pflichten aus dem Heilbehandlungsvertrag gemäß §§ 280 Abs. 1 BGB und aus unerlaubter Handlung gemäß §§ 823 ff. BGB, hinsichtlich der Beklagten 5) aus unerlaubter Handlung gemäß §§ 823 ff. BGB, jeweils i.V.m. deren außergerichtlich abgegebenem deklaratorischen Schuldanerkenntnis.
153Eine Haftung der Beklagten zu 2), 6) und 7) konnte die Kammer nicht feststellen. Der Beklagte zu 2) haftet weder auf vertraglicher noch auf deliktischer Grundlage. Die Beklagten zu 6) und 7) haften nicht auf deliktischer Grundlage. Die Klägerin konnte den Beklagten zu 6) und 7) keine Behandlungsfehler bzw. keine Ursächlichkeit für die eingetretenen Folgen nachweisen.
154Hiervon ist die Kammer überzeugt aufgrund der zuverlässigen Feststellungen der Sachverständigen C2 und F2, denen sich die Kammer in vollem Umfang anschließt. Der Sachverständige C2 ist Chefarzt der Frauenklinik des Krankenhauses M1 in L2 Der Sachverständige F2 ist Leitender Arzt im Bereich Neonatologie und interdisziplinäre pädiatrische Intensivmedizin des Kinderkrankenhauses (…) der Stadt L2. Daher verfügen die Sachverständigen sowohl über fundiertes theoretisches Wissen als auch über eine umfassende praktische Erfahrung auf ihren jeweiligen Fachgebieten. Die Ausführungen der Sachverständigen beruhen auf einer gründlichen Aufarbeitung der Behandlungsunterlagen. Sie haben sämtliche für die Entscheidung des Rechtsstreits maßgeblichen Fragen in ihren schriftlichen Gutachten und im Rahmen ihrer Anhörungen klar und eindeutig beantwortet. Es sind keine entscheidungserheblichen Fragen offen geblieben.
A. Zur Haftung dem Grunde nach
I. Behandlungsfehler der Beklagten zu 4) und 5)
155Die Beklagten zu 4) und 5) haften der Klägerin vertraglich und deliktisch. Sie haben durch ihre Prozessbevollmächtigten außergerichtlich dem Grunde nach die Haftung anerkannt. Es handelt sich um ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis, sodass sie mit Einwendungen tatsächlicher und rechtlicher Art ausgeschlossen sind (vgl. Sprau, in: Palandt, BGB, 77. Aufl. 2018, § 781 Rn. 4). Der spätere Vortrag im Prozess steht zwar teilweise im Widerspruch zu dem Anerkenntnis grober Fehler, konnte aber rechtlich nicht zu einem wirksamen Abstandnehmen von dem abgegebenen Anerkenntnis führen. Dies gilt auch für die Beklagte zu 5), selbst wenn man an deren Verantwortlichkeit in Anbetracht des Umstandes, dass sie lediglich zur Ausbildung hospitiert hat, zweifeln kann. Auch dies war zum Zeitpunkt des Anerkenntnisses bekannt. In Kenntnis der Umstände ist für beide ein Anerkenntnis mit der Wirkung eines Feststellungstitels abgegeben worden.
156Mit dem Anerkenntnis sollte auf der Grundlage der vorliegenden vorgerichtlichen Privatgutachten der Streit über die Ungewissheit zum Haftungsgrund geregelt werden. Auf der Grundlage der Gutachten kann das Anerkenntnis nur so ausgelegt werden, dass auch die Haftung für grobe Behandlungsfehler anerkannt worden ist mit der Folge einer Beweislastumkehr gemäß § 630h Abs. 5 BGB.
157Die Sachverständigen waren nämlich zu folgenden Ergebnissen gekommen:
class="absatzRechts">158- 159
Die Beklagten zu 4) und 5) hätten in allen Phasen der Geburt unzureichende CTG-Aufzeichnungen durchgeführt;
- 160
Dezelerationen und mehrfache Tachykardien nicht beachtet;
- 161
den ärztlichen Dienst nicht rechtzeitig zu Hilfe gerufen.
H1 kommt in seinem Gutachten vom 11.05.2016 (K 1 Bl. 39) insbesondere zu dem Ergebnis, der Geburtsbeginn sei unauffällig gewesen. Unbegreiflicher Weise habe die Beklagte zu 4) den Eltern vorgeschlagen, zu Hause zu bleiben, auf eine Ultraschall-Untersuchung zu verzichten und ihre Privatversicherung nicht anzugeben. Unverständlich gewesen sei die Aussage gegenüber der Beklagten zu 3), die Herztöne seien normal. Der suspekte und pathologische Verlauf mit Dezelerationen sei nicht beachtet worden.
163Es hätte angesichts suspekter CTG-Veränderungen frühzeitig die medizinische Indikation zur kontinuierlichen CTG-Ableitung und Übergabe der Hebammengeburt an den fachärztlichen Dienst vorgelegen, dies sei behandlungsfehlerhaft unterblieben.
164Entgegen der Lehrbücher sei nach vollständiger Muttermundsöffnung keine Aufzeichnung der fetalen Herztöne erfolgt. Die Beklagte zu 4) hätte grob fehlerhaft eine Pathologie der fetalen Herzfrequenz und die damit verbundene Notlage der Klägerin verkannt. Die Empfehlung zur Geburtsüberwachung mittels CTG sei grob fehlerhaft missachtet worden.
165Außerdem sei es grob fehlerhaft gewesen, ohne ärztliche Anordnung nach Ende der normalen Austreibungszeit und bei Erschöpfung der Kindesmutter eine Wehenunterstützung mit Oxytozin zu veranlassen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit habe eine Nabelschnurumschlingung vorgelegen, die mit CTG-Ableitungen hätte erkannt und der hypoxische Schaden hätte vermieden werden können.
166H2 kommt in seinem Gutachten vom 28.06.2016 (K 2 Bl. 57) insbesondere zu dem Ergebnis, das Verhalten der Beklagten zu 4) stoße auf vollkommenes Unverständnis und liege weitab von jeglichen geburtshilflichen Standards. Die Hebamme habe auch ihre Berufsordnung verletzt, da sie trotz Pathologie einen Arzt nicht hinzugezogen habe. Die zweimalige Unterschrift eines Arztes auf dem CTG belege allerdings eine ärztliche Geburtsleitung. Die Aussage der Beklagten zu 4), das eine Trachykardie bekannt sei, sei falsch und abstrus. Bei der CTG-Ableitung seien noch nicht einmal Minimalstandards eingehalten worden. Es seien nur punktuell Feststellungen erfolgt, die bereits ab 16:06 Uhr eine Patholgie gezeigt hätten und um 17:45 Uhr eine Dezeleration. Spätestens ab 19:02 Uhr hätten ein Dauer-CTG angeschlossen werden und qualifizierte Ärzte hinzugezogen werden müssen mit Tokolyse oder Sectiovorbereitung, zumindest hätte eine Mikroblutuntersuchung auf den Weg gebracht werden müssen. Eine solche hätte mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein pathologisches Ergebnis erzielt mit der Notwendigkeit einer sofortigen Reaktion.
167Die Applikation von Wehenmitteln ohne ärztliche Anordnung verstoße gegen geltende Regeln, die Hebamme sei hierzu nicht berechtigt gewesen. Im Übrigen müsse bei Anwendung von Wehenmitteln ein kontinuierliches CTG aufgezeichnet werden. Die eingetretenen Schäden seien kausal auf die Fehler zurückzuführen.
168I1 kommt in seinem Gutachten vom 01.11.2016 (K 3 Bl. 88) insbesondere zu dem Ergebnis, dass die Klägerin nach der Geburt 15 min lang schwer deprimiert gewesen sei und grob fehlerhaft nur mit einer Sauerstoffvorlage 15 min lang behandelt worden sei, sie habe eine schwere Ateminsuffizienz infolge mangelhafter Lungenbelüftung erlitten. Die klinische Befunderhebung in den ersten 15 min nach der Geburt sei völlig unverständlich und unvollständig, eine vollständige Erhebung der Apgar-Werte fehle, es sei keine Bewertung der Pulsqualität, keine Blutdruckmessung und keine kontinuierliche Überwachung der Sauerstoffsättigung erfolgt. Der pädiatrische Kinderabholdienst sei viel zu spät benachrichtigt worden. Die eingetretenen Schäden seien kausal auf die Fehler zurückzuführen.
169Demnach haften die Beklagten zu 4) und 5) wegen grober Behandlungsfehler mit der Folge einer Beweislastumkehr gemäß § 630h Abs. 5 BGB. Nachdem allerdings lediglich 250.000,00 € von geforderten 600.000,00 € gezahlt wurden, können die Parteien nur noch um den Umfang der kausal verursachten Folgen und bezüglich des zu zahlenden Schmerzensgeldes um die angemessene Höhe streiten.
170Es konnte letztlich dahinstehen, ob die Beklagte zu 1) auch für Fehler der Beleghebammen haftet, da sie ohnehin bereits für die Behandlungsfehler der Beklagten zu 3) bzw. für Fehler der Beklagten zu 4) und 5) ab Übernahme der Geburtsleitung durch die Beklagte zu 3) haftet, wie nachfolgend dargestellt. Die eingetretenen Folgen sind nicht voneinander zu trennen.
II. Behandlungsfehler der Beklagten zu 3)
171Die Behandlung der Klägerin bzw. ihrer Mutter unter der Geburt durch die Beklagte zu 3) war fehlerhaft. Nach Durchführung der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Beklagten zu 3) Behandlungsfehler unterlaufen sind, wofür sowohl sie persönlich als auch die Beklagte zu 1) als Klinikträgerin haften.
1. Keine Behandlungsfehler der Beklagten zu 3) bei der Eingangsuntersuchung
172Die Kammer kann keinen Behandlungsfehler bei der Eingangsuntersuchung feststellen. Die Beklagte zu 4) konnte die Eingangsuntersuchung als Hebamme allein durchführen, dazu hätte die Beklagte zu 3) nicht aus der Tumorkonferenz dazu kommen müssen. Im Vertragsverhältnis zwischen der Beklagten zu 1) und der Beklagten zu 4) ist geregelt, dass die Ärzte zu informieren sind und die Möglichkeit der Kontaktaufnahme zu geben ist. Diese Regelungen entsprechen den Leitlinien.
173Die Kammer glaubt der Beklagten zu 4), dass sie vor Eintreffen im Klinikum anrief und die Mutter bei der diensthabenden Ärztin L1 ankündigte. Die Möglichkeit einer Kontaktaufnahme durch Ärzte musste vom Klinikum nicht wahrgenommen werden, eine Untersuchung durch die Hebamme war ausreichend. Auch bei Klinikgeburten und der Zusammenarbeit von Arzt und Hebamme ist eine Eingangsuntersuchung nicht zwingend als ärztliche Untersuchung erforderlich. Es ist nur vorgesehen, dass der Arzt informiert wird und er im angemessenen Intervall die Gelegenheit haben soll, die Patientin zu sehen. Für ein CTG muss ein Arzt nicht anwesend sein. Im Übrigen war eine Sonographie nicht erforderlich, da die letzte erst zwei Tage her war. Dies hätte nur für die Größe des Kindes Bedeutung gehabt, die hier nicht problematisch war.
174Die fehlerhaft unterbliebene CTG-Registrierung durch die Beklagte zu 4) war in dieser Situation der Beklagten zu 3) daher nicht vorzuwerfen.
2. Situation um 16:30 Uhr
175Die Kammer ist davon überzeugt, dass die Beklagte zu 3) mit dem Hinzutreten um 16:30 Uhr in die Geburt mit einbezogen wurde.
176Zwar ist die Kammer mit den Sachverständigen nicht davon überzeugt, dass das Hinzutreten der Beklagten zu 3) zum Legen eines venösen Zugangs und zum Blut abnehmen allein ausreicht, um zu diesem Zeitpunkt einen Behandlungsfehler bzw. eine Einbeziehung in die Geburt zu begründen (mit der Folge einer vertraglichen Haftung der Beklagten zu 1) für Fehler der Beklagten zu 3)).
177Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht allerdings zur Überzeugung der Kammer fest, dass es nicht bei dem Legen der Kanüle verblieben ist. Vielmehr hat die Beklagte zu 3) sich das CTG angesehen und die Beklagte zu 4) auf eine hohe Herzfrequenz angesprochen. Die Beklagte zu 4) hat der Beklagten zu 3) anschließend erklärt, dass die Herzfrequenz schon in der Schwangerschaft stets erhöht gewesen und deshalb in Ordnung sei. Hiervon ist die Kammer überzeugt aufgrund der übereinstimmenden Bekundungen des Vaters der Klägerin sowie der Beklagten zu 4) und 5) in ihren persönlichen Anhörungen. Die Beklagte zu 3) konnte sich an ein solches Gespräch zwar nicht erinnern. Sie erinnerte sich nur daran, dass die Beklagte zu 4) gesagt hatte, dass alles in Ordnung sei, konnte es aber auch nicht definitiv ausschließen. Sie hat eingeräumt, während des Legens des Zugangs jedenfalls Informationen bekommen zu haben.
178Bei diesem Gespräch handelte es sich um eine geburtshilfliche Maßnahme, die Kammer geht daher von einer Einbeziehung der Beklagten zu 3) in den Geburtsvorgang seitdem aus.
179Die fetale Herzfrequenz lag mit 160 bpm im oberen Normbereich, eine Pathologie war allein aufgrund dessen mangels vollständiger CTG-Ableitungen über eine gewisse Dauer nicht zu erkennen. Allerdings hätte die Beklagte zu 3) sich aufgrund des Gesprächs den Bogen noch genauer als jedenfalls zum Erkennen der Herzfrequenz erfolgt, ansehen und dabei erkennen können und müssen, dass seit 1 Stunde keine durchgehenden Aufzeichnungen vorliegen. Daraufhin hätte sie die Beklagte zu 4) ermahnen und auf einer nunmehr korrekten CTG-Ableitung bestehen müssen. Unstreitig ist ein solcher Hinweis nicht erfolgt. Die SOP mussten ihr bekannt sein. Zu diesem Zeitpunkt war der Muttermund bereits 4 cm geöffnet.
180Die Beklagte zu 3) konnte sich nicht mit ihrer Behauptung entlasten, das CTG sei angeschlossen worden, als sie rausgegangen war. Die Kammer ist aufgrund der entgegenstehenden Behauptungen der Eltern der Klägerin nicht überzeugt, dass eine Anlage der CTG mit Gurt erfolgt ist. Außerdem sind auch tatsächlich keine vollständigen CTG-Ableitungen ab 16:30 Uhr erfolgt.
181Die Kammer teilt die Auffassung des Sachverständigen C2, dass selbst dann, wenn sie geglaubt hat, das CTG werde nunmehr wie in der Klinik üblich richtig angelegt, der Hinweis nicht entbehrlich war, da auf Grund des Unterlassens zuvor eine Skepsis angebracht sein musste.
182Mit dem Sachverständigen wertet die Kammer den Fehler als einfachen Behandlungsfehler, weil für die Beklagte zu 3) ihre Rolle im Geburtsmanagement aufgrund der tatsächlichen Handhabung im Haus schwer zu erkennen war und sie davon ausging, noch nicht in die Geburt involviert zu sein. Hätte es sich bei der Beklagten zu 4) nicht um eine Beleghebamme, sondern um eine bei der Klinik angestellte Hebamme gehandelt und wäre die Arbeitsteilung anders organisiert gewesen, hätte nach den Ausführungen des Sachverständigen ein grober Fehler vorgelegen. Die Beklagte zu 3) durfte jedoch aufgrund der Eigenschaft der Beklagten zu 4) als Beleghebamme berechtigt davon ausgehen, dass eigentlich diese zuständig war für die Behandlung, soweit keine Komplikationen auftraten. Sie wäre eigentlich nicht dazu verpflichtet gewesen, das Gespräch über den Zustand der Mutter so ausführlich wie geschehen zu führen. Es handelt sich daher nicht um einen Fehler, der schlechterdings nicht unterlaufen darf.
183Die Klägerin konnte zur Überzeugung der Kammer beweisen, dass bei fehlerfreier Behandlung durch die Beklagte zu 3), namentlich wenn diese die Beklagte zu 4) aufgefordert hätte, ein korrektes CTG zu führen, diese dem Hinweis gefolgt wäre. Die Beklagte zu 4) hat dazu in ihrer persönlichen Anhörung bekundet, dass sie zwar das Geburtsprozedere hätte ändern müssen, da die Patientin nicht in die Wanne gekonnt hätte und ggf. eine PDA notwendig gewesen wäre, sie sich aber nicht geweigert hätte. Dies ist glaubhaft und nachvollziehbar. Auch nach den übereinstimmenden Angaben der Beklagten zu 2) und 6) bestehen keine Hinweise, dass sie sich ärztlichen Anordnungen widersetzt hätte. Außerdem wäre bei den Eltern das Bewusstsein geschaffen worden, aktiv auf eine CTG-Schreibung zu achten.
184Wäre in der Folge ein korrektes CTG abgeleitet worden, dann wären mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Auffälligkeiten sichtbar geworden, die zu einem reaktionspflichtigen Ereignis geführt hätten, auf die eine Nicht-Reaktion grob fehlerhaft gewesen wäre. Denn in der lückenhaften CTG-Aufzeichnung waren Hinweise auf Herzfrequenzschwankungen zu erkennen. Es lag sicher eine Aspyhxie vor, da fetaler Stress, ein pH Wert unter 7, ein Basendefizit unter 16 mmol/l, ein 5-Minuten Apgar-Score unter 6 vorlagen und es zu einer Minderversorgung von Organen gekommen ist. Eine Asphyxie kann schleichend vonstattengehen. Aber es hätte sicher einen Zeitpunkt vor der Geburt gegeben, wo man hätte eingreifen müssen. Dies ist auch nicht durch das klare Fruchtwasser um 18:35 Uhr ausgeschlossen.
185ks">Darauf h228;tten die Beklagten reagieren müssen. Eine Nichtreaktion wäre grob fehlerhaft gewesen. Daher tritt hinsichtlich der Fehler der Beklagten zu 3) letztlich eine Beweislastumkehr gemäß § 630h Abs. 5 BGB ein. Aufgrund dessen wird vermutet, dass der Behandlungsfehler ursächlich war für die eingetretenen Folgen.
1863. Wehentropf musste sie nicht überprüfen
187Es ist kein Behandlungsfehler der Beklagten zu 3) darin zu erkennen, dass sie den von der Beklagten zu 4) angelegten Wehentropf nachträglich billigte, nachdem sie darüber auf dem Flur informiert wurde. Im Klinikalltag ist vorgegeben, dass die Ärzte sich auf die Hebammen im Haus verlassen können und dürfen. Für die Beklagte zu 3) war eine Unzuverlässigkeit der Beklagten zu 4) nicht nachweislich positiv bekannt, etwa aus der Situation um 16:30 Uhr oder früherer Zusammenarbeit. Denkbar wäre höchstens ein Verdacht auf eine nicht korrekt erfolgende CTG-Ableitung, insoweit würde es sich aber um einen fortgesetzten Fehler aus der Situation um 16:30 Uhr handeln.
1884. Keine weiteren Fehler der Beklagten zu 3) bei Hinzutreten um 20:50 Uhr bis zur Übernahme durch die Beklagte zu 6)
189Als die Beklagte zu 3) 5 min vor der Geburt hinzutrat war für sie nichts anderes zu veranlassen als geschehen. Sie hat den Wehentropf hochgedreht. Andere Maßnahmen waren nicht indiziert. Insbesondere hätten nicht präventiv schon die Kinderklinik / der Kindernotarzt gerufen werden müssen. Es konnte zwar gesehen werden, dass kaum CTG geschrieben wurde. Die letzten Werte 5 Minuten vor der Geburt schwanken allerdings immer und sind nicht aussagekräftig. Aus den fehlenden Ableitungen musste sie nicht positiv schließen, dass bereits ein reaktionspflichtiges Ereignis eingetreten war. Anders wäre dies etwa zu beurteilen gewesen, wenn sie in dem Augenblick ein hoch pathologisches CTG über eine halbe Stunde gesehen hätte.
190Die Kammer glaubt der Beklagten zu 3), dass sie anschließend unverzüglich die Benachrichtigungskette eingehalten hat. Es war richtig, zuerst den Hintergrund zu informieren, dann die Anästhesie, dann die Kinderklinik und schließlich die Leitstelle.
191Die Klägerin konnte nicht beweisen, dass ihr bei der Erstversorgung Behandlungsfehler unterlaufen sind. Sie hat nach der Dokumentation und ihren eigenen Angaben in ihrer persönlichen Anhörung jedenfalls Sauerstoff vorgelegt. Das Gericht ist außerdem davon überzeugt, dass die Beklagte zu 3) der Klägerin die 5 initialen Hübe der Maskenbeatmung gegeben hat. Dies ist zwar nicht dokumentiert und die Beklagte zu 3) hatte keine eigene genaue Erinnerung mehr. Die Beklagte zu 6) hat allerdings aufgrund des persönlichen Eindrucks glaubhaft und nachvollziehbar geschildert, dass sie bei ihrem Hinzutreten die Beklagte zu 3) gefragt hatte, ob sie die Hübe gegeben hatte, und sie diese sonst selbst gegeben hätte. Dies habe die Beklagte zu 3) bejaht. Die Kammer hat keine Zweifel an der ärztlichen Kompetenz der Beklagten zu 6). Zwar ist der Eindruck entstanden, dass es persönliche Diskrepanzen zwischen der Beklagten zu 4) und der Beklagten zu 6) gibt. Diese waren aber nicht durch fachliche Mängel der Beklagten zu 6) begründet.
192Die Kammer kann nicht feststellen, dass die Sauerstoffvorlage und die Bebeutelung falsch waren.
193Die Sachverständigen haben dazu erläutert, dass Sauerstoffvorlage bedeutet, dass dem Kind entweder über eine Maske oder über einen Schlauch Sauerstoff zugeführt wird. Das setzt voraus, dass das Kind selbständig atmet. Bei der Maskenbeatmung ist es so, dass das Kind eine Maske über Mund und Nase aufgesetzt bekommt. An der Maske hängt der Beatmungsbeutel, der dann komprimiert wird. Man nennt das Bebeuteln. Es entsteht dann Überdruck, so dass dem Kind durch den Druck Atemgas oder Luft zugeführt wird.
194Der Klägerin ist es nicht gelungen zu beweisen, dass sie nicht geatmet habe. Einzig behauptet hat dies die Beklagte zu 4), die aber keine Untersuchungen gemacht und auch behauptet hat, die Klägerin habe grimassiert. Die Kammer schließt dies auch daraus, dass die Beklagte zu 6) unmittelbar anschließend zugegen war und glaubhaft angegeben hat, dass sie mit dem Stethoskop Atemgeräusche festgestellt hat.
195Weitere Maßnahmen waren zu diesem Zeitpunkt nicht erforderlich. Der Gynäkologe muss erkennen, dass eine Reanimationsbedürftigkeit vorliegt. Er muss dann die Hilfskette in Gang setzen, die Kinderklinik informieren und Erstmaßnahmen ergreifen. Man versucht dann, das Kind warm zu halten und durch Schmerzreize anzuregen. Wenn es dann nicht reagiert, ist eine Maskenbeatmung notwendig.
196Hier war es so, dass die Beklagte zu 3) die Informationskette in Gang gesetzt hat, das Kind zur Reha-Einheit gebracht hat und Sauerstoff vorgehalten hat. In dem kurzen Intervall, in dem sie mit der Klägerin befasst war, ist kein Fehler nachzuweisen. Sie hätte auch nicht bereits früher mit dem Bebeuteln anfangen müssen. Einen genauen Grenzwert gibt es nicht.
197III. Behandlungsfehler der Beklagten zu 6)
198Eine Haftung der Beklagten zu 6) kam lediglich aus §§ 823 ff. BGB für eigene Behandlungsfehler in Betracht. Die Kammer konnte allerdings keine Behandlungsfehler der Beklagten zu 6) feststellen.
199Die Beklagte zu 6) war in die Behandlung unmittelbar nach der Geburt involviert, nachdem sie von der Beklagten zu 3) hinzugerufen wurde und bis der Beklagte zu 7) die weitere Behandlung übernommen hatte. Die Klägerin konnte nicht nachweisen, dass ihr bei der Notfallversorgung Fehler unterlaufen wären. Insbesondere konnte die Kammer nicht etwa feststellen, dass keine Atmung bestanden hätte trotz eines von allen Beteiligten festgestellten und dokumentierten Pulses.
200Die Beklagte zu 6) hat entsprechend der Dokumentation in ihrer persönlichen Anhörung glaubhaft angegeben, dass sie notfallmäßig gerufen wurde und binnen 30 bis 60 Sekunden da war. Sie habe die Klägerin deshalb ab der dritten Lebensminute gesehen. Sie sei blass gewesen und ihr Tonus reduziert. Es habe eine erschwerte Atmung vorgelegen und der Puls sei über 100 gewesen. Es sei ein Clip an der Hand angelegt worden und der Puls sei dann zwischen 100 und 120 gemessen worden. Beim Abhören habe sie einen rhythmischen Herzschlag gehört. Außerdem habe sie gehört, dass die Lunge entfaltet war, ein Atemgeräusch da war, aber gestört. Man habe auch am Brustkorb gesehen, dass die Klägerin atmete. An dem Clip seien dauerhaft Puls und Sauerstoffsättigung gemessen worden. Die Werte hätten zwischen 100 bis 120 gelegen, vielleicht auch 130. Sie wären jedenfalls jederzeit deutlich über 100 gewesen.
201Schließlich habe sie die Beklagte zu 3) gefragt, ob sie schon die 5 initialen Maskenhübe zur Beatmung gegeben habe, was diese bejaht habe. Die Kammer hat keinen Grund, an diesen Angaben zu zweifeln, sodass der Klägerin kein Beweis eines Behandlungsfehlers gelungen ist.
IV. Organisations- oder Behandlungsfehler des Beklagten zu 2)
202Der Beklagte zu 2) haftet unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt. Er war selbst nicht in die Behandlung involviert und am Tag der Geburt nicht im Hause.
1. Vertragliche Ansprüche
203Eine Haftung des Beklagten zu 2) wegen Behandlungsfehlern der Beklagten zu 3), 4) oder 5) kommt bereits mangels Zurechnung über einen Behandlungsvertrag nicht in Betracht. Es ist zwischen den Parteien nicht zu einem Vertragsschluss gekommen, da die Mutter absichtlich ihre private Zusatzversicherung nicht angegeben und keine Wahlleistungsvereinbarung abgeschlossen hatte.
2. Deliktische Ansprüche
204Der Beklagte haftet auch nicht aus §§ 823 ff. BGB wegen Organisationsverschulden in der von ihm geleiteten Klinik. Die Kammer konnte keine Organisationsmängel feststellen.
205Es gibt zunächst keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte zu 3) nicht ordnungsgemäß ausgebildet gewesen wäre. Sie befand sich in der Facharztausbildung und hat nur Aufgaben übernommen, die ihrem Ausbildungsstand entsprachen. Im Übrigen hat sie die diensthabende Oberärztin, die Beklagte zu 6), unmittelbar hinzugezogen. Organisatorisch einwandfrei stand der Hintergrund zur Verfügung.
206Die Kammer geht mit den Sachverständigen außerdem davon aus, dass im Verhältnis zu den Beleghebammen eine ausreichende Abgrenzung der Zuständigkeiten und Befugnisse der Ärzte und Beleghebammen in den SOP und den Beleghebammenverträgen geregelt wurde. Zwar ist zunächst geregelt, dass die Beleghebamme selbständig arbeitet und der Arzt nur bei Regelwidrigkeiten hinzugerufen wird. Es ist dann aber später aufgeführt, dass der diensthabende Arzt bei der Aufnahme zu informieren ist und dass er schließlich zur Geburt immer hinzuzuziehen ist. Dies ist etwas widersprüchlich, da es bei diesem Konstrukt für die Ärzte erschwert sein kann, ihre Rolle zu finden. Wenn die Hebamme bis 5 Minuten vor der Geburt selbständig arbeiten kann, dann aber einen Arzt hinzuziehen muss, dann deutet das darauf hin, dass man dann noch Einfluss nehmen könnte, was nicht der Fall ist. Dennoch ist hierin kein organisatorischer Mangel zu sehen, der eine Haftung des Beklagten zu 2) begründet, denn es ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, die Verantwortung ausschließlich bei den Beleghebammen zu sehen, solange keine Auffälligkeiten bestehen.
207Es konnten außerdem keine bekannten systematischen Verstöße der Beklagten zu 4) festgestellt werden. Die Beklagte zu 4) hat in ihrer persönlichen Anhörung angegeben, dass sie in der Vergangenheit nicht gerügt worden ist. Auch der Beklagte zu 2) hat dies ausdrücklich verneint. Zwar verstanden sich die Beklagte zu 4) und die Beklagte zu 6) menschlich nicht, da sie unterschiedliche Auffassungen zur Geburtsbegleitung haben. Aber auch die Beklagte zu 6) hat keine grundsätzlichen Verstöße der Beklagten zu 4) gegen die SOP angegeben. Sie gab an, es sei schon vorgekommen, dass von der Beklagten zu 4) ein CTG nicht kontinuierlich abgeleitet worden war und sie darauf hingewirkt habe. Das sei aber immer nur kurzfristig in schwierigen Geburten ein Thema gewesen, nicht aber allgemein. Außerdem habe es sich nicht speziell auf die Beklagte zu 4) bezogen, sondern allgemein auf die Beleghebammen.
V. Keine Haftung des Beklagten zu 7) bzw. der Beklagten zu 1) für Fehler des Beklagten zu 7)
208Es konnte weder ein Behandlungsfehler des Beklagten zu 7) durch die Klägerin bewiesen werden, noch ein etwa daraus resultierender Schaden, sodass eine genaue Aufklärung letztlich dahinstehen konnte.
209In der Behandlungsdokumentation bestehen Widersprüche, die sich nicht aufklären ließen. Einerseits ist durchgehend dokumentiert und von den beteiligten Beklagten nachdrücklich und zuverlässig bekundet worden, dass die Herzfrequenz der Klägerin in der Stunde nach der Geburt durchgehend über 100 lag. Allerdings passt dies nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht mit der gleichfalls teilweise dokumentierten Atemfrequenz von 5 / min zusammen. Der Sachverständige hat ausgeführt, dass bei einer Herzfrequenz von über 100 eine Atemfrequenz von mindestens 30 vorgelegen haben müsste. Wenn dem so gewesen wäre, wäre die Behandlung fehlerfrei gewesen. Wenn, wie von dem Beklagten zu 7) behauptet, eine Atemfrequenz von 5 zugrunde gelegt würde, könnte nach dem Sachverständigen zwar keine Herzfrequenz von über 100 vorgelegen haben. Ein Behandlungsfehler hätte - dies unterstellt - dann zwar vorgelegen, allerdings hätte die Klägerin keinen daraus resultierenden Schaden nachweisen können.
1. Keine Feststellbarkeit der tatsächlich vorgelegenen Umstände
210Der Beklagte zu 7) hat in seiner persönlichen Anhörung erklärt, dass bei seinem Eintreffen auf der Reha-Einheit die Klägerin blass war und die Atmung eingeschränkt, sie habe aber definitiv geatmet. Es habe allerdings - entgegen der Dokumentation - keine Schnappatmung vorgelegen. Es sei vielmehr eine eingeschränkte Atmung gewesen. Die Atemfrequenz habe bei 5 gelegen. Soweit auf dem Notfallteambogen unter Alarmierungsgrund AF < 8/min steht, entspreche das einer Atemfrequenz von 5. Der Eintrag unten von 35 sei ein Fehleintrag.
211Die Ausführungen des Beklagten zu 7) sind allerdings zugunsten der Klägerin nicht ohne weiteres zugrunde zu legen, da sie in sich widersprüchlich sind. Er führte weiter aus, es sei dazu gekommen, dass Schnappatmung angekreuzt worden ist, weil der Bogen für Erwachsene war und bei Kindern nicht eingeschränkte Atmung hätte angekreuzt werden können. Alternativ habe man nur Atemwegsverlegung ankreuzen können. Das hätte eine sofortige Intubation erforderlich gemacht. Es habe aber keine Atemwegsverlegung im eigentlichen Sinne vorgelegen. Wenn durch das grüne Fruchtwasser eine komplette Verlegung der Atemwege vorgelegen hätte, dann hätte man seines Erachtens intubieren müssen und über den Tubus versuchen müssen, abzusaugen.
212Auf dem Bogen sind folgende Ankreuzmöglichkeiten vorgesehen unter „Erstbefund Atmung:
213- 214
unauffällig
- 215
Dyspnoe
- 216
Zyanose
- 217
Spastik
- 218
Rasselgeräusche
- 219
Stridor
- 220
- 221
Hyperventilation
- 222
Schnappatmung
- 223
Apnoe
- 224
Beatmung“
Auf Nachfrage des Sachverständigen hat der Beklagte zu 7) eingeräumt, dass die von ihm geschilderten Symptome am ehesten zu dem Begriff Dyspnoe (Atemnot) gepasst hätten. Von daher ist nicht nachvollziehbar, warum er Schnappatmung angekreuzt hat. Des Weiteren gab er an, unter Schnappatmung würde er verstehen, wenn eine Hypoxie (Sauerstoffmangel) vorhanden ist und das Kind irgendwie versucht, Luft zu bekommen. Eine Atemfrequenz von 5 sei etwas anderes, diese komme zustande, wenn das Kind nur alle 10 bis 12 Sekunden atmet. Auch wenn seine Ausführungen nun wissenschaftlich korrekt sind, erklärt dies nicht den Widerspruch in der Dokumentation.
226Der Sachverständige führte aus, dass eine Atemfrequenz von 5 für ein Neugeborenes eine völlig unzureichende Atmung ist. Das spricht dafür, dass tatsächlich eine Schnappatmung vorlag infolge einer Hypoxie. Andererseits muss ein Kind einer Atemfrequenz von 5 bradykard sein, also eine verlangsamte Herzschlagfrequenz haben.
227Auch die BGA (Blutgasanalyse)-Werte haben gezeigt, dass sich der Zustand der Klägerin verschlechtert hat. Bei der Blutgasanalyse von 21:15 Uhr lag der CO²-Wert bei 113 mHG und der PH-Wert ist gegenüber dem PH-Wert aus der Nabelarterie von 6,84 auf 6,59 gesunken. Das unterstützt die These, dass die Beatmung oder die Atmung der Klägerin in der Zwischenzeit nicht ausreichend war. Zwar ist es so, dass wenn eine Durchblutungsstörung vorliegt, es vermehrt zur Bildung von Säuren kommt, die sich in den weniger durchbluteten Bereichen, also in der Peripherie ansammeln. Daher kann der arterielle Blutgasanalysewert von dem kapillaren abweichen. In diesem Ausmaß ist der Werteabfall aber nicht damit zu erklären.
228Als Alarmierungsgrund wurde in dem Notarzteinsatzprotokoll aufgenommen „Alarm wegen Ateminsuffizienz, Bradykardie.“ Der Sachverständige hat ausgeführt, dass auch diese Angabe, die mutmaßlich die Beklagte zu 3) der Leitstelle am Telefon übermittelte, zu der Annahme einer niedrigeren Herzfrequenz als 35 passt. Eine Ateminsuffizienz kann sowohl eine zu langsame als auch eine erschwerte Atmung sein.
229Die Sauerstoffsättigung, die von 46 % über 61 % auf 92 % hochgegangen ist, lässt keinen Rückschluss auf die Herzfrequenz zu. Da allerdings später eine Sauerstoffsättigung von 92 % vorgelegen hat, müssten sodann eine Atmung und auch ein entsprechender Kreislauf mit einer Herzfrequenz von über 100 vorgelegen haben. Nachdem die Unterstützung mit IPV erfolgt ist, ist die Beatmung, die der Beklagte zu 7) gemacht hat, also tatsächlich wirksam geworden. Die Situation hat sich verbessert, nachdem er das Kind mit verschiedenen Drücken unterstützt hat.
230Ein Messen der Herzfrequenz durch Handauflage ist unzureichend, außerdem kann auch die Clip-Messung unzuverlässig sein. Der Sachverständige meinte, es spreche daher mehr dafür, dass die Herzfrequenz der Klägerin bei unter 100 lag und die Atemfrequenz tatsächlich bei etwa 5. Das überzeugt das Gericht aber nicht mit der erforderlichen Gewissheit, da sämtliche Behandler einen Puls von über 100 angegeben haben. Wie es letztlich war, lässt sich aber anhand der Dokumentation nicht genau sagen und die übereinstimmenden Aussagen der Beklagten zu 3) – 7) machen der Klägerin einen Nachweis unmöglich, dass die Herzfrequenz niedriger gewesen sei. Für die Glaubhaftigkeit der Angaben des Beklagten zu 7) spricht, dass er zu seinem Nachteil die dokumentierte Atemfrequenz 35 als Schreibfehler bezeichnet hat und nicht etwa die ebenfalls dokumentierte 5.
2. Alternative HF war >100, AF > 30: dann richtig gehandelt
231Wenn die Herzfrequenz über 100 war und die Atemfrequenz zwangsläufig über 30 war und damit eine erschwerte Atmung und keine Schnappatmung vorlag, dann wäre eine Beatmung zunächst mit CPAP möglich gewesen. Dann hätte der Beklagte zu 7) mit der Veränderung der Drücke auch richtig darauf reagiert, dass sich keine Besserung zeigte.
232Der Blutgasanalysewert lag um 21:15 Uhr vor. Entweder war die Klägerin zu diesem Zeitpunkt schon intubiert oder hätte auf Grund dieses Wertes intubiert werden müssen. Es gibt Differenzen bei den Zeitangaben der Beklagten und denen der hinzugerufenen Kindernotfallärztin. Dort ist notiert, dass die Klägerin erst nach der Blutgasanalyse intubiert worden ist. Das wäre dann aber auch die richtige Reaktion auf den Wert gewesen.
2333. Alternative HF war <100, AF 5: dann einfacher Fehler aber Mitursächlichkeit nicht feststellbar
234Die Behandlung durch den Beklagten zu 7) wäre fehlerhaft gewesen, wenn man eine Schnappatmung bzw. eine Atemfrequenz von 5/min zugrunde legen würde. In diesem Fall wäre die zunächst vorgenommene Beatmung mit CPAP unzureichend gewesen.
235Beim CPAP wird bei der Erstversorgung eine Maske möglichst dicht schließend aufgesetzt. Es wird dann kontinuierlich Druck zugefügt, was idealerweise dafür sorgt, dass ein kontinuierlicher Druck in den Atemwegen vorhanden ist. Beim Atmen entsteht normalerweise durch das Ein- und Ausatmen ein Unterdruck und Überdruck. Bei einem Bebeuteln gibt es auch Druckunterschiede, aber keinen Unterdruck wie beim Atmen. Beim CPAP ist es so, dass ein kontinuierliches Druckniveau vorhanden ist und man damit verhindern will, dass die Atemwege wieder zusammen fallen. Das Kind, das atmet, muss dann selbständig ausatmen. Das ist auch bei der Nutzung des CPAP möglich.
236Der Beklagte zu 7) hat entsprechend der Dokumentation in seiner persönlichen Anhörung ausgeführt, er habe eine CPAP-Beatmung eingeleitet. Er habe damit versucht, die vorhandene Atmung aufrechtzuerhalten. Es sei dann nach und nach der Sauerstoffanteil erhöht worden, weil der Sättigungsgrad nur bedingt anstieg. Nachdem sich eine Besserung der Sauerstoffsättigung von 46 % auf nur 63 % gezeigt habe, habe er sich dann sehr schnell, vielleicht nach 3 bis 5 Minuten, entschlossen, dass Druck allein nicht ausreiche. Er habe dann bei dem Gerät den Modus geändert, so dass zwei unterschiedliche Druckniveaus vorhanden waren (IPV = intermittent pressure ventilation).
237Das Ganze habe ungefähr 10 bis 12 Minuten gedauert. In dieser Zeit habe er einmal versucht, die Klägerin abzusaugen. Es sei aber nichts gekommen. Er habe sich dann damit nicht weiter aufgehalten. Nach diesen 10 bis 12 Minuten habe er dann intubiert.
238Der Sachverständige hat dazu erklärt, dass die Klägerin in diesem Fall behandlungsfehlerhaft über mehrere Minuten nicht fachgerecht beatmet worden wäre.
239Der Sachverständige hat weiter erläutert, dass es sich nicht um einen groben Fehler gehandelt hätte. Es wäre also keine Beweislastumkehr nach § 630h Abs. 5 BGB eingetreten. Vielmehr wäre die Beweislast für die Kausalität der eingetretenen Folgen aufgrund der mangelhaften Beatmung weiterhin bei der Klägerin.
240Der Klägerin wäre es nicht gelungen, die Kausalität der eingetretenen Folgen zur Überzeugung der Kammer zu beweisen.</p>
241 Der Sachverständige hat dazu erklärt, dass sich dies zwar ausgewirkt haben könnte. Ein dadurch eingetretener Schaden lasse sich aber nicht quantifizieren, denn es lag bereits anhand der Werte erkennbar eine schwere Hypoxie vor. Allenfalls könne es sich um einen additiven Schaden gehandelt haben. Allerdings lässt sich nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sagen, dass hierdurch ein Schaden entstanden wäre. In Anbetracht der schwersten Hypoxie vorher lässt sich auch nicht sagen, ob hier eine Mitursächlichkeit für das weitere Geschehen vorliegt. Die Beklagten zu 1), 3), 4) und 5) haften aufgrund der Behandlungsfehler für alle bei der Klägerin aufgrund der Behandlung eingetretenen Folgen. Bei der Klägerin ist es zu einer schwersten Hirnschädigung gekommen. Es bestehen insbesondere eine schwere kombinierte körperliche und geistige Entwicklungsstörung, eine ausgeprägte bilaterale Zerebralparese, eine schwere spastische Tetraparese, eine schwere Epilepsie, welche der medikamentösen Behandlung bedarf, und eine fehlende Willkürmotorik. Außerdem ist die Klägerin blind und eine psychoneurologische Weiterentwicklung ist nicht möglich. Eine eigenständige Lebensführung ist nicht möglich und auch in Zukunft nicht zu erwarten. Streng genommen wäre eine Steigerung nur durch einen Verlust der verbliebenen Restfunktionen denkbar. Die Klägerin kann nämlich selbstständig atmen, Nahrung zu sich nehmen und Reaktionen zeigen, die etwa auf Entspannung oder Aufmerksamkeit hindeuten. Diese Folgen sind zur Überzeugung der Kammer bewiesen durch die eingereichten Behandlungsunterlagen und die erfolgte Auswertung durch den Sachverständigen F2. Die Befunde sind so eindeutig, dass eine persönliche Untersuchung nicht erforderlich war. Es wird vermutet, dass die eingetretenen Folgen kausal auf den Behandlungsfehlern beruhen. Die Beklagten zu 1), 3), 4) und 5) können nicht beweisen, dass die Folgen nicht auf den Behandlungsfehlern beruhen. Für die Beklagten zu 4) und 5) geht die Kammer wie ausgeführt von dem Anerkenntnis grober Behandlungsfehler mit der Folge einer Beweislastumkehr nach § 630h Abs. 5 BGB aus. Für die Beklagte zu 3) geht die Kammer wie ausgeführt im Ergebnis ebenfalls von einer Beweislastumkehr nach § 630h Abs. 5 BGB aus, weil sich in Folge des Behandlungsfehler ein reaktionspflichtiges Ergebnis gezeigt hätte und die Nicht-Reaktion hierauf grob fehlerhaft gewesen wäre. Den Beklagten ist eine Entlastung nicht gelungen. Sie konnten nicht zur Überzeugung der Kammer nachweisen, dass die eingetretenen Folgen nicht auf der Behandlung beruhen. Für den Nachweis der kausalen Beziehung einer perinatalen Asphyxie und späterer neurologischer Schädigungen gibt es eine internationale Konsensus-Leitlinie, die hier Anwendung findet. Die darin aufgeführten essentiellen Kriterien sind alle erfüllt:B. Anspruch auf Schmerzensgeld
242I. Eingetretene Folgen
243pan class="absatzRechts">244pan>II. Haftungsausfüllende Kausalität
247
- 252
>Nachweis einer metabolischen Azidose im Nabelarterienblut bei Geburt (pH <7,0 und Basenüberschuss < -12 mmol/l)
- 253
Früher Beginn einer schweren oder moderaten neonatalen Enzephalopathi bei Kindern mit einem Gestationsalter über 34 Schwangerschaftswochen
- 254
Zerebralparese mit Tetraparese oder Dyskinesie
- 255
Ausschluss anderer identifizierbarer Ursachen wie Trauma, Blutgerinnungsstörungen, Infektionen oder genetische Erkranungen
Auch die nicht-essentiellen Kriterien sind erfüllt mit Ausnahme der fetalen Herzfrequenz, die mangels Aufzeichnung nicht beurteilbar ist. Demnach sind keine Zweifel an einem kausalen Zusammenhang auszumachen.
257Ein Vorschaden der Klägerin bzw. eine andere identifizierbare Ursache konnte nicht festgestellt werden. Insbesondere war die Mikrozephalie (geringer Kopfumfang) nicht als mögliche Ursache anzusehen.
258Die Klägerin hatte bei Geburt einen Kopfumfang von 33 cm. Formal fällt das zwischen die 3. und 10. Perzentile, womit eine Mikrozephalie vorlag. Mikrozephalien können zwar grundsätzlich im Rahmen einer Hirnfehlbildung oder einer Infektion auftreten, andererseits aber auch genetisch bedingt sein. Für sich gesehen haben sie aber keinen Krankheitswert, jedenfalls nicht bei einem Kopfumfang von 33 cm. Erst bei 31 cm oder weniger besteht Anlass zu weiteren Untersuchungen. Der Befund gab daher keinen Anlass für eine weitere Diagnostik oder das Stellen einer eingeschränkten neurologischen Prognose. Der Sachverständige hat ausgeführt, dass hier ausgeschlossen werden kann, dass die Mikrozephalie im Rahmen einer Hirnfehlbildung oder einer Infektion aufgetreten ist. Es sind Bildgebungen erfolgt, anhand derer der Sachverständige dies erkennen konnte. Dazu musste nach seinen Ausführungen kein Neuropädiater hinzugezogen werden.
III. Höhe Schmerzensgeld
259Unter Berücksichtigung dieser Folgen hält die Kammer die Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von insgesamt 500.000,00 €, also von weiteren 250.000,00 € für notwendig, aber auch angemessen. Die Kammer hat die schwersten Folgen der Klägerin zu berücksichtigen gehabt, die sie ihr ganzes Leben lang in erheblichem Ausmaße beeinträchtigen werden. Die Klägerin wird nie in der Lage sein, auch nur ein annähernd selbstständiges Leben zu führen.
260Entgegen der Ansicht der Klägerin hält die Kammer ein darüber hinaus gehendes Schmerzensgeld i.H.v. mindestens 600.000,00 € nicht mehr für angemessen. Dabei ist der Kammer die Rechtsprechung bekannt, die sich zwischen 350.000,00 € und 600.000,00 € bewegt, teils noch zusätzlich mit einer (kapitalisierten) Rente.
261Im Rahmen der Arzthaftung soll das Schmerzensgeld in erster Linie dem Ausgleich dienen, während der Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes eine eher unbedeutende Rolle zukommt. Das Schmerzensgeld dient ganz allgemein dem Ausgleich immaterieller Schäden und nicht als Mittel der Disziplinierung des Schädigers. Die Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes erfordert nicht, dass der Verletzte diese Funktion erfassen kann. Vielmehr ist in Fällen der mehr oder weniger weitgehenden Zerstörung der Persönlichkeit, etwa dem Verlust an personaler Qualität infolge schwerer Hirnschädigung, hierfür ein eigenständig zu bemessender Ausgleich zu gewähren (vgl. etwa OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 31.01.2017 - 8 U 155/16 Rn. 22 m.w.N.).
262Die Kammer musste hier zwar ein grob fehlerhaftes Unterlassen der Erfassung von CTG-Ableitungen insbesondere durch die Beklagte zu 4) zugrunde legen. Allerdings konnte darin kein Schädigungsvorsatz gesehen werden, eine Disziplinierung für die Zukunft ist nicht erforderlich. Bei dem Verhalten der Beklagten zu 3) konnten keine groben Fehler festgestellt werden. Nach einer Abwägung der Gesamtumstände besteht nach Auffassung der Kammer – auch im Vergleich mit den Fällen in der Rechtsprechung, die über 500.000,00 € hinaus gegangen sind – keine Veranlassung, auf ein noch höheres Schmerzensgeld zu erkennen.
263Das vorprozessuale, von der Klägerin als uneinsichtig und abwehrend gerügte Verhalten der Beklagten bzw. der dahinter stehenden Haftpflichtversicherungen ist nach Überzeugung der Kammer nicht als erhöhend zu berücksichtigen gewesen. Es handelte sich um das Recht der Beklagten, ihre Rechtsauffassungen zu vertreten und nicht bereits aufgrund der außergerichtlich eingeholten Privatgutachten zu bezahlen. Die weitere Begutachtung der gerichtlich bestellten Sachverständigen diente auch der Abgrenzung der Schädiger untereinander.
IV. Zinsanspruch
264Der Zinsanspruch folgt aus §§ 288 Abs. 1, 286 BGB. Die Klägerin hatte die Beklagten beziffert zur Zahlung aufgefordert, diese haben über ihre Haftpflichtversicherungen eine Haftung abgelehnt.
C. Feststellungsantrag
265Die Klägerin hat außerdem Anspruch auf Feststellung der weiteren Ersatzpflicht. Nach dem bisherigen Stand der Behandlungen ist ein weiterer immaterieller Schaden nicht absehbar, deshalb ist dieser vom Feststellungsanspruch erfasst.
266Schließlich hat die Klägerin auch einen Anspruch auf Feststellung, dass die materiellen Schäden, die aufgrund der verursachten Behandlungsfehler bereits entstanden sind oder noch entstehen werden, zu ersetzen sind.
267Dieser Anspruch besteht im Rechtsstreit nur noch gegen die Beklagten zu 1) und 3), gegenüber den Beklagten zu 4) und 5) wurde der Anspruch für erledigt erklärt nach dem außergerichtlich abgegebenen Anerkenntnis.
D. Feststellung der Erledigung
268Soweit hinsichtlich des Zahlungsantrags i.H.v. 250.000,00 € von der Klägerin und den Beklagten zu 4) und 5) übereinstimmend Erledigung erklärt wurde, von den übrigen Beklagten jedoch weiterhin Klageabweisung beantragt wurde, war die Erledigung festzustellen. Denn die Beklagten zu 1), 3), 4) und 5) haften der Klägerin als Gesamtschuldner.
E. Prozessuale Nebenentscheidungen
269Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91a, 92 Abs. 1 S. 1, 100 ZPO.
270Hinsichtlich des von der Klägerin und den Beklagten zu 4) und 5) übereinstimmend für erledigt erklärten Feststellungsantrags bezüglich der Beklagten zu 4) und 5) waren die Kosten gemäß § 91a ZPO den Beklagten zu 4) und 5) aufzuerlegen. Sie haben die Haftung während des laufenden Prozesses anerkannt, während sie vorprozessual Ansprüche abwehrten. Die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten waren zu diesem Zeitpunkt bereits angefallen.
271Die Kammer hat den Streitwert auf 1.600.000 € festgesetzt. Die Kostenverteilung erfolgte nach der Baumbachschen Formel nach einem fiktiven Gesamtstreitwert von 11.200.000 €:
272Obsiegen |
Unterliegen |
Gesamt |
||
1.500.000 € |
100.000 € |
1.600.000 € |
Beklagte zu 1) |
6,25 % |
0 € |
1.600.000 € |
1.600.000 € |
Beklagter zu 2) |
0 % |
1.500.000 € |
100.000 € |
1.600.000 € |
Beklagte zu 3) |
6,25 % |
1.500.000 € |
100.000 € |
1.600.000 € |
Beklagte zu 4) |
6,25 % |
1.500.000 € |
100.000 € |
1.600.000 € |
Beklagte zu 5) |
6,25 % |
0 € |
1.600.000 € |
1.600.000 € |
Beklagte zu 6) |
0 % |
0 € |
1.600.000 € |
1.600.000 € |
Beklagte zu 7) |
0 % |
6.000.000 € |
5.200.000 € |
11.200.000 € |
||
54 % |
46 % |
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1 und 2 ZPO.
274Der Schriftsatz der Klägerin vom 27.11.2019 konnte gemäß § 296a S. 1 ZPO nicht mehr berücksichtigt werden.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- BGB § 280 Schadensersatz wegen Pflichtverletzung 2x
- BGB § 278 Verantwortlichkeit des Schuldners für Dritte 2x
- BGB § 630a Vertragstypische Pflichten beim Behandlungsvertrag 1x
- §§ 823 ff. BGB 5x (nicht zugeordnet)
- BGB § 288 Verzugszinsen und sonstiger Verzugsschaden 1x
- BGB § 286 Verzug des Schuldners 1x
- ZPO § 91a Kosten bei Erledigung der Hauptsache 2x
- ZPO § 92 Kosten bei teilweisem Obsiegen 1x
- ZPO § 100 Kosten bei Streitgenossen 1x
- BGB § 831 Haftung für den Verrichtungsgehilfen 1x
- BGB § 630h Beweislast bei Haftung für Behandlungs- und Aufklärungsfehler 6x
- ZPO § 709 Vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung 1x
- ZPO § 296a Vorbringen nach Schluss der mündlichen Verhandlung 1x
- 5 U 130/01 1x (nicht zugeordnet)
- VI ZR 321/98 1x (nicht zugeordnet)
- 8 U 155/16 1x (nicht zugeordnet)