Urteil vom Landgericht Düsseldorf - 9 O 324/06
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin. Die Streithelferin trägt die Kosten der Nebenintervention.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
1
Tatbestand:
2Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche aus einem Flugunfall auf dem B2, bei dem Sachschaden entstand.
3Die Klägerin ist ein Flugsicherungsunternehmen (§ 31 b und d LuftVG), welches u.a. am B2 Aufgaben der Flugsicherung gemäß § 27 c Absatz 2 LuftVG wahrnimmt. Zu diesem Zweck hat die Klägerin am Ende der Rollbahnen verschiedene Geräte wie Sendefunkantennen und Fernfeldmonitore aufgestellt.
4Die Beklagte ist im Bereich des internationalen Luftfrachtbetriebes tätig, wobei sie die Transportflüge teils mit eigenen und teils mit geleasten Flugzeugen wahrnimmt.
5Am 24.04.2005 gegen 06:00 Uhr (Ortszeit, so auch alle folgenden Uhrzeiten) kam es bei der Landung des Flugzeuges mit der Kennnummer UAE 9995 (Typ Boeing 747 – 200; amtliches Kennzeichen A) am G zu einem Unfall. Zum Unfallzeitpunkt war die Beklagte Halterin dieses Flugzeugs. Das Flugzeug, welches für die Fluggesellschaft B Luftfracht von Dubai nach G transportierte, kam nicht innerhalb der Landebahn (23 L) zum Stehen, sondern rollte über diese hinaus auf das hinter der Landebahn befindliche Rasenfeld. Dabei wurden Einrichtungen des Instrumentenlandesystems (Antenne des Landekurssenders für die Landebahn L 23 und ein Fernfeldmonitor für die Landebahn 05 R), die die Klägerin dort aufgestellt hatte, zerstört.
6Am Unfalltag hatte es in G gegen 05:45 Uhr Ortszeit (entspricht 04:45 UTC = koordinierte Weltzeit), als sich das Flugzeug im Landeanflug befand, angefangen zu schneien. Aufgrund dessen nahmen Mitarbeiter der G GmbH Messungen auf den Landebahnen des Flughafens G vor, um die Oberflächenbeschaffenheit zu überprüfen. Die Oberflächenbeschaffenheit von Landebahnen in Bezug auf die Bremswirkung wird in 5 Kategorien von poor (Friktionswerte von 0.25 und weniger) bis good (Friktionswerte von 0.40 und mehr) eingeteilt (vgl. i.E. Gutachten der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (X2) Seite 33).
7Eine erste Messung der Friktionswerte um 05:40 Uhr ergab einen Wert von 65 (good). Eine zweite Messung fand zwischen 05:49 Uhr und 05: 51 Uhr statt und ergab einen durchschnittlichen Friktionswert von 36 (medium).
8Zwischen 05:39 Uhr und 05:56 Uhr fand zwischen dem Rolllotsen und dem Fahrer des Messfahrzeugs, welches die Friktionswerte ermittelte, mehrfach Funkverkehr betreffend den Zustand der Landebahnen statt. Um 05:56 Uhr teilte der Messfahrzeugfahrer dem Lotsen mit, dass er aufgrund der Messdaten die Landebahn als „medium“ bewerte und fügte hinzu, dass es stellenweise doch relativ glatt sei. Auf die Nachfrage des Lotsen, ob der Fahrer ihm einzelne Daten für die drei Landebahnabschnitte mitteilen könne, gab der Fahrer an, dass er auf der Rückfahrt einen Durchschnittswert von 36 gehabt habe, weitere Werte im Moment aber nicht weitergeben könne, weil sein Drucker nicht funktioniere. Er habe jedoch ziemlich genau 30er Werte. Die Nachfrage des Lotsen, ob es alles 30er Werte gewesen seien, bejahte der Fahrer und ergänzte, dass stellenweise mal 25er Werte dabei gewesen seien. Prinzipiell seien die Wert aber so um die 30 gewesen. Für die weiteren Einzelheiten der Kommunikation wird auf Seite 20 f. des Untersuchungsberichts der X2 verwiesen.
9Um 05:50 Uhr teilte der Lotse der Cockpitbesatzung mit, dass die Bremswirkung im Moment noch gut sei, aber noch ein weiterer Friktionstest geplant sei, da es weiterhin schneie und man eine Verschlechterung befürchte.
10Um 05:56 Uhr teilte der zuständige Mitarbeiter der G GmbH dem diensthabenden Lotsen (Mitarbeiter der Klägerin) den Landebahnzustand als „medium“ mit.
11Um 05:59 Uhr teilte der Lotse der Besatzung des Flugzeugs mit: „B 9995 the braking action was measured to be medium at all parts and the visibility dropped right now due to the heavy snow showers“. Diese Information wurde vom Cockpit bestätigt. Um 05:59:47 Uhr wurde vom Tower die Landefreigabe erteilt.
12Das Flugzeug setzte innerhalb der Aufsetzzone (1100 feet bis 1600 feet) hinter der Landebahnschwelle auf. Die Bremsung des Flugzeugs wurde zunächst mit dem automatischen Bremssystem durchgeführt, ob die Piloten anschließend manuell bremsten ist streitig. Das Flugzeug kam ca. 75 m hinter dem Ende der asphaltierten Fläche (Landebahnende) zum Stehen. Dabei wurden diverse Messinstrumente, die sich auf dem Rasenfeld hinter dem Landebahnende befanden, zerstört.
13Die Klägerin behauptet, sie sei Eigentümerin der zerstörten Messinstrumente. Die Behebung der Schäden koste 194.416,47 Euro.
14Sie ist der Ansicht, dass ihr sowohl aus § 33 LuftVG als auch aus § 831 BGB und aus §§ 25 Absatz 3 i.V.m. 33 LuftVG ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zustehe. Die Besatzungsmitglieder des in den Unfall verwickelten Flugzeugs seien Verrichtungsgehilfen der Beklagten und hätten in Ausführung dieser Tätigkeit das Eigentum der Klägerin widerrechtlich zerstört.
15Die Streithelferin schließt sich dem Vortrag der Klägerin an und behauptet ergänzend, dass der Unfall hätte verhindert werden können, wenn die Piloten von Anfang an, manuell gebremst hätten oder die automatische Bremsleistung auf „maximum“ statt nur auf „medium“ gestellt hätten. Ebenfalls hätten die Piloten das Flugzeug pflicht- und sorgfaltswidrig zu weit entfernt vom Landebahnbeginn aufgesetzt und hierdurch die zur Verfügung stehende Bremsstrecke unnötig verkürzt. Sie, die Streithelferin, habe ausreichend viele Messfahrten durchgeführt.
16Die Klägerin und die Streithelferin beantragen,
17die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 194.416,47 Euro nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11. März 2006 zu zahlen.
18Die Streithelferin beantragt zudem, der Beklagten die Kosten der Nebenintervention aufzuerlegen.
19Die Beklagte beantragt,
20die Klage abzuweisen.
21Die Beklagte behauptet, dass sich die Piloten objektiv fehlerfrei verhalten hätten. Insbesondere die Landung sei fehlerfrei erfolgt. Die Piloten hätten keinen Anlass gehabt, die Landung abzubrechen, da ihnen lediglich der Friktionswert 36 mitgeteilt worden sei, ihnen jedoch – im Gegensatz zu den Lotsen – nicht die negative Entwicklung der Friktionswerte bekannt gewesen sei. Die Besatzung habe, als der Pilot bemerkte, dass die Bremswirkung nicht ausreiche, manuell gebremst.
22Die Beklagte ist der Ansicht, dass § 33 LuftVG nicht anwendbar sei, weil es sich bei der Klägerin nicht um eine am Flugbetrieb unbeteiligte Person handele. Eine Haftung der Beklagten nach § 831 BGB scheide jedenfalls deshalb aus, weil die Beklagte kein Auswahl- oder Überwachungsverschulden treffe.
23Die Kammer hat Beweis erhoben gemäß des Beweisbeschlusses vom 24.07.2007 (Bl. 283 d.A.), des Beschlusses vom 23.01.2014 (Bl. 327 d.A.) und des Beweisbeschlusses vom 15.07.2014 (Bl. 353 d.A.). Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die schriftlichen Aussagen der Zeugen L (Bl. 301 R d.A.) und Dr. P (Bl. 307 ff. d.A.), den Untersuchungsbericht der Bundesstelle für Fluguntersuchung (X2) und die Vernehmung des Zeugen G3 (Bl. 361 ff. d.A.) Bezug genommen.
24Die Streitverkündete ist dem Rechtsstreit mit Schriftsatz vom 10.05.2007 beigetreten.
25Entscheidungsgründe:
26Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
27Der Klägerin stehen keine Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte zu; weder aus § 33 LuftVG (dazu unter I.), noch aus § 831 BGB (dazu unter II.), noch aus § 25 Absatz 3 LuftVG i.V.m. § 33 LuftVG (dazu unter III.). Ob die Klägerin aktivlegitimiert ist, kann somit dahinstehen.
28I. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte aus Gefährdungshaftung gemäß § 33 LuftVG, weil die Vorschrift nicht einschlägig ist. Die Vorschrift greift nicht zugunsten von Geschädigten ein, die am Betrieb des Luftfahrzeugs beteiligt waren, sondern nur zugunsten von Geschädigten, die ohne irgendwie geartete Beteiligung an dem Betrieb des schadenstiftenden Luftfahrzeugs zu Schaden kommen (BGH in NZV 1991, 112). Dass bei diesem Verständnis der Vorschrift der Kreis der geschützten Personen verhältnismäßig klein ist, findet seine Rechtfertigung in der strengen, fast voraussetzungslosen Haftung, die keine Berufung auf ein unabwendbares Ereignis oder höhere Gewalt zulässt (BGH a.a.O.; BGH in VersR 1962, 530). Gegen eine solche Auslegung spricht nicht, dass bei einem solch engen Anwendungsbereich für eine Anwendung des § 34 LuftVG (Mitverschulden) kein Raum bliebe. Dies ist nicht der Fall. Denn es kommen – neben Abstürzen – auch Fälle in Betracht, bei denen Flugzeuge in der Luft zusammenstoßen oder bei denen sich die späteren Geschädigten leichtsinnig in die Nähe eines startenden oder landenden Flugzeugs begeben (BGH in NZV 1991, 112).
29Bei Anwendung dieser Grundsätze ist die Klägerin keine unbeteiligte Dritte in Bezug auf den Betrieb des Flugzeugs der Beklagten bei der Landung am Unfalltag. Sie ist hier nicht ohne eine irgendwie geartete Beteiligung am Betrieb des Flugzeugs geschädigt worden. Die Klägerin hat die geltend gemachten Schäden vielmehr in ihrer Eigenschaft als Flugsicherungsunternehmen erlitten. Die von ihr hinter der Landebahn aufgestellten Geräte dienten gerade dazu, eine sichere Landung der den Flughafen anfliegenden Flugzeuge und eben auch des Flugzeugs der Beklagten zu gewährleisten. Soweit der BGH auch Fälle in die Haftung mit einbezieht, in denen sich die späteren Geschädigten leichtsinnig in die Nähe eines startenden oder landenden Flugzeugs begeben haben, sind diese Konstellationen nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar. Die Klägerin hat sich nämlich mit ihren Messinstrumenten nicht leichtsinnig oder zufällig in die Nähe der Landebahn begeben, sondern die Geräte dort bestimmungsgemäß aufgestellt. An anderer Stelle könnten diese Geräte womöglich gar nicht ihre Funktion erfüllen. Die Entscheidung, die Geräte in den näheren Gefahrenbereich der Landebahn zu verbringen, erfolgte also bewusst und es entsprang nicht dem Zufall, dass sich die Geräte dort befanden, als es zu dem Flugunfall und der Schädigung kam. Insoweit ist der vorliegende Fall durchaus mit der von dem BGH entschiedenen Konstellation vergleichbar. Dort war einem als Bodenhelfer bei der Landung eines Segelflugzeugs tätigen Geschädigten die Berufung auf § 33 LuftVG verwehrt worden, weil dieser an der Landung beteiligt gewesen sei. Vorliegend befand sich die Klägerin zwar nicht als Person im Gefahrenbereich vor Ort, jedoch übernahmen die von ihr im Gefahrenbereich aufgestellten – und im Zuge dessen zerstörten – Geräte die Aufgaben eines „Landehelfers“ und ersetzten somit eine sonst erforderliche „körperliche Nähe“. Soweit die Klägerin darauf hinweist, dass Personen, die zwar zum Gelingen des Fluges beitragen, jedoch keinen körperlichen Kontakt beabsichtigen, vom Schutzzweck des § 33 LuftVG Personen erfasst werden, ist dies mit der zugrundegelegten Wertung durchaus vereinbar. Wäre ein Mitarbeiter der Klägerin in einem entfernteren Gebäude dadurch zu Schaden gekommen, dass beispielsweise ein Flugzeug der Beklagten in dieses Gebäude gestürzt wäre, hätte er sich nicht bestimmungsgemäß im Gefahrenbereich befunden und eine Haftung nach § 33 LuftVG wäre nicht ausgeschlossen gewesen. Hiervon unterscheidet sich der vorliegende Fall jedoch maßgeblich, weil eben nicht ein von der Landebahn räumlich entfernter Mitarbeiter (zufällig) geschädigt wurde, sondern Instrumente, die bestimmungsgemäß im Umfeld der Landebahn platziert wurden.
30II. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte aus § 831 Absatz 1 BGB.
311. Die Beklagte hat bewiesen, dass sich die Besatzung beim Landevorgang verkehrsrichtig verhalten hat. Der Geschäftsherr, hier die Beklagte, kann im Rahmen des § 831 Absatz 1 BGB den Entlastungsbeweis (auch) dadurch antreten, dass der Schaden selbst bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt entstanden wäre, es also an der Ursächlichkeit zwischen seiner vermuteten Sorgfaltspflichtverletzung und dem Schaden fehlt (Sprau in Palandt, BGB, 74. Auflage 2015, § 831 Rn. 16). Dieser Nachweis kann dadurch geführt werden, dass der Geschäftsherr beweist, dass sich der Gehilfe – hier die Besatzung – so verhalten hat, wie jede andere Person sich sachgerecht und vernünftig verhalten hätte (BGH in VersR 75, 447; OLG Oldenburg NJW-RR 88, 38 m.w.N.), denn dann bestünde auch im Falle eigenen Handelns des Geschäftsherrn kein Anspruch (BGH in NJW 96, 3205). Beispielsweise haftet der Geschäftsherr nicht für den Verkehrsunfall seines angestellten Fahrers, wenn sich dieser verkehrsrichtig verhalten hat (OLG Hamm NJW-RR 98, 1402).
32Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht fest, dass die Piloten weder fehlerhaft den Landeanflug fortgesetzt haben (a.), noch haben sie Fehler bei der Bremsung des Flugzeugs nach dem Aufsetzen gemacht (b.).
33a. Die Entscheidung der Piloten, die Landung durchzuführen und nicht durchzustarten, war vor dem Hintergrund der ihnen zur Verfügung stehenden Informationen korrekt. Es ist bei einer Gesamtbetrachtung des Funkverkehrs nicht ersichtlich, weshalb die Piloten davon ausgehen hätten müssen, dass eine Landung wetterbedingt nicht möglich ist.
34Im Einzelnen:
35Der Besatzung wurde kurz vor der Landefreigabe mitgeteilt, die Bremswirkung sei auf allen 3 Abschnitten der Landebahn „medium“. Aus Sicht der Besatzung sprach demnach nichts gegen die Fortsetzung des Sinkflugs. Dies wird durch die X2 bestätigt, danach war es aus Sicht der X2 nachvollziehbar, dass sich die Besatzung zur Landung entschloss. Insbesondere lagen die Seitenwinde innerhalb des bei „rutschigen“ (slippery) Landebahnen geltenden Toleranzbereichs.
36Zwar war den Piloten auch bekannt, dass „heavy snow showers“ vorliegen würden, allerdings wurde ihnen nach dieser Information weiter mitgeteilt, die Bremswirkung sei „medium at all parts“. Aufgrund dieser zeitlichen Reihenfolge der Informationen durften die Piloten davon ausgehen, dass eine Landung – trotz der schweren Schneefälle – möglich sein würde, denn ihnen wurde mitgeteilt, dass auf allen drei Abschnitten der Landebahn mittlere Bremswirkung gemessen wurde. Aus ihrer Sicht konnten sie die Informationen zu den Wetterbedingungen nur so verstehen, dass die Bremswirkung trotz des Schnees bei medium liegen würde.
37Die Klägerin führt im Übrigen selbst aus, dass die Angaben des Messfahrzeugfahrers eher vage waren, aber nicht den Schluss zugelassen hätten, dass eine sichere Landung nicht hätte erfolgen können. Dementsprechend war es seitens der Piloten, denen noch weniger Informationen vorlagen als dem Towerlotsen, nicht fehlerhaft, die Landung durchzuführen. Insbesondere war den Piloten nämlich nicht aus visueller Wahrnehmung bekannt, wie stark es tatsächlich schneite und dass sich die Bremswerte auf der Landebahn innerhalb von rund 10 Minuten von 65 auf 36 verschlechtert hatten. Zudem erhielt der Pilot von dem Lotsen die Information, die Bremswirkung sei „medium at all parts“ (also auf allen 3 Abschnitten der Landebahn), was nicht den tatsächlichen Bedingungen entsprach, denn der Fahrer hatte dem Lotsen „medium“ lediglich als Durchschnittswert für die gesamte Piste mitgeteilt. Der Pilot ging also davon aus, genauere Daten – nämlich für jeden Abschnitt der Landebahn einen Wert – zur Verfügung stehen zu haben, als dies tatsächlich der Fall war. Tatsächlich stand ihm nämlich nur ein gemittelter Wert für die drei Abschnitte zur Verfügung. Dass es bei der Messfahrt unmittelbar vor der Landung zu Problemen mit dem Drucker gekommen war und daher keine Einzelwerte vorlagen, war nicht an den Piloten weitergegeben worden.
38Die Kammer ist vielmehr aufgrund der glaubhaften, nachvollziehbaren und widerspruchsfreien Aussage des Zeugen G3 (der den Unfall als Gutachter der X2 untersuchte) überzeugt, dass der Unfall nicht durch eine unzutreffende Einschätzung der Wetterlage durch die Piloten verursacht wurde, sondern, dass die Ursache des Unfalls das Fehlen einer zuverlässigen Messmethode für die Ermittlungen der Bremswerte bei Schneefall war. Der Zeuge G3 führte hierzu aus, dass die von dem Messfahrzeug ermittelten Bremswerte aus verschiedenen Gründen nicht auf die Bremswerte eines Flugzeugs übertragen werden könnten. Dies liege einerseits an technischen Gründen: Zum einen habe das Messfahrzeug eine erheblich geringe Masse als ein Flugzeug, zum anderen sei es mit einer deutlich geringeren Geschwindigkeit unterwegs. Darüber hinaus könne das Messfahrzeug die Messung nur auf einer sehr kleinen Teilfläche der Landebahn durchführen, die sich nicht zwingend mit derjenigen Teilfläche der Landebahn decke, auf der das Flugzeug später ausrollen würde. Zum anderen seien die an die Besatzung übermittelten Werte noch aus zwei weiteren Gründen ungenau: Zum einen ergebe sich zwangsläufig immer eine Zeitverzögerung zwischen Messung und Landung. Zum anderen stelle der Wert, der letztlich an die Besatzung weitergegeben werde, einen mehrfach gemittelten Wert dar, weil u.a. die drei unterschiedlichen Werte der jeweiligen Abschnitte nur als ein Durchschnittswert für die gesamte Piste durchgegeben werden. Unterschiede in der Bremswirkung auf verschiedenen Abschnitten könnten sich demnach bei dem Rechenvorgang ausgleichen und zu Ungenauigkeiten führen, beispielweise wenn ein schlechter Bremswert in dem einen Abschnitt von einem guten Bremswert in einem anderen Abschnitt mathematisch ausgeglichen würde. Die von dem Zeugen geschilderten Umstände sind für die Kammer auch in technischer Hinsicht nachvollziehbar. Es ist plausibel, dass Werte, die das Messfahrzeug bei einer Fahrt über die Landebahn ermittelt, nicht ohne weiteres auf ein landendes Flugzeug übertragbar sind.
39Gleichzeitig ist die Kammer der Ansicht, dass schon die Tatsache, dass dem Piloten nur der „Endwert“ durchgefunkt wird, dafür spricht, dass er sich grundsätzlich in gewissem Umfang auf den Towerlotsen verlassen darf. Denn wenn dem Piloten beispielsweise ein Teilbereichswert im Bereich von poor gar nicht bekannt wird aufgrund der vorher durchgeführten Berechnung, kann er zwangsläufig keine Entscheidung darüber treffen, ob ihm ein medium insgesamt ausreicht. Die Besatzung fragte vorliegend sogar konkret nach den drei Einzelwerten. Nachdem ihnen darauf hin „medium at all parts“ mitgeteilt wurde, hatten sie ihrer Sorgfaltspflicht genügt. Sie konnten nicht wissen, dass die Angabe medium nur den Mittelwert für die gesamte Landebahn darstellte, nachdem der Lotse auf ihre Frage hin, ausdrücklich einen mittleren Bremswert für alle Abschnitte durchgegeben hatte. Weshalb sich die Piloten hierauf nicht hätten verlassen dürfen und was sie noch hätten weiter veranlassen sollen, ist nicht ersichtlich.
40Es war auch nicht fehlerhaft, dass die Besatzung die durchgegebenen Werte zugrundelegte, denn andere, bessere Werte standen nicht zur Verfügung. Wie der Zeuge G3 auf Nachfrage der Kammer ausführte, gibt es auch derzeit, also mehr als 9 Jahre nach dem Unfall, im internationalen Flugbetrieb keine genauere Messmethode, als die damals eingesetzte.
41b. Die Besatzung hat sich auch bei dem Bremsvorgang nach der Landung verkehrsrichtig verhalten. Die Kammer geht davon aus, dass nach der (aus Sicht der Piloten richtigen) Entscheidung die Landung durchzuführen, die Piloten bestmöglich reagiert haben, es aber aufgrund der schlechten Bedingungen nicht mehr möglich war, das Flugzeug noch zu bremsen.
42Soweit die Klägerin der Ansicht ist, der entscheidende Fehler der Piloten sei die falsche Einstellung der Bremswirkung gewesen, ist die Kammer aufgrund der Ausführungen des Zeugen G3 überzeugt, dass den Piloten kein Fehler unterlaufen ist.
43Der Zeuge führte nachvollziehbar aus, dass die verschiedenen Einstellungen, die bei Verwendung des automatischen Bremssystems zur Verfügung stehen, nicht zwangsläufig zu kürzeren oder längeren Bremswegen führen, sondern dass die Bremswirkung immer von der Beschaffenheit der Landebahnoberfläche und deren Rollwiderstand abhänge. Entstehe auf der Landebahnoberfläche, beispielsweise witterungsbedingt, nicht ausreichend S-C-Straße, könne das Flugzeug nicht abgebremst werden, unabhängig davon, wie stark die Bremsen des Flugzeuges betätigt werden. Im konkreten Fall hätte es nach den Angaben des Zeugen G3 keinen Unterschied gemacht, ob „minimum“ oder „maximum“ eingestellt worden wäre, weil das Bremssystem immer versuchen würde, die voreingestellte Bremswirkung zu erreichen. Wenn die S-C-Straße – wie vorliegend – aber sehr gering ist, müssen die Räder durch das ABS-System immer wieder freigegeben werden, weil ein Blockieren, also ein Stillstand, automatisch verhindert wird. Dies ist für die Kammer nachvollziehbar. Aus vergleichbaren Situationen im T-C-Straße ist bekannt, dass unabhängig davon, wie gut die Bremsen sind, diese nur funktionieren, wenn auf der C-Straße S-C-Straße entsteht. Auf einer vereisten Fläche können auch die besten Bremsen nichts ausrichten.
44Zudem ergibt sich aus dem X2-Unfallbericht, dass die Besatzung bei der Einstellung des automatischen Bremssystems die Wetterbedingungen offensichtlich berücksichtigte, indem sie statt der Einstellung „minimum“ die Einstellung „medium“ wählte, obwohl das Ergebnis der Landeberechnung ergeben hatte, dass für das Flugzeug auch bei der Einstellung „minimum“ ausreichend Landebahnlänge zur Verfügung gestanden hätte. Des Weiteren gab der Zeuge G3 an, die Besatzung habe auf die Wetterbedingungen dadurch reagiert, dass sie eine neue Performanceberechnung durchgeführt habe.
45Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Besatzung nicht auf den übermittelten Wert „medium“ vertrauen durfte. Der Zeuge G3 bestätigte zwar, dass allen Beteiligten die zeitlichen Verzögerungen bei der Weitergabe der Werte bewusst seien, allerdings habe es nach seiner Ansicht für die Besatzung keinen Anlass gegeben, von einer so erheblichen Verschlechterung auszugehen, dass eine Landung unmöglich wurde. Die Besatzung durfte zudem aufgrund des Funkverkehrs davon ausgehen, dass der Bodenbesatzung die problematische Wetterlage bekannt war und entsprechende Vorkehrungen getroffen wurden.
46Die Aussage des Zeugen G3 ist auch deshalb glaubhaft, weil er den Unfall aus Sicht der X2 als unabhängiger Gutachter untersuchte und somit weder Grund hatte, eine der Parteien zu begünstigen, noch ein Eigeninteresse am Ausgang der Untersuchung hatte. Der Zeuge konnte aus formellen Gründen nicht als Sachverständiger auftreten. Seine Sachkunde zur Beantwortung der technischen Fragen, war jedoch erkennbar, da er in der Lage war, Nachfragen spontan und detailliert zu beantworten und auch für technische Laien nachvollziehbar darzulegen. Zugleich räumte er aber auch ein, wenn er zu bestimmten Aspekten keine Auskunft geben konnte, ohne in den entsprechenden Regelwerken nachzuschlagen.
472. Eine Haftung der Beklagten aus § 831 Absatz 1 BGB scheidet zudem aus, weil kein Überwachungs- oder Auswahlverschulden der Beklagten im Hinblick auf die eingesetzte Besatzung ersichtlich ist. Die Beklagte hat zu den Qualifikationen und Flugerfahrungen der drei Besatzungsmitglieder ausführlich und unter Beweisantritt vorgetragen, ohne dass die Klägerin dies bestritten hat. Die Klägerin hat auch nichts dazu dargelegt, aus welchen Gründen die Beklagte die Besatzung nicht hätte mit dem Flug betrauen dürfen. Derartiger Vortrag wäre nach den substantiierten Darlegungen der Beklagten aber erforderlich gewesen, da es der Beklagten nicht möglich ist, weiter zu der Eignung der Besatzung vorzutragen, ohne dass die Klägerin diese konkret angreift. Auch der X2-Bericht bestätigt, dass der verantwortliche Pilot und der Copilot über eine sehr große Gesamtflugerfahrung sowie Mustererfahrung verfügten (Seite 49 des X2-Berichts).
48III. Schließlich hat die Klägerin auch keinen Anspruch gegen die Beklagte aus §§ 25 Absatz 3 i.V.m. 33 LuftVG.
49Es handelt sich hierbei ebenfalls um einen Anspruch aus Gefährdungshaftung, so dass die Vorschrift aus den bereits erörterten Gründen eng auszulegen ist (s.o. unter I.). Danach ist schon fraglich, ob mit „Landung“ i.S.d. § 25 Absatz 1 Satz 3 Nr. 1 LuftVG der gesamte Vorgang vom Anflug bis zum Stillstand des Flugzeugs auf dem zugewiesenen „Parkplatz“ gemeint ist oder lediglich der Aufsetzpunkt. Jedenfalls ist die Regelung, dass dem Berechtigten Ansprüche zustehen sollen, wenn ein Flugzeug ohne Erlaubnis außerhalb der in der Flugplatzgenehmigung festgelegten Landebahn landet, dahingehend auszulegen, dass hiermit Fälle gemeint sind, in denen ein Flugzeug bewusst und von vorneherein geplant auf einer nicht freigegebenen Fläche landet. Dies ist hier ersichtlich nicht der Fall, zumal sich der Aufsetzpunkt des Flugzeugs (touch down) auf der regulären und für das Flugzeug freigegebenen Landebahn befand und auch in dem hierfür vorgesehenen Abschnitt (vgl. Seite 50 des BGU-Gutachtens). Für die von ihm durchgeführte Landung hatte der Pilot eine Erlaubnis. Soweit das Flugzeug anschließend in einen Bereich außerhalb der Landebahn geriet, handelte es sich hierbei nicht um eine bewusste Handlung der Piloten, sondern eine Folge der Wetterbedingungen (s.o. unter II.). Das Abkommen von der Piste war von den Piloten nicht mehr zu verhindern. Die Situation gleicht somit mehr derjenigen eines Notfalls, der in § 25 Absatz 2 LuftVG geregelt ist.
50IV. In Ermangelung einer Hauptforderung besteht kein Anspruch auf Zahlung von Zinsen, § 286 BGB.
51Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Absatz 1 Satz 1, 101, 709 Satz 2 ZPO.
52Streitwert: 194.416,47 Euro
53Rechtsbehelfsbelehrung:
54A) Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,
55a) wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder
56b) wenn die Berufung in dem Urteil durch das Landgericht zugelassen worden ist.
57Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses Urteils schriftlich bei dem Oberlandesgericht G, D-Allee, 40474 G, eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils (Datum des Urteils, Geschäftsnummer und Parteien) gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.
58Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils schriftlich gegenüber dem Oberlandesgericht G zu begründen.
59Die Parteien müssen sich vor dem Oberlandesgericht G durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.
60Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
61B) Gegen die Streitwertfestsetzung ist die Beschwerde an das Landgericht G statthaft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 EUR übersteigt oder das Landgericht die Beschwerde zugelassen hat. Die Beschwerde ist spätestens innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Landgericht G, X-C-Straße, 40227 G, schriftlich in deutscher Sprache oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Beschwerde kann auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichtes abgegeben werden. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann die Beschwerde noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
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Referenzen
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