Urteil vom Landgericht Flensburg - 2 O 227/17

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist für den Beklagten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Der Streitwert wird auf 6.850,00 € festgesetzt.

Tatbestand

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Der Kläger verlangt von dem beklagten Land (nachfolgend: „der Beklagte“) weitere Entschädigungszahlungen im Zusammenhang mit den gegen ihn verhängten Strafverfolgungsmaßnahmen.

2

Im Jahr 2014 eröffnete die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Lübeck gegen den Kläger ein Ermittlungsverfahren wegen Brandstiftung. In dem Zusammenhang erließ das Amtsgericht Lübeck am 10.12.2014 Haftbefehl gegen den Kläger, welcher am 11.12.2014 vollzogen wurde.

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Nach Vorführung des Klägers am Folgetag, am 12.12.2014, hielt der Haftrichter den Haftbefehl aufrecht und veranlasste die Überführung des Klägers in die Untersuchungshaft.

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Am 7.1.2015 fand beim Amtsgericht Lübeck der Termin zur mündlichen Haftprüfung statt. Mit Beschluss vom 9.1.2015 setzte das zuständige Gericht den Haftbefehl außer Vollzug und erteilte dem Kläger folgende Auflagen (vgl. Klage, S. 3; Bl. 5 d.A.):

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“Der Beschuldigte hat unverzüglich Wohnsitz zu nehmen in: …….. Der Beschuldigte hat jeden Wohnsitzwechsel (Arbeitsstellenwechsel) unverzüglich dem Amtsgericht Lübeck zum Az. anzugeben. Der Beschuldigte hat sich zur Kontrolle seiner Anwesenheit wöchentlich und zwar jeweils am Dienstag und Freitag zwischen 17:00 und 19:00 Uhr auf dem für seinen Wohnsitz zuständigem Polizeirevier zu melden. Der Beschuldigte hat allen Ladungen des Gerichts zu folgen. Er hat täglich von 19:00 Uhr abends bis 6:00 Uhr morgens auch am Wochenende häuslich anwesend zu sein. Ihm wird verboten mit seinen Tatgenossen Kontakt zu haben.“

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Im Laufe der Zeit passten das Amtsgericht Lübeck und das Amtsgericht Ahrensburg diese Auflagen Schritt für Schritt an die Umstände und Gegebenheiten an (siehe im Detail Beschlüsse der Amtsgerichte vom 13.1.2015 bis 21.9.2015; Bl. 21-26 d.A.).

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Die Hauptverhandlung gegen den Kläger und seine mutmaßlichen Tatgenossen begann am 13.10.2015. Das Landgericht Lübeck sah es nach sieben Verhandlungstagen als erwiesen an, dass sich der Kläger wegen Beihilfe zur Sachbeschädigung schuldig gemacht hat. Es legte dem Kläger auf, sechs Raten á € 50,00 als Geldauflage zahlen und an drei pädagogischen Gesprächen teilzunehmen.

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Ferner beschloss das Landgericht Lübeck am 21.6.2016, dass der Kläger für die Untersuchungshaft in der Zeit vom 11.12.2014 bis zum 9.1.2015 sowie für die sich aus dem Beschluss des Amtsgerichts Lübeck vom 9.1.2015 nebst Folgebeschlüssen in der Zeit bis zum 10.11.2015 ergebenden Beschränkungen zu entschädigen sei.

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Mit Schreiben vom 17.3.2017 bezifferte der Kläger gegenüber der Staatsanwaltschaft Lübeck seine Entschädigungssumme auf € 8.548,51 (Anlage K 1; Bl. 9 f. d.A.). Dabei berechnete er für die erlittene Untersuchungshaft vom 11.12.2014 bis zum 9.1.2015 € 725,00 (29 Tage á € 25,00). Darüber hinaus berechnete er für den Zeitraum vom 10.1.2015 bis zum 10.11.2015, in dem der Haftbefehl zwar nicht vollzogen wurde aber gleichwohl fortbestand, weitere € 7.600,00 (304 Tage á € 25,00). Den Minderbetrag für die Ausbildungsvergütung bezifferte er mit € 223,51.

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Der Generalstaatsanwalt bewilligte dem Kläger mit Schreiben vom 6.7.2017 eine Zahlung von € 750,00 für die erlittene Untersuchungshaft (11.12.2014 bis zum 9.1.2015) sowie die beantragten € 223,51 für den Verdienstausfall (Anlage K 2) nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (kurz: StrEG). Im Hinblick auf die geforderte weitere Entschädigungsleistungen für den Zeitraum vom 10.1.2015 bis zum 10.11.2015 führte der Generalstaatsanwalt aus, dass hierfür eine Entschädigungsleistung nicht in Betracht komme.

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Der Kläger behauptet, die Zeit der Haftverschonung vom 10.1.2015 bis zum 10.11.2015 sei für ihn sehr bedrückend gewesen. Zwischen ihm und seinen Eltern sei es aufgrund der räumlichen Nähe vermehrt zu Streitigkeiten gekommen. Der Kläger ist daher der Ansicht, dass ihm nach dem StrEG auch für den Zeitraum vom 10.1.2015 bis zum 10.11.2015 die geforderte Entschädigungszahlung zustehe. Schließlich habe der Kläger – unter Berücksichtigung der ihm gemachten Auflagen – in dieser Zeit faktisch unter „Hausarrest“ gestanden, was letztlich nichts anderes sei, als eine freiheitsentziehende Maßnahme, etwa vergleichbar mit einem „offenen Vollzug“. Die gegenteiligen Ausführungen des Generalstaatsanwalts seien in dem Zusammenhang unzutreffend.

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Der Kläger beantragt,

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der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 6.850,00 zu zahlen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Der Beklagte ist der Ansicht, dass die dem Kläger auferlegte Wahrnehmung von Melde- und Aufenthaltsauflagen im Rahmen der ihm gewährten Haftverschonung keine „Freiheitsentziehung“ Sinne des StrEG darstellen würde. Eine Entschädigung könne aus diesem Grund nicht gezahlt werden. Abgesehen davon habe des Amtsgericht Lübeck die Auflagen im Laufe der Zeit ohnehin Schritt für Schritt gelockert (vgl. Bl. 21-26 d.A.).

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Ergänzend wird auf die eingereichten Schriftsätze und Anlagen Bezug genommen. Beide Parteien haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren (§ 128 Abs. 2 ZPO) einverstanden erklärt (Blatt 35, 38 und 39 d.A.). Das Gericht hat daraufhin das schriftliche Verfahren angeordnet (Bl. 39 d.A.).

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.

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I. Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist das angerufene Landgericht Flensburg sachlich und örtlich zuständig. Auch die sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen liegen vor.

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II. Die Klage ist indes unbegründet. Dem Kläger steht aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt der begehrte Entschädigungsanspruch zu.

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1. Ein Anspruch nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG ist nicht ersichtlich. Der Kläger hat auch keine Umstände vorgetragen, die auf einen solchen Anspruch schließen ließen.

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2. Auch ein Anspruch nach dem StrEG scheidet vorliegend aus. Die dem Kläger zustehenden Entschädigungsleistungen sind bereits erbracht worden (Klage, S. 5; Bl. 7 d.A.). Dies ist unstreitig. Darüber hinaus gehende Leistungen stehen dem Kläger nicht zu.

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a) Insbesondere besteht vorliegend kein Anspruch nach § 7 Abs. 1, 3 StrEG. Die Wahrnehmung von Melde- und Aufenthaltsauflagen im Rahmen der dem Kläger gewährten Haftverschonung (vgl. § 116 StPO) stellt keine „Freiheitsentziehung“ im Sinne des § 7 Abs. 1 StrEG dar. Weder der Wortlaut noch der Gesetzeszweck lassen einen gegenteiligen Schluss zu. Auch eine analoge Anwendung scheidet vorliegend aus.

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aa) Nach § 7 Abs. 1, 3 StrEG ist Gegenstand der Entschädigung der durch die Strafverfolgungsmaßnahme verursachte Vermögensschaden, im Falle der Freiheitsentziehung auf Grund gerichtlicher Entscheidung auch der Schaden, der nicht Vermögensschaden ist. Für den Schaden, der nicht Vermögensschaden ist, kann der Betroffene € 25,00 für jeden angefangenen Tag der Freiheitsentziehung verlangen.

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(1) Freiheitsentziehung ist die Einschränkung des Grundrechtes auf Freiheit der Person (siehe auch Habeas Corpus) durch staatliche Institutionen (Definition: Wikipedia). Das Bundesverfassungsgericht hat Freiheitsentziehung wie folgt definiert: Unter Freiheitsentziehungen seien alle der öffentlichen Gewalt zurechenbaren Maßnahmen zu verstehen, die unmittelbar die körperliche Bewegungsfreiheit gegen oder ohne den Willen der Person für eine gewisse Mindestdauer durch besondere Sicherungen allseitig bzw. auf einen engen Raum beschränken (vgl. BVerfGE 94, 166; BVerfGE 105, 239). „Während eine bloße Freiheitsbeschränkung vorliegt, sobald jemand durch die öffentliche Gewalt gegen seinen Willen daran gehindert wird, einen Ort aufzusuchen oder sich dort aufzuhalten, der ihm an sich (tatsächlich und rechtlich) zugänglich ist, zieht das BVerfG den Tatbestand der Freiheitsentziehung nur in Betracht, wenn die - tatsächlich und rechtlich an sich gegebene - körperliche Bewegungsfreiheit nach jeder Richtung hin aufgehoben wird“ (Sachs JuS 2003, 193; zum Beschluss des BVerfG vom 15.5.2002, Az. 2 BvR 2292/00).

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Orientiert man sich am engen Wortlaut der Vorschrift des § 7 Abs. 1 StrEG, wonach der Betroffene nur für „Freiheitsentziehung auf Grund gerichtlicher Entscheidung“ Schadensersatz verlangen können soll und berücksichtigt ferner die Systematik der Norm und des Gesetzes, erscheint es - auch im Lichte der oben wiedergegebenen Definition - naheliegend, dass damit in erster Linie vollzogene Haftfälle gemeint sind. Hierfür spricht auch, dass § 7 Abs. 3 StrEG an „jeden angefangenen Tag“ der Freiheitsentziehung anknüpft. Es soll also derjenige Entschädigung verlangen können, dem auf Grund einer gerichtlich angeordneten und vollzogenen Haft - zu Unrecht - die Freiheit entzogen wurde.

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(2) Diese Annahme findet ihre Stütze auch in der damaligen Gesetzesbegründung. Demnach bestand der mit der Einführung des StrEG im Jahr 1971 - zur Neuregelung der Entschädigung der im Wiederaufnahmeverfahren freigesprochenen Personen (BGBl. III S. 313-1) und der Entschädigung für unschuldig erlittene Untersuchungshaft (BGBl. III S. 313-2) - vom Gesetzgeber verfolgte Zweck offenbar darin, das bis dato geltende Recht um die Erstattbarkeit von Nicht-Vermögensschäden zu erweitern, die durch „zu Unrecht erlittene Strafhaft und Untersuchungshaft“ entstanden sind (BT-Drs. VI/460, Sachgebiet 313, Anlage 1, S. 6; vgl. auch BR-Drs. 677/69). Hintergrund war, dass der bisherige Zustand als „unbillig“ und nicht mit dem Rang vereinbar empfunden wurde, „der dem Grundrecht der Freiheit der Person im sozialen Rechtsstaat zukommt“ (BT-Drs. VI/460, Sachgebiet 313, Anlage 1, S.6). Ein verschuldens- und vor allem vermögensunabhängiger Entschädigungsanspruch als Aufopferungsanspruch sollte daher die üblichen mit der Haft verbundenen Unzuträglichkeiten ausgleichen. Allerdings hatten die Schöpfer der Norm schon damals klargestellt, dass es nicht uneingeschränkt „gerechtfertigt erscheint, Entschädigung zu gewähren“ (BT-Drs. VI/460, Sachgebiet 313, Anlage 1, S. 8). Etwa dann nicht, „wenn aufgrund von Rechtsvorschriften außerhalb des Strafrechts Maßnahmen erforderlich gewesen wären, die einer Maßregel der Sicherung und Besserung entsprechen, z. B. nach den Unterbringungsgesetzen oder nach verwaltungsrechtlichen Vorschriften, z.B. § 12 des Gaststättengesetzes (Zurücknahme der Erlaubnis zur Ausübung eines Gaststättengewerbes) oder nach § 4 StVG (Entziehung der Fahrerlaubnis) in ganz besonders gelagerten Fällen“ (BT-Drs. VI/460, Sachgebiet 313, Anlage 1, S. 8).

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bb) § 7 Abs. 1, 3 StrEG stellt insoweit also eine eng gefasste Spezialvorschrift dar, welche für einen legal definierten Sonderfall - quasi als Ausnahme zu der Regel - die Erstattung auch des immateriellen Schadens erlaubt und insoweit bestenfalls wenig Raum für Analogien bietet. Auch in der Praxis wird dies im Allgemeinen so verstanden. So hat etwa das Oberlandesgericht Zweibrücken einem Betroffenen, der in seiner Freizeit unentgeltliche gemeinnützige Arbeit zur Abwendung der Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe auf Grund eines Strafbefehls ableisten musste, keinen Entschädigungsanspruch wegen Freiheitsentziehung zugesprochen (vgl. OLG Zweibrücken Urteil v. 3.4.2003, Az. 6 U 7/02, NJW 2004, 2314). Selbst die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis, die - je nach Einzelfall - freilich als erhebliche Beeinträchtigung bis hin zur „Freiheitsentziehung“ empfunden werden kann, soll nach Auffassung des Oberlandesgerichts Frankfurt (im Einklang mit dem Willen des Gesetzgebers; siehe oben) keinen Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens begründen (OLG Frankfurt, Urteil v. 8.12.2016, Az. 1 U 77/16, BeckRS 2016, 115004 so auch BGH NJW 1975, 347). Das Oberlandesgericht Frankfurt stützt seine Entscheidung unter anderem auf die Generalvorschrift zum immateriellen Schaden, den § 253 Abs. 1 BGB, wonach immaterieller Schaden nur ausnahmsweise, nämlich in den gesetzlich geregelten Fällen, zu ersetzen ist.

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cc) Angesichts des eng gefassten Wortlauts wie auch der klaren Vorgaben des Gesetzgebers, einerseits im Hinblick auf § 7 StrEG (siehe oben), aber auch im Hinblick auf § 253 Abs. 1 BGB, verbietet sich nach Auffassung des Gerichts die analoge Anwendung des § 7 Abs. 1, 3 StrEG im vorliegenden Fall. Es fehlt bereits an einer planwidrigen Regelungslücke. Nach Ansicht des Gerichts deutet sowohl der Wortlaut als auch die Gesetzesbegründung (siehe oben) darauf hin, dass der Gesetzgeber bewusst nur einen Sonderfall regeln wollte. Nämlich den Fall der Freiheitsentzug durch gerichtlich angeordnete und vollzogene Haft.

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Abgesehen davon dürfte es aber auch an der Vergleichbarkeit fehlen. Denn der Verlust an Freizeit oder die Erteilung von Auflagen, auch wenn durch diese kurzfristig in das Aufenthaltsbestimmungsrecht des Betroffenen eingegriffen wird, stellt nach Auffassung des Gerichts einen viel geringeren Eingriff in das Persönlichkeitsrecht dar, als die Freiheitsentziehung durch Haft. Nicht nur physisch sind die Unterschiede erheblich, vor allem psychisch stellt die Haft - jedenfalls für die meisten Betroffenen - eine gewaltige Belastung dar. Es ist deshalb gerechtfertigt, eine Entschädigung auf die Freiheitsentziehung durch Haft zu beschränken (vgl. auch OLG Zweibrücken NJW 2004, 2314, 2315), um die üblichen mit der Haft verbundenen Unzuträglichkeiten - als immateriellen Schaden - ausgleichen. Eine Entschädigung für durch Auflagen verursachte Unannehmlichkeiten scheint im Gegensatz dazu nicht zwingend. Vielmehr gehören derartige und ähnliche Unannehmlichkeiten im Zusammenhang mit der Strafverfolgung zum allgemeinen Lebensrisiko und sind folglich - bis auf die gesetzlich geregelten Fälle - hinzunehmen. Diese Lösung entspricht im Übrigen auch dem im Zivilrecht geltenden allgemeinen Schadensersatzrecht, welches bei Einbußen an Arbeitskraft und Freizeit grundsätzlich keinen Schmerzensgeldanspruch gewährt (vgl. auch OLG Zweibrücken NJW 2004, 2314, 2315). Ausnahmen dazu sind besonders gesetzlich geregelt.

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 b) Auch ein allgemeiner Aufopferungsanspruch steht dem Kläger vorliegend nicht zu. Die Wahrnehmung der dem Kläger gemachten Melde- und Aufenthaltsauflagen im Rahmen der Haftverschonung und/oder die damit verbundenen Folgen rechtfertigen einen solchen Anspruch nicht.

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aa) Zwar ist dem Kläger zuzugestehen, dass der allgemeine Aufopferungsanspruch wegen eines hoheitlichen Eingriffs in die körperliche Unversehrtheit nach jüngerer Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht (mehr) nur auf den Ersatz materieller Schäden begrenzt ist, sondern auch nichtvermögensrechtliche Nachteile des Betroffenen umfasst (BGH, Urteil v. 7.9.2017, Az. III ZR 71/17, NJW 2017, 3384). Doch macht der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung gleichwohl deutlich, dass der allgemeinen Aufopferungsanspruch nur in besonderen Fällen greift.

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Im vorliegenden Fall liegen die in der Entscheidung des Bundesgerichtshofs festgestellten Voraussetzungen nicht vor. Der Bundesgerichtshof stellt in seiner jüngeren Entscheidung fest, dass wegen einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung Schadensersatz zu leisten ist, auch wenn „nur“ ein immaterieller Schaden vorliegt (BGH NJW 2017, 3384, 3385 ff.). Damit hat er seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben. Auch wenn im Einklang mit Kritikern dieser Entscheidung, die bemängeln, der Bundesgerichtshof habe aus speziellen einfachgesetzlich geregelten Aufopferungsansprüchen eine allgemeine Regel abgeleitet und somit „vom Speziellen auf das Allgemeine geschlossen“ (so Singbartl / Zintl NJW 2017, 3384, 3387), über das Für und Wider dieser Entscheidung trefflich diskutiert werden kann, muss hier keine abschließende Meinung gebildet werden.

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Denn nach dem übereinstimmenden Vortrag der Parteien steht fest, dass es sich im vorliegenden Fall weder um eine rechtswidrige hoheitliche Maßnahme gehandelt hat, noch dass der Kläger durch die ihm auferlegten Regelungen in seinem Körper, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung „verletzt“ worden ist.

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Wenn der Kläger vorträgt, dass er faktisch unter Hausarrest stand, rechtfertigt sein Vortrag jedenfalls noch nicht die Annahme einer „Freiheitsverletzung“. Zum einen wurden die Auflagen Schritt für Schritt an seine Gegebenheiten angepasst (vgl. dazu auch Bl. 29-30 d.A.; ob hierin eine „Lockerung“ zu sehen ist, wovon das Gericht in der Gesamtschau ausgehen würde, muss dabei nicht entschieden werden). Zum anderen war der Kläger von vornherein nur sehr eingeschränkt an Meldeauflagen gebunden. So musste er sich zur Kontrolle seiner Anwesenheit anfangs zweimal wöchentlich auf dem für seinen Wohnsitz zuständigen Polizeirevier melden. Ferner sollte der Kläger allen Ladungen des Gerichts folgen (was selbstverständlich sein dürfte) und täglich von 19:00 Uhr abends bis 6:00 Uhr morgens zu Hause sein. Hier durfte er sich freilich frei bewegen, fernsehen, telefonieren, soziale Netzwerke nutzen usw. Es war ihm auch nicht untersagt, Besuch zu empfangen. Tagsüber durfte er sich im Grunde ebenfalls frei bewegen, einkaufen, Freunde besuchen, ins Kino gehen etc.. Mit einer Haftsituation ist dieser Zustand gewiss nicht zu vergleichen; weder physisch, noch psychisch. Schließlich ist ein Häftling räumlich stark eingeschränkt und kann sich auch nicht in dem Maße frei betätigen. Auch Besuch ist streng reglementiert. Die dem Kläger gemachten Auflagen können somit allenfalls als freiheitsbeschränkende Maßnahmen qualifiziert werden, welche zugunsten einer effektiven Strafverfolgung von jedem Bürger ausgleichslos hinzunehmen sind.

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bb) Auch mit Blick auf die individuellen Folgen für den Kläger rechtfertigt dessen Vortrag keinen Entschädigungsanspruch. Weder hat er etwas zu etwaigen materiellen Schäden vorgetragen, noch zu sonstigen atypischen Folgen, die im Rahmen einer Gesamtabwägung ein anderes Ergebnis rechtfertigen könnten.

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Wie oben dargestellt, handelt es sich bei § 7 Abs. 3 StrEG um eine gesetzliche Spezialregelung zur Erstattungsfähigkeit immaterieller Schäden infolge der vollzogenen Haft. Die Vorschrift regelt den Aufopferungsanspruch des Betroffenen abschließend, soweit es nicht um atypische Folgen geht, die ein tatsächliches „Sonderopfer“ darstellen. Derartige atypische Fälle sind indes nur in absoluten Ausnahmefällen vorstellbar (etwa schwerwiegende Verletzung durch einen Mitgefangenen, vgl. OLG München, Beschluss v. 23.4.2012, Az. 1 W 364/12, BeckRS 2012, 09099). Denn grundsätzlich gilt, dass zugunsten einer effektiven Strafverfolgung gewisse Maßnahmen hinzunehmen sind, soweit hierdurch erlittene Schäden nicht als „Sonderopfer“ erstattet werden müssen (vgl. BGH NJW 1973, 13229).

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Die vom Kläger geschilderten Beeinträchtigungen sind nicht atypisch und begründen kein Sonderopfer, für das auf den allgemeinen Aufopferungsanspruch zurückgegriffen werden könnte. Wenn der Kläger vorträgt, dass es zwischen ihm und seinen Eltern vermehrt zu Streitigkeiten gekommen sei, ist dies nicht schön, gleichwohl rechtfertigt es nicht die Annahme eines oben beschriebenen erstattungsfähigen Ausnahmefalles. Abgesehen davon ergibt sich aus den Beschlüssen der Amtsgerichte Lübeck und Ahrensburg nicht, dass der Kläger seinen Wohnsitz nur in Ausnahmefällen verlassen durfte (entgegen Klage, S. 5). Vielmehr wäre sogar ein Wohnsitzwechsel möglich gewesen (vgl. Klage, S. 3), solange dies angezeigt worden wäre.

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III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 11 ZPO i.V.m. § 711 ZPO.


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