Urteil vom Landgericht Freiburg - 3 S 17/19

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts Freiburg vom 11.01.2019 - 4 C 2622/17 - im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:

Die Beklagten werden verurteilt, einer Erhöhung der Miete der von ihnen angemieteten Wohnung Nr. … im 3. OG des Anwesens … in ... Freiburg auf monatlich EUR 1033, 67 EUR zuzüglich Betriebskostenvorauszahlung und Miete für KfZ-Tiefgaragenplatz mit Wirkung ab 01.10.2017 zuzustimmen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 74 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 26 %.

III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

V. Beschluss: Der Streitwert (§ 63 Abs. 2 GKG) des Berufungsverfahrens wird festgesetzt auf EUR 1778,08 (12 x EUR 148,09).

Gründe

 
I.
Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihren Mieterhöhungsanspruch weiter.
Sie rügt, das Amtsgericht hätte richtigerweise die Balkonflächen auf Grund der unter Beweis gestellten besonderen Lage und Ausstattung mit der Hälfte der Flächen berücksichtigen müssen. Es bestehe zudem eine Ortssitte zum hälftigen Ansatz der Balkonfläche. Jedenfalls hätte zur Zustimmung in dem Umfang verurteilt werden müssen, wie die Beklagten dem Mieterhöhungsverlangen zugestimmt hatten. Zumindest hätte das Amtsgericht aber zur Zustimmung zu der von ihm errechneten ortsüblichen Miete von 1033, 67 EUR verurteilen müssen.
Die Beklagten verteidigen das angefochtene Urteil.
Von der weiteren Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 Abs.2, 313 a Abs.1 ZPO i. Verb. m. § 26 Nr. 8 EGZPO).
II.
Die zulässige Berufung hat in der Sache nur teilweise Erfolg.
Zutreffend hat das Amtsgericht festgestellt, dass die für die Bestimmung der Miethöhe maßgebliche Wohnfläche 92,37 qm beträgt und sich die ortsübliche Vergleichsmiete auf 1.033, 67 EUR beläuft (1). Eine entsprechende Verurteilung scheitert nicht daran, dass die Klägerin ihr erstinstanzliches Zustimmungsverlangen auf einen 1.080, 68 EUR überschreitenden Betrag beschränkt hatte (2). Die Teilzustimmung vom 15.09.2017 rechtfertigt keine weitergehende Verurteilung, da sich die Beklagten nicht an ihrer Zustimmung festhalten lassen müssen (3).
(1)
Das Amtsgericht hat zutreffend festgestellt, dass die maßgebliche Wohnfläche 92,37 qm beträgt, weil die Balkonflächen lediglich zu einem Viertel ihrer Grundfläche anzurechnen sind.
(a)
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Begriff der "Wohnfläche" im Wohnraummietrecht - vorbehaltlich anderweitiger individualvertraglicher Abreden - auch bei frei finanziertem Wohnraum grundsätzlich anhand der für den preisgebundenen Wohnraum im Zeitpunkt des Mietvertragsschlusses geltenden Bestimmungen, vorliegend der Wohnflächenverordnung (WoFlV), auszulegen. Eine hiervon abweichende Berechnung erfolgt unter anderem dann, wenn insgesamt ein anderer Berechnungsmodus örtlich üblich ist. Eine solche maßgebende Verkehrssitte setzt voraus, dass - abweichend von der Wohnflächenverordnung - ein anderes Regelwerk, mithin die II. Berechnungsverordnung, die DIN 283 oder die DIN 277 insgesamt angewendet wird (BGH, Urteil vom 17. April 2019 – VIII ZR 33/18, juris). Eine solche maßgebliche Verkehrssitte als eine die beteiligten Verkehrskreise untereinander verpflichtende Regel verlangt, dass sie auf einer gleichmäßigen, einheitlichen und freiwilligen tatsächlichen Übung beruht, die sich innerhalb eines angemessenen Zeitraums für vergleichbare Geschäftsvorfälle gebildet hat und der eine einheitliche Auffassung sämtlicher beteiligten Kreise an dem betreffenden, gegebenenfalls räumlich beschränkten Geschäftsverkehr zu Grunde liegt. Ein abweichender örtlich üblicher Berechnungsmodus als Grundlage der Wohnflächenermittlung kommt überhaupt nur dann in Betracht, wenn sich eine Verkehrssitte zur Anwendung eines anderen Regelwerkes gebildet hat. Denn die Ermittlung der Wohnfläche kann sinnvollerweise nur aufgrund eines einheitlichen, in sich geschlossenen Regelwerks vorgenommen werden, weil anderenfalls Wertungswidersprüche zumindest möglich und sachgerechte Ergebnisse nicht sichergestellt sind (BGH aaO Rn 37f; vgl. auch Börstinghaus jurisPR-BGHZivilR 14/2019 Anm. 1).
Der Sachverständige X geht bei seiner Berechnung ohne weiteres davon aus, dass in Freiburg die Wohnungsgröße regelmäßig nach der Wohnflächenverordnung bestimmt wird, was auch den Erfahrungen der Kammer entspricht. Anderes gilt nur bei Mietverträgen, die vor Inkrafttreten der Wohnflächenverordnung geschlossen wurden, was auch die vom Sachverständigen Y zitierte Anmerkung in der Dokumentation zum Freiburger Mietspiegel 2017/2018 erklärt.
10 
Aus Rechtsgründen kommt es nicht darauf an, dass, wie der Sachverständige X ausführt, beim Verkauf von (Neubau-) Wohnungen regelmäßig nach § 4 Ziff.4 WoFlV Balkonflächen zur Hälfte angerechnet werden. Gleiches gilt für die Stellungnahme des Sachverständigen Y (die sich die Klägerin zu eigen gemacht hat) wonach Bauträger und Projektentwickler in den Wohnflächenberechnungen Balkone, mit ganz wenigen Ausnahmen, hälftig anrechnen und dies von den Käufern akzeptiert und nicht weiter hinterfragt wird. Soweit die Klägerin mit Schriftsatz vom 26.07.2019 unter Berufung auf die beiden Sachverständigen meint, es habe sich eine „Ortssitte des hälftigen Ansatzes der Balkonflächen“ gebildet, ist dies nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nämlich unerheblich. Wenn sich bezüglich der Berechnung einer Teilfläche eine bestimmte Übung der Mehrheit der Marktteilnehmer herausgebildet hat, ist dies kein Anlass, von dem Grundsatz abzuweichen, dass das Regelwerk - insgesamt - für die Berechnung der Wohnfläche maßgeblich ist, das im Zeitpunkt des Vertragsschlusses für den preisgebundenen Wohnraum anzuwenden war, hier mithin die Wohnflächenverordnung (BGH aaO Rn 39f). Abweichende individualvertragliche Vereinbarungen der Parteien liegen nicht vor.
11 
Es kommt damit nicht mehr entscheidend darauf an, dass sich aus der vorgelegten Stellungnahme des Sachverständigen Y ergibt, dass bei „größeren Anlagen über ca. 18/20 qm zunehmend mit einem Ansatz zu ¼“ gerechnet wird und im Streitfall die Balkonflächen annähernd 25qm betragen.
12 
Es kommt schließlich auch nicht darauf an, dass zumindest fraglich wäre, ob eine „doppelte“ Berücksichtigung der streitgegenständlichen Balkone (einmal über eine Flächenanrechnung von mehr als einem Viertel [Wohnwertmerkmal: Größe] und gleichzeitig über einen - hier unstreitigen - 5%igen Zuschlag nach Tabelle 2 c des Freiburger Mietspiegels 2017 / 2018 wegen der gut nutzbaren Balkonflächen [Wohnwertmerkmale: Ausstattung und Beschaffenheit]) zu in der regressionsanalytischen Berechnung nicht ausreichend einbezogenen Interaktionen (hierzu etwa: Hinweise zur Erstellung von Mietspiegeln des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen , 2002, S. 40 „Regressionsmietspiegel“ Dokumentation zum Freiburger Mietspiegel 2017 / 2018 S. 22 „Prüfung von Interaktionen“) führen könnte.
(b)
13 
Die Kammer hat bereits darauf hingewiesen, dass es im Einzelfall denkbar ist, entsprechend § 4 Ziff. 4 WoFlV ausnahmsweise eine Anrechnung der Balkonflächen mit mehr als einem Viertel (bis zur Hälfte) vorzunehmen und es sich hierbei um eine Rechtsfrage handelt (wobei durchaus fraglich ist, ob der Bundesgerichtshof in seiner zitierten Entscheidung vom 19.04.2019 nicht schon davon ausgeht, dass bei Anwendbarkeit der Wohnflächenverordnung Balkone generell nur mit ¼ ihrer Fläche zu berücksichtigen sind). Allerdings ist fraglich, ob sich eine ¼ übersteigende Anrechnung von Balkonflächen überhaupt auf Umstände (gute Nutzbarkeit, Aussicht) stützen kann, die die Wohnwertmerkmale Ausstattung und Beschaffenheit betreffen. Dies kann jedoch offen bleiben. Mit zutreffender Begründung, die sich insbesondere auch erschöpfend mit den Ausführungen des Sachverständigen X auseinandersetzt und die sich die Kammer nach Prüfung zu eigen macht, hat das Amtsgericht dies nämlich verneint. Die Kammer kann auch nach ergänzender Beweisaufnahme nicht feststellen, dass hier ausnahmsweise eine hälftige Anrechnung erfolgen muss.
14 
Die von der Kammer ergänzend durchgeführte Inaugenscheinnahme führt zu keiner abweichenden Entscheidung. Die Wohnung liegt im 3.OG, sodass sie entgegen der Berufungsbegründung nicht durch im 3.OG liegende Balkone vor Witterungseinflüssen geschützt ist. Dass die auf beiden Seiten der Wohnung liegenden Balkone nicht nach Süd-Ost bzw. Süd-West gerichtet sein können (die entsprechenden Außenwände stehen nach den Plänen parallel zueinander nach der Planskizze im Gutachten X dürfte eine Ausrichtung nach Nord-West und Süd-Ost vorliegen) liegt auf der Hand, ist aber für die Beurteilung, ob Flächen ausnahmsweise im Rahmen des § 4 Ziff. 4 WoFlV über ein Viertel anzurechnen sind, nicht von entscheidender Bedeutung. Vom Nord-West-Balkon ist zwar das angrenzende Naturschutzgebiet zwischen dem Wohnturm in der Wendeschleife (links) und der Bebauung (rechts) gut zu sehen, doch rechtfertigt allein dies ebenso wenig eine hälftige Anrechnung der Fläche, wie die Größe der Balkone, die allerdings einen (unstreitigen) Zuschlag nach Tabelle 2 c des Freiburger Mietspiegels 2017 / 2018 begründen.
15 
Soweit die Klägerin im Termin vor der Kammer ausdrücklich, wie bereits schriftsätzlich angekündigt, die Ladung des Sachverständigen X nach § 411 Abs.3 ZPO beantragt hat, handelt es sich um ein neues Angriffsmittel, da dies erstinstanzlich (anders als im Fall BGH MDR 2005, 1308) nicht beantragt worden war. Mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO war diesem Antrag daher nicht nachzukommen. Die Kammer sieht aber auch von Amts wegen keinen weiteren Erläuterungsbedarf. Ob die Feststellungen des Sachverständigen X zur konkreten Wohnung eine hälftige Anrechnung der Wohnfläche oder einen Tabellenzuschlag rechtfertigen, ist Rechtsfrage und durch das Gericht zu beantworten. Darauf, ob sich bezüglich der Berechnung einer Teilfläche eine bestimmte Übung der Mehrheit der Marktteilnehmer herausgebildet hat, kommt es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wie ausgeführt, nicht an.
(c)
16 
Auf der Grundlage einer Wohnfläche von 92,37 qm hat das Amtsgericht die ortsübliche Vergleichsmiete unter Berücksichtigung von Zuschlägen nach den Tabellen 2a - 2f und einem Spannenzuschlag von 2% zutreffend berechnet. Die Parteien haben diese Berechnung auch nicht angegriffen.
(2)
17 
Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts hindert die Angabe einer „Ausgangsmiete“ im Klagantrag, eine Verurteilung zur Zustimmung zur Mieterhöhung auf eine unter dieser „Ausgangsmiete“ liegenden Miete jedenfalls dann nicht, wenn erst im Laufe des Verfahrens streitig wird, ob eine zunächst erteilte Teilzustimmung (auf der die angegebene „Ausgangsmiete“ beruht) unwirksam ist. Nach zutreffender Ansicht ist die Angabe der Ausgangsmiete im Klagantrag nicht erforderlich (Börstinghaus, Miethöhehandbuch, 2.Aufl., Kap. 14 Rn 11). Aus den erstinstanzlichen Schriftsätzen ergibt sich zudem eindeutig, dass die Parteien gerade auch um eine Erhöhung der bislang gezahlten Miete von 995,00 EUR gestritten haben. Daher scheitert die aus dem Tenor ersichtliche Verurteilung auch nicht an § 558b Abs. 2 S. 2 BGB. Jedenfalls wäre eine Berufung der Beklagten auf diese Vorschrift treuwidrig, nachdem sie selbst erst im Laufe des Verfahrens ihre ursprüngliche Teilzustimmung nicht mehr gelten lassen wollen.
18 
Im Übrigen wäre jedenfalls über den im Berufungsverfahren geänderten, klarstellenden Antrag in der Sache zu entscheiden.
(3)
19 
An ihre Teilzustimmung sind die Beklagten nicht gebunden. Zwar liegen die Voraussetzungen des § 123 BGB nicht vor. Die Voraussetzungen für die erklärte Irrtumsanfechtung liegen jedoch vor, da die Größe der Wohnung eine verkehrswesentliche Eigenschaft iSd § 119 Abs.2 BGB ist (Staudinger/Singer [2017] § 119 Rn 96). Jedenfalls können die Beklagten die Anpassung der Mieterhöhung auf die - allein relevante - tatsächliche Wohnfläche verlangen, worauf das Begehren der Beklagten nach verständiger Auslegung gerichtet ist, nachdem beide Parteien von einer falschen größeren Fläche ausgegangen sind. In rechtlicher Hinsicht handelt es sich dabei um eine Anpassung nach § 313 Abs. 2 BGB wegen Fehlens der Geschäftsgrundlage, wobei die „10% Rechtsprechung“ des Bundesgerichtshofs keine Rolle spielt (BGH, Urt. v. 07.07.2004 - VIII ZR 192/03; BGH, Urt. v. 18.11.2015 - VIII ZR 266/14 juris Rn 10 - unter Aufgabe der bisherigen Senatsrechtsprechung; Schmidt-Futterer / Börstinghaus, Mietrecht, 13. Aufl., § 558 b Rn 12e).
III.
20 
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs.1, 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit erging gemäß §§ 708 Nr. 711, 713 ZPO.
21 
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Die Entscheidung beruht allein auf der Anwendung anerkannter und in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geklärter Rechtsgrundsätze auf den konkreten Einzelfall.

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