Beschluss vom Landgericht Halle (1. Zivilkammer) - 1 T 359/16

Tenor

Auf den Antrag des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Naumburg vom 2. November 2016 ihn in seinen Rechten verletzt hat und die Freiheitsentziehung im Zeitraum vom 1. bis zum 17. November 2016 rechtswidrig war.

Die Gerichtskosten beider Instanzen sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung erforderlichen Auslagen des Betroffenen im Beschwerdeverfahren trägt der Antragsteller.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Betroffene ist beninischer Staatsangehöriger und reiste nach einigen Angaben am 11. September 2015 das Bundesgebiet ein, ohne im Besitz eines gültigen Reisepasses oder Inhaber eines erforderlichen Aufenthaltstitels (Visum) zu sein. Er beantragte in der Bundesrepublik seine Anerkennung als Asylberechtigter.

2

Aufgrund des vorgenommenen Abgleichs in der EURODAC-Datenbank wurde vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge festgestellt, dass der Betroffene bereits in Italien einen Asylantrag gestellt hatte. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge stellte am 6. April 2016 ein Übernahmeersuchen an Italien nach Art. 15 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des europäischen Parlaments und des Rates (Dublin-III-VO), auf das Italien am 20. April 2016 seine Zuständigkeit erklärte.

3

In der Folge wurde dem Betroffenem gemäß §§ 55 Abs. 1, 50 Abs. 6 AsylVfG sein Aufenthaltsort an der im Rubrum angegebenen Anschrift zugewiesen.

4

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat am 12. Mai 2016 den Asylantrag des Betroffenen gemäß § 27a AsylVfG als unzulässig abgelehnt, weil Italien aus den oben aufgeführten Gründen für die Behandlung des Asylantrages zuständig war. Zugleich hat es die Abschiebung des Betroffenen nach Italien gemäß § 34a Abs. 1 S. 1 AsylVfG angeordnet. Gegen den seinem damaligen anwaltlichen Verfahrensbevollmächtigten zugestellten Bescheid hat dieser Klage erhoben, aber keinen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsmittels gestellt, sodass die Abschiebungsanordnung vollziehbar war.

5

Die für den 5. Juli 2016 beabsichtigte Abschiebung des Betroffenen scheiterte, weil er sich nicht unter der ihm zugewiesenen Anschrift aufhielt und deshalb vom Antragsteller als flüchtig angesehen wurde. Unter dem 26. August 2016 wurde dem damaligen Verfahrensbevollmächtigten die für den 4. Oktober 2016 geplante Abschiebung nach Italien schriftlich angekündigt. In dieser Abschiebungsankündigung wurde der Betroffene jeweils in deutscher und englischer Sprache ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er nach Italien auf dem Luftweg abgeschoben werden sollte, und aufgefordert, sich unter der ihm zugewiesenen Wohnanschrift zur Abholung bereitzuhalten. Ferner wurde er ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er mit einer Inhaftierung rechnen müsse, wenn die Rückführung aus Gründen scheitere, die er zu vertreten habe. Da sich der Betroffene zu der in der Abschiebungsankündigung angegebenen Zeit nicht am angegebenen Ort aufgehalten hatte, scheiterte die für den 4. Oktober 2016 geplante Abschiebung. Daraufhin schrieb der Antragsteller den Betroffenen über INPOL zur Fahndung und Festnahme aus. Am 1. November 2016 sprach der Betroffene bei der Ausländerbehörde vor und wurde gemäß § 62 Abs. 5 AufenthG in Gewahrsam genommen.

6

Am 2. November 2016 beantragte der Antragsteller beim Amtsgericht Naumburg die Anordnung von Abschiebehaft bis zum 13. Dezember 2016 und korrigierte die Dauer der beantragten Freiheitsentziehung im Anhörungstermin auf den Zeitraum bis 22. November 2016. In seinem Antrag zitierte der Antragsteller Art. 28 Abs. 2, Art. 2 Buchst n Dublin-III-VO i.V.m. § 2 Abs. 14 und 15 AufenthG. Als Haftgrund benannte er den des § 62 Abs. 3 Nr. 3 AufenthG, wonach ein Ausländer in Sicherungshaft zu nehmen ist, wenn er aus von ihm zu vertretenden Gründen zu einem für die Abschiebung angekündigten Termin nicht an den von der Ausländerbehörde angegebenen Ort angetroffen wurde. Ferner zitierte er Am. 2 Buchst n, 28 Abs. 2 Dublin-III-VO, § 2 Abs. 14 Nr. 1 und Abs. 15 S. 1 AufenthG, wonach ein konkreter Anhaltspunkt für die Annahme einer Fluchtgefahr sein kann, wenn sich ein Betroffener einem behördlichen Zugriff entzogen hat, indem er seinen Aufenthaltsort trotz Hinweises auf die Anzeigepflicht nicht nur vorübergehend gewechselt habe, ohne ihm als zuständiger Behörde eine Anschrift anzugeben, unter der er erreichbar sei.

7

Nach persönlicher Anhörung des Betroffen hat Amtsgericht am 2. November 2016 Sicherungshaft bis längstens 22. November 2016 und die sofortige Wirksamkeit des Beschlusses angeordnet. Seine Entscheidung hat das Amtsgericht auf die Haftgründe des §§ 58 Abs. 3, 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 und 3 und 5 AufenthG gestützt.

8

Mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 15. November 2016 hat der Betroffene gegen die Haftanordnung Beschwerde eingelegt und für den Fall der Erledigung zugleich die Feststellung beantragt, dass der Beschluss rechtwidrig gewesen sei. Auf Antrag der Behörde hat das Amtsgericht am 17. November 2016 den Beschluss vom 2. November 2016 aufgehoben, weil die für den 22. November 2016 bereits bestimmte Überstellung des Betroffenen von Italien nunmehr abgelehnt wurde. Im Übrigen hat das Amtsgericht der Beschwerde im Beschluss vom 29. November 2016 der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache der Beschwerdekammer vorgelegt.

9

Mit weiterem Schriftsatz vom 12. Dezember 2016 hat der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen beantragt, die Sache gemäß § 69 Abs. 1 S. 3 FamFG an das Amtsgericht zurückzuverweisen, weil die Nichtabhilfeentscheidung schwerwiegende Mängel aufweise.

II.

1.

10

Die gemäß §§ 58 Abs. 1, 59 Abs. 1 FamFG statthafte Beschwerde hat der Betroffene form- und fristgerecht eingelegt. Nachdem der angefochtene Beschluss am 17. November 2016 aufgehoben und der Betroffene entlassen wurde, ist gemäß § 62 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 FamFG nur noch über den Feststellungsantrag zu befinden.

11

Die Beschwerdekammer entscheidet in der Sache selbst, § 69 Abs. 1 S. 1 FamFG.

12

Ob - wie im Schriftsatz vom 12. Dezember 2016 vom Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen vorgetragen - das Abhilfeverfahren an einem schwerwiegenden Mangel leidet, ist unerheblich. Die Sache ist entscheidungsreif.

13

Durch die Entscheidung der Beschwerdekammer ist der Betroffene nicht beschwert, es entsteht ihm daraus kein Rechtsverlust. Einzig dem Verfahrensbevollmächtigten entgeht durch die Endentscheidung der Beschwerdekammer die im Falle einer Rückverweisung weitere Gebühren (§§ 17 Nr. 1, 21 Abs. 1 RVG). Diese werden vom Normzweck des Abhilfeverfahrens nach § 68 Abs. 1 FamFG nicht umfasst.

14

Von der beantragten Übersendung der Ausländerakte sieht das Gericht ab, weil der Feststellungsantrag aus den nachfolgend genannten Gründen Erfolg hat.

2.

15

Der Feststellungsantrag ist begründet. Die Entscheidung des Amtsgerichts, aufgrund derer sich der Betroffene bis zum 17. November 2016 in Abschiebungshaft befand, hat den Antragsteller in seinen Rechten verletzt, § 62 Abs. 1 FamFG.

16

Der Antrag des Antragstellers genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen des §§ 417 Abs. 2 S. 1, S. 2 Nr. 3 und Nr. 5 FamFG. Nach diesen Normen hat bereits der Antrag auf Anordnung der Abschiebungshaft die Tatsachen zu enthalten, aus denen sich die Erforderlichkeit der Freiheitsentziehung sowie die Verlassenspflicht des Betroffenen als solche sowie die Voraussetzungen und die Durchführung der Abschiebung ergeben. Der Antrag vom 5. August 2016 enthält nicht den gemäß § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 FamFG nötigen Tatsachenvortrag zur Erforderlichkeit der Freiheitsentziehung. Auch in der Anhörung hat der Antragsteller seinen Antrag diesbezüglich nicht ergänzt.

17

a) Zwar zitiert der Antragsteller in seinem Antrag die für die Anordnung von Abschiebungshaft nach der Dublin-III-VO maßgeblichen Rechtsgrundlagen (Am. 2 Buchst n, 28 Abs. 2 Dublin-III-VO, § 2 Abs. 14 Nr. 1 und Abs. 15 S. 1 AufenthG).

18

Dem Antrag fehlten jedoch tatsächliche Ausführungen, aus welchen konkreten Tatsachen der Antragsteller den Schluss namentlich auf das Vorliegen des Haftgrundes der Fluchtgefahr im Sinne von § 2 Abs. 14 Nr. 1 und Abs. 15 S. 1 AufenthG gezogen wissen wollte. Der Antragsteller verwies lediglich darauf, dass sich der Betroffene am 5. Juli und 4. Oktober 2016 nicht an dem ihm bezeichneten Ort aufgehalten hatte (und deshalb die Abschiebung gescheitert war), der Antragsteller den Betroffenen deshalb von Amts wegen bei der Meldebehörde abgemeldet hatte und der Betroffene am 1. November 2016 wieder bei der Ausländerbehörde vorgesprochen habe. Tatsächliche Ausführungen zu dem - vom Antragsteller geschlossenen - zwischenzeitlichen Untertauchen des Betroffenen -‚ enthält der Antrag nicht. Dem Antrag fehlt die mit konkreten Tatsachen - ggf. unter Bezugnahme auf die Ausländerakte - zu unterlegten Behauptung, der Betroffene habe sich nicht nur vorübergehend nicht an dem ihm zugewiesenen Wohnort aufgehalten, mithin nicht nur vorübergehend seinen Aufenthaltsort gewechselt. Den Erklärungen des Betroffenen in der persönlichen Anhörung vom 2. November 2016 sind Tatsachen im Sinne von § 2 Abs. 14 Nr. 1 AufenthG nicht eindeutig zu entnehmen. Die Abmeldung des Betroffenen umschreibt kein Handeln des Antragstellers, sondern nur die Reaktion des Antragstellers auf das - mangels tatsächlicher Angaben lediglich vermutete - Untertauchen des Betroffenen.

19

Im Übrigen enthält auch der angefochtene Beschluss dazu keine über die pauschalen Ausführungen im Antrag hinausgehenden Feststellungen zu den konkreten Anhaltspunkten im Sinne von § 2 Abs. 15 i.V.m. Abs. 14 Nr. 1 AufenthG.

20

b) Der im Antrag ausdrücklich aufgeführte und durch die Abwesenheit des Betroffenen zum Termin der Abschiebung am 4. Oktober 2016 tatsächlich unterlegte Haftgrund des § 62 Abs. 3 Nr. 3 AufenthG, den auch das Amtsgericht im angefochtenen Beschluss zitiert und seine Entscheidung auch in tatsächlicher Hinsicht gestützt hatte, kann die angeordnete Abschiebungshaft nicht begründen.

21

Bei einer Abschiebung nach der Rückführungsrichtlinie scheidet § 62 Abs. 3 AufenthG als Grundlage für eine Haftanordnung aus. Die Voraussetzungen für eine Haftanordnung ergeben sich unmittelbar aus Art. 2 Buchst. n, 28 Abs. 2 Dublin-III-VO i.V.m. § 2 Abs. 15 AufenthG. Der nationale Gesetzgeber hat in § 2 Abs. 15 AufenthG die Anhaltspunkte für die Annahme einer Fluchtgefahr im Sinne von Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-VO festgelegt. § 2 Abs. 15 S. 1 AufenthG nimmt dabei auf § 2 Abs. 14 AufenthG Bezug, der die Anhaltspunkte für eine Fluchtgefahr in den Fällen einer Abschiebung nach der Rückführungsrichtlinie regelt. Ein Rückgriff auf die in § 62 Abs. 3 S. 1 AufenthG geregelten Haftgründe kommt seit dem Inkrafttreten von § 2 Abs. 15 AufenthG nicht mehr in Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Juli 2016, V ZB 21/16, Juris Rn. 4.).

22

Der Haftgrund des § 62 Abs. 3 Nr. 3 AufenthG weicht in tatsächlicher Hinsicht entscheidend von den konkreten Anhaltspunkten im Sinne von § 2 Abs. 15 i.V.m. Abs. 14 Nr. 1 AufenthG ab.

III.

23

Die Entscheidung über die Kosten und Auslagen beruht auf §§ 81 Abs. 1 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswertes folgt aus § 36 Abs. 2 GNotKG.

24

Ein Fall der zulassungsfreien Rechtsbeschwerde gemäß § 70 Abs. 3 S. 1 Nr. 3, S. 3 FamFG liegt nicht vor, weil mit dieser feststellenden Entscheidung keine Antrag auf Anordnung von Abschiebungshaft nach § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 5 FamFG zurückgewiesen wird. Die Voraussetzung für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordern (§ 70 Abs. 2 FamFG).

25

Moser


Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen