Urteil vom Landgericht Hamburg (40. Zivilkammer) - 304 O 321/15

Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 15.750,00 € nebst Zinsen hierauf in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz p.a. seit dem 09.08.2013 zu zahlen.

2. Im Hinblick auf die weitergehende Zinsforderung wird die Klage im Übrigen abgewiesen.

3. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt als Insolvenzverwalter die Erstattung von Zahlungen, die die Schuldnerin auf ein Darlehen an den Beklagten leistete.

2

*

3

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der M. OHG S., T. (im Folgenden: „Schuldnerin“). Aufgrund eines Eigenantrages der Schuldnerin vom 10.06.2013 wurde mit Beschluss vom 08.08.2013 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.

4

Die Anwaltssozietät S. & S., der der Beklagte als Sozius angehört, war als anwaltliche Beraterin der Schuldnerin tätig.

5

Darüber hinaus war der Beklagte Darlehensgeber für die Schuldnerin. Mit Vertrag vom 21.01.2010 gewährte der Beklagte der Schuldnerin ein Darlehen von 50.000 € mit einer Laufzeit von vier Monaten. Für Einzelheiten wird auf Anlage K3 verwiesen. Mit einem als „Darlehensvertrag II“ überschriebenen Dokument vom 31.12.2010 wurde zwischen dem Beklagten und der Schuldnerin folgendes vereinbart:

6

„Durch Darlehensvertrag vom 21.01.2010 hat der Darlehensgeber dem Darlehensnehmer ein Darlehen in Höhe von € 50.000,00 bei 8 % Zinsen p.a. zur Verfügung gestellt. Das Darlehen lief zunächst bis zum 31.05.2010 und wurde dann bis zum 31.12.2010 verlängert. Die bis zum 27.12.2010 aufgelaufenen Zinsen wurden bis Jahresende 2010 ausgeglichen. Die Darlehensvaluta wurde nicht zurückbezahlt.

7

Dieses vorausgeschickt vereinbaren die Vertragspartner das Folgende

1.

8

Das Darlehen in Höhe von € 50.000,00 steht dem Darlehensnehmer weiterhin bis zum 30.06.2012 zur Verfügung.“

2.

9

Der Darlehensnehmer stellt zusätzlich folgende persönliche Sicherheiten seiner geschäftsführenden Gesellschafter:

2.1

10

- H.-H. M.:

Lebensversicherung R. V. Nr. 7...4 vom

        

01.11.1987 (Freier Betrag etwa 22.000,-- €)

- M. W.:

Lebensversicherung S. I. Nr. 8...0

        

vom 01.09.2003 (freier Betrag etwa € 9.000,--)“

11

Unter Ziffer 4 dieser Vereinbarung hatte sich die Schuldnerin verpflichtet, an den Beklagten am 30.06.2011 eine Einmalzahlung von 10.000 € zu leisten. Diese Zahlung erfolgte nicht.

12

Unter dem 17.10.2012 wurde zwischen dem Beklagten und der Schuldnerin ein als „Darlehensvertrag III“ bezeichnetes Dokument unterzeichnet. In dieser Urkunde heißt es unter Bezugnahme auf die vorangegangenen Vereinbarungen:

13

„1.

14

Das Darlehen in Höhe von € 50.000,00 steht dem Darlehensnehmer weiterhin bis zum 31.12.2013 zur Verfügung.

2.

15

Der Darlehensnehmer stellt zusätzlich folgende persönliche Sicherheiten seiner geschäftsführenden Gesellschafter:

2.1

16

- H.-H. M.: Lebensversicherung R. V. Nr. 7...4 vom 01.11.1987
[...]
- M. W.: Rentenversicherung S. I. Nr. 8...0 vom 01.09.2003 (freier Betrag etwa € 9.000,00)
[...]

3.

17

Der Zinssatz beträgt 8 % p.a. Die Zinsen sind weiterhin in laufenden monatlichen Raten jeweils zum Monatsende in Höhe von € 333,00 zu zahlen.“

18

Für Einzelheiten wird auf Anlage K5 verwiesen.

19

Seit Oktober 2012 war die Schuldnerin nicht mehr in der Lage, die vereinbarten Zinsen zu zahlen.

20

Mit Schreiben vom 14.05.2013 kündigte der Beklagte das Darlehen mit sofortiger Wirkung. In dem Schreiben, für dessen Einzelheiten auf Anlage K8 verwiesen wird, heißt es unter anderem:

21

„hiermit kündige ich mit sofortiger Wirkung das Ihnen mit Darlehensvertrag vom 21.01.2010 gewährte und zuletzt mit dem Darlehensvertrag III vom 17.10.2012 verlängerte Darlehen i.H.v. EUR 50.000,00.

22

Sie haben sich mit dem Darlehensvertrag [...] verpflichtet, die vereinbarten Zinsen [...] in monatlichen Raten à EUR 333,00 beginnend am 31.01.2011 zu tilgen.

23

Dieser Verpflichtung sind Sie lediglich wie folgt nachgekommen:

24

2011: 09.02., 28.02., 30.03., 29.04., 30.05., 01.09., 30.09., 04.11., 30.11., 30.12.
2012: 30.01., 29.02., 11.04., 30.05., 29.06., 03.08., 14.09.

25

Da sie keine weiteren Zahlungen geleistet gaben [sic], kündige ich den Darlehensvertrag fristlos und fordere Sie auf, die Darlehenssumme i.H.v. EUR 50.000,00 nebst Zinsen gemäß der anliegenden Zinsberechnung i.H.v. EUR 7.134,77, also insgesamt einen Betrag i.H.v. EUR 57.134,77 bis spätestens zum 31.05.2013 an mich zu zahlen.“

26

*

27

Unter dem 11.04.2013 erhielt der Beklagte von der Schuldnerin eine Zahlung auf das Darlehen in Höhe von 750 €. Unter dem 06.06.2013 erhielt der Beklagte von der Schuldnerin eine Zahlung auf das Darlehen in Höhe von 15.000 €.

28

*

29

Unter dem 28.02.2011 erhielt die Schuldnerin eine Mahnung der Steuerkasse Hamburg über 39.104,35 € sowie eine darauffolgende Vollstreckungsankündigung vom 03.03.2011 über einen Betrag von 39.261,85 €. Für Einzelheiten wird auf die Anlagen K11 und K12 verwiesen.

30

Mit Fax vom 09.03.2011 bat die Schuldnerin um Ratenzahlung (Anlage K13). Unter dem 10.03.2011 gewährte das Finanzamt H.-N. der Schuldnerin Vollstreckungsaufschub (Anlage K14). Der Aufschub stand unter der Bedingung, dass

31

am 15.03.2011 ein Betrag von 12.000 €,
am 30.03.2011 ein Betrag von 12.000 €, und
am 15.04.2011 der Restbetrag

32

bezahlt wird.

33

Die Schuldnerin leistete diese Zahlungen verspätet und im Hinblick auf die Schlussrate nicht in voller Höhe.

34

Mit Fax vom 31.05.2011 beantragte die Schuldnerin erneut Stundung der Steuerschuld. Unter dem 31.05.2011 gewährte das Finanzamt H.-N. Vollstreckungsaufschub in Höhe von 30.729,43 € bis zum 20.06.2011. Auf die Anlagen K15 und K16 wird verwiesen.

35

Unter dem 04.10.2011 erhielt die Schuldnerin erneut eine Mahnung der Steuerkasse Hamburg über Beträge von insgesamt 14.896,98 €. Auf Anlage K18 wird verwiesen. Nach einer Zahlung von 10.961,06 € bat die Schuldnerin unter dem 11.10.2011 erneut um Stundung; den Restbetrag von 3.932,92 € zahlte sie sodann verspätet am 18.10.2011.

36

Unter dem 05.12.2011 erhielt die Schuldnerin eine Vollstreckungsankündigung des Finanzamts H.-N. über Säumniszuschläge von 294,50 €. Auf Anlage K19 wird verwiesen.

37

Unter dem 27.02.2012 erhielt die Schuldnerin eine Mahnung der Steuerkasse H. über einen Betrag von 17.212,42 €. Auf Anlage K21 wird verwiesen.

38

Mit Fax vom 05.03.2012 beantrage die Schuldnerin die Stundung von Steuerschulden in Höhe von 14.125,76 €, nachdem sie 6.498,66 € gezahlt hatte. Auf Anlage K22 wird verwiesen.

39

Zum 03.04.2012 waren Steuerverbindlichkeiten von insgesamt 21.390,30 € offen. Für Einzelheiten wird auf Anlage K23 verwiesen.

40

Unter dem 12.04.2012 beantragte die Schuldnerin Stundung von Steuerschulden in Höhe von 12.010,55 €. Auf Anlage K24 wird verwiesen.

41

Zum 02.05.2012 waren Steuerverbindlichkeiten von insgesamt 17.124,89 € offen. Für Einzelheiten wird auf Anlage K25 verwiesen.

42

Zum 30.05.2012 waren Steuerverbindlichkeiten von insgesamt 15.668,51 € offen. Für Einzelheiten wird auf Anlage K26 verwiesen.

43

Unter dem 13.06.2012 erhielt der die Schuldnerin eine Vollstreckungsankündigung des Finanzamts H.-N. über einen Gesamtbetrag von 13.823,64 € (Anlage K 27).

44

Zum 18.07.2012 waren Steuerverbindlichkeiten von insgesamt 28.658,98 € offen. Für Einzelheiten wird auf Anlage K28 verwiesen. Zu diesem Zeitpunkt war die Schuldnerin lediglich zu Abschlagszahlungen in der Lage.

45

Mit Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 13.08.2012 betrieb das Finanzamt-Nord die Zwangsvollstreckung für Steuerschulden in Höhe von 21.775,67 €. Auf Anlage K29 wird verwiesen. Hierauf erhielt das Finanzamt unter dem 17.08.2012 eine Drittschuldnerzahlung der R... Bank S.-M. e.G. in voller Höhe.

46

Unter dem 10.10.2012 erhielt die Schuldnerin eine Zahlungsaufforderung des Vollziehungsbeamten des Finanzamts mit der Aufforderung, einen rückständigen Betrag von 29.042,85 € zu zahlen. Auf Anlage K30 wird verwiesen.

47

Mit Pfändungs- und Überweisungsverfügung vom 04.10.2012 pfändete das Finanzamt das Konto der Schuldnerin bei der R... Bank S.-M. e.G. über einen Betrag von 29.022,85 €. Auf Anlage K31 wird verwiesen. Hierauf erhielt das Finanzamt am 06.12.2012 Befriedigung, als die Schuldnerin das Konto wieder aufgefüllt hatte.

48

Zu diesem Zeitpunkt war das Kreditlimit der Schuldnerin bei der Bank von 150.000 € nahezu ausgeschöpft. Per 08.10.2012 betrug der Saldo -148.378,06 €.

49

Unter dem 06.12.2012 vollstreckte das Finanzamt erneut in das Konto der Schuldnerin, diesmal für einen Betrag von 50.127,72 €. Gleichzeitig vollstreckte die A. N.-W. in das Konto. Für Einzelheiten wird auf das Schreiben der Bank vom 06.12.2012 (Anlage K34) verwiesen.

50

Unter dem 18.02.2013 erhielt die Schuldnerin erneut eine Einziehungs- und Pfändungsverfügung des Finanzamts H.-N., diesmal über einen Betrag von 43.062,3 €. Für Einzelheiten wird auf Anlage K35 verwiesen.

51

Unter dem 19.04.2014 wurden weitere Zwangsvollstreckungsmaßnahmen in Höhe von 21.622,54 € in das Konto der Schuldnerin durchgeführt. Für Einzelheiten wird auf Schreiben der Bank (Anlage K36) verwiesen.

52

*

53

Darüber hinaus blieben nach der nicht abschließenden Auswertung der Insolvenztabelle Forderungen mit Fälligkeitszeitpunkten ab Mai 2012 bis zum 08.08.2013 und einem Gesamtvolumen von über 500.000 € bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens unbefriedigt. Darunter befinden sich auch bereits durch den Insolvenzverwalter zur Tabelle festgestellte Forderungen, unter anderem von Krankenkassen, Warenlieferanten, Vermietern und Dienstleistern. Darunter befinden sich exemplarisch:

54

- Forderung aus Beitragsrückständen und Säumniszuschlägen der T. Krankenkasse für die Zeit von Januar 2013 bis 11.06.2013 in Höhe von 11.716,15 €,
- Forderung aus Beitragsrückständen der I. Nord für den Zeitraum von Oktober 2012-April 2013 in Höhe von 7.720,20 €,
- Forderung aus rückständigen Sozialversicherungsbeiträgen der B. G. für 01-06/2013 in Höhe von 8.431,64 €,
- Forderung aus Beitragsrückständen der B. M. O. für den Zeitraum November 2012 - März 2013 in Höhe von 1.837,82 €,
- Deliktforderung aus Sozialversicherungsbeiträgen / Arbeitnehmeranteile der B. M. O. in Höhe von 1.545,06 €, sowie
- Forderung aus Gesamtsozialversicherungsbeiträgen der I. c. für die Zeit vom 01.12.2012 bis 30.06.2013 in Höhe von 2.866,65 €.

55

Für die Einzelheiten wird auf die Klage, dort Seiten 19-37, sowie auf Anlage K37 Bezug genommen.

56

*

57

Weiterhin kam es auf dem Geschäftskonto der Schuldnerin bei der R... Bank S.-M. eG im Zeitraum vom 06.01.2011 bis zum 03.06.2013 zu 318 Rücklastschriften von 2-, 3- und regelmäßig auch 4-stelligen Beträgen. Für Einzelheiten wird auf die Klage, dort Seiten 38-46, Bezug genommen.

58

*

59

Mit anwaltlichem Schreiben vom 22.09.2011 beantragte der Beklagte unter dem Briefkopf seiner Sozietät im Rahmen einer Bußgeldsache gegen die Schuldnerin und deren persönlich haftende Gesellschafter, das Bußgeldverfahren einzustellen. Es seien keine Umsatzsteuerbeträge vorsätzlich nicht abgeführt werden. Es sei zum Winter 2009 im Geschäftsjahr 2010 zu Liquiditätsengpässen gekommen. Auf Anlage K17 wird verwiesen.

60

In einem weiteren Schreiben im Rahmen dieser Bußgeldsache schrieb der Beklagte unter dem 10.10.2011 an das Finanzamt:

61

„Wie bereits vorgetragen haben die Gesellschafter aufgrund der schweren finanziellen Lage vorrangig die Löhne und Gehälter der Mitarbeiter gezahlt. Hier ist anzumerken, dass auch sie selbst erheblich auf Endnahmen verzichtet haben. Dies allein mit dem Ziel, den Bestand des Unternehmens und damit die Arbeitsplätze ihrer mehr als zehn Mitarbeiter zu sichern.“

62

Jedenfalls am 26.03.2016 war dem Beklagten bekannt, dass die Hausbank der Schuldnerin - die R... Bank S.-M. e.G. - das Kreditengagement mit der Schuldnerin nicht über Ende Juni 2013 hinaus verlängern wollte. In einer E-Mail von diesem Tag schrieb der Beklagte an die Geschäftsführer der Schuldnerin:

63

[I]m Anhang findet Ihr das überarbeitete Schreiben an die R... Bank, was unbedingt noch vor Ostern raus muss! Und bitte nicht die Bürgschaftsgemeinschaft vergessen.
Kopf hoch - noch ist nix verloren - ran an den Speck!!“

64

In dem angehängten Briefentwurf heißt es unter anderem wie folgt:

65

„Ihre Ankündigung, das Kreditengagement über den 30.06.2013 nicht zu verlängern, bereitet uns existenzgefährdende Schwierigkeiten.
[...]

66

Aufgrund des sehr schwierigen Jahres 2011, in dem die M. oHG in eine Schieflage geraten ist, wurden im Jahr 2012 wichtige Weichenstellungen vorgenommen. Die Kolonnenanzahl wurde von 3 auf 4 erhöht, um die Kostenumlegung pro Kolonne zu verringern. Dabei war uns das Risiko der Erhöhung der Vorfinanzierungskosten für Bauleistungen bei gleichbleibender Kreditlinie bewusst. Die hatte in 2012 einen angespannten Cashflow zur Folge. Wir als Geschäftsführer haben versucht, unseren Teil zum Erfolg beizutragen und uns bei den Privatentnahmen auf ein absolutes Minimum beschränkt.

67

Die Pfändungen konnten wir in den vergangenen Wochen deutlich zurückführen und gehen davon aus, sie im folgenden Jahr vollkommen erledigt zu haben.“

68

Der Kläger behauptet, die Schuldnerin habe bei den Zahlungen auf die Darlehen mit dem Vorsatz gehandelt, ihre (anderen) Gläubiger zu benachteiligen und dass der Beklagte diesen Vorsatz kannte. Jedenfalls habe der Beklagte zum Zeitpunkt der Zahlungen gewusst, dass der Schuldnerin die Zahlungsunfähigkeit drohe.

69

Der Kläger beantragt,

70

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 15.750,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz p.a. seit dem 8. August 2013 zu zahlen.

71

Der Beklagte beantragt

72

Klagabweisung.

73

Der Beklagte behauptet, es habe bis zum Ende des Geschäftskredits am 30.06.2013 durch die R... Bank S.-M. e.G. kein Benachteiligungsvorsatz vorgelegen. Die Bank habe eine temporäre Erhöhung der Kreditlinie um 50.000 € bis zum 30.06.2013 angeboten, weshalb die Schuldnerin (im Ergebnis erfolglos) mit der Bürgengemeinschaft verhandelt habe. Die Schuldnerin habe noch im April 2013 eine Pfändung des Finanzamtes von 50.000 € bedient und bis Mai 2013 die Gehälter der Mitarbeiter bezahlt. Die Zahlung der 15.000 € am 06.06.2013 sei in dem Glauben erfolgt, die R... Bank werde den Kontokorrentkredit erhöhen und fortführen, so dass die Schuldnerin ihren Geschäftsbetrieb nach der Winterpause werde fortsetzen können. Darüber hinaus habe es Gespräche gegeben, die die Erstellung eines Geschäftsplans von dritter Seite zum Gegenstand hatten. Hierzu sei es wegen der Stellung des Insolvenzantrags nicht gekommen. Als die Kreditgespräche Mitte Juni gescheitert seien, sei klar gewesen, dass Insolvenzantrag gestellt werden müsse. Weiter meint der Beklagte, bei den Zahlungsschwierigkeiten der Schuldnerin habe es sich nur um Liquiditätsengpässe gehandelt.

Entscheidungsgründe

74

Die zulässige Klage ist begründet.

I.

75

Die Klage ist hinsichtlich der Hauptforderung (1.) und der Zinsforderung weit überwiegend (2.) begründet.

1.

76

Der Anspruch des Klägers ergibt sich aus §§ 143 Abs. 1, 133 Abs. 1 InsO. Danach kann der Insolvenzverwalter dasjenige zur Insolvenzmasse zurückverlangen, was durch eine anfechtbare Handlung aus dem Vermögen des Schuldners weggegeben worden ist.

77

Die Zahlungen der Schuldnerin den Beklagten in Höhe von 750 € am 11.04.2013 und in Höhe von 15.000 € am 06.06.2013 sind nach § 133 Abs. 1 InsO anfechtbar. Nach dieser Vorschrift ist jede Rechtshandlung anfechtbar, die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Eröffnungsantrag mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte.

78

Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Bei der Zahlung an den Beklagten handelte die Schuldnerin mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz (a). Dies war dem Beklagten bekannt (b).

79

a) Die Schuldnerin handelte mit Benachteiligungsvorsatz. Benachteiligungsvorsatz liegt vor, wenn der Schuldner bei Vornahme der Rechtshandlung die Benachteiligung der Gläubiger gewollt oder sie jedenfalls als mutmaßliche Folge seines Handelns erkannt (aa) und gebilligt (bb) hat, sei es auch als sogar unerwünschte Nebenfolge eines anderen erstrebten Vorteils; Motiv oder Anlass der Rechtshandlung können ein völlig anderer gewesen sein (dolus eventualis; vgl. Ede/Hirte in Uhlenbruch, InsO, 14. Auflage 2015, § 133 Rn. 35 m.w.N.).

80

aa) Das für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz erforderliche Wissenselement liegt vor, wenn der Schuldner erkannt oder zumindest für möglich gehalten hat, dass sein Vermögen nicht zur Befriedigung aller Gläubiger ausreichen würde. Benachteiligungsvorsatz liegt daher regelmäßig vor, wenn der Schuldner bei der angefochtenen Zahlung um seine (drohende) Zahlungsunfähigkeit weiß. Demgegenüber scheidet Vorsatz aus, wenn der Schuldner bei Vornahme der Handlung aufgrund konkreter Umstände davon überzeugt ist, alle Gläubiger in absehbarer Zeit befriedigen zu können (vgl. Ede/Hirte, a.a.O., Rn. 37, m.w.N.).

81

Vorliegend ist infolge einer Zahlungseinstellung von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin auszugehen (§ 17 Abs. 2 Satz 2 InsO), von der die Schuldnerin wusste.

82

Zahlungseinstellung ist dasjenige nach außen hervortretende Verhalten des Schuldners, in dem sich typischerweise ausdrückt, dass er nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Es muss sich mindestens für die beteiligten Verkehrskreise der berechtigte Eindruck aufdrängen, dass der Schuldner außerstande ist, seinen fälligen Zahlungsverpflichtungen zu genügen. Die tatsächliche Nichtzahlung eines erheblichen Teils der fälligen Verbindlichkeiten reicht für eine Zahlungseinstellung aus. Das gilt selbst dann, wenn tatsächlich noch geleistete Zahlungen beträchtlich sind, aber im Verhältnis zu den fälligen Gesamtschulden nicht den wesentlichen Teil ausmachen. Die Nichtzahlung einer einzigen Verbindlichkeit kann eine Zahlungseinstellung begründen, wenn die Forderung von insgesamt nicht unbeträchtlicher Höhe ist. Haben im fraglichen Zeitpunkt fällige Verbindlichkeiten bestanden, die bis zur Verfahrenseröffnung nicht mehr beglichen worden sind, ist regelmäßig von Zahlungseinstellung auszugehen. Eine bloß vorübergehende Zahlungsstockung liegt nicht vor, wenn es dem Schuldner über mehrere Monate nicht gelingt, seine fälligen Verbindlichkeiten spätestens innerhalb von drei Wochen auszugleichen und die rückständigen Beträge insgesamt so erheblich sind, dass von lediglich geringfügigen Liquiditätslücken keine Rede sein kann.

83

Eine Zahlungseinstellung kann aus einem einzelnen, aber auch aus einer Gesamtschau mehrerer darauf hindeutender, in der Rechtsprechung entwickelter Beweisanzeichen gefolgert werden. Sind derartige Indizien vorhanden, bedarf es nicht einer darüber hinaus gehenden Darlegung und Feststellung der genauen Höhe der gegen den Schuldner bestehenden Verbindlichkeiten oder gar einer Unterdeckung von mindestens 10 %.

84

(Vgl. zu diesen Voraussetzungen mit zahlreichen Nachweisen BGH, Urteil vom 30.06.2011, Az. IX ZR 134/10, juris-Rz. 11 ff.).

85

Nach diesen Voraussetzungen gründet sich die Feststellung der Zahlungseinstellung auf folgende Indizien:

86

(1) Ein Indiz für eine Zahlungseinstellung ist die Nichtzahlung bzw. schleppende Zahlung vom Steuerforderungen durch die Schuldnerin (vgl. hierzu BGH, a.a.O., Rn. 16; BGH, NJW-RR 2011, 1413, Tz. 15). Die Schuldnerin hat seit 2011 bis 2013 ihr Steuerverbindlichkeiten nicht oder nur schleppend bezahlt. Sie hat wiederholt um Stundung ersucht und gestundete Beträge nicht fristgerecht bezahlt. Mehrfach wurden Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen die Schuldnerin angekündigt und eingeleitet. Ob die Schuldnerin in der Lage war, einen Teil der Forderungen zu begleichen und beispielsweise im April 2013 eine Pfändung von 50.000 € zu bedienen, kann letztlich dahinstehen. Dieser Umstand beseitigt nicht die vorausgehenden Nichtzahlung. Allein der Umstand, dass eine Schuld beglichen worden ist, beseitigt nicht die Zahlungseinstellung, die sich aus einer Gesamtschau der Umstände ergibt.

87

Soweit der Beklagte in der Klageerwiderung „die vom Kläger angegebenen Indizien“ pauschal und ohne Bezug auf bestimmte Tatsachen bestreitet, ist dieses Bestreiten hier - wie auch im Übrigen - unbeachtlich (vgl. Zöller, ZPO, 31. Auflage 2016, § 138 Rn. 10a).

88

(2) Darüber hinaus ist regelmäßig von Zahlungseinstellung auszugehen, wenn im fraglichen Zeitpunkt fällige Verbindlichkeiten bestanden, die bis zur Verfahrenseröffnung nicht mehr beglichen worden sind (vgl. BGH, NJW-RR 2011, 1413 = ZInsO 2011, 1410 Rn. 12 m.w.N.). Das war vorliegend der Fall. Zahlreiche, gewichtige Forderungen, die weit vor der ersten Zahlung an den Beklagten am 11.04.2013 fällig waren, sind bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht beglichen und inzwischen zur Tabelle festgestellt worden. Insbesondere die Tatsache, dass sich darunter Forderungen von Sozialversicherungsträgern befinden, lässt auf eine Zahlungseinstellung schließen (BGH, a.a.O., Rn. 15).

89

(3) Schließlich kommt den 318 Rücklastschriften eine entscheidende Bedeutung für die Feststellung der Zahlungseinstellung zu. Denn sie belegen, dass die Kreditlinie von 150.000 € auf dem Geschäftskonto der Schuldnerin seit Januar 2011 durchgehen nahezu ausgeschöpft war. Selbst wenn sie in dieser Zeit noch einige Forderungen begleichen konnte, kam es doch regelmäßig dazu, dass ihr die Mittel hierfür fehlten.

90

(4) Diese Beweisanzeichen sind durch den Vortrag des Beklagten, es habe die Erwartung bestanden, die Kreditlinie der Bank werde erhöht und über den 30.06.2013 hinaus verlängert und damit die Zahlungsfähigkeit der Schuldnerin erhalten bleiben, nicht entkräftet.

91

Zum einen befand sich die Schuldnerin nach den oben dargestellten Anzeichen bereits vor Juni 2013 in der Zahlungseinstellung, also zu einer Zeit, zu der die - seit 2011 voll ausgeschöpfte - Kreditlinie der R... Bank noch bestand. Zu anderem hat der Beklagte nicht vorgetragen, auf welche Signale der Bank sich diese Erwartung gestützt haben soll. Diese müssten ihm als anwaltlichem Berater der Schuldnerin bekannt gewesen sein. Dass die Bank anbot, die Kreditlinie um 50.000 € zu erhöhen, genügt hier nicht. Zum einen war auch dieses Angebot bis zum 30.06.2013 befristet, zum anderen hätte die Schuldnerin hierfür die Unterstützung der Bürgschaftsgemeinschaft Hamburg benötigt, die sie nicht erhielt.

92

Die bloße, nicht auf Signale der Bank begründete Hoffnung, die Bank werde die Kreditlinie trotz der zahlreichen erfolgten Kontopfändungen nicht nur verlängern, sondern auch erhöhen, reicht nicht aus, um die vorliegende Zahlungseinstellung in einen Liquiditätsengpass umzudeuten.

93

(5) Ebenso verhält es sich im Hinblick auf den Geschäftsplan, der von dritter Seite habe erstellt werden sollen. Dass darin ein ernsthaftes Sanierungskonzept gelegen hätte, das über eine bloße Hoffnung hinaus gegangen wäre, ist nicht dargelegt.

94

(6) Die Umstände, die die Zahlungseinstellung begründeten, waren der Schuldnerin - vermittelt durch ihre geschäftsführenden, persönlich haftenden Gesellschafter - auch bekannt. Hierfür gilt bei der Schuldnerin, die über lediglich „mehr als zehn“ Angestellte verfügte, der Beweis des ersten Anscheins. Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass diese Tatsachen den Geschäftsführern unbekannt gewesen sein könnten.

95

bb) Für den Benachteiligungsvorsatz muss darüber hinaus ein Wollenselement vorliegen. Hat sich der Schuldner die Benachteiligung nur als möglich vorgestellt, kommt es darauf an, ob er die Benachteiligung in Kauf nimmt, ohne sich durch diese Möglichkeit von seinem Handeln abhalten zu lassen (vgl. Ede/Hirte, a.a.O., § 133 Rn. 39 m.w.N.). Das erforderliche Wollen ist dabei in der Regel schon dann zu bejahen, wenn der Schuldner die Schädigung anderer Gläubiger als notwendige Folge der einem Gläubiger gewährten Befriedigung oder Sicherung vorausgesehen hat (ebenda). Das ist hier der Fall.

96

Spätestens in dem Zeitpunkt, als die Bank im März 2013 ankündigte, ihr Kreditengagement über Juni 2013 nicht zu verlängern, muss den Geschäftsführern der Schuldnerin vor dem Hintergrund der seit 2011 bestehenden Zahlungsschwierigkeiten klar gewesen sein, dass durch die damit verbundene Fälligstellung des Kontokorrentkredits die sofortige Insolvenz der Schuldnerin drohte und dass eine Zahlung an den Beklagten damit notwendigerweise zur Folge hatte, dass diese Beträge zur Befriedigung der übrigen Gläubiger nicht zur Verfügung stehen würden. Trotz dieses Wissens hat sich die Schuldnerin nicht davon abhalten lassen, dem Beklagten die nun angefochtene Befriedigung zu gewähren.

97

Soweit der Beklagte vorträgt, es habe bei der Schuldnerin die Erwartung bestanden, die Kreditlinie der Bank würde erhöht und verlängert, ist dieser Vortrag unsubstantiiert. Die bloße subjektive Hoffnung, die Bank werde sich entgegen ihrer Ankündigung und zahlreicher Kontopfändungen weiter engagieren, lässt den Eventualvorsatz nicht entfallen. Konkrete Signale der Bank, die den Geschäftsführern erlaubt hätten, ernsthaft auf einen Erhalt der Kreditlinie zu vertrauen, sind nicht vorgetragen.

98

b) Die erforderliche Kenntnis des Beklagten von der Benachteiligungsabsicht der Schuldnerin wird gemäß § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO vermutet, da er jedenfalls von der drohenden Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin (aa) und der Benachteiligung der übrigen Gläubiger durch die an ihn gerichtete Zahlung (bb) wusste.

99

aa) Dem Beklagten war jedenfalls die drohende Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin bekannt. Dabei genügt die Kenntnis von Umständen, die zwingend auf eine (drohende) Zahlungsunfähigkeit schließen lassen (vgl. Ede/Hirte, a.a.O., § 133 Rn. 69 m.w.N.). Hier wusste der Beklagte von der schleppenden Zahlung von Steuerschulden, dem angekündigten Rückzug der Bank sowie der Tatsache, dass die Schuldnerin sich am Rande der Insolvenz befand.

100

Bereits mit Schreiben vom 22.09.2011 (Anlage K17) engagierte sich der Beklagte im Rahmen des Bußgeldverfahrens gegen die Geschäftsführer der Schuldnerin wegen der Nichtabführung von Umsatzsteuerbeträgen und räumte dort Liquiditätsschwierigkeiten ein. Dort heißt es, die Schuldnerin habe die Beträge nicht bezahlt, um bevorzugt Löhne und Gehälter zu zahlen.

101

Mit Schreiben vom 10.10.2011 (Anlage K42) wiederholt der Beklagte diese Einschätzung und fügt hinzu, dass die Nichtabführung von Steuern mit dem Ziel erfolgt sei, Arbeitsplätze zu erhalten. Damit brachte er zum Ausdruck, davon auszugehen, dass die Zahlung der Steuerschulden zum Verlust der Arbeitsplätze (Insolvenz) führen würde.

102

Aus der E-Mail vom 26.03.2016 (Anlage K43) ergibt sich weiterhin, dass die Situation durch den Beklagten als finanziell bedrohlich eingeschätzt wurde (“noch ist nix verloren“). In dem angehängten Briefentwurf an die R... Bank wird die Situation, die durch die Ankündigung, das Kreditengagement zu beenden, entstanden war, sogar ausdrücklich als „existenzgefährdend“ bezeichnet.

103

Darüber hinaus war der Beklagte selbst seit Ende 2010 nur gegen Einräumung weiterer, persönlicher Sicherheiten der geschäftsführenden Gesellschafter bereit, sein Darlehen an die Schuldnerin zwei Mal zu verlängern. Schließlich wusste er zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Zahlungen an ihn, dass weder die zum 30.06.2011 fällige Einmalzahlung von 10.000 €, noch - seit Oktober 2012 - die monatlichen Zinsraten auf das Darlehen von 333 € geleistet worden waren.

104

bb) Der Beklagte hatte ebenfalls Kenntnis der objektiven Gläubigerbenachteiligung. Denn im Normalfall benachteiligt jede Zahlung, die ein (drohend) zahlungsunfähiger Schuldner vornimmt, zugleich seine übrigen Gläubiger. Somit folgt aus der Kenntnis der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit in aller Regel auch die Kenntnis der objektiven Gläubigerbenachteiligung (vgl. Ede/Hirte, a.a.O., § 133 Rn. 76 m.w.N.). Anhaltspunkte, dass es hier anders liegen könnte, sind nicht ersichtlich.

2.

105

Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 143 Abs 1 Satz 2 InsO i.V.m. §§ 819 Abs 1, 818 Abs 4, 291 Satz 1, 2. Halbsatz, 288 Abs 1 Satz 2 BGB ab dem 09.08.2013 als dem Tag nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Für den Tag der Eröffnung des Insolvenzverfahrens selbst fallen keine Zinsen an (entsprechend § 187 Abs. 1 BGB, vgl. Dornis in BeckOGK-BGB, Stand 10.05.2016, § 288 Rn. 51).

II.

106

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 2, 709 ZPO.

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