Beschluss vom Landgericht Hamburg (27. Große Jugendkammer) - 627 Qs 25/17 jug.

Tenor

1. Der Haftbefehl des Amtsgerichts Hamburg vom 8. Juli 2017 wird hinsichtlich des Tatvorwurfs dahingehend ergänzt, dass tateinheitlich auch ein dringender Tatverdacht wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Mittäterschaft gemäß §§ 114 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 113 Abs. 2 StGB besteht.

2. Auf die Haftbeschwerde des Beschuldigten vom 11. Juli 2017 wird der Vollzug des Haftbefehls des Amtsgerichts Hamburg vom 8. Juli 2017 ausgesetzt unter der Bedingung, dass der Beschuldigte eine Sicherheitsleistung in Höhe von € 10.000,- in bar bei dem Amtsgericht Hamburg hinterlegt; die Entlassung erfolgt erst nach Vorlage des Annahmebetrages. Die Sicherheitsleistung verfällt, wenn der Angeklagte sich dem Verfahren entzieht.

Dem Angeklagten werden die Anweisungen erteilt,

a) jeden Wechsel seines Aufenthaltes unverzüglich der Staatsanwaltschaft Hamburg zu der Geschäftsnummer 7120 Js 16/17 anzuzeigen;
b) jeder Vorladung in dieser Sache pünktlich Folge zu leisten und zu allen anberaumten Hauptverhandlungsterminen pünktlich zu erscheinen;
c) an keiner strafbaren Handlung teilzunehmen

Jede Verletzung einer dieser Anweisungen hat den Widerruf dieses Beschlusses und den erneuten Vollzug des Haftbefehls zur Folge.

3. Im Übrigen wird die Haftbeschwerde verworfen.

Gründe

I.

1

Der am 7. Juli 2017 festgenommenen Beschuldigte F. V. sitzt aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Hamburg vom 8. Juli 2017 in Untersuchungshaft. Der Haftbefehl trägt das Aktenzeichen Eil Gs 338/17, richtigerweise muss es – wie auch im Zuführprotokoll – Eil Gs 388/17 heißen. Dem Beschuldigten wird vorgeworfen einen gemeinschaftlichen Landfriedensbruch begangen zu haben, indem er am 7. Juli 2017 um 6:30 Uhr im Rahmen des G20-Gipfels im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit etwa 200 Mittätern in Hamburg, auf Grund einer zuvor gefassten Abrede, mit den einheitlich schwarz gekleideten und vermummten Mittätern, die teilweise mit Steinen, Pyrotechnik, Hämmern, Feuerlöschern und Sägen bewaffnet waren, als geschlossener Marschblock auf uniformierte und mit Schutzkleidung bekleidete Polizeibeamte der Bundespolizei zulief um die Polizeisperre zu durchbrechen – was im Ergebnis nicht gelang –, wobei aus der Gruppe heraus dem gemeinsamen Tatplan entsprechend Steine, Flaschen und Pyrotechnik auf die Beamten geworfen wurden, wobei der Beschuldigte entweder selbst Gegenstände warf oder der Angriff jedenfalls mit seinem Wissen und Wollen durchgeführt wurde (strafbar gem. §§ 125 Abs. 1 und 2, 25 Abs. 2 StGB). Gestützt ist der Haftbefehl auf den Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO).

2

Gegen diesen Haftbefehl hat der Beschuldigte über seine Verteidigerin mit Schreiben vom 11. Juli 2017, eingegangen beim Amtsgericht Hamburg am selben Tag, Beschwerde eingelegt und diese begründet. Der Beschuldigte beantragt die Aufhebung des Haftbefehls, hilfsweise eine Verschonung gegen Auflagen.

3

Das Amtsgericht Hamburg hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

4

Die Staatsanwaltschaft hat auf Verwerfung der Beschwerde angetragen und diesen Antrag begründet.

5

Mit Schriftsatz vom 14. Juli 2017 trug die Verteidigerin des Beschuldigten vor, dass die Eltern des Beschuldigten bereit seien, eine Kaution in Höhe von 10.000,- € für ihren Sohn zu hinterlegen. Der Beschuldigte könne zudem – sollte ein Verbleib in Deutschland notwendig sein – bei Bekannten seiner Eltern in L. für die Dauer des Verfahrens Aufenthalt nehmen.

6

Mit weiterem Schreiben vom 14. Juli 2017 (Eingang am 18. Juli 2017) teilte die Verteidigerin mit, dass der Beschuldigte in I. einem Arbeitsverhältnis nachgehe und bereit sei, für die Hauptverhandlung nach Hamburg zurückzukehren.

7

Die Verteidigerin hat zu dem Antrag der Staatsanwaltschaft mit Schriftsatz vom 17. Juli 2017 Stellung genommen.

II.

8

Die gemäß § 304 Abs. 1 StPO zulässige Haftbeschwerde ist – soweit der Beschuldigte hilfsweise die Außervollzugsetzung des Haftbefehls begehrt – teilweise begründet und im Übrigen unbegründet.

9

Die Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls sind gegeben, §§ 112 Abs. 1, Abs. 2, 114 StPO. Es besteht gegen den Beschwerdeführer ein dringender Tatverdacht und es liegt der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO vor. Der Zweck der Untersuchungshaft kann jedoch auch auf andere Weise erreicht werden.

10

1. Es besteht gegen den Beschuldigten hinsichtlich der im Haftbefehl geschilderten Tat ein dringender Tatverdacht (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO). Dringender Tatverdacht besteht, wenn die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass der Beschuldigte Täter der ihm vorgeworfenen Straftaten ist (Meyer-Goßner/Schmidt, StPO, 59. Aufl. 2016, § 112, Rdn. 5). Dies ist hier der Fall.

11

a) Es besteht ein dringender Tatverdacht wegen gemeinschaftlichen Landfriedensbruchs (§§ 125 Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB). Die hochwahrscheinliche Tatbegehung durch den Beschuldigten ergibt sich hinsichtlich der im Haftbefehl aufgeführten Tat aus der Anwesenheit des Beschuldigten am Tatort und seiner Zugehörigkeit zu der Gruppierung. Das Verhalten der Gruppe um den Beschuldigten ergibt sich insbesondere aus den Angaben des Polizeibeamten S. in seinem Bericht vom 7. Juli 2017. Danach habe sich am 7. Juli 2017 gegen 6:15 Uhr eine Gruppe von 200 vermummten und schwarz gekleideten Personen vom Camp im Volkspark in Richtung Stadtgebiet auf eine von der Polizei gebildete Straßensperre zubewegt. Etwa 50m vor der Straßensperre sei es aus der Gruppe heraus zu massiven und gezielten Würfen mit Steinen, Flaschen, Böllern und bengalischen Fackeln in Richtung der – mit Schutzausrüstung bekleideten – Polizeibeamten gekommen. Die Steine hätten Beamte und Fahrzeuge getroffen, zu Verletzungen sei es aufgrund der Schutzausrüstung nicht gekommen. Nachdem sich ein Teil der Gruppierung seitlich entfernt habe, seien die Polizeibeamten aus der verbleibenden Gruppe weiter mit Steinen beworfen worden. Die Hundertschaft sei dann auf die verbliebene Gruppe zugegangen – wobei weiter Steine auf die Beamten geworfen worden seien – und habe 73 Personen festgenommen. Aus dem Kurzbericht BP092119 der Kriminalhauptkommissarin G. vom 7. Juli 2017 ergibt sich, dass der Beschuldigte eine dieser festgenommenen Personen war. Aus dem Kurzbericht BP035876 vom 7. Juli 2017 und dem dazugehörigen Ergänzungsbogen ergibt sich, dass nach der Festnahme der Personen unter anderem 41 Sturmhauben, 38 Steine, 1 kg Hämmer, 1 Zimmermannshammer, 1 Schraubendreher, 1 Meißel, 1 Seitenschneider, 1 kg Feuerlöscher, 1 Zwille, 3 Sprühdosen und weitere Vermummungs- und Schutzausrüstung auf der Straße aufgefunden wurden, die vor Ort keiner der Personen hätten direkt zugeordnet werden können. Diese Gegenstände – die jedenfalls der Gruppe, der auch der Beschuldigte zugehörte, zuzuordnen sind – belegen deren Gewaltbereitschaft und gemeinsame Tatplanung. Selbst wenn dem Beschuldigten momentan nach Aktenlage – die Videoaufzeichnungen sind noch nicht ausgewertet – keine konkreten Gewalthandlungen zugeordnet werden können, agierte er in einer Gruppe, aus der heraus massiv Steine und andere Gegenstände auf Polizeibeamte geworfen worden sind. Indem der Beschuldigte sich von dieser Gruppe nicht distanzierte, sondern sich mit dieser den Polizeibeamten auf bedrohliche Art und Weise näherte, beteiligte er sich – dem gemeinsamen Tatplan entsprechend – jedenfalls sukzessive an den Gewalttätigkeiten der Gruppe gegen Polizeibeamte und Fahrzeuge. Diese Gewalttätigkeiten wurden aus einer Menschenmenge in einer die Sicherheit gefährdenden Weise – für eine unbestimmte Anzahl Personen und Sachen trat die Gefahr eines Schadens ein – begangen. An diesen Gewalttätigkeiten beteiligte sich der Beschuldigte, indem er zumindest als Teil der Gruppe Druck auf die Polizeibeamten ausübte und die tatplangemäßen Würfe mit Steinen und anderen Gegenständen jedenfalls billigte.

12

b) Der dringende Tatverdacht erstreckt sich zudem, über den im Haftbefehl genannten gemeinschaftlichen Landfriedensbruch gemäß §§ 125 Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB hinaus, auf einen tateinheitlich verwirklichten tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte gemäß §§ 114 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 113 Abs. 2 Nr. 1 und 3 StGB. Das Bewerfen von Polizeibeamten mit Steinen stellt einen tätlichen Angriff auf Polizeibeamte dar. Wie bereits dargestellt erfolgten die Steinwürfe einem gemeinsamen Tatplan gemäß und wurden von dem Beschuldigten – als Teil der Gruppe – jedenfalls gebilligt. Indem der Beschuldigte die Gruppe durch seine Präsenz stärkte, leistete er auch einen eigenen Tatbeitrag. Es ist vorliegend auch von einem besonders schweren Fall gemäß §§ 114 Abs. 2 i.V.m. 113 Abs. 2 Nr. 1 und 3 StGB auszugehen. Steine stellen gefährliche Werkzeuge im Sinne dieser Vorschrift dar. Jedenfalls andere Mitglieder der Gruppe führten diese bei sich und verwendeten sie auch. Die Gruppenmitglieder begingen die Tat zudem gemeinschaftlich.

13

c) Der dringende Tatverdacht erstreckt sich demgegenüber – nach derzeitiger Aktenlage – nicht auf einen gemeinschaftlichen Landfriedensbruch im besonders schweren Fall gemäß § 125a StGB. Dem Beschuldigten selbst können Steinwürfe nicht nachgewiesen werden. Die Regelbeispiele des schweren Landfriedensbruchs erfordern jedoch eine eigenhändige Begehung, eine Zurechnung durch Mittäter kommt nicht in Betracht (BGH, Beschluss vom 2. Dezember 2015, Az.: 2 StR 310/15). In Betracht käme vorliegend lediglich ein unbenannter schwerer Fall. Ein solcher wäre anzunehmen, wenn durch die Tat die öffentliche Sicherheit in besonders schwerwiegender Weise gestört wurde (Fischer, 63. Auflage, § 125a StGB Rn. 9). Dies ist nicht der Fall. Die schweren Ausschreitungen, die sich im Rahmen des G20-Gipfels vor und nach der hiesigen Tat ereignet haben, können dem Beschuldigten nicht zugerechnet werden. Zwar ist der Beschuldigte zur Tatzeit als Teil des „Schwarzen Blocks“ aufgetreten, der „Schwarze Block“ stellt jedoch keine aus einem festen Personenkreis zusammengesetzte Gruppierung dar, sondern bildet sich in unterschiedlichen Zusammensetzungen immer wieder neu. Eine feste Gruppierung „Schwarzer Block“ gibt es nicht. Der Beschuldigte – der am 7. Juli 2017 unmittelbar nach der hiesigen Tat festgenommen worden ist – kann sich an den schweren Ausschreitungen am Abend des 7. Juli 2017 selbst nicht beteiligt haben. Ob Personen der Gruppierung um den Beschuldigten bei der hiesigen Tat an den übrigen Ausschreitungen beteiligt waren, ist ebenfalls ungeklärt.

14

2. Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO. Eine Fluchtgefahr besteht, wenn die Würdigung der Umstände des Falles es wahrscheinlicher macht, dass sich der Beschuldigte dem Strafverfahren entziehen, als dass er sich ihm zur Verfügung halten wird (Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl. 2011, § 112, Rdn. 17). So liegt der Fall hier.

15

Die den Beschuldigten erwartende Strafe übt einen erheblichen Fluchtanreiz aus. Der Tatvorwurf des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte sieht in einem besonders schweren Fall für Erwachsene einen Strafrahmen von sechs Monaten bis fünf Jahren vor. Der Beschuldigte ist Heranwachsender, sodass hier die Anwendung von Jugendstrafrecht jedenfalls möglich ist. In Anbetracht der Umstände liegt die Annahme schädlicher Neigungen, insbesondere aufgrund des planvollen und besonders gewalttätigen Vorgehens, nahe. Nach Aktenlage hat die Gruppe um den Beschuldigten vorher in erheblichem Umfang gefährliche Gegenstände angesammelt und mit sich geführt, was der Beschuldigte auch wusste, um diese bei dem erwarteten Polizeieinsatz auf die Beamten zu werfen. Der Beschuldigte ist extra zum G20-Gipfel angereist. Ausweislich des bei ihm aufgefundenen Flugtickets ist er am 6. Juli 2017 um 17:50 Uhr mit dem Flugzeug in Hamburg gelandet. Der Beschuldigte hat, auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass er – jedenfalls in Deutschland – bisher nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, mit einer Jugendstrafe zu rechnen. Dem Fluchtanreiz stehen keine gewichtigen Gründe gegenüber: Der Beschuldigte hat keinen festen Wohnsitz in Deutschland, er lebt bei seinen Eltern in N.. Bindungen in Deutschland hat er – außer den Bekannten seiner Eltern in L. – offenbar nicht. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass sich der Beschuldigte dem Verfahren von sich aus stellen wird. Er hat sich zur Sache bisher nicht eingelassen.

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3. Der Fluchtgefahr kann jedoch durch die aus dem Tenor dieses Beschlusses ersichtlichen Auflagen und Weisungen begegnet werden (§ 116 Abs. 1 StPO). Durch die Kaution – in beachtlicher Höhe – kann der Zweck der Untersuchungshaft im Hinblick auf die Fluchtgefahr ebenso erreicht werden. Bei einer aus dem Familienkreis geleisteten Kaution in dieser Höhe ist damit zu rechnen, dass sich der Beschuldigte dem Verfahren nicht entziehen wird.

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