Beschluss vom Landgericht Hamburg - 632 Qs 28/18

Tenor

Auf die Beschwerde des Finanzamtes für Prüfungsdienste und Strafsachen in H. vom 27.07.2018 wird der Beschluss des Amtsgerichts Hamburg vom 13.06.2018 (167 Gs 578/18) aufgehoben.

Gegen den Beschuldigten ... wird in Höhe von 44.520,- € der Vermögensarrest in sein Vermögen angeordnet.

Durch Hinterlegung von 44.520,- € kann die Vollziehung des Arrestes abgewendet und die Aufhebung der Vollziehung des Arrestes verlangt werden.

Eine Entscheidung über die Kosten des Verfahrens ist der Entscheidung über die Verfahrenskosten im Hauptverfahren vorbehalten.

Gründe

I.

1

Das Finanzamt für Prüfungsdienste und Strafsachen H. ermittelt gegen den Beschuldigten ... wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung, § 370 Abgabenordnung (AO). Ihm wird vorgeworfen, in der Zeit vom 29.12.2014 bis 28.02.2017 den Finanzbehörden vorsätzlich unrichtige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen gemacht zu haben, indem er für sein Einzelunternehmen Vorsteuern aus Rechnungen der ... Bau GmbH, ... Dienstleistung GmbH sowie ... Bau & Dienstleistung GmbH geltend gemacht hat, obwohl diese - wie er gewusst habe - sogenannte „Servicegesellschaften“ seien, die keinerlei Geschäftstätigkeit ausgeübt und lediglich Scheinrechnungen ausgestellt hätten. Im Einzelnen soll der Beschuldigte dem Finanzamt noch die folgenden Beträge schulden:

2

Umsatzsteuer 2013: 18.724,- €;
Umsatzsteuer 2014: 22.034,- €;
Umsatzsteuer 2015: 3.762,- €.

3

Den Antrag des Finanzamtes für Prüfungsdienste und Strafsachen H. vom 06. Juni 2018 auf Anordnung eines Vermögensarrest in das Vermögen des Beschuldigten gemäß §§ 111e Abs. 1, 111j Abs. 1 StPO i.v.M. §§ 73, 73c StGB in Höhe von 44.520,- € hat das Amtsgericht Hamburg mit Beschluss vom 13. Juni 2018 abgelehnt. Das Amtsgericht führt dazu im Wesentlichen aus, dass es an einem hinreichenden Sicherungsbedürfnis des Finanzamtes aufgrund seiner eigenen Sicherungsmöglichkeiten gemäß § 324 AO fehle. Auch wenn der Gesetzgeber mit § 111e Abs. 6 StPO einen Gleichrang der beiden Sicherungsmöglichkeiten geschaffen habe, verbliebe für § 324 AO faktisch kein Anwendungsbereich mehr, wenn auch der Fiskus ohne näheren Grund unmittelbar von § 111e Abs. 6 StPO Gebrauch machen kann. Vorliegend habe das Finanzamt jedoch nicht dargetan, aus welchen Gründen es auf steuerrechtliche Sicherungsmöglichkeiten verzichtet habe, so dass der Antrag zurückzuweisen sei. Überdies zweifelt das Amtsgericht auch das sonstige Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses beziehungsweise Arrestgrundes an, weil kein entsprechender Erfahrungssatz ersichtlich sei, der besagt, dass der mutmaßliche Täter einer Vermögensstraftat auch eine etwaige Einziehung von Wertersatz unredlich vereitelt.

4

Mit Schriftsatz vom 10.07.2018 hat das Finanzamt Beschwerde erhoben; das Amtsgericht hat dieser nicht abgeholfen. Das Finanzamt macht im Wesentlichen geltend, ihm stehe die freie Wahl zwischen dem strafrechtlichen sowie dem steuerrechtlichen Arrest zu. Dabei beruft es sich unter anderem auf eine Entscheidung des LG Hamburg vom 16.05.2018 (Az. 618 Qs 14/18). Zudem liege im Hinblick auf die Komplexität der vorgeworfenen Straftaten eine erhebliche kriminelle Energie vor, die auf eine unredliche Entziehung des Vermögens vor der Vollstreckung schließen lasse.

II.

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Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

6

Die Voraussetzungen des § 111e Abs. 1 StPO liegen vor.

7

Der für die Anordnung des strafrechtlichen Vermögensarrestes erforderliche einfache Tatverdacht (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Auflage, § 111e Rn. 4; OLG Bamberg, Beschluss vom 19.03.2018 - 1 Ws 111/18; Huber, in: BeckOK-StPO, 28. Edition, Stand: 01.01.2018, § 111e Rn. 10) liegt vor. Aus den in der Akte dokumentierten Ermittlungsergebnissen ergibt sich, dass der Beschuldigte vorsätzlich seiner Steuerpflicht nicht nachgekommen ist und dadurch das Finanzamt geschädigt hat. Für den hochwahrscheinlichen Fall der Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Steuerstraftat liegen daher die Voraussetzungen für die Einziehung von Wertersatz vor.

8

Zudem besteht auch das gemäß § 111e Abs. 1 StPO erforderliche Sicherungsbedürfnis.

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Bereits die vorsätzliche Tatbegehung mit Hilfe von Scheinrechnungen zeigt, dass der Beschuldigte mit erheblicher krimineller Energie vorgeht. Dies lässt den Rückschluss zu, dass er auch künftig versuchen wird, sich berechtigten Forderungen des Finanzamtes zu entziehen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Auflage, § 111e Rn. 7).

10

Die dem Finanzamt ebenfalls mögliche Sicherungsmöglichkeit gemäß § 324 AO steht dem Vermögensarrest nach § 111e StPO nicht entgegen. Dies ergibt sich zum einen aus der explizit zum Ausdruck gebrachten Gleichrangigkeit der beiden Arrestmöglichkeiten in § 111e Abs. 6 StPO. Zum anderen kann so der Stärkung der Regelungen zur vorläufigen Sicherstellung, die vom Gesetzgeber bei der Reform der Vermögensabschöpfung im Jahr 2017 beabsichtigt worden ist (vgl. BT-Drs. 18/9525, S. 49), entsprochen werden (vgl. insgesamt dazu LG Hamburg, Beschluss vom 16.05.2018, 618 Qs 14/18). Dem Argument des auf diese Weise schwindenden Anwendungsbereichs des § 324 AO lassen sich diverse Fallkonstellationen entgegenhalten, in denen die beiden Sicherungsinstrumente nicht gleich geeignet sind (vgl. dazu LG Hamburg, Beschluss vom 16.05.2018, 618 Qs 14/18).

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Die Anordnung des Vermögenarrestes ist auch verhältnismäßig.

12

Die Anordnung des Vermögensarrestes ist zur Sicherung der Vollstreckung geeignet und erforderlich. Insofern bestehen entsprechend dem Willen des Gesetzgebers (vgl. BT-Drs. 18/9525, S. 77) dieselben Anforderungen wie nach der früheren Rechtslage. Für die Frage der Erforderlichkeit kann daher an die Rechtsprechung zu § 111d StPO a.F. angeknüpft werden (vgl. LG Hamburg, Beschluss vom 16.05.2018, 618 Qs 14/18; OLG Stuttgart, Beschluss vom 25.10.2017, 1 Ws 163/17). Danach war umstritten, ob ein Arrest bereits dann erforderlich ist, wenn der Beschuldigte des Tatbestands eines vermögensbezogenen Strafgesetzes, wie vorliegend einer Steuerhinterziehung, verdächtig ist (so Hanseatisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 19.12.2011, 2 Ws 123/11 m.w.N.). Die restriktivere Gegenauffassung, der auch das Amtsgericht Hamburg in diesem Fall gefolgt ist, betont, dass in Ermangelung entsprechender Erfahrungssätze nicht generell davon ausgegangen werden kann, dass ein Beschuldigter versuchen wird, sein Vermögen vor einem Zugriff des Gläubigers in Sicherheit zu bringen (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 06.01.2010, III-2 Ws 636/09 m.w.N.).

13

Vorliegend kommen beide Auffassungen zu demselben Ergebnis. So ergibt sich die Erforderlichkeit und Geeignetheit nicht allein aus dem Verdacht der Steuerhinterziehung an sich, sondern aus den konkreten Umständen der Tatbegehung. Nach einer Gesamtbetrachtung aller Umstände besteht der Verdacht, dass der Beschuldigte im weiteren Fortgang des Verfahrens Vermögenswerte in erheblichem Umfang verschleiern oder verstecken wird. Dieser Rückschluss ergibt sich unter anderem aus dem konkreten Vorgehen des Beschuldigten bei der Tatbegehung. Der Beschuldigte ist nämlich nicht (nur) einer „einfachen Steuerhinterziehung“ verdächtig, sondern legte eine erhebliche kriminelle Energie zur Eigenbereicherung an den Tag, indem er über einen Zeitraum von mehreren Jahren durch die systematische Nutzung von Scheinrechnungen unter Einbezug verschiedener „Servicegesellschaften“ und ggf. weiterer Personen Vorsteuern gegenüber der Finanzbehörde geltend machte, um sein Vermögen im fünfstelligen Bereich zu mehren (so in einem gleichgelagerten Fall LG Hamburg, Beschluss vom 16.05.2018, 618 Qs 14/18).

14

Die Anordnung des Vermögensarrestes ist zudem auch verhältnismäßig im engeren Sinne. Dies folgt aus dem sehr starken Verdachtsmomenten gegenüber dem Beschuldigten sowie der ihm vorgeworfenen vorsätzlichen Steuerhinterziehung in Höhe von fast 45.000 Euro.

III.

15

Die Kosten der erfolgreichen Beschwerde des Finanzamtes für Prüfungsdienste und Strafsachen H. sind Teil der Verfahrenskosten, über die nach Maßgabe der §§ 464 ff. StPO im Urteil nach Abschluss des Hauptverfahrens zu entscheiden sein wird (vgl. LG Hamburg, Beschluss vom 16.05.2018, 618 Qs 14/18; OLG Schleswig, Beschluss vom 08.06.2017, 1 Ws 259/17).

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