Urteil vom Landgericht Kleve - 120 KLs - 103 Js 29/14 – 13/14
Tenor
Der Angeklagte wird wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von
4 Jahren
kostenpflichtig verurteilt.
Die sichergestellten 15.056 Gramm Tabletten werden eingezogen.
Der Verfall wird in Höhe von 200,00 € angeordnet.
- §§ 30 Abs. 1 Nr. 4, 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, 27, 52, 73 StGB –
1
Gründe:
2Der xx Jahre alte, brasilianische Angeklagte reiste am 08.01.2014 als Fahrgast des ICE 125 aus den Niederlanden kommend über den Grenzübergang Emmerich in die Bundesrepublik Deutschland ein. In zwei mitgeführten Koffern, jeweils unter einem zweiten Kofferboden versteckt, führte er gegen einen bereits erhaltenen und sichergestellten Kurierlohnvorschuss von jedenfalls 200,00 € insgesamt ca. 42.000 Ecstasy-Tabletten mit einem Gesamtwirkstoffgehalt von mindestens 1.840 Gramm MDMA-Base und 787 Gramm 4-Fluoramfetamin-Base mit sich. Diese Werte und die Art der Ware hielt der Angeklagte für möglich und nahm sie zumindest billigend in Kauf. Das Rauschgift war – wie der Angeklagte wusste – zum gewinnbringenden Weiterverkauf durch einen Dritten bestimmt.
3I. Feststellungen zur Person
4Der derzeit xx Jahre alte Angeklagte wurde in xxxxx / Brasilien geboren. Sein Vater ist Brasilianer, seine Mutter Deutsche. Nach der Grundschule besuchte er die weiterführende Schule, die er mit Abitur abschloss. Anschließend besuchte er die Universität im Bereich Buchhaltung. Da ihn das Studium jedoch nicht überzeugte, brach er dieses ab und betrieb zusammen mit seinem Vater eine PR-Agentur bis kurz vor dessen Tod im Jahr 2010. Die Eltern des Angeklagten trennten sich, als der Angeklagte 17 Jahre alt war. Die Mutter zog zusammen mit seiner Schwester in die Bundesrepublik zurück. Der Vater blieb mit dem Angeklagten in Brasilien. Dort kaufte er ein großes Grundstück am Rande eines Elendsviertels, wo er in der Folgezeit drei Häuser errichtete. Nach dem Tod des Vaters zog er zunächst zu seiner ehemaligen Lebensgefährtin zurück, mit der er eine am 22.11.1987 geborene Tochter hat. Nach zwei Jahren trennten sie sich erneut. Der Angeklagte zog zurück in das von dem Vater zuletzt bewohnte Haus. Eines der zwei weiteren Häuser verkaufte er für ca. 25.000,00 €, das andere vermietete er für ca. 300,00 € im Monat. Zuletzt ging der Angeklagte keiner geregelten Beschäftigung mehr nach. Er erledigte einige Verwaltungsangelegenheiten für das von seiner ehemaligen Lebensgefährtin betriebene Hostel, bemühte sich um den Verkauf eines Apartments seines verstorbenen Vaters und lebte im Übrigen von den monatlichen Mieteinnahmen und dem Erlös aus dem Verkauf des Hauses.
5Der Angeklagte hat nie im Übermaß Alkohol getrunken. Marihuana hat der Angeklagte zuletzt im Rahmen einer Feierlichkeit zur Zeit seines Studiums vor mehr als 20 Jahren konsumiert.
6Der Angeklagte ist bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten.
7II. Feststellungen zur Sache
8Am 08.01.2014 reiste der Angeklagte als Fahrgast des ICE 125 aus Amsterdam/Niederlande kommend über den Grenzübergang Emmerich in die Bundesrepublik Deutschland ein. In den von ihm mitgeführten beiden Koffern, jeweils unter einem zweiten Kofferboden versteckt, führte er gegen einen bereits erhaltenen und sichergestellten Kurierlohnvorschuss von jedenfalls 200,00 € insgesamt ca. 42.000 Ecstasy-Tabletten mit einem Gesamtwirkstoffgehalt von mindestens 1.840 Gramm MDMA-Base und 787 Gramm 4-Fluoramfetamin mit sich. Diese Werte und die Art der Ware hielt der Angeklagte für möglich und nahm sie zumindest billigend in Kauf. Das Rauschgift war – wie der Angeklagte wusste – zum gewinnbringenden Weiterverkauf durch einen Dritten bestimmt.
9Der Angeklagte wurde im Rahmen einer Routinekontrolle durch die Beamten der Bundespolizei L und PHM xxx kontrolliert. Das Rauschgift wurde in den beiden Koffern entdeckt und sichergestellt.
10III. Beweiswürdigung
11Zur Person (I.) hat sich der Angeklagte entsprechend den getroffenen Feststellungen eingelassen, ergänzt um die in der Hauptverhandlung verlesenen Registerauszüge.
12Zur Sache (II.) hat er sich glaubhaft geständig im Sinne der getroffenen Feststellungen eingelassen. Zu den Hintergründen gab er an, dass er kurz vor Weihnachten zu seiner Mutter und Schwester nach Mainz geflogen sei, um mit ihnen die Weihnachtsfeiertage und den Jahreswechsel zu verbringen. Hierzu sei er von Brasilien über Zürich nach Düsseldorf geflogen und anschließend mit dem Zug weitergereist. Wenige U vor seiner Abreise in Brasilien habe er Besuch von zwei ihm bis dahin unbekannten Personen erhalten. Diese hätten ihm gegenüber geäußert, dass es Probleme mit einer weiteren Person gegeben habe, die zwei Koffer nach Brasilien habe bringen sollen. Sie hätten ihn gefragt, ob es ihm etwas ausmachen würde, diese zwei Koffer aus den Niederlanden nach Brasilien zu bringen, da er schließlich bereits in die Bundesrepublik reise. Er habe ihnen gegenüber geäußert, dass er hierzu keine Zeit habe. Die beiden Personen hätten ihm daraufhin gesagt, dass er über das Angebot nochmal nachdenken solle. Drei U vor seiner Abreise seien sie erneut bei ihm erschienen, und hätten dieses Mal ein weitaus aggressiveres Verhalten gezeigt. Sie hätten ihm gegenüber geäußert, dass sie keine andere Möglichkeit zur Abwicklung des Geschäftes sehen würden, als dass er diese zwei Koffer in den Niederlanden abholen würde. Um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, hätten sie ihm eine 9 mm Pistole an den Kopf gehalten; anschließend seien sie gegangen. Aufgrund des Vorfalles habe er sich aus Angst bereits zwei U vor seiner Abreise bei einem Freund aufgehalten und eine Freundin habe er unter Hinweis auf die Vorfälle angewiesen, nicht nur für seinen zurückgelassenen Hund zu sorgen, sondern auch im Haus nach dem Rechten zu schauen. Am 06.01.2014, als er bereits in Deutschland bei seiner Mutter und Schwester gewesen sei, habe er bei dieser Freundin angerufen, die ihm berichtet habe, dass die Drogenhändler bei ihm im Haus gewesen seien, sie mit der Waffe bedroht und geäußert hätten, dass sie wüssten wo seine Tochter lebe. Sollte er am 07.01.2014 nicht die Koffer in den Niederlanden abholen, würden sie seine Tochter töten. Hierzu hätten sie als Kontaktpersonen einen Brasilianer namens yx angegeben, den er am besagten Tag gegen 15:00 Uhr vor dem Hotel „xx“ in xxx habe treffen sollen. Seiner Mutter und seiner Schwester habe er von den Vorfällen nichts erzählt. Er habe aufgrund der Bedrohungen keinen anderen B-Weg gesehen, als den Anweisungen Folge zu leisten und schließlich auch den Rückflug auf den 08.01.2014 umzubuchen. Er habe sich ein Zugticket nach Amsterdam gekauft und habe dort den Brasilianer um 15:00 Uhr getroffen. Sie seien ein Stück mit der Straßenbahn gefahren, dann sei er ausgestiegen und habe die beiden Koffer geholt. Noch am Bahnhof habe der Brasilianer kontrolliert, dass er sich auch ein Rückfahrticket bis nach Düsseldorf gekauft hätte. Auf der Rückfahrt, die er einen Tag später angetreten sei, sei er dann von der Polizei kontrolliert und das Rauschgift sichergestellt worden.
13Die Angaben des Angeklagten zu den Hintergründen der Tat sind als bloße Schutzbehauptung widerlegt. Vielmehr ist die Kammer davon überzeugt, dass der Angeklagte die Tat aus freien Stücken als bezahlter Kurier beging. Bereits die allgemeine Lebenserfahrung spricht dagegen, dass sich etwaige Hinterleute durch Zwang eines Kurieres bedienen, der bislang einer solchen Tätigkeit nicht nach gegangen ist, um eine Ware von derart hohem Wert (min. ca. 200.000 EUR) über eine derart weite Entfernung zu transportieren. Denn hierdurch würden sie sich nicht nur einem erheblichem finanziellen Risiko, sondern auch einem sehr hohen Entdeckungsrisiko – auch durch die Unterrichtung einer weiteren Person in Form der angeblichen Freundin des Angeklagten - aussetzen. Zudem ist kaum nachvollziehbar, dass der Angeklagte selbst das Haus aus Angst verlässt, wohl aber eine Freundin, die er von den Vorfällen unterrichtet haben will, zur Überwachung einsetzt. Die Angaben des Angeklagten weisen im Übrigen Brüche, Ungereimtheiten und Widersprüche auf. Bereits sein Aussageverhalten ist wechselhaft. Nachdem er im Rahmen des Aufgriffs zunächst geleugnete hatte, dass der weitere (zweite) Koffer zu ihm gehöre, gab er noch im Rahmen seiner verantwortlichen Vernehmung vom 08.01.2014 an, dass er zum Einkaufen nach Amsterdam gereist sei und dort in einer Bar einen Mann, einen Brasilianer namens xx, zufällig getroffen habe. Dieser habe ihm gesagt, dass er zwei Koffer zum Bahnhof nach Düsseldorf transportieren solle. Für den Transport habe er 200 EUR Vorschuss erhalten, in Düsseldorf habe er weitere 300 EUR erhalten sollen. Zu den Hintergründen seines wechselhaften Aussageverhaltens gab er nun in der Hauptverhandlung an, dass er am 08.01.2014 die Wahrheit nicht gesagt habe, aus Angst vor möglichen Repressalien zu Lasten seiner Tochter. Auch dies ist als bloße Schutzbehauptung zu qualifizieren, da auch die zuletzt – wie bereits im Schriftsatz vom 21.02.2014 - getätigten Angaben des Angeklagten nicht zu einer Identifizierung der Hinterleute führen konnten. Zudem tätigte er schon in seiner Vernehmung vom 08.01.2014 Angaben zu dem angeblichen Verkäufer „xx“. Darüber hinaus hat auch der Angeklagten nicht angeben können, weshalb die von ihm benannten zwei Personen, die ihm in Brasilien gedroht haben sollen, gewusst haben könnten, dass er über Weihnachten seine Familie in Deutschland besuchen würde. Schließlich sind seine Angaben zu den Hintergründen der Tat in wesentlichen Teilen auch nicht mit der objektiven Sachlage in Einklang zu bringen. Denn ausweislich der in der Hauptverhandlung verlesenen Urkunden erfolgte die Umbuchung des Fluges bereits am 05.01.2014. Zu diesem Zeitpunkt war er, seine eigenen Angaben zugrundegelegt, noch überhaupt nicht von seiner Bekannten über die weiteren Drohungen und genaueren Modalitäten hinsichtlich des Koffertransportes in Kenntnis gesetzt worden.
14Im Übrigen ist das Geständnis des Angeklagten jedoch glaubhaft. Denn er wurde, wie die Zeugen L und PHM xx berichteten, aufgrund einer Routinekontrollen kontrolliert und die Betäubungsmittel wurden in einem auch von den Angeklagten als den Seinigen bezeichneten Koffer sowie in einem weiteren baugleichen Koffer sichergestellt. Auffällig war nach den Angaben der Beamten, dass in beiden Koffern nur wenige Kleidungsstücke gelegen hätten, in einem Koffer zudem mit Pfeffer bestreut, das Gewicht der Koffer aber erheblich und mit der Anzahl der transportieren Kleidung nicht in Einklang zu bringen gewesen sei. Aufgrund dessen habe man sich zu einer genaueren Nachschau entschlossen.
15Ein mitreisender Fahrgast habe, wie die Zeugen L, PHM xx und T berichteten, angegeben, wie letztlich auch vom Angeklagten eingestanden, dass auch der zweite Koffer von dem Angeklagten in den Zug eingebracht worden sei.
16Das Rauschgift betreffend folgt neben der geständigen Einlassung des Angeklagten bereits aus der großen Menge der jeweils transportierten Drogen, dass diese zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt waren. Die Feststellungen zur Art und (Wirkstoff-)menge des tatbetroffenen Rauschgifts beruhen auf den in der Hauptverhandlung verlesenen Gutachten des bwz vom 05.03.2014 sowie vom 17.04.2014.
17Der Angeklagte nahm die festgestellte tatsächliche Menge an Ecstasy-Tabletten mit den Wirkstoffen MDMA/4-Fluoramfetamin billigend in Kauf und hielt diese auch für möglich. Denn er wusste, dass er Betäubungsmittel transportierte, und wusste um deren erhebliches Gewicht, weil er sie mittels der beiden Koffer in den ICE eingebracht hatte.
18IV. Rechtliche Würdigung
19Nach dem festgestellten Sachverhalt hat sich der Angeklagte der Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG) in Tateinheit (§ 52 StGB) mit Beihilfe (§ 27 StGB) zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) schuldig gemacht.
20Der Angeklagte hat den Einfuhrtatbestand eigenhändig verwirklicht, war mithin insoweit Täter und nicht lediglich Gehilfe. Hinsichtlich des Handeltreibens war der Angeklagte, der nach dem Zweifelssatz als weisungsgebundener Kurier anzusehen ist, demgegenüber nur Gehilfe (§ 27 StGB).
21Eine „nicht geringe Menge“ im Sinne des BtMG liegt bei den gegenständlichen Ecstasy-Tabletten (u.a.), die sowohl den Wirkstoff MDMA, als auch den Wirkstoff 4-Fluoramfetamin aufwiesen, ab 30 Gramm MDMA-Base und jedenfalls ab 15 Gramm Fluoramfetamin-Base vor.
22Die Kammer hat sich bei dieser Festlegung hinsichtlich der „nicht geringe Menge“ von 4-Fluoramfetamin von folgenden, insbesondere auf den überzeugenden Ausführungen des BKA-Sachverständigen Dr. E, der die Kammer umfassend über die Wirkstoffe der vorliegenden Droge und die sich daraus ergebenden Gefahren für den Verbraucher in seinem verlesenen Gutachten vom 09.12.2013 zu unterrichten vermochte, beruhenden Erwägungen leiten lassen:
23Struktur des Wirkstoffes:
244-Fluoramfetamin, para-Fluoramfetamin, 4-FA, PFA oder 4-FMP sind Trivialnamen für den Wirkstoff (RS)-1-(4-Fluorphenyl)propan-2-amin aus der Stoffgruppe der beta-Phenylethyl-amine. Es leitet sich vom Amfetamin ab, wobei es in para-Position des Phenylringes eine Halogensubstitution (Fluor-Atom) erfolgte.
25Wirkungsweise:Die ATS entfalten ihre Wirkung auf indirekte Art und Weise, indem sie die Konzentration der zwischen zwei Nervenenden agierenden Neurotransmitter (Adrenalin, Dopamin, Serotonin) massiv erhöhen. Dies geschieht dadurch, dass sie die physiologischer weise stattfindende Inaktivierung der Neurotransmitter durch Rückspeicherung in ihre Speichervesikel verhindern. Gleichzeitig hemmen die ATS das Enzym, welches die Neurotransmitter durch Oxidation an der Aminogruppe unwirksam macht. Daher werden die ATS pharmakologisch als indirekt wirksame Sympathomimetika bezeichnet.
26Tierexperimentelle Studien mit 4-Fluoramfetamin weisen auf eine dem Dexamfetamin vergleichbare dopaminerge Potenz mit zusätzlicher serotonerger Aktivität hin. Jedoch sind die serotonerge Wirksamkeit und Neurotoxizität wesentlich geringer als die ähnlicher Substanzen, wie 4-Bromamfetamin und 4-Jodamfetamin. Die serotonerge Potenz und die Neurotoxizität para-Halogen substituierter Amfetamine nimmt mit der Ordnungszahl des Halogen-Substituenten zu (4-FA < 4-CA < 4-BA < 4-IA), während umgekehrt die Wiederaufnahmehemmung von Dopamin bei 4-FA stärker ausgeprägt ist als bei 4-CA oder 4-IA.
27Das Wirkungsspektrum resultiert aus einer Stimulierung des Zentralnervensystems (ZNS) und peripher-somatischen, autonomen Effekten über den sympathischen Nervenstrang, auf den kein Willenseinfluss möglich ist.
28Die Aufgabe des sympathischen Nervensystems des Menschen besteht global in der Aktivierung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit bis hin zu der Fähigkeit, den Organismus bei lebensbedrohlichen Einwirkungen auf maximale Leistungsfähigkeit innerhalb kürzester Zeit einzustellen.
29Durch den erhöhten Sympathikotonus und in Abhängigkeit vom physiologischen Verteilungsmuster der alpha- und beta-Rezeptoren in der Peripherie kommt es zu Steigerungen von Herzfrequenz, Kontraktionskraft und Blutdruck, reduzierter Haut- und Schleimhaut- sowie erhöhter Muskel-Durchblutung, Reduktion des Tonus der Bronchialmuskulatur und Steigerung des Metabolismus.
30Im Gehirn (ZNS) gibt es eine Reihe von spezifischen Hirnarealen, in denen die genannten Neurotransmitter Transporterfunktionen haben, die im Zusammenhang mit dem Schlaf-Wach-Rhythmus und Stimmungsverhalten stehen. Der Mensch verfügt im Gesundheitszustand auch bei Vollbringung großer körperlicher Leistungsfähigkeit stets über sogenannte Schutzreserven, die es ihm ermöglichen, in extremen Situationen noch verstärkte Leistungen zu erbringen. Eine der gravierenden Nebenwirkungen aller ATS ist, dass diese Schutzreserven angegriffen werden bzw. aufgebraucht werden können, d. h. die physiologischen Speicher in den Nervenendigungen buchstäblich leer sind. Als Folge eines solchen Zustandes kann der Organismus auf Anforderungen nicht mehr reagieren und einer vollkommenen Erschöpfung unterliegen, die tödlich enden kann.
31Die zentral stimulierende Wirkung von 4-FA äußert sich unter anderem in der Steigerung von Konzentrationsfähigkeit, Leistungs- und Entscheidungsbereitschaft, psychophysischer Aktivität sowie in Unterdrückung von Müdigkeit und körperlicher Abgeschlagenheit.
32Insbesondere bei missbräuchlicher Anwendung kann dies zu einer Verkennung der Grenzen des Leistungsvermögens bis hin zum Zusammenbruch physiologischer Funktionssysteme, bei Überdosierung zum Tode führen.
33Die am häufigsten berichteten psychiatrisch relevanten Nebenwirkungen sind psychische Reaktionen wie Psychosen, Depressionen, Nervosität, Unruhe, Bruxismus (Kiefernverspannungen), Schlafstörungen und Schwindelgefühle und die am häufigsten berichteten kardialen Nebenwirkungen sind Tachykardie, Herzklopfen, Hypertonie und präkardiale Schmerzen.
34Das Wirkstoffdossier von Dexamfetamin weist direkt auf ein Abhängigkeitspotential hin. Dessen Einnahme kann bei nicht bestimmungsgemäßem Gebrauch zu Missbrauch und Entwicklung einer Abhängigkeit führen. Dabei können, in höheren Dosen und über längere Zeit angewendet, psychische Störungen (halluzinatorische Erlebnisse und Psychosen) auftreten.
35Entscheidend für das Wirkprofil sind neben der Konsumform und Dosis das individuelle Gesamtbefinden des Konsumenten („Set“) und die Umgebungsbedingungen („Setting“) während der Wirkungsphase. Hierzu zählen solche Faktoren wie der allgemeine Gesundheitszustand, das Lebensalter, Geschlecht, der individuelle Biorhythmus, die Gefühlslage, der Ernährungszustand, Gruppendynamik, Raumklima, akustische und visuelle Reize, körperliche Aktivitäten, Konsumgewohnheiten, Polytoxikomanie usw.
36„Nicht geringe Menge“:
37Hinsichtlich der qualitativen und quantitativen Wirkstoffbestimmung bei diesem Wirkstoff beruhen die Feststellungen der Kammer auf den detaillierten Ausführungen des Sachverständigen in seinem Gutachten. Auf der Grundlage dessen sowie der vom BGH angelegten Maßstäbe sieht die Kammer als Grenzwert für die so genannte "nicht geringe Menge" im Sinne des § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG beziehungsweise § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG bei dem 4-Fluoramfetamin einen Wert von jedenfalls 15 Gramm 4-Fluoramfetamin-Base an.
38Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 07.11.1983 – 1 StR 721/83, NStZ 1984, 221 zu Heroin; BGH, Urteil vom 18.07.1984 – 3 StR 183/84, NJW 1985, 1404 zu Cannabis; BGH, Urteil vom 01.02.1985 – 2 StR 685/84, NJW 1985, 2771 zu Kokain; BGH, Urteil vom 11.04.1985 – 1 StR 507/84, NStZ 1986, 33 zu Amphetamin; BGH, Urteil vom 01.09.1987 – 1 StR 191/87, NStZ 1988, 28 zu LSD; BGH, Urteil vom 22.12.1987 – 1 StR 612/87, BGHSt 35, 179 zu Morphin; BGH, Urteil vom 09.10.1996 – 3 StR 220/96, BGHSt 42, 255 zu Ecstasy/MDE/MDEA; BGH, Beschluss vom 15.03.2001 – 3 StR 21/01, NJW 2001, 1805 zu MDMA; BGH, Urteil vom 18.12.2002 – 1 StR 340/02 zu Methamphetamin/Crystal-Speed; BGH, Urteil vom 28.10.2004 – 4 StR 59/04 zu Khat; BGH, Urteil vom 24.04.2007 – 1 StR 52/07 zu Buprenorphin; BGH, Urteil vom 02.11.2010 – 1 StR 581/09, BGHSt 56, 52 zu Benzodiazepinen/Zolpidem; BGH, Urteil vom 17.11.2011 – 3 StR 315/10 zu Methamphetaminracemat) ist der Grenzwert der nicht geringen Menge eines Betäubungsmittels in Abhängigkeit von dessen konkreter Wirkungsweise und Wirkungsintensität festzulegen. Maßgeblich ist zunächst die äußerst gefährliche, gar tödliche Dosis des Wirkstoffs. Fehlen hierzu gesicherte Erkenntnisse, so errechnet sich der Grenzwert als ein Vielfaches der durchschnittlichen Konsumeinheit eines nicht an den Genuss dieser Droge gewöhnten Konsumenten, das zu bemessen ist nach Maßgabe der Gefährlichkeit des Stoffs, insbesondere seines Abhängigkeiten auslösenden oder sonst die Gesundheit schädigenden Potenzials. Lassen sich auch zum Konsumverhalten keine ausreichenden Erkenntnisse gewinnen, so entscheidet ein Vergleich mit verwandten Wirkstoffen.
39Für 4-FA liegen derzeit keine wissenschaftlich fundierten Daten über eine „äußerst gefährliche Dosis“ oder therapeutisch effektive Einzel- oder Tagesmaximaldosen vor.
40Die Angaben zu den „szenetypischen Durchschnittsdosierungen mit spürbarer Wirksamkeit“ bewegen sich in den verfügbaren Medien/Internetplattformen in einem Bereich beginnend mit etwa 30mg bis zu 180mg als Höchstangabe für die orale oder nasale Applikation, bevorzugt in Kapselform oder als Pulver/Kristalle. Bei nasalem Konsum kommt es zur Reizung der Nasenschleimhäute („essigsäureartiges Brennen“). Nach oraler Aufnahme tritt die Wirkung innerhalb von 60 Minuten ein und kann bis zu 10 Stunden anhalten. Angaben über Plasmakonzentrationen, das konkrete metabolische Verhalten, die Eliminationshalbwertzeit und Ausscheidung beim Menschen sind derzeit nicht verfügbar.
41Als Ansatzpunkt für die Abschätzung des vom BGH in Bezug genommenen „Schwellwertes“, bezogen hier auf 4-FA, bieten sich in Hinblick auf tierexperimentelle Daten und Strukturähnlichkeiten zu/über Dexamfetamin die dortigen Empfehlungen an. Dexamfetamin ist im Rahmen einer therapeutischen Gesamtstrategie zur Behandlung von ADHS (therapierefraktäre Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung) bei Kindern ab 6 Jahren und Jugendlichen indiziert, wenn andere medikamentöse und nicht-medikamentöse therapeutische Maßnahmen nicht ausreichend wirksam sind. Als Initialdosen werden 5 - 10mg Dexamfetamin/Tag (in Form des Hemisulfatsalzes, entsprechend 3,7 bzw. 7,4 mg Base) empfohlen und die sukzessive Erhöhung bis zu einer maximalen Tageshöchstdosis von 60 mg/Tag, wobei die Tagesdosis üblicherweise auf mehrere Gaben aufgeteilt wird.
42Vor dem Hintergrund der o. g. Informationen, den bevorzugten Konsumformen und entsprechenden „Szene-Dosierempfehlungen“ sowie fehlenden Angaben zu therapeutischen Maximaldosen, kann eine Konsumeinheit von 50 mg bis 70mg (Hydrochlorid-Salz), bezogen auf die nasale und auch orale Applikation, für einen Drogenunerfahrenen als wirksame Dosis postuliert werden. Vergleicht man diese Wirkstoffmenge und die Dosierempfehlungen für Dexamfetamin (Einzeldosis max. 10mg), dann entspricht sie der mindestens fünffachen maximalen „Schwellwertdosierung“ für eine therapeutische Indikation.
43Mit dem Richtwert von 200 Konsumeinheiten wird einerseits ein Faktor eingesetzt, der in den bisherigen Entscheidungen zu vergleichbaren ATS bevorzugt wurde und der andererseits die pharmakologischen, forensischen und polizeilichen Erkenntnisse integriert sowie das Gefährdungspotential nicht humanpharmakologisch erforschter Wirkstoffe gewichtet.
44Ausgehend von diesen o. g. Bezugsgrößen lässt sich für das Betäubungsmittel4-Fluoramfetamin - (RS)-1-(4-Fluorphenyl)propan-2-amin - eine „nicht geringe Menge“ im Sinne des § 29a BtMG von maximal 14g 4-Fluoramfetamin-Hydrochlorid (entsprechend 200 Konsumeinheiten zu je 70 mg), entsprechend 11,3g 4-Fluoramfetamin-Base postulieren. Unter Hinzurechnung eines „Sicherheitszuschlags“ ist die Kammer daher als Grenzwert von 15 Gramm 4-FA-Base ausgegangen.
45Ausgehend hiervon war der Grenzwert zur nicht geringen Menge hier um (insgesamt) das 113-fache überschritten.
46V. Strafzumessung
47Ausgangspunkt der Strafzumessung ist der durch § 30 Abs. 1 BtMG bestimmte Strafrahmen, der Freiheitsstrafe von 2 bis 15 Jahren vorsieht.
48Eine Gesamtabwägung der Strafzumessungsgesichtspunkte ergibt, dass ein minder schwerer Fall im Sinne des § 30 Abs. 2 BtMG trotz der im Wesentlichen geständigen Einlassung und der anderen nachfolgend angeführten Strafmilderungsgründe angesichts der ganz erheblichen Menge des tatbetroffenen Rauschgifts nicht vorliegt. Erschwerend kommt hinzu, dass der Angeklagte neben der Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge mit der Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge einen weiteren Verbrechenstatbestand erfüllt hat.
49Eine Strafmilderung nach §§ 31 BtMG, 49 Abs. 1 StGB kommt dem Angeklagten nicht zu Gute. Er hat nicht in einer Weise Namen seiner Auftraggeber genannt oder andere Angaben zu Hinterleuten gemacht, die als Ansätze zu weiteren Ermittlungen hätten dienen können.
50Innerhalb des Normalstrafrahmens hat die Kammer insbesondere strafmildernd berücksichtigt, dass der Angeklagte sich im Wesentlichen geständig eingelassen hat. Zu seinen Gunsten wirkte sich auch aus, dass er hinsichtlich des Gesamtgeschäfts als Kurier nur eine untergeordnete Rolle spielte. Strafmildernd wurde auch berücksichtigt, dass das Rauschgift sichergestellt werden konnte und somit nicht in den Verkehr gelangte. Seine Haftempfindlichkeit ist dadurch erhöht, dass der Angeklagte F ist und sich für ihn im Ausland in Haft befindet.
51Dass der Angeklagte sich schon seit einigen Monaten in Untersuchungshaft befindet, hat dagegen hier keinen strafmildernden Wert, da er ja ohnehin zu einer weit längerfristigeren Freiheitsstrafe verurteilt wird. Der Freiheitsentzug durch Untersuchungshaft als solcher stellt bei Verhängung einer zu verbüßenden Freiheitsstrafe wegen der vollen Anrechenbarkeit nach § 51 StGB grundsätzlich keinen strafmildernd zu berücksichtigenden Nachteil für den Angeklagten dar (BGHR StGB § 46 Abs. 2 Lebensumstände 18; BGH wistra 2001, 105; BGH NStZ-RR 2003, 110; BGH, Beschluss vom 13.10.2011 – 1 StR 407/11). Anders mag dies sein, wenn im Einzelfall besondere Umstände hinzutreten wie eine besondere Beeindruckung eines Täters durch den Freiheitsentzug, die dazu führte, dass gegen ihn eine Bewährungsstrafe verhängt werden kann. Solche Besonderheiten liegen hier aber nicht vor.
52Strafschärfend musste sich auswirken, dass der Wirkstoffgehalt der sichergestellten Ecstasytabletten um das 113-fache den Grenzwert der „nicht geringen Menge“ überstieg und, dass er neben der Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge mit der Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge einen weiteren Verbrechenstatbestand schuldhaft verwirklicht hat.
53Nach Abwägung aller für die Strafzumessung erheblichen Umstände ist eine Freiheitsstrafe von
544 Jahren
55tat- und schuldangemessen.
56VI. Nebenentscheidungen
57Die Einziehung des sichergestellten Rauschgiftes beruht auf § 33 BtMG.
58Der Verfall war in Höhe von 200,00 € anzuordnen. Mindestens in dieser Höhe hat der Angeklagte für die Durchführung seiner Tat einen Kurierlohnvorschuss erhalten und diese konkreten Geldscheine auch noch beim Aufgriff im Besitz gehabt, wovon in einer Gesamtschau, insbesondere aufgrund der insoweit glaubhaften Angaben in seiner Vernehmung vom 08.01.2014, wie von den Zeugen T und ZBI xx berichtet, auszugehen ist. Auch die L und PHM xx haben ausgesagt, dass der Angeklagte beim Aufgriff insgesamt 360,00 € Eigengeld in bar bei sich führte. Angesichts des relativ geringen Betrages liegt auch unter Berücksichtigung der finanziellen Verhältnisse des Angeklagten keine unbillige Härte (§ 73c Abs. 1 S. 1 StGB) vor. Von der Ermessensvorschrift des § 73c Abs. 1 S. 2 StGB hat die Kammer keinen Gebrauch gemacht; eine Gefährdung der Resozialisierung ist angesichts des übersichtlichen Betrages mit der Anordnung nicht verbunden.
59Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 464, 465 Abs. 1 StPO.
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