Urteil vom Landgericht Kleve - 170 KLs-103 Js 234/13-5/13
Tenor
Es werden kostenpflichtig verurteilt
- der Angeklagte O einer Freiheitsstrafe von
6 Jahren und 9 Monaten.
- der Angeklagte L einer Freiheitsstrafe von
4 Jahren und 9 Monaten.
Die sichergestellten Betäubungsmittel 742 Gramm Methylon, ca. 2.568 Gramm MDPV, ca. 1.055 Gramm JWH-018, ca. 1.010 Gramm JWH-122, ca. 341 Gramm Zubereitung aus JWH-018 und JWH-210, ca. 311 Gramm JWH-122, ca. 1.027 Gramm JWH-203, ca. 1.088 Gramm 4-Methylethcathinon, ca. 147 Gramm Methylenethcathinon , ca. 76 Gramm 4 Fluoramphetamin-Hydrochlorid und ca. 1.431 Gramm MDPV-Zubereitung werden eingezogen.
Der Pkw T1, amtliches Kennzeichen XX-XX XXX, wird eingezogen.
Der erweiterte Verfall wird bezüglich der bei dem Angeklagten L am 10.05.2014 sichergestellten 288 Euro, bezüglich der bei dem Angeklagten O am 10.05.2014 sichergestellten 3.630 Euro und der in der Wohnung L-T-Straße, F, am 10.05.2014 sichergestellten 1.000 Euro angeordnet.
§§ 1, 3, 30 a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2, 33 BtMG, 27, 73, 73 d, 74 StGB
1
Gründe:
2(abgekürzt gem. § 267 Abs. 4 StPO)
3Nachdem die Angeklagten jedenfalls seit Spätsommer/Herbst des Jahres 2012 gemeinsam mit dem gesondert verfolgten E die unter das Betäubungsmittelgesetz fallenden Stoffe JWH-018, JWH-122, JWH-203, JWH-210 und Methylendioxypyrovaleron (MDPV) fast täglich nach arbeitsteilig durchgeführter Beschaffung, Sortierung und Verpackung über die Poststation in F an Abnehmer in Deutschland und dem europäischen Ausland versandten, wurden nach polizeilichen Ermittlungen am 10.05.2013 in der von den Angeklagten als Lager und Abpackstation genutzten Wohnung auf der L-T-Straße in F in großem Umfang weitere synthetische Drogen aufgefunden und sichergestellt, die ebenfalls zum entsprechenden Versand bestimmt waren.
4I. Feststellungen zu den Personen
51.
6Der zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung 21 Jahre alte Angeklagte O ist in den Niederlanden geboren und aufgewachsen. Er hat zwei ältere Schwestern. Als er 12 Jahre alt war, trennten sich seine Eltern.
7Der Angeklagte O besuchte in den Niederlanden eine weiterführende Schule – vergleichbar mit einem deutschen Gymnasium –, die er erfolgreich abschloss. Nach seinem Schulabschluss arbeitete er zunächst einige Monate und begann dann ein Wirtschaftsstudium an der Universität von Amsterdam. Nachdem er das erste Studienjahr erfolgreich abgeschlossen hatte, befand er sich zum Zeitpunkt seiner Festnahme im zweiten Studienjahr. Wohnen blieb er bei seiner Mutter.
8Ungefähr im Alter von 14 Jahren konsumierte er erstmalig Alkohol; mit 15/16 Jahren zum ersten Mal Marihuana. Im Anschluss begann er mit dem Konsum von Amphetaminen bzw. amphetaminartigen chemischen Drogen und auch Kokain. Er konsumierte – aufgrund seiner ausgeprägten Kenntnis über die Wirkung der unterschiedlichen Stoffe – die Drogen stets kalkuliert. Zu einer Konsumsteigerung oder gar einer Überdosierung kam es nicht.
9Mit dem gesondert verfolgten E ist er bereits seit seiner Kindheit befreundet.
10Vorstrafen des Angeklagten sind nicht bekannt geworden.
11Seit dem 11.05.2013 befindet er sich in dieser Sache aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Kleve vom selben Tage in Untersuchungshaft.
122.
13Der zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung 23 Jahre alte Angeklagte L ist in den Niederlanden geboren und gemeinsam mit einer älteren Schwester im elterlichen Haushalt aufgewachsen. Er besuchte die „Basisschule“ – vergleichbar mit der deutschen Hauptschule – und anschließend eine Berufsschule, die er im Alter von 16 Jahren als gelernter Maler abschloss. Im Anschluss begann er eine weitere Ausbildung, die er jedoch abbrach. Mit 18 Jahren ging er zum Militär in den Niederlanden. Auch seine Ausbildung beim Militär brach er ab. In der Folgezeit lebte er wieder von Gelegenheitsjobs.
14Im Alter von 14 Jahren begann der Angeklagte L mit dem Konsum von Cannabis. Bis er 17 Jahre alt war konsumierte er regelmäßig. Seit seiner Zeit beim Militär ging sein Konsum stark zurück. Zuletzt rauchte er Cannabis nur abends um besser einschlafen zu können. Jedenfalls JWH-018 hat er bereits ausprobiert.
15Vorstrafen des Angeklagten sind nicht bekannt geworden.
16Seit dem 11.05.2013 befindet er sich in dieser Sache aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Kleve vom selben Tage in Untersuchungshaft.
17II. Feststellungen zur Sache
181. Vorgeschichte
19Der Zeuge G betrieb, jedenfalls im Jahre 2012, einen Internetshop namens „Spicestore“, über den er synthetische Stoffe – sog. Research Chemicals –, die allein dazu dienen, bei dem Konsumenten einen mit bekannten Drogen wie Cannabis, Kokain und Amphetamin vergleichbaren Rauschzustand hervorzurufen, verkaufte. Zu Beginn des Jahres 2012 traf sich der Zeuge G mit dem gesondert verfolgten Zeugen E, da dieser sich für den von Herrn G betriebenen Internetshop interessierte. E und Herr G trafen sich ca. 1 Woche später ein 2. Mal um über den Internetshop zu sprechen. Bei diesem Gespräch war auch der Angeklagte O anwesend. Ein paar Wochen später traf der Zeuge G E auch zweimal gemeinsam mit dem Angeklagten L in D. Bei diesen Treffen sprachen sie jedoch nicht über den Internetshop sondern über die Einrichtung von „Konten im Ausland“.
20In der Zeit zwischen den Gesprächen mit Herrn G und August 2012 eröffnete der Zeuge E u.a. einen Internetshop namens „spicestore247“ und einen Internetshop namens „ezchem“, über die ebenfalls synthetische und teilweise dem deutschen Betäubungsmittelgesetz unterliegende Stoffe vertrieben wurden. Jedenfalls wurde der seit Mitte des Jahres 2009 dem Betäubungsmittelgesetz unterliegende Stoff JWH-018 über die Shops verkauft.
21Der Zeuge E erläuterte den Angeklagten seine Idee, einen Internetshop vergleichbar mit dem des Zeugen G zu betreiben. Die Angeklagten und E beschlossen nun gemeinsam und arbeitsteilig Handel mit synthetischen Drogen über das Internet zu betreiben.
22Ob diese Internetshops – von dem Zeugen E betrieben – bereits bestanden, als die Angeklagten und E beschlossen nunmehr gemeinsam den Vertrieb der Stoffe zu betreiben, konnte nicht festgestellt werden.
23Den Internetshop „rc-supply“ eröffnete vermutlich der Zeuge G – möglicherweise aufgrund der neuen Konkurrenz durch die Shops des E – Anfang Juli 2012.
24Nachdem durch die 26. Verordnung zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften weitere Stoffe – u.a. 4-Fluoramfetamin, JWH-122, JWH-203, JWH-210, MDPV – dem Betäubungsmittelgesetz unterstellt wurden, sprach der Zeuge G den anderweitig verfolgten E darauf an. Dieser nahm die nunmehr dem Betäubungsmittelgesetz unterfallenden Stoffe – im Gegensatz zu dem Zeugen G, der u.a. in seinem Internetshop „rc-supply“ am 26.07.2012 auf die Änderung des Betäubungsmittelgesetzes hinwies – jedoch nicht aus dem Angebot seines Internetshops.
25Die über den Internetshop www.spicestore247.biz vertriebenen Stoffe bezog der anderweitig verfolgte Zeuge E aus Asien.
26Portioniert und verpackt für den Versand an die Kunden des Online-Shops wurden die Stoffe zunächst durch den Angeklagten L in einer durch E gemieteten Wohnung in H, YY XX, in der der Angeklagte L auch wohnte. Da der Post- und Paketversand aus den Niederlanden nach Deutschland und in weitere europäische Länder deutlich teurer war als alle Sendungen in Deutschland aufzugeben, entschieden sich die Angeklagten und E ihre Sendungen in F am Rhein aufzugeben. Dazu fuhr zunächst E jedenfalls seit August 2012 regelmäßig nach F um dort bei der Post die Pakete mit den „Research Chemicals“ aufzugeben. Die Postsendungen wurden mit den fiktiven Absenderadressen: Flash Data B.V./Oberhausen, Flash Data B.V./Ludwigshafen, Flash Data B.V./H, Ellipsis B.V./H und/oder Kimiko B.V./ H versehen, die dazu dienen sollten, den wahren Absender zu verschleiern. Möglicherweise standen hinter den Firmenbezeichnungen noch existierende, jedoch mangels Geschäftsbetriebs leere Firmen-„Mäntel“, die die Angeklagten und E oder auch nur einer von ihnen möglicherweise aus (ebenfalls strafrechtlich relevanten) steuerlichen Gründen besaßen. Den Postmitarbeitern in F sagte E, damit diese nicht argwöhnisch werden, dass sich in den Postsendungen Computer- oder Handyteile befänden.
27Da die Vielzahl an Bestellungen sehr häufige Fahrten aus H zur Post nach F erforderlich machten, beschlossen die Angeklagten und E gemeinsam eine Wohnung in F anzumieten, in der die Substanzen gelagert und versandfertig gemacht werden sollten. Der Angeklagte O mietete daher jedenfalls ab Anfang des Jahres 2013 die Wohnung auf der L-T-Straße in F an. Vermutlich der Angeklagte O und E richteten die Wohnung ein und statteten sie mit Computer, Drucker und Aufbewahrungsfächern für die Substanzen aus. Seit Anmietung der Wohnung hielt der Angeklagte L sich dort dauerhaft auf und portionierte und verpackte die in der Wohnung vorrätig gehaltenen Stoffe. Die nach wie vor aus Asien stammenden und nach H bestellten Stoffe brachte der Angeklagte O regelmäßig mit seinem Auto, T1 XX-XX XXX, von H nach F in die Wohnung auf der L-T-Straße.
28Die Kunden bezahlten die Bestellungen per Nachnahme oder per Vorkasse. Die Gelder gingen auf ein Konto bei der Volksbank in F, Kontonummer #####/####, das am 04.09.2012 eröffnet wurde, des E (Zahlungen per Vorkasse) oder auf ein Konto des Angeklagten O bei der Postbank, Kontonummer #####/####, das am 21.05.2012 eröffnet wurde (Zahlungen per Nachnahme).
29Der Verkaufspreis für 1 Gramm der Stoffe JWH-018, -122, -203 und 210 lag jedenfalls am 25.04.2013 bei 19,95 Euro oder 19,99 Euro. 1 Gramm MDPV kostete 14,95 Euro oder 19,99 Euro, in den Shops „spicestorE47“ und „ezchem“.
30Nach Eingang der Bestellung über die Online-Shops erstellten vermutlich der Angeklagte O und E – und möglicherweise weitere unbekannt gebliebene Beteiligte – Listen, auf denen der bestellende Kunde mit Name und Adresse, die bestellten Substanzen und der zu zahlende Preis vermerkt waren. Diese Listen wurden dem Angeklagten L von E – möglicherweise auch von dem Angeklagten O und gegebenenfalls weiteren unbekannt gebliebenen Beteiligten – jedenfalls per E-Mail zugeschickt. Der Angeklagte L packte diesen Listen folgend die Pakete und versah sie mit Adresse und Absender. Anschließend brachte er die Pakete allein oder gemeinsam mit dem Angeklagten O und/oder E zur Poststation in F. In den letzten Wochen vor dem 10.05.2013 war der gesondert verfolgte E noch ungefähr einmal in der Woche mit auf der Post in F.
31Der Angeklagte O verfügte seit dem 06.08.2012 über ein weiteres Konto in Deutschland bei der Deutschen Bank, Kontonummer #####/####. Über dieses Konto wurden hauptsächlich die laufenden Kosten beglichen. So wurden die Miete für die Wohnung auf der L-T-Straße und die Ausgaben bei der Post in F von diesem Konto gezahlt. Der Angeklagte L verfügte – jedenfalls wenn er sich in F aufhielt – über die EC-Karte für das Konto bei der Deutschen Bank. Er bezahlte – als Gegenleistung für seine Tätigkeit in F – neben den laufenden Kosten für Verpackung und Versand seine täglichen Ausgaben wie für Lebensmittel aber auch neue Kleidung mit dieser Karte. Inwieweit der Angeklagte L zusätzlich Geld für seine Arbeit mit dem Angeklagten O und E bekam, konnte nicht festgestellt werden.
32Der Angeklagte O erhielt für seine Tätigkeit jedenfalls monatlich 1500-2000 Euro. Zudem bezahlte E den 15.000 Euro teuren Wagen des Angeklagten O zum überwiegenden Teil.
332. Tattag
34Am 10.05.2013 hielten die Angeklagten in der Wohnung auf der L-T-Straße in F unter anderem 742 Gramm Methylon, 2.568 Gramm MDPV, 1.055 Gramm JWH-018, 1.010 Gramm JWH-122, 341 Gramm Zubereitung aus JWH-018 und JWH-210, 311 Gramm JWH-122, 1.027 Gramm JWH-203, 1.088 Gramm 4-Methylethcathinon, 147 Gramm Methylenethcathinon, 76 Gramm 4 Fluoramphetamin-Hydrochlorid und ca. 1.431 Gramm MDPV-Zubereitung vorrätig. Darin enthalten waren 1.044 g Reinsubstanz JWH-018, 970 g Reinsubstanz JWH-122, 174 g Reinsubstanz JWH-210, 873 g Reinsubstanz JWH-203 und 2.967 g MDPV-Base. Es handelte sich um insgesamt das 2.344 fache der nicht geringen Menge an JWH-Verbindungen und das 296,7 fache der nicht geringen Menge an MDPV.
35Die Betäubungsmittel, die – wie in den Monaten zuvor von dem Angeklagten O nach F gebracht worden waren – sollten – wie in den Monaten zuvor – den Internetbestellungen zugeordnet, versandfertig gemacht und zu der Postfiliale in F gebracht werden.
36Die Angeklagten wussten, um welche synthetischen Substanzen es sich bei den in F gelagerten und über die Onlineshops vertriebenen Stoffen handelte. Ihnen war bewusst, dass sie von den Kunden zum Konsum als „high“ machendes Rauschmittel gekauft wurden. Dass der Handel mit diesen Stoffen in Deutschland verboten sein könnte, hielten sie jedenfalls für möglich und nahmen sie in Kauf. Ihnen kam es einzig darauf an mit dem Verkauf der Stoffe einen Gewinn zu erwirtschaften.
373. Eigenschaften und Gefährlichkeit der Substanzen
38a. JWH-Verbindungen
39Von Tetrahydrocannabinol (THC), dem psychotropen Wirkstoff von Cannabis-Produkten, ist bekannt, dass es außer zur Rauscherzeugung auch zu medizinischen Zwecken verwendet werden kann (z. B. zur Schmerzlinderung). Seit Jahrzehnten wird auf dem Gebiet der Cannabinoide geforscht, um einerseits die Wirkungsweise von THC besser zu verstehen und um andererseits Wirkstoffe zu entwickeln, die, ohne zu berauschen, therapeutisch genutzt werden können.
40Im Rahmen wissenschaftlicher Studien wurden von einigen Pharmafirmen und Universitäten gezielt Substanzen synthetisiert, die sich an den Wirkungen von THC orientieren sollten. Sie werden deshalb als synthetische Cannabinoide bezeichnet. Bei JWH-Produkten handelt es sich um Aminoalkylindole, die von Prof. Dr. John W. Huffmann, auf dessen Namen auch die Bezeichnung JWH zurückgeht, seit 1989 zur medizinischen Behandlung von Schmerz- und Krebspatienten erforscht werden.
41Bislang wurden mehr als 1000 derartige Verbindungen in Fachzeitschriften publiziert. Es wird weiterhin intensiv an Neuentwicklungen von synthetischen Cannabinoiden geforscht, so dass mit einer Vielzahl weiterer Vertreter dieser Substanzklasse zu rechnen ist.
42Synthetische Cannabinoide nutzen in menschlichen bzw. tierischen Zellen die gleichen Rezeptoren wie THC. Die JWH-Alkylindole reagieren im menschlichen Körper an den Cannabisrezeptoren CB1 und CB2.
43CB2-Rezeptoren wirken in erster Linie modulierend auf das Immunsystem. Für die psychotropen Effekte sind hingegen die Wechselwirkungen der synthetischen Cannabinoide mit den CB1-Rezeptoren, welche hauptsächlich im zentralen Nervensystem lokalisiert sind, verantwortlich.
44Die synthetischen Cannabinoide der JWH-Verbindungen sind hoch potente Wirkstoffe, die im menschlichen Körper als Vollagonisten an die Cannabinoid-Rezeptoren CB1 und CB2 andocken und dabei eine berauschende Wirkung entfalten, die dem natürlichen Tetrahydrocannabinol im Wesentlichen ähnelt. Dabei weisen die JWH-Verbindungen eine deutlich stärkere Affinität auf, an den CB1-Rezeptor zu binden, als Tetrahydrocannabinol. Ein Maß für die Bindungsstärke am CB1-Rezeptor stellt die Affinitätskonstante Ki dar. Je kleiner diese Konstante ist, umso stärker/fester ist die Bindung der Substanz, was wiederum auch eine stärkere Rauschwirkung erwarten lässt.
45Eine Interaktion mit CB1-Rezeptoren kann neben der bekannten Rauschwirkung, vor allem bei Überdosierungen, zu unerwünschten, teilweise beträchtlichen Nebenwirkungen führen.
46Als konkrete körperliche Wirkungen der synthetischen Cannabinoide im Allgemeinen können der Verlust oder Störungen der Bewegungskontrolle, Halluzinationen, Panikattacken und Erhöhung der Herzfrequenz (Tachykardie) auftreten. Ähnlich wie bei Cannabis sind auch Persönlichkeitsveränderungen und Psychosen zu erwarten. Die JWH-Verbindungen stehen außerdem in Verdacht, krebsfördernd zu sein.
47Die konkreten pharmakologischen Wirkungen bei den Konsumenten sind variabel und stark abhängig von der Dosis, der Erwartungshaltung, der Erfahrung sowie der Konsumsituation. Es können eine gehobene Stimmung bis hin zur Euphorie, Störungen der Bewegungskontrolle bis zum Aussetzen von Schutzreflexen, Herzrasen, hoher Blutdruck, starke Unruhe, Krampfanfälle, Übelkeit mit teilweise heftigem und anhaltendem Erbrechen sowie psychotische Störungen, insbesondere Halluzinationen, Angstzustände und Panikattacken, auftreten. Bei starken Intoxikationen infolge von Überdosierungen kann ein lebensbedrohlicher Zustand eintreten.
48b. MDPV
49MDPV ist eine psychotrope Substanz. Es wirkt auf indirekte Art und Weise. MDPV blockiert die Dopamin- und Noradrenalin-Wiederaufnahme in die Speichervesikel durch Blockade der entsprechenden Transporter im Gehirn und regt zusätzlich die Freisetzung von diesen Neurotransmittern aus den Vesikeln an. Das Wirkungsspektrum resultiert aus einer Stimulierung des Zentralnervensystems und peripher-somatischen, autonomen Effekten über den sympathischen Nervenstrang, auf den kein Willenseinfluss möglich ist. Die zentral stimulierenden Wirkungen betreffen unter anderem die Steigerung von Konzentrationsfähigkeit, Leistungs- und Entscheidungsbereitschaft, psychophysischer Aktivität sowie die Unterdrückung von Müdigkeit und körperlicher Abgeschlagenheit. Zu den häufigsten Nebenwirkungen gehören Schlaflosigkeit, Appetitmangel, Kopf-/Magenschmerzen, Verwirrtheit, Panikattacken, Erregbarkeit und Angst. Erhöhter Blutdruck und Agitiertheit können hinzukommen.
50Die Symptome einer akuten Überdosierung sind hauptsächlich auf die Übererregung des Zentralnervensystems und auf übermäßig starke sympathomimetische Effekte zurückzuführen. Folgende Symptome können auftreten: Übelkeit und Erbrechen, Agitiertheit, Tremor, Hyperreflexie, Muskelzuckungen, Schweißausbrüche und Hitzewallungen, Hyperpyrexie, Euphorie, Konfusion, Halluzinationen, Delirium, Tachykardie, Palpitationen, Herzrhythmusstörungen, Hypertonie, Mydriasis und trockene Schleimhäute, Kopfschmerzen, zerebrale Krampfanfälle. Es wurden bereits letal verlaufende Intoxikationen, die im kausalen Zusammenhang mit dem Konsum von MDPV standen, bekannt.
514. Nachtatgeschehen
52Die Angeklagten wurden am 10.05.2013, nachdem sie gerade eine Ladung mit Sendungen zur Post gebracht hatten, in F unter anderem durch die Polizeibeamten X1 und X2 vorläufig festgenommen. Anschließend durchsuchten die Beamten die Wohnung L-T-Straße in F sowie den Pkw des Angeklagten O.
53Die Wohnung, die aus 3 Zimmern, Küche und Bad besteht, war spärlich und funktional eingerichtet. In dem nach Betreten der Wohnung rechterhand gelegenen Raum waren mehrere Plastikboxen, in denen sich synthetische Drogen befanden. Die Boxen waren jeweils mit den Bezeichnungen der Stoffe beschriftet, so u.a JWH-018, Mephedron, JWH-203, Methylone etc. Zudem befanden sich hier eine digitale Feinwaage, ein Label-Writer, ein Laptop sowie eine Briefmarkenrolle. Auch waren drei Kartons mit vor-adressierten Umschlägen in diesem Raum. Auch Kartons mit Verpackungsmaterial befanden sich hier. Die Küche befindet sich den Flur entlang einen Raum weiter auf der rechten Seite. In ihr lagerten leere Pappkartons und Müllsäcke mit Resten von Labeldrucken und silbernen Verpackungsbeuteln. Das Wohnzimmer befindet sich gegenüber der Küche. Hier befanden sich ein weiterer Computer sowie ein Label-Writer und leere Druckverschlusstütchen mit vorgefertigten Labelaufklebern wie JWH-018 u.a.. Auch befanden sich Tüten mit Verpackungsmaterial und Verpackungsmüll im Wohnzimmer. Das Schlafzimmer befand sich nach Betreten der Wohnung direkt links. Dort im Wandschrank befand sich eine Softair-Pistole und eine Pappschachtel mit Geldscheinen (6 x 100 Euro, 8 x 50 Euro). In dem Zwischenraum zwischen Wand und Bett befand sich eine Art gebastelte Axt; ein Stock mit einer daran befestigten Messerspitze. Neben dem Bett lag eine Kiste mit einem Elektroschocker und eine mit einer Softair-Pistole. Weitere Kisten mit Verpackungsmaterial lagerten in der Diele.
54In dem ebenfalls durchsuchten Fahrzeug, T1- XX-XX XXX, befanden sich drei Kartons mit jeweils 100 gepolsterten, unbeschrifteten Briefumschlägen.
55Bei dem Angeklagten O wurden am 10.05.2013 3.630 Euro Bargeld und bei dem Angeklagten L 288 Euro Bargeld sichergestellt.
56Die Angeklagten wurden in den folgenden Tagen polizeilich vernommen. Im Rahmen seiner Vernehmung durch den Zeugen X2 gab der Angeklagte O im Beisein seines Rechtsbeistandes an, dass der Internetshop www.spicestore247.biz von E im Jahr 2012 gegründet wurde. Etwa seit September 2012 sei er in die Geschäfte seines Freundes mit eingestiegen. Dieser habe ihm gesagt, der Handel mit den Substanzen sei legal. Er selbst habe sich im Internet bezüglich der Niederlande erkundigt und sei zu dem Ergebnis gekommen, dass es in den Niederlanden nicht illegal sei. Nach der Rechtslage in Deutschland habe er sich nicht erkundigt. Es sei richtig, dass er von E eine Bankkarte für dessen Konto bekommen habe, allerdings habe auch E diese benutzt. Von E habe er 1.500-2.000 Euro im Monat für seine Tätigkeit bekommen. Er sei „Mädchen für alles“ gewesen. Seit Anfang des Jahres seien die Pakete in F gepackt worden. E würde noch weitere Internetshops betreiben, u.a. den Shop „ezchem“. Die Stoffe seien direkt aus China bestellt, dann abgewogen und in kleinere Tütchen verpackt worden. Der Angeklagte L habe bereits, bevor sie nach F gezogen seien, mitgearbeitet. Er habe bereits in H in der Wohnung YY XX die Stoffe versandfertig verpackt. Auch der Angeklagte L habe für seine Tätigkeit Geld bekommen, er wisse jedoch nicht wie viel.
57Später habe er selbst die Stoffe ca. 1-mal im Monat in mehreren Tüten von der Wohnung in H in die Wohnung in F gebracht. Sein T1 sei überwiegend von E bezahlt worden. E sei der Chef der ganzen Sache gewesen; er und der Angeklagte L nur Arbeiter.
58Der Angeklagte L gab im Rahmen seiner ersten Vernehmung durch den Zeugen X2 im Beisein seines Rechtsbeistandes zunächst an, dass er über den Angeklagten O dazugekommen sei. Dieser habe ihm die bereits fertig eingerichtete Wohnung in F gezeigt. Er habe dem Angeklagten O zunächst beim Verpacken und Zur Post Bringen geholfen. Später habe er es auch allein gemacht. Er habe gewusst, dass er synthetische Drogen verpacke und verschicke. Der Angeklagte O und der Zeuge E hätten ihm gesagt, dass dies in Deutschland legal sei. Für seine Arbeit habe er nichts bekommen. Er habe seine täglichen Einkäufe mit der Bankkarte des Angeklagten O bezahlen können und habe keine Miete zahlen müssen.
59Im Rahmen einer weiteren Vernehmung drei Monate nach seiner Festnahme gab der Angeklagte L im Beisein seines Rechtsbeistandes gegenüber dem Zeugen X2 an, dass er bereits in den Niederlanden Bestelllisten abgearbeitet habe. E würde er seit seinem 18. oder 19. Lebensjahr kennen. In der Wohnung YY habe er gewohnt und auch bereits dort Listen abgearbeitet.
605. Begutachtung
61Bereits vor dem 10.05.2013 wurden – nicht zustellbare – Postsendungen, die von den Angeklagten verschickt wurden, sichergestellt. Das Landeskriminalamt NRW wurde durch die Ermittlungsbehörden mit der Untersuchung der in den Sendungen befindlichen Substanzen beauftragt. Nach der Durchsuchung der Wohnung auf der L-T-Straße vom 10.05.2013 wurde der Untersuchungsauftrag um die an diesem Tag in der Wohnung sichergestellten Stoffe erweitert. Die Untersuchung wurde im Zeitraum vom 26.04.2013 bis zum 31.05.2013 durch die Sachverständigen Dr. Mahler und Dr. Zagermann vorgenommen. Die Analysen der Asservate erfolgten u.a. infrarotspektroskopisch, flüssigkeitschromatographisch sowie kapillargaschromatographisch kombiniert mit Flammenionisations- bzw. massenspektrometischer Detektion. Im Laufe der Hauptverhandlung nahm der Sachverständige Dr. Mahler eine Nachuntersuchung einzelner Rückstellproben der Asservate mittels Nuklearmagnetresonanzspektroskopie vor.
626. Verfahrensbeschränkungen
63Soweit den Angeklagten mit der Anklage vom 09.08.2013 ein unerlaubtes Handeltreiben mit den dem BtMG am 10.05.2013 unterfallenden Stoffen Methylon, Mephedron, 4-Methylethcathinon, Methylenethcathinon und 4-Fluoramphetamin vorgeworfen wurde, wurde das Verfahren auf Antrag der Staatsanwaltschaft im Rahmen der Hauptverhandlung gemäß § 154a StPO auf die Stoffe JWH-018, JWH-122, JWH-203, JWH-210 und MDPV beschränkt.
64III. Einlassungen und Beweiswürdigung
65Über eine Verteidigererklärung hat sich der Angeklagte O wie folgt zu seiner Person eingelassen:
66„Ich wurde am 25.07.1992 in der Nähe der Stadt A in den Niederlanden geboren. Dort habe ich bis zu meinem 11. Lebensjahr mit meinen beiden älteren Schwestern bei meinen Eltern gewohnt und die Schule besucht. Als ich 12 Jahre alt war, haben sich meine Eltern getrennt. Zurück betrachtet war dies ein traumatisches Erlebnis, welches mich lange beschäftigt hat. In den darauf folgenden 3 Jahren bin ich zwischen dem Wohnort meiner Mutter und dem meines Vaters immer hin und her gewechselt, weil ich mich nicht entscheiden konnte, bei wem ich auf Dauer leben wollte. Aufgrund dieser Situation habe ich mit ca. 14 Jahren begonnen, Alkohol und Cannabis zu konsumieren; dies habe ich bis zum Tag meiner Inhaftierung getan. Immer wenn ich etwas konsumiert hatte, konnte ich das Gefühl, zwischen meinen Eltern hin- und hergerissen zu sein, vergessen. Später hatte ich keinen Grund aufzuhören. Der Konsum hat mich stets beruhigt, wenn ich schlechte Gedanken hatte. In der Nähe des damaligen Wohnortes meiner Mutter bin ich für 5 Jahre auf das Gymnasium gegangen. Nach 5 Jahren auf diesem Gymnasium bin ich mit meiner Mutter nach Dordrecht umgezogen. Wir lebten dort etwa für 2 Jahre. In dieser Zeit habe ich auch mein Abitur gemacht. Eine Klasse musste ich wiederholen. Zuletzt bin ich mit meiner Mutter nach A gezogen. Von A habe ich die Universität in Amsterdam besucht. Das 1. Studienjahr dort habe ich bereits erfolgreich absolviert und aktuell befinde ich mich im 2. Studienjahr. Meine Mutter hat mir das Studium finanziert. Auch sonst habe ich vom Taschengeld meiner Mutter gelebt. In der JVA habe ich aufgrund meiner Vergangenheit inzwischen auch die Hilfe des Jugendpsychiaters in Anspruch genommen. Dies hilft mir.“
67Über eine Verteidigererklärung hat sich der Angeklagte L wie folgt zu seiner Person eingelassen:
68„Ich wurde am 28.09.1990 in A/Holland geboren. Ich bin das jüngste Kind meiner Eltern M. und W. L. Meine Mutter war ca. 25 Jahre bei der Fa. ZZ in A Empfangssekretärin, derzeit ist sie zur „XXX“ nach Amsterdam abgeordnet. Mein Vater war zunächst bei Firma B angestellt, dann hat er zwischenzeitig ein Immobilienmaklerbüro betrieben, bis zur erneuten Anstellung bei einer Versicherungsgesellschaft. Ich habe noch eine ältere Schwester namens Mandy. Sie ist 25 Jahre alt und studiert Ernährungswissenschaften. Wie sich das Gericht sicherlich bereits selber überzeugen konnte, habe ich eine sehr gute Beziehung und regelmäßigen Kontakt zu meinen Eltern und meiner Schwester, sowohl vor der Inhaftierung als auch nach meiner Inhaftierung. Ich habe in A zunächst die Basisschule (in den Niederlanden regulär 8 Jahre Schulbesuchsdauer) besucht, bis ich 12 Jahre alt war, dabei habe ich die 2. Klasse übersprungen. Anschließend ging ich dann auf die weiterführende Schule, die „VMBO“. In der „VMBO“ habe ich auf einem Niveau vergleichbar der deutschen Realschule begonnen, 2 Jahre lang. Ich hätte dann laut dem Einstufungstest, den alle Schüler nach der 8. Klasse machen müssen, auch vergleichbar zu dem deutschen Gymnasium die Schule fortsetzen können, habe mich aber dann doch für die Form der Berufsschulausbildung in Richtung Handwerk entschieden. Dort auf der “VMBO“ habe ich nach 4 Jahren Ausbildung eine abgeschlossene Ausbildung als Maler erworben, beim Abschluss war knapp 16 Jahre alt. Ich habe leider im letzten Jahr der Ausbildung lediglich 2 mehrwöchige Praktika absolvieren können, ohne eine Festeinstellung zu erhalten, wobei ich damals mit 16 auch noch nicht wusste ob ich wirklich Maler bleiben wollte oder weiter Ausbildung mache. Ich habe dann auch eine Ausbildung zum Facility-Manager begonnen in einem Altersheim. Berufsbegleitend habe ich die „MBO“ (eine Art Berufsschule) besucht, aber schlussendlich auch abgebrochen. In der Folgezeit habe ich dann meinen Alltag durch Gelegenheitsjobs finanziert. Mit 18 Jahren bin ich zu Militär gegangen, dort habe ich eine Ausbildung zum Berufssoldaten gemacht. Diese Ausbildung dauerte 6 Monate, kurz vor Ende habe ich die Ausbildung aber abgebrochen, weil man mir zu Bedingungen bei Einstellung als Soldat machte, ein einen Dienst in Afghanistan zu übernehmen. Diese Forderung des Militärs war mir zwar vorher bekannt, ich habe mich aber während der Ausbildung gegen einen Auslandsdienst entschieden. Dennoch war ich stolz auf mich, dass ich die harte und körperlich anstrengende Grundausbildung durchgehalten hatte, zumal mir keiner meiner Freunde das zugetraut hatte. Ich habe mich dann nach Verlassen des Militärs mit Jobs über Wasser gehalten, in einem Supermarkt als Servicekraft z.B. oder auch als Kellner. Mein Leben ist bis heute ohne nennenswerte Besonderheiten verlaufen. Ich war zwar nie ein guter Schüler, aber nicht etwa weil ich mich nicht angestrengt hätte. Ich habe keine nennenswerten Erkrankungen gehabt. Ich habe auch keine Schulden, jedenfalls nicht in nennenswertem Umfang. Ich habe als Kind immer Fußball gespielt, mein Vater war damals auch Jugendtrainer in dem Verein wo ich spielte. Außerdem war ich viel schwimmen und habe viel mit meinen Freunden draußen gespielt. Später als ich zur Schule ging, habe ich in der Freizeit eher Filme und TV Serien geguckt und Computer gespielt. Das lag daran dass ich mit 13 Jahren dem Rauchen angefangen habe und kurze Zeit später auch mit dem Kiffen. Wo ich dann 14, 15,16 und 17 war habe ich wirklich viel gekifft. Fast alle meiner Freunde haben damals geraucht und gekifft, wir haben eigentlich in unserer Freizeit immer „Party gemacht“. Weniger gekifft habe ich erst wieder, als ich zum Militär gegangen bin. Zum einen weil dort auch Tests gemacht werden, zum anderen aber auch weil ich ja die harte Ausbildung durchhalten wollte, die mir meine Freunde nicht zugetraut hatten. Ich kann heute rückblickend sagen, dass die Kifferei bestimmt auch Einfluss auf meine ganzen abgebrochenen Ausbildungen hatte. Ich interessierte mich auch nicht mehr für Hausaufgaben und meine alten Hobbys, wir haben halt viel gefeiert. Ansonsten habe ich in Tag hineingelebt. Alkohol trinke ich lediglich gelegentlich bei entsprechenden Anlässen oder Feiern. Im Zeitpunkt meiner Inhaftierung habe ich auch nur noch abends gekifft, um besser einschlafen zu können. Ich habe auch schon 2 oder 3 mal „Legal Highs“ mit Freunden aus Holland probiert, wie etwa ihr JWH-018, aber da das nicht annähernd so wirkt wie Gras – beim letzten Versuch bin ich sogar überhaupt nicht „high“ geworden –, bin ich lieber bei Marihuana geblieben. Die „Legal Highs“ mache nur Sinn – und so kenne ich das auch aus meinem Freundeskreis – wenn man ein Auto hat und nicht unter Drogeneinfluss fahren möchte. Ich habe aber kein Auto und daher konnte ich weiter Marihuana rauchen.“
69Über eine weitere Verteidigererklärung hat sich der Angeklagte L wie folgt zur Sache eingelassen:
70„Wie ich bereits bei der Polizei erklärt habe, nachdem mir gesagt wurde, dass man mir helfen werde schnell wieder nach Hause gehen zu können, wenn ich gegen E Aussage, vermute ich, dass der E die Idee mit dem Verkauf von Legal Highs vor dem O hatte. Ich weiß nicht, ob da noch jemand drüberstand oder ob noch andere Leute involviert waren.
71Heute nach der Beweisaufnahme weiß ich, dass dieser G wohl nicht ganz unschuldig ist und wohl mit allem angefangen hat. Davon weiß ich aber bis heute nichts aus eigenen Wahrnehmungen. Am Tag der Festnahme wusste ich zunächst gar nicht, warum man mich jetzt abführte. Ich war geschockt und hatte Angst. Der mich vernehmende Polizeibeamte eröffnete mir dann erstmalig, dass ich verhaftet wurde, weil ich unerlaubt mit Drogen gehandelt haben soll. Ich sagte ihm sofort, dass das nicht stimme, da ich ausschließlich Legal Highs verpackt habe, die überall frei erhältlich sind. Der Polizeibeamte sagt mir dann, dass sie Stoffe angeblich gefährlich seien und auch Menschen töten würden. Auch sowas habe ich an diesem Tag zum 1. Mal gehört und jetzt war ich noch mehr schockiert und es verschlug mir wirklich den Atem. Ich habe das alles zunächst nicht glauben können und für einen schlechten Scherz oder ein Irrtum gehalten. Ich bin zuerst nicht davon ausgegangen, dass die Polizei glaubte, dass es sich bei den in F gefundenen Stoffen um Kokain oder Heroin handeln würde. Ich kenne schließlich ein paar Leute, die wegen ihrer Führerscheine selber Legal Highs konsumieren und ich habe es auch schon 2 oder 3 mal selber probiert und nie ist mir oder einem anderen schlecht geworden oder Schlimmeres. Ich habe dem Polizeibeamten dann auch alles gesagt. Ich hätte ihm bei meiner 1. Vernehmung nach der Festnahme auch noch mehr erzählt, wenn er die Vernehmung nicht abgesprochen hätte, weil er mich zum Haftrichter bringen musste. Ich habe sowohl bei meiner Vernehmung nach der Festnahme, als auch im Rahmen meiner Nachvernehmung die Wahrheit gesagt und nicht nur weil man mir gesagt hatte, dass wenn ich alles erzähle, man mir dann helfen würde schnell wieder nach Hause zu kommen. Am Tag meiner Festnahme hat man es sogar so dargestellt, als könnte ich sofort nach Hause gehen, wenn ich aussage, da die Polizei wisse, dass sich eigentlich nichts mit der Sache zu tun habe. Daher wollte ich auch möglichst schnell nachvernommen werden, da ich glaubte, ich könne danach nach Hause und von dort aus warten bis der Prozess losginge. Ich ging bis zum Schluss fest davon aus, dass ich nichts illegales gemacht haben und wollte das sofort der Polizei nach meiner Festnahme erklären. Nach meiner 1. Vernehmung wartete ich darauf, dass man mich für die Nachvernehmung abholen kommt. Mein Anwalt sagte mir auch, dass das ziemlich bald passieren würde. Dass dies am Ende 3 Monate gedauert hat, lag meines Wissens nach daran, dass er und die Polizei keinen Termin gefunden haben, an dem alle Zeit gehabt hätten. Ich kann nur nochmals betonen, dass ich im Rahmen meiner Vernehmungen immer die Wahrheit gesagt habe. Das Verpacken in der Wohnung war für mich auch kein großes Ding, sodass ich das alles auch nicht groß hinterfragt habe, wieso auch. Ich wusste, zumindest glaubte ich damals ist zu wissen, dass die Legal Highs über all legal erhältlich sind und sogar ganz frei online zu kaufen sind. Das alles lief ja auch anders ab, als wenn man irgendwelche illegalen Betäubungsmittel bei einem Dealer in der dunklen Ecke kauft. Ich hatte nie einen Grund daran zu zweifeln, dass das was ich mache illegal sei. Das alles war ja auch ein offenkundiges Geschäft. Ich habe ja schließlich selber gekifft und weiß, wie Betäubungsmittel sonst im Park oder vergleichbar verkauft werden. Hier war das alles aber ganz anders. O hat mir damals auch davon erzählt, wie er von der Polizeibeamtin, die wir hier auch gehört haben, angehalten wurde und er ganz offen mir ihr darüber geredet hat, dass er Legal Highs zum Rauchen dabei habe. Auch aufgrund der weiteren Umstände bin ich nie davon ausgegangen, dass die Legal Highs geschmuggelt werden mussten. Ich habe in Listen die ich abgearbeitet habe per E-Mail bekommen. Das waren nicht etwa verschlüsselte E-Mails, sondern solche, die jeder hätte mitlesen können. Die Listen selber waren auch nicht in einer Geheimsprache geschrieben oder codiert. Da stand der genau drin was verpackt werden soll und wie viel. Ich selber habe diese silberfarbene Umverpackung, von denen auch welche in der Wohnung gefunden wurden, auch mit den entsprechenden Aufschriften für etwa ihr JWH-018 ganz normal für jeden sichtbar in den Haus bzw. in den gelben Müll geworfen. Ich habe gar nicht erst versucht da etwas zu verstecken oder so. Ich habe auch sämtlichen Leuten erzählt, was ich in Deutschland mache. Von denen ist auch keiner auf die Idee gekommen, dass das unerlaubt sein könnte, zumindest hat diesen Gedanken mir gegenüber keiner geäußert. Außerdem liefen die Zahlungsvorgänge auch alle ganz offiziell ab, so als würde man etwas bei Amazon oder sonst einem Onlinehändler bestellen. Ich habe auch in einem richtigen Büro gearbeitet, wenn ich die Pakete gepackt habe. Dort war alles geordnet und auch die Versendung lief aus meiner Sicht so ab, wie es bei einem Unternehmen ablaufen würde und nicht etwa so, als würde ich privat einen Brief verschicken. Wenn meine Anwälte mich fragen, warum es verschiedenen Absender Adressen gab, dann bin ich davon ausgegangen, dass es sich bei den verschiedenen Adressen um verschiedene Firmen gehandelt hat, die dem E oder dem Mark gehört haben. Dass es die Firmen nicht gibt oder nicht an diesen Adressen gibt, habe ich nicht gewusst. Bei der Post hat sowas aber auch nie jemand gesagt. Ich war ja schon wirklich oft da, so dass ich ja wohl davon ausgehen durfte, wenn da irgendwas mit den Adressen oder so nicht stimmen würde, dass die mich dann darauf ansprechen würden, da die mich ja schließlich kannten. Die haben mir auch nie ein Paket zurückgegeben wenn ich da war. Wie ich auch schon bei der Polizei gesagt habe, war die Arbeit die ich gemacht habe nicht besonders schwierig, so dass ich mich auch nicht groß mit O oder E darüber unterhalten habe. Ich hatte ja damals gezeigt bekommen, wie man die Listen bearbeitet und später in F wurde ich dann noch in den Versand eingearbeitet. Das war es dann auch schon. Was soll man sich dann noch großartig darüber unterhalten. Ich hätte mir aber in 100 Jahren nicht träumen lassen, dass man irgendetwas was verboten ist offiziell über das Internet verkauft. Ich meine, vielmehr kann man dann doch nun wirklich nicht mehr tun und festgenommen zu werden. Da ich wusste, dass ich in Deutschland verpackt und verschickt habe, damit Porto gespart werden konnte, wäre ich auch aus diesem Grund nicht auf die Idee gekommen, dass es hier illegal ist was ich gemacht habe. Ich hätte doch niemals meine Freiheit dafür riskiert, dass jemand anderes ein paar Euro beim Porto gespart. Mit hat damals der E gesagt, dass es ganz legal sei die Sachen zu verkaufen und er das daher auch über das Internet mache. Er hat mir damals auch eine Webseite gezeigt und gesagt, dass sei so seine Seite. Es kann sein, dass dies die Seite von G war, das kann ich aber nicht mit Sicherheit sagen. Ich kann nicht sagen wie die heißt, da ich mir diese Seite danach nicht mehr angeguckt habe. Wie bereits erwähnt habe ich auch selber schon mal das ist Spice probiert, der berauschende Effekt ist geringer der als bei Marihuana, weswegen ich dem E auch gesagt habe, dass ich nicht glaube, dass man damit viel Geld verdienen kann, da das Zeug nicht wirklich etwas bringt. Ich wusste damals auch selbst, dass diese Legal Highs über all legal erhältlich sind und das nicht nur in Holland. Das war er auch die Geschäftsidee dahinter, da es in den anderen Ländern zwar ein Problem ist Gras zu kaufen, aber die Legal Highs halt gekauft werden dürfen. Das einzige Mal kam in etwa 1 oder 2 Monate vor meiner Verhaftung zur Sprache, dass die MDPV wohl verboten werden soll und dass dann aus dem Angebot genommen werden müsse. Ich bin damals dann aber nicht davon ausgegangen, dass ich hier jetzt als Drogenhändler sitzen werde. Es wurde mir auch niemals bestätigt, dass es wirklich illegal geworden ist, ich habe mich um solche Fragen aber auch nicht kümmern müssen, weil das die Aufgabe von anderen war, auf deren Aussagen ich vertraut habe. Meine Aufgabe war nur das abarbeiten von Listen und um das geschäftliche wie rechtliche haben sich andere gekümmert. Ich sagte ja auch schon, dass ich nicht das ganze Konzept kannte, aber dass man sich da rechtlich hat beraten lassen war mir schon bewusst. So wie ich das verstanden hatte, wollte man am Versandporto sparen und deshalb nach Deutschland ziehen. E und O haben mich mit einbezogen, da klar war, dass die beiden nicht immer da sein werden, so dass sich im Ergebnis derjenige sei, der zumindest unter der Woche da vor Ort sein würde. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt ohnehin keinen Job, weswegen ich zustimmte. Wie ich auch bereits gegenüber der Polizei erklärt habe, kann ich nicht sagen, die damals gearbeitet wurde. E und O stand sich sehr nah, dass war schon immer so. In F selbst bei mir aber klar, dass der E und der O jeweils ihr eigenes Geschäft hatten. Hierüber wurde zwar nicht ausdrücklich gesprochen, aber es gab die Listen von O und Listen von E. Außerdem musste immer getrennt werden welche Nachnahmekarte für die verschiedenen Sendungen genommen werden musste. Es gab da eine strenge Trennung zwischen den Karten vom O und denen vom E. In der Wohnung in F habe ich mich nie wirklich wohlgefühlt, weil auch keine Sachen von mir standen. Ich hatte nur Kleidung dort und einen Tablett PC für das Internet und zum Spielen. Den haben die Polizeibeamten mir abgenommen und nicht wiedergegeben, obwohl es ein Geschenk meiner Eltern war und mit der ganzen Sache noch weniger zu tun hat. Ich war daher immer froh, wenn ich am Wochenende nach Hause zu meinen Eltern oder zu einem Freund gefahren bin, um diese zu besuchen. Ich habe einzig in F gewohnt, weil ich keinen Job hatte und trotz meiner guten Beziehung zu meinen Eltern nicht mehr zu Hause wohnen wollte. Ich wohnte also irgendwie in F und auch noch bei meinen Eltern. F war jedenfalls nicht mein zu Hause. In F habe ich zuerst nur die Listen abgearbeitet und die Bestellungen verpackt und später hat sich das dann weiterentwickelt und ich bin dann auch zur Post gegangen. Ich hatte das Gefühl, am Anfang mussten weder O noch E so richtig, wie das mit dem Porto laufen sollte, so dass die das erst selber gemacht haben, da ich mich bei Problem ja nicht hätte verständigen können. Und schließlich ging das dann so von Anfang bis Ende. Meines Erachtens war das alles kein großes Ding. Die Arbeit war schnell erledigt und ich brauchte ich nicht viel machen. Die Legal Highs kamen bereits immer fertig abgepackt in die Wohnung. Ich habe nicht immer mitbekommen, wie die in die Wohnung gebracht wurden, da ich auch nicht immer auf dem Zimmer gehockt habe. Ich konnte die Ware den beiden nicht jeweils zuordnen. Wie das auf der Einkaufsseite lief wusste ich nicht, ich denke aber dass die 2 das bei der Abrechnung irgendwie getrennt haben wir auch bei dem Porto. Für meine Hilfe beim Verpacken und zur Post gehen habe ich gar nichts bekommen. Das war auch o.k. für mich, da ich umsonst wohnen konnte und auch für meine Lebensmittel nicht selber zahlen musste. Wenn ich mir mal eine Kleinigkeit wie ein T-Shirt oder so gekauft habe, dann hat auch keiner etwas gesagt. Bezahlt habe ich mit der Karte, mit der ich auch das Porto bezahlt habe. Ich glaube, die war von der Deutschen Bank. Die Karte und den PIN habe ich vom O bekommen. Ich habe davon meine Ausgaben bestritten. Ich habe höchstens 20 Euro pro Tag für mich verwandt, es sind aber eher weniger gewesen. Ein paar mal hat man mir etwas Bargeld gegeben, das habe ich in der Wohnung in F auf Seite gelegt. Ich schätze mal es waren so zwischen 1000 1500 Euro die ich gespart hatte. Mit irgendwelchen Waffen in der Wohnung habe ich nichts zu tun. Es kann sein, dass ich die mal angefasst oder zur Seite gelegt habe, aber nie im Büro wo ich gearbeitet habe. Für mich gab es nie eine Verbindung zwischen diesen Sachen und meiner Arbeit. Die als Waffen bezeichneten Gegenstände lagen meines Wissens nach immer nur im Schlafzimmer.“
72Im Übrigen haben die Angeklagten im Rahmen der Hauptverhandlung von ihrem Schweigerecht Gebrauch gemacht.
73Zur Person
74Die Feststellungen zur Person des Angeklagten O beruhen auf den Angaben des Zeugen X2 über die Angaben des Angeklagten O im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmung, den Angaben des Sachverständigen Dr. Schlabbers zu seiner Person, dem Bericht der Jugendgerichtshilfe sowie seiner Verteidigererklärung.
75Die Feststellungen zur Person des Angeklagten L beruhen auf den Angaben des Zeugen X2 über die Angaben des Angeklagten L im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmungen sowie seiner Verteidigererklärung zur Person.
76Zum Tatgeschehen
77Soweit ein jeder Angeklagte die Tat im Sinne der Feststellungen (II.) im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmungen eingestanden hat – wie im Rahmen der Hauptverhandlung durch den Zeugen X2 berichtet –, ist sein Geständnis auch glaubhaft. Im Übrigen sind die Einlassungen der Angeklagten als bloße Schutzbehauptung zu bewerten und sie sind im Sinne der Feststellungen überführt. Dies steht aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände und Beweismittel fest.
78Der Zeuge X2 berichtete über das Ergebnis seiner Ermittlungen sowie die Angaben der Angeklagten im Rahmen ihrer polizeilichen Vernehmungen wie festgestellt. Die Kammer hat keinen Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen. Seine Angaben waren nachvollziehbar und detailreich. Erinnerungslücken räumte er ein. Die Angaben des Zeugen entsprechen auch dem in den Akten niedergelegtem Ermittlungsergebnis.
79Die Angaben der Angeklagten im Rahmen ihrer polizeilichen Vernehmungen stimmen überwiegend mit dem festgestellten Sachverhalt über ein. Die Angaben der Angeklagten, dass der Zeuge E die Idee zum Betrieb der Onlineshops von dem Zeugen G hatte, wird durch die insoweit glaubhaften Angaben des Zeugen G bestätigt. Dieser gab an, dass er sich Anfang des Jahres 2012 zum 1. Mal mit dem Zeugen E traf, um über den von ihm betriebenen Shop mit Research Chemicals zu sprechen. Bei einem 2. Gespräch sei auch Herr O anwesend gewesen. Etwa 6 Monate später habe er dann im Internet einen seinem Shop quasi identischen Shop gefunden, der von dem Zeugen E betrieben wurde. Er habe mit dem Zeugen E auch darüber gesprochen, dass dieser Stoffe vertreibe, die unter das Betäubungsmittelgesetz fallen. Dem Zeugen E sei dies jedoch egal gewesen. Die Kammer hat die Angaben des Zeugen G im Hinblick darauf, dass gegen diesen zum Zeitpunkt seiner polizeilichen wie gerichtlichen Vernehmung ein Ermittlungsverfahren wegen Handels mit „Research Chemicals“ anhängig war, bezüglich ihrer Glaubhaftigkeit insbesondere hinterfragt und keinen vernünftigen Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Angaben, die zu den oben genannten Feststellungen führten. Die Aussage ist in sich schlüssig und widerspruchsfrei. Der Zeuge schilderte den Sachverhalt detailreich, unredliche Belastungstendenzen konnte das Gericht nicht feststellen.
80Die Feststellungen zur Ausstattung der Wohnung auf der L-T-Straße beruhen auf den glaubhaften Angaben des Zeugen X1. Der an der Durchsuchung am 10.05.2013 beteiligte Zeuge hat die Auffindesituation der Wohnung auf der L-T-Straße wie festgestellt unter Zuhilfenahme der Inaugenscheinnahme der am 10.05.2013 gefertigten Lichtbilder der Wohnung geschildert. Es bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit der Angaben des Zeugen X1. Seine Schilderung war nachvollziehbar und detailreich. Erinnerungslücken räumte er ein. Bei Inaugenscheinnahme der Lichtbilder konnte er diese nachvollziehbar füllen. Aufgrund der Einrichtung der Wohnung hat die Kammer keinen vernünftigen Zweifel daran, dass diese allein als Ab-und Verpackstation angemietet wurde.
81Die Zeugen P1, P2, P3 und P4 – Mitarbeiter der Poststation in F – gaben übereinstimmend glaubhaft an, dass seit Spätsommer/Herbst des Jahres 2012 der Zeuge E und dann auch die Angeklagten in der Postfiliale in F mehrmals die Woche aufgetaucht seien und eine Vielzahl an Brief- sowie Paketsendungen aufgegeben hätten. Der Älteste, der als erster da gewesen sei, sei ihrer Einschätzung nach der „Chef“ gewesen. Auf den in Augenschein genommenen Lichtbildern erkannten die Zeugen den gesondert verfolgten E als den von ihnen beschriebenen Chef. Den Angeklagten O erkannten die Zeugen übereinstimmend als denjenigen wieder, der als erster der beiden Angeklagten gemeinsam mit E in der Filiale erschienen sei. Als Letzten hätten sie Herrn L „kennen gelernt“. Dies stimmt auch mit den insoweit glaubhaften Angaben der Angeklagten im Rahmen ihrer polizeilichen Vernehmungen überein. So gab der Angeklagte L an, dass, als er die Pakete noch in H packte, zunächst E mehrfach nach F gefahren sei, um die Pakete dort aufzugeben, später auch der Angeklagte O zur Post gegangen sei und er selbst erst als Letzter. E habe ihnen am Anfang gesagt, dass sich in den Sendungen Computer- oder Handyteile befänden. Da dies auch zusammen mit den Absendeadressen wie „Flash Data“ Sinn gemacht habe, hätten sie auch nicht weiter nachgefragt.
82Dies lässt jedenfalls den sicheren Schluss zu, dass die Angeklagten und E seit August 2012 Sendungen mit Research Chemicals in F aufgaben und die Angeklagten sowie E, da sie die Strafbarkeit ihres Handelns jedenfalls für möglich hielten, den wahren Inhalt der Sendungen verschleiern wollten. Die Kammer verkennt nicht, dass ein falscher Absender nicht nur den Zweck haben kann, den „tatsächlichen“ geheim zu halten. Insbesondere geht – wie auch vorliegend – ein gewisser „Schutz“ des Empfängers damit einher, da z.B. Nachbarn oder Eltern, die die Sendungen in Empfang nehmen könnten, nicht sofort erkennen würden, dass „Rauschmittel“ bestellt wurden. Da jedenfalls E seinen Namen gegenüber den Empfängern als Kontoinhaber (für Vorkassezahlungen) ohnehin bekannt gemacht hat, war zu erwägen, ob die falschen Absenderadressen allein zum Schutz der Empfänger angegeben wurden. Die Kammer schließt dies jedoch sicher aus, denn dann hätte für E keine Notwendigkeit bestanden, den Postmitarbeitern gegenüber falsche Angaben über den Inhalt der Sendungen zu machen. Dies lässt sich auch nicht damit erklären, dass versucht wurde mögliche Steuerhinterziehungsdelikte zu vertuschen. Es ging einzig darum den Inhalt der Pakete geheim zu halten.
83Die Kammer verkennt nicht, dass es sich gerade bei dem Handel mit synthetischen Drogen stellenweise um „Graubereiche“ des Betäubungsmittelstrafrechts handelt, da der Gesetzgeber versucht mit den „Laboren“ „Schritt zu halten“. Dass die Angeklagten deshalb dachten, sie würden nur mit Stoffen Handel treiben, die dem deutschen Betäubungsmittelgesetz nicht unterfallen, schließt die Kammer jedoch aus. Zum einen gab der Angeklagte O selbst an, dass er sich über die Rechtslage in Deutschland gar nicht erkundigt habe, zum anderen handelten die Angeklagten unter anderem mit dem bekanntesten synthetischen Cannabinoid „JWH-018“. Dieses ist bereits seit März 2009 in Deutschland verboten. Dies kann ein jedermann durch eine einfache Internetrecherche herausfinden. Der Angeklagte L gab zudem an, dass er JWH-018 bereits konsumiert hat, wusste, dass es als Marihuanaersatz gebraucht wird. Dass die Angeklagten, die wissen wie die von ihnen verpackten und verschickten Stoffe heißen und dass diese über das Internet vertrieben werden, sich nicht über die Legalität dieser mittels einer Internetsuche erkundigen, ist lebensfremd.
84Auch durfte der Angeklagte O nicht deshalb auf die Legalität seines Handelns vertrauen, weil der im Rahmen seiner Kontrolle am 13.09.2012 in F durchgeführte Drogenschnelltest nicht positiv ausfiel. Nachdem er in der Nacht vom 12.09.2012 auf den 13.09.2012 in F auf der T-Straße im Pkw im Rahmen einer Geschwindigkeitskontrolle angehalten und überprüft wurde und bei ihm der nicht dem Betäubungsmittelgesetz unterfallenden Stoff Buphedron und das Betäubungsmittel 4-Methylethcathinon aufgefunden wurden, ein vor Ort durchgeführter Urintest und Drogenbestimmungstest – ESA Test zum Nachweis von Kokain, Opiaten, Amphetamin, Cannabis und LSD –negativ verliefen, konnte er nicht darauf vertrauen, dass es sich nicht um Betäubungsmittel handelte. Zum einen erhielt er die Stoffe nicht zurück. Zum anderen wurde ihm von den Beamten nicht gesagt, dass es sich nicht um Betäubungsmittel handele. Dies gaben die Zeugin X3, der Zeuge X4 und der Zeuge X5 glaubhaft an. Die Zeugen räumten ein, dass aufgrund des Zeitablaufes bei ihnen Erinnerungslücken bestünden, sie sich jedoch an die Kontrolle des Angeklagten O an sich noch erinnern könnten. So gab die Zeugin X3 glaubhaft an, dass sie sich mit dem Angeklagten O auf Niederländisch unterhalten habe und sie diesem mitgeteilt habe, dass der Drogenschnelltest zwar negativ sei, man aber nicht wisse, wie die Stoffe einzuordnen seien und man diese daher mitnehme. Spätestens nach einer solchen Kontrolle hätte der Angeklagte O Nachforschungen über die rechtliche Einordnung der Stoffe in Deutschland anstellen müssen. Möglicherweise hat er dies getan und wusste spätestens zu diesem Zeitpunkt, dass sein Handeln strafbar ist, möglicherweise wusste er es bereits zuvor, jedenfalls war es ihm egal.
85Soweit der Angeklagte L angab, dass er davon ausgegangen sei, dass der Handel mit den Stoffen nicht strafbar sei, ist es bereits lebensfremd, dass jemand in einer Wohnung lebt, in der sich mehrere Kilo unterschiedlichster chemischer Substanzen befinden, und er keine Nachforschungen über deren Eigenschaften anstellt. Insbesondere, da er wusste, dass die Stoffe dazu dienten bei den Konsumenten einen Rauschzustand hervorzurufen. Zudem stellt sich die in seiner Verteidigererklärung dargestellte Behauptung, sein Vertrauen auf die Legalität seines Tuns zeige sich unter anderem darin, dass er Umverpackungen auch mit entsprechenden Aufschriften wie JWH-018 für jeden sichtbar in den Haus- bzw. gelben Müll geworfen habe, als offensichtliche Schutzbehauptung dar. Im Rahmen der Durchsuchung konnten in der Wohnung L-T-Straße – wie der Zeuge X1 glaubhaft berichtete – insbesondere in der Küche und im Wohnzimmer mehrere Mülltüten und Kartons mit Verpackungsmüll aufgefunden werden, die offensichtlich nicht für jedermann sichtbar in den Hausmüll geworfen wurden, sondern zunächst in der Wohnung lagerten. Auffällige Mengen an sonstigem Müll von Lebensmitteln etc. hingegen wurden nicht gefunden.
86Dass die Angeklagten aufgrund von Stempeln „EU-Import“ auf den Postpaketen aus Asien davon ausgingen, dass es sich um in ganz Europa legale Substanzen handeln würde, schließt die Kammer ebenfalls aus. Bereits denklogisch kann es einen solchen Stempel für Pakete, die von außerhalb der EU in die Niederlande geschickt werden, nicht geben. Zudem gaben die Zeugen Z1 und Z2, Mitarbeiter des Niederländischen Zolls (Belastingsdienst), glaubhaft an, dass sie einen solchen Stempel nicht kennen würden. Sicherlich dürfte ein solcher nicht erst vom Paketdienst angebracht werden. Die Zeugen Z1 und Z2 berichteten nachvollziehbar über den grundsätzlichen Ablauf bei dem “Belastingsdienst“ in den Niederlanden. Sie gaben an, dass – sofern ein Paket, da es eines der vorgegebenen Risikoprofile erfüllt (Steuern, Gesundheit und Sicherheit, Umwelt und Nachahmung sowie Piraterie), kontrolliert wurde – dem Kurierdienst Bescheid gegeben wird, dass das Paket unbedenklich ist. Es gebe für Betäubungsmittel eine Liste mit verbotenen Substanzen, die allein für die Niederlande gelten würde. Das sei eine Anlage zum „Opium Vet“. Mit den JWH-Verbindungen sowie MDPV hätten sie keine Erfahrung. Mephedron würde ihnen etwas sagen, da dies nunmehr auf der Liste stehen würde. Der Paketempfänger würde nicht erfahren, dass das Paket geöffnet wurde. Sie seien auch nicht dazu verpflichtet dies anzugeben. Der Zeuge Z2 gab zudem insbesondere nachvollziehbar an, dass nicht alle Pakete mit Chemikalien aus China näher untersucht werden würden.
87Auch eine gegenteilige Rechtsauskunft einer verlässlichen Person hatten die Angeklagten nicht. Verlässlich in diesem Sinne ist nur eine zuständige, sachkundige, unvoreingenommene Person, die mit der Erteilung der Auskunft kein Eigeninteresse verfolgt und die Gewähr für eine objektive, sorgfältige, pflichtgemäße und verantwortungsbewusste Auskunftserteilung bietet. Diese Kriterien hätte der gesondert verfolgte E – sollte er den Angeklagten auch unter Berufung auf eine über den Zeugen G vermittelte Auskunft einer niederländischen Rechtsanwältin tatsächlich gesagt haben, dass der Handel mit den verfahrensgegenständlichen Stoffen nicht strafbar sei – auch aus Sicht der Angeklagten sicherlich nicht erfüllen können.
88Auch bei den Angaben des Zeugen E, die seiner zum Verfahren gelangten schriftlichen Einlassung über seinen Verteidiger zu entnehmen sind, handelt es sich zur Überzeugung der Kammer um reine Schutzbehauptungen. Die Kammer hat keinen Zweifel daran, dass der Verkauf der Betäubungsmittel über die Onlineshops „spicestore247“ und „ezchem“ gemeinsam und arbeitsteilig durch den Angeklagten O, E und den Angeklagten L betrieben wurde. Zum einen haben die Angeklagten O und L dies übereinstimmend in ihren polizeilichen Vernehmungen so angegeben. Auch die Würdigung der weiteren bekannten Umstände lässt keinen anderen Schluss zu. Es ist zu vermuten, dass die in Augenschein genommenen „Bestelllisten“ von unterschiedlichen Autoren stammen und auch unterschiedlichen Onlineshops zuzuordnen sind, da es zum einen verschiedene Listen vom gleichen Tag gibt – ausweislich des Dateinamens, der ein Datum enthält – und ein Teil der Listen im Dateinamen den Begriff „ezchem“ enthalten hat. Zum anderen weisen alle Listen, die im Dateinamen den Begriff „ezchem“ enthalten haben, und ausschließlich diese, den Namen „C“ als Dateiautor aus. Auch wurde bei diesen Listen erkennbar eine andere Word-Schriftart benutzt. Bei mehreren Shops und der Vielzahl an Bestellungen ist es nahe liegend, dass die Bestellungen über die Shops nicht von einer einzelnen Person ausgewertet und in die entsprechenden Listen übertragen werden konnten und somit der Angeklagte O die Administration des Shops „ezchem“ übernommen haben mag. Eine weitere Trennung im Folgenden hat jedoch nicht stattgefunden. Die über die verschiedenen Onlineshops bestellten Betäubungsmittel lagerten gemeinsam in der Wohnung in F. Dies steht aufgrund der Angaben des Zeugen X1 und der in Augenschein genommenen Lichtbilder der Wohnung fest. Erst dort wurden sie durch den Angeklagten L den Bestellungen zugeordnet. Auch die Zahlungen durch die Kunden gingen für gemäß der Listen dem Shop „ezchem“ zuzuordnenden Bestellungen sowohl auf dem Konto des Angeklagten O bei der Postbank als auch auf dem Konto des E bei der Volksbank ein. Dies ist den Konten bei einem Abgleich mit den in Augenschein genommenen Bestelllisten zu entnehmen.
89Auch schließt die Kammer sicher aus, dass am 10.05.2013 mit den in F gelagerten Substanzen „nur noch“ durch den Angeklagten O – mit Hilfe des Angeklagten L – Handel getrieben werden sollte. Die im Rahmen der Hauptverhandlung vernommene Zeugin P1 gab glaubhaft an, dass sie den Zeugen E eine Woche vor dem 10.05.2013 das letzte Mal auf der Post in F gesehen hatte. Damit übereinstimmend gab die Zeugin P3 an, dass der Zeuge E zu Anfang sehr häufig auf der Post gewesen sei, am Ende – kurz vor der Festnahme der Angeklagten – jedoch nur noch einmal die Woche auf der Post in F gewesen sei. Die Kammer hat keinen Zweifel an der Richtigkeit dieser Angaben. Die Zeugen konnten sich sowohl an die Angeklagten als auch an E erinnern und übereinstimmend zeitlich einordnen, welchen der 3 Täter sie zuerst gesehen hatten. Dies lässt für die Kammer den sicheren Schluss zu, dass der Zeuge E auch bis zum 10.05.2013 gemeinsam mit den Angeklagten über verschiedene Onlineshops Handel mit Betäubungsmitteln getrieben hat.
90Zur Einordnung und Gefährlichkeit der Substanzen
91JWH-018, -122, -203, -210:
92Die Feststellungen zu der betäubungsmittelrechtlichen Einordnung der aufgefundenen Substanzen beruht auf dem durch die Sachverständigen Dr. Mahler und Dr. Zagermann erstatteten Gutachten. Die Sachverständigen haben über die quantitative und qualitative Bestimmung der Wirkstoffe aus den sichergestellten Substanzen vom 10.05.2013 mit dem festgestellten Ergebnis berichtet. Die Kammer macht sich die überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Dr. Mahler und Dr. Zagermann nach eigener Sachprüfung vollumfänglich zu Eigen. Die Sachverständigen haben unterschiedliche anerkannte Untersuchungsmethoden angewendet und dabei ein europäischen Richtlinien entsprechendes und geeignetes Analyseverfahren gewählt. Die Ausführungen der Sachverständigen waren ausführlich und auch stets nachvollziehbar. Bei den verfahrensgegenständlichen Drogen handelt es sich um die dem Betäubungsmittelgesetz am 10.05.2013 unterfallenden Substanzen JWH-018, JWH-122, JWH-203, JWH-210 und MDPV. Die quantitative Bestimmung durch die Sachverständigen ergab, dass sich am 10.05.2013 1.044 g Reinsubstanz JWH-018, 970 g Reinsubstanz JWH-122, 174 g Reinsubstanz JWH-210, 873 g Reinsubstanz JWH-203 und 2.967 g MDPV-Base in der Wohnung L-T-Straße in F befanden.
93Die Feststellungen der Kammer zur Wirkungsweise und Gefährlichkeit von JWH-018, -122,-203,-210 und MDPV beruhen auf den mündlich in der Hauptverhandlung erstatteten Gutachten der Sachverständigen Dr. Mahler und Prof. Dr. Bonnet sowie dem verlesen Behördengutachten des Dr. Dahlenburg über MDPV vom 25.03.2014.
94Der Sachverständige Dr. Mahler hat ausgeführt, dass es sich bei den JWH-Verbindungen um Derivate der Alkylindole handele, die als Vollagonisten an die Cannabinoid-Rezeptoren CB1 und CB2 im menschlichen Körper andocken und dabei eine berauschende Wirkung entfalten würden, die der des Tetrahydrocannabinol im Wesentlichen ähnele. Bestimmend für psychoaktive Effekte sei dabei der vorwiegend in Hirnregionen auffindbare CB1-Rezeptor, der für Gedächtnis und Bewegungsregulation zuständig sei. Im Vergleich zu Tetrahydrocannabinol sei bei den synthetischen Cannabinoiden zum Teil eine stärkere Affinität vorhanden, an den CB1-Rezeptor zu binden, woraus eine stärker berauschende Wirkung resultiere. Diese Wirkung und Wirkungsstärke werde durch die Dissoziationskonstante ki bestimmt. Je kleiner ki sei, desto stärker binde der Stoff an den Rezeptor und sei somit als potenter anzusehen. Je kleiner die Dissoziationskonstante sei, desto länger verbleibe der Stoff außerdem am Rezeptor. Die Dissoziationskonstanten der verfahrensgegenständlichen Cannabinoide am CB1-Rezeptor und ihre theoretische, relative Potenz im Vergleich zu THC seien wie folgt darstellbar:
95Verbindung |
Ki CB1 (nM) |
Theoretische relative Potenz |
Δ9-THC |
41 |
1 |
JWH-018 |
9 |
4,5 |
JWH 203 |
8 |
5 |
JWH-122 |
0,69 |
59 |
JWH- 210 |
0,46 |
88 |
Vor dem Hintergrund, dass es sich bei den JWH-Verbindungen um Vollagonisten handelt, seien die Werte für die relative theoretische Potenz als untere Grenze zu verstehen.
97Als konkrete körperliche Wirkungen der synthetischen Cannabinoide im Allgemeinen könnten der Verlust oder Störungen der Bewegungskontrolle, Halluzinationen, Panikattacken und Erhöhung der Herzfrequenz (Tachykardie) auftreten. In manchen Fällen sei infolge starker Übelkeit und in Fällen von Bewusstlosigkeit eine notfallmedizinische Behandlung erforderlich gewesen. Ähnlich wie bei Cannabis seien auch Persönlichkeitsveränderungen und Psychosen zu erwarten. Die JWH-Verbindungen stünden außerdem in Verdacht, krebsfördernd zu sein. Nach einer Studie des Bundeskriminalamtes seien in einem Zeitraum von einem Jahr 189 Personen nach dem Konsum von Kräutermischungen notfallmedizinisch behandelt worden, in 9 Fällen sei es zum Tod gekommen, wobei hierbei auch tödliche Unfälle oder Suizidfälle Berücksichtigung gefunden hätten.
98Ein wesentlicher Unterschied der synthetischen Cannabinoide zu THC sei, dass eine weitaus stärkere berauschende Wirkung erreicht werden könne als durch das Rauchen von Cannabis, da der Dosierung von THC natürliche Grenzen gesetzt seien. Im Gegensatz dazu entscheide bei synthetischen Cannabinoiden der Hersteller oder sogar der Konsument – sofern er den Reinstoff und nicht eine abgepackte Kräutermischung erwirbt – selbst über die Potenz bzw. den Gehalt der Mischung. Für alle verfahrensgegenständlichen JWH-Verbindungen könne als relativ gesichert angesehen werden, dass es im Gegensatz zu Cannabis eine sogenannte äußerst gefährliche tödlich wirkende Dosis gebe. Nach dem gegenwärtigen Stand der Forschung könne allerdings keine konkrete Menge einer äußerst gefährlichen Dosis angegeben werden. Ferner seien JWH-Verbindungen im Gegensatz zu Tetrahydrocannabinol auch deswegen potenter, da es als reine pharmakologisch wirksame Komponente bereits vorliege und gut verraucht werden könne (sog. Bioverfügbarkeit). Beim Rauchen von Marihuana werde dagegen maximal lediglich 50 % der Tetrahydrocannabinol-Säure-A, die selbst keine berauschende Wirkung habe, in Tetrahydrocannabinol umgewandelt. Infolge der höheren Potenz und leichteren Bioverfügbarkeit sei das Suchtpotential von JWH-Verbindungen auch höher als dasjenige von Tetrahydrocannabinol. Das Suchtpotential einer Verbindung steige mit ihrer Potenz und Anflutungsgeschwindigkeit, welches entscheidende Faktoren für die Stärke des sogenannten „Kicks“ seien.
99Aufgrund der unterschiedlichen Rezeptoraffinität der verfahrensgegenständlichen JWH-Verbindungen gehe er auch von einer deutlich unterschiedlichen Gefährlichkeit dieser aus. JWH-122 und -210 besäßen eine erheblich stärkere psychoaktive Wirkung als JWH-018 und -203.
100Der Sachverständige Prof. Dr. Bonnet machte aus suchtmittelmedizinischer Sicht Angaben zur Wirkungsweise und Gefährlichkeit von synthetischen Cannabinoiden und amphetaminähnlichen Stimulantien. Er gab an, dass synthetische Cannabinoide eine cannabisähnliche Wirkung über die Aktivierung des CB1 Rezeptors hätten. Ihm sei berichtet worden, dass Cannabis eine angenehmere Rauschwirkung habe und synthetische Cannabinoide mehr Nebenwirkungen hätten.
101Für die Festlegung der konkreten Gefährlichkeit einer JWH-Verbindung halte er die Rezeptoraffinität nicht für ausschlaggebend, da die Rezeptoraffinität nur eine Aussagekraft über das Toxizitätsrisiko nicht jedoch über die Abhängigkeit habe. Die Rezeptoraffinität sei ein rein pharmakologisches Maß. Nach einer von ihm selbst erstellten Tabelle über das „relative Abhängigkeitsrisiko“ ordne er die synthetischen Cannabinoide unterhalb von Cannabis ein, da diese zwar toxischer seien, aber ein geringeres Missbrauchsrisiko bestünde. Alkohol stufe er höher ein als Amphetamin, Methamphetamin, synthetische Cathinone, Cannabis und synthetische Cannabinoide. Ebenso wie Alkohol würde er Nikotin einstufen. Ein Zeitfaktor, also wie schnell ein Missbrauch zum Tode führen würde, spiele für seine Einstufung keine Rolle. Er gab an, dass seine Bewertung des Missbrauchsrisikos natürlich von den vorhandenen Studien und Daten abhängig sei und dass über das Missbrauchsrisiko von Alkohol im Vergleich zu synthetischen Cannabinoiden mehr wissenschaftliche Daten vorlägen.
102Bestimmung der „nicht geringe Menge“:
103Eine „nicht geringe Menge“ im Sinne des BtMG liegt bei JWH-018, JWH-122, JWH-203 und JWH-210 ab 1,5 Gramm, 300 Konsumeinheiten a 5 mg, des jeweiligen Stoffes vor.
104Für die Festlegung der nicht geringen Menge der gegenständlichen JWH-Verbindungen hat die Kammer sich von folgenden Erwägungen leiten lassen:
105Der Grenzwert der nicht geringen Menge eines Betäubungsmittels ist in Abhängigkeit von dessen konkreter Wirkungsweise und Wirkungsintensität festzulegen. Maßgeblich ist zunächst die äußerst gefährliche, gar tödliche Dosis des Wirkstoffs. Fehlen hierzu gesicherte Erkenntnisse, so errechnet sich der Grenzwert als ein Vielfaches der durchschnittlichen Konsumeinheit eines nicht an den Genuss dieser Droge gewöhnten Konsumenten, das zu bemessen ist nach Maßgabe der Gefährlichkeit des Stoffs, insbesondere seines Abhängigkeiten auslösenden oder sonst die Gesundheit schädigenden Potenzials. Lassen sich auch zum Konsumverhalten keine ausreichenden Erkenntnisse gewinnen, so entscheidet ein Vergleich mit verwandten Wirkstoffen.
106Bei den sichergestellten JWH-Verbindungen 018, 122, 203 und 210 handelt es sich um hoch potente, synthetisch chemische Verbindungen, die als Vollagonisten an die Cannabinoid-Rezeptoren CB1 und CB2 andocken und dabei eine berauschende Wirkung ähnlich des Cannabiswirkstoffes THC hervorrufen. Im Vergleich zu THC hat das synthetische Cannabinoid JWH-018 eine circa 4,5 fach stärkere Affinität an den CB1-Rezeptor zu binden, JWH-122 eine circa 59 fach stärkere Affinität an den CB1-Rezeptor zu binden, JWH-203 eine circa 5 fach stärkere Affinität an den CB1-Rezeptor zu binden und JWH-210 eine circa 88 fach stärkere Affinität an den CB1-Rezeptor zu binden, woraus bei allen gegenständlichen JWH-Verbindungen eine stärker berauschende Wirkung dieses Cannabinoids im Vergleich zu THC resultiert.
107Der Sachverständige Dr. Mahler hat hierzu ausgeführt, dass auf Grundlage seiner Berechnung ausgehend von der Rezeptoraffinität von den gegenständlichen Stoffen folgende nicht geringe Mengen vorgelegen hätten:
108Wirkstoff |
Wirkstoffmenge |
KE (mg) |
Gesamtzahl KE |
ngM(KE) |
Vielfaches der ngM |
MDPV |
2967 gr. |
50 |
60 Tsd |
200 |
296,7 |
JWH-203 |
873 gr |
3 |
300 Tsd |
200 |
1.455 |
JWH-018 |
1.044 gr |
3 |
420 Tsd |
250 |
1392 |
JWH-210 |
174 gr |
0,15 |
1,4 Mio. |
200 |
5.800 |
JWH-122 |
970 gr |
0,3 |
4,4 Mio. |
200 |
16.167 |
Aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen Dr. Mahler ist die Kammer davon überzeugt, dass für die gegenständlichen JWH-Verbindungen eine äußerst gefährliche Dosis existiert. Eine letale Dosis der einzelnen JWH-Verbindungen kann jedoch nicht sicher festgestellt werden. Es liegen Berichte über Todesfälle nach der Einnahme von synthetischen Cannabinoiden vor. Allerdings handelt es sich um Fälle, bei denen Mischtoxikationen nicht auszuschließen sind.
110Mangels der Festlegung einer äußerst gefährlichen, gar tödlichen Dosis war als Grenzwert, nach oben genanntem „Dreischritt“, ein Vielfaches der durchschnittlichen Konsumeinheit eines nicht an den Genuss dieser Droge gewöhnten Konsumenten zu bestimmen, zu bemessen nach Maßgabe der Gefährlichkeit des Stoffs, insbesondere seines Abhängigkeiten auslösenden oder sonst die Gesundheit schädigenden Potenzials.
111Der BGH (BGH, Urteil vom 18.07.1984 - BGH 3 StR 183/84) hat die „nicht geringe Menge“ bei THC mit 7,5 g Tetrahydrocannabinol festgelegt, u. a. mit der Begründung, dass Cannabisprodukte von wesentlich geringerer Gefährlichkeit als Heroin seien. Zu einer äußerst gefährlichen toxischen Dosis gebe es keine Erkenntnisse, daher sei die durchschnittliche Konsumeinheit für einen Rauschzustand maßgeblich. Als Hauptkonsumform das Rauchen unterstellt, sei eine Konsumeinheit mit 15 mg THC anzusetzen. THC führe im Gegensatz zu Heroin nicht zur physischen Abhängigkeit und nur zu einer mäßigen psychischen Abhängigkeit, es bestehe aber die Gefahr von Störungen und des Umstiegs auf harte Drogen, daher seien nicht 150 Konsumeinheiten, sondern 500 Konsumeinheiten THC als Vielfaches zu multiplizieren.
112In einem rechtskräftigen Urteil, LG Ulm, Urteil vom 24. März 2011 - 1 KLs 22 Js 15896/09, wurden im Jahr 2011 für JWH-018 als Maßzahl für die Bestimmung einer nicht geringen Menge 350 Konsumeinheiten mit je 5 mg festgelegt.
113In einem weiteren Urteil aus dem Jahr 2012, LG Kleve, Urteil vom 06.02.2012 - 120 KLs 40/11, wurde für JWH-018 eine als sicher angesehene Wirkdosis von 3 mg angenommen. Im Vergleich mit anderen synthetischen Drogen wie Ecstasy wurde die Anzahl der Konsumeinheiten auf 250 festgelegt, was für JWH-018 zu einer nicht geringen Menge von 0,75g führt.
114Für eine Übertragung dieser Urteile auf die Vielzahl der anderen synthetischen Cannabinoide stellt sich das Problem, dass aufgrund der sehr unterschiedlichen Rezeptor-Bindungsstärken keine einheitliche Dosis-Wirkungsbeziehung zu erwarten ist.
115Während die Kammer aufgrund der überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. Mahler aufgrund der stärkeren Rezeptoraffinität aller gegenständlichen JWH-Verbindungen keinen Zweifel daran hat, dass dies grundsätzlich zu einer stärkeren Rauschwirkung als bei THC führt, erscheint es unter Berücksichtigung der Ausführungen des Sachverständigen Prof. Bonnet sowie der Feststellung, dass die unterschiedlichen JWH-Verbindungen immer zu den gleich Preisen verkauft wurden – damit sowohl für den Verkäufer als auch für den Konsumenten offensichtlich den gleichen Wert hatten –, fraglich, ob die Gefährlichkeit der Stoffe im Gleichschritt mit der höheren Rezeptoraffinität ansteigt. Auch erscheint die Vielzahl der verschiedenen JWH-Verbindungen und synthetischen Cannabinoide, die als Rauschmittel verkauft werden, auch dem Umstand geschuldet, dass durch die Veränderung eines Moleküls – aufgrund der Bestimmungen des deutschen BtMG – eine Strafbarkeit entfällt. Dass „Hersteller“ und „Konsument“ eine stärkere Rauschwirkung erwarten, ist nicht generell anzunehmen. Die Kammer hält es daher aufgrund mangelnder weiterer Erkenntnisse für angezeigt, die nicht geringe Menge für alle gegenständlichen JWH-Verbindungen einheitlich zu bestimmen.
116Soweit bei THC eine Konsumeinheit mit 15 mg angegeben wird und die Kammer aufgrund der überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. Mahler für die JWH-Verbindungen von einer um mindestens den Faktor 4,5 erhöhten Potenz ausgeht, gelangt man für die gegenständlichen JWH-Verbindungen jedenfalls zu einer Konsumeinheit von 3,3 mg. Die Kammer hat für den so ermittelten Wert noch zusätzlich einen Sicherheitszuschlag von 50 % berücksichtigt, so dass die Kammer für eine Konsumeinheit JWH-Verbindung zu einem Wert von 5 mg gelangt. Einen zusätzlichen Sicherheitszuschlag hält die Kammer deshalb für erforderlich, weil es erhebliche Unwägbarkeiten in der Bewertung gibt. Die reale Datenbasis zu den gegenständlichen JWH-Verbindungen ist begrenzt.
117Durch die Sachverständigen beraten ordnet die Kammer die Gefährlichkeit der JWH-Verbindungen (derzeit) daher zwischen Cannabis und Amphetamin ein, so dass eine Maßzahl von 300 Konsumeinheiten anzusetzen ist.
118MDPV:
119In dem Behördengutachten des Dr. Dahlenburg über MDPV vom 25.03.2014 heißt es, dass MDPV hauptsächlich als Hydrochlorid-Salz in loser, pulverförmiger bis mikrokristalliner Form, z.T. in Kapseln abgefüllt oder als Tabletten, angeboten werde. Es werde peroral, intranasal, inhalativ und auch rektal konsumiert, wobei die ersten beiden Anwendungsformen bevorzugt werden würden. Die „szenetypischen Durchschnittsdosierungen“ würde sich nach einer EU-Studie aus dem Jahre 2009 im Bereich von 5mg bis 20mg bewegen. MDPV sei eine psychotrope Substanz, die auf indirekte Art und Weise wirke. Es blockiere die Dopamin- und Noradrenalin-Wiederaufnahme in die Speichervesikel durch Blockade der entsprechenden Transporter im Gehirn und rege zusätzlich die Freisetzung von diesen Neurotransmittern aus den Vesikeln an. Das Wirkungsspektrum resultiere aus einer Stimulierung des Zentralnervensystems und peripher-somatischen, autonomen Effekten über den sympathischen Nervenstrang, auf den kein Willenseinfluss möglich ist. Die zentral stimulierenden Wirkungen beträfen unter anderem die Steigerung von Konzentrationsfähigkeit, Leistungs- und Entscheidungsbereitschaft, psychophysischer Aktivität sowie die Unterdrückung von Müdigkeit und körperlicher Abgeschlagenheit. Zu den häufigsten Nebenwirkungen gehörten Schlaflosigkeit, Appetitmangel, Kopf-/Magenschmerzen, Verwirrtheit, Panikattacken, Erregbarkeit und Angst. Erhöhter Blutdruck und Agitiertheit können hinzukommen. Die Symptome einer akuten Überdosierung seien hauptsächlich auf die Übererregung des Zentralnervensystems und auf übermäßig starke sympathomimetische Effekte zurückzuführen. Folgende Symptome könnten auftreten: Übelkeit und Erbrechen, Agitiertheit, Tremor, Hyperreflexie, Muskelzuckungen, Schweißausbrüche und Hitzewallungen, Hyperpyrexie, Euphorie, Konfusion, Halluzinationen, Delirium, Tachykardie, Palpitationen, Herzrhythmusstörungen, Hypertonie, Mydriasis und trockene Schleimhäute, Kopfschmerzen, zerebrale Krampfanfälle. Es seien bereits letal verlaufende Intoxikationen, die im kausalen Zusammenhang mit dem Konsum von MDPV standen, bekannt geworden.
120Prof. Dr. Bonnet gab an, dass MDPV stärker aktivierend als übliche Amphetamine wirken soll.
121Die „nicht geringe Menge“:
122Wissenschaftlich fundierte Daten über eine „äußerst gefährliche Dosis“ MDPV liegen nicht vor. Es ist daher für die Bestimmung der „nicht geringen Menge“ auf die durchschnittliche Konsumeinheit eines Drogenunerfahrenen zur Festlegung abzustellen. Diese Menge wird mit einer Maßzahl multipliziert, in deren Bemessung die Eigenarten des Stoffes und seine Gefährlichkeit im generalisierenden Vergleich zu anderen BtM zum Ausdruck kommen.
123Dr. Dahlenburg hat in seinem Gutachten dazu ausgeführt, dass hilfreich für die Abgrenzung eines derartigen „Schwellwertes“ die Dosierempfehlungen für das Arzneimittel Methylphenidat seien. Für die Behandlung des ADHS seien typischerweise tägliche Dosen von 10 bis 40mg (bis 80mg im Einzel-/Sonderfall) in 2-bis 3maliger Gabehäufigkeit indiziert, wobei nach Einzeldosen ab 5mg bereits entsprechende Wirkungen auftreten würden. Vor dem Hintergrund der Informationen zur Gefährlichkeit von MDPV, den bevorzugten Konsumformen und entsprechenden „Szene-Dosierempfehlungen“ und fehlenden Angaben zu therapeutischen Maximaldosen könne für MDPV eine Konsumeinheit von 10mg bis 30mg (Base), bezogen auf die nasale und auch orale Applikation, für einen Drogenunerfahrenen als wirksame Dosis postuliert werden.
124Mit dem Richtwert von 200 Konsumeinheiten würden einerseits die pharmakologischen, forensischen und polizeilichen Erkenntnisse einbezogen und andererseits auch das höhere Gefährdungspotential im Vergleich zu Cathinon gewichtet. Ausgehend von diesen Bezugsgrößen (30mg x 200 KE) lasse sich für das Betäubungsmittel MDPV eine „nicht geringe Menge“ im Sinne des § 29a BtMG von maximal 6g MDPV-Base errechnen.
125Den Grenzwert von 10 g Amphetamin-Base hat die höchstrichterliche Rechtsprechung auf Grund einer Gesamtwürdigung festgesetzt, ohne auf eine bestimmte Anzahl von durchschnittlichen Konsumeinheiten abzuheben (BGHSt 33, 169). Es wurde jedoch darauf hingewiesen, dass “die hohe Dosis für den nicht Amphetamingewöhnten bei 50 mg beginnt”. Die erwähnte Grenzmenge umfasst danach 200 solcher Dosen. Angesichts der Wirkungsweise von MDPV, die durch die Sachverständigen übereinstimmend als dem Amphetamin gleichzusetzen beschrieben wurde, hat die Kammer den Grenzwert von MDPV ebenfalls bei 10 g angesetzt.
126Zur Schuldfähigkeit
127Beide Angeklagte handelten bei der Tat voll schuldfähig. Weder der Angeklagte O noch der Angeklagte L konsumierten zum Zeitpunkt der Tat oder zuvor Alkohol oder Betäubungsmittel in einem Umfang, der Einfluss auf ihre Schuldfähigkeit zum Zeitpunkt der Tat gehabt haben könnte.
128Betäubungsmittelkonsum, aber auch die Abhängigkeit von Betäubungsmitteln, begründen für sich allein noch nicht die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit im Sinne von § 21 StGB. Dies kommt nur ausnahmsweise in Betracht. Weder bei dem Angeklagten O noch bei dem Angeklagten L lag ein langjähriger Betäubungsmittelgenuss unter Verwendung harter Drogen vor, der zu einer Persönlichkeitsveränderung im Sinne einer schweren anderen seelischen Abartigkeit geführt hat, noch litt ein jeder Angeklagter zum Zeitpunkt der Tat unter starken Entzugserscheinungen oder hatte ein jeder Angeklagte Angst vor Entzugserscheinungen.
129VI. Rechtliche Würdigung
130Der Angeklagte O hat sich demnach wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gemacht.
131Der Angeklagte L hat sich wegen Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gemacht.
1321.
133Der zu dem Tatzeitpunkt 20 Jahre und 9 ½ Monate alte Angeklagte O war nach allgemeinem Strafrecht zu bestrafen. Eine Gesamtwürdigung der Persönlichkeit und der Lebensverhältnisse des Angeklagten O ergibt, dass er bereits zum Zeitpunkt der Tat zu einer realistischen Lebensplanung in der Lage war. Weder stand der Angeklagte O zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung einem Jugendlichen gleich, noch handelte es sich nach der Art, den Umständen oder Beweggründen der Tat um eine Jugendverfehlung entsprechend § 105 Abs. 1 JGG.
134Für die Frage, ob ein Heranwachsender mit einem Jugendlichen gleichzustellen ist, ist maßgebend, ob in dem Täter noch in größerem Umfang Entwicklungskräfte wirksam sind. Der Angeklagte hat erfolgreich die Schule abgeschlossen und befand sich im 2. Jahr eines Wirtschaftsstudiums. Der Angeklagte O war zu dem Zeitpunkt der Tat jedenfalls altersgemäß entwickelt. Auch heutzutage lebt eine Vielzahl von Studenten noch bis Abschluss ihres Studiums im elterlichen Haushalt. Die Tatsache, dass auch der Angeklagte O dies noch tat, gebietet nicht die Anwendung von Jugendstrafrecht. Auch die von dem Sachverständigen Dr. Schlabbers bei dem Angeklagten festgestellte schizophrene Persönlichkeitsakzentuierung lässt keinen Rückschluss auf eine Entwicklungsverzögerung zu. Denn trotz einer möglicherweise beginnenden abnormen Ausbildung der Persönlichkeit des Angeklagten hat er sich jedenfalls altersgerecht entwickelt. Der Angeklagte hat sowohl Schule als auch Studium zielstrebig verfolgt. Gewichtige Brüche in seinem Lebenslauf liegen nicht vor. Die Kammer verkennt dabei nicht, dass die Trennung seiner Eltern, als er 12 Jahre alt war, für ihn ein einschneidendes Erlebnis gewesen sein mag und auch das daran anschließende jedenfalls emotionale „Hin und Her“ zwischen beiden Elternteilen Einfluss auf seine Entwicklung genommen haben mag. Jedoch hat dies anhand seines beschriebenen Lebenslaufes erkennbar nicht dazu geführt, dass er mit „fast“ 21 Jahren einem unter 18jährigen gleichzustellen sei.
1352.
136Bei den von den Angeklagten zum Versand gelagerten Stoffen JWH-018,-122,-203,-210 und MDPV handelt es sich um - verkehrs- und aber nicht verschreibungsfähige - Betäubungsmittel, da sämtliche Stoffe in der Anlage II zu § 1 Abs. 1 BtMG aufgeführt sind.
137Die nicht geringe Menge an JWH-Verbindungen sowie an MDPV war überschritten. Es handelte sich um insgesamt das 2.344 fache der nicht geringen Menge an JWH-Verbindungen und das 296,7 fache der nicht geringen Menge an MDPV.
138Das Bereithalten dieser Stoffe mit der Absicht sie gegen Bezahlung zu versenden stellt eine unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln i.S.v. § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG bzw. § 30a Abs. 1 BtMG dar. Unter Handeltreiben ist jedes eigennützige Bemühen zu verstehen, das darauf gerichtet ist, den Umsatz von Betäubungsmitteln zu ermöglichen oder zu fördern. Sowohl der Angeklagte O als auch der Angeklagte L handelten eigennützig, denn sie wurden für ihre Tätigkeit entlohnt.
139Der Angeklagte O handelte als Täter, da er alle Tatbestandsmerkmale selbst verwirklichte. Die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Beihilfe erfolgt nach den allgemeinen Grundsätzen. Kriterien sind dabei der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft, der Grad des eigenen Interesses am Erfolg sowie der Wille zur Tatherrschaft. Der Angeklagte hatte eine übergeordnete Stellung und mithin Tatherrschaft. Er mietete die Wohnung in F als Lager und Verpackungsstation an und richtete in Deutschland zwei Konten zur Abwicklung der Betäubungsmittelgeschäfte ein. Zudem verbrachte er die Stoffe aus H nach F.
140Die Kammer geht zu Gunsten des Angeklagten L davon aus, dass dieser als Gehilfe im Sinne von § 27 StGB gehandelt hat, da über die festgestellte Tätigkeit beim Verpacken und Versenden kein weiterer Tatbeitrag des Angeklagten L festgestellt werden konnte.
141Die Angeklagten handelten vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft. Sie hatten Kenntnis von der Art der Stoffe und Kenntnis vom dem Inverkehrbringen dieser.
142Aufgrund der Gesamtumstände ist auch davon auszugehen, dass die Angeklagten billigend in Kauf nahmen mit verbotenen Betäubungsmitteln zu handeln und sich darüber auch nicht in einem unvermeidbaren Irrtum befanden.
143Die Angeklagten waren bei der Tatbegehung als Bande im Sinne von § 30 a Abs. 1 BtMG zusammengeschlossen.
144Der Begriff der Bande setzt den Zusammenschluss von mindestens drei Personen voraus, die sich mit dem Willen verbunden haben, künftig für eine gewisse Dauer mehrere selbstständige, im Einzelnen noch ungewisse Straftaten des im Gesetz genannten Deliktstypus zu begehen. Danach unterscheidet sich die Bande von der Mittäterschaft durch das Element der auf eine gewisse Dauer angelegten Verbindung zu zukünftiger gemeinsamer Deliktsbegehung. Ein "gefestigter Bandenwille" oder ein "Tätigwerden in einem übergeordneten Bandeninteresse" ist nicht erforderlich. Mitglied einer Bande kann auch derjenige Tatbeteiligte sein, dem nach der Bandenabrede nur Aufgaben zufallen, die sich bei wertender Betrachtung als Gehilfentätigkeit darstellen. Die Angeklagten und der gesondert verfolgte E betrieben jedenfalls seit Herbst der Jahres 2012 – möglicherweise mit weiteren unbekannt gebliebenen Bandenmitgliedern – arbeitsteilig den Versand der „Research Chemicals“ über das Internet. Allein dass ausschließlich hierfür eine Wohnung angemietet wurde, zeigt, dass die Angeklagten und E sich mit dem Verkauf der Stoffe für eine gewisse Dauer eine Einnahmequelle schaffen wollten.
145Ein unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln unter der Mitführung von Waffen lag hingegen nicht vor, da die „selbstgebastelte Axt“ und die Softair-Pistolen – sofern diese überhaupt als von dem Tatbestand des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG erfasst anzusehen sind – im Schlafzimmer der Wohnung auf der L-T-Straße aufgefunden wurden. Dort hielt sich jedoch nur der Angeklagte L dauerhaft auf, sodass kein „Täter“ des Handeltreibens eine Waffe mit sich führte.
146V. Strafzumessung
147Ausgangspunkt der Strafzumessung für den Angeklagten O ist der durch § 30 a Abs. 1 BtMG bestimmte Strafrahmen.
148Ausgangspunkt der Strafzumessung für den Angeklagten L ist der gemäß §§ 27, 49 Abs. 1 StGB gemilderte Strafrahmen des § 30 a BtMG.
149Eine Gesamtabwägung der Strafzumessungsgesichtspunkte ergibt, dass ein minder schwerer Fall im Sinne des § 30 a Abs. 3 BtMG trotz der nachfolgend angeführten Strafmilderungsgründe angesichts der ganz erheblichen Menge des tatbetroffenen Rauschgifts weder für den Angeklagten O noch für den Angeklagten L vorliegt.
150Eine Strafmilderung nach §§ 31 BtMG, 49 Abs. 1 StGB kommt ebenfalls keinem der Angeklagten zu Gute. Sie haben nicht in einer Weise Namen ihrer Auftraggeber genannt oder andere Angaben zu Hinterleuten gemacht, die als Ansätze zu weiteren Ermittlungen hätten dienen können. Soweit beide Angeklagte im Rahmen ihrer polizeilichen Vernehmungen Angaben zu dem gesondert verfolgten E machten, so hat dies nicht zu weiteren Ermittlungen geführt, da die Ermittlungsbehörden entsprechende Kenntnis von der Person und den Handlungen des gesondert Verfolgten bereits hatten.
151Innerhalb der so gefundenen Strafrahmen hat die Kammer für beide Angeklagten insbesondere strafmildernd berücksichtigt, dass sie bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sind. Auch das junge Alter beider Angeklagter hat die Kammer berücksichtigt. Zu ihren Gunsten wirkte sich zudem aus, dass ihre Haftempfindlichkeit dadurch erhöht ist, dass sie sich erstmalig in Haft befinden und niederländische Staatsangehörige sind. Schließlich hat die Kammer die geständige Einlassung der Angeklagten im Ermittlungsverfahren zu ihren Gunsten berücksichtigt. Zudem geht die Kammer davon aus, dass E der Initiator und „Bandenchef“ war, was sich für die Angeklagten strafmildernd ausgewirkt hat.
152Die Kammer gelangt unter Bezugnahme auf die voranstehenden Ausführungen zur Gefährlichkeit der Stoffe nicht zu der Annahme, dass es sich bei den gegenständlichen Drogen um dem Cannabis vergleichbar „weiche Drogen“ handelte und dies strafmildernd zu berücksichtigen wäre.
153Erheblich strafschärfend musste sich auswirken, dass es sich insgesamt um das 2.344 fache der nicht geringen Menge an JWH-Verbindungen und das 296,7 fache der nicht geringen Menge an MDPV handelte. Zudem musste sich auswirken, dass die Angeklagten rücksichtslos und mit hoher krimineller Energie vorgingen. Durch den Verkauf über einen Online-Shop wurden gefährliche Drogen einer unüberschaubaren Anzahl an potentiellen Konsumenten, insbesondere auch unabhängig von dem Alter dieser, zugänglich gemacht.
154Nach Abwägung aller für die Strafzumessung erheblichen Umstände ist für den Angeklagten O eine Freiheitsstrafe von
1556 Jahren und 9 Monaten
156tat- und schuldangemessen.
157Nach Abwägung aller für die Strafzumessung erheblichen Umstände ist für den Angeklagten L eine Freiheitsstrafe von
1584 Jahren und 9 Monaten
159tat- und schuldangemessen.
160VI. Nebenentscheidungen
161Die Einziehung des sichergestellten Rauschgiftes beruht auf § 33 BtMG.
162Der Pkw, T1 XX-XX XXX, war gemäß § 74 Abs. 1 StGB einzuziehen. Der Angeklagte O nutzte diesen regelmäßig um die Betäubungsmittel von H nach F zu bringen. Zudem wurden am Tattag in dem Wagen mehrere Kartons mit „noch“ leeren gepolsterten Briefumschlägen gefunden, die sicherlich zum Versand der am 10.05.2013 in der Wohnung befindlichen Betäubungsmittel dienen sollten. Dieser wurde mithin zur Tatbegehung gebraucht.
163Der erweiterte Verfall bezüglich der bei dem Angeklagten L am 10.05.2014 sichergestellten 288 Euro, bezüglich der bei dem Angeklagten O am 10.05.2014 sichergestellten 3.630 Euro und der in der Wohnung L-T-Straße, 46446 F am Rhein, am 10.05.2014 sichergestellten 1.000 Euro war gemäß § 33 BtMG i.V.m. §§ 73, 73 d StGB anzuordnen. Die Kammer schließt aus, dass die Voraussetzungen des Verfalles gemäß § 73 StGB vorliegen, da die gegenständlichen Betäubungsmittel noch in der Wohnung lagerten und noch nicht verkauft wurden. Gemäß § 73d StGB war jedoch der erweiterte Verfall anzuordnen, da es sich bei dem sichergestellten Geld um Vermögenswerte handelt, die zur Überzeugung der Kammer aus den jedenfalls seit Herbst 2012 laufenden Betäubungsmittelverkäufen über die Online-Shops stammen. Weder der Angeklagte O noch der Angeklagte L verfügten – ihren eigenen Angaben folgend – zum Tatzeitpunkt über eine andere Einnahmequelle, sodass die Kammer keinen Zweifel hat, dass die Gelder aus strafrechtlich relevanten Geschäften stammen.
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- JGG § 105 Anwendung des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende 1x
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- § 30 a Abs. 3 BtMG 1x (nicht zugeordnet)
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